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Document 62022CJ0283
Judgment of the Court (Eighth Chamber) of 16 November 2023.#DZ and Others v Ministerstvo vnútra Slovenskej republiky.#Request for a preliminary ruling from the Okresný súd Prešov.#Reference for a preliminary ruling – Carriage by air – Montreal Convention – Article 1(1) and (2) – Scope – Concept of ‘international carriage’ – Article 2(1) – Concept of ‘Carriage performed by the State’ – Article 17(1) – Liability of air carriers in the event of death or bodily injury of a passenger – Air carrier and aircraft operator insurance – Regulation (EC) No 785/2004 – Article 1(1) and Article 2(1) and (2)(a) – Scope – Concept of ‘State aircraft’ – Article 4(1) – Minimum insurance requirements for air carriers and aircraft operators – Crash of a helicopter operated by the public administration of a Member State during a specialised evacuation and rescue training exercise – Death of an officer of the firefighting and rescue unit participating in that exercise – Compensation.#Case C-283/22.
Urteil des Gerichtshofs (Achte Kammer) vom 16. November 2023.
DZ u. a. gegen Ministerstvo vnútra Slovenskej republiky.
Vorabentscheidungsersuchen des Okresný súd Prešov.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Übereinkommen von Montreal – Art. 1 Abs. 1 und 2 – Anwendungsbereich – Begriff ‚internationale Beförderung‘ – Art. 2 Abs. 1 – Begriff ‚Beförderung, die der Staat ausführt‘ – Art. 17 Abs. 1 – Haftung von Luftfahrtunternehmen für Tod und Körperverletzung von Reisenden – Versicherung von Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreibern – Verordnung (EG) Nr. 785/2004 – Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a – Anwendungsbereich – Begriff ‚Staatsluftfahrzeuge‘ – Art. 4 Abs. 1 – Mindestanforderungen für die Versicherung von Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreibern – Absturz eines von der öffentlichen Verwaltung eines Mitgliedstaats betriebenen Hubschraubers während eines Einsatzes zur spezialisierten Ausbildung in Evakuierung und Rettung – Tod eines an diesem Einsatz beteiligten Angehörigen des Feuerwehr- und Rettungsdienstes – Entschädigung.
Rechtssache C-283/22.
Urteil des Gerichtshofs (Achte Kammer) vom 16. November 2023.
DZ u. a. gegen Ministerstvo vnútra Slovenskej republiky.
Vorabentscheidungsersuchen des Okresný súd Prešov.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Übereinkommen von Montreal – Art. 1 Abs. 1 und 2 – Anwendungsbereich – Begriff ‚internationale Beförderung‘ – Art. 2 Abs. 1 – Begriff ‚Beförderung, die der Staat ausführt‘ – Art. 17 Abs. 1 – Haftung von Luftfahrtunternehmen für Tod und Körperverletzung von Reisenden – Versicherung von Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreibern – Verordnung (EG) Nr. 785/2004 – Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a – Anwendungsbereich – Begriff ‚Staatsluftfahrzeuge‘ – Art. 4 Abs. 1 – Mindestanforderungen für die Versicherung von Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreibern – Absturz eines von der öffentlichen Verwaltung eines Mitgliedstaats betriebenen Hubschraubers während eines Einsatzes zur spezialisierten Ausbildung in Evakuierung und Rettung – Tod eines an diesem Einsatz beteiligten Angehörigen des Feuerwehr- und Rettungsdienstes – Entschädigung.
Rechtssache C-283/22.
