URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
26. April 2018 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen – Richtlinie 2010/24/EU – Art. 14 – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 47 – Möglichkeit für die ersuchte Behörde, die Amtshilfe bei der Beitreibung abzulehnen, weil die Entscheidung, auf der die Forderung beruht, nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde“
In der Rechtssache C‑34/17
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court (Hoher Gerichtshof, Irland) mit Entscheidung vom 16. Januar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Januar 2017, in dem Verfahren
Eamonn Donnellan
gegen
The Revenue Commissioners
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), des Richters A. Rosas, der Richterinnen C. Toader und A. Prechal sowie des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– |
von Herrn Donnellan, vertreten durch L. Glennon und E. Silke, Solicitors, P. McGarry, SC, und R. Maguire, Barrister, |
– |
der Revenue Commissioners, vertreten durch M.‑C. Maney, Solicitor, N. Travers, SC, B. Ó Floinn, BL, und M. Corry, advocate, |
– |
der hellenischen Regierung, vertreten durch E. Tsaousi, M. Tassopoulou und K. Georgiadis als Bevollmächtigte, |
– |
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin, H. Krämer und F. Tomat als Bevollmächtigte, |
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. März 2018
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 14 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom 16. März 2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen (ABl. 2010, L 84, S. 1). |
2 |
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Eamonn Donnellan und den Revenue Commissioners (im Folgenden: Commissioners) über die Beitreibung einer Forderung, die zum einen aus einer Geldbuße besteht, die von einer hellenischen Zollbehörde gegen Herrn Donnellan verhängt wurde, und zum anderen aus Zinsen sowie Kosten oder Strafen im Zusammenhang mit dieser Geldbuße. |
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 2010/24
3 |
Die Richtlinie 2010/24 wurde auf der Grundlage der Art. 113 und 115 AEUV erlassen. In ihren Erwägungsgründen 1, 7, 17, 20 und 21 heißt es:
…
…
…
|
4 |
Gemäß ihrem Art. 1 („Gegenstand“) legt die Richtlinie „die Regeln fest, nach denen die Mitgliedstaaten einander Amtshilfe zu leisten haben, um in einem Mitgliedstaat die Beitreibung der in Artikel 2 bezeichneten Forderungen sicherzustellen, die in einem anderen Mitgliedstaat entstanden sind“. |
5 |
Art. 2 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie bestimmt: „(1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf Forderungen im Zusammenhang mit
… (2) Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie umfasst
…
…“ |
6 |
Art. 8 („Ersuchen um Zustellung bestimmter Dokumente im Zusammenhang mit Forderungen“) der Richtlinie bestimmt: „(1) Auf Ersuchen der ersuchenden Behörde stellt die ersuchte Behörde dem Empfänger alle mit einer Forderung gemäß Artikel 2 oder mit deren Beitreibung zusammenhängenden Dokumente, einschließlich der gerichtlichen, zu, die aus dem ersuchenden Mitgliedstaat stammen. …“ |
7 |
Art. 10 („Beitreibungsersuchen“) der Richtlinie sieht in Abs. 1 vor: „Auf Ersuchen der ersuchenden Behörde nimmt die ersuchte Behörde die Beitreibung von Forderungen vor, für die im ersuchenden Mitgliedstaat ein Vollstreckungstitel besteht.“ |
8 |
Art. 11 („Voraussetzungen für ein Beitreibungsersuchen“) der Richtlinie bestimmt in Abs. 1: „Ausgenommen in den Fällen, auf die Artikel 14 Absatz 4 Unterabsatz 3 Anwendung findet, kann die ersuchende Behörde kein Beitreibungsersuchen stellen, falls und solange die Forderung und/oder der Titel für ihre Vollstreckung im ersuchenden Mitgliedstaat angefochten werden.“ |
9 |
In Art. 12 („Vollstreckungstitel für die Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat und andere begleitende Dokumente“) der Richtlinie heißt es: „(1) Jedem Beitreibungsersuchen ist ein einheitlicher Vollstreckungstitel beizufügen, der zur Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat ermächtigt. Dieser einheitliche Vollstreckungstitel, dessen Inhalt im Wesentlichen dem des ursprünglichen Vollstreckungstitels entspricht, ist die alleinige Grundlage für die im ersuchten Mitgliedstaat zu ergreifenden Beitreibungs- und Sicherungsmaßnahmen. Er muss im ersuchten Mitgliedstaat weder durch einen besonderen Akt anerkannt, noch ergänzt oder ersetzt werden. Der einheitliche Vollstreckungstitel enthält mindestens die nachstehenden Angaben:
…“ |
10 |
Art. 13 („Erledigung eines Beitreibungsersuchens“) der Richtlinie sieht vor: „(1) Zum Zwecke der Beitreibung im ersuchten Mitgliedstaat wird jede Forderung, für die ein Beitreibungsersuchen vorliegt, wie eine Forderung des ersuchten Mitgliedstaats behandelt, sofern in dieser Richtlinie nichts anderes bestimmt ist. Die ersuchte Behörde übt die Befugnisse aus und wendet die Verfahren an, die in den in ihrem Mitgliedstaat geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften für Forderungen aus gleichen oder – in Ermangelung gleicher – aus vergleichbaren Steuern oder Abgaben vorgesehen sind, sofern in dieser Richtlinie nichts anderes bestimmt ist. … (3) Ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Beitreibungsersuchens berechnet die ersuchte Behörde Verzugszinsen gemäß den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des ersuchten Mitgliedstaats. …“ |
11 |
Art. 14 („Streitigkeiten“) der Richtlinie bestimmt: „(1) Streitigkeiten in Bezug auf die Forderung, auf den ursprünglichen Vollstreckungstitel für die Vollstreckung im ersuchenden Mitgliedstaat oder auf den einheitlichen Vollstreckungstitel für die Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat sowie Streitigkeiten in Bezug auf die Gültigkeit einer Zustellung durch eine zuständige Behörde des ersuchenden Mitgliedstaats fallen in die Zuständigkeit der einschlägigen Instanzen des ersuchenden Mitgliedstaats. Werden im Verlauf des Beitreibungsverfahrens die Forderung, der ursprüngliche Vollstreckungstitel oder der einheitliche Vollstreckungstitel von einer betroffenen Partei angefochten, so unterrichtet die ersuchte Behörde diese Partei darüber, dass sie den Rechtsbehelf bei der zuständigen Instanz des ersuchenden Mitgliedstaats nach dessen Recht einzulegen hat. (2) Bei Streitigkeiten in Bezug auf die im ersuchten Mitgliedstaat ergriffenen Vollstreckungsmaßnahmen oder in Bezug auf die Gültigkeit einer Zustellung durch eine zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats ist der Rechtsbehelf bei der zuständigen Instanz dieses Mitgliedstaats nach dessen Recht einzulegen. (3) Wurde ein Rechtsbehelf gemäß Absatz 1 bei der zuständigen Instanz des ersuchenden Mitgliedstaats eingelegt, so teilt die ersuchende Behörde dies der ersuchten Behörde mit und gibt an, in welchem Umfang die Forderung nicht angefochten wird. (4) Sobald die ersuchte Behörde die Mitteilung nach Absatz 3 entweder durch die ersuchende Behörde oder durch die betroffene Partei erhalten hat, setzt sie in Erwartung einer Entscheidung der zuständigen Instanz das Beitreibungsverfahren für den angefochtenen Teilbetrag der Forderung aus, es sei denn, die ersuchende Behörde wünscht im Einklang mit Unterabsatz 3 dieses Absatzes ein anderes Vorgehen. Auf Ersuchen der ersuchenden Behörde oder sofern von der ersuchten Behörde anderweitig für notwendig erachtet … kann die ersuchte Behörde Sicherungsmaßnahmen treffen, um die Beitreibung sicherzustellen, soweit die Rechts- und Verwaltungsvorschriften des ersuchten Mitgliedstaats dies zulassen. Die ersuchende Behörde kann nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften und der Verwaltungspraxis des ersuchenden Mitgliedstaats die ersuchte Behörde um Beitreibung einer angefochtenen Forderung oder des angefochtenen Teilbetrags einer Forderung bitten, sofern die geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften und die Verwaltungspraxis des ersuchten Mitgliedstaats dies zulassen. Ein solches Ersuchen ist zu begründen. Wird der Anfechtung später stattgegeben, haftet die ersuchende Behörde für die Erstattung bereits beigetriebener Beträge samt etwaig geschuldeter Entschädigungsleistungen gemäß den Rechtsvorschriften des ersuchten Mitgliedstaats. …“ |
12 |
