I – Einleitung
1. Die vorliegende Rechtssache betrifft die Auslegung von Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom
17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem:
einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage
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(im Folgenden: Sechste Richtlinie). Die Cour d’appel (Luxemburg) möchte wissen, ob es mit Artikel 13 Teil C der Sechsten
Richtlinie vereinbar ist, das Recht auf Steuerabzug, das mit Ausübung des in dieser Bestimmung vorgesehenen Optionsrechts
entsteht, von einer vorherigen, nicht rückwirkenden Zustimmung abhängig zu machen. Mit anderen Worten, das vorlegende Gericht
fragt den Gerichtshof, ob die den Mitgliedstaaten eingeräumte Befugnis, die Bedingungen der Ausübung des Optionsrechts zu
bestimmen („Die Mitgliedstaaten können den Umfang des Optionsrechts einschränken; sie bestimmen die Modalitäten seiner Ausübung.“),
durch den mehrwertsteuerrechtlichen Grundsatz des Vorsteuerabzugs eingeschränkt wird.
II – Rechtlicher Rahmen
A – Gemeinschaftsrecht
2. Artikel 13 Teil B Buchstabe b und Teil C der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„B. Sonstige Steuerbefreiungen
Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung
einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen
und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
…
b) die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken mit Ausnahme
…
C. Optionen
Die Mitgliedstaaten können ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, für eine Besteuerung zu optieren:
a) bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken;
…
Die Mitgliedstaaten können den Umfang des Optionsrechts einschränken; sie bestimmen die Modalitäten seiner Ausübung.“
B – Nationales Recht
3. Artikel 1 der Großherzoglichen Verordnung vom 7. März 1980 zur Bestimmung der Grenzen und der Bedingungen der Ausübung des
Optionsrechts für die Anwendung der Mehrwertsteuer auf Grundstücksgeschäfte
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(im Folgenden: Großherzogliche Verordnung) erlaubt es,
„für die Anwendung der Mehrwertsteuer auf die nachfolgend genannten Grundstücksgeschäfte zu optieren:
…
b)
[demjenigen, der] aufgrund eines einvernehmlichen schriftlichen Vertrages Grundstücke an Steuerpflichtige vermietet oder verpachtet“.
4. In Artikel 3 der Großherzoglichen Verordnung heißt es:
„Das Optionsrecht kann nur für ein Grundstück ausgeübt werden, das … der Mieter ganz, oder, bei Mischnutzung, überwiegend
für die Ausübung von Tätigkeiten nutzt, die ihn zum Vorsteuerabzug berechtigen.
…“
5. Artikel 5 der Großherzoglichen Verordnung bestimmt:
„Wer vom Optionsrecht Gebrauch macht, hat der Administration de l’enregistrement eine schriftliche Optionserklärung zur Zustimmung
vorzulegen.
…
Bei Vermietung ist die Anwendung der Steuer vom ersten Tag des Monats an zulässig, der auf den Monat folgt, in dem der Optionserklärung
zugestimmt wurde. Die Verwaltungsentscheidung muss innerhalb eines Monats nach Erhalt dieser Erklärung ergehen.“
6. Artikel 7 Absatz 2 der Großherzoglichen Verordnung lautet:
„Im Fall der Bebauung eines Grundstücks kann der Eigentümer die Vorsteuer erst von der Zustimmung zur Optionserklärung für
die spätere … Vermietung an abziehen. Die Verwaltung kann dem Eigentümer jedoch gestatten, die Vorsteuer nach Maßgabe des
Erhalts der Rechnungen abzuziehen, wenn mit Sicherheit feststeht, dass die Voraussetzung nach Artikel 3 dieser Verordnung
erfüllt ist und sich der Eigentümer verpflichtet hat, zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Bebauung eine Optionserklärung
vorzulegen.“
III – Sachverhalt
7. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung Vermietungsgesellschaft Objekt Kirchberg (im Folgenden: VOK) nahm für die Jahre
1993 und 1994 den Vorsteuerabzug für ein Grundstück vor, das sie seit Januar 1993 unter Berechnung der Mehrwertsteuer vermietete.
