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Document 62019TJ0655

Urteil des Gerichts (Vierte erweiterte Kammer) vom 9. November 2022.
Ferriera Valsabbia SpA und Valsabbia Investimenti SpA gegen Europäische Kommission.
Wettbewerb – Kartelle – Markt für Bewehrungsrundstahl – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 65 KS nach Auslaufen des EGKS-Vertrags auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 festgestellt wird – Preisfestsetzung – Beschränkung und Kontrolle der Produktion und des Absatzes – Beschluss, der nach Nichtigerklärung früherer Entscheidungen ergangen ist – Durchführung einer neuen Anhörung in Anwesenheit der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten – Verteidigungsrechte – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Angemessene Verfahrensdauer – Begründungspflicht.
Rechtssache T-655/19.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2022:689

 URTEIL DES GERICHTS (Vierte erweiterte Kammer)

9. November 2022 ( *1 )

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Bewehrungsrundstahl – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 65 KS nach Auslaufen des EGKS-Vertrags auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 festgestellt wird – Preisfestsetzung – Beschränkung und Kontrolle der Produktion und des Absatzes – Beschluss, der nach Nichtigerklärung früherer Entscheidungen ergangen ist – Durchführung einer neuen Anhörung in Anwesenheit der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten – Verteidigungsrechte – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Angemessene Verfahrensdauer – Begründungspflicht“

In der Rechtssache T‑655/19,

Ferriera Valsabbia SpA mit Sitz in Odolo (Italien),

Valsabbia Investimenti SpA mit Sitz in Odolo,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte D. Fosselard, D. Slater und G. Carnazza,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch P. Rossi, G. Conte und C. Sjödin als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt P. Manzini,

Beklagte,

wegen einer Klage gemäß Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2019) 4969 final der Kommission vom 4. Juli 2019 betreffend einen Verstoß gegen Art. 65 des EGKS-Vertrags (Sache AT.37956 – Bewehrungsrundstahl), soweit darin festgestellt wird, dass die Klägerinnen gegen diese Bestimmung verstoßen haben, und die Klägerinnen gesamtschuldnerisch zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 5,125 Mio. Euro verurteilt werden,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung des Präsidenten S. Gervasoni, der Richter L. Madise und P. Nihoul (Berichterstatter), der Richterin R. Frendo sowie des Richters J. Martín y Pérez de Nanclares,

Kanzler: J. Palacio González, Hauptverwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juni 2021

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1

Die Klägerinnen, die Ferriera Valsabbia SpA und die Valsabbia Investimenti SpA, sind Gesellschaften italienischen Rechts, die aus der Spaltung der Ferriera Valsabbia SpA, einer Gesellschaft italienischen Rechts, die seit 1954 im Bewehrungsrundstahlsektor tätig ist, am 1. März 2000 hervorgegangen sind. Der operative Zweig der Ferriera Valsabbia SpA wurde der Enifer Srl übertragen, die den Namen Ferriera Valsabbia annahm. Valsabbia Investimenti hält 100 % des Kapitals der jetzigen Ferriera Valsabbia.

Erste Entscheidung der Kommission (2002)

2

Von Oktober bis Dezember 2000 nahm die Kommission der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 47 KS bei italienischen Herstellern von Bewehrungsrundstahl, darunter die Klägerinnen, und einem Unternehmensverband, der Federazione imprese siderurgiche italiane (Verband italienischer Stahlunternehmen, im Folgenden: Federacciai), Nachprüfungen vor. Sie richtete außerdem gemäß der genannten Bestimmung Auskunftsersuchen an diese Unternehmen und den Unternehmensverband.

3

Am 26. März 2002 eröffnete die Kommission ein Verfahren nach Art. 65 KS und formulierte Beschwerdepunkte nach Art. 36 KS (im Folgenden: Mitteilung der Beschwerdepunkte), die u. a. den Klägerinnen mitgeteilt wurden. Die Klägerinnen antworteten am 14. Mai 2002 auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte.

4

Eine Anhörung der Parteien des Verwaltungsverfahrens fand am 13. Juni 2002 statt.

5

Am 12. August 2002 übersandte die Kommission denselben Adressaten zusätzliche Beschwerdepunkte (im Folgenden: Mitteilung der zusätzlichen Beschwerdepunkte) gemäß Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Art. [81] und [82 EG] (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204). Darin erläuterte sie ihren Standpunkt zur Fortsetzung des Verfahrens nach Auslaufen des EGKS-Vertrags am 23. Juli 2002. Die Klägerinnen antworteten am 20. September 2002 auf die Mitteilung der zusätzlichen Beschwerdepunkte.

6

Am 30. September 2002 fand eine erneute Anhörung der Parteien des Verwaltungsverfahrens in Anwesenheit der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten statt. Sie betraf den Gegenstand der Mitteilung der zusätzlichen Beschwerdepunkte, d. h. die rechtlichen Auswirkungen des Auslaufens des EGKS-Vertrags auf die Fortsetzung des Verfahrens.

7

Im Anschluss an das Verwaltungsverfahren erließ die Kommission die Entscheidung C(2002) 5087 final vom 17. Dezember 2002 in einem Verfahren nach Art. 65 EGKS-Vertrag (COMP/37.956 – Bewehrungsrundstahl) (im Folgenden: Entscheidung von 2002), die sich an Federacciai und acht Unternehmen richtete, darunter die Klägerinnen. Sie stellte darin fest, dass Federacciai und die acht Unternehmen zwischen Dezember 1989 und Juli 2000 ein gegen Art. 65 § 1 KS verstoßendes einheitliches, komplexes und fortgesetztes Kartell auf dem italienischen Markt für Bewehrungsrundstahl in Form von Stäben oder Ringen (im Folgenden: Bewehrungsrundstahl) umgesetzt hätten, das die Festsetzung von Preisen und die Beschränkung oder Kontrolle der Produktion oder des Absatzes bezweckt oder bewirkt habe. Aus diesem Grund verhängte die Kommission gegen die Klägerinnen als Gesamtschuldnerinnen eine Geldbuße in Höhe von 10,25 Mio. Euro.

8

Am 5. März 2003 erhoben die Klägerinnen gegen die Entscheidung von 2002 Klage beim Gericht. Die Entscheidung wurde vom Gericht gegenüber den Klägerinnen (Urteil vom 25. Oktober 2007, SP u. a./Kommission,T‑27/03, T‑46/03, T‑58/03, T‑79/03, T‑80/03, T‑97/03 und T‑98/03, EU:T:2007:317) und den anderen Adressaten mit der Begründung für nichtig erklärt, dass ihre Rechtsgrundlage, d. h. Art. 65 §§ 4 und 5 KS, bei ihrem Erlass nicht mehr in Kraft gewesen sei. Die Kommission sei nach Auslaufen des EGKS-Vertrags nicht befugt gewesen, unter Berufung auf die genannten Bestimmungen eine Zuwiderhandlung gegen Art. 65 § 1 KS festzustellen und zu ahnden. Die übrigen Gesichtspunkte der Entscheidung wurden vom Gericht nicht geprüft.