Nach Art. 28 der Richtlinie mussten die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen, vor dem 31. Dezember 2011 erlassen und veröffentlichen und sie ab dem 1. Januar 2012 anwenden. |
13 |
Durch Art. 29 der Richtlinie 2010/24 wurde die Richtlinie 2008/55/EG des Rates vom 26. Mai 2008 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen (ABl. 2008, L 150, S. 28) mit Wirkung vom 1. Januar 2012 aufgehoben. |
14 |
Mit der Richtlinie 2008/55 waren die Richtlinie 76/308/EWG des Rates vom 15. März 1976 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen (ABl. 1976, L 73, S. 18) sowie ihre Änderungsrechtsakte kodifiziert worden. |
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1189/2011
15 |
Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1189/2011 der Kommission vom 18. November 2011 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Artikeln der Richtlinie 2010/24 (ABl. 2011, L 302, S. 16) sieht in Art. 15 Abs. 1 vor: „Ersuchen um Beitreibung oder Sicherungsmaßnahmen enthalten eine Erklärung, dass die Voraussetzungen der Richtlinie 2010/24/EU für die Einleitung des Amtshilfeverfahrens erfüllt sind.“ |
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
16 |
Herr Donnellan, ein irischer Staatsangehöriger, wurde im Jahr 2002 von der TLT International Ltd, einem Transportunternehmen irischen Rechts, als Lastkraftwagenfahrer eingestellt. |
17 |
Im Juli 2002 holte Herr Donnellan im Auftrag dieses Unternehmens bei einem in Griechenland ansässigen Händler 23 Paletten Olivenöl ab. Auf dem Lieferschein für diese Waren war als Empfänger ein Unternehmen angegeben, das in Irland Supermärkte betrieb. |
18 |
Herr Donnellan legte diesen Lieferschein am 26. Juli 2002 der Zollstelle des Hafens von Patras (Griechenland) vor. Bei einer Warenkontrolle fand ein Zollbediensteter außer dem Olivenöl 171800 Packungen geschmuggelte Zigaretten vor. Daraufhin wurde Herr Donnellan festgenommen und das Fahrzeug mitsamt Ladung beschlagnahmt. |
19 |
Am 29. Juli 2002 wurde Herr Donnellan in erster Instanz des Schmuggels und falscher Steuerangaben für schuldig befunden. Die Straftaten wurden mit Freiheitsstrafen von drei Jahren und von einem Jahr geahndet. Herr Donnellan wurde unverzüglich in Haft genommen. |
20 |
Am 17. Oktober 2002 wurde Herr Donnellan in der Rechtsmittelinstanz von beiden Anklagepunkten freigesprochen und unverzüglich aus der Haft entlassen. |
21 |
Am 27. April 2009 erließ die Zollstelle Patras einen Bescheid über die Verhängung einer Verwaltungsstrafe in Höhe von 1097505 Euro gegen Herrn Donnellan, da die im Juli 2002 beschlagnahmte Ladung 171800 Packungen geschmuggelte Zigaretten enthalten habe. |
22 |
Am 19. Juni 2009 schickte die griechische Botschaft in Irland ein Einschreiben an „Herrn Donnellan Eamonn Ballyhaunis, Irland“, in dem sie ihn aufforderte, unverzüglich mit ihren Dienststellen Kontakt aufzunehmen, um ihn betreffende wichtige Unterlagen entgegennehmen und unterzeichnen zu können. |
23 |
Mit Entscheidung vom 15. Juli 2009 verhängte die Zollstelle Patras im Nachgang zu dem Bescheid vom 27. April 2009 gegen Herrn Donnellan eine Geldbuße in Höhe von 1097505 Euro. Diese wurde am selben Tag im Amtsblatt der Hellenischen Republik veröffentlicht. |
24 |
Am 14. November 2012 übermittelten die hellenischen Behörden den Commissioners ein in englischer Sprache verfasstes Beitreibungsersuchen im Sinne von Art. 10 der Richtlinie 2010/24, das sich auf die Geldbuße von 1097505 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 384126,76 Euro und Kosten oder Strafen in Höhe von 26340,12 Euro bezog. |
25 |
Das Ersuchen enthielt u. a. im Rahmen der nach Art. 15 der Durchführungsverordnung Nr. 1189/2011 erforderlichen Erklärung, dass die Voraussetzungen der Richtlinie 2010/24 für die Einleitung des Amtshilfeverfahrens erfüllt sind, folgende Angaben:
|
26 |
Am 15. November 2012 erhielt Herr Donnellan ein vom 14. November 2012 datierendes Schreiben der Commissioners, mit dem er aufgefordert wurde, im Rahmen der Beitreibung der Geldbuße, der Zinsen und der Kosten oder Strafen, die Gegenstand des Ersuchens der hellenischen Behörden waren, innerhalb einer Frist von 30 Tagen den Betrag von 1507971,88 Euro zu zahlen. |
27 |
