Rechtssache C-465/10
Ministre de l’Intérieur, de l’Outre-mer, des Collectivités territoriales et de l’Immigration
gegen
Chambre de commerce et d’industrie de l’Indre
(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État [Frankreich])
„Vorabentscheidungsersuchen – Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union – Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 – Art. 3 – Strukturfonds – Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 – Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 – Öffentlicher Auftraggeber, der einen Zuschuss aus den Strukturfonds erhält – Nichteinhaltung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge durch den Empfänger eines EFRE-Zuschusses – Grundlage für die Verpflichtung, einen Zuschuss der Union im Fall von Unregelmäßigkeiten zurückzufordern – Begriff ‚Unregelmäßigkeit‘ – Begriff ‚andauernde Unregelmäßigkeit‘ – Rückforderungsmodalitäten – Verjährungsfrist – Längere nationale Verjährungsfristen – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“
Leitsätze des Urteils
1. Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt – Strukturinterventionen – Gemeinschaftsfinanzierung – Streichung eines Zuschusses aufgrund von Unregelmäßigkeiten – Wiedereinziehungspflicht – Rechtsgrundlage
(Verordnungen des Rates Nr. 2052/88, Art. 7 Abs. 1, und Nr. 4253/88, Art. 23 Abs. 1 dritter Gedankenstrich; Richtlinie 92/50 des Rates)
2. Eigenmittel der Europäischen Union – Verordnung über den Schutz der finanziellen Interessen der Union – Unregelmäßigkeit – Begriff
(Verordnung Nr. 2988/95 des Rates, Art. 1; Richtlinie 92/50 des Rates)
3. Eigenmittel der Europäischen Union – Verordnung über den Schutz der finanziellen Interessen der Union – Andauernde Unregelmäßigkeit – Verjährungsfrist – Unterbrechungshandlung
(Verordnung Nr. 2988/95 des Rates, Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3; Richtlinie 92/50 des Rates)
4. Eigenmittel der Europäischen Union – Verordnung über den Schutz der finanziellen Interessen der Union – Verfolgung von Unregelmäßigkeiten – Verjährungsfrist
(Verordnung Nr. 2988/95 des Rates, Art. 3 Abs. 3)
1. Art. 23 Abs. 1 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 4253/88 zur Durchführung der Verordnung Nr. 2052/88 hinsichtlich der Koordinierung der Interventionen der verschiedenen Strukturfonds einerseits und zwischen diesen und den Interventionen der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente andererseits in der durch die Verordnung Nr. 2082/93 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88 über Aufgaben und Effizienz der Strukturfonds und über die Koordinierung ihrer Interventionen untereinander sowie mit denen der Europäischen Entwicklungsbank und der anderen vorhandenen Finanzinstrumente in der durch die Verordnung Nr. 2081/93 geänderten Fassung stellt eine Rechtsgrundlage dar, die es den nationalen Behörden – ohne dass es einer Ermächtigung durch das nationale Recht bedarf – ermöglicht, einen im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gewährten Zuschuss in seiner Gesamtheit vom Begünstigten mit der Begründung zurückzufordern, dass dieser in seiner Eigenschaft als „öffentlicher Auftraggeber“ im Sinne der Richtlinie 92/50/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge in der durch die Richtlinie 93/36 geänderten Fassung die Vorschriften dieser Richtlinie über die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags zur Durchführung einer Aktion, für die er diesen Zuschuss erhalten hat, missachtet hat.
(vgl. Randnr. 41, Tenor 1)
2. Es stellt eine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften dar, wenn der öffentliche Auftraggeber, dem im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung ein Zuschuss gewährt wurde, bei der Vergabe des Auftrags zur Durchführung der bezuschussten Aktion die Regeln über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge in der durch die Richtlinie 93/36 geänderten Fassung missachtet; dies gilt auch dann, wenn die zuständige nationale Behörde zum Zeitpunkt der Gewährung dieses Zuschusses wissen musste, dass der Begünstigte bereits darüber entschieden hatte, wen er mit der Durchführung der bezuschussten Aktion beauftragen würde.
(vgl. Randnr. 49, Tenor 2)
3. Hat der Empfänger eines im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gewährten Zuschusses in seiner Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber bei der Vergabe des Auftrags zur Durchführung der bezuschussten Aktion die Vorschriften über das öffentliche Auftragswesen der Richtlinie 92/50 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge in der durch die Richtlinie 93/36 geänderten Fassung missachtet,
– ist die Unregelmäßigkeit als eine „andauernde Unregelmäßigkeit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften anzusehen, so dass die dort für die Rückforderung des dem Begünstigten rechtswidrig gezahlten Zuschusses vorgesehene vierjährige Verjährungsfrist am Tag der Beendigung der Ausführung des rechtswidrig vergebenen öffentlichen Auftrags beginnt;
– stellt die Übermittlung eines Kontrollberichts, in dem die Missachtung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge festgestellt und der nationalen Behörde deshalb die Rückforderung der gezahlten Beträge empfohlen wird, an den Zuschussempfänger eine hinreichend bestimmte Ermittlungs‑ oder Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 dar.
(vgl. Randnr. 62, Tenor 3)
4. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verwehrt es den Mitgliedstaaten, im Rahmen der ihnen nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften eingeräumten Befugnis auf die Rückforderung eines rechtswidrig aus dem Unionshaushalt erlangten Vorteils eine 30-jährige Verjährungsfrist anzuwenden.
Im Hinblick auf das Ziel, die finanziellen Interessen der Union zu schützen, für das der Unionsgesetzgeber bereits eine Verjährungsfrist von vier Jahren – oder sogar von drei Jahren – als ausreichend angesehen hat, um den nationalen Behörden die Verfolgung einer diese finanziellen Interessen beeinträchtigenden Unregelmäßigkeit zu ermöglichen und eine Maßnahme wie die Rückforderung eines zu Unrecht erlangten Vorteils zu erlassen, zeigt sich jedoch, dass es über das für eine sorgfältige Verwaltung Erforderliche hinausgeht, den Behörden hierfür eine Frist von 30 Jahren einzuräumen.