9

Die Entscheidung von 2002 ist gegenüber Federacciai rechtskräftig geworden, da sie keine Klage beim Gericht erhoben hat.

Zweite Entscheidung der Kommission (2009)

10

Mit Schreiben vom 30. Juni 2008 teilte die Kommission den Klägerinnen und den anderen betroffenen Unternehmen mit, dass sie beabsichtige, eine neue Entscheidung unter Berichtigung der verwendeten Rechtsgrundlage zu erlassen. Darüber hinaus stellte sie klar, dass diese Entscheidung auf die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und in der Mitteilung der zusätzlichen Beschwerdepunkte vorgelegten Beweise gestützt werde. Auf Aufforderung des Gerichts reichten die Klägerinnen am 4. September 2008 eine schriftliche Stellungnahme ein.

11

Am 30. September 2009 erließ die Kommission die neue Entscheidung C(2009) 7492 final in einem Verfahren nach Art. 65 EGKS-Vertrag (Sache COMP/37.956 – Bewehrungsrundstahl, Neuentscheidung), die an die Adressaten der Entscheidung von 2002 gerichtet war, darunter die Klägerinnen. Grundlage der Entscheidung waren die Verfahrensbestimmungen des EG-Vertrags und der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1). Die Entscheidung stützte sich auf die Gesichtspunkte, die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der Mitteilung der zusätzlichen Beschwerdepunkte genannt waren, und übernahm im Wesentlichen den Inhalt und die Schlussfolgerungen der Entscheidung von 2002. Insbesondere blieb der Betrag der gegen die Klägerinnen als Gesamtschuldnerinnen verhängten Geldbuße in Höhe von 10,25 Mio. Euro unverändert.

12

Am 8. Dezember 2009 erließ die Kommission eine Änderungsentscheidung, deren Anhang die in der Entscheidung vom 30. September 2009 fehlenden Tabellen zur Veranschaulichung der Preisabweichungen enthielt und mit der die nummerierten Verweise auf diese Tabellen in acht Fußnoten berichtigt wurden.

13

Am 17. Februar 2010 erhoben die Klägerinnen beim Gericht Klage gegen die Entscheidung der Kommission vom 30. September 2009 in der geänderten Fassung (im Folgenden: Entscheidung von 2009). Am 9. Dezember 2014 wies das Gericht die Klage ab (Urteil vom 9. Dezember 2014, Ferriera Valsabbia und Valsabbia Investimenti/Kommission, T‑92/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1032). Das Gericht erklärte die Entscheidung von 2009 gegenüber einem anderen Adressaten der Entscheidung teilweise für nichtig, setzte den Betrag der gegen zwei andere Adressaten verhängten Geldbuße herab und wies die anderen Klagen ab.

14

Am 20. Februar 2015 legten die Klägerinnen ein Rechtsmittel gegen das Urteil vom 9. Dezember 2014, Ferriera Valsabbia und Valsabbia Investimenti/Kommission (T‑92/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1032), ein. Mit Urteil vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission (C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717), hob der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf und erklärte die Entscheidung von 2009 u. a. hinsichtlich der Klägerinnen für nichtig.

15

In seinem Urteil vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission (C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717), stellte der Gerichtshof fest, dass ein Verfahren, das zu einer auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1/2003 ergehenden Entscheidung führt, selbst dann mit den in dieser Verordnung sowie der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101] und [102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) vorgesehenen Verfahrensvorschriften im Einklang stehen muss, wenn es vor ihrem Inkrafttreten eingeleitet wurde.

16

Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass im vorliegenden Fall die einzige den Inhalt der Rechtssache betreffende Anhörung vom 13. Juni 2002 nicht den Anforderungen an das Verfahren zum Erlass einer Entscheidung auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1/2003 genügte, da die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten nicht beteiligt waren.

17

Sodann stellte der Gerichtshof fest, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen hatte, als es entschieden hatte, dass die Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, vor dem Erlass der Entscheidung von 2009 eine neue Anhörung durchzuführen, da die Unternehmen bereits in den Anhörungen vom 13. Juni und 30. September 2002 Gelegenheit gehabt hätten, sich mündlich zu äußern.

18

In seinem Urteil vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission (C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717), wies der Gerichtshof auf die Bedeutung der auf Antrag der betreffenden Parteien durchzuführenden Anhörung hin, zu der die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten einzuladen sind, und stellte fest, dass das Unterbleiben einer solchen Anhörung eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften darstellt.

19

Der Gerichtshof entschied, dass, wenn dieses in der Verordnung Nr. 773/2004 ausdrücklich genannte Recht nicht beachtet wird, es nicht erforderlich ist, dass das dadurch in seinem Recht verletzte Unternehmen dartut, dass diese Rechtsverletzung den Ablauf des Verfahrens und den Inhalt der streitigen Entscheidung zu seinen Lasten beeinflussen konnte.

20

Aus den gleichen Gründen hob der Gerichtshof andere Urteile des Gerichts vom 9. Dezember 2014 über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung von 2009 auf und erklärte diese Entscheidung gegenüber vier anderen Unternehmen für nichtig. Dagegen wurde die Entscheidung von 2009 gegenüber den Adressaten rechtskräftig, die kein Rechtsmittel gegen die genannten Urteile eingelegt hatten.

Beschluss der Kommission (2019)

21

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2017 setzte die Kommission die Klägerinnen davon in Kenntnis, dass sie beabsichtige, das Verwaltungsverfahren wieder aufzunehmen und in diesem Zusammenhang eine neue Anhörung der Verfahrensparteien in Anwesenheit der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten durchzuführen.

22

Die Klägerinnen reichten mit Schreiben vom 1. Februar 2018 eine Stellungnahme ein, mit der sie die Befugnis der Kommission bestritten, das Verwaltungsverfahren wieder aufzunehmen, und die Kommission aufforderten, von der Wiederaufnahme abzusehen.

23

Am 23. April 2018 führte die Kommission eine neue Anhörung zum Inhalt der Rechtssache durch, an der in Anwesenheit der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten und des Anhörungsbeauftragten die Klägerinnen und drei weitere Adressaten der Entscheidung von 2009 teilnahmen.

24

Mit Schreiben vom 19. November 2018 sowie vom 18. Januar und 6. Mai 2019 richtete die Kommission drei Auskunftsverlangen an die Klägerinnen, die ihren Umsatz betrafen.

25

Am 4. Juli 2019 erließ die Kommission den Beschluss C(2019) 4969 final in einem Verfahren nach Art. 65 EGKS-Vertrag (Sache AT.37956 – Bewehrungsrundstahl) (im Folgenden: angefochtener Beschluss), der an die fünf Unternehmen gerichtet war, denen gegenüber die Entscheidung von 2009 für nichtig erklärt worden war, d. h. neben den Klägerinnen betraf dies Alfa Acciai SpA, Feralpi Holding SpA (vormals Feralpi Siderurgica SpA und Federalpi Siderurgica SRL), Partecipazioni Industriali SpA (vormals Riva Acciaio SpA, später Riva Fire SpA, im Folgenden: Riva) und Ferriere Nord SpA.

