Schlußanträge des Generalanwalts

Schlußanträge des Generalanwalts

1. Mit dem vorliegenden Beschluss des Bundesgerichtshofs (Deutschland) wird der Gerichtshof um Hinweise zur Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (im Folgenden: Urheberrechtsrichtlinie oder Richtlinie)(2) ersucht.

2. Der Fall betrifft Möbelstücke, die zum maßgeblichen Zeitpunkt in dem Mitgliedstaat, in dem sie hergestellt wurden, nicht urheberrechtlich geschützt waren und dort von der Peek & Cloppenburg KG (im Folgenden: Peek & Cloppenburg) erworben wurden, für die ein solcher Schutz aber in dem Mitgliedstaat bestand, in dem Peek & Cloppenburg sie in einer ihrer Filialen in öffentlichen Ruhezonen zur vorübergehenden Nutzung zur Verfügung stellte und im Schaufenster einer anderen Filiale ausstellte. Dem Gerichtshof wird die Frage gestellt, ob diese Nutzung der Möbel eine „Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie darstellt. Bejahendenfalls wird dem Gerichtshof die Frage gestellt, ob die Ausübung dieses Verbreitungsrechts im vorliegenden Fall mit Art. 28 EG vereinbar ist.

Rechtlicher Rahmen

Die Urheberrechtsrichtlinie

3. Die Urheberrechtsrichtlinie soll, wie ihr Titel angibt, bestimmte Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte(3) harmonisieren, einschließlich des Rechts, die Verbreitung von durch solche Rechte geschützten Werken oder Vervielfältigungsstücken davon an die Öffentlichkeit zu erlauben.

4. Die Richtlinie enthält folgende Erwägungsgründe:

„(3) Die vorgeschlagene Harmonisierung trägt zur Verwirklichung der vier Freiheiten des Binnenmarkts bei und steht im Zusammenhang mit der Beachtung der tragenden Grundsätze des Rechts, insbesondere des Eigentums einschließlich des geistigen Eigentums, der freien Meinungsäußerung und des Gemeinwohls.

(4) Ein harmonisierter Rechtsrahmen zum Schutz des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte wird durch erhöhte Rechtssicherheit und durch die Wahrung eines hohen Schutzniveaus im Bereich des geistigen Eigentums substantielle Investitionen in Kreativität und Innovation … fördern …

(9) Jede Harmonisierung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte muss von einem hohen Schutzniveau ausgehen, da diese Rechte für das geistige Schaffen wesentlich sind. Ihr Schutz trägt dazu bei, die Erhaltung und Entwicklung kreativer Tätigkeit im Interesse der Urheber, ausübenden Künstler, Hersteller, Verbraucher, von Kultur und Wirtschaft sowie der breiten Öffentlichkeit sicherzustellen. Das geistige Eigentum ist daher als Bestandteil des Eigentums anerkannt worden.

(10) Wenn Urheber und ausübende Künstler weiter schöpferisch und künstlerisch tätig sein sollen, müssen sie für die Nutzung ihrer Werke eine angemessene Vergütung erhalten, was ebenso für die Produzenten gilt, damit diese die Werke finanzieren können. Um Produkte wie Tonträger, Filme oder Multimediaprodukte herstellen und Dienstleistungen, z. B. Dienste auf Abruf, anbieten zu können, sind beträchtliche Investitionen erforderlich. Nur wenn die Rechte des geistigen Eigentums angemessen geschützt werden, kann eine angemessene Vergütung der Rechtsinhaber gewährleistet und ein zufrieden stellender Ertrag dieser Investitionen sichergestellt werden.

(11) Eine rigorose und wirksame Regelung zum Schutz der Urheberrechte und verwandten Schutzrechte ist eines der wichtigsten Instrumente, um die notwendigen Mittel für das kulturelle Schaffen in Europa zu garantieren und die Unabhängigkeit und Würde der Urheber und ausübenden Künstler zu wahren.

(15) Die Diplomatische Konferenz, die unter der Schirmherrschaft der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) im Dezember 1996 stattfand, führte zur Annahme von zwei neuen Verträgen, dem WIPO-Urheberrechtsvertrag und dem WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger, die den Schutz der Urheber bzw. der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller zum Gegenstand haben. In diesen Verträgen wird der internationale Schutz des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte, nicht zuletzt in Bezug auf die sog. ‚digitale Agenda‘, auf den neuesten Stand gebracht; gleichzeitig werden die Möglichkeiten zur Bekämpfung der Piraterie weltweit verbessert. Die Gemeinschaft und die meisten Mitgliedstaaten haben die Verträge bereits unterzeichnet, und inzwischen wurde mit den Vorbereitungen zu ihrer Genehmigung bzw. Ratifizierung durch die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten begonnen. Die vorliegende Richtlinie dient auch dazu, einigen dieser neuen internationalen Verpflichtungen nachzukommen.

(21) Diese Richtlinie sollte den Umfang der unter das Vervielfältigungsrecht fallenden Handlungen in Bezug auf die verschiedenen Begünstigten bestimmen. Dabei sollte der gemeinschaftliche Besitzstand zugrunde gelegt werden. Um die Rechtssicherheit im Binnenmarkt zu gewährleisten, muss die Definition dieser Handlungen weit gefasst sein.

