URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

10. März 2016 ( *1 )

„Rechtsmittel — Wettbewerb — Markt für ‚Zement und verwandte Produkte‘ — Verwaltungsverfahren — Verordnung (EG) Nr. 1/2003 — Art. 18 Abs. 1 und 3 — Beschluss mit der Aufforderung, Auskünfte zu erteilen — Begründung — Bestimmtheit des Auskunftsverlangens“

In der Rechtssache C‑247/14 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 20. Mai 2014,

HeidelbergCement AG mit Sitz in Heidelberg (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte U. Denzel, C. von Köckritz und P. Pichler,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer, L. Malferrari und R. Sauer als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Zweiten Kammer M. Ilešič (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer, der Richterin C. Toader sowie des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2015,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Oktober 2015

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die HeidelbergCement AG (im Folgenden: HeidelbergCement) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 14. März 2014, HeidelbergCement/Kommission (T‑302/11, EU:T:2014:128, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2011) 2361 endgültig der Kommission vom 30. März 2011 in einem Verfahren nach Artikel 18 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates (Sache COMP/39520 – Zement und verwandte Produkte) (im Folgenden: streitiger Beschluss) abgewiesen hat.

Rechtlicher Rahmen

2

Im 23. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 AEUV] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) heißt es:

„Die Kommission sollte die Befugnis haben, im gesamten Bereich der [Union] die Auskünfte zu verlangen, die notwendig sind, um gemäß Artikel [101 AEUV] verbotene Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen … aufzudecken. …“

3

Art. 18 („Auskunftsverlangen“) der Verordnung Nr. 1/2003 bestimmt in den Abs. 1 und 3:

„(1)   Die Kommission kann zur Erfüllung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben durch einfaches Auskunftsverlangen oder durch Entscheidung von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verlangen, dass sie alle erforderlichen Auskünfte erteilen.

(3)   Wenn die Kommission durch Entscheidung … Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zur Erteilung von Auskünften verpflichtet, gibt sie die Rechtsgrundlage, den Zweck des Auskunftsverlangens und die geforderten Auskünfte an und legt die Frist für die Erteilung der Auskünfte fest. Die betreffende Entscheidung enthält ferner einen Hinweis auf die in Artikel 23 vorgesehenen Sanktionen und weist entweder auf die in Artikel 24 vorgesehenen Sanktionen hin oder erlegt diese auf. Außerdem weist sie auf das Recht hin, vor dem Gerichtshof gegen die Entscheidung Klage zu erheben.

…“

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitiger Beschluss

4

Das Gericht beschreibt die Vorgeschichte des Rechtsstreits wie folgt:

„1

Im November 2008 und im September 2009 führte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 20 der Verordnung [Nr. 1/2003] mehrere Nachprüfungen in den Räumlichkeiten von Gesellschaften der Zementbranche durch, u. a. in den Räumlichkeiten der Klägerin, der HeidelbergCement AG. Im Anschluss an diese Nachprüfungen wurden Auskunftsverlangen nach Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 versandt. An die Klägerin ergingen am 30. September 2009 sowie am 9. Februar und am 27. April 2010 Auskunftsverlangen.

2

Mit Schreiben vom 8. November 2010 unterrichtete die Kommission die Klägerin von ihrer Absicht, einen Auskunftsbeschluss nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 an sie zu richten, und übermittelte ihr den Entwurf eines Fragebogens, den sie diesem Beschluss beizufügen gedachte.

3

Mit Schreiben vom 16. November 2010 nahm die Klägerin zu diesem Fragebogenentwurf Stellung.

4

Am 6. Dezember 2010 teilte die Kommission der Klägerin mit, dass sie beschlossen habe, gegen sie und sieben weitere in der Zementbranche tätige Unternehmen ein Verfahren nach Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 wegen mutmaßlicher Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 AEUV einzuleiten, bei denen es sich um die ‚Beschränkung des Handelsverkehrs im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), einschließlich der Beschränkung von Einfuhren in den EWR [aus] Länder[n] außerhalb des EWR, um Marktaufteilung, um Preisabsprachen und [um] andere verbundene wettbewerbswidrige Praktiken in den Märkten für Zement und verwandte Produkte‘ handele (im Folgenden: Beschluss über die Einleitung des Verfahrens).