Dem Schreiben war der in englischer Sprache verfasste „einheitliche Vollstreckungstitel“ im Sinne von Art. 12 der Richtlinie 2010/24 beigefügt. Er nahm Bezug auf die genannte Entscheidung der Zollstelle Patras und bezeichnete die betreffende Forderung wie folgt: „Multiple duties for illegal cigarette trading“ (Verschiedene Abgaben wegen Zigarettenschmuggels). |
28 |
Im Vollstreckungstitel war die Nummer des Reisepasses von Herrn Donnellan angegeben, und es hieß, seine Adresse sei „known“ (bekannt). |
29 |
Nach Erhalt des Schreibens vom 14. November 2012 beauftragte Herr Donnellan einen Solicitor damit, nähere Angaben zur Entscheidung der Zollstelle Patras zu erlangen. |
30 |
Am 11. Juni 2014 leitete Herr Donnellan ein Verfahren vor dem High Court (Hoher Gerichtshof, Irland) ein, um eine Aufhebung des Ersuchens um Beitreibung der geforderten Beträge zu erwirken. |
31 |
Am 12. Dezember 2014 erließ der High Court (Hoher Gerichtshof) eine einstweilige Verfügung, mit der die Vollstreckung der Forderung bis zur Entscheidung in der Sache ausgesetzt wurde. |
32 |
Die Commissioners machen vor dem High Court (Hoher Gerichtshof) geltend, sie müssten dem Beitreibungsersuchen stattgeben und seine Zwangsvollstreckung betreiben, da Herr Donnellan die fragliche Forderung in Griechenland nicht angefochten habe. |
33 |
Herr Donnellan führt aus, ihm sei das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf in Griechenland vorenthalten worden, und unter diesen Umständen dürften die Commissioners dem Beitreibungsersuchen nicht stattgeben. |
34 |
Hierzu hat Herr Donnellan dem vorlegenden Gericht u. a. einen von Herrn Siaperas, einem Sachverständigen für griechisches Recht, erstellten Bericht vorgelegt. Demnach war der 13. Oktober 2009, 90 Tage nach der Veröffentlichung der Strafe im Amtsblatt der Hellenischen Republik, der letzte Tag, an dem Herr Donnellan die Entscheidung der Zollstelle Patras hätte anfechten können. |
35 |
Das vorlegende Gericht leitet aus dem gesamten Akteninhalt ab, dass Herrn Donnellan das an ihn gerichtete Einschreiben der griechischen Botschaft vom 19. Juni 2009 nicht zugestellt wurde, dass er von der Existenz der Entscheidung, mit der die Geldbuße gegen ihn verhängt wurde, am 15. November 2012 Kenntnis erlangte und dass ihm der Inhalt und die Begründung dieser Entscheidung erst durch spätere Schreiben, insbesondere durch Schreiben des hellenischen Finanzministeriums vom 31. März 2014 und 29. Dezember 2015, mitgeteilt wurden. |
36 |
Das vorlegende Gericht führt aus, aus der ständigen Rechtsprechung der irischen Gerichte, der irischen Verfassung und den Verpflichtungen Irlands im Rahmen der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) ergebe sich, dass kein irisches Gericht die Vollstreckung einer Entscheidung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen zulassen könne, die dem Betroffenen nicht zugestellt worden sei und sich zudem auf einen Tatbestand stütze, für den die Unschuld des Betroffenen festgestellt worden sei. Die Vollstreckung einer solchen Entscheidung würde in Irland nämlich gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. |
37 |
Die Richtlinie 2010/24 biete zwar keine Grundlage dafür, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der hellenischen Behörden vor den irischen Gerichten anzufechten, doch legten die Grundsätze des Unionsrechts, wie sie sich aus dem Urteil vom 14. Januar 2010, Kyrian (C‑233/08, EU:C:2010:11), ergäben, es nahe, dass sich das vorlegende Gericht unter außergewöhnlichen Umständen auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) stützen dürfe, um die Vollstreckung eines Beitreibungsersuchens wie des im Ausgangsverfahren fraglichen abzulehnen. |
38 |
Unter diesen Umständen hat der High Court (Hoher Gerichtshof) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Wird der High Court of Ireland, wenn er über die Vollstreckbarkeit eines von der Zollbehörde Patras am 14. November 2012 ausgestellten „einheitlichen Vollstreckungstitels“ für Verwaltungssanktionen und Geldbußen in Höhe von 1097505 Euro (erhöht auf 1507971,88 Euro durch Zinsen und Strafen), die am 15. Juli 2009 wegen eines angeblich am 26. Juli 2002 begangenen Schmuggels verhängt worden waren, zu entscheiden hat, durch Art. 14 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2010/24 daran gehindert, |