(23) Mit dieser Richtlinie sollte das für die öffentliche Wiedergabe geltende Urheberrecht weiter harmonisiert werden. Dieses Recht sollte im weiten Sinne verstanden werden, nämlich dahin gehend, dass es jegliche Wiedergabe an die Öffentlichkeit umfasst, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend ist. Dieses Recht sollte jegliche entsprechende drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Übertragung oder Weiterverbreitung eines Werks, einschließlich der Rundfunkübertragung, umfassen. Dieses Recht sollte für keine weiteren Handlungen gelten.

(28) Der unter diese Richtlinie fallende Urheberrechtsschutz schließt auch das ausschließliche Recht ein, die Verbreitung eines in einem Gegenstand verkörperten Werks zu kontrollieren. Mit dem Erstverkauf des Originals oder dem Erstverkauf von Vervielfältigungsstücken des Originals in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung erschöpft sich das Recht, den Wiederverkauf dieses Gegenstands innerhalb der Gemeinschaft zu kontrollieren. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Original oder Vervielfältigungsstücke des Originals durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung außerhalb der Gemeinschaft verkauft werden. Die Vermiet- und Verleihrechte für Urheber wurden in der Richtlinie 92/100/EWG niedergelegt. Das durch die vorliegende Richtlinie gewährte Verbreitungsrecht lässt die Bestimmungen über die Vermiet- und Verleihrechte in Kapitel I jener Richtlinie unberührt.

(60) Der durch diese Richtlinie gewährte Schutz sollte die nationalen und gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften in anderen Bereichen wie gewerbliches Eigentum, Datenschutz, Zugangskontrolle, Zugang zu öffentlichen Dokumenten und den Grundsatz der Chronologie der Auswertung in den Medien, die sich auf den Schutz des Urheberrechts oder verwandter Rechte auswirken, unberührt lassen.“

5. Art. 4 bestimmt:

„(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.

(2) Das Verbreitungsrecht erschöpft sich in der Gemeinschaft in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke eines Werks nur, wenn der Erstverkauf dieses Gegenstands oder eine andere erstmalige Eigentumsübertragung in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung erfolgt.“

6. Nach Art. 9 lässt die Richtlinie andere Rechtsvorschriften u. a. im Bereich der Musterrechte unberührt. In der Vergangenheit waren solche Rechte in einigen Mitgliedstaaten Bestandteil des Urheberrechts, in anderen waren sie durch besondere nationale Vorschriften geschützt, während in wieder anderen Mitgliedstaaten überhaupt kein Schutz für sie bestand.(4)

Völkerrechtliche Verträge

7. Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie ähnelt Art. 6 Abs. 1 des WIPO(5) -Urheberrechtsvertrags(6) (im Folgenden: WUV). Nach ständiger Rechtsprechung sind Bestimmungen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit den von der Gemeinschaft geschlossenen völkerrechtlichen Verträgen auszulegen.(7)

8. Der WUV trat am 6. Dezember 2001 in Kraft. Die Gemeinschaft hat den WUV zwar unterzeichnet, jedoch noch nicht ratifiziert.(8) Der Vertrag ist dennoch für die Auslegung der Urheberrechtsrichtlinie erheblich, denn laut ihrem 15. Erwägungsgrund „dient [diese] auch dazu, einigen dieser neuen internationalen Verpflichtungen [aus dem WUV] nachzukommen“.

9. Art. 6 WUV („Verbreitungsrecht“) lautet:

„(1) Die Urheber von Werken der Literatur und Kunst haben das ausschließliche Recht zu erlauben, dass das Original und Vervielfältigungsstücke ihrer Werke durch Verkauf oder sonstige Eigentumsübertragung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

(2) Dieser Vertrag berührt nicht die Freiheit der Vertragsparteien, gegebenenfalls zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen sich das Recht nach Absatz 1 nach dem ersten mit Erlaubnis des Urhebers erfolgten Verkauf des Originals oder eines Vervielfältigungsstücks oder der ersten sonstigen Eigentumsübertragung erschöpft.“

Nationale Rechtsvorschriften

10. Art. 4 der Urheberrechtsrichtlinie wurde in Deutschland durch § 15 und § 17 des Urheberrechtsgesetzes(9) (im Folgenden: UrhG) umgesetzt.

11. Nach § 15 Abs. 1 UrhG gehört zu den ausschließlichen Rechten des Urhebers u. a. das in § 17 definierte Verbreitungsrecht.

12. § 17 Abs. 1 definiert das Verbreitungsrecht als „das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen“.

Hintergrund des Ausgangsverfahrens

13. Der nachstehende Sachverhalt ist – soweit nicht anders angegeben – dem Vorlagebeschluss entnommen.

14. Cassina SpA (im Folgenden: Cassina), eine in Italien gegründete Gesellschaft, produziert Möbel, u. a. von Charles Edouard Jeanneret (Le Corbusier) entworfene Stücke. In dem Vorlagebeschluss wird von der Annahme(10) ausgegangen, dass Cassina nach deutschem Urheberrecht(11) aufgrund eines Lizenzvertrags, den Cassina mit dem Inhaber des Urheberrechts an Möbeln nach Le-Corbusier-Entwürfen geschlossen habe, das ausschließliche Recht zu Herstellung und Vertrieb solcher Möbel zustehe und dass dieses Recht dem in § 17 UrhG geregelten Verbreitungsrecht entspreche.

