62001C0334

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 23. Januar 2003. - Glencore Grain Rotterdam BV gegen Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgericht Frankfurt am Main - Deutschland. - Landwirtschaft - Gemeinsame Marktorganisation für Getreide - Dauerausschreibung - Getreideerzeugnis, das zur Ausfuhr in AKP-Staaten bestimmt ist - Umstand, durch den die Frist für den Nachweis der Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr im Bestimmungsland in Gang gesetzt wird - Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 2372/95 und Artikel 47 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87. - Rechtssache C-334/01.

Sammlung der Rechtsprechung 2003 Seite I-06769


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main betrifft Getreide, das eine Interventionsstelle für Agrarerzeugnisse im Wege eines Ausschreibungsverfahrens zur Ausfuhr in die Staaten verkauft, die das Abkommen zwischen der Gemeinschaft und den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (im folgenden: AKP-Länder) unterschrieben haben. Bei der aufgeworfenen Frage geht es darum, welcher Umstand die 12-monatige Frist für den Nachweis der Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr im Bestimmungsland auslöst.

I - Rechtlicher Rahmen: Die gemeinschaftsrechtliche Regelung

A - Die Verordnung (EWG) Nr. 1766/92

2 Artikel 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1766/92 des Rates vom 30. Juni 1992 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide(1) sieht vor, dass die von den Mitgliedstaaten bezeichneten Interventionsstellen bestimmte Getreidearten, darunter Weichweizen, die ihnen angeboten werden und in der Gemeinschaft geerntet worden sind, ankaufen, sofern die Angebote den insbesondere hinsichtlich Qualität und Menge festgelegten Bedingungen entsprechen.

3 Die Kommission ist gemäß Artikel 5 im Verwaltungsausschussverfahren befugt, Durchführungsvorschriften für die Verfahren und die Bedingungen für den Verkauf von Getreide durch die Interventionsstellen der Mitgliedstaaten zu erlassen.

B - Die Verordnung (EWG) Nr. 2131/93

4 Die Verordnung (EWG) Nr. 2131/93 der Kommission vom 28. Juli 1993 über das Verfahren und die Bedingungen für den Verkauf von Getreide aus Beständen der Interventionsstellen(2) sieht für den Verkauf von Getreide zwei verschiedene Ausschreibungsverfahren vor: eines für den Verkauf auf dem Gemeinschaftsmarkt, das andere für den Verkauf zur Ausfuhr.

5 Gemäß Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 2131/93 ist in beiden Fällen eine Sicherheit zu leisten. Bei einem Verkauf zur Ausfuhr ist außerdem in bestimmten Fällen eine spezifische Sicherheit zu leisten, um zu gewährleisten, dass das Getreide tatsächlich ausgeführt und nicht auf dem Gemeinschaftsmarkt abgesetzt wird.

6 Hinsichtlich der Freigabe und des Verfalls der beiden Sicherheiten bestimmt Artikel 17 der Verordnung in der durch die Verordnung (EG) Nr. 120/94 der Kommission vom 25. Januar 1994(3) geänderten Fassung Folgendes:

"(1) Für die Leistung der in dieser Verordnung vorgesehenen Sicherheiten gilt Titel III der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 der Kommission.

(2) Die in Artikel 13 Absatz 4 genannte Sicherheit wird für die Mengen freigegeben, für die

- ...

- die Zahlung des Kaufpreises fristgemäß erfolgt ist und, falls der gezahlte Preis bei einem Verkauf zur Ausfuhr unter dem Preis liegt, der beim Wiederverkauf auf dem Gemeinschaftsmarkt gemäß Artikel 5 Absätze 1, 2 und 3 einzuhalten ist, eine Sicherheit in Höhe des Preisunterschieds geleistet worden ist.

(3) Die in Absatz 2 zweiter Gedankenstrich genannte Sicherheit wird für die Mengen freigegeben, für die

- ...

- die in Artikel 18 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 genannten Nachweise erbracht wurden. Die Sicherheit wird jedoch freigegeben, wenn der Marktbeteiligte nachweist, dass mindestens 1 500 Tonnen Getreideerzeugnisse das Zollgebiet der Gemeinschaft auf einem hochseefähigen Schiff verlassen haben ...

...

(5) Ausgenommen im Fall höherer Gewalt verfällt die in Absatz 2 zweiter Gedankenstrich genannte Sicherheit für die Mengen, für die die in Absatz 3 zweiter Gedankenstrich genannten Nachweise nicht innerhalb der Frist(4) gemäß Artikel 47 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 erbracht wurden."

C - Die Verordnung (EG) Nr. 2372/95

7 Bei dem Rechtsstreit geht es hauptsächlich um die Verordnung (EG) Nr. 2372/95 der Kommission vom 10. Oktober 1995 zur Eröffnung einer Dauerausschreibung für den Verkauf von Brotweichweizen aus Beständen der deutschen und französischen Interventionsstellen zur Ausfuhr in die AKP-Länder im Wirtschaftsjahr 1995/96(5).

8 Artikel 2 der Verordnung bestimmt, dass "[v]orbehaltlich der Bestimmungen dieser Verordnung der Verkauf des in Artikel 1 genannten Brotweichweizens nach den Verfahren und Bedingungen der Verordnung (EWG) Nr. 2131/93 [erfolgt]".

9 Artikel 8 der Verordnung lautet:

"(1) Die gemäß Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2131/93 zu leistende Sicherheit wird freigegeben, sobald dem Zuschlagsempfänger die Ausfuhrlizenz erteilt wurde.

(2) Die Verpflichtung zur Ausfuhr und Einfuhr in die Bestimmungsländer nach Anhang I wird durch die Leistung einer Sicherheit in Höhe von 60 ECU/t gedeckt, davon 20 ECU/t bei Erteilung der Ausfuhrlizenz und 40 ECU/t vor Abnahme der Ware.

Abweichend von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3002/92 der Kommission wird

- der Sicherheitsbetrag von 20 ECU/t innerhalb von 20 Arbeitstagen freigegeben, nachdem der Zuschlagsempfänger den Nachweis erbrachte, dass die abgeholte Ware das Zollgebiet der Gemeinschaft verlassen hat;

- der Sicherheitsbetrag von 40 ECU/t innerhalb von 15 Arbeitstagen freigegeben, nachdem der Zuschlagsempfänger nachgewiesen hat, dass die Ware in dem bzw. den AKP-Staaten nach Artikel 5 Absatz 3 zum freien Verkehr abgefertigt wurde. Dieser Nachweis wird gemäß den Artikeln 18 und 47 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission erbracht.