5

Am 30. März 2011 erließ die Kommission den [streitigen] Beschluss …

6

Im [streitigen] Beschluss wies die Kommission darauf hin, dass sie nach Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 zur Erfüllung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben durch einfaches Auskunftsverlangen oder durch Beschluss von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verlangen könne, alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen (dritter Erwägungsgrund des [streitigen] Beschlusses). Im Anschluss an den Hinweis, dass die Klägerin von der Absicht der Kommission, einen Beschluss nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 zu erlassen, in Kenntnis gesetzt worden sei und zu einem Fragebogenentwurf Stellung genommen habe (Erwägungsgründe 4 und 5 des [streitigen] Beschlusses), ersuchte die Kommission die Klägerin sowie ihre in der Europäischen Union ansässigen und von ihr direkt oder indirekt kontrollierten Tochtergesellschaften per Beschluss, den 94 Seiten umfassenden und aus elf Fragengruppen bestehenden Fragebogen in Anhang I zu beantworten (sechster Erwägungsgrund des [streitigen] Beschlusses).

7

Die Kommission wies ferner auf die oben in Rn. 4 wiedergegebene Beschreibung der mutmaßlichen Zuwiderhandlungen hin (zweiter Erwägungsgrund des [streitigen] Beschlusses).

8

Unter Verweis auf Art und Umfang der verlangten Auskünfte sowie auf die Schwere der mutmaßlichen Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln erachtete es die Kommission für angemessen, der Klägerin eine Frist von zwölf Wochen für die Beantwortung der ersten zehn Fragengruppen und von zwei Wochen für die Beantwortung der elften, ‚Kontakte und Sitzungen‘ betreffenden Fragengruppe zu gewähren (achter Erwägungsgrund des [streitigen] Beschlusses).

9

Der verfügende Teil des [streitigen] Beschlusses lautet:

‚Artikel 1

[Die Klägerin] (einschließlich ihrer Tochtergesellschaften in der [Europäischen Union], die direkt oder indirekt von ihr kontrolliert werden) muss die in Anhang I dieses Beschlusses beschriebenen Informationen in der in Anhang II und Anhang III dieses Beschlusses verlangten Form innerhalb von zwölf Wochen bezüglich der Fragen 1 bis 10 [u]nd innerhalb von zwei Wochen bezüglich Frage 11 nach Bekanntgabe dieses Beschlusses vorlegen. Alle Anhänge sind Bestandteil dieses Beschlusses.

Artikel 2

Dieser Beschluss ist an [die Klägerin] (einschließlich ihrer Tochtergesellschaften in der [Europäischen Union], die direkt oder indirekt von ihr kontrolliert werden) gerichtet …‘

10

Am 18. April 2011 reichte die Klägerin ihre Antwort auf die elfte Fragengruppe ein. Am 6. Mai 2011 ergänzte sie ihre Antwort.

11

Mit Schreiben vom 26. Mai 2011 beantragte die Klägerin eine Verlängerung der Antwortfrist für die ersten zehn Fragengruppen um 18 Wochen. Mit Schreiben vom 31. Mai 2011 wurde die Klägerin davon in Kenntnis gesetzt, dass ihr Antrag abgelehnt werde. Die Kommission stellte in diesem Schreiben jedoch in Aussicht, dass eine begrenzte Verlängerung auf der Grundlage eines begründeten Antrags in Bezug auf die betreffenden Fragen eventuell möglich sei.“

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

5

Mit Klageschrift, die am 10. Juni 2011 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob HeidelbergCement Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.

6

Zur Stützung ihrer Klage machte sie fünf Klagegründe geltend, und zwar erstens einen Verstoß gegen Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003, zweitens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, drittens eine unzureichende Begründung des streitigen Beschlusses, viertens einen Verstoß gegen den „Bestimmtheitsgrundsatz“ und fünftens eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte.

7

Das Gericht erachtete keinen dieser Klagegründe für begründet und wies daher die Klage ab.

Anträge der Parteien

8

HeidelbergCement beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben,

den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft,

hilfsweise, die Rechtssache zur Entscheidung im Einklang mit der rechtlichen Beurteilung im Urteil des Gerichtshofs an das Gericht zurückzuverweisen und

der Kommission die Kosten der Rechtsmittelführerin für die Verfahren vor dem Gericht und dem Gerichtshof aufzuerlegen.

