URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

6. November 2008(*)

„Rechtsmittel – Art. 95 Abs. 5 EG – Richtlinie 98/69/EG – Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Emissionen von Kraftfahrzeugen – Einzelstaatliche abweichende Bestimmung, die die Senkung des gemeinschaftlichen Grenzwerts für die Partikelemissionen bestimmter Neufahrzeuge mit Dieselmotor vorwegnimmt – Ablehnung durch die Kommission – Spezifisches Problem – Sorgfaltspflicht und Begründungspflicht“

In der Rechtssache C‑405/07 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 30. August 2007,

Königreich der Niederlande, vertreten durch M. de Grave und C. Wissels als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführer,

andere Verfahrensbeteiligte:

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Patakia, A. Alcover San Pedro und H. van Vliet als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter K. Schiemann, P. Kūris und L. Bay Larsen sowie der Richterin C. Toader (Berichterstatterin),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 17. Juli 2008

folgendes

Urteil

1        Mit seinem Rechtsmittel beantragt das Königreich der Niederlande die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 27. Juni 2007, Niederlande/Kommission (T‑182/06, Slg. 2007, II‑1983, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem dieses die Klage des Königreichs der Niederlande auf Nichtigerklärung der Entscheidung 2006/372/EG der Kommission vom 3. Mai 2006 zum Entwurf der vom Königreich der Niederlande nach Artikel 95 Absatz 5 EG‑Vertrag notifizierten einzelstaatlichen Bestimmungen zur Festlegung von Grenzwerten für die Partikelemissionen von Kraftfahrzeugen mit Dieselmotor (ABl. L 142, S. 16, im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen hat.

 Rechtlicher Rahmen

2        Die Richtlinie 98/69/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Emissionen von Kraftfahrzeugen und zur Änderung der Richtlinie 70/220/EWG des Rates (ABl. L 350, S. 1) legt in Ziff. 5.3.1.4 ihres Anhangs I für Kraftfahrzeuge mit Dieselmotor der Klasse M (Pkw) im Sinne des Anhangs II Abschnitt A der Richtlinie 70/156/EWG des Rates vom 6. Februar 1970 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger (ABl. L 42, S. 1) – ausgenommen Fahrzeuge mit einer Höchstmasse von mehr als 2 500 kg – und der Klasse N1 Gruppe I (Nutzfahrzeuge mit einem zulässigen Höchstgewicht von 1 305 kg) einen Grenzwert für die Konzentration der Partikelmasse (PM) von 25 mg/km fest.

3        Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 98/69 bestimmt:

„[D]ie Mitgliedstaaten [dürfen] … aus Gründen, die sich auf die Luftverunreinigung durch Fahrzeugemissionen beziehen,

–        weder die Erteilung der EG-Typgenehmigung gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 70/156/EWG verweigern noch

–        die Erteilung der Betriebserlaubnis mit nationaler Geltung verweigern noch

–        die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme von Fahrzeugen gemäß Artikel 7 der Richtlinie 70/156/EWG verbieten,

wenn die Fahrzeuge den Vorschriften der Richtlinie 70/220/EWG [des Rates vom 20. März 1970 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Abgase von Kraftfahrzeugmotoren mit Fremdzündung (ABl. L 76, S. 1)] in der durch die vorliegende Richtlinie geänderten Fassung entsprechen.“

4        Die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171, S. 1) wird ab 2. Januar 2013 u. a. die Richtlinien 70/220 und 98/69 ersetzen. In der Tabelle 1 in Anhang I dieser Verordnung wird die Abgasnorm „Euro 5“ eingeführt, die für alle in dieser Tabelle aufgeführten Fahrzeugklassen und ‑gruppen eine Absenkung des Grenzwerts für die Konzentration der Partikelmasse (PM) auf 5 mg/km vorsieht. Was die Fahrzeuge der Klassen M und N1 Gruppe I betrifft, wird dieser neue Grenzwert nach Art. 10 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 715/2007 ab 1. September 2009 für neue Fahrzeugtypen und ab 1. Januar 2011 für neue Fahrzeuge verbindlich sein.

5        In den Erwägungsgründen 2 und 12 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl. L 296, S. 55) heißt es:

„Zum Schutz der Umwelt insgesamt und der menschlichen Gesundheit sind Konzentrationen gefährlicher Luftschadstoffe zu vermeiden, zu verhindern oder zu verringern und Grenzwerte und/oder Alarmschwellen für das Ausmaß der Luftverschmutzung festzulegen.

Zum Schutz der Umwelt insgesamt und der menschlichen Gesundheit müssen die Mitgliedstaaten bei Überschreiten der Grenzwerte Maßnahmen ergreifen, damit diese Grenzwerte binnen der festgelegten Fristen eingehalten werden.“

6        Art. 7 der Richtlinie 96/62 („Verbesserung der Luftqualität – Allgemeine Anforderungen“) bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um die Einhaltung der Grenzwerte sicherzustellen.

(2)      Die Maßnahmen zur Erreichung der Ziele dieser Richtlinie

b)      dürfen nicht gegen die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz verstoßen;

c)      dürfen keine größeren Beeinträchtigungen der Umwelt in den anderen Mitgliedstaaten verursachen.

