URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

16. Dezember 2021 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Europäische Ermittlungsanordnung – Richtlinie 2014/41/EU – Art. 2 Buchst. c Ziff. i – Begriff ,Anordnungsbehörde‘“ – Art. 6 – Voraussetzungen für den Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung – Art. 9 Abs. 1 und 3 – Anerkennung einer Europäischen Ermittlungsanordnung – Europäische Ermittlungsanordnung zur Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr, die von einem Staatsanwalt erlassen wird, der durch den nationalen Rechtsakt, mit dem die Richtlinie 2014/41 umgesetzt wird, als „Anordnungsbehörde“ bestimmt ist – Ausschließliche Zuständigkeit des Richters für die Anordnung der in der Ermittlungsanordnung angegebenen Ermittlungsmaßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall“

In der Rechtssache C‑724/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien) mit Entscheidung vom 24. September 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Oktober 2019, in dem Strafverfahren gegen

HP,

Beteiligte:

Spetsializirana prokuratura,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Dritten Kammer K. Jürimäe (Berichterstatterin) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der vierten Kammer sowie der Richter S. Rodin und N. Piçarra,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von HP, vertreten durch E. Yordanov, advokat,

der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und M. Hellmann als Bevollmächtigte,

der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, R. Kissné Berta und M. M. Tátrai als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten zunächst durch Y. Marinova und R. Troosters, dann durch Y. Marinova und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Mai 2021

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (ABl. 2014, L 130, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen HP, im Laufe dessen die bulgarische Staatsanwaltschaft vier Europäische Ermittlungsanordnungen zur Erhebung von Beweisen in Belgien, Deutschland, Österreich und Schweden erlassen hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2002/58/EG

3

In Art. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. 2002, L 201, S. 37) heißt es:

„Sofern nicht anders angegeben, gelten die Begriffsbestimmungen der Richtlinie 95/46/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31)] und der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste (‚Rahmenrichtlinie‘) [(ABl. 2002, L 108, S. 33)] auch für diese Richtlinie.

Weiterhin bezeichnet im Sinne dieser Richtlinie der Ausdruck

b)

‚Verkehrsdaten‘ Daten, die zum Zwecke der Weiterleitung einer Nachricht an ein elektronisches Kommunikationsnetz oder zum Zwecke der Fakturierung dieses Vorgangs verarbeitet werden;

c)

‚Standortdaten‘ Daten, die in einem elektronischen Kommunikationsnetz verarbeitet werden und die den geografischen Standort des Endgeräts eines Nutzers eines öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienstes angeben“.

4

Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 lautet:

„Die Mitgliedstaaten können Rechtsvorschriften erlassen, die die Rechte und Pflichten gemäß Artikel 5, Artikel 6, Artikel 8 Absätze 1, 2, 3 und 4 sowie Artikel 9 dieser Richtlinie beschränken, sofern eine solche Beschränkung gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Richtlinie [95/46] für die nationale Sicherheit (d. h. die Sicherheit des Staates), die Landesverteidigung, die öffentliche Sicherheit sowie die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig ist. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten unter anderem durch Rechtsvorschriften vorsehen, dass Daten aus den in diesem Absatz aufgeführten Gründen während einer begrenzten Zeit aufbewahrt werden. Alle in diesem Absatz genannten Maßnahmen müssen den allgemeinen Grundsätzen des [Union]srechts einschließlich de[r] in Artikel 6 Absätze 1 und 2 des [EU‑]Vertrags niedergelegten Grundsätzen entsprechen.“

Richtlinie 2014/41

5

In den Erwägungsgründen 5 bis 8, 10, 11, 19, 30 und 32 der Richtlinie 2014/41 heißt es:

„(5)

Seit Annahme [des Rahmenbeschlusses 2003/577/JI des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union (ABl. 2003, L 196, S. 45) und des Rahmenbeschlusses 2008/978/JI des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen (ABl. 2008, L 350, S. 72)] ist deutlich geworden, dass der bestehende Rahmen für die Erhebung von Beweismitteln zu fragmentiert und zu kompliziert ist. Daher ist ein neuer Ansatz erforderlich.

(6)

In dem vom Europäischen Rat vom 10./11. Dezember 2009 angenommenen Stockholmer Programm hat der Europäische Rat die Auffassung vertreten, dass die Einrichtung eines umfassenden Systems für die Beweiserhebung in Fällen mit grenzüberschreitenden Bezügen, das auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung basiert, weiter verfolgt werden sollte. Dem Europäischen Rat zufolge stellten die bestehenden Rechtsinstrumente auf diesem Gebiet eine lückenhafte Regelung dar und bedurfte es eines neuen Ansatzes, der auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruht, aber auch der Flexibilität des traditionellen Systems der Rechtshilfe Rechnung trägt. Der Europäische Rat hat daher ein umfassendes System gefordert, das sämtliche bestehenden Instrumente in diesem Bereich ersetzen soll, unter anderem auch den Rahmenbeschluss [2008/978], und das so weit wie möglich alle Arten von Beweismitteln erfasst, Vollstreckungsfristen enthält und das die Versagungsgründe so weit wie möglich beschränkt.