26

Mit dem angefochtenen Beschluss stellte die Kommission erneut die Zuwiderhandlung fest, die Gegenstand der Entscheidung von 2009 gewesen war, jedoch setzte sie die gegen die Adressaten verhängten Geldbußen aufgrund der Dauer des Verfahrens um 50 % herab. Insoweit verhängte die Kommission in Art. 2 des angefochtenen Beschlusses eine Geldbuße in Höhe von 5,125 Mio. Euro gegen die gesamtschuldnerisch haftenden Klägerinnen.

27

Am 8. Juli 2019 wurde den Klägerinnen eine unvollständige Abschrift des angefochtenen Beschlusses zugestellt, die nur die ungeraden Seiten enthielt.

28

Am 18. Juli 2019 wurde den Klägerinnen eine vollständige Fassung des angefochtenen Beschlusses zugestellt.

Verfahren und Anträge der Parteien

29

Mit am 27. September 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift haben die Klägerinnen die vorliegende Klage erhoben.

30

Auf Vorschlag der Vierten Kammer hat das Gericht die Rechtssache gemäß Art. 28 seiner Verfahrensordnung an einen erweiterten Spruchkörper verwiesen.

31

Auf Vorschlag des Berichterstatters hat das Gericht (Vierte erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, den Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 der Verfahrensordnung schriftliche Fragen gestellt und sie zur Vorlage von Dokumenten aufgefordert. Die Parteien haben diese Fragen fristgemäß beantwortet und die angeforderten Dokumente vorgelegt.

32

Mit Beschluss des Präsidenten der Vierten Kammer des Gerichts vom 16. April 2021 sind die Rechtssachen T‑655/19 und T‑656/19 gemäß Art. 68 der Verfahrensordnung des Gerichts zu gemeinsamem mündlichen Verfahren verbunden worden.

33

In der Sitzung vom 2. Juni 2021 haben die Parteien mündlich verhandelt und die schriftlichen und mündlichen Fragen des Gerichts beantwortet.

34

Die Klägerinnen beantragen,

den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

35

Die Kommission beantragt,

die Klage abzuweisen;

den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

36

Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf vier Klagegründe:

Mit dem ersten Klagegrund wird ein Verstoß gegen Verfahrensbestimmungen im Rahmen der Anhörung vom 23. April 2018 gerügt, der zu einer Verletzung der Verteidigungsrechte geführt habe;

der zweite Klagegrund betrifft die Rechtswidrigkeit der Weigerung der Kommission, vor Erlass des angefochtenen Beschlusses seine Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer zu prüfen;

mit dem dritten Klagegrund und einem Teil des vierten wird ein Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer geltend gemacht;

der vierte Klagegrund betrifft einen Verstoß gegen die Begründungspflicht und offensichtliche Beurteilungsfehler.

Zum ersten Klagegrund: Verletzung der Verteidigungsrechte und der Verfahrensbestimmungen im Rahmen der Anhörung vom 23. April 2018

37

Die Klägerinnen machen geltend, der angefochtene Beschluss sei nach Abschluss eines Verfahrens ergangen, das durch Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung der Anhörung im Anschluss an das Urteil vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission (C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717), gekennzeichnet sei.

38

Im Einzelnen erheben die Klägerinnen drei Rügen in Bezug auf die notwendige Unparteilichkeit des Beratenden Ausschusses, das Fehlen wichtiger Akteure bei der Anhörung vom 23. April 2018 und den Umstand, dass die Kommission nicht in der Lage gewesen sei, den vom Gerichtshof beanstandeten Verfahrensfehler zu heilen. Die Kommission bestreitet diese Vorwürfe.

Zu der nach Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens durchgeführten Anhörung

39

Vorab ist festzustellen, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission (C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717, Rn. 42 bis 47), beanstandet hat, dass die Kommission den Klägerinnen keine Gelegenheit gab, ihre Argumente in einer den Inhalt der Rechtssache betreffenden Anhörung in Anwesenheit der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten vorzutragen.

40

Sodann hat der Gerichtshof entschieden, dass der insoweit festgestellte Fehler eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften darstellt, der zu einem Mangel des Verfahrens führt, ungeachtet der etwaigen nachteiligen Folgen für die Rechtsmittelführerinnen (Urteil vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission,C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717, Rn. 48 bis 50).

41

Bei der Analyse des Urteils vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission (C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717), ist die Kommission zu dem Ergebnis gekommen, dass das Verwaltungsverfahren in Bezug auf die noch betroffenen Unternehmen wieder aufgenommen werden könne, wenn der Fehler korrigiert sei (15. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

42

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2017 teilte die Kommission den fraglichen Unternehmen mit, dass sie das Verwaltungsverfahren ab dem Zeitpunkt wieder aufnehmen wolle, an dem der vom Gerichtshof festgestellte Fehler aufgetreten sei, d. h. ab der Anhörung.

43

In diesem Schreiben forderte die Kommission die fraglichen Unternehmen auf, schriftlich kundzutun, sofern sie dies wünschten, dass sie an einer neuen Anhörung teilnehmen wollten, die den Inhalt der Rechtssache betreffe und in Anwesenheit der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten gemäß der geltenden Regelung durchgeführt werde.

44

Nachdem sie die Antworten der fraglichen Unternehmen erhalten hatte, führte die Kommission am 23. April 2018 in Anwesenheit der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten eine neue Anhörung durch.

Zur Durchführung von Nichtigkeitsurteilen

45

Nach Art. 266 Abs. 1 AEUV hat das Organ, dem das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergebenden Maßnahmen zu ergreifen.

46

Um einem Nichtigkeitsurteil nachzukommen und es voll durchzuführen, müssen die Organe nicht nur den Tenor des Urteils beachten, sondern auch die Gründe, die ihn in dem Sinne tragen, dass sie zur Bestimmung der genauen Bedeutung des Tenors unerlässlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Juli 2017, Frankreich/Kommission, T‑74/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:471, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47

Die Nichtigerklärung einer Handlung, die ein Verwaltungsverfahren abschließt, betrifft nicht alle Verfahrensabschnitte, die der Vornahme dieser Handlung vorausgehen, sondern nur diejenigen, die von den materiellen oder formellen Nichtigkeitsgründen betroffen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Juli 2017, Frankreich/Kommission, T‑74/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:471, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48

Folglich kann das Verfahren zur Ersetzung einer für nichtig erklärten Handlung grundsätzlich ab dem von der Rechtswidrigkeit betroffenen Verfahrensabschnitt wieder aufgenommen werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission,C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, EU:C:2002:582, Rn. 73, und vom 6. Juli 2017, Frankreich/Kommission, T‑74/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:471, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49

Da im vorliegenden Fall die Handlung infolge einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften während der Durchführung der Anhörung für nichtig erklärt wurde (Urteil vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission,C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717), stand es der Kommission frei, das Verfahren ab diesem Verfahrensabschnitt wieder aufzunehmen, wie dies geschehen ist.