(3)      Die Mitgliedstaaten erstellen Aktionspläne, in denen die Maßnahmen angegeben werden, die im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte und/oder der Alarmschwellen kurzfristig zu ergreifen sind, um die Gefahr der Überschreitung zu verringern und deren Dauer zu beschränken. Diese Pläne können, je nach Fall, Maßnahmen zur Kontrolle und, soweit erforderlich, zur Aussetzung der Tätigkeiten vorsehen, die zu einer Überschreitung der Grenzwerte beitragen, einschließlich des Kraftfahrzeugverkehrs.“

7        Nach Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 ergreifen die Mitgliedstaaten für die Gebiete und Ballungsräume, in denen die Werte eines oder mehrerer Schadstoffe die Summe von Grenzwert und Toleranzmarge überschreiten, Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass ein Plan oder Programm ausgearbeitet oder durchgeführt wird, aufgrund dessen der Grenzwert binnen der festgelegten Frist erreicht werden kann. Der Plan oder das Programm umfasst mindestens die in Anhang IV dieser Richtlinie aufgeführten Angaben. Darunter finden sich in den Nrn. 5 und 6 dieses Anhangs Angaben zum Ursprung der Verschmutzung, u. a. eine Liste der wichtigsten Emissionsquellen, die für die Verschmutzung verantwortlich sind, sowie eine Lageanalyse mit Einzelheiten u. a. über Faktoren, die zu den Überschreitungen geführt haben, wie die Verfrachtung einschließlich der grenzüberschreitenden Verfrachtung.

8        Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 96/62 lautet:

„Überschreitet der Wert eines Schadstoffs die Summe von Grenzwert und Toleranzmarge oder gegebenenfalls Alarmschwelle infolge einer größeren Verunreinigung in einem anderen Mitgliedstaat oder besteht die Gefahr einer derartigen Überschreitung, so konsultieren die betroffenen Mitgliedstaaten einander mit dem Ziel, das Problem zu beheben. Die Kommission kann bei diesen Konsultationen anwesend sein.“

9        Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 96/62 teilen die Mitgliedstaaten der Kommission das Auftreten von Schadstoffwerten, die die Summe von Grenzwert und Toleranzmarge überschreiten, binnen neun Monaten nach Jahresende mit.

10      Die Grenzwerte werden nicht in der Richtlinie 96/62 selbst festgelegt, sondern in Art. 4 in Verbindung mit den Anhängen I und II werden die Luftschadstoffe, für die solche Grenzwerte festgelegt werden müssen, sowie bei der Festlegung dieser Grenzwerte zu berücksichtigende Faktoren genannt. Unter diesen Faktoren wird der Grad der Exposition der Bevölkerung diesen Schadstoffen gegenüber genannt.

11      Die Grenzwerte für Feinstaub, insbesondere für PM10, werden durch die Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft (ABl. L 163, S. 41) festgelegt. PM10 werden in Art. 2 Abs. 11 dieser Richtlinie als Partikel definiert, die einen größenselektierenden Lufteinlass passieren, der für einen aerodynamischen Durchmesser von 10 μm eine Abscheidewirksamkeit von 50 % aufweist.

12      Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/30 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die gemäß Artikel 7 beurteilten PM10-Konzentrationen in der Luft die Grenzwerte des Anhangs III Abschnitt I ab den dort genannten Zeitpunkten nicht überschreiten.

Die in Anhang III Abschnitt I festgelegten Toleranzmargen, sind gemäß Artikel 8 der Richtlinie 96/62/EG anzuwenden.“

13      In Anhang III der Richtlinie 1999/30 werden die Grenzwerte und die Toleranzmargen für PM10 in zwei aufeinanderfolgenden Stufen festgelegt, indem für jede dieser Stufen der Zeitpunkt angegeben wird, bis zu dem dieser Wert zu erreichen ist. Demzufolge sind die für die erste Stufe vorgesehenen Grenzwerte und Toleranzmargen seit dem 1. Januar 2005 rechtlich verbindlich.

14      Die Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. März 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. L 152, S. 1) wird nach ihrem Art. 31 ab 11. Juni 2010 u. a. die Richtlinien 96/62 und 1999/30 ersetzen. Nach Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2008/50 werden die Mitgliedstaaten bis zum 11. Juni 2011, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind, von der Verpflichtung zur Einhaltung dieser Grenzwerte ausgenommen, wenn in einem bestimmten Gebiet oder Ballungsraum die Grenzwerte für PM10 aufgrund standortspezifischer Ausbreitungsbedingungen, ungünstiger klimatischer Bedingungen oder grenzüberschreitender Einträge nicht eingehalten werden können.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

15      Mit Schreiben vom 2. November 2005 teilte das Königreich der Niederlande der Kommission nach Art. 95 Abs. 5 EG seine Absicht mit, eine Verordnung zu erlassen, die unter Abweichung von den Bestimmungen der Richtlinie 98/69 ab dem 1. Januar 2007 für neue Dieselfahrzeuge der Klasse M1 und der Klasse N1 Gruppe I einen Grenzwert für die Partikelemissionen von 5 mg/km festlegt.

16      Zur Begründung seines Antrags wies das Königreich der Niederlande darauf hin, dass die durch die Richtlinie 1999/30 festgelegten Grenzwerte für Partikelkonzentrationen in verschiedenen Teilen des Landes überschritten worden seien und dass es sich daher nicht in der Lage gesehen habe, den durch die Richtlinie auferlegten Verpflichtungen nachzukommen. Es hob in diesem Zusammenhang die hohe Bevölkerungsdichte des Landes und die Infrastrukturkonzentration hervor, die höher sei als in anderen Mitgliedstaaten und zu höheren Partikelemissionen je km2 führe. Die Einwohner seien der Luftverschmutzung daher u. a. wegen der unmittelbaren Nähe des Kraftverkehrs zu Wohngebieten sehr stark ausgesetzt. Außerdem stamme ein erheblicher Teil der Verschmutzung aus den benachbarten Mitgliedstaaten, so dass nur 15 % des nationalen Durchschnitts der Partikelkonzentration von den einzelstaatlichen Umweltschutznormen beeinflusst werden könnten.