(vgl. Randnrn. 65-66, Tenor 4)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)
21. Dezember 2011(*)
„Vorabentscheidungsersuchen – Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union – Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 – Art. 3 – Strukturfonds – Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 – Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 – Öffentlicher Auftraggeber, der einen Zuschuss aus den Strukturfonds erhält – Nichteinhaltung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge durch den Empfänger eines EFRE-Zuschusses – Grundlage für die Verpflichtung, einen Zuschuss der Union im Fall von Unregelmäßigkeiten zurückzufordern – Begriff ‚Unregelmäßigkeit‘ – Begriff ‚andauernde Unregelmäßigkeit‘ – Rückforderungsmodalitäten – Verjährungsfrist – Längere nationale Verjährungsfristen – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“
In der Rechtssache C‑465/10
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Frankreich) mit Entscheidung vom 5. Juli 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 27. September 2010, in dem Verfahren
Ministre de l’Intérieur, de l’Outre-mer, des Collectivités territoriales et de l’Immigration
gegen
Chambre de commerce et d’industrie de l’Indre
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Richter K. Schiemann und L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und B. Cabouat als Bevollmächtigte,
– der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar als Bevollmächtigten,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Steiblytė und J.‑P. Keppenne als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 15. September 2011
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft im Wesentlichen die Auslegung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1) und der Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 des Rates vom 19. Dezember 1988 zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 hinsichtlich der Koordinierung der Interventionen der verschiedenen Strukturfonds einerseits und zwischen diesen und den Interventionen der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente andererseits (ABl. L 374, S. 1) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2082/93 des Rates vom 20. Juli 1993 (ABl. L 193, S. 20) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 4253/88).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Ministre de l’Intérieur, de l’Outre-mer, des Collectivités territoriales et de l’Immigration (Minister für Inneres, die Überseegebiete, die Gebietskörperschaften und Einwanderung) und der Chambre de commerce et d’industrie de l’Indre (Industrie- und Handelskammer des Departements Indre, im Folgenden: CCI Indre), in dem es insbesondere um die Rückzahlung eines Zuschusses geht, den die CCI Indre im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) erhalten hat (im Folgenden: EFRE-Zuschuss).
Rechtlicher Rahmen
Die Strukturfondsverordnungen
3 Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 des Rates vom 24. Juni 1988 über Aufgaben und Effizienz der Strukturfonds und über die Koordinierung ihrer Interventionen untereinander sowie mit denen der Europäischen Investitionsbank und der anderen vorhandenen Finanzinstrumente (ABl. L 185, S. 9) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2081/93 des Rates vom 20. Juli 1993 (ABl. L 193, S. 5) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2052/88) bestimmt:
„Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht und Kontrolle
(1) Die Aktionen, die Gegenstand einer Finanzierung durch die Strukturfonds oder einer Finanzierung der [Europäischen Investitionsbank (EIB)] oder eines sonstigen vorhandenen Finanzinstruments sind, müssen den Bestimmungen der Verträge und der aufgrund der Verträge erlassenen Rechtsakte sowie den Gemeinschaftspolitiken, insbesondere hinsichtlich der … Vergabe öffentlicher Aufträge … entsprechen.“
4 In Art. 23 der Verordnung Nr. 4253/88 heißt es:
„Finanzkontrolle
(1) Um den erfolgreichen Abschluss der von öffentlichen oder privaten Trägern durchgeführten Maßnahmen zu gewährleisten, treffen die Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Aktionen die erforderlichen Maßnahmen, um
– regelmäßig nachzuprüfen, dass die von der Kommission finanzierten Aktionen ordnungsgemäß ausgeführt worden sind,
– Unregelmäßigkeiten zu verhindern und zu ahnden,
– infolge von Unregelmäßigkeiten oder Fahrlässigkeit verloren gegangene Beträge zurückzufordern. Falls der Mitgliedstaat [und/oder die zwischengeschaltete Stelle] und/oder der Träger nicht den Nachweis erbringt, dass die Unregelmäßigkeiten oder die Fahrlässigkeit ihnen nicht anzulasten sind, ist der Mitgliedstaat subsidiär für die Zurückzahlung der nicht rechtmäßig gezahlten Beträge verantwortlich. …
Die Mitgliedstaaten setzen die Kommission von den zu diesem Zweck getroffenen Maßnahmen in Kenntnis und übermitteln ihr insbesondere eine Beschreibung der Kontroll- und Verwaltungssysteme, die für die wirksame Durchführung der Aktionen eingerichtet worden sind. Sie unterrichten die Kommission regelmäßig über den Verlauf administrativer und gerichtlicher Verfahren.
…“
5 Art. 8 der Entscheidung 94/1060/EG der Kommission vom 16. Dezember 1994 zur Genehmigung der in einem Dokument zusammengefassten Programmplanung für die Strukturinterventionen der Gemeinschaft in der in Frankreich unter Ziel 2 fallenden Region Centre (ABl. L 384, S. 83) sieht vor:
„Das Dokument der Programmplanung ist in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit den … Gemeinschaftsrichtlinien über die Koordinierung der Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge, auszuführen.“
Die Richtlinie 92/50/EWG
6 Nach Art. 1 Buchst. a Unterabs. 1 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) in der durch die Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 199, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 92/50) gelten als „öffentliche Dienstleistungsaufträge“ grundsätzlich die zwischen einem Dienstleistungserbringer und einem öffentlichen Auftraggeber geschlossenen schriftlichen entgeltlichen Verträge, und nach Art. 1 Buchst. b Abs. 1 dieser Richtlinie gelten als „öffentliche Auftraggeber“ grundsätzlich der Staat, Gebietskörperschaften, Einrichtungen des öffentlichen Rechts und Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen bestehen.
7 Die Richtlinie 92/50 gilt gemäß ihrem Art. 7 für öffentliche Aufträge für Dienstleistungen, deren geschätzter Wert ohne Mehrwertsteuer 200 000 Euro oder mehr beträgt.
Die Verordnung Nr. 2988/95
8 In den Erwägungsgründen 3 und 5 der Verordnung Nr. 2988/95 heißt es: „Es ist … wichtig, in allen Bereichen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften zu bekämpfen. … Die Verhaltensweisen, die Unregelmäßigkeiten darstellen, sowie die verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und die entsprechenden Sanktionen sind im Einklang mit dieser Verordnung in sektorbezogenen Regelungen vorgesehen.“
9 Art. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 bestimmt:
„(1) Zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften wird eine Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht getroffen.
(2) Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe.“
10 In Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 heißt es:
„(1) Die Verjährungsfrist für die Verfolgung beträgt vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Artikel 1 Absatz 1. Jedoch kann in den sektorbezogenen Regelungen eine kürzere Frist vorgesehen werden, die nicht weniger als drei Jahre betragen darf.
Bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten beginnt die Verjährungsfrist an dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird. Bei den mehrjährigen Programmen läuft die Verjährungsfrist auf jeden Fall bis zum endgültigen Abschluss des Programms.
Die Verfolgungsverjährung wird durch jede der betreffenden Person zur Kenntnis gebrachte Ermittlungs‑ oder Verfolgungshandlung der zuständigen Behörde unterbrochen. Nach jeder eine Unterbrechung bewirkenden Handlung beginnt die Verjährungsfrist von neuem.