..."

D - Die Verordnung (EWG) Nr. 3665/87

10 Die besondere Verordnung im vorliegenden Fall verweist hinsichtlich der Erbringung des Nachweises auf die Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen(6).

11 Artikel 18 Absatz 1 der Verordnung, der festlegt, welche Dokumente der Exporteur zum Nachweis der Erfuellung der Zollförmlichkeiten für die Abfertigung zum freien Verkehr vorlegen muss, bestimmt:

"Der Nachweis der Erfuellung der Zollförmlichkeiten für die Abfertigung zum freien Verkehr erfolgt durch die Vorlage

a) des jeweiligen Zollpapiers, einer Kopie oder Fotokopie dieses Papiers; diese Kopie oder Fotokopie muss entweder von der Stelle, die das Original abgezeichnet hat, einer Behörde des betreffenden Drittlandes oder von einer Behörde eines Mitgliedstaats beglaubigt sein oder

b) der Verzollungsbescheinigung, die nach dem Muster im Anhang II in einer oder mehreren Amtssprachen der Gemeinschaft und in einer im betreffenden Drittland verwendeten Sprache ausgestellt ist, oder

c) eines jeglichen anderen, vom Zoll des betreffenden Drittlandes abgezeichneten Dokuments, in dem die Erzeugnisse identifiziert sind und aus dem hervorgeht, dass die Erzeugnisse in diesem Drittland zum freien Verkehr abgefertigt wurden."

12 Außerdem ergibt sich aus Artikel 18 Absatz 2 der Verordnung, dass in dem Fall, dass die in Absatz 1 genannten Dokumente infolge von Umständen, auf die der Ausführer keinen Einfluss hat, nicht vorgelegt werden können oder dass diese Dokumente nicht genügen, der Nachweis der Erfuellung der Zollförmlichkeiten für die Abfertigung zum freien Verkehr auch dann als erbracht gelten kann, wenn eines oder mehrere von sieben Arten von Dokumenten vorgelegt werden.

13 Hinsichtlich des Verfahrens und der für die Zahlung der Ausfuhrerstattung einzuhaltenden Fristen sieht Artikel 47 der Verordnung Nr. 3665/87 in der durch die Verordnung Nr. 1829/94 der Kommission vom 26. Juli 1994(7) geänderten Fassung Folgendes vor:

"(1) Die Erstattung wird nur auf spezifischen Antrag des Ausführers von dem Mitgliedstaat gezahlt, in dessen Hoheitsgebiet die Ausfuhranmeldung angenommen wurde.

...

(2) Die Unterlagen für die Zahlung der Erstattung oder die Freigabe der Sicherheit sind, außer bei höherer Gewalt, innerhalb von zwölf Monaten nach dem Tag der Annahme der Ausfuhranmeldung(8) einzureichen.

...

(4) Falls die Unterlagen nach Artikel 18 nicht innerhalb der Frist von Absatz 2 vorgelegt werden konnten, obwohl der Ausführer alles in seiner Macht Stehende für ihre fristgerechte Beschaffung und Vorlage unternommen hat, kann ihm Fristverlängerung für die Beschaffung der Unterlagen eingeräumt werden(9).

..."

E - Die Verordnung (EWG) Nr. 2220/85

14 Die Verordnung Nr. 2220/85 der Kommission vom 22. Juli 1985 mit gemeinsamen Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Sicherheiten für landwirtschaftliche Erzeugnisse(10) enthält Vorschriften über die Sicherheiten, die im Rahmen der Verordnungen über gemeinsame Marktorganisationen, insbesondere auf dem Getreidesektor, zu leisten sind, unbeschadet darin enthaltener anders lautender Bestimmungen(11) (Artikel 1 der Verordnung).

15 Artikel 3 der Verordnung Nr. 2220/85 bestimmt:

"Im Sinne dieser Verordnung ist

a) eine 'Sicherheit' eine Leistung, die Gewähr dafür bietet, dass im Falle der Nichterfuellung einer bestimmten Verpflichtung ein Geldbetrag an eine zuständige Stelle gezahlt oder von dieser einbehalten wird.

..."

16 Die Artikel 21, 22 und 28 der Verordnung Nr. 2220/85 in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 1181/87 der Kommission vom 29. April 1987 geänderten Fassung(12) lauten:

"Artikel 21

Eine Sicherheit wird freigegeben, sobald in der jeweils vorgeschriebenen Form nachgewiesen ist, dass die Hauptpflichten, Nebenpflichten und untergeordneten Pflichten erfuellt sind.

Artikel 22

(1) Eine Sicherheit verfällt in voller Höhe für die Menge, für die eine Hauptpflicht nicht erfuellt wurde, sofern nicht höhere Gewalt die Erfuellung verhinderte.

(2) Eine Hauptpflicht gilt als nicht erfuellt, wenn der entsprechende Nachweis innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist nicht erbracht wird, sofern nicht höhere Gewalt die Erbringung des Nachweises innerhalb der gesetzten Frist verhinderte. Das Verfahren nach Artikel 29 zur Einziehung des verfallenen Betrages wird unverzüglich eingeleitet.

(3) Wird innerhalb von 18 Monaten nach Ablauf der Frist gemäß Absatz 2 erster Unterabsatz der Nachweis über die Erfuellung aller Hauptpflichten erbracht, so werden 85 % des Betrages der verfallenen Sicherheit zurückgezahlt.

Wird der Nachweis über die Erfuellung der Hauptpflicht erbracht, ohne dass eine diesbezügliche Nebenpflicht erfuellt wurde, so ist der zurückzuzahlende Betrag gleich dem Betrag, der im Falle der Anwendung von Artikel 23 Absatz 2 zurückgezahlt würde, vermindert um 15 % des betreffenden Teilbetrags der Sicherheit.

4. Keinerlei Rückzahlung des verfallenen Betrages erfolgt, falls der Nachweis über die Erfuellung der Hauptpflicht nach Ablauf der Frist von 18 Monaten gemäß Absatz 3 erbracht wird, sofern nicht höhere Gewalt die Erbringung dieses Nachweises innerhalb der Frist verhinderte.

...