9

Die Kommission beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen,

hilfsweise, bei Aufhebung des angefochtenen Urteils, die Klage abzuweisen und

der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

10

Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf sieben Gründe. Erstens seien die in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehenen Anforderungen an die Angabe des Zwecks des Auskunftsverlangens unzureichend geprüft und fehlerhaft angewandt worden. Zweitens habe das Gericht einen Rechtsfehler bei seiner Beurteilung der Begründungspflicht hinsichtlich der Wahl des Ermittlungsinstruments und der Fristsetzung für die Beantwortung begangen. Drittens sei die „Erforderlichkeit“ der verlangten Auskünfte im Sinne von Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 unzutreffend geprüft, ausgelegt und angewandt worden. Viertens sei Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 verletzt worden, da es keine Pflicht zur Aufbereitung, Zusammenstellung und Verarbeitung verlangter Auskünfte gebe. Fünftens habe das Gericht bei seiner Beurteilung der Rüge einer zu kurz bemessenen Frist für die Beantwortung des Auskunftsverlangens eine widersprüchliche Begründung geliefert. Sechstens habe das Gericht einen Rechtsfehler begangen, indem es das Erfordernis der Bestimmtheit von Rechtsakten missachtet und das angefochtene Urteil in Bezug auf die Rüge mangelnder Bestimmtheit nicht begründet habe. Schließlich liege siebtens eine Verletzung der Verteidigungsrechte durch die Pflicht zur Bewertung von Informationen vor.

11

Zunächst ist auf den ersten Rechtsmittelgrund einzugehen.

Vorbringen der Parteien

12

Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund – der sich gegen die Rn. 23 bis 43 und 47 des angefochtenen Urteils richtet – macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe bei der Prüfung, ob die in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 aufgestellten Anforderungen an die Angabe des Zwecks des Auskunftsverlangens erfüllt seien, einen Rechtsfehler begangen. Das angefochtene Urteil sei auch unzureichend begründet, da es den Beschluss über die Einleitung des Verfahrens und den streitigen Beschluss, auf die es Bezug nehme, ihrem Inhalt nach nicht hinreichend konkretisiere und nicht erwähne, ob sich in diesen Beschlüssen eine oder mehrere konkrete Zuwiderhandlungen identifizieren ließen.

13

Die Kommission entgegnet, die Begründung von Rechtsakten der Unionsorgane müsse der Natur des betreffenden Rechtsakts und dem Kontext, in dem er erlassen worden sei, angepasst sein, und das Begründungserfordernis sei an die Umstände des Einzelfalls anzupassen. Bei einem Auskunftsverlangen handele es sich um eine Ermittlungsmaßnahme, die typischerweise im Rahmen der Voruntersuchung eingesetzt werde, einem Stadium, in dem die Kommission noch keine genauen Kenntnisse von der mutmaßlichen Zuwiderhandlung habe, was bei der Beurteilung der rechtlichen Anforderungen an die nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 geforderte Begründung zu berücksichtigen sei. Die Pflicht zur hinreichend bestimmten Beschreibung des Auskunftszwecks bedeute somit keineswegs, dass die mutmaßliche Zuwiderhandlung im Hinblick auf ihre Natur, ihren geografischen Umfang, ihre Dauer oder die Art der im Einzelnen betroffenen Produkte detailliert dargestellt werden müsse. Eine Festlegung auf eine bestimmte und zeitlich eingegrenzte Zuwiderhandlung erfolge erst in der Mitteilung der Beschwerdepunkte.

14

Sowohl im streitigen Beschluss als auch im Beschluss über die Einleitung des Verfahrens würden konkrete Angaben zur Art der mutmaßlichen Zuwiderhandlung, zu ihrer geografischen Ausdehnung sowie zu den erfassten Produkten gemacht. Der Beschluss über die Einleitung des Verfahrens enthalte durch dessen Adressatenkreis konkrete Angaben zu den mutmaßlichen Teilnehmern an der Zuwiderhandlung. Somit habe das Gericht in Rn. 42 des angefochtenen Urteils zutreffend und ohne Verletzung seiner Begründungspflicht angenommen, dass der streitige Beschluss in Verbindung mit dem Einleitungsbeschluss ausreichende Angaben zum Zweck des Auskunftsverlangens enthalte. Zudem seien im streitigen Beschluss der Untersuchungsrahmen geografisch auf das Gebiet des EWR beschränkt und im Fragenkatalog insbesondere bestimmte Schwerpunktländer berücksichtigt worden.