Zur Vorlagefrage
39 |
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 14 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2010/24 dahin auszulegen ist, dass er eine Behörde eines Mitgliedstaats daran hindert, die Vollstreckung eines Ersuchens um Beitreibung einer Forderung, die auf einer in einem anderen Mitgliedstaat verhängten Geldbuße beruht, aus Gründen abzulehnen, die mit dem Recht des Betroffenen auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf zusammenhängen. |
40 |
Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten im Unionsrecht fundamentale Bedeutung hat, da er die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglicht. Dieser Grundsatz verlangt, namentlich in Bezug auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, von jedem Mitgliedstaat, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 191 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
41 |
Obwohl die Richtlinie 2010/24 zum Bereich des Binnenmarkts und nicht zum Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gehört, beruht auch sie auf dem vorstehend erwähnten Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Die Durchführung der mit dieser Richtlinie eingeführten Amtshilferegelung hängt nämlich davon ab, dass zwischen den betreffenden nationalen Behörden ein solches Vertrauen besteht. |
42 |
Wie sich insbesondere aus Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2010/24 ergibt, beruht die Beitreibung der Forderung im ersuchten Mitgliedstaat auf dem „einheitlichen Vollstreckungstitel“, durch den die ersuchende Behörde der ersuchten Behörde im ursprünglichen Vollstreckungstitel enthaltene Angaben weiterleitet, die die Vollstreckung im ersuchenden Mitgliedstaat ermöglichen. Dieser einheitliche Vollstreckungstitel muss im ersuchten Mitgliedstaat nicht durch einen Rechtsakt anerkannt, ergänzt oder ersetzt werden. |
43 |
Zudem ergibt sich aus Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2010/24, dass mit jeder Anfechtung der Forderung, des ursprünglichen Vollstreckungstitels, des einheitlichen Vollstreckungstitels oder einer Zustellung durch eine zuständige Behörde des ersuchenden Mitgliedstaats die einschlägigen Instanzen dieses Mitgliedstaats zu befassen sind und nicht die des ersuchten Mitgliedstaats. |
44 |
Die Richtlinie 2010/24 verleiht den Instanzen des ersuchten Mitgliedstaats keineswegs eine Befugnis zur Überprüfung der Handlungen des ersuchenden Mitgliedstaats, sondern beschränkt in ihrem Art. 14 Abs. 2 die Prüfungsbefugnis dieser Instanzen ausdrücklich auf die Handlungen des ersuchten Mitgliedstaats. |
45 |
Die von den Mitgliedstaaten gemäß der mit der Richtlinie 2010/24 geschaffenen Amtshilferegelung getroffenen Maßnahmen müssen zwar mit den Grundrechten der Union, zu denen das in Art. 47 der Charta genannte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gehört, im Einklang stehen, doch ergibt sich daraus nicht, dass die Handlungen des ersuchenden Mitgliedstaats sowohl vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats als auch vor denen des ersuchten Mitgliedstaats anfechtbar sein müssen. Vielmehr trägt die Amtshilferegelung, die sich namentlich auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens stützt, dazu bei, die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des Mitgliedstaats, der für Streitigkeiten zuständig ist, zu erhöhen und damit das „forum shopping“ zu vermeiden (vgl. entsprechend Urteil vom 21. Dezember 2011, N.S. u. a., C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 79). |
46 |
Folglich kann der Rechtsbehelf, den der Betroffene im ersuchten Mitgliedstaat gegen das von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats zur Beitreibung der im ersuchenden Mitgliedstaat entstandenen Forderung an ihn gerichtete Zahlungsersuchen einlegt, nicht zu einer Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Forderung führen. |
47 |