50

Vor diesem Hintergrund sind die Rügen zu prüfen, die die Klägerinnen zur Stützung des ersten Klagegrundes vortragen.

Zur ersten Rüge: notwendige Unparteilichkeit des Beratenden Ausschusses

51

Die Klägerinnen machen geltend, der Beratende Ausschuss sei nicht wirksam konsultiert worden, da die Modalitäten für die Durchführung der Anhörung, zu der die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten einzuladen gewesen seien, deren Vertreter den Ausschuss bildeten, es nicht ermöglicht hätten, ihre Unparteilichkeit zum Zeitpunkt der Abgabe der Stellungnahme des Beratenden Ausschusses gemäß der Regelung zu gewährleisten.

52

Das Verfahren zum Erlass von Beschlüssen gemäß den Art. 101 und 102 AEUV ist hinsichtlich der im vorliegenden Rechtsstreit maßgeblichen Punkte in der Verordnung Nr. 1/2003 geregelt:

Gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 der Verordnung hört die Kommission vor jeder Entscheidung einen Beratenden Ausschuss, der sich aus Vertretern der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten zusammensetzt;

Art. 14 Abs. 3 der Verordnung bestimmt, dass der Beratende Ausschuss zu dem vorläufigen Entscheidungsvorschlag der Kommission schriftlich Stellung nimmt;

gemäß Art. 14 Abs. 5 der Verordnung berücksichtigt die Kommission so weit wie möglich die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses, und sie unterrichtet ihn darüber, inwieweit sie dieser Verpflichtung nachgekommen ist.

53

Für die Durchführung von Anhörungen enthält die Verordnung Nr. 773/2004 die folgenden Bestimmungen:

Nach Art. 12 der Verordnung ist die Kommission verpflichtet, den Parteien, an die sie eine Mitteilung der Beschwerdepunkte richtet, Gelegenheit zu geben, ihre Argumente in einer Anhörung vorzutragen, wenn sie dies in ihren schriftlichen Ausführungen beantragen;

Art. 14 Abs. 3 der Verordnung sieht vor, dass die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten von der Kommission zu der Anhörung eingeladen werden.

54

Nach der Rechtsprechung stellt die Anhörung des Beratenden Ausschusses eine wesentliche Förmlichkeit dar, deren Verletzung die Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung beeinträchtigt, sofern erwiesen ist, dass der Beratende Ausschuss seine Stellungnahme wegen der Nichtbeachtung der Regeln nicht in voller Kenntnis der Umstände abgeben konnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2018, Servier u. a./Kommission, T‑691/14, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2018:922, Rn. 148 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55

Die Klägerinnen tragen nicht vor, dass die oben in den Rn. 52 und 53 genannten Vorschriften als solche nicht eingehalten wurden. Sie sind jedoch der Auffassung, dass sich die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten bei ihrer Teilnahme an der Anhörung vom 23. April 2018 und ihrer anschließenden Abgabe der Stellungnahme nicht in einer ihre Unparteilichkeit gewährleistenden Situation befunden hätten. Die Wettbewerbsbehörden hätten nämlich zum Zeitpunkt der Abgabe ihrer Stellungnahme den Standpunkt gekannt, den die Kommission und die Gerichte der Europäischen Union in den für das Verfahren maßgeblichen Entscheidungen und Urteilen eingenommen hätten. Zum einen habe die Kommission vor Erlass des angefochtenen Beschlusses bereits zweimal (2002 und 2009) eine Sanktionsentscheidung erlassen, ohne die genannten Behörden zum Inhalt der Rechtssache anzuhören, und zum anderen habe das Gericht 2014 ein Urteil gefällt, das den Standpunkt der Kommission bestätigt habe. Durch das Vorliegen dieser Entscheidungen und des Urteils habe ein Kontext vorgelegen, der die Wettbewerbsbehörden zwangsläufig so beeinflusst habe, dass es ihnen unmöglich gewesen sei, eine Stellungnahme in völliger Unparteilichkeit abzugeben.

56

Insoweit ist festzustellen, dass ein Rechtsakt, der für nichtig erklärt wird, rückwirkend aus der Rechtsordnung entfernt und so betrachtet wird, als ob er niemals bestanden hätte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2017, Crédit mutuel Arkéa/EZB, T‑712/15, EU:T:2017:900, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung), selbst wenn, bei individueller Geltung des Rechtsakts, die Nichtigerklärung – mit gewissen Einschränkungen – nur den Parteien des Verfahrens zugutekommt (vgl. Urteil vom 8. Mai 2019, Lucchini/Kommission, T‑185/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:298, Rn. 33 bis 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57

Insoweit werden Urteile des Gerichts, die Rechtsakte eines Unionsorgans darstellen, rückwirkend aus der Rechtsordnung getilgt, wenn sie im Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden.

58

Folglich erging im vorliegenden Fall die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses zwar sowohl nach den Entscheidungen der Kommission von 2002 und 2009 als auch nach dem Urteil des Gerichts vom 9. Dezember 2014, Ferriera Valsabbia und Valsabbia Investimenti/Kommission (T‑92/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1032), doch waren diese Entscheidungen und das Urteil aufgrund ihrer Nichtigerklärung bzw. Aufhebung aus der Rechtsordnung der Union getilgt und wurden gemäß der genannten Rechtsprechung so betrachtet, als wenn sie niemals bestanden hätten.

59

Was das Vorbringen betrifft, die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten seien nicht unparteiisch gewesen, weshalb es dem Beratenden Ausschuss nicht möglich gewesen sei, eine Stellungnahme in völliger Unparteilichkeit abzugeben, hat nach Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) jede Person u. a. ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen der Union unparteiisch behandelt werden.

60

Das Unparteilichkeitsgebot des Art. 41 der Charta umfasst zum einen die subjektive Unparteilichkeit in dem Sinne, dass kein Mitglied des betroffenen Organs, das mit der Sache befasst ist, Voreingenommenheit oder persönliche Vorurteile an den Tag legen darf, und zum anderen die objektive Unparteilichkeit in dem Sinne, dass das Organ hinreichende Garantien bieten muss, um jeden berechtigten Zweifel in dieser Hinsicht auszuschließen (vgl. Urteil vom 11. Juli 2013, Ziegler/Kommission, C‑439/11 P, EU:C:2013:513, Rn. 155 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61

Im vorliegenden Fall wird die Unparteilichkeit des Beratenden Ausschusses bei der Abgabe seiner Stellungnahme insofern in Frage gestellt, als die Einstellung der Behördenvertreter, aus denen sich der Ausschuss zusammensetzt, nach Auffassung der Klägerinnen dadurch habe beeinflusst werden können, dass den Behörden der Standpunkt der Kommission in ihren Entscheidungen von 2002 und 2009 und des Gerichts in seinem Urteil vom 9. Dezember 2014, Ferriera Valsabbia und Valsabbia Investimenti/Kommission (T‑92/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1032), bekannt gewesen sei.