17      Um die Partikelkonzentration zu verringern, räume das Königreich der Niederlande der Reduzierung der Partikelemissionen, die von Pkw und Nutzfahrzeugen erzeugt würden, die für 70 % der verkehrsbedingten Emissionen verantwortlich seien, Priorität ein. Die notifizierte abweichende Maßnahme sei daher Bestandteil eines Regelungspakets, das u. a. auf der Förderung von Fahrzeugen und Brennstoffen beruhe, die die Luft weniger stark verunreinigten. Sie umfasse konkret den Einbau eines Filters in Kraftfahrzeuge mit Dieselmotor, die im Königreich der Niederlande zugelassen seien, zur Reduzierung der im Dieselruß vorhandenen Partikel.

18      Die notifizierte Verordnung gelte nur für Fahrzeuge, die in den Niederlanden zugelassen seien, und ändere weder etwas an dem EG-Genehmigungsverfahren noch an den Zulassungsvoraussetzungen von Fahrzeugen, die die EG‑Typengenehmigung in anderen Mitgliedstaaten erhalten hätten. Dagegen könnten die Polizei und die mit der regelmäßigen Kontrolle der genannten Fahrzeuge beauftragten niederländischen Stellen nach Inkrafttreten der Verordnung überprüfen, ob der Pkw oder das leichte Nutzfahrzeug den neuen Grenzwert von 5 mg/km für Partikelemissionen einhalte.

19      Mit Schreiben vom 23. November 2005 bestätigte die Kommission dem Königreich der Niederlande den Empfang ihrer Notifizierung und teilte ihr mit, dass die Sechsmonatsfrist, die der Kommission in Art. 95 Abs. 6 EG für ihre Entscheidung über die Anträge auf eine Ausnahmegenehmigung gewährt werde, am 5. November 2005 angelaufen sei.

20      Der gemäß der Richtlinie 96/62 erstellte Bericht über die Luftqualität in den Niederlanden für das Jahr 2004 (im Folgenden: Bericht für das Jahr 2004) wurde der Kommission am 8. Februar 2006 übermittelt. Er wurde von dieser am 10. Februar 2006 in ihr Register eingetragen.

21      Mit Schreiben vom 10. März 2006 informierten die niederländischen Behörden die Kommission über einen im März 2006 erstellten Bericht des Milieu- en Natuurplanbureau (Niederländische Umweltagentur [MNP]) mit dem Titel „Nieuwe inzichten in de omvang van de fijnstofproblematiek“ (Neue Erkenntnisse über den Umfang der Feinstaubproblematik, im Folgenden: Bericht des MNP).

22      Zur Beurteilung der Stichhaltigkeit der von den niederländischen Behörden vorgebrachten Argumente holte die Kommission den wissenschaftlichen und technischen Rat eines Expertenkonsortiums ein, das von der Nederlandse Organisatie voor toegepast-natuurwetenschappelijk onderzoek (Niederländische Organisation für angewandte naturwissenschaftliche Forschung, TNO) koordiniert wurde. Diese Organisation legte der Kommission am 27. März 2006 ihren Bericht vor (im Folgenden: Bericht der TNO).

23      Mit der streitigen Entscheidung lehnte die Kommission den notifizierten Verordnungsentwurf am 3. Mai 2006 mit der Begründung ab, das Königreich der Niederlande habe das Bestehen eines spezifischen Problems hinsichtlich der Richtlinie 98/69 nicht nachgewiesen und „die notifizierte Maßnahme [sei] … unverhältnismäßig im Hinblick auf die mit ihr verfolgten Ziele“.

 Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

24      Das Königreich der Niederlande erhob mit am 12. Juli 2006 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift eine Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung und beantragte die Behandlung der Klage im beschleunigten Verfahren.

25      Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht diese Klage in einem beschleunigten Verfahren abgewiesen. Dazu hat es die beiden vom Königreich der Niederlande geltend gemachten Klagegründe hinsichtlich der Beurteilung durch die Kommission, ob ein spezifisches Problem für die Niederlande bestehe, zurückgewiesen.

26      In den Randnrn. 43 bis 49 des angefochtenen Urteils hat das Gericht zunächst den Klagegrund zurückgewiesen, mit dem das Königreich der Niederlande geltend machte, dass die Kommission ihre Sorgfaltspflicht und die Pflicht zur Begründung von Entscheidungen verletzt habe, indem sie bei der Beurteilung, ob die Luftqualität für das Königreich der Niederlande ein spezifisches Problem darstelle, ohne eine Erklärung die das Königreich der Niederlande betreffenden Daten für das Jahr 2004 nicht berücksichtigt habe. Die Kommission räumte ein, dass entgegen der Feststellung in Randnr. 41 der streitigen Entscheidung das Königreich der Niederlande seinen Bericht für das Jahr 2004 tatsächlich vor Erlass der Entscheidung offiziell hinterlegt habe.

27      Das Gericht hat dazu insbesondere festgestellt:

„44      Dennoch geht aus den Ausführungen der [streitigen] Entscheidung zur Frage der Besonderheit der Luftqualität in den Niederlanden hervor, dass die neuesten Daten, die die niederländischen Behörden vorgelegt hatten, in den Bericht der TNO einbezogen wurden. Insbesondere wird auf S. 29 dieses Dokuments ausgeführt:

‚Die vom Königreich der Niederlande übermittelten vorläufigen Daten in Bezug auf die Überschreitungen im Jahr 2004 zeigen ein anderes Bild als im Jahr 2003. In allen Gebieten ist eine Überschreitung mindestens eines der um die Toleranzmarge erhöhten Grenzwerte für PM10 festzustellen.‘

45      Im Übrigen greifen die TNO auf S. 29 ihres Berichts und die Kommission in Randnr. 41 [der streitigen Entscheidung] verschiedene Feststellungen des bereits angeführten Berichts des MNP … auf.