Dagegen kann, wie der Gerichtshof bereits dargelegt hat, nicht ausgeschlossen werden, dass die ersuchte Behörde ausnahmsweise beschließen kann, der ersuchenden Behörde keine Amtshilfe zu leisten. So kann die Vollstreckung des Ersuchens um Beitreibung der Forderung u. a. dann abgelehnt werden, wenn sie die öffentliche Ordnung des Mitgliedstaats der ersuchten Behörde beeinträchtigen könnte (vgl., in Bezug auf Art. 12 der Richtlinie 76/308, dem Art. 14 der Richtlinie 2010/24 im Wesentlichen entspricht, Urteil vom 14. Januar 2010, Kyrian, C‑233/08, EU:C:2010:11, Rn. 42). |
48 |
Hierzu ist festzustellen, dass nach Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2010/24 die Forderung, für die ein Beitreibungsersuchen vorliegt, wie eine Forderung des ersuchten Mitgliedstaats behandelt wird, so dass dieser die Befugnisse ausübt und die Verfahren anwendet, die nach den in seiner Rechtsordnung geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften für Forderungen aufgrund von gleichen oder vergleichbaren Steuern oder Abgaben vorgesehen sind. Es ist aber kaum denkbar, dass ein Vollstreckungstitel, der die Beitreibung einer gleichen oder vergleichbaren Forderung des ersuchten Mitgliedstaats ermöglicht, von ihm vollstreckt wird, wenn dies seine öffentliche Ordnung beeinträchtigen könnte (vgl. entsprechend, in Bezug auf die Richtlinie 76/308, Urteil vom 14. Januar 2010, Kyrian, C‑233/08, EU:C:2010:11, Rn. 43). |
49 |
Es ist allerdings Sache des Gerichtshofs, über die Grenzen zu wachen, innerhalb deren die Behörden eines Mitgliedstaats dadurch, dass sie sich auf innerstaatliche Begriffe wie die ihre öffentliche Ordnung betreffenden stützen, einem anderen Mitgliedstaat im Rahmen einer durch den Unionsgesetzgeber geschaffenen Kooperationsregelung ihre Amtshilfe verweigern können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. April 2009, Apostolides, C‑420/07, EU:C:2009:271, Rn. 56 und 57, sowie vom 25. Mai 2016, Meroni, C‑559/14, EU:C:2016:349, Rn. 39 und 40). |
50 |
Darüber hinaus sind nach ständiger Rechtsprechung die Beschränkungen des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens eng auszulegen (vgl. u. a. Urteile vom 14. November 2013, Baláž, C‑60/12, EU:C:2013:733, Rn. 29, vom 16. Juli 2015, Diageo Brands, C‑681/13, EU:C:2015:471, Rn. 41, vom 25. Mai 2016, Meroni, C‑559/14, EU:C:2016:349, Rn. 38, und vom 23. Januar 2018, Piotrowski, C‑367/16, EU:C:2018:27, Rn. 48). |
51 |
Im vorliegenden Fall steht, trotz der im Beitreibungsersuchen enthaltenen Erklärung, dass im ersuchenden Mitgliedstaat Beitreibungsverfahren durchgeführt worden seien, nach den Angaben in der Vorlageentscheidung fest, dass der Betroffene erst an dem Tag, an dem die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats ihm das Zahlungsersuchen mit dem einheitlichen Vollstreckungstitel übermittelte, erfuhr, dass im ersuchenden Mitgliedstaat schon mehrere Jahre zuvor eine Geldbuße gegen ihn verhängt worden war. Das vorlegende Gericht stellt im Übrigen fest, dass der Betroffene erst lange nach Kenntniserlangung von der Existenz dieser Geldbuße genauere Informationen über den Inhalt und die Begründung der Entscheidung erhalten habe, mit der die Geldbuße gegen ihn verhängt worden sei. |
52 |
Unter diesen Umständen hält das vorlegende Gericht es für denkbar, dass eine Ablehnung der Vollstreckung des Beitreibungsersuchens aus Gründen gerechtfertigt wäre, die mit dem Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf und dem Umstand zusammenhängen, dass in Irland die Vollstreckung einer dem Betroffenen nicht mitgeteilten Geldbuße gegen die öffentliche Ordnung verstößt. |
53 |
Bei der Beurteilung der Frage, ob Umstände wie die vom vorlegenden Gericht angeführten ohne Verstoß gegen den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zu einer Ablehnung der Vollstreckung führen können, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der einheitliche Vollstreckungstitel, den die ersuchende Behörde zur Beitreibung einer Forderung an die ersuchte Behörde richtet und den diese dem Betroffenen als Anlage zum Zahlungsersuchen weiterleitet, nicht dazu dient, dem Betroffenen die im Mitgliedstaat der ersuchenden Behörde erlassene Entscheidung zuzustellen, die der Forderung zugrunde liegt. Dieser Titel, der, wie oben in Rn. 9 festgestellt, u. a. Angaben zu Art und Umfang der Forderung sowie persönliche Daten des Betroffenen enthält, soll es den Behörden des ersuchten Mitgliedstaats ermöglichen, Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen und damit Amtshilfe bei der Beitreibung zu leisten. Dagegen stellt seine Übermittlung, ohne dass die Entscheidung, mit der die Geldbuße verhängt wurde, und deren Begründung dem Betroffenen mitgeteilt werden, keine Zustellung dieser Entscheidung dar. |