Artikel 28

(1) Ist keine Frist für die Erbringung des zur Freigabe der Sicherheit erforderlichen Nachweises festgesetzt, so beträgt diese

a) zwölf Monate nach Ablauf der für die Erfuellung der Hauptpflicht vorgesehenen Frist oder,

b) sofern keine solche Frist vorgesehen ist, zwölf Monate nach Erfuellung der Hauptpflichten.

(2) Die in Absatz 1 genannte Frist darf nicht mehr als drei Jahre vom Zeitpunkt der Leistung der Sicherheit für die betreffende Verpflichtung an betragen, Fälle höherer Gewalt ausgenommen."

II - Ausgangsrechtsstreit und Vorabentscheidungsfrage

A - Die Vorgeschichte des Ausgangsrechtsstreits

17 Die Glencore Grain Rotterdam BV, die Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Klägerin), beteiligte sich an der durch die Verordnung Nr. 2372/95 eröffneten Ausschreibung. Ihr wurde der Zuschlag für eine Menge von insgesamt 102 359 t Weichweizen erteilt. Sie stellte hierfür gemäß Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2372/95 eine Sicherheit in Höhe von 60 ECU/t.

18 Der Weichweizen war gemäß den erteilten Ausfuhrlizenzen zur Lieferung an einen oder mehrere der im Anhang der Verordnung Nr. 2372/95 genannten AKP-Staaten bestimmt. Der zugeschlagene Weichweizen wurde zollamtlich abgefertigt und verließ zwischen Januar und März 1996 das Gebiet der Gemeinschaft per Schiff.

19 Die Klägerin macht in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, dass für das Ausgangsverfahren in Wirklichkeit allein die Ausfuhren nach Botswana, Lesotho und Swasiland von Bedeutung seien. Alle drei Länder lägen im Binnenland des südlichen Teils Afrikas und verfügten über keine Häfen. Der Weizen sei daher in einem Hafen der Republik Südafrika entladen und vorübergehend in Durban zwischengelagert worden; sobald Transportmittel zur Verfügung gestanden hätten, sei er in die drei AKP-Staaten befördert worden.

20 Gemäß Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2372/95 wurde der Sicherheitsbetrag von 20 ECU/t von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, die Beklagte des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte), freigegeben, nachdem der Nachweis erbracht worden war, dass die abgeholte Ware das Zollgebiet der Gemeinschaft verlassen hatte.

21 Die Unterlagen über die Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr im Bestimmungsland wurden bei der Beklagten jedoch erst am 24. Juni 1997 eingereicht, d. h. mehr als 18 Monate nach der Annahme der Ausfuhranmeldung.

22 Die Beklagte erklärte daraufhin 15 % der in Höhe von 40 ECU/t gestellten Ausfuhrsicherheit für verfallen. Als Rechtsgrundlage nannte sie hierfür Artikel 22 Absätze 2 und 3 und Artikel 29 der Verordnung Nr. 2220/85 in Verbindung mit Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich und Artikel 2 der Verordnung Nr. 2372/95, Artikel 17 Absatz 5 der Verordnung Nr. 2131/93 sowie die Artikel 18 und 47 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3665/87.

23 Nachdem der Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid zurückgewiesen worden war, erhob diese am 3. April 1998 wegen der Einbehaltung eines Teils ihrer Sicherheitsleistung Klage beim Verwaltungsgericht.

24 Die Klägerin trägt dem vorlegenden Gericht hauptsächlich vor, dass die Zwölfmonatsfrist des Artikels 47 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3665/87 im Rahmen des Artikels 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 2372/95 nicht gelte; vielmehr sei die Zwölfmonatsfrist des Artikels 28 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 2220/85 anzuwenden. Dieser stelle für den Fristbeginn im Gegensatz zu Artikel 47 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3665/87 nicht auf den der Annahme der Ausfuhranmeldung folgenden Tag ab, sondern sehe lediglich vor, dass der erforderliche Nachweis zur Freigabe der Sicherheit zwölf Monate nach Erfuellung der Hauptpflicht erbracht werden müsse.

25 Die Beklagte ist demgegenüber der Auffassung, dass Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2372/95 Rechtsgrundlage für den streitigen Bescheid über den Kautionsverfall sei. Danach werde die Ausfuhrsicherheit von 40 ECU/t innerhalb von 15 Arbeitstagen freigegeben, nachdem der Zuschlagsempfänger nachgewiesen habe, dass die Ware in dem oder den AKP-Staaten nach Artikel 5 Absatz 3 dieser Verordnung zum freien Verkehr abgefertigt worden sei. Dieser Nachweis werde gemäß den Artikeln 18 und 47 der Verordnung Nr. 3665/87 erbracht.

26 Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht der Auffassung der Klägerin zuneigt, wonach es sich bei dem Verweis des Artikels 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2372/95 auf Artikel 47 der Verordnung Nr. 3665/87 und damit auf die Frist des Artikels 47 Absatz 2 um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers handelt. Die Verordnung Nr. 2372/95 sehe für die Erfuellung der Hauptpflicht, d. h. für die Einfuhr des Brotweichweizens in einen AKP-Staat, keine Frist vor.

B - Die Vorlagefrage

27 Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main ist der Ansicht, dass die Entscheidung des ihm vorliegenden Rechtsstreits von der Auslegung des Artikels 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2372/95 und des Artikels 47 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3665/87 abhängt, und hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 2372/95 der Kommission vom 10. Oktober 1995 dahin gehend auszulegen, dass Artikel 47 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 lediglich entsprechend angewandt wird mit der Maßgabe, dass die Zwölfmonatsfrist für den Nachweis der Einfuhr in dem betreffenden AKP-Staat erst dann zu laufen beginnt, wenn die Hauptpflicht aus dieser Verordnung, nämlich die Einfuhr in den AKP-Staat, erfuellt ist?

III - Rechtslage

28 Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 2372/95 in Verbindung mit Artikel 47 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3665/87 dahin auszulegen sind, dass die Zwölfmonatsfrist für den Nachweis der Einfuhr in den betreffenden AKP-Staat erst zu laufen beginnt, wenn die mit der Regelung auferlegte Hauptpflicht erfuellt ist, d. h. - so das vorlegende Gericht - die Einfuhr in den AKP-Staat.