(7)

Diesem neuen Ansatz liegt ein einheitliches Instrument zugrunde, das als Europäische Ermittlungsanordnung (im Folgenden ‚EEA‘) bezeichnet wird. Die EEA sollte zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahmen im Staat, in dem die EEA vollstreckt wird (im Folgenden ‚Vollstreckungsstaat‘) im Hinblick auf die Erhebung von Beweismitteln erlassen werden. Dies schließt auch die Erlangung von Beweismitteln ein, die sich bereits im Besitz der Vollstreckungsbehörde befinden.

(8)

Die EEA sollte übergreifenden Charakter haben und sollte daher für alle Ermittlungsmaßnahmen gelten, die der Beweiserhebung dienen. Allerdings erfordern die Bildung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe und die Beweiserhebung im Rahmen einer solchen Gruppe spezifische Vorschriften, die besser getrennt geregelt werden. Unbeschadet der Anwendung dieser Richtlinie sollten die bestehenden Instrumente daher weiterhin auf diese Arten von Ermittlungsmaßnahmen Anwendung finden.

(10)

Die EEA sollte sich auf die durchzuführende Ermittlungsmaßnahme konzentrieren. Die Anordnungsbehörde ist aufgrund ihrer Kenntnis der Einzelheiten der betreffenden Ermittlung am besten in der Lage zu entscheiden, welche Ermittlungsmaßnahme anzuwenden ist. …

(11)

Von der EEA sollte Gebrauch gemacht werden, wenn die Vollstreckung einer Ermittlungsmaßnahme in dem betreffenden Fall verhältnismäßig, angemessen und durchführbar erscheint. Daher sollte sich die Anordnungsbehörde vergewissern, ob das erbetene Beweismittel für den Zweck des Verfahrens notwendig ist und in angemessenem Verhältnis zu diesem Zweck steht, ob die gewählte Ermittlungsmaßnahme für die Erhebung des betreffenden Beweismittels notwendig ist und in angemessenem Verhältnis dazu steht und ob durch den Erlass einer EEA ein anderer Mitgliedstaat an der Erhebung dieses Beweismittels beteiligt werden sollte. Dieselbe Beurteilung sollte im Rahmen des Validierungsverfahrens durchgeführt werden, wenn diese Richtlinie die Validierung einer EEA vorschreibt. Die Vollstreckung einer EEA sollte nur aus den in dieser Richtlinie aufgeführten Gründen versagt werden. Jedoch sollte sich die Vollstreckungsbehörde auch für eine Ermittlungsmaßnahme entscheiden können, die weniger eingreifend ist als die in der EEA angegebene Maßnahme, wenn sich damit vergleichbare Ergebnisse erzielen lassen.

(19)

Die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts innerhalb der [Europäischen] Union beruht auf dem gegenseitigen Vertrauen sowie auf der Vermutung, dass andere Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die Grundrechte einhalten. Diese Vermutung ist jedoch widerlegbar. Wenn berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass die Vollstreckung einer in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahme einen Verstoß gegen ein Grundrecht der betreffenden Person zur Folge hätte und der Vollstreckungsstaat seine Verpflichtungen zum Schutz der in der Charta [der Grundrechte der Europäischen Union] anerkannten Grundrechte nicht achten würde, so sollte die Vollstreckung der EEA verweigert werden.

(30)

Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Rahmen dieser Richtlinie über die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs sollten nicht auf den Inhalt des Telekommunikationsverkehrs beschränkt sein, sondern könnten sich auch auf die Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit diesem Telekommunikationsverkehr erstrecken und es den zuständigen Behörden erlauben, eine EEA zu erlassen, um Telekommunikationsdaten zu erlangen, die mit einem geringeren Eingriff in die Privatsphäre verbunden sind. Eine EEA, die erlassen wurde, um historische Verkehrs- und Standortdaten zum Telekommunikationsverkehr zu erlangen, sollte im Rahmen der allgemeinen Regelung zur Vollstreckung einer EEA behandelt werden und kann gemäß dem nationalen Recht des Vollstreckungsstaats als invasive Ermittlungsmaßnahme betrachtet werden.

(32)

In einer EEA, mit der um die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs ersucht wird, sollte die Anordnungsbehörde der Vollstreckungsbehörde ausreichende Informationen wie Angaben zu der strafbaren Handlung, die Gegenstand der Ermittlungen ist, übermitteln, damit die Vollstreckungsbehörde beurteilen kann, ob die Maßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall genehmigt würde.“

6

Art. 1 („Die Europäische Ermittlungsanordnung und die Verpflichtung zu ihrer Vollstreckung“) der Richtlinie 2014/41 bestimmt:

„(1)   Eine Europäische Ermittlungsanordnung (im Folgenden ‚EEA‘) ist eine gerichtliche Entscheidung, die von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats (‚Anordnungsstaat‘) zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahme(n) in einem anderen Mitgliedstaat (‚Vollstreckungsstaat‘) zur Erlangung von Beweisen gemäß dieser Richtlinie erlassen oder validiert wird.