46      Wie schließlich aus Randnr. 42 der [streitigen] Entscheidung hervorgeht, hat es die Kommission ebenfalls angesichts der von der niederländischen Regierung übermittelten und im [Bericht des MNP] enthaltenen neuen Informationen abgelehnt, das Bestehen eines spezifischen Problems für das Königreich der Niederlande bei der Einhaltung der durch die Richtlinie 1999/30 festgelegten Grenzwerte für die Partikelkonzentration als erwiesen anzusehen.“

28      Das Gericht hat in den Randnrn. 47 und 48 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass der Kommission unter diesen Voraussetzungen nicht vorgeworfen werden könne, sie habe neue Daten, die ihr von der niederländischen Regierung zugesandt worden seien, nicht geprüft und für diese behauptete Unterlassung keine Gründe angegeben.

29      Dann hat es die Rüge verworfen, dass die Kommission das Vorliegen eines spezifischen Problems der Luftqualität in den Niederlanden zu Unrecht verneint habe.

30      In Bezug auf das erste Argument, dass die Kommission das nach Art. 95 Abs. 5 EG heranzuziehende Kriterium des spezifischen nationalen Problems falsch angewandt habe, indem sie verlangt habe, dass das geltend gemachte Problem ausschließlich das Königreich der Niederlande betreffe, hat das Gericht in den Randnrn. 66 bis 72 des angefochtenen Urteils die Ansicht vertreten, dass der Vorwurf tatsächlich unzutreffend sei. Dazu hat es u. a. hervorgehoben, dass die streitige Entscheidung der Kommission ebenso wie der Bericht der TNO auf die Lage in anderen Mitgliedstaaten Bezug nehme und dass aus diesem Vergleich hervorgehe, dass sich das Königreich der Niederlande keinem spezifischen Problem des Umweltschutzes gegenübersehe, das die Annahme einer abweichenden Maßnahme rechtfertige.

31      Das zweite Argument, die Kommission habe nicht zur Kenntnis genommen, dass das Königreich der Niederlande das Problem der durch die Binnen- und Seeschifffahrt erzeugten Partikelemissionen nicht behandeln könne, hat das Gericht in den Randnrn. 78 bis 84 des angefochtenen Urteils zurückgewiesen. Es hat dazu insbesondere festgestellt, dass das Vorbringen der tatsächlichen Grundlage entbehre, da entgegen dem Vortrag des Königreichs der Niederlande die Kommission die Möglichkeit einer Genehmigung der notifizierten Maßnahme nicht von der Voraussetzung abhängig gemacht habe, dass die Überschreitungen der Grenzwerte zum größten Teil auf von Dieselkraftfahrzeugen erzeugte Emissionen zurückgingen.

32      Was das dritte Argument betrifft, dass das spezifische Problem der Luftqualität auch dadurch gegeben sei, dass es dem Königreich der Niederlande nicht möglich sei, gegen grenzüberschreitende Luftverschmutzung vorzugehen, hat das Gericht in den Randnrn. 87 bis 94 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass es wegen dieser Unmöglichkeit nicht als erwiesen angesehen werden könne, dass sich dieser Mitgliedstaat einem spezifischen Problem der Luftverschmutzung gegenübersehe.

33      Das Gericht hat in den Randnrn. 88 und 91 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass in geografisch kleineren Ländern wie den Niederlanden fast definitionsgemäß ein größerer Anteil der Partikel exogenen Ursprungs sei. Die niederländische Regierung habe jedoch nicht nachgewiesen, dass die grenzüberschreitenden Partikelemissionen die Luftqualität in den Niederlanden in einer Weise belasteten, dass sich das Problem der Begrenzung der Partikelemissionen dort anders darstelle als in der übrigen Europäischen Gemeinschaft.

34      Im Übrigen hat das Gericht in Randnr. 92 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass das spezifische Problem nach den durch die Richtlinie 1999/30 festgelegten Normen zu beurteilen sei. Anhang III der Richtlinie 1999/30 stelle aber nur Grenzwerte für die Partikelkonzentration auf, ohne den Ursprung der vorhandenen Partikel zu berücksichtigen.

35      Schließlich hat das Gericht in den Randnrn. 105 bis 116 des angefochtenen Urteils das vierte Argument verworfen, dass die Kommission zu Unrecht bestritten habe, dass die in der Luft in den Niederlanden festgestellten Überschreitungen der Grenzwerte für die Partikelkonzentration besonders gravierend seien.

36      In Randnr. 107 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass aus den Akten nicht hervorgehe, dass die in den Niederlanden festgestellten Überschreitungen im Vergleich zu den in anderen Mitgliedstaaten festgestellten Überschreitungen derart gravierend seien, dass sie ein spezifisches Problem darstellten. Folglich hat es in Randnr. 109 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass sich aus der Liste, die auf der Grundlage der das Jahr 2004 betreffenden nationalen Berichte über die Luftqualität erstellt worden sei, ergebe, dass das Königreich der Niederlande zu einer Gruppe von fünf Mitgliedstaaten gehöre, in denen in allen Zonen im Jahr 2004 Werte der Partikelkonzentration registriert worden seien, die über den Tagesgrenzwerten lägen.