A - Wortlaut und Auslegung der fraglichen Vorschrift

1. Das Vorbringen der Klägerin

29 Die Klägerin vertritt in Übereinstimmung mit dem vorlegenden Gericht die Auffassung, dass der Einfuhrnachweis für den Weizen fristgemäß erbracht worden sei, denn bei zutreffender Auslegung des Artikels 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2372/95 beginne die Zwölfmonatsfrist für den Nachweis der Einfuhr in den betreffenden AKP-Staat erst zu laufen, wenn die Einfuhr in den AKP-Staat durchgeführt sei.

30 Anders als die Verordnung Nr. 3665/87 für die Ausfuhrerstattung sehe die Verordnung Nr. 2372/95 lediglich eine Frist vor, innerhalb deren die Ware ausgeführt werden müsse, jedoch nicht ausdrücklich eine Frist, innerhalb deren die Ware im Bestimmungs-AKP-Staat eingeführt werden müsse. Der Gesetzgeber habe in dieser nur die Ausfuhr in AKP-Staaten betreffenden Regelung mit Absicht davon abgesehen, für die Durchführung der Einfuhr im betreffenden AKP-Staat eine Frist zu setzen, weil eine Zwölfmonatsfrist häufig nicht eingehalten werden könne. Die Ware, die mit Schiffen aus Europa komme, müsse nämlich aus logistischen Gründen zunächst noch zwischengelagert werden, bis die Beladung von LKW oder Bahn erfolgen könne. Dann werde sie unter häufig schwierigsten Bedingungen durch Afrika gefahren. Wenn aber keine Frist für den Import in das AKP-Land gesetzt worden sei, könne zwangsläufig auch keine Frist für den Nachweis gesetzt werden.

31 Dass der Gesetzgeber nicht gewollt habe, dass der Nachweis der Einfuhr binnen zwölf Monaten ab Zeitpunkt der Ausfuhrabfertigung zu erbringen sei, zeige auch ein Vergleich mit Artikel 17 der Verordnung Nr. 2131/93. Nach dieser Vorschrift werde die Sicherheit entweder freigegeben, wenn die Einfuhrverzollungsunterlagen gemäß Artikel 18 der Verordnung Nr. 3665/87 vorgelegt würden oder wenn der Nachweis erbracht worden sei, dass das Getreide das Zollgebiet der Gemeinschaft an Bord eines Hochseeschiffes verlassen habe. Hier heiße es ausdrücklich, dass der eine oder andere Nachweis innerhalb der Frist des Artikels 47 der Verordnung Nr. 3665/87 erbracht werden müsse. Abgesehen davon, dass die Frist des Artikels 47 Absatz 2 ausdrücklich genannt werde, mache eine solche Regelung auch Sinn, da der Nachweis, dass die Ware in einem hochseetüchtigen Schiff die Gemeinschaft verlassen habe, einfach und ohne Schwierigkeiten zu erbringen sei. In der Verordnung Nr. 2372/95 sei nur für die Ausfuhr eine Frist gesetzt worden. Wenn der Gesetzgeber auch für den Nachweis der Einfuhr in die AKP-Staaten eine Frist hätte festlegen wollen, so hätte er das getan.

32 Schließlich sei die vorstehende Auslegung des Artikels 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2372/95 auch deshalb gerechtfertigt, weil die Verordnung Nr. 2220/85 anzuwenden sei. Die im Rahmen der Ausfuhr nach der Verordnung Nr. 2372/95 zu stellende Sicherheit sei eine Sicherheit im Sinne von Artikel 3 Buchstabe a der Verordnung Nr. 2220/85. Bei der Einfuhr des Getreides in den Bestimmungs-AKP-Staat handele es sich um eine Hauptpflicht im Sinne von Artikel 20 Absatz 2 dieser Verordnung. Es sei unstreitig, dass diese Hauptpflicht erfuellt worden sei.

33 Zwar vermittle Artikel 22 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2220/85 den Eindruck, dass die Hauptpflicht dann als nicht erfuellt anzusehen sei, wenn der entsprechende Nachweis nicht innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist erbracht worden sei. Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2372/95 setze jedoch anders als Artikel 17 Absatz 5 der Verordnung Nr. 2131/93 für die Erfuellung des Nachweises keine Frist.

34 Da auch für die Erfuellung der Hauptpflicht keine Frist vorgesehen sei, betrage somit die Frist für den Nachweis der Einfuhr in den Bestimmungsmitgliedstaat gemäß Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe b zwölf Monate nach Erfuellung der Hauptpflicht, d. h. der Einfuhren in die Bestimmungs-AKP-Staaten. Damit auch diese Frist nicht ausufern könne, sehe Absatz 2 als absolute Hoechstfrist eine Frist von drei Jahren vor, berechnet ab dem Zeitpunkt der Leistung der Sicherheit.

35 Die Klägerin kommt zu dem Ergebnis, dass Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2372/95 für die Vorlage des Einfuhrnachweises keine Frist vorsehe und dass der Hinweis auf Artikel 47 der Verordnung Nr. 3665/87 nur so ausgelegt werden könne, dass diese Vorschrift eine entsprechende, der Verordnung Nr. 2372/95 angepasste Auslegung erfahren dürfe.

36 Die Zwölfmonatsfrist beginne also erst dann zu laufen, wenn die nach dieser Verordnung vorgesehene Hauptpflicht, d. h. die Einfuhr in den AKP-Staat, erfuellt sei.

2. Die Ansicht der Kommission

37 Die Kommission vertritt die Auffassung, dass die in Artikel 47 der Verordnung Nr. 3665/87 vorgesehenen Fristen im Rahmen von Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2372/95 in vollem Umfang anwendbar seien. Der für die Freigabe der Sicherheit erforderliche Nachweis für die Einfuhr der Ware in das AKP-Land oder die betreffenden AKP-Länder sei - außer bei einer Fristverlängerung nach Artikel 47 Absätze 4 und 5 der Verordnung Nr. 3665/87 oder im Fall höherer Gewalt - innerhalb von zwölf Monaten nach dem Tag der Annahme der Ausfuhranmeldung zu erbringen.

38 Der Wortlaut von Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2372/95 sei klar und eindeutig. Diese Vorschrift enthalte keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Verweis auf Artikel 47 der Verordnung Nr. 3665/87 nicht auch auf Artikel 47 Absatz 2 erstrecken sollte. Würde diese Fristenregelung nicht berücksichtigt, so wäre der Verweis völlig wirkungslos.