Die Europäische Ermittlungsanordnung kann auch in Bezug auf die Erlangung von Beweismitteln, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden, erlassen werden.

(2)   Die Mitgliedstaaten vollstrecken jede EEA nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß dieser Richtlinie.

(3)   Der Erlass einer EEA kann von einer verdächtigen oder beschuldigten Person oder in deren Namen von einem Rechtsanwalt im Rahmen der geltenden Verteidigungsrechte im Einklang mit dem nationalen Strafverfahrensrecht beantragt werden.

(4)   Diese Richtlinie berührt nicht die Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte und der Rechtsgrundsätze, die in Artikel 6 [EU] verankert sind, einschließlich der Verteidigungsrechte von Personen, gegen die ein Strafverfahren geführt wird; die Verpflichtungen der Justizbehörden in dieser Hinsicht bleiben unberührt.“

7

In Art. 2 Buchst. c der Richtlinie heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

c)

‚Anordnungsbehörde‘

i)

einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt, der/das in dem betreffenden Fall zuständig ist, oder

ii)

jede andere vom Anordnungsstaat bezeichnete zuständige Behörde, die in dem betreffenden Fall in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist. Zudem wird die EEA vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde von einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt im Anordnungsstaat validiert, nachdem dieser bzw. dieses überprüft hat, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer EEA nach dieser Richtlinie, insbesondere die Voraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1, eingehalten sind. Ist die EEA von einer Justizbehörde validiert worden, so kann auch diese Behörde als Anordnungsbehörde für die Zwecke der Übermittlung einer EEA betrachtet werden“.

8

Art. 6 („Bedingungen für den Erlass und die Übermittlung einer EEA“) der Richtlinie lautet:

„(1)   Die Anordnungsbehörde darf nur dann eine EEA erlassen, wenn die die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)

Der Erlass der EEA ist für die Zwecke der Verfahren nach Artikel 4 unter Berücksichtigung der Rechte der verdächtigen oder beschuldigten Person notwendig und verhältnismäßig und

b)

die in der EEA angegebene(n) Ermittlungsmaßnahme(n) hätte(n) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen angeordnet werden können.

(2)   Die in Absatz 1 genannten Bedingungen werden von der Anordnungsbehörde in jedem einzelnen Fall geprüft.

(3)   Hat eine Vollstreckungsbehörde Grund zu der Annahme, dass die in Absatz 1 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, so kann sie die Anordnungsbehörde zu der Frage konsultieren, wie wichtig die Durchführung der EEA ist. Nach dieser Konsultation kann die Anordnungsbehörde entscheiden, die EEA zurückzuziehen.“

9

Art. 9 („Anerkennung und Vollstreckung“) der Richtlinie 2014/41 Abs. 1 bis 3 bestimmt:

„(1)   Die Vollstreckungsbehörde erkennt eine nach dieser Richtlinie übermittelte EEA ohne jede weitere Formalität an und gewährleistet deren Vollstreckung in derselben Weise und unter denselben Modalitäten, als wäre die betreffende Ermittlungsmaßnahme von einer Behörde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden, es sei denn, die Vollstreckungsbehörde beschließt, einen der Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung oder einen der Gründe für den Aufschub der Vollstreckung nach dieser Richtlinie geltend zu machen.

(2)   Die Vollstreckungsbehörde hält die von der Anordnungsbehörde ausdrücklich angegebenen Formvorschriften und Verfahren ein, soweit in dieser Richtlinie nichts anderes bestimmt ist und sofern die angegebenen Formvorschriften und Verfahren nicht im Widerspruch zu den wesentlichen Rechtsgrundsätzen des Vollstreckungsstaats stehen.

(3)   Erhält eine Vollstreckungsbehörde eine EEA, die nicht von einer Anordnungsbehörde im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c erlassen worden ist, so gibt sie die EEA an den Anordnungsstaat zurück.“

10

In Art. 11 der Richtlinie sind die Gründe aufgezählt, aus denen die Anerkennung oder Vollstreckung einer EEA im Vollstreckungsstaat versagt werden kann.

11

Kapitel IV („Besondere Bestimmungen für bestimmte Ermittlungsmaßnahmen“) der Richtlinie enthält die Art. 22 bis 29.