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:886
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)
16. November 2023 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Übereinkommen von Montreal – Art. 1 Abs. 1 und 2 – Anwendungsbereich – Begriff ‚internationale Beförderung‘ – Art. 2 Abs. 1 – Begriff ‚Beförderung, die der Staat ausführt‘ – Art. 17 Abs. 1 – Haftung von Luftfahrtunternehmen für Tod und Körperverletzung von Reisenden – Versicherung von Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreibern – Verordnung (EG) Nr. 785/2004 – Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a – Anwendungsbereich – Begriff ‚Staatsluftfahrzeuge‘ – Art. 4 Abs. 1 – Mindestanforderungen für die Versicherung von Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreibern – Absturz eines von der öffentlichen Verwaltung eines Mitgliedstaats betriebenen Hubschraubers während eines Einsatzes zur spezialisierten Ausbildung in Evakuierung und Rettung – Tod eines an diesem Einsatz beteiligten Angehörigen des Feuerwehr- und Rettungsdienstes – Entschädigung“
In der Rechtssache C‑283/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Okresný súd Prešov (Bezirksgericht Prešov, Slowakei) mit Entscheidung vom 29. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 26. April 2022, in dem Verfahren
DZ,
EO,
YV,
YE,
MP
gegen
Ministerstvo vnútra Slovenskej republiky,
Beteiligte:
KOOPERATIVA Poisťovňa a.s., Vienna Insurance Group,
Generali Česká pojišťovna a.s., vormals Generali Poisťovňa a.s.,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Piçarra (Berichterstatter) sowie der Richter M. Safjan und M. Gavalec,
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– |
von DZ, EO, YV, YE und MP, vertreten durch O. Urban, Advokát, |
– |
der Generali Česká pojišťovna a.s., vormals Generali Poisťovňa a.s., vertreten durch S. Dubjel, Advokát, |
– |
der slowakischen Regierung, vertreten durch E. V. Drugda als Bevollmächtigte, |
– |
der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Sasinowska, A. Tokár und G. Wilms als Bevollmächtigte, |
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 des am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossenen, von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 unterzeichneten und mit dem Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. 2001, L 194, S. 38) in ihrem Namen genehmigten Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (im Folgenden: Übereinkommen von Montreal), das für die Europäische Union am 28. Juni 2004 in Kraft getreten ist, sowie von Art. 3 Buchst. g der Verordnung (EG) Nr. 785/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber (ABl. 2004, L 138, S. 1). |
2 |
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen DZ, EO, YV, YE und MP, Rechtsnachfolger von NK, der bei einem Hubschrauberunfall verstarb, und dem Ministerstvo vnútra Slovenskej republiky (Innenministerium der Slowakischen Republik), Eigentümer und Betreiber des betreffenden Hubschraubers, über den Ersatz des den Klägern des Ausgangsverfahrens durch den Tod von NK entstandenen Nichtvermögensschadens. |
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Abkommen von Chicago
3 |
Art. 3 („Privat- und Staatsluftfahrzeuge“) des am 7. Dezember 1944 in Chicago unterzeichneten und von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ratifizierten Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt (United Nations Treaty Series, Bd. 15, Nr. 102, im Folgenden: Abkommen von Chicago) bestimmt: „(a) Dieses Abkommen findet nur auf Privatluftfahrzeuge Anwendung; auf Staatsluftfahrzeuge ist es nicht anwendbar. (b) Luftfahrzeuge, die im Militär‑, Zoll- und Polizeidienst verwendet werden, gelten als Staatsluftfahrzeuge. …“ |
Übereinkommen von Montreal
4 |
Art. 1 („Anwendungsbereich“) des Übereinkommens von Montreal bestimmt in seinen Abs. 1 und 2: „(1) Dieses Übereinkommen gilt für jede internationale Beförderung von Personen, Reisegepäck oder Gütern, die durch Luftfahrzeuge gegen Entgelt erfolgt. Es gilt auch für unentgeltliche Beförderungen durch Luftfahrzeuge, wenn sie von einem Luftfahrtunternehmen ausgeführt werden. (2) Als ‚internationale Beförderung‘ im Sinne dieses Übereinkommens ist jede Beförderung anzusehen, bei der nach den Vereinbarungen der Parteien der Abgangsort und der Bestimmungsort, gleichviel ob eine Unterbrechung der Beförderung oder ein Fahrzeugwechsel stattfindet oder nicht, in den Hoheitsgebieten von zwei Vertragsstaaten liegen oder … diese Orte zwar im Hoheitsgebiet nur eines Vertragsstaats liegen, aber eine Zwischenlandung in dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates vorgesehen ist, selbst wenn dieser Staat kein Vertragsstaat ist. Die Beförderung zwischen zwei Orten innerhalb des Hoheitsgebiets nur eines Vertragsstaats ohne eine Zwischenlandung im Hoheitsgebiet eines anderen Staates gilt nicht als internationale Beförderung im Sinne dieses Übereinkommens.“ |