…
(3) Die Mitgliedstaaten behalten die Möglichkeit, eine längere Frist als die in Absatz 1 … vorgesehene Frist anzuwenden.“
11 Art. 4 Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 2988/95 sieht vor:
„(1) Jede Unregelmäßigkeit bewirkt in der Regel den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils
– durch Verpflichtung zur Zahlung des geschuldeten oder Rückerstattung des rechtswidrig erhaltenen Geldbetrags;
…
(4) Die in diesem Artikel vorgesehenen Maßnahmen stellen keine Sanktionen dar.“
Sachverhalt und Vorlagefragen
12 Am 5. Dezember 1995 beantragte die CCI Indre beim Präfekten des Departements Indre (im Folgenden: Präfekt) einen EFRE-Zuschuss für die Durchführung einer Aktion namens „Objectif Entreprises“, durch die französische und ausländische Investoren gefunden werden sollten, die bereit wären, sich im Departement Indre niederzulassen.
13 Dieser Antrag führte am 20. Dezember 1996 zur Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen dem Präfekten und der CCI Indre über die Gewährung eines EFRE-Zuschusses in Höhe von insgesamt 400 000 FRF (60 979,60 Euro). In der Vereinbarung wurde u. a. auf die Verordnungen Nrn. 2081/93 und 2082/93 Bezug genommen. Der Zuschuss wurde in zwei Tranchen ausgezahlt, die erste in Höhe von 100 000 FRF am 17. Dezember 1997 und die zweite in Höhe von 300 000 FRF am 8. Dezember 1998.
14 Ferner ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass der CCI Indre für denselben Zweck auch zwei nationale Zuschüsse gewährt wurden. Darüber hinaus sollen andere Gebietskörperschaften zu dem genannten Projekt weitere finanzielle Zuschüsse geleistet haben.
15 Die Durchführung der Aktion „Objectif Entreprises“ wurde gemäß einer schriftlichen Auftragsbeschreibung des Präfekten der Region Centre vom 9. Mai 2000 einer Kontrolle unterzogen. Diese wurde am 14. Juni 2000 in den Räumlichkeiten der CCI durchgeführt und mit einem Bericht vom 14. März 2001 abgeschlossen, der der CCI Indre am 18. Juli 2001 übermittelt wurde. Dieser mit „Audit sur l’utilisation des Fonds structurels européens“ (Prüfung der Verwendung europäischer Strukturfonds) überschriebene Bericht gelangte insbesondere zu dem Ergebnis, dass der von der CCI Indre an die Firma DDB-Needham vergebene Auftrag zur Durchführung dieser Aktion gegen die Rechtsvorschriften über das öffentliche Beschaffungswesen verstoße.
16 In diesem Bericht hieß es insoweit, dass die CCI Indre eine Ausschreibung veranstaltet habe, die im Bulletin officiel des annonces des marchés publics (BOAMP) vom 4. November 1995 bekannt gemacht worden sei. Der Vergabeausschuss der CCI Indre habe in seiner Sitzung am 8. Dezember 1995 beschlossen, den fraglichen Auftrag an die Firma DDB-Needham zu vergeben; deren Angebot sei wegen des interessanten Projektinhalts und der geringeren Kosten dem einzigen anderen ordnungsgemäßen Angebot vorzuziehen.
17 Jedoch sei der Vertrag zwischen der CCI Indre und DDB-Needham zwar unterzeichnet, jedoch nicht datiert worden, und die CCI Indre habe dem Präfekten am 27. September 1995 einen zusammenfassenden Vermerk über den Stand des Projekts mit dem Hinweis übermittelt, dass „die Wahl der [CCI] auf die Agentur DDB‑Needham gefallen ist“.
18 Der Bericht gelangte somit zu dem Ergebnis, dass „aus diesen Gründen anzunehmen ist, dass das spätere Vergabeverfahren lediglich dazu diente, die im Hinblick auf den (nicht datierten) Vertrag bereits bestehende Rechtslage förmlich abzusichern“. Da diese unstimmige zeitliche Abfolge faktisch eine Unregelmäßigkeit darstelle, wäre bei Einhaltung der Vorschriften über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, insbesondere die Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, unter Umständen ein gleichwertiges Angebot zu einem niedrigeren Preis abgegeben worden. Deshalb sei es gerechtfertigt, die Rückzahlung des gesamten EFRE-Zuschusses zu verlangen.
19 Mit Entscheidung vom 23. Januar 2002 teilte der Präfekt der CCI Indre mit, dass sie die Zuschüsse, insbesondere die im Rahmen des EFRE erhaltenen, zurückzahlen müsse, da sie bei der Beauftragung des Dienstleisters mit der Durchführung der Aktion „Objectif Entreprises“ die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht eingehalten habe.
20 Die CCI Indre erhob Widerspruch gegen die Vollstreckung der vom Präfekten in Höhe der geforderten Beträge ausgestellten Zahlungsbescheide. Dieser Widerspruch wurde mit stillschweigender Entscheidung des Trésorier-Payeur général (Leiter der Finanzverwaltung) zurückgewiesen.
21 Die CCI Indre erhob daraufhin beim Tribunal administratif de Limoges Klagen u. a. auf Nichtigerklärung der Entscheidung des Präfekten vom 23. Januar 2002, die mit Urteilen vom 3. Juni 2004 abgewiesen wurden.
22 Auf das Rechtsmittel der CCI Indre hob die Cour administrative d’appel de Bordeaux mit Urteil vom 12. Juni 2007 die genannten Urteile auf und erklärte u. a. die Entscheidung des Präfekten vom 23. Januar 2002 sowie die von diesem ausgestellten Zahlungsbescheide für nichtig. Dieses Gericht stellte insoweit fest, dass die Präfektur mit Schreiben der CCI Indre vom 27. September 1995 von deren Entscheidung in Kenntnis gesetzt worden sei, die Dienste der Firma DDB-Needham in Anspruch zu nehmen. Sie habe somit vor Beginn des Ausschreibungsverfahrens von dieser Entscheidung erfahren, denn zum einen sei der Vergabeausschuss, der vorgeschlagen habe, dem Angebot dieses Unternehmens den Zuschlag zu erteilen, am 8. Dezember 1995 zusammengetreten und zum anderen sei der Vertrag über die Vergabe des Auftrags am 29. Mai 1996 im Beisein des Präfekten unterzeichnet worden.
23 Die Cour administrative d’appel de Bordeaux stellte fest, dass die CCI Indre zwar gegen die Ausschreibungsregeln verstoßen habe, die für sie hinsichtlich der Vergabe dieses Auftrags gegolten hätten, der im Übrigen nicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ausgeschrieben worden sei, wies jedoch darauf hin, dass die Vereinbarung zwischen dem Präfekten und der CCI Indre über die Gewährung des EFRE-Zuschusses keinerlei Hinweis auf die Vergabe eines Auftrags enthalte, dass diese Vereinbarung nicht die Übermittlung sämtlicher Unterlagen vorgesehen habe, die eine Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge ermöglicht hätten, und dass Art. 4 der Verordnung Nr. 2988/95 weder zum Ziel noch zur Folge habe, es den nationalen Behörden zu ermöglichen, aus Gemeinschaftsfonds gewährte Zuschüsse außer in den vom nationalen Recht vorgesehenen Fällen zurückzufordern.