15. Peek & Cloppenburg, eine in Deutschland gegründete Kommanditgesellschaft, vertreibt in Filialen bundesweit Oberbekleidung. In ihrem Geschäft in Frankfurt am Main hat sie mit Sesseln, Sofas und einem Couchtisch aus einem Tischsystem nach Le-Corbusier-Entwürfen ausgestattete Ruhezonen für Kunden eingerichtet. Ferner hat sie in einem Schaufenster ihrer Niederlassung in Düsseldorf einen Sessel zu Dekorationszwecken ausgestellt.

16. Peek & Cloppenburg erwarb diese Stücke von dem italienischen Unternehmen „dimensione“, das die Möbel hergestellt hatte. Nach Angaben von Cassina war bis vor kurzem Voraussetzung für den Schutz eines Werks nach italienischem Urheberrecht, dass sein künstlerischer Wert von seinem gewerblichen Charakter unterschieden werden kann. Infolgedessen seien gewerbliche Muster wie Möbel nach Le-Corbusier-Entwürfen urheberrechtlich nicht geschützt gewesen. 2001 sei eine Rechtsänderung zur Umsetzung der Richtlinie 98/71(12) erfolgt, um auch Werke gewerblicher Muster mit künstlerischem und kreativem Charakter zu erfassen. Durch eine Übergangsbestimmung sei die Möglichkeit, den neuen Schutz gegen eine Person geltend zu machen, die ein von dem Schutzrecht erfasstes Werk vor der Rechtsänderung rechtmäßig hergestellt oder vertrieben habe, für eine Frist von 10 Jahren ausgeschlossen worden.(13)

17. Cassina verklagte Peek & Cloppenburg beim Landgericht auf Schadensersatz, Unterlassung und Auskunfterteilung über die Herkunft der Möbelstücke. Das Landgericht gab der von Cassina erhobenen Klage statt. Der Bundesgerichtshof hat jetzt über die von Peek & Cloppenburg eingelegte Revision zu entscheiden.

18. Der Bundesgerichtshof stellt fest, dass es (bei dem Sachverhalt, von dem er ausgeht) für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf ankomme, ob Peek & Cloppenburg mit dem Aufstellen der Möbel in ihren allgemein zugänglichen Verkaufsräumen sowie in Schaufenstern ihrer Verkaufsräume in Deutschland in das Verbreitungsrec ht von Cassina eingegriffen habe. § 17 Abs. 1 UrhG sei in Übereinstimmung mit der Urheberrechtsrichtlinie auszulegen. Es sei daher zu fragen, ob derartige Handlungen eine „Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie darstellten. Bejahendenfalls stelle sich die weitere Frage, ob die Art. 28 EG und 30 EG die Ausübung des Verbreitungsrechts beschränkten, wenn dies sonst zu einer Abschottung der nationalen Märkte führen könne. Eine Abschottung der nationalen Märkte der Mitgliedstaaten könne sich daraus ergeben, dass einem Gebrauchszweck dienende kunstgewerbliche Erzeugnisse als Werke der angewandten Kunst in Deutschland urheberrechtlich geschützt seien, während sie in Italien rechtmäßig hergestellt werden dürften.

Verfahren vor dem Gerichtshof

19. Der Bundesgerichtshof hat deshalb dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. a) Ist von einer Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form auf sonstige Weise im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie auszugehen, wenn Dritten der Gebrauch von Werkstücken urheberrechtlich geschützter Werke ermöglicht wird, ohne dass mit der Gebrauchsüberlassung eine Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die Werkstücke verbunden ist?

b) Liegt eine Verbreitung nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie auch vor, wenn Werkstücke urheberrechtlich geschützter Werke öffentlich gezeigt werden, ohne dass Dritten die Möglichkeit zur Benutzung der Werkstücke eingeräumt wird?

2. Bejahendenfalls:

Kann der Schutz der Warenverkehrsfreiheit der Ausübung des Verbreitungsrechts in den vorgenannten Fällen entgegenstehen, wenn die präsentierten Werkstücke in dem Mitgliedstaat, wo sie hergestellt und in Verkehr gebracht wurden, keinem urheberrechtlichen Schutz unterliegen?

20. Cassina, Peek & Cloppenburg, die polnische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und waren mit Ausnahme der polnischen Regierung auch in der mündlichen Verhandlung vertreten.

Würdigung

Frage 1 a)

21. Mit dem ersten Teil seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob eine Verbreitung an die Öffentlichkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie vorliegt, wenn urheberrechtlich geschützte Möbelstücke(14) Dritten zum vorübergehenden Gebrauch überlassen werden, ohne dass diesen das Verfügungsrecht über die Möbelstücke zusteht.

22. Diese Frage bezieht sich auf Möbel, die der Öffentlichkeit in den Ruhezonen eines Kaufhauses zur Verfügung gestellt werden, die aber nicht verkäuflich sind.

23. Cassina und die polnische Regierung vertreten die Auffassung, dass die erste Frage des vorlegenden Gerichts zu bejahen sei. Peek & Cloppenburg und die Kommission sind entgegengesetzter Ansicht.

24. Cassina und die polnische Regierung tragen jeweils Folgendes vor.

25. Erstens sei Art. 4 Abs. 1 („Verbreitung … in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise “(15) ) weit formuliert. Eine weite Auslegung sei im Übrigen durch die Zielsetzung der Richtlinie geboten. Aus den Erwägungsgründen gehe hervor, dass die Richtlinie einen breiten Schutz der Rechtsinhaber bezwecke(16), um sicherzustellen, dass sie eine angemessene Vergütung erhielten(17), sowie um die Rechtssicherheit zu fördern(18) .