12

Art. 26 („Informationen über Bank- und sonstige Finanzkonten“) Abs. 5 der Richtlinie lautet:

„Die Anordnungsbehörde gibt in der EEA die Gründe an, weshalb die erbetenen Auskünfte für das betreffende Strafverfahren wahrscheinlich von wesentlichem Wert sind und weshalb sie annimmt, dass die Konten von Banken im Vollstreckungsstaat geführt werden, und – soweit dies möglich ist – welche Banken möglicherweise betroffen sind. Sie teilt in der EEA ferner die verfügbaren Informationen mit, die die Vollstreckung der EEA erleichtern können.“

13

Art. 27 („Informationen über Bank- und sonstige Finanzgeschäfte“) Abs. 4 der Richtlinie 2014/41 sieht vor:

„Die Anordnungsbehörde gibt in der EEA die Gründe dafür an, weshalb sie die erbetenen Auskünfte für das betreffende Strafverfahren für relevant erachtet.“

14

Art. 28 („Ermittlungsmaßnahmen zur Erhebung von Beweismitteln in Echtzeit, fortlaufend oder über einen bestimmten Zeitraum“) Abs. 3 der Richtlinie bestimmt:

„Die Anordnungsbehörde gibt in der EEA die Gründe dafür an, weshalb sie die erbetenen Auskünfte für das betreffende Strafverfahren für relevant erachtet.“

15

Die EEA ist in dem Formblatt in Anhang A der Richtlinie wiedergegeben. Der Kopf dieses Formulars lautet:

„Diese EEA wurde von einer zuständigen Behörde angeordnet. Die Anordnungsbehörde bescheinigt, dass der Erlass dieser EEA für die Zwecke des darin angegebenen Verfahrens unter Berücksichtigung der Rechte der verdächtigen oder beschuldigten Person notwendig und angemessen ist, und die Ermittlungsmaßnahmen, um die ersucht wird, unter den gleichen Bedingungen in einem ähnlichen innerstaatlichen Fall hätten angeordnet werden können. Ich ersuche um Durchführung der nachstehend angegebenen Ermittlungsmaßnahme(n) unter gebührender Berücksichtigung der Vertraulichkeit der Ermittlung und um Übermittlung der aufgrund der Vollstreckung der EEA erlangten Beweismittel.“

Bulgarisches Recht

16

Die Richtlinie 2014/41 wurde durch den Zakon za evropeyskata zapoved za razsledvane (Gesetz über die Europäische Ermittlungsanordnung) (DV Nr. 16 vom 20. Februar 2018) in bulgarisches Recht umgesetzt. Nach Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 dieses Gesetzes (im Folgenden: ZEZR) ist die Behörde, die in Bulgarien in der vorgerichtlichen Phase des Strafverfahrens für den Erlass einer EEA zuständig ist, der Staatsanwalt.

17

Art. 159a („Übermittlung von Daten durch Unternehmen, die öffentliche elektronische Kommunikationsnetze und/oder ‑dienste bereitstellen“) des Nakazatelno-protsesualen kodeks (Strafprozessordnung) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1)   Auf Verlangen des Gerichts im gerichtlichen Verfahren oder aufgrund begründeter Anordnung eines Richters des erstinstanzlichen Gerichts, die im vorgerichtlichen Verfahren auf Antrag des mit der Überwachung beauftragten Staatsanwalts erlassen wurde, übermitteln Unternehmen, die öffentliche elektronische Kommunikationsnetze und/oder ‑dienste bereitstellen, die im Rahmen ihrer Tätigkeit angefallenen Daten, die notwendig sind zur:

1.

Verfolgung und Identifizierung der Verbindungsquelle;

2.

Identifizierung der Verbindungsrichtung;

3.

Identifizierung von Datum, Uhrzeit und Verbindungsdauer;

4.

Identifizierung der Verbindungsart;

5.

Identifizierung des elektronischen Endkommunikationsgeräts des Nutzers oder dessen, was als solches angegeben wird;

6.

Feststellung der Kennung der verwendeten Zellen.

(2)   Die Daten gemäß Abs. 1 werden erhoben, wenn dies zur Ermittlung von schweren vorsätzlichen Straftaten erforderlich ist.

(3)   Der Antrag des mit der Überwachung beauftragten Staatsanwalts gemäß Abs. 1 ist zu begründen und muss Folgendes enthalten:

1.

Angaben über die Straftat, für deren Ermittlung die Verwendung von Verkehrsdaten erforderlich ist;

2.

Beschreibung der Umstände, auf die der Antrag gestützt ist;

3.

Angaben über die Personen, in Bezug auf die Verkehrsdaten verlangt werden;

4.

den Zeitraum, den die Auskunft umfassen soll;

5.

die Ermittlungsbehörde, an die die Daten zu übermitteln sind.

(4)   In der Anordnung nach Abs. 1 bezeichnet das Gericht:

1.

die Daten, über die Auskunft zu erteilen ist;

2.

den Zeitraum, den die Auskunft umfassen soll;

3.

die Ermittlungsbehörde, an die die Daten zu übermitteln sind.

(5)   Der Zeitraum, für den Auskunft verlangt und die Übermittlung der Daten nach Abs. 1 angeordnet wird, darf sechs Monate nicht überschreiten.