5 |
Art. 2 („Staatlich ausgeführte Beförderung und Beförderung von Postsendungen“) des Übereinkommens von Montreal sieht in Abs. 1 vor, dass dieses Übereinkommen „auch für die Beförderungen [gilt], die der Staat oder eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts ausführt, wenn die Voraussetzungen des Artikels 1 vorliegen“. |
6 |
Art. 17 („Tod und Körperverletzung von Reisenden – Beschädigung von Reisegepäck“) des Übereinkommens von Montreal bestimmt in Abs. 1: „Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat.“ |
Unionsrecht
Verordnung (EG) 2027/97
7 |
Art. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) 2027/97 des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr (ABl. 1997, L 285, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Mai 2002 (ABl. 2002, L 140, S. 2) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung 2027/97) erstreckt die Anwendung der einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal auf „Beförderungen im Luftverkehr innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats“. |
Verordnung Nr. 785/2004
8 |
In Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 785/2004 heißt es: „Diese Verordnung bezweckt die Festlegung von Mindestversicherungsanforderungen für Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber in Bezug auf Fluggäste, Reisegepäck, Güter und Dritte.“ |
9 |
Art. 2 („Anwendungsbereich“) der Verordnung Nr. 785/2004 bestimmt: „(1) Diese Verordnung gilt für alle Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber, die innerhalb des Hoheitsgebiets, in das Hoheitsgebiet, aus dem Hoheitsgebiet oder über das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats fliegen, für das der Vertrag gilt. (2) Diese Verordnung gilt nicht für
…“ |
10 |
Art. 3 der Verordnung Nr. 785/2004 sieht vor: „Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
…
…
…“ |
11 |
Art. 4 („Versicherungsgrundsätze“) der Verordnung Nr. 785/2004 bestimmt: „(1) Die in Artikel 2 genannten Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber müssen gemäß dieser Verordnung hinsichtlich ihrer luftverkehrsspezifischen Haftung in Bezug auf Fluggäste, Reisegepäck, Güter und Dritte versichert sein. … … (3) Diese Verordnung lässt die Vorschriften über die Haftung aufgrund
unberührt.“ |
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
12 |
Am 10. Mai 2017 verstarb NK beim Absturz eines Hubschraubers, dessen Eigentümer und Betreiber das Innenministerium der Slowakischen Republik war, in der Militärzone des Flughafens Prešov (Slowakei) im Rahmen einer spezialisierten Ausbildung von Angehörigen des Feuerwehr- und Rettungsdienstes, die eine Schulung auf diesem Hubschrauber zur Evakuierung und Rettung von Personen aus schwer zugänglichem Gelände mit Hilfe der Seilwinde des Hubschraubers umfasste. Zum Zeitpunkt dieses Absturzes befand sich der Hubschrauber im Schwebeflug. |
13 |
Die Kläger des Ausgangsverfahrens begehren vor dem vorlegenden Gericht Ersatz des ihnen durch den Tod von NK entstandenen Nichtvermögensschadens, und zwar 550000 Euro für DZ, 350000 Euro für EO, 350000 Euro für YV, 150000 Euro für YE und 150000 Euro für MP. Sie leiten ihren Anspruch aus den einschlägigen Verordnungen der Europäischen Union auf dem Gebiet der Zivilluftfahrt ab, die gegenüber den slowakischen Gesetzen, insbesondere dem Zivilgesetzbuch, vorrangig seien. Sowohl das Übereinkommen von Montreal als auch die Verordnung Nr. 785/2004 seien anwendbar, da NK zum einen „Fluggast“ gewesen sei und zum anderen das Hochziehen mit der Seilwinde eine besondere Art und Weise des Einsteigens darstelle. |
14 |