24 Die Cour administrative d’appel gelangte somit zu dem Schluss, dass zum einen weder eine der von der beklagten Verwaltung geltend gemachten Vorschriften noch die Vereinbarung vom 20. Dezember 1996 über die Gewährung des EFRE-Zuschusses diesen an die Voraussetzung geknüpft habe, dass die von der CCI Indre zur Durchführung dieser Aktion gegebenenfalls vergebenen Aufträge den Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge entsprächen. Zum anderen könne, da die Behörden von der Wahl der Firma DDB-Needham seit dem 27. September 1995, also vor Beginn des Ausschreibungsverfahrens, Kenntnis gehabt hätten, nicht davon ausgegangen werden, dass die in der Folge gewährten Zuschüsse stillschweigend unter der Voraussetzung gewährt worden seien, dass eine derartige Bedingung eingehalten werde.
25 Mit Rechtsmittelschrift, die am 16. August 2007 beim Conseil d’État einging, legte der Ministre de l’Intérieur, de l’Outre-mer, des Collectivités territoriales et de l’Immigration gegen das Urteil der Cour administrative d’appel de Bordeaux vom 12. Juni 2007 Rechtsmittel ein.
26 Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Zur rechtlichen Grundlage für eine Verpflichtung zur Rückforderung der an die CCI gezahlten Beihilfe:
Gibt es, wenn ein öffentlicher Auftraggeber, an den Zuschüsse im Rahmen des EFRE gezahlt wurden, eine oder mehrere Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge für die Durchführung der bezuschussten Aktion nicht beachtet hat, während im Übrigen unstreitig ist, dass die Aktion förderfähig und durchgeführt worden ist, eine Vorschrift im Gemeinschaftsrecht, insbesondere in den Verordnungen Nrn. 2052/88 und 4253/88, die eine Verpflichtung zur Rückforderung der Zuschüsse begründet? Gilt, falls es sie gibt, diese Verpflichtung für jeden Verstoß gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge oder lediglich für bestimmte Verstöße? Wenn nur für bestimmte, für welche?
2. Zu den Modalitäten der Rückforderung einer zu Unrecht gezahlten Beihilfe (bei einer zumindest teilweisen Bejahung der ersten Frage):
a) Stellt die Missachtung einer oder mehrerer Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge durch den öffentlichen Auftraggeber, dem eine Beihilfe im Rahmen des EFRE gewährt wurde, bei der Wahl des Dienstleisters, der mit der Durchführung der bezuschussten Aktion beauftragt wurde, eine Unregelmäßigkeit im Sinne der Verordnung Nr. 2988/95 dar? Hat der Umstand, dass der zuständigen nationalen Behörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung, die Beihilfe im Rahmen des EFRE zu gewähren, nicht verborgen geblieben sein konnte, dass der begünstigte Wirtschaftsteilnehmer die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge bei der noch vor der Gewährung der Beihilfe erfolgten Beauftragung des Dienstleisters mit der Durchführung der durch diese finanzierten Aktion nicht beachtet hatte, Auswirkung auf die Einordnung als Unregelmäßigkeit im Sinne der Verordnung Nr. 2988/95?
b) Bei Bejahung der Frage 2 a und aufgrund der nach der Entscheidung des Gerichtshofs [im Urteil vom 29. Januar 2009, Josef Vosding Schlacht‑, Kühl‑ und Zerlegebetriebe u. a., C‑278/07 bis C‑280/07, Slg. 2009, I‑457] bestehenden Möglichkeit, die in Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 geregelte Verjährungsfrist auf Verwaltungsmaßnahmen wie die Rückforderung einer Beihilfe anzuwenden, die ein Wirtschaftsteilnehmer wegen von ihm begangener Unregelmäßigkeiten zu Unrecht erlangt hat:
– Beginnt die Verjährungsfrist zum Zeitpunkt der Zahlung der Beihilfe an den Begünstigten oder zum Zeitpunkt der Verwendung des erhaltenen Zuschusses durch ihn zur Bezahlung des unter Missachtung einer oder mehrerer Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge beauftragten Dienstleisters?
– Wird diese Frist unterbrochen, wenn die zuständige nationale Behörde dem Empfänger des Zuschusses einen Kontrollbericht übermittelt, in dem die Missachtung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge festgestellt und der nationalen Behörde deshalb die Rückforderung der gezahlten Beträge empfohlen wird?
– Ist, wenn ein Mitgliedstaat von der ihm durch Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, eine längere Verjährungsfrist anzuwenden – insbesondere wenn in Frankreich die im entscheidungserheblichen Zeitraum allgemein geltende Frist des Art. 2262 des Code civil angewendet wird, der bestimmt: „Alle Ansprüche, sowohl dingliche als auch schuldrechtliche, verjähren innerhalb von 30 Jahren …“ –, die Vereinbarkeit einer solchen Frist mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, im Hinblick auf die Höchstdauer der Verjährung nach der nationalen Rechtsvorschrift, die als rechtliche Grundlage für die Rückforderung der nationalen Verwaltung dient, oder im Hinblick auf die im vorliegenden Fall tatsächlich angewandte Frist zu beurteilen?
c) Bei Verneinung der Frage 2 a: Hindern die finanziellen Interessen der Gemeinschaft den Richter daran, für die Zahlung einer Beihilfe wie der verfahrensgegenständlichen die nationalen Vorschriften über die Rücknahme anspruchsbegründender Entscheidungen anzuwenden, wonach die Verwaltung außer in den Fällen des Nichtbestehens, der Erlangung durch Betrug oder auf Antrag des Begünstigten eine anspruchsbegründende Einzelentscheidung, sofern sie rechtswidrig ist, nur innerhalb einer Frist von vier Monaten nach ihrem Erlass zurücknehmen kann, wobei allerdings eine individuelle Verwaltungsentscheidung, insbesondere wenn sie der Zahlung einer Beihilfe entspricht, mit auflösenden Bedingungen verbunden werden kann, deren Eintritt die Rücknahme der betreffenden Beihilfe ohne Einhaltung einer Frist zulässt, und diese nationale Regel nach einer Entscheidung des Conseil d’État so ausgelegt werden muss, dass sie von dem Empfänger einer Beihilfe, die zu Unrecht aufgrund einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift gewährt wurde, nur geltend gemacht werden kann, wenn er im guten Glauben war?
Zu den Vorlagefragen
Zu Frage 1
27 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 23 Abs. 1 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 4253/88 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88 unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Rechtsgrundlage darstellt, die es den nationalen Behörden ermöglicht, einen im Rahmen des EFRE gewährten Zuschuss in seiner Gesamtheit vom Begünstigten mit der Begründung zurückzufordern, dass dieser in seiner Eigenschaft als „öffentlicher Auftraggeber“ im Sinne der Richtlinie 92/50 deren Vorschriften über die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags zur Durchführung einer Aktion, für die er diesen Zuschuss erhalten hat, missachtet hat.