8. Am 29. Juni 1993 erklärte die VOK gegenüber der Administration de l’enregistrement et des domaines (im Folgenden: Verwaltung)
die Ausübung des Optionsrechts für die Besteuerung. Die Zustimmung wurde ihr am 30. Juni 1993 mit Wirkung vom 1. Juli 1993
erteilt, doch war sie der Ansicht, dass die Mehrwertsteuer vom Beginn der Vermietung (dem 1. Januar 1993) an abzugsfähig sein
müsse.
9. Die Verwaltung lehnte indessen gemäß Artikel 5 der Großherzoglichen Verordnung den Abzug von 50 % der entrichteten Vorsteuer
ab, weil das Abzugsrecht frühestens vom Zeitpunkt der Zustimmung an wahrgenommen werden könne.
10. Die Verwaltung erließ daher Bescheide, mit denen die Mehrwertsteuererklärungen von Amts wegen berichtigt wurden.
11. Auf den Einspruch der VOK beim Direktor der Verwaltung erließ dieser im Januar 1998 eine Entscheidung, nach der im Februar
1998 neue Berichtigungsbescheide ergingen. Der Direktor war zum einen der Auffassung, dass der 1. Januar 1993 den Beginn der
Nutzung des Grundstücks darstelle.
12. Da die Option erst ab 1. Juli 1993 wirksam geworden sei, sei die Vermietung während der ersten Hälfte des Jahres 1993 nicht
mehrwertsteuerpflichtig gewesen. Die Vorsteuer habe daher nur zu 50 % abgezogen werden können, was die Berichtigung der Mehrwertsteuererklärung
für 1993 rechtfertige. Der Direktor war zum anderen der Ansicht, dass die Ausübung der Option insofern eine zweite Berichtigung
für 1994 erfordere, als neun Zehntel der für 1993 nicht abzugsfähigen Mehrwertsteuer zugunsten der VOK zu berücksichtigen
seien. Im Ergebnis blieben 50 % von einem Zehntel der entrichteten Vorsteuer, d. h. 5 % dieser Steuer, nicht abzugsfähig und
seien daher von der VOK zu tragen.
13. Die VOK verklagte die Verwaltung und das Großherzogtum Luxemburg vor dem Tribunal d’arrondissement (Luxemburg), um die Aufhebung
der von der Verwaltung von Amts wegen vorgenommenen Berichtigung der Erklärungen für 1993 und 1994 zu erreichen. Das Tribunal
d’arrondissement gab der Klage mit Urteil vom 7. November 2001 statt.
14. Daraufhin legten die Verwaltung und das Großherzogtum Luxemburg Berufung bei der Cour d’appel ein.
15. Mit Urteil vom 18. Juni 2003 hat die Cour d’appel das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
Kann nach Artikel 13 Teil C Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage ein Mitgliedstaat, der von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, seinen Steuerpflichtigen das Recht einzuräumen,
bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken für eine Besteuerung zu optieren, den vollständigen Vorsteuerabzug von
der vorherigen, nicht rückwirkenden Zustimmung der Finanzverwaltung abhängig machen?
16. Die Verwaltung, die luxemburgische Regierung, die VOK und die Kommission haben nach Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes
schriftliche Erklärungen eingereicht.
IV – Beurteilung
17. Kann ein Mitgliedstaat, der von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, seinen Steuerpflichtigen das in Artikel 13 Teil C der
Sechsten Richtlinie vorgesehene Recht einzuräumen, bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken für eine Besteuerung
zu optieren, die Besteuerung dieser Geschäfte von der vorherigen Zustimmung der Finanzverwaltung abhängig machen?
18. Die Antwort auf diese Frage hängt im Wesentlichen von der Auslegung von Artikel 13 Teil C Absatz 2 der Sechsten Richtlinie
ab. Umfasst die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Umfang des Optionsrechts einzuschränken und dessen Modalitäten
zu bestimmen, auch die Möglichkeit, die optionale Anwendung der Mehrwertsteuer auf Geschäfte zu beschränken, die nach Erteilung
der Zustimmung vorgenommen wurden?