54 |
Sodann ist darauf hinzuweisen, dass die Regelung über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen insbesondere die wirksame Durchführung der Zustellungen aller eine Forderung oder deren Beitreibung betreffenden und von dem Mitgliedstaat, in dem die ersuchende Behörde ihren Sitz hat, ausgehenden Verfügungen und Entscheidungen gewährleisten soll (vgl., in Bezug auf die Richtlinie 76/308, Urteil vom 14. Januar 2010, Kyrian, C‑233/08, EU:C:2010:11, Rn. 57). Art. 8 der Richtlinie 2010/24 sieht insoweit vor, dass die Behörde, die die Forderung erhoben hat, die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem der Betroffene seinen Wohnsitz hat, um Amtshilfe bei der Zustellung der mit der Forderung zusammenhängenden Dokumente ersuchen kann. |
55 |
Schließlich ist hervorzuheben, dass der Betroffene, um in Bezug auf eine ihn beschwerende Entscheidung sein Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 47 der Charta ausüben zu können, Kenntnis von den Gründen, auf denen die ihm gegenüber ergangene Entscheidung beruht, haben muss, sei es durch Kenntnisnahme der Entscheidung selbst oder durch eine auf seinen Antrag erfolgte Mitteilung dieser Gründe, damit er seine Rechte unter bestmöglichen Bedingungen verteidigen und in Kenntnis aller Umstände entscheiden kann, ob es für ihn von Nutzen ist, das zuständige Gericht anzurufen (Urteil vom 4. Juni 2013, ZZ, C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
56 |
Unter Umständen wie den vom vorlegenden Gericht im Ausgangsverfahren festgestellten unterliegt der Betroffene dem Verfahren zur Vollstreckung des Beitreibungsersuchens nach der Richtlinie 2010/24, ungeachtet des Umstands, dass ihm der Bescheid über die fragliche Geldbuße nicht zugestellt wurde. Der Betroffene befindet sich damit in einer Situation, in der die ersuchte Behörde von ihm verlangt, die Geldbuße zuzüglich der in Art. 2 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie genannten Zinsen und Kosten sowie der in ihrem Art. 13 Abs. 3 vorgesehenen Verzugszinsen zu zahlen, obwohl er die Entscheidung, mit der die Geldbuße gegen ihn verhängt wurde, mangels ausreichender Kenntnis ihres Inhalts und ihrer Gründe im Mitgliedstaat der ersuchenden Behörde nicht anfechten konnte. |
57 |
Wie der Generalanwalt in Nr. 70 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, erfüllt aber ein Sachverhalt, bei dem die ersuchende Behörde die Beitreibung einer Forderung beantragt, die auf einer dem Betroffenen nicht zugestellten Entscheidung beruht, nicht die in Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2010/24 genannte Anforderung an ein Beitreibungsersuchen. Da nach dieser Vorschrift kein Beitreibungsersuchen im Sinne der Richtlinie gestellt werden kann, solange die Forderung und/oder der Titel für ihre Vollstreckung im ersuchenden Mitgliedstaat angefochten werden, kann ein solches Ersuchen auch dann nicht gestellt werden, wenn der Betroffene gar keine Kenntnis von der Forderung erlangt hat, da die Kenntnis von ihr eine notwendige Vorbedingung dafür darstellt, dass gegen sie vorgegangen werden kann. |
58 |
Diese Auslegung wird überdies durch Art. 47 der Charta und durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs im Bereich der Übermittlung und Zustellung gerichtlicher Schriftstücke bestätigt. Aus dieser Rechtsprechung geht insbesondere hervor, dass zur Wahrung der in Art. 47 vorgesehenen Rechte nicht nur dafür Sorge zu tragen ist, dass der Adressat eines Schriftstücks das fragliche Schriftstück tatsächlich erhält, sondern auch dafür, dass er in die Lage versetzt wird, die Bedeutung und den Umfang der im Ausland gegen ihn erhobenen Klage tatsächlich und vollständig in einer Weise zu erfahren und zu verstehen, die es ihm ermöglicht, seine Rechte im ersuchenden Mitgliedstaat wirksam geltend zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. September 2015, Alpha Bank Cyprus, C‑519/13, EU:C:2015:603, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Erwägungen sind auch im Kontext der Richtlinie 2010/24 relevant. |