Das Innenministerium der Slowakischen Republik, unterstützt durch die KOOPERATIVA Poisťovňa a.s., Vienna Insurance Group, und die Generali Česká pojišťovna a.s., vormals Generali Poisťovňa a.s., zwei Versicherungsgesellschaften, macht seinerseits geltend, dass das Übereinkommen von Montreal und die Verordnung Nr. 785/2004 auf das Ausgangsverfahren nicht anwendbar seien, da NK kein „Fluggast“ im Sinne dieser beiden Instrumente gewesen sei, sondern ein „Kabinenbesatzungsmitglied“ und zum Zeitpunkt des Unfalls an einem Bestandteil der Ausstattung des Hubschraubers gehangen habe und folglich weder in den Hubschrauber eingestiegen noch aus ihm ausgestiegen sei. |
15 |
Die KOOPERATIVA Poisťovňa a.s., Vienna Insurance Group, stellt ebenfalls die Anwendbarkeit des Übereinkommens von Montreal auf das Ausgangsverfahren in Frage und macht geltend, dass der Einsatz eines Hubschraubers in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden keiner „Beförderung“ im Sinne von Art. 1 dieses Übereinkommens gleichgestellt werden könne. Dieses gelte nach seinem Art. 2 Abs. 1 für Beförderungen, die vom Staat ausschließlich zu dem Zweck durchgeführt würden, Fluggäste von einem Abgangsort zu einem Bestimmungsort zu befördern, was nicht mit der Verwendung von Staatsluftfahrzeugen zur Ausführung einer Aufgabe von Staatsbediensteten, wie im vorliegenden Fall, verwechselt werden dürfe. |
16 |
In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof ist ausgeführt worden, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens vom Staat gemäß der slowakischen Regelung über die soziale Sicherheit der Angehörigen des Feuerwehr- und Rettungsdienstes in Höhe von insgesamt ungefähr 70000 Euro entschädigt worden seien und dass ihnen ein außerordentlicher Betrag von 30000 Euro aus den Rücklagen des Innenministeriums der Slowakischen Republik ausgezahlt worden sei. |
17 |
Unter diesen Umständen hat der Okresný súd Prešov (Bezirksgericht Prešov, Slowakei) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
|
Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens
18 |
Die slowakische Regierung hält das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig, da es nicht den Anforderungen von Art. 94 Buchst. b und c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs genüge. Das vorlegende Gericht lege den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich die Vorlagefragen stellten, nicht hinreichend fest und lege nicht die Gründe dar, aus denen ihm die Auslegung des Unionsrechts fraglich erscheine. Im Übrigen sei die Anwendbarkeit sowohl der Verordnung Nr. 785/2004 als auch des Übereinkommens von Montreal auf das Ausgangsverfahren fraglich. |
19 |
Nach Art. 94 Buchst. a bis c der Verfahrensordnung hat das nationale Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits darzulegen und die erforderlichen Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Vorschriften des Unionsrechts, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang zu geben, den es zwischen diesen Vorschriften und der auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anzuwendenden nationalen Regelung herstellt. Auf diese kumulativen Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens wird u. a. in den Nrn. 13, 15 und 16 der Empfehlungen des Gerichtshofs der Europäischen Union an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2019, C 380, S. 1) hingewiesen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juni 2023, Lyoness Europe,C‑455/21, EU:C:2023:455, Rn. 26 und 27). |
20 |
Im vorliegenden Fall enthält zum einen das Vorabentscheidungsersuchen eine hinreichend genaue Darstellung der relevanten tatsächlichen Umstände, und zum anderen weist das vorlegende Gericht darin ausdrücklich darauf hin, dass die Auslegung der Begriffe des Unionsrechts, auf die sich seine Vorlagefragen beziehen, zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens streitig ist, weshalb es dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung dieser Begriffe vorgelegt hat. Im Übrigen geht der Zusammenhang, den das vorlegende Gericht zwischen diesen Fragen und dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits herstellt, aus diesem Ersuchen sowie aus dem Wortlaut der Fragen hinreichend hervor. |
21 |