39 Der von der Klägerin vorgeschlagene Rückgriff auf die Fristenregelungen des Artikels 28 der Verordnung Nr. 2220/85 sei nicht zulässig, denn diese Verordnung gelte gemäß ihrem Artikel 1 nur insoweit, als die im Rahmen der jeweiligen Marktorganisation erlassenen sektoriellen Verordnungen keine anders lautenden Bestimmungen enthielten. Auch sei hierzu auf die vorletzte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 2220/85 zu verweisen. Hinzu komme, dass ein solches Vorgehen gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen würde, wonach "die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften klar sein müssen und ... ihre Anwendung für alle Betroffenen vorhersehbar sein muss"(13).

40 Hätte es sich bei dem Verweis um ein Redaktionsversehen gehandelt, so wäre es nahe liegend gewesen, die Vorschrift nachträglich entsprechend zu berichtigen oder zu ändern. Eine solche Berichtigung oder Änderung habe jedoch nicht stattgefunden, obwohl sie im November 1995 eine andere Bestimmung der Verordnung Nr. 2372/95 geändert habe.

41 Auch Artikel 17 der Verordnung Nr. 2131/93 verweise hinsichtlich der Frist, innerhalb deren der für die Freigabe der Ausfuhrsicherheit erforderliche Nachweis zu erbringen sei, auf Artikel 47 der Verordnung Nr. 3665/87. Artikel 8 der Verordnung Nr. 2372/95 entspreche also den allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren und die Bedingungen für den Verkauf von Getreide aus Beständen der Interventionsstellen. Daran ändere auch der leicht unterschiedliche Wortlaut der jeweiligen Verweise in den beiden Vorschriften nichts. Wäre es die Absicht des Verordnungsgebers gewesen, bei der Fristenregelung von den allgemeinen Bestimmungen abzuweichen, so hätte er dies deutlich zum Ausdruck gebracht.

3. Rechtliche Würdigung

42 Es ist bedauerlich, dass die Kommission selbst dann auf andere Verordnungen verweist, wenn die aufzustellende Regel ganz einfach unmittelbar zum Ausdruck gebracht werden könnte.

43 So wäre die Verordnung Nr. 2372/95 nicht unnötig verlängert worden, wenn die Kommission in Artikel 8 Absatz 2 Folgendes erklärt hätte:

"Dieser Nachweis ist binnen zwölf Monaten ab dem Zeitpunkt der Annahme der Ausfuhranmeldung mit einem der in Artikel 18 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vorgesehenen Beweismittel zu erbringen. Falls die Unterlagen nach Artikel 18 aber nicht innerhalb dieser Frist vorgelegt werden konnten, obwohl der Ausführer alles in seiner Macht Stehende für ihre fristgerechte Beschaffung und Vorlage unternommen hat, kann ihm Fristverlängerung für die Beschaffung der Unterlagen eingeräumt werden."(14)

44 Es steht meines Erachtens jedoch außer Frage, dass die fraglichen Bestimmungen nicht zweideutig sind. Der Verweis auf Artikel 47 der Verordnung Nr. 3665/87 kann nämlich nicht dahin ausgelegt werden, dass er alle Bestimmungen des Artikels 47 außer dessen Absatz 2, der eine Frist von zwölf Monaten vorsieht, die in dem Zeitpunkt der Annahme der Ausfuhranmeldung zu laufen beginnt, und außer den Vorschriften des Absatzes 4 über die Möglichkeit einer Fristverlängerung erfasse.

45 Artikel 47 betrifft nämlich genauso wie alle anderen Bestimmungen der Verordnung Nr. 3665/87 die Regelung für Ausfuhrerstattungen. Im Zusammenhang mit den Zuschlägen, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, sind aber keine derartigen Erstattungen gewährt worden. Unter diesen Umständen ist die Bemerkung der Kommission zutreffend, dass der Verweis auf diesen Artikel nicht bedeute, dass er die beiden Absätze, die sich auf die Fristen beziehen, nicht erfasse.

46 In den Schlussanträgen, auf die die Kommission Bezug nimmt, hat Generalanwalt Léger zur Auslegung von Verordnungen über die Verwaltung und die Kontrolle gemeinschaftlicher Beihilfen Folgendes erklärt:

"Gemeinschaftsrechtliche Vorschriften ohne jede Mehrdeutigkeit genügen sich selbst. Sie sind seitens des Gerichtshofes Gegenstand einer Auslegung, die mindestens ebenso an ihrem Wortlaut wie an den Zwecken des Rechtsakts, in dem sie enthalten sind, ausgerichtet ist. Warum sollte eine gleichermaßen klare und präzise Bestimmung in einem Sinn ausgelegt werden, den sie offenkundig nicht haben kann?"(15)

47 In denselben Schlussanträgen spricht sich Philippe Léger dafür aus, "die Auslegung zu bevorzugen, die den Grundsatz der Rechtssicherheit am besten gewährleistet, d. h. ... die Auslegung, die der Wortlaut [der fraglichen Bestimmung] selbst gebietet."(16)

48 Der Gerichtshof selbst lehnt ein Vorbringen ab, das dem Wortlaut einer Verordnungsvorschrift zuwiderläuft, die unzweideutig und hinreichend klar ist.(17)

49 Was die Argumente angeht, die die Klägerin auf die Verordnung Nr. 2220/85 und auf ein angebliches Redaktionsversehen stützt, halte ich die Antworten, die die Kommission hierzu gegeben hat (siehe oben, Nrn. 38 f.), für absolut überzeugend.

50 Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass die fraglichen Bestimmungen nicht zweideutig sind und ihr Wortlaut die vom vorlegenden Gericht vorgeschlagene Auslegung nicht zulässt. Die Zwölfmonatsfrist, über die der Wirtschaftsteilnehmer verfügt, um den Einfuhrnachweis zu erbringen, beginnt vielmehr durchaus in dem Zeitpunkt der Annahme der Ausfuhranmeldung.

51 Da uns dieses Ergebnis bereits zu einer erschöpfenden Antwort auf die Frage des vorlegenden Gerichts führt, möchte ich auf die anderen in dieser Rechtssache vorgetragenen Argumente nur hilfsweise eingehen.

B - Sinn und Zweck des Mechanismus und der in der Verordnung Nr. 2372/95 für die Fristen vorgesehenen Modalitäten in Anbetracht der Besonderheit dieser Verordnung und der vorliegenden Umstände

52 Zu diesem Punkt möchte ich die Bemerkungen des vorlegenden Gerichts aufgreifen, die - wenngleich sie in dieselbe Richtung gehen - detaillierter als die der Klägerin sind.