28 Im Ausgangsverfahren steht fest, dass die CCI Indre öffentlicher Auftraggeber war, dass der Auftragswert des öffentlichen Dienstleistungsauftrags über dem in Art. 7 der Richtlinie 92/50 vorgesehenen Schwellenwert von 200 000 Euro lag und dass die CCI Indre im Hinblick auf die Vergabe dieses Auftrags insbesondere dadurch, dass sie ihren Vertragspartner bereits vor der Vergabebekanntmachung ausgewählt hatte und diese Bekanntmachung nicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht wurde, nicht die in der Richtlinie 92/50 für diese Art von Aufträgen vorgesehenen Vergabevorschriften eingehalten hat.
29 Nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88 setzt die Gemeinschaftsfinanzierung eines Projekts voraus, dass sich der Begünstigte, wenn er „öffentlicher Auftraggeber“ im Sinne der Richtlinie 92/50 ist, an die Verfahren zur Vergabe „öffentlicher Dienstleistungsaufträge“ im Sinne dieser Richtlinie hält und dass der Auftragswert des öffentlichen Auftrags, in dessen Rahmen dieser Begünstigte das genannte Projekt durchführen will, über dem in Art. 7 der Richtlinie 92/50 vorgesehenen Schwellenwert liegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Januar 1998, Mannesmann Anlagenbau Austria u. a., C‑44/96, Slg. 1998, I‑73, Randnrn. 48 und 49).
30 Nach Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 treffen die Mitgliedstaaten, um den erfolgreichen Abschluss der von öffentlichen oder privaten Trägern durchgeführten Maßnahmen zu gewährleisten, bei der Durchführung der Aktionen die erforderlichen Maßnahmen, um regelmäßig nachzuprüfen, dass die von der Europäischen Union finanzierten Aktionen ordnungsgemäß ausgeführt worden sind, um Unregelmäßigkeiten zu verhindern und zu ahnden und um infolge von Unregelmäßigkeiten oder Fahrlässigkeit verloren gegangene Beträge zurückzufordern (vgl. Urteil vom 13. März 2008, Vereniging Nationaal Overlegorgaan Sociale Werkvoorziening u. a., C‑383/06 bis C‑385/06, Slg. 2008, I‑1561, Randnr. 37).
31 Da sich aus Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88 ausdrücklich ergibt, dass aus dem Unionshaushalt finanzierte Aktionen den Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge uneingeschränkt entsprechen müssen, stellt der Verstoß des Empfängers eines Unionszuschusses in seiner Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber gegen die Vorschriften, die die Richtlinie 92/50 für die Durchführung der bezuschussten Aktion vorsieht, eine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 dar, und sein Verhalten ist, je nach Lage des Falles, als „Unregelmäßigkeit“ oder „Fahrlässigkeit“ im Sinne dieser Vorschrift einzustufen.
32 Nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88 kann, wenn die Prüfung einer vom EFRE finanzierten Aktion ergibt, dass gegen die für die Durchführung dieser Aktion vorgeschriebenen Bedingungen – hier die Bedingung hinsichtlich der Einhaltung der Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge, wenn es sich bei dem Zahlungsempfänger um einen öffentlichen Auftraggeber handelt – verstoßen wurde, der Mitgliedstaat, der eine finanzielle Beteiligung des EFRE vergeben hat, diese zur Verhinderung und Ahndung von Unregelmäßigkeiten widerrufen und vom Begünstigten ihre Rückzahlung verlangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Januar 2004, COPPI, C‑271/01, Slg. 2004, I‑1029, Randnr. 48).
33 In diesem Zusammenhang stellt die Verordnung Nr. 4253/88 die für die Rückforderung einschlägige Rechtsgrundlage dar und nicht die Verordnung Nr. 2988/95, die lediglich allgemeine Regeln für Kontrollen und Sanktionen zum Schutz der finanziellen Interessen der Union aufstellt. Die Rückforderung hat also auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 zu erfolgen (vgl. Urteil Vereniging Nationaal Overlegorgaan Sociale Werkvoorziening u. a., Randnr. 39).
34 Die Ausübung eines Ermessens seitens des betroffenen Mitgliedstaats hinsichtlich der Frage, ob die Rückforderung der zu Unrecht oder vorschriftswidrig gewährten Gemeinschaftsmittel zweckmäßig ist, wäre allerdings mit der den Behörden in Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 auferlegten Verpflichtung, zu Unrecht oder vorschriftswidrig ausgezahlte Beträge wiedereinzuziehen, unvereinbar (vgl. Urteil Vereniging Nationaal Overlegorgaan Sociale Werkvoorziening u. a., Randnr. 38).
35 Daraus folgt, dass Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 für die Mitgliedstaaten eine Verpflichtung begründet, infolge von Unregelmäßigkeiten oder Fahrlässigkeit verloren gegangene Beträge zurückzufordern, ohne dass es einer Ermächtigung durch nationales Recht bedarf (vgl. Urteil Vereniging Nationaal Overlegorgaan Sociale Werkvoorziening u. a., Randnr. 40).
36 Dazu ist den Ausführungen der französischen Regierung folgend festzustellen, dass aufgrund einer solchen Unregelmäßigkeit rechtswidrig erhaltene Geldbeträge als nach dieser Vorschrift „infolge von Unregelmäßigkeiten oder Fahrlässigkeit [dieses Begünstigten] verloren gegangen“ anzusehen sind. Hinsichtlich der Verpflichtung zur Rückforderung der „infolge von Unregelmäßigkeiten oder Fahrlässigkeit verloren gegangenen Beträge“ heißt es nämlich anschließend in Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88, dass der Mitgliedstaat, sofern er und/oder die zwischengeschaltete Stelle und/oder der Träger nicht den Nachweis erbringt, dass die Unregelmäßigkeiten oder die Fahrlässigkeit ihnen nicht anzulasten sind, subsidiär für die Zurückzahlung der unregelmäßig gezahlten Beträge verantwortlich ist. Diese Vorschrift stellt somit die beiden Wendungen gleich.
37 Im Ausgangsverfahren stellt sich außerdem die Frage, ob die nationale Behörde, wenn der Empfänger eines Zuschusses in seiner Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber bei der Durchführung der Aktion die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge missachtet hat, auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 4253/88 die vollständige Rückzahlung des Zuschusses verlangen kann, obwohl die teilweise vom EFRE finanzierte Aktion tatsächlich durchgeführt wurde.