Das vorlegende Gericht hat zwar nicht den Inhalt der Bestimmungen des slowakischen Rechts angegeben, nach denen das Innenministerium der Slowakischen Republik für den von den Klägern des Ausgangsverfahrens geltend gemachten Nichtvermögensschaden haftet. Da jedoch das Vorabentscheidungsverfahren nicht der Auslegung nationaler Rechtsvorschriften dient, kann – entsprechend dem Geist der Zusammenarbeit, der das Verhältnis zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof im Rahmen dieses Verfahrens kennzeichnen muss – das Fehlen bestimmter Angaben zum auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht in einem Vorabentscheidungsersuchen nicht zwangsläufig zur Unzulässigkeit dieses Ersuchens führen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. April 1986, Asjes u. a., 209/84 bis 213/84, EU:C:1986:188, Rn. 12, sowie vom 6. Oktober 2021, LU [Einziehung von Geldbußen für Verkehrsdelikte], C‑136/20, EU:C:2021:804, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
22 |
Wenn außerdem nicht offensichtlich ist, dass die Auslegung eines Rechtsakts der Union in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, dann betrifft der Einwand der Unanwendbarkeit dieses Rechtsakts auf das Ausgangsverfahren nicht die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens, sondern den Inhalt der gestellten Fragen (Urteil vom 16. Februar 2023, Rzecznik Praw Dziecka u. a. [Aussetzung der Rückgabeentscheidung], C‑638/22 PPU, EU:C:2023:103, Rn. 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). |
23 |
Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen für zulässig zu erklären. |
Zu den Vorlagefragen
Zur zweiten und zur dritten Frage
24 |
Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen und an erster Stelle zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal in Verbindung mit Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 dieses Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass er einen Anspruch auf Entschädigung zugunsten der Rechtsnachfolger einer Person begründen kann, die bei ihrer Teilnahme an einer spezialisierten Ausbildung von Angehörigen des Feuerwehr- und Rettungsdienstes in der Militärzone eines Flughafens eines Vertragsstaats durch den Absturz eines vom Polizeidienst betriebenen Hubschraubers ums Leben kam, als sie an einem mit diesem Hubschrauber verbundenen Windenseil hing. |
25 |
Nach seinem Art. 1 Abs. 1 gilt das Übereinkommen von Montreal für jede internationale Beförderung von Personen, Reisegepäck oder Gütern, die durch Luftfahrzeuge erfolgt, einschließlich einer von einem Luftfahrtunternehmen ausgeführten unentgeltlichen Beförderung. Abs. 2 dieses Artikels definiert „internationale Beförderung“ als „jede Beförderung …, bei der nach den Vereinbarungen der Parteien der Abgangsort und der Bestimmungsort, gleichviel ob eine Unterbrechung der Beförderung oder ein Fahrzeugwechsel stattfindet oder nicht, in den Hoheitsgebieten von zwei Vertragsstaaten liegen oder … diese Orte zwar im Hoheitsgebiet nur eines Vertragsstaats liegen, aber eine Zwischenlandung in dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates vorgesehen ist, selbst wenn dieser Staat kein Vertragsstaat ist“, und bestimmt weiter, dass die „Beförderung zwischen zwei Orten innerhalb des Hoheitsgebiets nur eines Vertragsstaats ohne eine Zwischenlandung im Hoheitsgebiet eines anderen Staates … nicht als internationale Beförderung im Sinne dieses Übereinkommens [gilt]“. Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal sieht vor, dass dieses Übereinkommen auch für die Beförderungen gilt, die der Staat oder eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts ausführt, wenn die Voraussetzungen des Art. 1 vorliegen. |
26 |
Somit ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 und 2 sowie Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal, dass die Begriffe „internationale Beförderung“ und „Beförderung, die der Staat ausführt“, von denen die Anwendung dieses Übereinkommens abhängt, eine nach den Vereinbarungen der Parteien vorgenommene Beförderung von Personen, Reisegepäck oder Gütern durch Luftfahrzeuge von einem „Abgangsort“ zu einem anderen „Bestimmungsort“ als diesem „Abgangsort“ voraussetzen. |
27 |
Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht aber hervor, dass der Zweck des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Einsatzes des Hubschraubers nicht darin bestand, Personen, Reisegepäck oder Güter zu einem anderen Bestimmungsort als dem Abgangsort zu befördern, sondern in der Durchführung einer spezialisierten Ausbildung von Angehörigen des Feuerwehr- und Rettungsdienstes, die in Form des Hochziehens mit der Seilwinde in der Militärzone des gleichen Flughafens erfolgte. |