Würdigung durch den Gerichtshof

15

HeidelbergCement trägt im Wesentlichen vor, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, als es den Klagegrund eines Begründungsmangels des streitigen Beschlusses für nicht stichhaltig erklärt und zurückgewiesen habe. Hierbei handelt es sich um eine Rechtsfrage, die der Kontrolle durch den Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegt (vgl. Urteil Kommission/Salzgitter, C‑408/04 P, EU:C:2008:236, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

16

Nach gefestigter Rechtsprechung muss die in Art. 296 AEUV vorgeschriebene Begründung von Rechtsakten der Unionsorgane der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrolle durchführen kann. Das Begründungserfordernis ist anhand aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, insbesondere des Inhalts des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und des Interesses, das die Adressaten des Rechtsakts oder andere unmittelbar und individuell von ihm betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteile Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 63, sowie Nexans und Nexans France/Kommission, C‑37/13 P, EU:C:2014:2030, Rn. 31 und 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17

Insbesondere werden die wesentlichen Bestandteile der Begründung eines Beschlusses mit der Aufforderung, Auskünfte zu erteilen, in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 definiert.

18

Nach dieser Bestimmung gibt die Kommission „die Rechtsgrundlage, den Zweck des Auskunftsverlangens und die geforderten Auskünfte an und legt die Frist für die Erteilung der Auskünfte fest“. Ferner gibt die Kommission „einen Hinweis auf die in Artikel 23 vorgesehenen Sanktionen“, „weist entweder auf die in Artikel 24 vorgesehenen Sanktionen hin oder erlegt diese auf“ und „weist auf das Recht hin, vor dem Gerichtshof gegen die Entscheidung Klage zu erheben“.

19

Diese spezielle Begründungspflicht stellt nicht nur deshalb ein grundlegendes Erfordernis dar, weil die Berechtigung des Auskunftsverlangens aufgezeigt werden soll, sondern auch deshalb, weil die betroffenen Unternehmen in die Lage versetzt werden sollen, den Umfang ihrer Mitwirkungspflicht zu erkennen und zugleich ihre Verteidigungsrechte zu wahren (vgl. entsprechend, zu Nachprüfungsbeschlüssen, Urteile Dow Chemical Ibérica u. a./Kommission, 97/87 bis 99/87, EU:C:1989:380, Rn. 26, Roquette Frères, C‑94/00, EU:C:2002:603, Rn. 47, Nexans und Nexans France/Kommission, C‑37/13 P, EU:C:2014:2030, Rn. 34, sowie Deutsche Bahn u. a./Kommission, C‑583/13 P, EU:C:2015:404, Rn. 56).

20

Die Pflicht, den „Zweck des Auskunftsverlangens“ anzugeben, bedeutet, dass die Kommission den Gegenstand ihrer Untersuchung und somit die mutmaßliche Verletzung der Wettbewerbsregeln in ihrem Auskunftsverlangen konkret nennen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil SEP/Kommission, C‑36/92 P, EU:C:1994:205, Rn. 21).

21

Die Kommission braucht insoweit weder dem Adressaten eines Beschlusses mit der Aufforderung, Auskünfte zu erteilen, alle ihr vorliegenden Informationen über mutmaßliche Zuwiderhandlungen zu übermitteln, noch muss sie eine strenge rechtliche Qualifizierung dieser Zuwiderhandlungen vornehmen, sofern sie klar angibt, welchem Verdacht sie nachzugehen beabsichtigt (vgl. entsprechend Urteil Nexans und Nexans France/Kommission, C‑37/13 P, EU:C:2014:2030, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22

Eine solche Pflicht ist insbesondere damit zu erklären, dass die Kommission, wie sich aus Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 und deren 23. Erwägungsgrund ergibt, zur Erfüllung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben durch einfaches Auskunftsverlangen oder durch Beschluss von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verlangen kann, „alle erforderlichen Auskünfte“ zu erteilen.