62

Selbst wenn jedoch erwiesen wäre, dass ihnen der Standpunkt bekannt war, kann daraus keine fehlende Unparteilichkeit abgeleitet werden, die die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses beeinträchtigen kann, da andernfalls die Bestimmungen des Vertrags in Frage gestellt würden, denen zufolge Rechtsakte, die für rechtswidrig erklärt wurden, ersetzt werden können, und folglich muss nicht ermittelt werden, ob die Klägerinnen vorliegend die subjektive oder die objektive Unparteilichkeit in Frage stellen.

63

Die mögliche Kenntnis einer Lösung, die zuvor gewählt und gegebenenfalls durch ein Urteil des Gerichts bestätigt wurde, das der Gerichtshof anschließend im Rechtsmittelverfahren aufgehoben hat, ist nämlich inhärenter Bestandteil der Verpflichtung, die Konsequenzen aus einer Nichtigerklärung zu ziehen. Wenn bereits die Kenntnis eines solchen Sachverhalts der Wiederaufnahme des Verfahrens entgegenstehen könnte, würde dies für sich genommen den Nichtigkeitsmechanismus insofern beeinträchtigen, als es bedeuten würde, dass dieser nicht nur die rückwirkende Auslöschung des für nichtig erklärten Rechtsakts, sondern auch das Verbot einer Wiederaufnahme des Verfahrens impliziert. Dies wäre nicht mit Art. 266 AEUV vereinbar, der im Fall einer Nichtigerklärung auf der Grundlage von Art. 263 AEUV die Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union verpflichtet, die sich aus den ihnen gegenüber ergangenen Urteilen ergebenden Maßnahmen zu ergreifen, ohne sie jedoch von der Aufgabe zu entbinden, in ihren Zuständigkeitsbereichen die Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten.

64

Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

Zur zweiten Rüge: Fehlen wichtiger Akteure bei der Anhörung vom 23. April 2018

65

Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe zum einen gegen verschiedene Vorschriften zur Durchführung von Anhörungen verstoßen und zum anderen einen Fehler begangen, als sie es unterlassen habe, mehrere Rechtssubjekte zur Anhörung vom 23. April 2018 einzuladen, die bei den Ermittlungen eine wichtige Rolle gespielt hätten und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten Umstände hätten mitteilen können, die ihnen ermöglicht hätten, ihren Standpunkt in voller Kenntnis der Sachlage festzulegen. Da die Klägerinnen nicht von einer in voller Kenntnis der Sachlage abgegebenen Stellungnahme der Wettbewerbsbehörden hätten profitieren können, seien ihre Verteidigungsrechte aus den folgenden Gründen verletzt:

Federacciai sowie Leali SpA, die zwischenzeitlich insolvent geworden sei, hätten nach Auffassung der Klägerinnen an der Anhörung teilnehmen müssen, da sie bei sämtlichen von den Ermittlungen erfassten Sachverhalten eine entscheidende Rolle gespielt hätten;

Lucchini SpA, die ebenfalls insolvent geworden sei, und Riva, die unter außerordentliche Insolvenzverwaltung gestellt worden sei, hätten nach Ansicht der Klägerinnen als Marktführerinnen ebenfalls an der Anhörung teilnehmen sollen;

auch Industrie Riunite Odolesi SpA (im Folgenden: IRO), die das Urteil vom 9. Dezember 2014, IRO/Kommission (T‑69/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1030), nicht angefochten habe, hätte den Klägerinnen zufolge an der Anhörung teilnehmen müssen;

die Associazione Nazionale Sagomatori Ferro (Nationaler Verband der Eisen verarbeitenden Unternehmen, im Folgenden: Ansfer) hätte nach Auffassung der Klägerinnen eingeladen werden müssen, da Ansfer in ihrer Eigenschaft als Vertreterin von Kunden der betroffenen Unternehmen als Drittpartei an der Anhörung vom 13. Juni 2002 beteiligt gewesen sei und bei dieser Gelegenheit erklärt habe, dass das Bestehen wettbewerbsbeschränkender Kartelle auf dem Markt nicht zu bemerken gewesen sei.

66

Somit ist zu prüfen, ob die Kommission bei der Durchführung der Anhörung gegen eine Vorschrift verstieß, die für sie bindend war, und ob sie dadurch oder in anderer Weise die Verteidigungsrechte der Klägerinnen bei der Anhörung vom 23. April 2018 verletzte.

67

Als Erstes ist festzustellen, dass die Teilnahme an der Anhörung Bestandteil der Verfahrensrechte ist, deren Verletzung aufgrund ihrer subjektiven Natur von dem Unternehmen oder dem Dritten geltend gemacht werden muss, dem die Verfahrensrechte zustehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Juli 2010, ThyssenKrupp Acciai Speciali Terni/Kommission, T‑62/08, EU:T:2010:268, Rn. 186, vom 12. Mai 2011, Région Nord-Pas-de-Calais und Communauté d’agglomération du Douaisis/Kommission, T‑267/08 und T‑279/08, EU:T:2011:209, Rn. 77, und vom 19. September 2019, Zhejiang Jndia Pipeline Industry/Kommission, T‑228/17, EU:T:2019:619, Rn. 36).

68

Folglich können die Klägerinnen nicht erfolgreich die Nichtigerklärung eines Beschlusses allein aus dem Grund verlangen, dass im vorliegenden Fall Verfahrensrechte verletzt seien, die Dritten oder sonstigen Beteiligten zugutekommen.

69

Zwar führt die Kommission die Anhörungen im Rahmen von Kartellverfahren in der Praxis meist in kollektiver Form durch, doch kennt die Regelung kein den Adressaten einer Mitteilung von Beschwerdepunkten zustehendes Recht auf kollektive Anhörung.

70

Vielmehr bestimmt Art. 14 Abs. 6 der Verordnung Nr. 773/2004, dass jede Person allein oder in Anwesenheit anderer geladener Personen gehört werden kann und dabei den berechtigten Interessen der Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse und anderer vertraulicher Informationen Rechnung zu tragen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. März 2000, Cimenteries CBR u. a./Kommission, T‑25/95, T‑26/95, T‑30/95 bis T‑32/95, T‑34/95 bis T‑39/95, T‑42/95 bis T‑46/95, T‑48/95, T‑50/95 bis T‑65/95, T‑68/95 bis T‑71/95, T‑87/95, T‑88/95, T‑103/95 und T‑104/95, EU:T:2000:77, Rn. 697).