(6)   Enthält der Bericht Informationen, die nicht mit den Umständen des Falls in Zusammenhang stehen und nicht zu deren Klärung beitragen, ordnet der Richter, der die Ermittlungsanordnung erlassen hat, auf einen mit Gründen versehenen schriftlichen Vorschlag des mit der Überwachung beauftragten Staatsanwalts ihre Vernichtung an. Die Vernichtung wird nach einem vom leitenden Staatsanwalt festgelegten Verfahren vorgenommen. Innerhalb von sieben Tagen nach Zugang der Anordnung müssen die in Abs. 1 genannten Unternehmen und der mit der Überwachung beauftragte Staatsanwalt die Berichte über die Datenvernichtung an den Richter, der die Anordnung erlassen hat, übermitteln.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

18

Am 23. Februar 2018 wurde ein Strafverfahren wegen des Verdachts eingeleitet, dass innerhalb und außerhalb des bulgarischen Hoheitsgebiets finanzielle Mittel angesammelt und zur Verfügung gestellt wurden, die zur Begehung von Terrorakten genutzt werden sollen. Im Lauf der im Rahmen dieses Verfahrens durchgeführten Ermittlungen wurden Beweise über die Tätigkeit von HP gesammelt.

19

Am 15. August 2018 erließ die bulgarische Staatsanwaltschaft auf der Grundlage von Art. 159a Abs. 1 der Strafprozessordnung vier EEA zur Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr (im Folgenden: vier EEA). Diese EEA, in denen ausgeführt war, dass sie von einem Staatsanwalt der spezialisierten Staatsanwaltschaft erlassen worden waren, waren an belgische, deutsche, österreichische und schwedische Behörden gerichtet. In allen war angegeben, dass HP verdächtigt werde, terroristische Handlungen zu finanzieren, und dass er im Rahmen dieser Tätigkeit Telefongespräche mit Personen geführt habe, die sich im Königreich Belgien, in der Bundesrepublik Deutschland, in der Republik Österreich und im Königreich Schweden aufhielten.

20

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass in den Antworten der Behörden dieser Mitgliedstaaten auf die vier EEA Informationen über die Telefonate aufgeführt gewesen seien, die mit dem Telefon von HP geführt worden seien, und dass diese Informationen von gewisser Bedeutung für die Beurteilung seien, ob HP eine Straftat begangen hat.

21

Die zuständigen deutschen, österreichischen und schwedischen Behörden übermittelten keine Entscheidung über die Anerkennung der EEA. Ein belgischer Ermittlungsrichter hingegen übermittelte eine Entscheidung über die Anerkennung der an die belgischen Behörden gerichteten EEA.

22

Am 18. Januar 2019 wurde gegen HP und fünf weitere Personen auf der Grundlage der gesammelten Beweise, einschließlich derjenigen, die aus den Antworten der Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten auf die vier EEA stammten, Anklage erhoben wegen unerlaubter Finanzierung terroristischer Handlungen sowie Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zur Finanzierung derartiger Handlungen. Die Anklageschrift in Bezug auf HP wurde dem vorlegenden Gericht am 12. September 2019 vorgelegt.

23

Um beurteilen zu können, ob diese Anklage begründet ist, fragt sich das vorlegende Gericht, ob es rechtmäßig sei, mittels der vier EEA die Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr zu verlangen, und ob es folglich die mittels dieser EEA gesammelten Beweise im Hinblick auf die Feststellung der HP mit der Anklage vorgeworfenen Straftat verwenden dürfe.

24

Erstens stellt das vorlegende Gericht fest, dass Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 für die Bestimmung der zuständigen Anordnungsbehörde auf das nationale Recht verweise. Diese sei nach bulgarischem Recht gemäß Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 ZEZR der Staatsanwalt. In einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall sei die Behörde, die für die Anordnung der Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr zuständig sei, jedoch ein Richter des für die betreffende Rechtssache zuständigen erstinstanzlichen Gerichts, und der Staatsanwalt sei in einem solchen Fall nur befugt, bei diesem Richter einen mit Gründen versehenen Antrag zu stellen. Daher fragt sich das vorlegende Gericht, ob sich die Zuständigkeit für den Erlass einer EEA insbesondere in Anbetracht des Äquivalenzgrundsatzes nach dem nationalen Rechtsakt zur Umsetzung der Richtlinie 2014/41 richten könne oder ob Art. 2 Buchst. c der Richtlinie diese Zuständigkeit der Behörde zuweise, die für die Anordnung der Erhebung solcher Daten in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zuständig ist.

25

Zweitens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Anerkennungsentscheidung, die die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats auf der Grundlage der Richtlinie 2014/41 erlasse und die erforderlich sei, um einen Telekommunikationsbetreiber dieses Mitgliedstaats zur Weitergabe von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr zu verpflichten, wirksam die Entscheidung ersetzen könne, die der Richter des Anordnungsstaats hätte erlassen müssen, um die Grundsätze der Rechtmäßigkeit und der Unverletzlichkeit des Privatlebens zu gewährleisten. Insbesondere fragt es sich, ob eine solche Lösung u. a. mit den Art. 6 und Art. 9 Abs. 1 und 3 der Richtlinie vereinbar wäre.

26

Unter diesen Umständen hat der Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Ist mit Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 sowie mit dem Äquivalenzgrundsatz eine nationale Rechtsvorschrift (Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 ZEZR) vereinbar, wonach in der vorgerichtlichen Phase des Strafverfahrens der Staatsanwalt die für den Erlass einer EEA betreffend die Übermittlung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr zuständige Behörde ist, während in gleich gelagerten innerstaatlichen Fällen der Richter die hierfür zuständige Behörde ist?