19. Die VOK und die Kommission auf der einen sowie die Verwaltung und die luxemburgische Regierung auf der anderen Seite haben
in dieser Frage Positionen eingenommen, die auf den ersten Blick diametral entgegengesetzt erscheinen.
20. Die Argumente der VOK und der Kommission stützen sich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach der Grundsatz des Rechts
auf den sofortigen und vollständigen Vorsteuerabzug einer der tragenden Grundsätze des Mehrwertsteuersystems sei.
21. In dieser Hinsicht verweisen sie insbesondere auf die Urteile Molenheide u. a., Schlossstraße und Breitsohl
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.
22. Die VOK zieht aus dieser Rechtsprechung den Schluss, dass das in der Großherzoglichen Verordnung vorgesehene System der vorherigen
Kontrolle und Zustimmung nicht zur Bekämpfung von Missbräuchen und Steuerhinterziehung erforderlich sei, da eine nachträgliche
Kontrolle ebenso wirksam oder sogar noch wirksamer sei als eine solche vorherige Kontrolle. Hieraus folge, dass dieses Verfahren
gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße, wie er vor allem in den Randnummern 45 und 46 des Urteils Molenheide
angewandt worden sei.
23. Insbesondere erlaube Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie es den Mitgliedstaaten nicht, ein System der Zustimmung wie
das im Ausgangsverfahren in Rede stehende einzuführen.
24. Die Mitgliedstaaten würden zwar in Artikel 13 Teil C ermächtigt, die Voraussetzungen für die Ausübung des Optionsrechts bei
Vermietung zu bestimmen; sobald diese Voraussetzungen, was vorliegend zutreffe, erfüllt seien, fänden jedoch die mehrwertsteuerrechtlichen
Grundsätze wie die des Vorsteuerabzugs und der Verhältnismäßigkeit Anwendung.
25. Die VOK ist daher der Auffassung, dass Artikel 13 Teil C Absatz 1 Buchstabe a es den Mitgliedstaaten, die von der Möglichkeit
Gebrauch gemacht hätten, ihren Steuerpflichtigen das Recht einzuräumen, bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken
für eine Besteuerung zu optieren, nicht erlaube, den vollständigen Vorsteuerabzug von der vorherigen, nicht rückwirkenden
Zustimmung der Finanzverwaltung abhängig zu machen.
26. Die Kommission gelangt zum selben Ergebnis wie die VOK. Insbesondere sei das in Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie
vorgesehene Recht nicht absolut, sondern müsse Buchstaben und Geist der Sechsten Richtlinie beachten. Die Kommission verweist
insoweit auf die Urteile Becker und Armbrecht
(5)
.
27. Daraus folge, dass eine vorherige Zustimmung, die es den nationalen Behörden ermögliche, das Vorliegen der vom Staat festgelegten
Voraussetzungen für die Einräumung des Optionsrechts zu prüfen, auf den ersten Blick berechtigt erscheine und keinem Grundsatz
der Sechsten Richtlinie widerspreche.
28. Dagegen scheine die Vorschrift unverhältnismäßig zu sein, wonach der Beginn der steuerpflichtigen Tätigkeit nicht dem tatsächlichen
Beginn dieser Tätigkeit entsprechen könne, auch wenn die Verwaltung festgestellt habe, dass das Optionsrecht wirksam ausgeübt
werden könne. In Fällen wie dem vorliegenden, in dem die Erklärung gegenüber der Verwaltung nach dem Beginn der steuerpflichtigen
Tätigkeit erfolge, habe die mangelnde Rückwirkung der Zustimmung nämlich zur Folge, dass dem Steuerpflichtigen ein Teil seiner
Abzugsrechte vorenthalten werde.
29. Die Weigerung, der Zustimmung Rückwirkung zu verleihen und damit das normale Besteuerungssystem vom tatsächlichen Beginn der
steuerpflichtigen Tätigkeit an anzuwenden, sei also eine ungerechtfertigte Maßnahme. Sie schaffe eine Situation, in der die
Vorsteuer den Steuerpflichtigen weiter belaste, was vermieden werden müsse.