28 |
Insoweit unterscheidet sich das Ausgangsverfahren von dem, in dem das Urteil vom 26. Februar 2015, Wucher Helicopter und Euro-Aviation Versicherung (C‑6/14, EU:C:2015:122, Rn. 40 und 41), ergangen ist, da in jener Rechtssache der Zweck des in Rede stehenden Fluges darin bestand, Mitarbeiter einer Gesellschaft an Bord eines Hubschraubers vom Abflugort des Hubschraubers zu den Orten zu befördern, an denen sie ihre tägliche Arbeit auszuführen hatten, um sie anschließend zurück an den Abflugort zu bringen. |
29 |
Unter diesen Umständen – und vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen – fällt ein Einsatz wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht als „internationale Beförderung“ oder „Beförderung, die der Staat ausführt“, im Sinne von Art. 1 Abs. 1 und 2 bzw. Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal in dessen Anwendungsbereich. |
30 |
Ein solcher Einsatz fällt auch nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung 2027/97. Denn Art. 1 Satz 2 dieser Verordnung erstreckt zwar den Anwendungsbereich der einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal auf „Beförderungen im Luftverkehr innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats“, doch erfordert die Anwendung dieser Bestimmungen nichtsdestoweniger, dass jeweils eine solche Beförderung vorliegt. Wie sich aus Rn. 27 des vorliegenden Urteils ergibt – und vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen –, fehlt es im vorliegenden Fall aber auch an einer „Beförderung im Luftverkehr innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats“. |
31 |
Folglich kann diese Vorschrift – unabhängig von der Frage, ob eine Person, die an einer spezialisierten Ausbildung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden teilnahm und beim Absturz des Hubschraubers an einem mit diesem verbundenen Windenseil hing, als „Reisender“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal anzusehen ist – keinen Anspruch auf Entschädigung zugunsten der Rechtsnachfolger dieser Person begründen, weil eine solche Ausbildung, bei der sich der Unfall ereignete, der zum Tod der betreffenden Person führte, nicht als „internationale Beförderung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 und 2 dieses Übereinkommens, als „Beförderung, die der Staat ausführt“, im Sinne seines Art. 2 Abs. 1 oder als „Beförderung im Luftverkehr innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 1 Satz 2 der Verordnung 2027/97 eingestuft werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2015, Prüller-Frey,C‑240/14, EU:C:2015:567, Rn. 35). |
32 |
Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal in Verbindung mit Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 dieses Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass er keinen Anspruch auf Entschädigung zugunsten der Rechtsnachfolger einer Person begründen kann, die bei ihrer Teilnahme an einer spezialisierten Ausbildung von Angehörigen des Feuerwehr- und Rettungsdienstes in der Militärzone eines Flughafens eines Vertragsstaats durch den Absturz eines vom Polizeidienst betriebenen Hubschraubers ums Leben kam, als sie an einem mit diesem Hubschrauber verbundenen Windenseil hing, da eine solche Situation nicht als „internationale Beförderung“ oder „Beförderung, die der Staat ausführt“, im Sinne von Art. 1 bzw. Art. 2 Abs. 1 des genannten Übereinkommens eingestuft werden kann. |
Zur ersten Frage
33 |
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Buchst. g der Verordnung Nr. 785/2004 dahin auszulegen ist, dass eine Person, die bei ihrer Teilnahme an einer spezialisierten Ausbildung von Angehörigen des Feuerwehr- und Rettungsdienstes in der Militärzone eines Flughafens eines Mitgliedstaats durch den Absturz eines vom Polizeidienst betriebenen Hubschraubers ums Leben kam, als sie an einem mit diesem Hubschrauber verbundenen Windenseil hing, unter den Begriff „Fluggast“ im Sinne dieser Vorschrift fällt. |
34 |
Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass sich der Gerichtshof im Rahmen des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Verfahrens der Zusammenarbeit veranlasst sehen kann, dem vorlegenden Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Unionsrechts an die Hand zu geben, die für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat oder nicht. Der Gerichtshof hat aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Ausgangsrechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Dezember 1990, SARPP,C‑241/89, EU:C:1990:459, Rn. 8, und vom 15. Juli 2021, DocMorris,C‑190/20, EU:C:2021:609, Rn. 23 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). |