38 Dazu ist zum einen festzustellen, dass ein Verstoß gegen Verpflichtungen, deren Einhaltung für das ordnungsgemäße Funktionieren eines Gemeinschaftssystems von grundlegender Bedeutung ist, wie z. B. gegen die Verpflichtungen aus der Richtlinie 92/50 in Bezug auf vom EFRE finanzierte Aktionen, mit dem Verlust eines durch die Unionsregelung verliehenen Anspruchs geahndet werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Oktober 1995, Cereol Italia, C‑104/94, Slg. 1995, I‑2983, Randnr. 24, vom 24. Januar 2002, Conserve Italia/Kommission, C‑500/99 P, Slg. 2002, I‑867, Randnrn. 100 bis 102, sowie Beschluss vom 16. Dezember 2004, APOL und AIPO/Kommission, C‑222/03 P, Randnr. 53).
39 Zum anderen sind die infolge von Unregelmäßigkeiten oder Fahrlässigkeit verloren gegangenen Beträge nicht nur in den Fällen zurückzufordern, in denen die aus den Strukturfonds finanzierte Aktion überhaupt nicht oder nur zum Teil verwirklicht wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Januar 2006, Comunità montana della Valnerina/Kommission, C‑240/03 P, Slg. 2006, I‑731, Randnr. 77).
40 Es ist zwar, wie die Kommission geltend macht, nicht ausgeschlossen, dass die Feststellung einer geringfügigen Unregelmäßigkeit in Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur zu einer teilweisen Rückzahlung der gewährten Mittel führt, doch kann – wenn im Rahmen einer vom EFRE finanzierten Aktion festgestellt wird, dass der Begünstigte gegen eine der in der Richtlinie 92/50 vorgesehenen grundlegenden Verpflichtungen verstoßen hat, indem er z. B. vor Beginn des Ausschreibungsverfahrens und im Übrigen ohne Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union über die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags entschieden hat – nur durch die Möglichkeit, eine derartige Unregelmäßigkeit mit der vollständigen Streichung des Zuschusses zu ahnden, die für die ordnungsgemäße Verwaltung der Strukturfondsmittel erforderliche abschreckende Wirkung erzielt werden (vgl. entsprechend Urteil Conserve Italia/Kommission, Randnr. 101).
41 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 23 Abs. 1 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 4253/88 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88 unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Rechtsgrundlage darstellt, die es den nationalen Behörden – ohne dass es einer Ermächtigung durch das nationale Recht bedarf – ermöglicht, einen im Rahmen des EFRE gewährten Zuschuss in seiner Gesamtheit vom Begünstigten mit der Begründung zurückzufordern, dass er in seiner Eigenschaft als „öffentlicher Auftraggeber“ im Sinne der Richtlinie 92/50 deren Vorschriften über die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags zur Durchführung einer Aktion, für die er diesen Zuschuss erhalten hat, missachtet hat.
Zu Frage 2 a
42 Mit seiner Frage 2 a möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es eine „Unregelmäßigkeit“ im Sinne von Art. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 darstellt, wenn der öffentlichen Auftraggeber, dem ein EFRE-Zuschuss gewährt wurde, bei der Vergabe des Auftrags zur Durchführung der bezuschussten Aktion die Bestimmungen der Richtlinie 92/50 über die Vergabe öffentlicher Aufträge missachtet, und ob sich der Umstand, dass die zuständige nationale Behörde zum Zeitpunkt der Gewährung dieser Beihilfe wissen musste, dass der Begünstigte bereits darüber entschieden hatte, wen er mit der Durchführung der bezuschussten Aktion beauftragen würde, gegebenenfalls auf diese Beurteilung auswirkt.
43 Gemäß Art. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 ist der Tatbestand der Unregelmäßigkeit bei jedem Verstoß gegen eine Unionsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Union oder die Haushalte, die von ihr verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Union erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe.
44 Der Begriff „Unregelmäßigkeit“ im Sinne der Verordnung Nr. 2988/95 bezieht sich auf den Verstoß gegen eine Unionsbestimmung in Form einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers, so dass die Verjährungsregelung des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Verordnung nicht für die Verfolgung von Unregelmäßigkeiten gilt, die auf ein Verschulden der nationalen Behörden zurückzuführen sind, die im Namen und zulasten des Haushalts der Union einen finanziellen Vorteil gewähren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Januar 2009, Bayerische Hypotheken- und Vereinsbank, C‑281/07, Slg. 2009, I‑91, Randnrn. 20 bis 22).
45 Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens kann die CCI Indre als Empfängerin eines Zuschusses aus dem Unionshaushalt, trotz ihrer Eigenschaft als juristische Person des öffentlichen Rechts, im Hinblick auf die Anwendung der Verordnung Nr. 2988/95 einem Wirtschaftsteilnehmer gleichgestellt werden, dem ein Verstoß gegen eine Unionsbestimmung vorgeworfen wird. In diesem Zusammenhang ist allerdings unstreitig, dass dieser Verstoß gegen die Vorschriften der Richtlinie 92/50 über die Vergabe öffentlicher Aufträge auf einer Handlung der CCI Indre und nicht der Behörde beruht, die ihr im Namen und zulasten des Haushalts der Union einen EFRE-Zuschuss gewährt hat.
46 Da die Strukturfonds, wie sich insbesondere aus Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88 ergibt, nicht zur Finanzierung von Aktionen dienen dürfen, die gegen die Richtlinie 92/50 verstoßen, ergibt sich für den Haushalt der Union, wenn der Empfänger eines EFRE-Zuschusses in seiner Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber im Rahmen der Durchführung der bezuschussten Aktion gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge verstößt, eine ungerechtfertigte Ausgabe und somit ein Schaden.
47 Auch Unregelmäßigkeiten, die keine konkreten finanziellen Auswirkungen haben, können nämlich die finanziellen Belange der Union ernsthaft beeinträchtigen (vgl. Urteil vom 15. September 2005, Irland/Kommission, C‑199/03, Slg. 2005, I‑8027, Randnr. 31).
48 Dabei wirkt sich der Umstand, dass der Zuschussempfänger die zuständigen Behörden noch vor Beginn des Ausschreibungsverfahrens zur Vergabe des fraglichen öffentlichen Auftrags über den gewählten Vertragspartner informiert haben soll, als solcher nicht auf die Einstufung als „Unregelmäßigkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 aus (vgl. entsprechend Urteil vom 16. März 2006, Emsland-Stärke, C‑94/05, Slg. 2006, I‑2619, Randnr. 62).
49 Nach alledem ist auf Frage 2 a zu antworten, dass es eine „Unregelmäßigkeit“ im Sinne von Art. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 darstellt, wenn der öffentliche Auftraggeber, dem ein EFRE-Zuschuss gewährt wurde, bei der Vergabe des Auftrags zur Durchführung der bezuschussten Aktion die Vorschriften der Richtlinie 92/50 über die Vergabe öffentlicher Aufträge missachtet; dies gilt auch dann, wenn die zuständige nationale Behörde zum Zeitpunkt der Gewährung dieses Zuschusses wissen musste, dass der Begünstigte bereits darüber entschieden hatte, wen er mit der Durchführung der bezuschussten Aktion beauftragen würde.