71

Als Zweites ist – über die gebotene Wahrung der dritten Personen oder Unternehmen zustehenden Rechte hinaus – zu untersuchen, ob die Kommission die Vorschriften zur Durchführung von Anhörungen in einer Weise verletzt hat, die die Verteidigung der Klägerinnen beeinträchtigen konnte.

72

Die Verteidigungsrechte gehören als Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Unionsrichter zu sichern hat. Die Wahrung der Verteidigungsrechte in einem Verfahren vor der Kommission, das die Verhängung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsvorschriften zum Gegenstand hat, verlangt, dass dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit gegeben wurde, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der Kommission angeführten Tatsachen und Umstände sowie zu den von ihr für ihre Behauptung einer Zuwiderhandlung gegen den Vertrag herangezogenen Schriftstücken sachdienlich Stellung zu nehmen. Auf diese Rechte wird in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a und b der Charta abgestellt (vgl. Urteil vom 25. Oktober 2011, Solvay/Kommission, C‑109/10 P, EU:C:2011:686, Rn. 52 und 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

73

Im vorliegenden Fall haben die Klägerinnen nachdrücklich geltend gemacht, die Abwesenheit einiger Unternehmen habe dazu geführt, dass der Beratende Ausschuss seine Stellungnahme nicht in voller Kenntnis der Sachlage habe abgeben können. Nach Auffassung der Klägerinnen hätte der Inhalt der Stellungnahme und somit des angefochtenen Beschlusses anders ausfallen können, wenn die Unternehmen angehört worden wären. Über diesen Streitpunkt haben sich die Parteien sowohl schriftlich als auch in der mündlichen Verhandlung intensiv ausgetauscht.

74

Insoweit ist zwischen der Situation der Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte und des angefochtenen Beschlusses, der Situation von Dritten mit ausreichendem Interesse und der Situation sonstiger Dritter zu unterscheiden.

– Zur Situation der Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte und des angefochtenen Beschlusses

75

Nach Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 müssen die Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, gegen die sich das Verfahren richtet, Gelegenheit erhalten, sich zu den ihnen gegenüber in Betracht gezogenen Beschwerdepunkten zu äußern, bevor ihnen gegenüber eine Entscheidung nach den Art. 101 oder 102 AEUV getroffen wird. Die Kommission darf ihre Entscheidung nur auf die Beschwerdepunkte stützen, zu denen sich die Parteien äußern konnten.

76

Nach Art. 12 der Verordnung Nr. 773/2004 ist die Kommission verpflichtet, den Parteien, an die sie eine Mitteilung der Beschwerdepunkte richtet, Gelegenheit zu geben, ihre Argumente in einer Anhörung vorzutragen, wenn sie dies in ihren schriftlichen Ausführungen beantragen.

77

Im vorliegenden Fall waren somit Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 12 der Verordnung Nr. 773/2004 auf alle Unternehmen anwendbar, die am Kartell beteiligt waren und für die die Entscheidung von 2002 oder die Entscheidung von 2009 nicht rechtskräftig geworden war, einschließlich Riva.

78

Den Klägerinnen zufolge konnte die Abwesenheit von Riva in der Anhörung vom 23. April 2018 zur Fehlerhaftigkeit des Verfahrens beitragen, da sie die Rahmenbedingungen ihrer Verteidigung beeinträchtigt habe.

79

Hierzu ist festzustellen, dass, wie in den Erwägungsgründen 45 und 46 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, ohne dass die Parteien dem widersprochen hätten,

Riva von der Kommission mit Schreiben vom 15. Dezember 2017 über die Wiederaufnahme des Verfahrens informiert wurde;

Riva in Beantwortung dieses Schreibens eine schriftliche Stellungnahme einreichte, ohne jedoch die Teilnahme an der Anhörung zu beantragen;

die Kommission Riva mangels eines entsprechenden Antrags ihrerseits nicht einlud, an der Anhörung vom 23. April 2018 teilzunehmen.

80

Angesichts dieser Umstände kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Kommission dadurch, dass sie Riva nicht zur Teilnahme an der Anhörung vom 23. April 2018 einlud, gegen Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 12 der Verordnung Nr. 773/2004 verstieß. Da Riva nicht beantragt hatte, an der Anhörung teilzunehmen, musste die Kommission sie nicht einladen. Folglich können sich die Klägerinnen nicht mit Erfolg auf eine Verletzung der oben genannten Bestimmungen berufen, die ihre Verteidigung beeinträchtigen konnte.

– Zur Situation von Dritten mit ausreichendem Interesse

81

Die Anhörung von interessierten Dritten ist in Art. 27 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 geregelt. Gemäß dieser Bestimmung ist dem Antrag natürlicher oder juristischer Personen, angehört zu werden, stattzugeben, wenn sie ein ausreichendes Interesse nachweisen.

82

Art. 13 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 773/2004 bestimmt:

Wenn natürliche oder juristische Personen beantragen, gehört zu werden, und ein ausreichendes Interesse darlegen, so unterrichtet die Kommission sie schriftlich über Art und Gegenstand des Verfahrens;

sie setzt ihnen eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme;

sie kann sie auffordern, ihre Argumente anlässlich der Anhörung vorzubringen, wenn sie dies in ihren schriftlichen Ausführungen beantragen.

83

Im vorliegenden Fall waren Art. 27 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 13 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 773/2004 somit u. a. auf fünf Unternehmen anwendbar, deren Anwesenheit nach Auffassung der Klägerinnen für die wirksame Durchführung der Anhörung vom 23. April 2018 erforderlich war, nämlich zum einen Federacciai, Leali, IRO und Lucchini und zum anderen Ansfer.

84

Als Erstes ist zu den vier oben in Rn. 83 genannten Unternehmen festzustellen, dass sie in einem früheren Verfahrensstadium darauf verzichtet hatten, die gegen sie gerichtete Entscheidung anzufechten:

Federacciai erhob keine Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung von 2002;

Leali, IRO und Lucchini haben kein Rechtsmittel gegen die Urteile vom 9. Dezember 2014, Leali und Acciaierie e Ferriere Leali Luigi/Kommission (T‑489/09, T‑490/09 und T‑56/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1039), vom 9. Dezember 2014, IRO/Kommission (T‑69/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1030), und vom 9. Dezember 2014Lucchini/Kommission (T‑91/10, EU:T:2014:1033), eingelegt, mit denen ihre Nichtigkeitsklagen gegen die Entscheidung von 2009 abgewiesen worden sind.

85

Nach der Rechtsprechung ist die an diese Unternehmen gerichtete Entscheidung der Kommission somit ihnen gegenüber rechtskräftig geworden, und aus diesem Grund waren sie, da das Verfahren für sie beendet war, nicht mehr Parteien des am 15. Dezember 2017 wieder aufgenommenen Verfahrens (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. September 1999, Kommission/AssiDomän Kraft Products u. a., C‑310/97 P, EU:C:1999:407, Rn. 63).