35 |
Um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben, ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob ein Anspruch auf Entschädigung wie der, auf den sich die Kläger des Ausgangsverfahrens berufen, auf die Verordnung Nr. 785/2004 gestützt werden kann, die nach ihrem Art. 1 Abs. 1 „die Festlegung von Mindestversicherungsanforderungen für Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber in Bezug auf Fluggäste, Reisegepäck, Güter und Dritte“ bezweckt. |
36 |
Der Begriff „Luftfahrtunternehmen“ wird in Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 785/2004 definiert als „Lufttransportunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung“. In Art. 3 Buchst. c dieser Verordnung wird „Luftfahrzeugbetreiber“ definiert als „die Person oder Rechtspersönlichkeit, die ständige Verfügungsgewalt über die Nutzung oder den Betrieb eines Luftfahrzeugs hat, jedoch kein Luftfahrtunternehmen ist“, und ergänzt, dass „die als Eigentümer des Luftfahrzeugs eingetragene natürliche oder juristische Person … als Betreiber [gilt], es sei denn, sie kann nachweisen, dass eine andere Person das Luftfahrzeug betreibt“. |
37 |
Nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 785/2004 gilt diese „für alle Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber, die innerhalb des Hoheitsgebiets, in das Hoheitsgebiet, aus dem Hoheitsgebiet oder über das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats fliegen, für das der Vertrag gilt“. Gemäß Art. 4 Abs. 1 und 3 dieser Verordnung müssen diese Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber „hinsichtlich ihrer luftverkehrsspezifischen Haftung in Bezug auf Fluggäste, Reisegepäck, Güter und Dritte versichert sein“. Diese Haftung unterliegt internationalen Übereinkommen, deren Vertragspartei die Mitgliedstaaten und/oder die Union sind, dem Unionsrecht oder den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten. |
38 |
Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 785/2004 schließt jedoch „Staatsluftfahrzeuge“ im Sinne von Art. 3 Buchst. b des Abkommens von Chicago vom Anwendungsbereich dieser Verordnung aus. Nach seinem Art. 3 Buchst. a findet dieses Abkommen „nur auf Privatluftfahrzeuge Anwendung; auf Staatsluftfahrzeuge ist es nicht anwendbar“. Nach Art. 3 Buchst. b gelten „Luftfahrzeuge, die im Militär‑, Zoll- und Polizeidienst verwendet werden, … als Staatsluftfahrzeuge“. |
39 |
Im vorliegenden Fall geht aus dem Wortlaut der ersten Frage hervor, dass es sich bei dem Hubschrauber, dessen Absturz zum Tod von NK geführt hat, um einen „im Polizeidienst eingesetzten staatlichen Hubschrauber“ handelt und dass dieser Hubschrauber auf der Grundlage zweier Rechtsakte des slowakischen Rechts für eine spezialisierte Ausbildung von Angehörigen des Feuerwehr- und Rettungsdienstes genutzt wurde. |
40 |
Daraus folgt, dass der Betreiber eines solchen Luftfahrzeugs nicht den Versicherungsanforderungen unterliegt, die die Verordnung Nr. 785/2004 gemäß ihrem Art. 4 Abs. 1 in Bezug auf Fluggäste, Reisegepäck, Güter und Dritte aufstellt. Unter diesen Umständen ist es nicht erforderlich, die Begriffe „Fluggast“ und „Flug- und Kabinenbesatzungsmitglieder“ im Sinne von Art. 3 Buchst. g dieser Verordnung auszulegen. |
41 |
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 785/2004 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmungen keinen Anspruch auf Entschädigung zugunsten der Rechtsnachfolger einer Person begründen können, die bei ihrer Teilnahme an einer spezialisierten Ausbildung von Angehörigen des Feuerwehr- und Rettungsdienstes in der Militärzone eines Flughafens eines Mitgliedstaats durch den Absturz eines vom Polizeidienst betriebenen Hubschraubers, der ein „Staatsluftfahrzeug“ darstellt, ums Leben kam, als sie an einem mit diesem Hubschrauber verbundenen Windenseil hing. |
Kosten
42 |
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt: |
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Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Slowakisch.