Zu Frage 2 b erster und zweiter Gedankenstrich
50 Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage 2 b erster und zweiter Gedankenstrich wissen, ab wann die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 vorgesehene vierjährige Verjährungsfrist läuft, wenn der Empfänger eines EFRE-Zuschusses in seiner Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber bei der Vergabe des Auftrags zur Durchführung der bezuschussten Aktion die Vorschriften der Richtlinie 92/50 über die Vergabe öffentlicher Aufträge missachtet hat, und ob die Verjährungsfrist nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 unterbrochen wird, wenn dem Zuschussempfänger ein Kontrollbericht übermittelt wird, in dem die Missachtung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge festgestellt und der nationalen Behörde deshalb die Rückforderung der gezahlten Beträge empfohlen wird.
51 Mit Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 wurde, wie dargelegt, eine „Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht“ eingeführt, und zwar, wie sich aus dem dritten Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt, um „in allen Bereichen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften zu bekämpfen“.
52 Mit dem Erlass der Verordnung Nr. 2988/95 und insbesondere ihres Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 wollte der Unionsgesetzgeber für diesen Bereich eine allgemeine Verjährungsregelung einführen, mit der eine in allen Mitgliedstaaten geltende Mindestfrist festgelegt und die Rückforderung von zu Unrecht aus dem Unionshaushalt erlangten Beträgen nach Ablauf von vier Jahren seit Begehung der die streitigen Zahlungen betreffenden Unregelmäßigkeit ausgeschlossen werden sollte (Urteile vom 22. Dezember 2010, Corman, C‑131/10, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 39, und vom 5. Mai 2011, Ze Fu Fleischhandel und Vion Trading, C‑201/10 und C‑202/10, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 24).
53 Diese Verjährungsregelung gilt für Unregelmäßigkeiten im Sinne von Art. 4 der genannten Verordnung, die die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigen (vgl. Urteile vom 24. Juni 2004, Handlbauer, C‑278/02, Slg. 2004, I‑6171, Randnr. 34, und Josef Vosding Schlacht-, Kühl- und Zerlegebetrieb u. a., Randnr. 22).
54 Angesichts der Umstände des Ausgangsverfahrens wirft das vorlegende Gericht im Hinblick auf die Bestimmung des Beginns der Verjährungsfrist die Frage auf, ob auf den Zeitpunkt der Zahlung der Beihilfe an den Begünstigten oder auf den Zeitpunkt, zu dem der Begünstigte diesen Zuschuss zur Bezahlung des unter Missachtung der Vorschriften der Richtlinie 92/50 über die Vergabe öffentlicher Aufträge beauftragten Dienstleisters verwendet hat, abzustellen ist.
55 Da die Haushaltsmittel der Union nicht im Rahmen von Aktionen verwendet werden dürfen, die unter Verstoß gegen die Richtlinie 92/50 durchgeführt werden, sind die dem Begünstigten gewährten Mittel unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ab dem Zeitpunkt rechtswidrig, zu dem er gegen diese Vorschriften verstoßen hat.
56 Was einen derartigen Verstoß gegen die Ausschreibungsregeln in der Richtlinie 92/50 angeht, die erlassen wurde, um die Hemmnisse für den freien Dienstleistungsverkehr zu beseitigen und die Interessen der in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer zu schützen, die den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen öffentlichen Auftraggebern Dienstleistungen anbieten möchten (vgl. u. a. Urteil vom 18. Oktober 2001, SIAC Construction, C‑19/00, Slg. 2001, I‑7725, Randnr. 32), ist darauf hinzuweisen, dass die durch die Missachtung der Bestimmungen der Richtlinie 92/50 erfolgte Beeinträchtigung des freien Dienstleistungsverkehrs während der gesamten Dauer der Erfüllung der unter Verstoß gegen diese Richtlinie geschlossenen Verträge fortdauert (vgl. Urteile vom 10. April 2003, Kommission/Deutschland, C‑20/01 und C‑28/01, Slg. 2003, I‑3609, Randnr. 36, sowie vom 18. Juli 2007, Kommission/Deutschland, C‑503/04, Slg. 2007, I‑6153, Randnr. 29).
57 Obwohl nämlich einige Bestimmungen der Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge es den Mitgliedstaaten erlauben, die Wirkungen der unter Verstoß gegen diese Richtlinien geschlossenen Verträge aufrechtzuerhalten, und somit das berechtigte Vertrauen der Vertragspartner schützen, kann dies nicht, ohne die Tragweite der die Schaffung des Binnenmarkts betreffenden Bestimmungen des AEU-Vertrags zu beschränken, dazu führen, dass das Verhalten des Auftraggebers im Hinblick auf den Unionshaushalt nach Abschluss dieser Verträge als mit dem Unionsrecht konform anzusehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. April 2003, Kommission/Deutschland, Randnr. 39, und vom 18. Juli 2007, Kommission/Deutschland, Randnr. 33).
58 Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens währt der Verstoß des Empfängers eines EFRE-Zuschusses gegen die Vorschriften der Richtlinie 92/50 im Rahmen der Durchführung der bezuschussten Aktion, der zu einer ungerechtfertigten Ausgabe und damit zu einem Schaden für den Unionshaushalt führt, daher während der gesamten Dauer der Ausführung des vom Dienstleister mit dem Zuschussempfänger rechtswidrig geschlossenen Vertrags, so dass eine derartige Unregelmäßigkeit als eine „andauernde Unregelmäßigkeit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 anzusehen ist.
59 Nach dieser Vorschrift beginnt die Verjährungsfrist für die Rückforderung der dem Begünstigten rechtswidrig gezahlten Beihilfe an dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens beginnt die vierjährige Verjährungsfrist des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 demzufolge am Tag der Beendigung der Ausführung des rechtswidrig vergebenen öffentlichen Auftrags, da der auf die Durchführung der vom EFRE bezuschussten Aktion gerichtete Vertrag nicht gekündigt, sondern erfüllt wurde.
60 Zu der Frage, ob die Übermittlung eines Kontrollberichts, in dem ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge festgestellt wird, eine Ermittlungs‑ oder eine Verfolgungshandlung darstellt, durch die die Verjährungsfrist gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 unterbrochen werden kann, ist festzustellen, dass Verjährungsfristen allgemein den Zweck erfüllen, Rechtssicherheit zu gewährleisten, und dass dieser Zweck nicht vollständig erfüllt würde, wenn der Lauf der Verjährungsfrist des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 durch jede allgemeine Prüfungshandlung der nationalen Behörden auch ohne Zusammenhang mit dem Verdacht von Unregelmäßigkeiten in Bezug auf hinreichend genau bestimmte Geschäfte unterbrochen werden könnte (vgl. Urteil Handlbauer, Randnr. 40).