37      Außerdem hat das Gericht in Randnr. 115 befunden, dass, abgesehen davon, dass es sich nicht um in der Richtlinie 1999/30 genannte Kriterien handle, nicht nachgewiesen worden sei, dass die Bevölkerungsdichte, das hohe Verkehrsaufkommen in vielen Gebieten der Niederlande und die Ansiedlung von Wohngebieten entlang den Verkehrsadern zusammen zu einem Problem für diesen Mitgliedstaat führten, durch das er sich von anderen Gebieten, insbesondere den Benelux-Staaten, der Mitte des Vereinigten Königreichs und Westdeutschland, deutlich unterscheide.

38      Das Gericht hat folglich in den Randnrn. 117 bis 120 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass es dem Königreich der Niederlande nicht gelungen sei, das Bestehen eines spezifischen Problems in seinem Land nachzuweisen, was eine der in Art. 95 Abs. 5 und 6 EG aufgestellten kumulativen Voraussetzungen sei, und festgestellt, dass die Kommission den notifizierten Verordnungsentwurf habe ablehnen müssen. Daher hat es seine Prüfung der Klagegründe beschränkt und nicht über die anderen von diesem Mitgliedstaat vorgetragenen Klagegründe entschieden, mit denen sowohl die Beurteilung als auch die Begründung der Kommission in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit des notifizierten Entwurfs zum einen und des internationalen rechtlichen Kontextes zum anderen in Frage gestellt worden ist.

 Anträge der Parteien

39      Mit seinem Rechtsmittel beantragt das Königreich der Niederlande,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur Entscheidung über die anderen Klagegründe an das Gericht zurückzuverweisen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

40      Die Kommission beantragt,

–        das Rechtsmittel für unzulässig zu erklären;

–        hilfsweise, es zurückzuweisen;

–        dem Königreich der Niederlande die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

41      Das Königreich der Niederlande trägt zwei Rechtsmittelgründe vor. Erstens habe das Gericht sowohl die Sorgfaltspflicht als auch die Begründungspflicht nach Art. 253 EG falsch ausgelegt, indem es entschieden habe, dass die Kommission nicht gegen diese Pflichten verstoßen habe, als sie die im Bericht für das Jahr 2004 enthaltenen relevanten Daten in der streitigen Entscheidung ohne nähere Begründung unberücksichtigt gelassen habe. Zweitens habe das Gericht falsche rechtliche Kriterien verwendet bei der Prüfung, ob ein spezifisches Problem der Luftqualität für die Niederlande bestehe.

 Zur Zulässigkeit

42      Die Kommission macht die Unzulässigkeit des Rechtsmittels geltend. Zum ersten Rechtsmittelgrund trägt sie vor, dass das Königreich der Niederlande das Recht verloren habe, eine mangelnde Berücksichtigung des Berichts für das Jahr 2004 zu rügen, weil dieser Bericht nach Ablauf der in der Richtlinie 96/62 vorgesehenen Frist und drei Monate nach Stellung des Abweichungsantrags eingereicht worden sei. Außerdem habe das Gericht festgestellt, dass sie den Bericht tatsächlich berücksichtigt habe, und diese Tatsachenfeststellung könne nicht Gegenstand eines Rechtsmittels sein. In Bezug auf den zweiten Rechtsmittelgrund macht die Kommission geltend, dass die Schlussfolgerungen des Gerichts auf einer Reihe von wichtigen Informationen beruhten, die zum überwiegenden Teil unstrittig seien, und dass diese Schlussfolgerungen gerechtfertigt blieben, selbst wenn der Gerichtshof den Argumenten des Königreichs der Niederlande folgen sollte.

43      Dazu ist zunächst festzustellen, dass die Frage, ob die Kommission im vorliegenden Fall den Bericht für das Jahr 2004 trotz der Verspätung, mit der dieser Bericht vorgelegt worden sein soll, berücksichtigen musste, wie die Generalanwältin in den Nrn. 32 bis 34 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit ist.

44      Was weiter das Argument betrifft, dass das Königreich der Niederlande mit dem ersten Rechtsmittelgrund Tatsachenfeststellungen in Frage stellen möchte, genügt die Bemerkung, dass das nicht der Fall ist. Das Königreich der Niederlande bestreitet nämlich keineswegs die vom Gericht in diesem Zusammenhang vorgenommenen Feststellungen, aus denen insbesondere hervorgeht, dass die Daten für das Jahr 2004 im Bericht der TNO enthalten waren und dass die Kommission außer diesem Bericht auch den Bericht des MNP berücksichtigt hat. Der Mitgliedstaat wendet sich gegen die Schlussfolgerungen, die das Gericht aus diesen Tatsachen gezogen hat. Die Frage, ob das Gericht aus diesen Tatsachen zu Recht schließen konnte, dass die Kommission weder ihre Sorgfaltspflicht noch ihre Begründungspflicht verletzt hat, ist eine Rechtsfrage, die der Nachprüfung durch den Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegt (vgl. Urteile vom 20. November 1997, Kommission/V, C‑188/96 P, Slg. 1997, I‑6561, Randnr. 24, sowie auch vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 453).

45      Was schließlich den Einwand der Kommission gegen den zweiten Rechtsmittelgrund betrifft, hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass der Umstand, dass ein Rechtsmittel oder ein Rechtsmittelgrund nicht alle Gründe erfasst, die das Gericht zu einer bestimmten Stellungnahme zu einer Frage veranlasst haben, nicht die Unzulässigkeit dieses Rechtsmittelgrundes zur Folge hat (vgl. Urteil vom 3. Oktober 2000, Industrie des poudres sphériques/Rat, C‑458/98 P, Slg. 2000, I‑8147, Randnr. 67, und Beschluss vom 23. September 2005, Andolfi/Kommission, C‑357/04 P, Randnr. 24).