23

Wie das Gericht in Rn. 34 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt hat, darf „die Kommission nur Auskünfte verlangen …, die ihr die Prüfung der die Durchführung der Untersuchung rechtfertigenden und im Auskunftsverlangen angegebenen mutmaßlichen Zuwiderhandlungen ermöglichen können“.

24

Da die Erforderlichkeit der Auskünfte jedoch anhand des im Auskunftsverlangen angegebenen Zwecks zu beurteilen ist, muss dieser Zweck mit hinreichender Bestimmtheit angegeben werden, denn sonst ließe sich nicht feststellen, ob die Auskünfte notwendig sind, und der Gerichtshof könnte seine Kontrolle nicht ausüben (vgl. in diesem Sinne Urteil SEP/Kommission, C‑36/92 P, EU:C:1994:205, Rn. 21).

25

Daher hat das Gericht in Rn. 39 des angefochtenen Urteils ebenfalls zutreffend entschieden, dass die Frage, ob der streitige Beschluss hinreichend begründet sei, davon abhänge, „ob die mutmaßlichen Zuwiderhandlungen, denen die Kommission nachzugehen beabsichtigt, hinreichend klar angegeben sind“.

26

Zu der Frage, ob die vom Gericht in Rn. 43 des angefochtenen Urteils vorgenommene Einstufung des streitigen Beschlusses als hinreichend begründet mit einem Rechtsfehler behaftet ist, ist zunächst festzustellen, dass nach den Ausführungen des Gerichts in Rn. 42 des angefochtenen Urteils die Begründung des streitigen Beschlusses „aus einer sehr allgemein gehaltenen Formulierung besteht, deren Präzisierung angebracht gewesen wäre, so dass sie insoweit zu beanstanden ist“, wobei „[g]leichwohl … davon ausgegangen werden [kann], dass die Bezugnahme auf die Einschränkung von Einfuhren in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), auf Marktaufteilungen sowie auf Preisabsprachen im Zementmarkt und in den Märkten für verwandte Produkte in Verbindung mit dem Beschluss über die Einleitung des Verfahrens dem Mindestmaß an Klarheit entspricht, das es erlaubt, die Einhaltung der Vorschriften von Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 zu bejahen“.

27

Die Kommission hat insoweit im sechsten Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses die Rechtsmittelführerin ersucht, den Fragebogen in Anhang I des Beschlusses zu beantworten. Wie der Generalanwalt in Nr. 46 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, sind die dort aufgeführten Fragen außerordentlich zahlreich und betreffen ganz unterschiedliche Arten von Auskünften. Insbesondere erfordert der Fragebogen die Übermittlung äußerst breit gestreuter und detaillierter Informationen über eine erhebliche Zahl nationaler und internationaler Geschäfte, die zwölf Mitgliedstaaten und einen Zeitraum von zehn Jahren betreffen. Die den Erlass des streitigen Beschlusses rechtfertigenden Verdachtsmomente für eine Zuwiderhandlung bringt der Beschluss jedoch nicht klar und eindeutig zum Ausdruck, und es lässt sich nicht feststellen, ob die verlangten Auskünfte für die Untersuchung notwendig sind.

28

Insbesondere vor dem Hintergrund des erheblichen Umfangs des Fragebogens in Anhang I des streitigen Beschlusses, der nach den Angaben im sechsten Erwägungsgrund des Beschlusses den von den untersuchten Unternehmen während der gesamten Untersuchung übermittelten Auskünften bereits Rechnung trägt, enthalten seine ersten beiden Erwägungsgründe nämlich nur eine äußerst knappe, vage und allgemein gehaltene Begründung.

29

In diesen beiden Erwägungsgründen heißt es:

„(1)

Die Kommission untersucht derzeit mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Zement, auf Zement basierenden Produkten und anderen Materialien, die der Erzeugung von Zement [und] auf Zement basierenden Produkten dienen …, in der Europäischen Union/im Europäischen Wirtschaftsraum (EU/EWR).