26. Zweitens stehe eine solche Auslegung in Einklang mit dem weiten Begriff des Verbreitungsrechts in anderen, vor der Urheberrechtsrichtlinie erlassenen Rechtsakten zum Urheberrecht wie der Richtlinie zu Vermiet- und Verleihrechten(19), der Richtlinie über den Rechtsschutz von Computerprogrammen(20) sowie der Richtlinie über den rechtlichen Schutz von Datenbanken(21) .

27. Drittens habe der Gerichtshof in mehreren Entscheidungen den Begriff „Verbreitung“ weit ausgelegt(22) .

28. Schließlich widerspreche eine enge Begriffsbestimmung der Verordnung Nr. 1383/2003(23), die Pflichten der Zollbehörden bezüglich nachgeahmter Waren betreffe. Zwar finde diese Verordnung nur auf Waren aus Ländern außerhalb der EU Anwendung, sie würde aber in ihrer Wirkung eingeschränkt, wenn aufgrund einer engen Auslegung des Begriffs „Verbreitung“ unerlaubt hergestellte Waren (definiert als Vervielfältigungsstücke, die ohne Zustimmung des Rechtsinhabers angefertigt werden) aus Drittländern nicht in den zollrechtlich freien Verkehr überführt, unerlaubt hergestellte Waren aus anderen Mitgliedstaaten aber ohne Sanktionen eingeführt werden dürften.

29. Diese Argumente überzeugen mich nicht.

30. Wie der Gerichtshof im Urteil SGAE ausgeführt hat, sind Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts nach Möglichkeit im Licht des Völkerrechts auszulegen, insbesondere wenn mit ihnen ein von der Gemeinschaft geschlossener völkerrechtlicher Vertrag durchgeführt werden soll.(24) Aus dem 15. Erwägungsgrund der Urheberrechtsrichtlinie ergibt sich, dass mit ihr einigen internationalen Verpflichtungen aus dem WUV nachgekommen werden soll. In Art. 6 Abs. 1 WUV wird das dort geregelte Verbreitungsrecht als das Recht bezeichnet, zu erlauben, dass das Original und Vervielfältigungsstücke eines geschützten Werks „durch Verkauf oder sonstige Eigentumsübertragung“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Ich stimme Peek & Cloppenburg und der Kommission zu, dass dieser Wortlaut unmissverständlich ist und eindeutig nicht die Überlassung zum vorübergehenden Gebrauch umfasst.

31. Wie die Kommission vorträgt, spricht für diese Auslegung auch die Systematik der Urheberrechtsrichtlinie und insbesondere Art. 4 in seiner Gesamtheit. Art. 4 Abs. 2 regelt im Wesentlichen die Erschöpfung des Verbreitungsrechts und verwendet dabei den Ausdruck „Erstverkauf … oder eine andere erstmalige Eigentumsübertragung“. Es ist zu erwarten, dass zur Beschreibung des Umfangs des Begriffs „Erschöpfung“ auf Handlungen verwiesen wird, wie sie ihrem Wesen nach ähnlich auch einer Verbreitung zugrunde liegen. Ein solcher Auslegungsansatz liegt noch näher, wenn man den Wortlaut des 28. Erwägungsgrunds der Richtlinie berücksichtigt.

32. Ich meine nicht, dass die anderen von Cassina angeführten Richtlinien hier weiterhelfen. Es trifft zwar zu, dass sowohl die Richtlinie über den Rechtsschutz von Computerprogrammen als auch diejenige über den rechtlichen Schutz von Datenbanken im Rahmen der Bestimmung des ausschließlichen Rechts des Rechtsinhabers „jede Form der öffentlichen Verbreitung“(25) erwähnen. Da der Begriff „öffentliche Verbreitung“ selbst aber nicht definiert ist, handelt es sich hier meiner Meinung nach um einen Zirkelschluss. In ähnlicher Weise verweist die Richtlinie zum Vermiet- und zum Verleihrecht lediglich auf „das ausschließliche Recht …, [bestimmte] Schutzgegenstände sowie Kopien davon der Öffentlichkeit im Wege der Veräußerung oder auf sonstige Weise zur Verfügung zu stellen“(26) . Auch das trägt nicht zur Klärung bei.

33. Selbstverständlich bezweckt die Urheberrechtsrichtlinie ein hohes Schutzniveau im Bereich des geistigen Eigentums.(27) Die Annahme, dass bei jedem Zweifel hinsichtlich des Umfangs des Begriffs „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ automatisch zugunsten des Rechtsinhabers zu entscheiden ist, wäre meines Erachtens jedoch eine zu starke Vereinfachung. Dies gilt umso mehr, wenn – wie im vorliegenden Fall – einer derartigen Auslegung sowohl der Wortlaut des WUV, der wie erwähnt für die Auslegung der Urheberrechtsrichtlinie von Bedeutung ist, als auch der Grundsatz des freien Warenverkehrs entgegenstehen. Es ist nämlich zu beachten, dass mit der Richtlinie auch die vier Freiheiten des Binnenmarkts verwirklicht werden sollen(28) .