59 |
Wird ein Beitreibungsersuchen gestellt, obwohl der Betroffene keine Möglichkeit hatte, die Gerichte des ersuchenden Mitgliedstaats unter Bedingungen anzurufen, die mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vereinbar sind, kann ihm daher die in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2010/24 aufgestellte Regel in ihrer in nationales Recht umgesetzten Form bei sachgerechter Betrachtung nicht entgegengehalten werden. |
60 |
Dies gilt erst recht, wenn – wie im vorliegenden Fall – die ersuchende Behörde selbst im Beitreibungsersuchen und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem der Betroffene noch keine Kenntnis von der Existenz der fraglichen Forderung hatte, angegeben hat, dass im ersuchenden Mitgliedstaat kein verwaltungsrechtlicher oder gerichtlicher Rechtsbehelf zur Anfechtung dieser Forderung mehr eingelegt werden kann. Zwar hat die hellenische Regierung später in ihren Erklärungen vor dem Gerichtshof das Gegenteil behauptet und vorgetragen, dass die Möglichkeit, einen Rechtsbehelf einzulegen, durch den Ablauf der mit der Veröffentlichung dieser Forderung im Amtsblatt der Hellenischen Republik in Lauf gesetzten Klagefrist nicht erloschen sei, doch kann dem Betroffenen nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er den Angaben der ersuchenden Behörde im Beitreibungsersuchen Rechnung trug, von denen er, nachdem er von der Existenz der Forderung erfahren hatte, eine Kopie erhalten hatte und die von einem Sachverständigen für hellenisches Recht überprüft und bestätigt wurden. |
61 |
Daraus folgt, dass in einem Ausnahmefall wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in dem eine Behörde eines Mitgliedstaats eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats um Beitreibung einer Forderung ersucht, die auf einer Geldbuße beruht, von der der Betroffene keine Kenntnis hatte, die ersuchte Behörde zur Verweigerung der Amtshilfe bei der Beitreibung berechtigt sein kann. Die in der Richtlinie 2010/24 vorgesehene Amtshilfe ist, wie ihr Titel und mehrere Erwägungsgründe zeigen, als „gegenseitig“ einzustufen, was namentlich voraussetzt, dass es Sache der ersuchenden Behörde ist, vor der Stellung eines Beitreibungsersuchens die Voraussetzungen zu schaffen, unter denen die ersuchte Behörde wirksam und im Einklang mit den tragenden Grundsätzen des Unionsrechts Amtshilfe leisten kann. |
62 |
Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 14 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2010/24 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er eine Behörde eines Mitgliedstaats nicht daran hindert, die Vollstreckung eines Ersuchens wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, das die Beitreibung einer Forderung betrifft, die auf einer in einem anderen Mitgliedstaat verhängten Geldbuße beruht, mit der Begründung abzulehnen, dass die Entscheidung, mit der die Geldbuße verhängt wurde, dem Betroffenen nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde, bevor bei der Behörde das Beitreibungsersuchen in Anwendung der Richtlinie gestellt wurde. |
Kosten
63 |
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt: |
Art. 14 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom 16. März 2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er eine Behörde eines Mitgliedstaats nicht daran hindert, die Vollstreckung eines Ersuchens wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, das die Beitreibung einer Forderung betrifft, die auf einer in einem anderen Mitgliedstaat verhängten Geldbuße beruht, mit der Begründung abzulehnen, dass die Entscheidung, mit der die Geldbuße verhängt wurde, dem Betroffenen nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde, bevor bei der Behörde das Beitreibungsersuchen in Anwendung der Richtlinie gestellt wurde. |
Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.