1. Die Auffassung des vorlegenden Gerichts

53 Das vorlegende Gericht vertritt ebenso wie die Klägerin die Ansicht, dass die Verordnung Nr. 2372/95 für die Erfuellung der Hauptpflicht, d. h. für die Ausfuhr von Weichweizen in die AKP-Länder, keine Frist vorsehe.

54 Folgte man der Rechtsauffassung der Beklagten, wonach die die Einfuhr in einen AKP-Staat bescheinigenden Papiere binnen zwölf Monaten nach dem Tag der Annahme der Ausfuhranmeldung einzureichen seien, würde über eine untergeordnete Nebenpflicht mittelbar eine Frist zur Erfuellung einer Hauptpflicht konstruiert.

55 Wenn der Verweis in Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2372/95 auf Artikel 47 der Verordnung Nr. 3665/87 kein Redaktionsversehen sei, hätte die Verordnung Nr. 2372/95 für den Exporteur nur Verschlechterungen im Verhältnis zu den Verpflichtungen zur Folge, die ihm von der Verordnung Nr. 2131/93 auferlegt würden. Dies widerspräche jedoch Sinn und Zweck(18) der Verordnung.

56 Aus den Begründungserwägungen ergebe sich, dass wegen der Besonderheit des Vorgangs und der Buchposition der Ware die Mechanismen und Verpflichtungen beim Wiederverkauf von Interventionsbeständen zu lockern seien. Um die Richtigkeit der Vorgänge und deren Kontrolle zu gewährleisten, müssten Sonderbestimmungen festgelegt und Sicherheitsregelungen getroffen werden, damit unter Vermeidung einer übermäßigen Belastung der Beteiligten die Einhaltung der angestrebten Ziele gewährleistet werde. Daher sei von bestimmten Regeln, insbesondere der Verordnung Nr. 2131/93, abzuweichen.

57 Anders als nach der Verordnung Nr. 2131/93 müsse sich der Exporteur nach der Verordnung Nr. 2372/95 verpflichten, die Interventionsware nach dem Kauf nicht nur abzunehmen und in Gebiete außerhalb der EG zu verbringen, sondern er müsse die Ware auch in AKP-Staaten einführen.

58 Für den Ausführer, der an einer Ausschreibung nach der Verordnung Nr. 2372/95 erfolgreich teilgenommen habe, gälten also höhere Anforderungen als für den Ausführer im Sinne der Verordnung Nr. 2131/93.

59 Während der Ausführer nach der letztgenannten Verordnung eine Frist von zwölf Monaten für den Nachweis habe, dass die Ware verschifft worden sei (ein verhältnismäßig einfacher Nachweis, denn diese Bescheinigung könne von den Behörden der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ausgestellt worden sein), müsse der Ausführer gemäß der Verordnung Nr. 2372/95 nachweisen, dass die Ware in einem AKP-Staat zum freien Verkehr abgefertigt worden sei (dieser Nachweis sei schwerer zu erbringen), und habe hierzu dieselbe Frist von zwölf Monaten. Dadurch werde außer Acht gelassen, dass mit der Verordnung Nr. 2372/95 eine übermäßige Belastung der Beteiligten habe vermieden und deshalb von bestimmten Regelungen der Verordnung Nr. 2131/93 habe abgewichen werden sollen.

60 Darüber hinaus habe der Exporteur gemäß der Verordnung Nr. 2372/95 eine deutlich höhere Kaution zu stellen (insgesamt 60 ECU/t) als nach der Verordnung Nr. 2131/93.

61 Diese Kaution sichere aufgrund ihrer Höhe nicht nur den Preisunterschied zwischen Weltmarkt und Gemeinschaft ab, sondern verfolge ein anderes Ziel. Das Argument der Beklagten, dass die Bestimmungen der Verordnung Nr. 2131/93 immer anwendbar seien, könne also nicht greifen, es sei denn, dass die Verordnung Nr. 2372/95 etwas anderes regele.

62 Artikel 17 Absatz 5 der Verordnung Nr. 2131/93 könne nicht die Rechtsgrundlage für die nach der Verordnung Nr. 2372/95 vorgesehene Exportsicherungskaution sein, denn diese diene weder zur Sicherung des Angebots noch zum Ausgleich des Preisunterschieds zwischen der Gemeinschaft und dem Weltmarkt.

2. Die Auffassung der Kommission

63 Die Kommission weist zunächst rein vorsorglich darauf hin, dass eine am Zweck orientierte Auslegung die zugunsten ihrer Auffassung vorgetragenen Argumente keineswegs widerlege, sondern vielmehr bestätige.

64 Die Kommission erklärt unter Hinweis auf die zweite und die dritte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 2372/95, dass mit der durch diese Verordnung eröffneten Dauerausschreibung in erster Linie der Bedarf der AKP-Länder an backfähigem Weichweizen habe befriedigt werden sollen. Die Einfuhr von Weizen in diese Länder sei daher die Hauptpflicht der Zuschlagsempfänger gewesen. Durch die Leistung der in Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung vorgesehenen Sicherheit sei die Erfuellung dieser Hauptpflicht gewährleistet worden. Es hätte der Bedeutung dieser Pflicht für den Erfolg der gesamten Maßnahme widersprochen, die Frist, innerhalb deren der für die Freigabe des zweiten Teils der Sicherheit erforderliche Nachweis der Einfuhr des Weizens in die betreffenden AKP-Länder zu erbringen gewesen sei, großzügiger zu bemessen als die im Rahmen des allgemeinen Regimes anwendbare vergleichbare Frist des Artikels 17 Absatz 5 der Verordnung Nr. 2131/93. Genau dies wäre jedoch die Folge des von der Klägerin vorgeschlagenen Rückgriffs auf die Fristenregelung des Artikels 28 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 2220/85.

65 Dieser Einschätzung stehe auch nicht entgegen, dass die in Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2372/95 enthaltene Sicherheitsregelung gemäß der vierten Begründungserwägung der Verordnung eine übermäßige Belastung der Beteiligten vermeiden solle. Diese Feststellung beziehe sich nämlich lediglich auf die Höhe der zu leistenden Sicherheit, nicht jedoch auf die Bedingungen für ihre Freigabe. Letztere seien vielmehr Gegenstand der fünften Begründungserwägung.