34. Das nationale Gericht hat zwar eine Frage speziell zur Auslegung der Regeln über die Warenverkehrsfreiheit gestellt, allerdings nur für den Fall, dass die ersten Fragen zu bejahen sind. Meines Erachtens können diese Regeln jedoch in einem früheren Stadium der Prüfung relevant sein, nämlich wenn es um die Entscheidung geht, ob die ersten Fragen zu bejahen sind. Wie die Kommission ausführt, sind die Art. 28 EG und 30 EG für die richtige Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie in Fällen wie dem vorliegenden von Bedeutung, die die Vervielfältigungsstücke eines in einem Mitgliedstaat urheberrechtlich geschützten, in einem anderen Mitgliedstaat jedoch nicht geschützten Werks betreffen, wenn die Befugnis des Urhebers, die Nutzung dieser Vervielfältigungsstücke zu verhindern, zu einer Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels führen könnte. In diesem Zusammenhang stelle ich fest, dass in der Zeit vor Erlass der Richtlinie 98/71(29) der Musterrechtsschutz nicht harmonisiert war(30) und dass der Vorlagebeschluss im vorliegenden Fall auf der Prämisse beruht, dass die Möbelstücke zum Zeitpunkt des Erwerbs durch Peek & Cloppenburg weder urheberrechtlich noch als Muster geschützt waren.

35. Eine Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie dahin, dass unter „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ auch die Überlassung geschützter Werkstücke zum vorübergehenden Gebrauch zu verstehen ist, so dass der Rechtsinhaber einen solchen Gebrauch verhindern könnte, würde zu einer Beschränkung des freien Warenverkehrs führen. Nach Art. 30 EG kann eine solche Beschränkung u. a. zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sein. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine solche Ausnahme jedoch nur zulässig, soweit sie zur Wahrung der Rechte gerechtfertigt ist, die den spezifischen Gegenstand dieses Eigentums ausmachen.(31)

36. Eine weite Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie, wie sie von Cassina und der polnischen Regierung befürwortet wird, wäre daher nur dann mit Art. 30 EG vereinbar, wenn die Ausübung des Verbreitungsrechts aus dem in dieser Weise ausgelegten Art. 4 Abs. 1 den spezifischen Gegenstand des Urheberrechts wahren würde. Wie die Kommission ausführt, hat der Gerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Ausnahmen vom freien Warenverkehr aus Gründen des Urheberrechtsschutzes darauf abgestellt, ob die als Rechtsverletzung gerügte Handlung kommerzieller Natur ist und zu Einnahmen führt, die dem Rechtsinhaber vorenthalten werden. In Fällen wie dem vorliegenden ist die als Rechtsverletzung gerügte Handlung dagegen eindeutig ganz anderer Natur. Für mich liegt keineswegs auf der Hand, dass die Rechte, die den spezifischen Gegenstand des Urheberrechts ausmachen, gewahrt würden, wenn dem Rechtsinhaber gestattet würde, jemanden, der die geschützten Werkstücke rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat, daran zu hindern, sie der Öffentlichkeit vorübergehend zum Gebrauch zu überlassen.

37. Ebenso wenig lasse ich die allgemeinere Argumentation von Cassina gelten, dass der Begriff des Verbreitungsrechts, da der Gerichtshof ihn in mehreren Rechtssachen zum Urheberrecht weit ausgelegt habe, auch im Kontext von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie in dieser Weise auszulegen sei. Von den drei Rechtssachen, die Cassina zum Beleg dieser These anführt(32), ging es in den Rechtssachen Warner Brothers u. a. bzw. Metronome Musik jeweils darum, inwieweit Art. 30 EG nationalen und gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften(33) entgegensteht, die u. a. dem Urheber oder Produzenten eines Musik- oder Filmwerks das ausschließliche Recht gewähren, die Vermietung von Aufnahmen des Werks zu erlauben. Insbesondere stellte sich die Frage, ob ein solches Recht gegen den allgemeinen Grundsatz verstößt, dass sich das Verbreitungsrecht des Rechtsinhabers mit dem Erstverkauf erschöpft. Der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass angesichts der Besonderheiten der betroffenen Märkte kein solcher Verstoß vorliege. Ich sehe nicht, wie die Ausführungen des Gerichts in jenem Fall bei der Definition des Begriffs „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ in einem vollkommen anderen Kontext weiterhelfen sollen. Die Rechtssache Foreningen af danske Videogramdistributører betraf die Frage, ob sich das ausschließliche Vermietrecht in der gesamten Gemeinschaft erschöpft, wenn der Rechtsinhaber die Vermietung in einem Mitgliedstaat erlaubt. Der Gerichtshof entschied, dass dies angesichts der Besonderheit des ausschließlichen Vermietrechts nicht der Fall ist. Auch hier sehe ich nicht, wie diese Entscheidung dem Gerichtshof im vorliegenden Fall weiterhelfen kann.

38. Würde der Gerichtshof – so Cassina – das durch Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie verliehene Verbreitungsrecht enger auslegen als das streitige Verbreitungsrecht in den genannten Fällen, bei denen es um das geistige Eigentum an nicht in einem Gegenstand verkörperten Werken wie Musik gegangen sei, hätte dies zur Folge, dass solche Werke ungerechtfertigterweise weiter gehenden Schutz genössen als verkörperte Werke. Selbst wenn dem so wäre, halte ich dies jedoch nicht für ein stichhaltiges Argument zugunsten einer weiten Auslegung von Art. 4 Abs. 1. Nichtverkörperte Werke werden naturgemäß anders verbreitet als verkörperte Werke. Aus eben diesem Grund haben zunächst der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung und anschließend der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Richtlinie zu Vermiet- und Verleihrechten einen umfassenderen Urheberrechtsschutz für nichtverkörperte Werke vorgesehen.