46      Das Rechtsmittel ist daher für zulässig zu erklären.

 Zur Begründetheit

 Zum ersten Rechtsmittelgrund: Falsche Auslegung der Sorgfaltspflicht und der Begründungspflicht nach Art. 253 EG

–       Vorbringen der Parteien

47      Das Königreich der Niederlande betont im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes, dass der Bericht für das Jahr 2004 von höchster Bedeutung sei, da er zeige, dass die Tagesgrenzwerte in diesem Jahr, selbst nach Erhöhung um die Toleranzmarge, in allen Gebieten und Ballungsräumen der Niederlande überschritten worden seien. Darüber hinaus zeigten die Daten für dieses Jahr ein anderes Bild als im Jahr 2003, was das Gericht in Randnr. 44 des angefochtenen Urteils mit der Verweisung auf den Bericht der TNO selbst anerkannt habe.

48      Das Königreich der Niederlande leitet aus dem angefochtenen Urteil ab, dass es das Gericht für ausreichend halte, dass sich die Kommission damit zufrieden gebe, die vom Mitgliedstaat mitgeteilten Daten einer Prüfeinrichtung zu übermitteln, während sie diese Daten in der streitigen Entscheidung nicht prüfe und darin sogar bestreite, dass sie ihr mitgeteilt worden seien, und in ihrer Entscheidung nicht die Feststellung dieser Prüfeinrichtung übernehme, dass diese Daten ein grundlegend anderes und problematischeres Bild der Situation des in Rede stehenden Mitgliedstaats zeigten. Durch diese Auslegung habe das Gericht daher die Garantien hinsichtlich der Sorgfalt und der Begründung, zu denen u. a. die Verpflichtung der Kommission gehöre, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen und ihre Entscheidung hinreichend zu begründen, falsch angewendet.

49      Das Gericht messe schließlich dem Umstand, dass die Kommission den Bericht des MNP berücksichtigt habe, zu Unrecht große Bedeutung zu. Die Kommission habe ihre Position zwar mit Hilfe dieses Berichts untermauert, der ihr im Übrigen eineinhalb Monate vor Erlass der streitigen Entscheidung übermittelt worden sei, hingegen habe sie ohne Begründung den Bericht für das Jahr 2004, der ihr drei Monate vor Erlass dieser Entscheidung übersandt worden sei, dessen Daten für ihre Position jedoch weniger günstig seien, nicht berücksichtigt. Außerdem zeige der Bericht der TNO deutlich, dass die Feststellungen des Berichts des MNP an den Feststellungen in Bezug auf die Grenzwerte, die aus dem Bericht für das Jahr 2004 hervorgegangen seien, nichts änderten.

50      Die Kommission macht – außer dem in Randnr. 42 des vorliegenden Urteils erwähnten Argument, dass der Bericht für das Jahr 2004 verspätet vorgelegt worden sein soll – geltend, dass sie nicht alle Teile der Gutachten, auf die sie zurückgreife, in ihre Entscheidungen aufnehmen müsse. Im Übrigen ergebe sich aus bestimmten Randnummern des angefochtenen Urteils, dass das Gericht der Ansicht gewesen sei, dass aus dem Bericht für das Jahr 2004 sowie aus dem Bericht des MNP hervorgehe, dass sich die Luftqualität in den Niederlanden im Vergleich zum Jahr 2003 und zu früheren Annahmen verbessert habe.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

51      Nach Art. 95 Abs. 5 EG sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, nach dem Erlass von Harmonisierungsmaßnahmen der Kommission alle abweichenden einzelstaatlichen Bestimmungen, die sie für erforderlich halten, der Kommission zur Genehmigung vorzulegen.

52      Nach dieser Vorschrift muss die Einführung einzelstaatlicher Bestimmungen, die von einer Harmonisierungsmaßnahme abweichen, auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt aufgrund eines spezifischen Problems für diesen Mitgliedstaat gestützt werden, das sich nach dem Erlass der Harmonisierungsmaßnahme ergibt; außerdem müssen die in Aussicht genommenen Bestimmungen sowie die Gründe für ihre Einführung der Kommission notifiziert werden (vgl. Urteile vom 21. Januar 2003, Deutschland/Kommission, C‑512/99, Slg. 2003, I‑845, Randnr. 80, sowie vom 13. September 2007, Land Oberösterreich und Österreich/Kommission, C‑439/05 P und C‑454/05 P, Slg. 2007, I‑7141, Randnr. 57).

53      Diese Voraussetzungen sind kumulativ und müssen daher gleichzeitig erfüllt sein; andernfalls sind die abweichenden einzelstaatlichen Bestimmungen von der Kommission abzulehnen (vgl. Urteile Deutschland/Kommission, Randnr. 81, sowie Land Oberösterreich und Österreich/Kommission, Randnr. 58).

54      Zur Beurteilung, ob diese Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind, was gegebenenfalls komplexe technische Beurteilungen erfordern kann, verfügt die Kommission über ein weites Ermessen.

55      Die Ausübung dieses Ermessens ist der gerichtlichen Kontrolle jedoch nicht entzogen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss der Gemeinschaftsrichter nämlich nicht nur die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz prüfen, sondern auch kontrollieren, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen (vgl. Urteil vom 22. November 2007, Spanien/Lenzing, C‑525/04 P, Slg. 2007, I‑9947, Randnr. 57 und die angeführte Rechtsprechung).