30. Diese mangelnde Rückwirkung sei auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil bei einer Verweigerung der Zustimmung oder der Änderung
der Voraussetzungen der Option sowohl – über die Zustimmung – Kontrollen des Mitgliedstaats als auch – auf der Grundlage von
Artikel 20 der Sechsten Richtlinie – eine eventuelle Berichtigung möglich blieben.
31. Die Verwaltung und die luxemburgische Regierung tragen vor, dass das in der Großherzoglichen Verordnung vorgesehene Zustimmungsverfahren
mit Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie vereinbar sei. Diese Bestimmung gebe den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, für
ihre Steuerpflichtigen das Recht vorzusehen, für eine Besteuerung zu optieren und dieses Recht an bestimmte Anwendungsmodalitäten
zu knüpfen, wobei ihnen ein weites Ermessen eingeräumt werde.
32. Zur Stützung ihrer These verweisen sie auf die Urteile Becker und Belgocodex
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.
33. Das Zustimmungsverfahren sei eine Anwendungsmodalität, die nicht über das hinausgehe, was Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie
zulasse. Sie ermögliche der Verwaltung die Prüfung, ob die steuerpflichtigen Vermieter, die für die Besteuerung optierten,
die sachlichen Voraussetzungen erfüllten, d. h. im vorliegenden Fall, ob der Mieter seinerseits ein Steuerpflichtiger sei,
der die Vorsteuer abziehen könne.
34. Das luxemburgische System verstoße nicht gegen die wesentlichen Grundsätze der Mehrwertsteuer wie den Grundsatz der Abzugsfähigkeit
der Vorsteuer, da der Steuerpflichtige die Möglichkeit habe, seine Optionserklärung im Voraus abzugeben und die Zustimmung
in diesem Fall rechtzeitig zu erhalten, um die Vorsteuer sofort und vollständig abziehen zu können. Nur wenn die Erklärung
nach dem Beginn der Vermietung des Grundstücks abgegeben werde, im Ausgangsverfahren sechs Monate später, könne der Vermieter
die Vorsteuer nicht sofort und vollständig abziehen. Er müsse die Zustimmung der Verwaltung abwarten und könne erst danach
eine Berichtigung der Lage verlangen.
35. Daher seien die Beschränkungen der Möglichkeit, die Vorsteuer sofort und vollständig abzuziehen, nur die mittelbare Folge
des Optionsrechts, wie es in Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie vorgesehen sei, und der damit verbundenen Ausübungsmodalitäten.
Das vom Großherzogtum Luxemburg gewählte Zustimmungsverfahren bezwecke und bewirke nicht, das in der Sechsten Richtlinie vorgesehene
Recht zum Vorsteuerabzug zu beeinträchtigen.
36. Die Verwaltung und die luxemburgische Regierung stellen abschließend fest, dass sich dieses Verfahren durch die Tatsache rechtfertige,
dass es für den Vermieter wichtig sei, so früh wie möglich zu erfahren, dass er die Vorsteuer vollständig abziehen könne.
Damit werde vermieden, dass nachträglich finanzielle Engpässe aufträten. Das Verfahren diene außerdem den Zielen der genauen
Erhebung der Steuer und der Vermeidung von Hinterziehungen und Missbräuchen.
37. Aus den Akten ergibt sich, dass die luxemburgische Regierung von der in Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie vorgesehenen
Möglichkeit, für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken auf die in Artikel 13 Teil B der Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung
zu verzichten, Gebrauch machen wollte.
38. Nach dem Wortlaut der Großherzoglichen Verordnung hat die luxemburgische Regierung das Optionsrecht für die Steuerpflichtigen
mit bestimmten Einschränkungen und Voraussetzungen verbunden.