39. Schließlich vermag ich die auf die Verordnung Nr. 1383/2003(34) gestützte Argumentation von Cassina nur schwerlich nachzuvollziehen. Wie Cassina selbst einräumt, findet die Verordnung nur auf Waren Anwendung, die aus Drittländern in das Zollgebiet der Gemeinschaft gelangen. Darüber hinaus wird im vorliegenden Fall unterstellt, dass die fraglichen Möbelstücke nicht unerlaubt hergestellt, sondern in Italien rechtmäßig gefertigt und erworben wurden.

40. Demnach komme ich in Beantwortung der Frage 1 a) zu dem Ergebnis, dass keine Verbreitung an die Öffentlichkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie vorliegt, wenn urheberrechtlich geschützte Möbelstücke Dritten zum vorübergehenden Gebrauch überlassen werden, ohne dass diesen das Verfügungsrecht über die Möbelstücke zusteht.

Frage 1 b)

41. Mit dem zweiten Teil seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Verbreitung an die Öffentlichkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie vorliegt, wenn urheberrechtlich geschützte Möbelstücke(35) im Schaufenster eines Ladengeschäfts ausgestellt werden, ohne dass der Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Benutzung oder zum Erwerb der Möbelstücke eingeräumt wird.

42. Meines Erachtens ergibt sich aus der vorstehend dargestellten Begründung der von mir auf den ersten Teil der ersten Frage vorgeschlagenen Antwort erst recht die Antwort auf den zweiten Teil der Frage.

43. Dementsprechend bin ich der Ansicht, dass keine Verbreitung an die Öffentlichkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie vorliegt, wenn urheberrechtlich geschützte Möbelstücke im Schaufenster eines Ladengeschäfts ausgestellt werden, ohne dass der Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Benutzung oder zum Erwerb der Möbelstücke eingeräumt wird.

Frage 2

44. Das nationale Gericht stellt seine zweite Frage nur für den Fall, dass die zweiteilige erste Frage bejaht, d. h. eine Verbreitung an die Öffentlichkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie darin gesehen wird, dass urheberrechtlich geschützte Möbelstücke Dritten zum vorübergehenden Gebrauch überlassen werden, ohne dass diesen das Verfügungsrecht über die Möbel zusteht, oder dass sie im Schau fenster eines Ladengeschäfts ausgestellt werden, ohne dass der Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Benutzung oder zum Erwerb der Möbelstücke eingeräumt wird. Für diesen Fall möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Schutz der Warenverkehrsfreiheit der Ausübung des Rechts, die Verbreitung zu verbieten, entgegensteht, wenn die präsentierten Werkstücke in dem Mitgliedstaat, wo sie hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden, keinen urheberrechtlichen Schutz genießen.

45. Ich bin der Meinung, dass keiner der beiden Teile der ersten Frage zu bejahen ist, und beabsichtige daher nicht, eine Antwort auf die zweite Frage vorzuschlagen. Ich möchte jedoch einige Ausführungen dazu machen.

46. Dem Vorlagebeschluss ist das Bedenken des nationalen Gerichts zu entnehmen, dass in einem Fall wie dem vorliegenden, der Werke betrifft, die in Deutschland urheberrechtlich geschützt sind, während sie in Italien auch ohne Zustimmung des Rechtsinhabers rechtmäßig hergestellt wurden, eine in Deutschland erfolgende Ausübung des Rechts, die Verbreitung an die Öffentlichkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie zu verbieten, zu einer Abschottung der nationalen Märkte führen könnte. Wäre dies der Fall, ließe sich die Ausübung dieses prima facie entgegen Art. 28 EG bestehenden Rechts nicht durch Art. 30 EG rechtfertigen.

47. Cassina und die polnische Regierung vertreten die Auffassung, dass die zweite Frage zu verneinen sei. Peek & Cloppenburg und die Kommission sind entgegengesetzter Ansicht.

48. Cassina trägt vor, durch das Recht, in Deutschland die Nutzung von Möbeln zu verbieten, die in Italien rechtmäßig erworben worden seien, werde der Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht behindert. Aber selbst wenn von einer Behinderung auszugehen wäre, sei diese durch Art. 30 EG gerechtfertigt. Zugegebenermaßen könne diese Vorschrift keine Maßnahmen rechtfertigen, die zu einer künstlichen Abschottung nationaler Märkte führten. Der Inhaber eines Rechts des geistigen oder gewerblichen Eigentums könne sich daher nicht auf Art. 30 EG berufen, um die Einfuhr von Waren zu verhindern, die in einem anderen Mitgliedstaat von ihm oder mit seiner Zustimmung rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden seien. Cassina hält einen solchen Fall hier jedoch nicht für gegeben, da sie dem Inverkehrbringen der Möbel in Italien nicht zugestimmt habe.

49. Die polnische Regierung trägt vor, der Umfang des Urheberrechtsschutzes sei auf Gemeinschaftsebene nicht harmonisiert. Mangels Harmonisierung sei die Festlegung des Schutzumfangs eine Sache des nationalen Rechts.