61 Übermitteln die nationalen Behörden einer Person jedoch einen Bericht, aus dem eine Unregelmäßigkeit hervorgeht, an der diese Person im Zusammenhang mit einer bestimmten Aktion mitgewirkt haben soll, fordern sie von ihr ergänzende Informationen zu dieser Aktion oder verhängen sie im Zusammenhang mit diesem Geschäft eine Sanktion gegen sie, so nehmen diese Behörden hinreichend bestimmte Ermittlungs‑ oder Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 vor (Urteil vom 28. Oktober 2010, SGS Belgium u. a., C‑367/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 69).
62 Nach alledem ist auf Frage 2 b erster und zweiter Gedankenstrich zu antworten, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in dem der Empfänger eines EFRE-Zuschusses in seiner Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber bei der Vergabe des Auftrags zur Durchführung der bezuschussten Aktion die Vorschriften der Richtlinie 92/50 über die Vergabe öffentlicher Aufträge missachtet hat,
– die in Rede stehende Unregelmäßigkeit als eine „andauernde Unregelmäßigkeit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 anzusehen ist, so dass die dort für die Rückforderung des dem Begünstigten rechtswidrig gezahlten Zuschusses vorgesehene vierjährige Verjährungsfrist am Tag der Beendigung der Ausführung des rechtswidrig vergebenen öffentlichen Auftrags beginnt;
– die Übermittlung eines Kontrollberichts, in dem die Missachtung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge festgestellt und der nationalen Behörde deshalb die Rückforderung der gezahlten Beträge empfohlen wird, an den Zuschussempfänger eine hinreichend bestimmte Ermittlungs‑ oder Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 darstellt.
Zu Frage 2 b dritter Gedankenstrich
63 Mit seiner Frage 2 b dritter Gedankenstrich möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Mitgliedstaat angesichts des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf die Rückforderung eines rechtswidrig aus dem Unionshaushalt erlangten Vorteils eine 30-jährige Verjährungsfrist als eine im Sinne des Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 längere Verjährungsfrist anwenden kann.
64 Die Mitgliedstaaten behalten im Rahmen der nach dieser Vorschrift vorgesehenen Möglichkeit ein weites Ermessen hinsichtlich der Festlegung längerer Verjährungsfristen, die sie im Fall einer die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigenden Unregelmäßigkeit anwenden möchten (Urteil Corman, Randnr. 54).
65 Im Hinblick auf das Ziel, die finanziellen Interessen der Union zu schützen, für das der Unionsgesetzgeber bereits eine Verjährungsfrist von vier Jahren – oder sogar von drei Jahren – als ausreichend angesehen hat, um den nationalen Behörden die Verfolgung einer diese finanziellen Interessen beeinträchtigenden Unregelmäßigkeit zu ermöglichen und eine Maßnahme wie die Rückforderung eines zu Unrecht erlangten Vorteils zu erlassen, zeigt sich jedoch, dass es über das für eine sorgfältige Verwaltung Erforderliche hinausgeht, den Behörden hierfür eine Frist von 30 Jahren einzuräumen (vgl. Urteil Ze Fu Fleischhandel und Vion Trading, Randnr. 43).
66 Deshalb ist auf Frage 2 b dritter Gedankenstrich zu antworten, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es den Mitgliedstaaten verwehrt, im Rahmen der ihnen nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 eingeräumten Befugnis auf die Rückforderung eines rechtswidrig aus dem Unionshaushalt erlangten Vorteils eine 30-jährige Verjährungsfrist anzuwenden.
Zu Frage 2 c
67 Diese Frage ist nur für den Fall gestellt worden, dass Frage 2 a verneint wird.
68 Angesichts der Antwort auf Frage 2 a braucht Frage 2 c des vorlegenden Gerichts nicht beantwortet zu werden.
Kosten
69 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 23 Abs. 1 dritter Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 des Rates vom 19. Dezember 1988 zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 hinsichtlich der Koordinierung der Interventionen der verschiedenen Strukturfonds einerseits und zwischen diesen und den Interventionen der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente andererseits in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2082/93 des Rates vom 20. Juli 1993 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 des Rates vom 24. Juni 1988 über Aufgaben und Effizienz der Strukturfonds und über die Koordinierung ihrer Interventionen untereinander sowie mit denen der Europäischen Entwicklungsbank und der anderen vorhandenen Finanzinstrumente in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2081/93 des Rates vom 20. Juli 1993 geänderten Fassung stellt unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Rechtsgrundlage dar, die es den nationalen Behörden – ohne dass es einer Ermächtigung durch das nationale Recht bedarf – ermöglicht, einen im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gewährten Zuschuss in seiner Gesamtheit vom Begünstigten mit der Begründung zurückzufordern, dass dieser in seiner Eigenschaft als „öffentlicher Auftraggeber“ im Sinne der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge in der durch die Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 geänderten Fassung die Vorschriften dieser Richtlinie über die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags zur Durchführung einer Aktion, für die er diesen Zuschuss erhalten hat, missachtet hat.
2. Es stellt eine „Unregelmäßigkeit“ im Sinne von Art. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften dar, wenn der öffentliche Auftraggeber, dem ein EFRE-Zuschuss gewährt wurde, bei der Vergabe des Auftrags zur Durchführung der bezuschussten Aktion die Vorschriften der Richtlinie 92/50 in der durch die Richtlinie 93/36 geänderten Fassung missachtet; dies gilt auch dann, wenn die zuständige nationale Behörde zum Zeitpunkt der Gewährung dieses Zuschusses wissen musste, dass der Begünstigte bereits darüber entschieden hatte, wen er mit der Durchführung der bezuschussten Aktion beauftragen würde.
3. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in dem der Empfänger eines EFRE-Zuschusses in seiner Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber bei der Vergabe des Auftrags zur Durchführung der bezuschussten Aktion die Vorschriften der Richtlinie 92/50 in der durch die Richtlinie 93/36 geänderten Fassung über die Vergabe öffentlicher Aufträge missachtet hat,
– ist die in Rede stehende Unregelmäßigkeit als eine „andauernde Unregelmäßigkeit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 anzusehen, so dass die dort für die Rückforderung des dem Begünstigten rechtswidrig gezahlten Zuschusses vorgesehene vierjährige Verjährungsfrist am Tag der Beendigung der Ausführung des rechtswidrig vergebenen öffentlichen Auftrags beginnt;
– stellt die Übermittlung eines Kontrollberichts, in dem die Missachtung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge festgestellt und der nationalen Behörde deshalb die Rückforderung der gezahlten Beträge empfohlen wird, an den Zuschussempfänger eine hinreichend bestimmte Ermittlungs‑ oder Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 dar.
4. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verwehrt es den Mitgliedstaaten, im Rahmen der ihnen nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 eingeräumten Befugnis auf die Rückforderung eines rechtswidrig aus dem Unionshaushalt erlangten Vorteils eine 30-jährige Verjährungsfrist anzuwenden.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Französisch.