39. Artikel 3 dieser Verordnung enthält die hauptsächliche Einschränkung der Möglichkeit, für eine Besteuerung zu optieren: Das
Optionsrecht kann nur für ein Grundstück ausgeübt werden, das der Mieter ganz oder, bei Mischnutzung, überwiegend für die
Ausübung von Tätigkeiten nutzt, die ihn zum Vorsteuerabzug berechtigen.
40. Es besteht zwischen den einschränkenden Voraussetzungen nach Artikel 7 und dem in Artikel 5 der Großherzoglichen Verordnung
vorgesehenen Verfahren der vorherigen Zustimmung insofern ein unlösbarer Zusammenhang, als die luxemburgischen Behörden in
der Lage sein müssen, im Voraus zu prüfen, ob die wirtschaftlichen Tätigkeiten, für die die Besteuerung beantragt wird, den
Voraussetzungen des Artikels 7 entsprechen.
41. Sowohl die luxemburgische Regierung als auch die Kommission haben in ihren schriftlichen Erklärungen diesen Zusammenhang zwischen
der Einschränkung des Optionsrechts und der Notwendigkeit betont, das Vorliegen der Voraussetzungen des Optionsrechts zu prüfen.
42. Sie haben daraus gefolgert, dass das Zustimmungsverfahren, das die logische Folge der Befugnis der Mitgliedstaaten zur Einschränkung
des Optionsrechts sei, als solches nicht unverhältnismäßig sei.
43. Diese Schlussfolgerung erscheint mir im Licht des Systems des Artikels 13 Teil B und C der Sechsten Richtlinie, in dem die
in Artikel 13 Teil C vorgesehene Möglichkeit der Einräumung eines Optionsrechts eine Ausnahme von den weitergehenden Ausnahmen
des Artikels 13 Teil B darstellt, vollständig gerechtfertigt.
44. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den luxemburgischen Behörden auf der einen und der VOK und der Kommission auf der anderen
Seite konzentrieren sich insbesondere auf Artikel 5 Absatz 3 der Großherzoglichen Verordnung vom 7. März 1980. Die Anwendung
dieser Bestimmung könnte zur Folge haben, dass dem Steuerpflichtigen ein Teil seiner in Artikel 17 der Sechsten Richtlinie
vorgesehenen Abzugsrechte vorenthalten wird. Diese Folge könnte insbesondere in Fällen eintreten, in denen die Optionserklärung
gegenüber der Verwaltung wie im vorliegenden Fall nach dem Beginn der steuerpflichtigen Tätigkeit erfolgt.
45. Die Kommission und die VOK haben unter Verweisung auf zahlreiche Urteile des Gerichtshofes die Bedeutung des Abzugsrechts
als eines der Grundsätze des Mehrwertsteuersystems hervorgehoben, das die Mitgliedstaaten nur in Fällen zwingender Notwendigkeit
beeinträchtigen dürften. Ein solcher Fall der zwingenden Notwendigkeit liege hier nicht vor. Daher müsse die in Artikel 5
Absatz 3 der Großherzoglichen Verordnung enthaltene Klausel der Nichtrückwirkung als unverhältnismäßige Beeinträchtigung des
Abzugsrechts und damit als Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht angesehen werden.
46. Auch wenn ich die Erwägungen der Kommission über die Bedeutung des Abzugsrechts, des Grundpfeilers des Mehrwertsteuersystems,
teile, so kann ich mich doch nicht der Schlussfolgerung, die sie im vorliegenden Fall daraus zieht, anschließen.
47. Wie der Gerichtshof wiederholt bestätigt hat
(7)
, steht den Mitgliedstaaten im Rahmen der Bestimmungen des Artikels 13 Teil C ein weites Ermessen zu.
48. Grundsätzlich haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, das Optionsrecht für die Steuerpflichtigen in sachlicher und zeitlicher
Hinsicht zu beschränken, wie es im vorliegenden Fall geschehen ist. Die sachliche Beschränkung ist in Artikel 7 der Großherzoglichen
Verordnung erfolgt, während die zeitliche Beschränkung in Artikel 5 dieser Verordnung enthalten ist.
49. Unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit erscheint mir die Großherzogliche Verordnung einwandfrei: Die Steuerpflichtigen
können sich im Voraus über die Arten von Geschäften, für die das Optionsrecht gilt, über den Zeitpunkt des Beginns der Besteuerung
und schließlich über die Formalitäten, die sie dabei einzuhalten haben, informieren.
50. Auch im Licht des Abzugsprinzips erscheint mir eine Regelung wie die vorliegende unangreifbar. Jeder Steuerpflichtige, der
die klaren Modalitäten der Großherzoglichen Verordnung beachtet und die Formalitäten rechtzeitig erfüllt, kann sich der Abzugsfähigkeit
der Vorsteuer sicher sein. Sofern das Zustimmungsverfahren eingehalten wird, verletzt diese Verordnung daher nicht den Grundsatz
der Abzugsfähigkeit.
51. Eine Bestimmung wie Artikel 5 Absatz 3 der Großherzoglichen Verordnung verfolgt kein anderes Ziel als die Festlegung des Zeitpunkts,
zu dem das ausgeübte Optionsrecht nach Zustimmung wirksam wird. Wie die luxemburgische Regierung zu Recht bemerkt hat, bezweckt
und bewirkt diese Bestimmung nicht, das Abzugsrecht einzuschränken. In den Fällen, in denen die Steuerpflichtigen Geschäfte
tätigen, die in den Anwendungsbereich der Steuer fallen, aber die Ausübung der Option für die Besteuerung nicht rechtzeitig
erklären und deshalb nicht über die in der nationalen Regelung vorgesehene Zustimmung verfügen, wirkt sich die Anwendung dieser
Bestimmung zwar auf das Abzugsrecht aus; diese Auswirkung ist jedoch nicht den nationalen Bestimmungen, sondern dem Verhalten
der Steuerpflichtigen zuzuschreiben.
52. Unter diesen Umständen bindet eine nationale Regelung wie die in Rede stehende das Abzugsrecht nicht an eine vorherige, nicht
rückwirkende Zustimmung. Da die Einhaltung des Zustimmungsverfahrens es den Steuerpflichtigen ermöglicht, einen sofortigen
und vollständigen Abzug der Vorsteuer zu erreichen, kann dieses Verfahren nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. Es
hält sich im Rahmen dessen, was erforderlich ist, um die Ziele der genauen Erhebung der Steuer und der Vermeidung von Hinterziehungen
und Missbräuchen zu erreichen. Außerdem entspricht dieses Verfahren den Anforderungen des Grundsatzes der Rechtssicherheit.
V – Ergebnis
53. Aus diesen Gründen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Frage des nationalen Gerichts wie folgt zu beantworten:
Artikel 13 Teil C Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage schließt es nicht aus, dass ein Mitgliedstaat, der von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, seinen Steuerpflichtigen
das Recht einzuräumen, bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken für eine Besteuerung zu optieren, die Besteuerung
von der vorherigen Zustimmung zu der Option abhängig macht, wenn mit dem Zustimmungsverfahren nur festgestellt werden soll,
dass die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, und dieses Verfahren insbesondere dazu dient, Hinterziehungen und Missbräuche
zu verhindern. Ein solches Zustimmungsverfahren verstößt nicht gegen das Abzugsprinzip, wenn seine Einhaltung dem Steuerpflichtigen
einen sofortigen und vollständigen Abzug der Vorsteuer garantiert.
Urteile vom 18. Dezember 1997 in den Rechtssachen C‑286/94, C‑340/95, C‑401/95 und C‑47/96 (Slg. 1997, I‑7281, Randnr. 47)
und vom 8. Juni 2000 in den Rechtssachen C‑396/98 (Slg. 2000, I‑4279, Randnr. 36) und C‑400/98 (Slg. 2000, I‑4321, Randnr. 34).
Urteile vom 19. Januar 1982 in der Rechtssache 8/81 (Slg. 1982, 53, Randnr. 38) und vom 4. Oktober 1995 in der Rechtssache
C‑291/92 (Slg. 1995, I‑2775).