3. Rechtliche Würdigung

66 Hinsichtlich des Interesses und der Bedeutung einer teleologischen Auslegung ist zunächst auf die erwähnten Schlussanträge von Generalanwalt Léger(19) zu verweisen, in denen dieser Folgendes erklärt:

"Eine genaue Auswertung der Rechtsprechung des Gerichtshofes erweist indessen, dass die so genannte $teleologische` Auslegung vom Gerichtshof nicht unter allen Umständen verwendet wird.

...

Häufig wird auf den mit einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift verfolgten Zweck Bezug genommen, um den Wortlaut dieser Vorschrift zu bestätigen. Eine solche Bezugnahme stützt damit den Wortsinn einer Vorschrift, der, ohne völlig klar und eindeutig zu sein, für Zweifel nur wenig Raum lässt. Die Prüfung des Wortlauts und die Prüfung des Zwecks von Gemeinschaftsvorschriften ergänzen somit einander im Auslegungsvorgang.

Die finalistische Auslegung spielt dagegen eine ausschlaggebende Rolle, wenn die fragliche Vorschrift allein anhand ihres Wortlauts nur schwer auszulegen ist. So verhält es sich, wenn die streitige Vorschrift mehrdeutig ist. ...

... [I]m vorliegenden Fall [ist die] fragliche Bestimmung klar und eindeutig. Streng unter dem Gesichtspunkt der Auslegung betrachtet, bedarf sie daher keiner Bestätigung oder weiteren Klärung, für die dem Zweck des Rechtsakts nachzugehen wäre, der sie enthält."(20)

67 Da die fraglichen Bestimmungen nicht mehrdeutig sind, halte ich es nicht für erforderlich, nach ihrem Sinn und Zweck zu forschen. Ich will diese Frage daher nur hilfsweise untersuchen.

68 Ich gebe durchaus zu, dass die Kommission nicht dargelegt hat, inwiefern die Verordnung Nr. 2372/95 dazu geführt haben soll, die "Mechanismen und Verpflichtungen beim Wiederverkauf von Interventionsbeständen zu lockern" (vierte Begründungserwägung). Auch hat sie nicht aufgezeigt, worin es sich bei den "übermäßigen Belastungen" gehandelt haben soll, die durch das eingeführte Kautionssystem den Wirtschaftsteilnehmern erspart wurden. Das Beispiel der Höhe der Sicherheit ist natürlich nicht überzeugend, denn diese ist höher als für gewöhnliche Ausfuhren.

69 Somit ist festzustellen, dass das Hauptziel der Verordnung Nr. 2372/95 nicht darin besteht, bestimmte Mechanismen zu lockern oder bestimmte Belastungen zu vermeiden, sondern zu gewährleisten, dass der Weizen innerhalb einer angemessenen Frist sein Ziel erreicht, und zwar aus zwei Gründen:

70 Zum einen hatten die fraglichen Lieferungen den Zweck, den AKP-Ländern, für die sie bestimmt waren, die benötigten großen Weizenmengen zukommen zu lassen, und es ist anzunehmen, dass sie den Weizen ziemlich schnell benötigten, auch wenn es sich hier nicht um eine dringende Nahrungsmittelhilfe handelte.

71 Zum anderen heißt es in der zweiten Begründungserwägung: "Angesichts der heutigen Marktlage sollte ... eine Sonderausschreibung eröffnet werden, um den Verwendern in diesen Ländern backfähigen Weichweizen zu Bedingungen anbieten zu können, die dem Wettbewerb auf dem Weltmarkt gerecht werden." Die Preise, zu denen die Lose zugeteilt wurden, lagen also in einem präzisen wirtschaftlichen Rahmen, und die Lieferungen mussten innerhalb des Zeitraums erfolgen, in dem dieser Rahmen bestand.

72 Dies sind meines Erachtens vernünftige Gründe, die die Kommission rechtmäßigerweise dazu führen konnten, für "die Verpflichtung zur Ausfuhr und Einfuhr in die Bestimmungsländer" (Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung) eine strenge Frist vorzusehen und die Einhaltung dieser Frist durch die Zahlung einer verhältnismäßig hohen Kaution sicherzustellen.

73 Die Klägerin hat die von ihr mit den Bestimmungsländern geschlossenen Verträge, die gemäß Artikel 4 der Verordnung Nr. 2372/95 vor der ersten Ausschreibung bei der nationalen Interventionsstelle zu hinterlegen waren, hier nicht vorgelegt. In diesen Verträgen waren die Lieferfristen anzugeben. Außerdem durften sich diese Verträge gemäß dem genannten Artikel "allein auf die Ausfuhr der zwischen Oktober 1995 und Februar 1996 üblicherweise gelieferten Mengen"(21) beziehen.

74 Derartige Regeln gibt es nicht für "normale" im Rahmen der Verordnung Nr. 2131/93 durchgeführte Ausfuhren. Diese soll lediglich gewährleisten, dass Getreide aus Beständen der Interventionsstellen tatsächlich in nicht näher angegebene Drittländer ausgeführt und nicht auf dem Gemeinschaftsmarkt abgesetzt wird.

75 Außerdem ist die Verordnung Nr. 2131/93 nicht die Rechtsgrundlage für die Verordnung Nr. 2372/95. Sie wird in den "Bezugsvermerken" dieser Verordnung nicht erwähnt. Beide Verordnungen stehen auf derselben Stufe. Die Rechtsgrundlage beider Verordnungen ist Artikel 5 der Verordnung (EWG) Nr. 1766/92 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide.

76 Artikel 2 der Verordnung Nr. 2372/95 bestimmt daher völlig konsequent, dass die Verordnung Nr. 2131/93 nur vorbehaltlich der Bestimmungen der Verordnung Nr. 2372/95 gilt.

77 Schließlich kommt noch hinzu, dass die fragliche Regelung im vorliegenden Fall insofern in verschiedener Hinsicht derjenigen über die differenzierten Erstattungen ähnelt, als das Bestimmungsland in beiden Fällen eine wesentliche Rolle spielt.

78 Der Gerichtshof hat im Urteil DAT-SCHAUB(22) die besonderen Merkmale der fraglichen Regelung herausgestellt ("mit der Differenzierung des Erstattungsbetrags soll den Besonderheiten der jeweiligen Einfuhrmärkte, auf denen die Gemeinschaft eine Rolle spielen will, Rechnung getragen werden") und daraus Folgendes abgeleitet:

"Im Hinblick auf diesen Zweck des Systems der differenzierten Ausfuhrerstattungen ist wesentlich, dass die durch die Gewährung einer Erstattung subventionierten Waren tatsächlich den Bestimmungsmarkt erreichen und auf diesem in den Verkehr gebracht werden ...