(2)

… Bei den mutmaßlichen Zuwiderhandlungen handelt es sich um Einschränkungen des Handelsverkehrs im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), einschließlich der Einschränkung von Einfuhren in den EWR aus Ländern außerhalb des EWR, um Marktaufteilung, um Preisabsprachen und [um] andere verbundene wettbewerbswidrige Praktiken in den Märkten für Zement und verwandte Produkte. Sollte sich das Vorliegen eines solchen Verhaltens bestätigen, so könnte dies einen Verstoß gegen Artikel 101 AEUV und/oder Artikel 53 EWR-Abkommen darstellen.“

30

Im sechsten Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses wird hinzugefügt, dass „der Anhang I zusätzliche Informationen [verlangt], die ebenfalls notwendig sind, damit die Kommission in voller Kenntnis des Sachverhalts und der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen prüfen kann, ob die untersuchten Praktiken mit den [Wettbewerbsvorschriften der Europäischen Union] vereinbar sind“.

31

Eine solche Begründung lässt weder die von der Untersuchung betroffenen Produkte noch die den Erlass des streitigen Beschlusses rechtfertigenden Verdachtsmomente für eine Zuwiderhandlung mit hinreichender Bestimmtheit erkennen. Sie ermöglicht es daher weder dem betroffenen Unternehmen, die Notwendigkeit der angeforderten Auskünfte für die Untersuchung zu prüfen, noch dem Unionsrichter, seine Kontrolle auszuüben.

32

Nach der in Rn. 16 dieses Urteils angeführten Rechtsprechung ist die Frage, ob die Begründung des streitigen Beschlusses den Anforderungen von Art. 296 AEUV genügt, zwar nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen, sondern auch anhand des Kontexts seines Erlasses, zu dem u. a der Beschluss über die Einleitung des Verfahrens gehört, wie der Generalanwalt in Nr. 43 seiner Schlussanträge ausgeführt hat.

33

Die Begründung des Einleitungsbeschlusses vermag den knappen, vagen und allgemeinen Charakter der Begründung des streitigen Beschlusses jedoch nicht wettzumachen.

34

Zunächst ist nämlich die mutmaßliche Zuwiderhandlung auch im Beschluss über die Einleitung des Verfahrens äußerst knapp, vage und allgemein formuliert; danach handelt es sich „um die Beschränkung des Handelsverkehrs im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), einschließlich der Beschränkung von Einfuhren in den EWR [aus] Länder[n] außerhalb des EWR, um Marktaufteilung, um Preisabsprachen und [um] andere verbundene wettbewerbswidrige Praktiken“.

35

Sodann sind im Beschluss über die Einleitung des Verfahrens, ebenso wie im streitigen Beschluss, hinsichtlich der von der Untersuchung erfassten Waren die Märkte für Zement und für verwandte Produkte genannt. Zwar wird präzisiert, dass „[d]er Begriff ‚Zement und verwandte Produkte‘ … Zement, auf Zement basierende Produkte (wie z. B. Transportbeton) und andere Materialien [umfasst], die mittelbar oder unmittelbar für die Produktion von auf Zement basierenden Produkten verwendet werden (wie z. B. Klinker, Zuschlagstoffe, Hochofenschlacke, Hüttensand, Hüttensandmehl, Flugasche)“, doch sind die von der Untersuchung betroffenen Produkte dort nur beispielhaft aufgeführt.

36

Schließlich ist die Begründung des streitigen Beschlusses in Verbindung mit dem Beschluss über die Einleitung des Verfahrens in Bezug auf die räumliche Erstreckung der mutmaßlichen Zuwiderhandlung mehrdeutig. Darin heißt es nämlich, dass sich die mutmaßliche Zuwiderhandlung auf das Gebiet der Union oder des EWR erstrecke. Im drei Monate zuvor ergangenen Beschluss über die Einleitung des Verfahrens ist hingegen von mutmaßlichen Zuwiderhandlungen die Rede, deren räumlicher Anwendungsbereich „insbesondere“ Belgien, die Tschechische Republik, Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich und das Vereinigte Königreich umfasse. Die Mehrdeutigkeit der Begründung des streitigen Beschlusses in Verbindung mit dem Beschluss über die Einleitung des Verfahrens wird dabei durch den Inhalt des dem streitigen Beschluss als Anhang beigefügten Fragebogens verstärkt, der über die zehn oben angeführten Mitgliedstaaten hinaus auch in Dänemark und in Griechenland getätigte Geschäfte erfasst.