50. Keiner dieser beiden Vorträge scheint mir besonders hilfreich zu sein. Dem Vorlagebeschluss im Allgemeinen und der zweiten Vorlagefrage im Besonderen liegt die Prämisse zugrunde, dass die Möbelstücke in Italien rechtmäßig hergestellt wurden. Der Vortrag von Cassina liegt daher neben der Sache. Der Vortrag der polnischen Regierung geht von einer falschen Voraussetzung aus: Selbst wenn die Festlegung des Schutzumfangs eine Sache des nationalen Rechts wäre, müsste dieses Recht doch selbstverständlich in Einklang mit den Art. 28 EG und 30 EG stehen.

51. Die Kommission hält eine Auslegung des Verbreitungsrechts nach Art. 4 Abs. 1 dahin, dass der Grundsatz des freien Warenverkehrs eine Ausübung dieses Rechts verbietet, für undenkbar. Sie geht daher davon aus, dass die zweite Frage darauf abzielt, ob die Art. 28 EG und 30 EG einer Auslegung des nationalen Rechts dahin entgegenstehen, dass Handlungen wie die im vorliegenden Fall streitigen eine unter den Urheberrechtsschutz fallende Verbreitung darstellen.

52. Auch dieses Argument scheint mir jedoch von einer falschen Voraussetzung auszugehen. Die zweite Frage basiert ausdrücklich auf der Annahme, dass die fraglichen Handlungen tatsächlich eine Verbreitung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 darstellen. Wenn dem so ist, muss (da Art. 4 eine zwingende Vorschrift ist) die nationale Regelung, mit der die Vorschrift umgesetzt wurde, zwangsläufig zum gleichen Ergebnis führen. Mir ist daher unverständlich, welche Differenzierung die Kommission vorzunehmen versucht.

53. Auf der Grundlage dieser Überlegungen meine ich, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie und die nationale Umsetzungsbestimmung nur gemeinsam bestehen oder fallen können: Wenn die eine Regelung gegen die Vertragsbestimmungen über die Warenverkehrsfreiheit verstößt, muss für die andere das Gleiche gelten. Bereits im Kontext des ersten Teils der ersten Vorlagefrage habe ich die Gründe dargelegt, warum meines Erachtens die Art. 28 EG und 30 EG eine enge Auslegung des Begriffs „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ in Art. 4 Abs. 1 gebieten.(36)

54. Die Überlegungen zur zweiten Vorlagefrage bestätigen somit meiner Meinung nach die Richtigkeit der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die erste Vorlagefrage. Wie sich aus meinen Ausführungen zur ersten Vorlagefrage implizit ergibt, stimme ich im Großen und Ganzen dem Vorbringen von Peek & Cloppenburg(37) zu, dass eine zu weite Auslegung des Begriffs „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ mit der in Art. 28 EG verankerten Warenverkehrsfreiheit unvereinbar und auch nicht nach Art. 30 EG gerechtfertigt sei. Eine Ausnahme nach Art. 30 EG ist nur zulässig, wenn die Ausübung des in Rede stehenden Verbreitungsrechts den spezifischen Gegenstand des Urheberrechts wahrt. Im vorliegenden Fall ist diese Voraussetzung nicht erfüllt: Die fraglichen Handlungen betreffen nicht den Verkauf oder Weiterverkauf bzw. entsprechende Geschäfte, sondern (allenfalls) eine vorübergehende Nutzung zu dem Zweck, zu dem die Möbel bestimmt sind.

55. Zum Abschluss möchte ich noch einmal wiederholen: Die Tatsache, dass das erste Inverkehrbringen der Möbel in der Gemeinschaft ohne Zustimmung des Rechtsinhabers erfolgt ist, ist im Kontext des vorliegenden Falls unerheblich. Nach ständiger Rechtsprechung ist es beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts und bei Fehlen gemeinschaftlicher Vorschriften zur Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften vorbehaltlich der Einhaltung der einschlägigen internationalen Übereinkünfte Sache der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen und die Modalitäten des Schutzes des Eigentums an literarischen und künstlerischen Werken festzulegen.(38) Wie ich bereits ausgeführt habe, war vor Umsetzung der Richtlinie 98/71(39) der Rechtsschutz von Mustern nicht harmonisiert und wurde dies von der Berner Übereinkunft auch nicht verlangt.(40) Dass zur maßgeblichen Zeit der Musterrechtsschutz in Deutschland und Italien unterschiedlich ausgestaltet war, ist schlicht die Folge dieser Rechtslage.

Ergebnis

56. Aus den vorstehenden Gründen schlage ich vor, die vom Bundesgerichtshof vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Es liegt keine „Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vor, wenn urheberrechtlich geschützte Möbelstücke entweder Dritten zum vorübergehenden Gebrauch überlassen werden, ohne dass diesen das Verfügungsrecht über die Möbel zusteht, oder im Schaufenster eines Ladengeschäfts ausgestellt werden, ohne dass der Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Benutzung oder zum Erwerb der Möbelstücke eingeräumt wird.

(1) .

(2)  – ABl. L 167, S. 10.

(3)  – Im Kontext des EG-Rechts umfasst das Urheberrecht („droit d’auteur“) die ausschließlichen Rechte, die Autoren, Komponisten, Künstlern usw. gewährt werden, während die verwandten Schutzrechte („droits voisins“) die entsprechenden Rechte sind, die den ausübenden Künstlern (Musikern, Schauspielern usw.) und Unternehmern (Verlegern, Filmproduzenten usw.) gewährt werden.