Gemäß der Verordnung Nr. 3665/87 hängt die Auszahlung der Erstattungen daher im Fall einer differenzierten Erstattung davon ab, dass die Ware das Zollgebiet der Gemeinschaft verlassen hat und unter Einhaltung der Zollförmlichkeiten für die Abfertigung zum freien Verkehr in ein Drittland eingeführt wurde."(23)

79 Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass die Berücksichtigung von Sinn und Zweck der fraglichen Vorschriften keineswegs zu einer anderen Auslegung führt, als sich aus deren Wortlaut ergibt.

C - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

80 Die Klägerin hat dem vorlegenden Gericht erklärt, dass die außergewöhnliche Höhe des Kautionsverfalls auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße.

81 Artikel 47 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3665/87 gestattet dem Wirtschaftsteilnehmer jedoch ausdrücklich den Nachweis eines Falles höherer Gewalt(24), und er kann gemäß Artikel 47 Absatz 4 eine Fristverlängerung beantragen. Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung zutreffend darauf hingewiesen, dass die Verwendung des Plurals (A.d.Ü.: Den Worten "eine Fristverlängerung" entspricht in der französischen Fassung der Verordnung die Wendung "des délais supplémentaires" [wörtlich: "zusätzliche Fristen"]) zum Ausdruck bringt, dass mehrere Fristverlängerungen gewährt werden können.

82 Außerdem hat die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zutreffend darauf hingewiesen, dass Artikel 22 der Verordnung Nr. 2220/85 ein abgestuftes Sanktionssystem für den Fall vorsieht, dass die Erfuellung der Hauptpflichten nicht fristgerecht nachgewiesen wird. So verfallen gemäß Artikel 22 Absatz 3 Unterabsatz 1 lediglich 15 % der Sicherheit endgültig, wenn der Nachweis innerhalb von 18 Monaten nach Ablauf der ursprünglichen Frist nachgeholt wird. Nur wenn auch diese "Nachfrist" von 18 Monaten versäumt wird, verfällt die Sicherheit gemäß Absatz 4 in voller Höhe. Mit dieser Abstufung trägt Artikel 22 den vom Gerichtshof in seiner Rechtsprechung(25) entwickelten Grundsätzen zur Verhältnismäßigkeit von Sanktionen bei Fristversäumnis Rechnung.

83 Hätte das vorlegende Gericht den Gerichtshof gefragt, ob die Verordnung wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als nichtig anzusehen ist, so hätte der Gerichtshof diese Frage meines Erachtens also verneinen müssen.

IV - Ergebnis

84 Aus all diesen Gründen schlage ich vor, auf die vom Verwaltungsgericht Frankfurt am Main vorgelegte Frage wie folgt zu antworten:

Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 2372/95 der Kommission vom 10. Oktober 1995 zur Eröffnung einer Dauerausschreibung für den Verkauf von Brotweichweizen aus Beständen der deutschen und französischen Interventionsstellen zur Ausfuhr in die AKP-Länder im Wirtschaftsjahr 1995/96 ist dahin gehend auszulegen, dass der für die Freigabe der Sicherheit in Höhe von 40 ECU/t erforderliche Nachweis der Einfuhr der Ware in die betreffenden AKP-Länder gemäß Artikel 47 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen binnen zwölf Monaten nach dem Tag der Annahme der Ausfuhranmeldung zu erbringen ist, es sei denn, dass dem Ausführer eine Fristverlängerung für die Erbringung des erforderlichen Nachweises gewährt worden ist oder dass ein Fall höherer Gewalt im Sinne von Artikel 47 Absätze 4 und 5 der Verordnung Nr. 3665/87 vorliegt.

(1) - ABl. L 181, S. 21.

(2) - ABl. L 191, S. 76.

(3) - ABl. L 21, S. 1.

(4) - Hervorhebung von mir.

(5) - ABl. L 242, S. 13.

(6) - ABl. L 351, S. 1.

(7) - ABl. L 191, S. 5.

(8) - Hervorhebung von mir.

(9) - Hervorhebung von mir.

(10) - ABl. L 205, S. 5.

(11) - Hervorhebung von mir.

(12) - ABl. L 113, S. 31.

(13) - Vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 16. Juni 1993 in der Rechtssache C-325/91 (Frankreich/Kommission, Slg. 1993, I-3283, Randnr. 26).

(14) - Der letzte Satz ist Artikel 47 Absatz 4 der Verordnung Nr. 3665/87 entnommen.

(15) - Schlussanträge in der Rechtssache C-63/00 (Schilling und Nehring, Nr. 24, Urteil vom 16. Mai 2002, Slg. 2002, I-4483).

(16) - Ebenda, Nr. 32.

(17) - Vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 16. Dezember 1999 in der Rechtssache C-74/98 (DAT-SCHAUB, Slg. 1999, I-8759, Randnrn. 31 und 44).

(18) - Hervorhebung von mir.

(19) - Siehen oben, Fußnote 16.

(20) - Ebenda, Nrn. 23 bis 28.

(21) - Hervorhebung von mir.

(22) - Siehe oben, Fußnote 18 (Randnrn. 27 bis 29), sowie die Urteile vom 11. Juli 1984 in der Rechtssache 89/83 (Dimex, Slg. 1984, 2815, Randnr. 8) und vom 28. März 1996 in der Rechtssache C-299/94 (Anglo Irish Beef Processors International u. a., Slg. 1996, I-1925, Randnrn. 21 und 28), auf die im Urteil DAT-SCHAUB verwiesen wird.

(23) - Der Gerichtshof verweist hierzu auf das Urteil vom 29. September 1998 in der Rechtssache C-263/97 (First City Trading u. a., Slg. 1998, I-5537, Randnr. 27).

(24) - Die Klägerin hätte sich beim vorlegenden Gericht auf höhere Gewalt berufen können. Dieses hat dem Gerichtshof hierzu jedoch keine Frage gestellt.

(25) - Siehe zuletzt das Urteil des Gerichtshofes vom 6. Juli 2000 in der Rechtssache C-356/97 (Molkereigenossenschaft Wiedergeltingen, Slg. 2000, I-5461).