2.

Ersetzt die Anerkennung einer solchen EEA durch die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats (Staatsanwalt oder Ermittlungsrichter) die richterliche Anordnung, die nach dem nationalen Recht des Anordnungsstaats erforderlich ist?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

27

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein Staatsanwalt in der vorgerichtlichen Phase des Strafverfahrens für den Erlass einer EEA im Sinne dieser Richtlinie zur Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr zuständig ist, wenn in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall der Erlass einer Ermittlungsmaßnahme, mit der der Zugang zu solchen Daten erlangt werden soll, in die ausschließliche Zuständigkeit des Richters fällt.

28

Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 definiert den Begriff „Anordnungsbehörde“ im Sinne dieser Richtlinie. In dieser Bestimmung heißt es, dass eine solche Behörde nach Buchst. i entweder „[ein] Richter, ein Gericht, [ein] Ermittlungsrichter oder [ein] Staatsanwalt, der/das in dem betreffenden Fall zuständig ist“, oder nach Ziff. ii „jede andere vom Anordnungsstaat bezeichnete zuständige Behörde, die in dem betreffenden Fall in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist“, sein kann.

29

Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich somit, dass die Anordnungsbehörde in allen von dieser Bestimmung erfassten Konstellationen in dem betreffenden Fall zuständig sein muss, sei es als Richter, Gericht, Ermittlungsrichter oder Staatsanwalt oder, wenn sie keine Justizbehörde ist, als Ermittlungsbehörde.

30

Dagegen lässt sich allein anhand des Wortlauts dieser Bestimmung nicht feststellen, ob die Wendung „der/das in dem betreffenden Fall zuständig ist“ das gleiche bedeutet wie „nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist“ und ob folglich ein Staatsanwalt für den Erlass einer EEA zur Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr zuständig sein kann, wenn in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall der Erlass einer Ermittlungsmaßnahme, mit der der Zugang zu solchen Daten erlangt werden soll, in die ausschließliche Zuständigkeit des Richters fällt.

31

Folglich ist Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 unter Berücksichtigung seines Kontexts sowie der Ziele dieser Richtlinie auszulegen.

32

Zum Kontext, in den sich diese Bestimmung einfügt, ist erstens festzustellen, dass die Anordnungsbehörde nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie in Verbindung mit dem elften Erwägungsgrund und dem Anhang A der Richtlinie verpflichtet ist, zu prüfen, ob die Ermittlungsmaßnahme, die Gegenstand der EEA ist, im Hinblick auf die Zwecke des Verfahrens, in dessen Rahmen die EEA ergangen ist, und unter Berücksichtigung der Rechte der verdächtigen oder beschuldigten Person notwendig und verhältnismäßig ist.

33

Des Weiteren muss die Anordnungsbehörde bei spezifischen Ermittlungsmaßnahmen bestimmte zusätzliche Begründungen liefern. So schreibt Art. 26 Abs. 5 der Richtlinie in Bezug auf Informationen über Bank- und sonstige Finanzkonten vor, dass die Anordnungsbehörde in der EEA die Gründe angibt, weshalb die erbetenen Auskünfte für das betreffende Strafverfahren wahrscheinlich von wesentlichem Wert sind. Art. 27 Abs. 4 und Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie in Bezug auf Informationen über Bank- und sonstige Finanzgeschäfte bzw. in Bezug auf Ermittlungsmaßnahmen zur Erhebung von Beweismitteln in Echtzeit, fortlaufend oder über einen bestimmten Zeitraum, bestimmen ebenfalls, dass die Anordnungsbehörde die Gründe dafür angibt, weshalb sie die erbetenen Auskünfte für das betreffende Strafverfahren für relevant erachtet.

34

Es zeigt sich jedoch, dass die Anordnungsbehörde, sowohl um zu prüfen, ob eine Ermittlungsmaßnahme notwendig und verhältnismäßig ist, als auch um die in der vorstehenden Randnummer genannten zusätzlichen Begründungen zu liefern, die Behörde sein muss, die für die im Rahmen des betreffenden Strafverfahrens durchgeführte Ermittlung und damit nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist.

35

Zweitens geht aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/41 hervor, dass die Anordnungsbehörde nur unter der Bedingung eine EEA erlassen darf, dass die in der EEA angegebene(n) Ermittlungsmaßnahme(n) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen hätte(n) angeordnet werden können. Folglich kann nur eine Behörde, die nach dem nationalen Recht des Anordnungsstaats für die Anordnung einer solchen Ermittlungsmaßnahme zuständig ist, für den Erlass einer EEA zuständig sein.