(4)  – Auf völkerrechtlicher Ebene gestattete die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst den Verbandsländern, „den Anwendungsbereich der Gesetze, die die Werke der angewandten Kunst und die gewerblichen Muster und Modelle betreffen, sowie die Voraussetzungen des Schutzes dieser Werke, Muster und Modelle festzulegen“ (Art. 2 Abs. 7). Auf Gemeinschaftsebene wurde durch die Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (ABl. L 289, S. 28) eine teilweise Harmonisierung von Musterrechten eingeführt.

(5)  – World Intellectual Property Organisation (Weltorganisation für geistiges Eigentum).

(6)  – Verabschiedet in Genf am 20. Dezember 1996.

(7)  – Urteil vom 10. September 1996, Kommission/Deutschland (C-61/94, Slg. 1996, I-3989, Randnr. 52).

(8)  – Die Ratifizierung durch die Gemeinschaft wird erst dann erfolgen, wenn alle Mitgliedstaaten nach Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie den WUV ratifiziert haben. Die Gemeinschaft und die damaligen Mitgliedstaaten äußerten am Schluss der Diplomatischen Konferenz für bestimmte Fragen des Urheberrechts und verwandter Rechte, 2. bis 20. Dezember 1996, ihre Absicht, ihre Ratifizierungsurkunden gleichzeitig zu hinterlegen. Vgl. Ficsor, M., The Law of Copyright and the Internet (2002), S. 68, Nr. 2.41.

(9)  – Gesetz vom 9. September 1965 (BGBl. I, S. 1273), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. November 2006 (BGBl. I, S. 2587).

(10)  – Die letztlich vom nationalen Gericht überprüft werden muss.

(11)  – Nach dem Vortrag von Cassina, dem Peek & Cloppenburg insoweit nicht entgegengetreten ist, sind Möbel nach Le-Corbusier-Entwürfen in Deutschland nach ständiger Rechtsprechung urheberrechtlich geschützt.

(12)  – In Fn. 4 angeführt.

(13)  – Zu beachten ist, dass Cassina die Vereinbarkeit der italienischen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht (und übrigens auch mit der italienischen Verfassung) bezweifelt. Das vorlegende Gericht geht bei seinen Fragen jedoch davon aus, dass die streitigen Möbelstücke im vorliegenden Fall in Italien rechtmäßig hergestellt und erworben wurden, und aus der von Cassina gelieferten Zusammenfassung der italienischen Rechtslage erklärt sich, wie es dazu kommen konnte.

(14)  – Meiner Meinung nach sollten die Antworten auf die Vorlagefragen im vorliegenden Fall vorzugsweise mit Bezugnahme auf den konkreten Kontext formuliert werden. Bei allgemeiner gehaltenen Antworten besteht die Gefahr, dass diese für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten mit unterschiedlichem Sachverhalt ausschlaggebend sein könnten, bei denen andere, vom Gerichtshof im vorliegenden Fall nicht erörterte Faktoren relevant sind. Ich habe daher die Fragen umformuliert und enger gefasst, als sie das vorlegende Gericht gestellt hat.

(15)  – Hervorhebung nur hier.

(16)  – Vgl. Erwägungsgründe 9 und 11.

(17)  – Vgl. Erwägungsgründe 10 und 11.

(18)  – Erwägungsgründe 21 und 23.

(19)  – Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. L 346, S. 61).

(20)  – Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. L 122, S. 42).

(21)  – Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken (ABl. L 77, S. 20).

(22)  – Urteile vom 17. Mai 1988, Warner Brothers u. a. (158/86, Slg. 1988, 2605), vom 28. April 1998, Metronome Musik (C‑200/96, Slg. 1998, I‑1953), und vom 22. September 1998, Foreningen af danske Videogramdistributører (C‑61/97, Slg. 1998, I‑5171).

(23)  – Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen (ABl. L 196, S. 7).

(24)  – Urteil vom 7. Dezember 2006 (C‑306/05, Slg. 2006, I‑11519, Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil Kommission/Deutschland, in Fn. 7 angeführt, Randnr. 52.

(25)  – Art. 4 Buchst. c bzw. Art. 5 Buchst. c.

(26)  – Art. 9 Abs. 1.

(27)  – Vgl. Erwägungsgründe 4, 9 und 11.

(28)  – Vgl. dritter Erwägungsgrund.

(29)  – In Fn. 4 angeführt.

(30)  – Vgl. oben, Nr. 6 und Fn. 4.

(31)  – Vgl. z. B. Urteil Foreningen af danske Videogramdistributører, in Fn. 22 angeführt, Randnr. 13.

(32)  – Vgl. Fn. 22.

(33)  – Der in Fn. 19 angeführten Richtlinie zu Vermiet- und Verleihrechten.

(34)  – In Fn. 23 angeführt.

(35)  – Vgl. Fn. 14.

(36)  – Siehe oben, Nrn. 35 f.

(37)  – D. h. ihrem – angesichts der von ihr vorgeschlagenen Antworten auf die beiden Teile der ersten Vorlagefrage – hilfsweisen Vorbringen.

(38)  – Urteil vom 20. Oktober 1993, Phil Collins u. a. (C‑92/92 und C‑326/92, Slg. 1993, I‑5145, Randnr. 19).

(39)  – In Fn. 12 angeführt.

(40)  – Vgl. Fn. 4.