37

Es trifft zu, dass es sich bei einem Auskunftsverlangen, wie die Kommission hervorhebt, um eine typischerweise im Rahmen der Voruntersuchung, die der Mitteilung der Beschwerdepunkte vorausgeht, eingesetzte Ermittlungsmaßnahme handelt, deren Zweck allein darin besteht, es der Kommission zu ermöglichen, die zur Prüfung des Vorliegens und der Tragweite einer bestimmten Sach- und Rechtslage erforderlichen Auskünfte einzuholen und Unterlagen zu beschaffen (vgl. in diesem Sinne Urteil Orkem/Kommission, 374/87, EU:C:1989:387, Rn. 21).

38

Zudem hat der Gerichtshof zu Nachprüfungsbeschlüssen entschieden, dass die Kommission zwar möglichst genau angeben muss, wonach gesucht wird und auf welche Punkte sich die Nachprüfung erstrecken soll, doch muss aus einem Nachprüfungsbeschluss nicht zwingend eine genaue Abgrenzung des relevanten Markts, die exakte rechtliche Qualifizierung der mutmaßlichen Zuwiderhandlungen oder der Zeitraum, in dem sie begangen worden sein sollen, hervorgehen. Diese Erwägung hat er damit begründet, dass die Nachprüfungen zu Beginn der Untersuchung stattfinden, also zu einer Zeit, zu der die Kommission noch nicht über genaue Informationen verfügt (vgl. in diesem Sinne Urteil Nexans und Nexans France/Kommission, C‑37/13 P, EU:C:2014:2030, Rn. 36 und 37).

39

Eine äußerst knappe, vage und allgemein gehaltene sowie in mancher Hinsicht mehrdeutige Begründung kann jedoch nicht den Begründungserfordernissen genügen, unter denen nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 ein Auskunftsverlangen gerechtfertigt ist, das wie in der vorliegenden Rechtssache mehr als zwei Jahre nach den ersten Nachprüfungen ergangen ist, nachdem die Kommission bereits mehrere Auskunftsverlangen an die der Teilnahme an einer Zuwiderhandlung verdächtigten Unternehmen gerichtet hatte und mehrere Monate nach dem Beschluss über die Einleitung des Verfahrens. In Anbetracht dessen ist festzustellen, dass der streitige Beschluss erlassen wurde, als die Kommission bereits über Informationen verfügte, die es ihr ermöglicht hätten, die Verdachtsmomente für eine Zuwiderhandlung der betreffenden Unternehmen mit größerer Bestimmtheit zu formulieren.

40

Dem Gericht ist mithin ein Rechtsfehler unterlaufen, als es in Rn. 43 des angefochtenen Urteils entschied, dass der streitige Beschluss rechtlich hinreichend begründet sei.

41

Nach alledem ist dem ersten Rechtsmittelgrund stattzugeben.

42

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, weil das Gericht die Begründung des streitigen Beschlusses als den Anforderungen von Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 genügend eingestuft hat, ohne dass die Rüge einer unzureichenden Begründung des angefochtenen Urteils oder die übrigen von der Rechtsmittelführerin angeführten Gründe zu prüfen sind.

Zur Klage vor dem Gericht

43

Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, falls er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist. Dies ist hier der Fall.

44

Aus den Rn. 27 bis 40 des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass der im ersten Rechtszug geltend gemachte erste Klagegrund begründet ist und dass der streitige Beschluss wegen eines Verstoßes gegen Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 für nichtig zu erklären ist.

Kosten

45

Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet er über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

46

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

47

Da die Rechtsmittelführerin beantragt hat, der Kommission die Kosten aufzuerlegen, und die Kommission unterlegen ist, sind ihr sowohl die durch das Verfahren im ersten Rechtszug in der Rechtssache T‑302/11 als auch die durch das Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 14. März 2014, HeidelbergCement/Kommission (T‑302/11, EU:T:2014:128), wird aufgehoben.

 

2.

Der Beschluss C(2011) 2361 endgültig der Kommission vom 30. März 2011 in einem Verfahren nach Artikel 18 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates (Sache COMP/39520 – Zement und verwandte Produkte) wird für nichtig erklärt.

 

3.

Die Europäische Kommission trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten, die der HeidelbergCement AG durch das Verfahren im ersten Rechtszug in der Rechtssache T‑302/11 und durch das Rechtsmittelverfahren entstanden sind.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.