86

Unter diesen Umständen waren die vier oben in Rn. 83 erstgenannten Unternehmen nicht berechtigt, als Verfahrensbeteiligte an der Anhörung vom 23. April 2018 teilzunehmen.

87

Zwar hatten die vier oben in Rn. 83 erstgenannten Unternehmen die Möglichkeit, unter Darlegung eines ausreichenden Interesses die Teilnahme an der Anhörung vom 23. April 2018 als interessierte Dritte gemäß den oben in den Rn. 81 und 82 genannten Bestimmungen bei der Kommission zu beantragen.

88

Da Federacciai, Leali und IRO jedoch keinen solchen Antrag gestellt hatten, kann nicht behauptet werden, dass die Kommission unter diesen Umständen gegen eine Vorschrift verstoßen haben könnte, die dazu geführt hat, dass die Klägerinnen in der Ausübung ihrer Verteidigungsrechte beeinträchtigt werden konnten.

89

Dagegen war Lucchini der Auffassung, dass ihr die Nichtigerklärung durch den Gerichtshof in seinen Urteilen vom 21. September 2017, Feralpi/Kommission (C‑85/15 P, EU:C:2017:709), vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission (C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717), vom 21. September 2017, Ferriere Nord/Kommission (C‑88/15 P, EU:C:2017:716), und vom 21. September 2017, Riva Fire/Kommission (C‑89/15 P, EU:C:2017:713), zugutekommen müsse, auch wenn sie gegen das Urteil vom 9. Dezember 2014, Lucchini/Kommission (T‑91/10, EU:T:2014:1033), kein Rechtsmittel eingelegt habe. Auf der Grundlage dieser Argumentation beantragte sie bei der Kommission, an der Anhörung vom 23. April 2018 teilnehmen zu dürfen. Lucchini stellte diesen Antrag jedoch – auf der gleichen Grundlage wie u. a. die Klägerinnen – als Beteiligte des am 15. Dezember 2017 wieder aufgenommenen Verfahrens und nicht als interessierte Dritte. Der Antrag wurde von der Kommission zu Recht aus den oben in den Rn. 84 und 85 dargelegten Gründen zurückgewiesen (Urteil vom 8. Mai 2019, Lucchini/Kommission, T‑185/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:298, Rn. 41 und 42). Nachdem Lucchini die Möglichkeit der Teilnahme als Verfahrensbeteiligte verwehrt worden war, machte sie nicht geltend, dass sie als Dritte mit ausreichendem Interesse zur Anhörung eingeladen werde könne.

90

Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Kommission gegen eine Verfahrensvorschrift verstieß, die sich auf die Ausübung der Verteidigungsrechte der Klägerinnen auswirken konnte, als sie zum einen Federacciai und zum anderen Leali, IRO und Lucchini nicht zur Teilnahme an der Anhörung einlud.

91

Was als Zweites das fünfte oben in Rn. 83 genannte Unternehmen betrifft, nämlich Ansfer, sind die Klägerinnen der Auffassung, dass Ansfer zur Anhörung am 23. April 2018 hätte eingeladen werden müssen, da sie über Informationen verfügt habe, die geeignet gewesen seien, die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten in Bezug auf ihre Kenntnis der Sachlage zu beeinflussen.

92

Zur Begründung ihres Standpunkts führen die Klägerinnen drei Argumente an.

93

Sie machen erstens geltend, dass Ansfer höchstwahrscheinlich, wenn sie von der Kommission über die Wiederaufnahme des Verfahrens informiert worden wäre, an der Anhörung vom 23. April 2018 teilgenommen hätte, so wie sie auch an der Anhörung vom 13. Juni 2002 teilgenommen habe.

94

Insoweit ist daran zu erinnern, wie im Jahr 2002 das gegen die Klägerinnen und die anderen damals betroffenen Unternehmen eingeleitete Verfahren eröffnet wurde.

95

Wie die Kommission in Beantwortung der Fragen des Gerichts und in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, ohne dass ihr die Klägerinnen widersprochen haben, erfolgte die Einleitung des fraglichen Verfahrens am 26. März 2002, woraufhin den betroffenen Parteien die Mitteilung der Beschwerdepunkte nach Art. 36 KS zugestellt wurde.

96

Die Einleitung des Verfahrens war somit nicht Gegenstand einer Bekanntmachung, da die Kommission nach der Regelung nicht verpflichtet war, die Entscheidung über die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens, den Erlass einer Mitteilung der Beschwerdepunkte oder – wie vorliegend – die Übersendung einer Mitteilung zusätzlicher Beschwerdepunkte bekannt zu machen.

97

Nach dem Erlass des Urteils des Gerichts vom 25. Oktober 2007, SP u. a./Kommission (T‑27/03, T‑46/03, T‑58/03, T‑79/03, T‑80/03, T‑97/03 und T‑98/03, EU:T:2007:317), und des Urteils des Gerichtshofs vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission (C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717), war die Vorgehensweise die gleiche.

98

Nach der Analyse der oben in Rn. 97 genannten Urteile setzte die Kommission die Klägerinnen im ersten Fall mit Schreiben vom 30. Juni 2008 und im zweiten Fall mit Schreiben vom 15. Dezember 2017 davon in Kenntnis, dass sie beabsichtige, das Verfahren „wieder aufzunehmen“.

99

Insbesondere das zweite Schreiben wurde den Adressaten der angefochtenen Entscheidung zugestellt, jedoch keiner anderen Person oder Organisation mitgeteilt und auch nicht in sonstiger Weise bekannt gegeben.

100

Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission sei verpflichtet gewesen, die Öffentlichkeit über die Wiederaufnahme des Verfahrens nach der Nichtigerklärung der Entscheidung von 2009 zu informieren. Nach Auffassung der Klägerinnen hätte Ansfer bei Einhaltung dieser Verpflichtung Kenntnis von der Wiederaufnahme erlangt und die Teilnahme an der neuen Anhörung beantragen können.

101

Insoweit ist festzustellen, dass keine Vorschrift existiert, die die Kommission dazu verpflichtet, die Wiederaufnahme eines Verfahrens nach der Nichtigerklärung einer ihrer Entscheidungen durch ein Urteil des Gerichtshofs oder des Gerichts bekannt zu machen.

102

Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgt nämlich im Rahmen der Durchführung eines Nichtigkeitsurteils.