36

Was die Ziele der Richtlinie 2014/41 angeht, soll diese Richtlinie, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 5 bis 8 ergibt, den fragmentierten und komplizierten Rahmen für die Erhebung von Beweismitteln in Strafverfahren mit grenzüberschreitenden Bezügen ersetzen und durch die Einführung eines vereinfachten und wirksameren Systems, das auf einem einheitlichen Instrument beruht, das als EEA bezeichnet wird, die justizielle Zusammenarbeit erleichtern und beschleunigen, um zur Verwirklichung des der Union gesteckten Ziels, zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu werden, beizutragen, wobei sie ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten voraussetzt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Dezember 2020, Staatsanwaltschaft Wien [Gefälschte Überweisungsaufträge], C‑584/19, EU:C:2020:1002, Rn. 39).

37

Vor diesem Hintergrund wird im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie die Anordnungsbehörde als diejenige genannt, die aufgrund ihrer Kenntnis der Einzelheiten der betreffenden Ermittlung am besten in der Lage ist, zu entscheiden, welche Ermittlungsmaßnahme anzuwenden ist.

38

Daher führt auch die Prüfung von Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 im Licht der Erwägungsgründe 5 bis 8 und 10 der Richtlinie dazu, die Anordnungsbehörde als diejenige zu identifizieren, die für die im Rahmen des betreffenden Strafverfahrens durchgeführte Ermittlung und damit nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist. Im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen würde nämlich eine etwaige Unterscheidung zwischen der Anordnungsbehörde, die die EEA erlässt, und der Behörde, die im Rahmen dieses Strafverfahrens für die Anordnung von Ermittlungsmaßnahmen zuständig ist, die Gefahr mit sich bringen, das System der Zusammenarbeit zu verkomplizieren und dadurch die Schaffung eines vereinfachten und wirksamen Systems zu gefährden.

39

Daraus folgt, dass der Staatsanwalt, wenn er nach nationalem Recht für die Anordnung einer Ermittlungsmaßnahme zur Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr nicht zuständig ist, nicht als Anordnungsbehörde im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41, die für den Erlass einer EEA zur Erhebung dieser Daten zuständig ist, anzusehen ist.

40

Vorliegend ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass nach bulgarischem Recht der Staatsanwalt zwar die Behörde ist, die für den Erlass einer EEA im Rahmen eines Strafverfahrens zuständig ist, er jedoch nicht dafür zuständig ist, die Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall anzuordnen. Das vorlegende Gericht weist nämlich darauf hin, dass nach bulgarischem Recht die Behörde, die dafür zuständig sei, die Erhebung solcher Daten anzuordnen, ein Richter des für die betreffende Rechtssache zuständigen erstinstanzlichen Gerichts sei, und dass der Staatsanwalt nur befugt sei, bei diesem Richter einen mit Gründen versehenen Antrag zu stellen.

41

In einer solchen Situation ist der Staatsanwalt daher nicht für den Erlass einer EEA zur Erhebung solcher Daten zuständig.

42

Darüber hinaus ist, um dem vorlegenden Gericht eine vollständige Antwort zu geben, hinzuzufügen, dass der Gerichtshof im Urteil vom 2. März 2021, Prokuratuur (Voraussetzungen für den Zugang zu Daten über die elektronische Kommunikation) (C‑746/18, EU:C:2021:152, Rn. 59), entschieden hat, dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach die Staatsanwaltschaft, deren Aufgabe darin besteht, das strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu leiten und gegebenenfalls in einem späteren Verfahren die öffentliche Klage zu vertreten, dafür zuständig ist, einer Behörde für strafrechtliche Ermittlungen Zugang zu Verkehrs- und Standortdaten zu gewähren.

43

Wie der Generalanwalt in Nr. 40 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, folgt daraus, dass ein Staatsanwalt keine EEA zur Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr erlassen kann, wenn er nicht nur das strafrechtliche Ermittlungsverfahren leitet, sondern auch in einem späteren Strafverfahren die öffentliche Klage vertritt.

44

Wäre dies nämlich der Fall, wäre die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/41 genannte Bedingung nicht erfüllt, wonach die Anordnungsbehörde eine EEA nur erlassen darf, wenn die in ihr angegebene(n) Ermittlungsmaßnahme(n) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen hätte(n) angeordnet werden können.

45

Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein Staatsanwalt in der vorgerichtlichen Phase eines Strafverfahrens für den Erlass einer EEA im Sinne dieser Richtlinie zur Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr zuständig ist, wenn in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall der Erlass einer Ermittlungsmaßnahme, mit der der Zugang zu solchen Daten erlangt werden soll, in die ausschließliche Zuständigkeit des Richters fällt.

Zur zweiten Frage

46

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 und Art. 9 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2014/41 dahin auszulegen sind, dass die Anerkennung einer EEA, die zur Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr erlassen wurde, durch die Vollstreckungsbehörde die im Anordnungsstaat geltenden Anforderungen ersetzen kann, wenn die EEA unrechtmäßigerweise von einem Staatsanwalt erlassen wurde, obwohl in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall der Erlass einer Ermittlungsmaßnahme zur Erhebung solcher Daten in die ausschließliche Zuständigkeit des Richters fällt.