56      In Fällen, in denen ein Gemeinschaftsorgan über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, kommt der Kontrolle der Einhaltung der Garantien, die die Gemeinschaftsrechtsordnung für Verwaltungsverfahren vorsieht, wesentliche Bedeutung zu. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass zu diesen Garantien u. a. die Verpflichtung des zuständigen Organs gehört, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen und seine Entscheidung hinreichend zu begründen (vgl. Urteile vom 21. November 1991, Technische Universität München, C‑269/90, Slg. 1991, I‑5469, Randnr. 14, vom 7. Mai 1992, Pesquerias De Bermeo und Naviera Laida/Kommission, C‑258/90 und C‑259/90, Slg. 1992, I‑2901, Randnr. 26, sowie auch Spanien/Lenzing, Randnr. 58).

57      Die Kontrolle der Einhaltung dieser verfahrensrechtlichen Garantien erweist sich im Rahmen des Verfahrens nach Art. 95 Abs. 5 EG als umso wichtiger, als der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens für dieses Verfahren nicht gilt (vgl. Urteil Land Oberösterreich und Österreich/Kommission, Randnr. 44).

58      Im vorliegenden Fall wirft das Königreich der Niederlande der Kommission vor, ihre Sorgfaltspflicht und ihre Begründungspflicht verletzt zu haben, indem sie in der streitigen Entscheidung die im Bericht für das Jahr 2004 enthaltenen Daten ohne Angabe von Gründen nicht geprüft habe.

59      In der streitigen Entscheidung wird in Nr. 41 festgestellt: „Aus den nach der Richtlinie 96/62/EG des Rates übermittelten jährlichen Berichten geht hervor, dass in den Niederlanden im Jahr 2003 keine bedeutend höheren Grenzwertüberschreitungen zu beobachten waren als in anderen Mitgliedstaaten (wie Belgien, Österreich, Griechenland, Tschechien, Litauen, Slowenien und der Slowakischen Republik). Da die Niederlande für 2004 noch keine amtlichen Daten übermittelt haben, ist es nicht möglich, für das Jahr 2004 die Luftqualität in den Niederlanden mit der in anderen Mitgliedstaaten zu vergleichen.“

60      Es steht jedoch fest, dass die offiziellen Daten für das Jahr 2004, die in dem Bericht für dieses Jahr enthalten sind, der Kommission tatsächlich am 8. Februar 2006 mitgeteilt und von dieser am 10. Februar 2006 in ihr Register eingetragen worden sind, also mehrere Monate vor dem Erlass der streitigen Entscheidung.

61      Aus Art. 174 Abs. 3 erster Gedankenstrich EG geht hervor, dass die Kommission bei ihren Entscheidungen im Bereich der Umweltpolitik grundsätzlich alle verfügbaren neuen wissenschaftlichen und technischen Daten zu berücksichtigen hat. Diese Verpflichtung gilt insbesondere für das Verfahren nach Art. 95 Abs. 5 und 6 EG, bei dem die Berücksichtigung neuer Daten die Grundlage bildet.

62      Die Kommission war also im vorliegenden Fall verpflichtet, die im Bericht für das Jahr 2004 enthaltenen Daten zu berücksichtigen. Diese Verpflichtung wurde insbesondere nicht dadurch entkräftet, dass ihr das Königreich der Niederlande diesen Bericht nach Ablauf der in der Richtlinie 96/62 vorgesehenen Fristen übermittelt hat, da diese Fristen in keinem Zusammenhang mit dem Verfahren nach Art. 95 Abs. 5 und 6 EG stehen. Es steht ebenfalls fest, dass es der Kommission noch tatsächlich möglich war, diesen Bericht bei der Erarbeitung der streitigen Entscheidung zu berücksichtigen, da die Berichte der TNO und des MNP, auf die die Kommission ihre Entscheidung gestützt hat, ihr noch später zugesandt worden waren.

63      Die Feststellungen der Kommission in den Nrn. 41 und 42 der streitigen Entscheidung, aus denen hervorgeht, dass die Kommission die Prüfung des Vorliegens eines spezifischen Problems für die Niederlande auf der Grundlage des Berichts für das Jahr 2003 und nicht für das Jahr 2004 vorgenommen hat, werfen aber ernsthafte Zweifel hinsichtlich der Berücksichtigung der Daten für das Jahr 2004 durch dieses Organ auf.

64      Wie das Gericht in Randnr. 44 des angefochtenen Urteils bemerkt, ist es zwar richtig, dass der Bericht der TNO auch die vom Königreich der Niederlande mitgeteilten vorläufigen Daten für das Jahr 2004 umfasst, dennoch enthält die streitige Entscheidung keine Verweisung auf diesen Umstand oder auf die Feststellungen der TNO zu diesen Daten.

65      Im Gegensatz zu dem angefochtenen Urteil wird in der streitigen Entscheidung die Beurteilung durch die TNO, wonach diese vorläufigen Daten für das Jahr 2004 ein anderes Bild als im Vorjahr zeigten, da in allen Gebieten der Niederlande eine Überschreitung mindestens eines der um die Toleranzmarge erhöhten Grenzwerte für PM10 festzustellen sei, nicht erwähnt.

66      Trotzdem war die Kommission insbesondere angesichts dieser Beurteilung der TNO zur angemessenen Erfüllung ihrer Verpflichtung, alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen und ihre Entscheidung hinreichend zu begründen, gehalten, in der streitigen Entscheidung auszuführen, warum sie der Ansicht war, dass auch auf der Grundlage der Daten für das Jahr 2004 und ungeachtet der von der TNO aufgezeigten Unterschiede zwischen diesen Daten und denen des Vorjahrs das Vorliegen eines spezifischen Problems nicht nachgewiesen worden sei.

67      Der Gerichtshof hat nämlich zwar anerkannt, dass die Kommission im Rahmen ihrer Beurteilung der Begründetheit eines Abweichungsantrags nach Art. 95 Abs. 5 EG dazu veranlasst sein kann, externe Sachverständige mit einer Stellungnahme zu den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu beauftragen, die zur Stützung eines solchen Antrags vorgetragen worden sind (vgl. Urteil Land Oberösterreich und Österreich/Kommission, Randnr. 32), doch ist festzustellen, dass die primäre Verantwortung für die Vornahme dieser Beurteilung bei der Kommission liegt, die selbst, gegebenenfalls auf der Grundlage von Sachverständigengutachten, alle relevanten Gesichtspunkte gebührend berücksichtigen und in ihrer endgültigen Entscheidung die wesentlichen Erwägungen darlegen muss, die zum Erlass der Entscheidung geführt haben.

68      Folglich kann der Umstand allein, dass der Bericht der TNO die vorläufigen Daten für das Jahr 2004 enthalten hat, nicht rechtfertigen, dass die Kommission die Daten für dieses Jahr in der streitigen Entscheidung nicht geprüft und dafür keine Gründe angegeben hat.

69      Das gilt ebenso für den Umstand, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung bestimmte Feststellungen aus dem Bericht des MNP übernommen und das Bestehen eines spezifischen Problems für die Niederlande unter Berücksichtigung von neuen Informationen beurteilt hat, die in diesem Bericht enthalten waren.

70      Die Feststellungen des MNP, die von der Kommission in Nr. 41 der streitigen Entscheidung übernommen wurden, enthalten daher keine Aussage zu der Frage, ob zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidung und insbesondere angesichts der Daten für das Jahr 2004 ein spezifisches Problem der Luftqualität für die Niederlande bestand.

71      Diese Feststellungen – aus denen sich ergibt, dass nach einer neuen Beurteilung die Werte für PM10 um 10 % bis 15 % unter den früheren Annahmen liegen und die Zahl der Gebiete, in denen die Grenzwerte überschritten werden, im Jahr 2010 im Vergleich zum Jahr 2005 und im Jahr 2015 im Vergleich zum Jahr 2010 um die Hälfte geringer sein wird – stellen die Richtigkeit der Daten für das Jahr 2004, die Überschreitungen der Grenzwerte auf dem gesamten Gebiet der Niederlande zeigen, nämlich nicht in Frage und schließen nicht aus, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung ein spezifisches Problem in diesem Mitgliedstaat bestand.

72      Aus dem Vorstehenden folgt, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, indem es entschieden hat, dass die Kommission bei der Annahme der streitigen Entscheidung weder ihre Sorgfaltspflicht noch ihre Begründungspflicht verletzt hat.

73      Da die Kommission bei der Beurteilung, ob ein spezifisches Problem der Luftqualität in den Niederlanden besteht, nicht alle relevanten Daten, insbesondere die des Jahres 2004, gebührend berücksichtigt hat, ist diese Beurteilung zwangsläufig fehlerhaft, und zwar unabhängig davon, ob die Kommission bei dieser Beurteilung zudem falsche rechtliche Kriterien angewandt hat, wie es das Königreich der Niederlande vorgetragen hat.

74      Unter diesen Umständen konnte das Gericht, gestützt auf die Schlussfolgerung, dass die Kommission das Problem der Einhaltung von gemeinschaftlichen Grenzwerten für die Partikelkonzentration in der Luft zu Recht nicht als ein spezifisches Problem angesehen habe, die Klage des Königreichs der Niederlande nicht als unbegründet abweisen, ohne einen Rechtsfehler zu begehen.

75      Folglich ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Da die Behandlung des zweiten Rechtsmittelgrundes, mit dem das Königreich der Niederlande dem Gericht vorwirft, falsche rechtliche Kriterien bei der Prüfung, ob ein spezifisches Problem der Luftqualität in seinem Land besteht, verwendet zu haben, daher unabhängig vom Ergebnis den Ausgang des Rechtsmittelverfahrens nicht beeinflussen kann, erübrigt sich die Prüfung dieses Rechtsmittelgrundes.

76      Gemäß Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs kann der Gerichtshof im Fall der Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist. Das ist hier der Fall.

77      Dazu ist festzustellen, dass die unvollständige Untersuchung der relevanten wissenschaftlichen Informationen durch die Kommission nicht nur ihre Beurteilung, ob ein spezifisches Problem besteht, sondern die gesamte Prüfung der Voraussetzung für die Anwendung von Art. 95 Abs. 5 und 6 EG und insbesondere die Beurteilung, ob die notifizierte Maßnahme verhältnismäßig ist, fehlerhaft machen kann, da eine vollständigere Prüfung der verfügbaren wissenschaftlichen Informationen ihrem Wesen nach die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme beeinflussen kann.

78      Unter diesen Umständen ist die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären, damit die Kommission erneut und auf der Grundlage aller relevanten wissenschaftlichen Informationen prüfen kann, ob die notifizierte Maßnahme den Anforderungen von Art. 95 Abs. 5 und 6 EG entspricht.

 Kosten

79      Gemäß Art. 122 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er selbst den Rechtsstreit endgültig entscheidet.

80      Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach ihrem Art. 118 im Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich der Niederlande die Verurteilung der Kommission zur Tragung der Kosten beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr in beiden Rechtszügen die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 27. Juni 2007, Königreich der Niederlande/Kommission (T‑182/06), wird aufgehoben.

2.      Die Entscheidung 2006/372/EG der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 3. Mai 2006 zum Entwurf der vom Königreich der Niederlande nach Artikel 95 Absatz 5 EG‑Vertrag notifizierten einzelstaatlichen Bestimmungen zur Festlegung von Grenzwerten für die Partikelemissionen von Kraftfahrzeugen mit Dieselmotor wird für nichtig erklärt.

3.      Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Niederländisch.