47

Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie die Bedingungen für den Erlass und die Übermittlung einer EEA festlegt. Gemäß Abs. 3 dieses Artikels kann eine Vollstreckungsbehörde, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass die in Abs. 1 des Artikels genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, die Anordnungsbehörde zu der Frage konsultieren, wie wichtig die Durchführung der EEA ist. Nach dieser Konsultation kann die Anordnungsbehörde entscheiden, die EEA zurückzuziehen.

48

Zum anderen erkennt gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 die Vollstreckungsbehörde eine nach der Richtlinie übermittelte EEA ohne jede weitere Formalität an und gewährleistet deren Vollstreckung in derselben Weise und unter denselben Modalitäten, als wäre die betreffende Ermittlungsmaßnahme von einer Behörde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden, es sei denn, die Vollstreckungsbehörde beschließt, einen der Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung oder einen der Gründe für den Aufschub der Vollstreckung nach der Richtlinie geltend zu machen.

49

Die Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung sind in Art. 11 der Richtlinie abschließend aufgeführt.

50

Aus einer Zusammenschau dieser Bestimmungen ergibt sich somit, dass die Vollstreckungsbehörde einen etwaigen Verstoß gegen die in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 festgelegten Voraussetzungen nicht heilen kann.

51

Diese Auslegung wird durch die mit der Richtlinie 2014/41 verfolgten Ziele gestützt. Insbesondere aus den Erwägungsgründen 2, 6 und 19 der Richtlinie geht nämlich hervor, dass die EEA ein Instrument der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Sinne von Art. 82 Abs. 1 AEUV ist, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen beruht. Dieser Grundsatz, der den „Eckstein“ der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bildet, beruht seinerseits auf dem gegenseitigen Vertrauen sowie auf der widerlegbaren Vermutung, dass andere Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die Grundrechte einhalten (Urteil vom 8. Dezember 2020, Staatsanwaltschaft Wien [Gefälschte Überweisungsaufträge], C‑584/19, EU:C:2020:1002, Rn. 40).

52

Unter diesem Blickwinkel stellt der elfte Erwägungsgrund der Richtlinie klar, dass die Vollstreckung einer EEA nur aus den in der Richtlinie aufgeführten Gründen versagt werden sollte und dass sich die Vollstreckungsbehörde auch schlicht für eine Ermittlungsmaßnahme entscheiden können sollte, die weniger eingreifend ist als die in der EEA angegebene Maßnahme, wenn sich damit vergleichbare Ergebnisse erzielen lassen.

53

Diese Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Anordnungs- und der Vollstreckungsbehörde ist damit wesentlicher Bestandteil des gegenseitigen Vertrauens, das im Austausch zwischen den Mitgliedstaaten herrschen muss, die an einem in der Richtlinie 2014/41 vorgesehenen europäischen Ermittlungsverfahren beteiligt sind. Könnte die Vollstreckungsbehörde mittels einer Anerkennungsentscheidung die Nichteinhaltung der in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie genannten Voraussetzungen für den Erlass einer EEA heilen, würde das Gleichgewicht des Systems der EEA, das auf gegenseitigem Vertrauen beruht, in Frage gestellt, da dies darauf hinauslaufen würde, der Vollstreckungsbehörde eine Befugnis zur Kontrolle der materiellen Voraussetzungen für den Erlass einer solchen Entscheidung zuzuerkennen.

54

Vielmehr gibt die Vollstreckungsbehörde gemäß Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie die EEA an den Anordnungsstaat zurück, wenn sie eine EEA erhält, die nicht von einer Anordnungsbehörde im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie erlassen worden ist.

55

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 6 und Art. 9 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2014/41 dahin auszulegen sind, dass die Anerkennung einer EEA, die zur Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr erlassen wurde, durch die Vollstreckungsbehörde die im Anordnungsstaat geltenden Anforderungen nicht ersetzen kann, wenn die EEA unrechtmäßigerweise von einem Staatsanwalt erlassen wurde, obwohl in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall der Erlass einer Ermittlungsmaßnahme zur Erhebung solcher Daten in die ausschließliche Zuständigkeit des Richters fällt.

Kosten

56

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein Staatsanwalt in der vorgerichtlichen Phase eines Strafverfahrens für den Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung im Sinne dieser Richtlinie zur Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr zuständig ist, wenn in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall der Erlass einer Ermittlungsmaßnahme, mit der der Zugang zu solchen Daten erlangt werden soll, in die ausschließliche Zuständigkeit des Richters fällt.

 

2.

Art. 6 und Art. 9 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2014/41 sind dahin auszulegen, dass die Anerkennung einer Europäischen Ermittlungsanordnung, die zur Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr erlassen wurde, durch die Vollstreckungsbehörde die im Anordnungsstaat geltenden Anforderungen nicht ersetzen kann, wenn diese Ermittlungsanordnung unrechtmäßigerweise von einem Staatsanwalt erlassen wurde, obwohl in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall der Erlass einer Ermittlungsmaßnahme zur Erhebung solcher Daten in die ausschließliche Zuständigkeit des Richters fällt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Bulgarisch.