103

Allerdings verpflichtet Art. 266 AEUV das Organ, dem das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt, nur innerhalb der Grenzen dessen, was erforderlich ist, um das Nichtigkeitsurteil durchzuführen. Insofern verpflichtet diese Vorschrift das betroffene Organ, anstelle der für nichtig erklärten Handlung keine Handlung zu setzen, die eben die Fehler aufweist, die in diesem Urteil festgestellt wurden. Die Organe verfügen jedoch über ein weites Ermessen bei der Wahl der einzusetzenden Mittel, um die Konsequenzen aus einem die Nichtigkeit oder Ungültigkeit aussprechenden Urteil zu ziehen, wobei diese Mittel mit dem Tenor des fraglichen Urteils und den ihn tragenden Gründen vereinbar sein müssen. Außer wenn der festgestellte Fehler zur Nichtigkeit des gesamten Verfahrens geführt hat, können die betroffenen Organe schließlich zum Zweck des Erlasses einer Handlung, durch die eine zuvor für nichtig oder ungültig erklärte Handlung ersetzt werden soll, das Verfahren in dem Stadium wieder aufnehmen, in dem dieser Fehler begangen worden ist (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2017, Léon Van Parys/Kommission,T‑125/16, EU:T:2017:884, Rn. 49 und 52 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

104

Somit kann die Kommission nach der von ihr in diesem Zusammenhang durchzuführenden Beurteilung beschließen, das Verfahren wieder aufzunehmen, wie sie dies in der vorliegenden Rechtssache getan hat; sie kann das Verfahren jedoch auch einstellen, wenn sie der Auffassung ist, dass der Fall geschlossen werden kann, oder, falls sie der Meinung ist, dass neue Untersuchungsmaßnahmen geboten sind, ein neues Verfahren einleiten, das in diesem Fall zur Zustellung einer neuen Mitteilung der Beschwerdepunkte an die betroffenen Unternehmen gemäß Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 führen kann.

105

Im vorliegenden Fall beschloss die Kommission nach Abschluss ihrer Beurteilung, das Verfahren an dem Punkt wieder aufzunehmen, an dem es unterbrochen worden war, wie es die oben in den Rn. 47 und 48 angeführte Rechtsprechung zulässt.

106

In der mündlichen Verhandlung haben die Parteien die Bekanntmachung der Kommission vom 20. Oktober 2011 über bewährte Vorgehensweisen in Verfahren nach Artikel 101 und 102 des AEUV (ABl. 2011, C 308, S. 6) (vgl. insbesondere Rn. 20 der Bekanntmachung) erörtert, in der sich die Kommission verpflichtet hat, zum einen die Einleitung eines Verfahrens nach den Art. 101 und 102 AEUV auf der Website ihrer Generaldirektion für Wettbewerb zu veröffentlichen und zum anderen eine Pressemitteilung hierzu herauszugeben, es sei denn, diese Veröffentlichungen könnten den Ablauf der Untersuchung beeinträchtigen.

107

Im vorliegenden Fall war die Kommission durch die fragliche Bekanntmachung jedoch nicht gezwungen, die oben in Rn. 106 genannten Selbstverpflichtungen umzusetzen. Da es nämlich insoweit an einer ausdrücklichen Bestimmung fehlt, ist es nicht angezeigt, den Geltungsbereich der Selbstverpflichtungen zu erweitern, wenn die Kommission ein Verfahren im Stadium einer zuvor fehlerhaft durchgeführten Anhörung wieder aufnimmt und dies das Stadium ist, in dem das Verfahren unterbrochen wurde, wie von der Kommission im Rahmen der Durchführung des Nichtigkeitsurteils des Gerichtshofs im vorliegenden Fall entschieden, der sich von dem Fall der Einleitung eines Verfahrens unterscheidet, auf den die Bekanntmachung abzielt.

108

Das Argument ist daher zurückzuweisen.

109

Die Klägerinnen machen zweitens in Bezug auf die Bestimmung der zur Anhörung einzuladenden Dritten geltend, dass Ansfer nicht als bloßes Mitglied der Öffentlichkeit angesehen werden könne, sondern den Status eines „Dritten mit ausreichendem Interesse“ im Sinne von Art. 27 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 13 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 773/2004 gehabt habe.

110

Zur Stützung ihres Standpunkts weisen die Klägerinnen darauf hin, dass der Status als „Dritter mit ausreichendem Interesse“ Ansfer 2002 durch den Anhörungsbeauftragten zuerkannt worden sei, was die Teilnahme dieses Verbands an der Anhörung vom 13. Juni 2002 ermöglicht habe.

111

Da Ansfer damals den Status als „Dritter mit ausreichendem Interesse“ innegehabt habe, könne sie ihn zwischenzeitlich nicht verloren haben, weshalb sie nach Auffassung der Klägerinnen in dieser Eigenschaft zur Teilnahme an der Anhörung vom 23. April 2018 hätte eingeladen werden müssen.

112

Das Vorbringen der Klägerinnen zur Beibehaltung des Status als „Dritter mit ausreichendem Interesse“ deckt sich mit dem Standpunkt der Kommission in Bezug auf die Kontinuität der Verfahrensabschnitte trotz Unterbrechung durch die zu den Nichtigkeitsurteilen führenden Gerichtsverfahren.

113

Vor diesem Hintergrund könnte man berechtigterweise die Auffassung vertreten, dass eine Organisation, die in einem früheren Verfahrensstadium den Status eines „Dritten mit ausreichendem Interesse“ für sich beanspruchen durfte, diesen Status während des gesamten Verfahrens behalten durfte, selbst wenn das Verfahren durch ein Gerichtsverfahren unterbrochen werden konnte, das zu einer Nichtigerklärung durch den Unionsrichter führte.

114

Somit ist zu entscheiden, ob im vorliegenden Fall Ansfer, der zu einem bestimmten Zeitpunkt des Verfahrens der Status „Dritter mit ausreichendem Interesse“ zuerkannt wurde, diesen Status während des gesamten Verfahrens beibehalten konnte und zur Anhörung vom 23. April 2018 hätte eingeladen oder zumindest über die Wiederaufnahme des Verfahrens hätte informiert werden müssen, um ihr Interesse an einer Teilnahme an der Anhörung bekunden zu können und gegebenenfalls eingeladen zu werden.

115

Wie der Akte zu entnehmen ist, ohne dass die Klägerinnen dem widersprochen hätten, wurde das von Ansfer geäußerte Interesse, am Verfahren teilzunehmen, nicht während des gesamten Verfahrens aufrechterhalten.

116

Die Kommission hat nämlich in der mündlichen Verhandlung – von den Klägerinnen unbestritten – die aufeinanderfolgenden Verfahrensabschnitte zusammengefasst und auf Nachfrage des Gerichts erklärt, dass

Ansfer 2002 über Meldungen in der italienischen Presse von der Einleitung des Verfahrens erfahren habe;

Ansfer auf der Grundlage dieser Informationen die Kommission ersucht habe, zur Teilnahme an der Anhörung vom 13. Juni 2002 zugelassen zu werden, und erklärt habe, sie könne für sich das Vorliegen eines ausreichenden Interesses nachweisen;

Ansfer nach ihrer Einladung zur Anhörung erschienen sei und dort eine schriftliche Erklärung abgegeben habe, ohne dass ihr Vertreter das Wort ergriffen habe;

Ansfer auf dieser Grundlage zur Teilnahme an der zweiten Anhörung vom 30. September 2002 zu den Auswirkungen des Auslaufens des EGKS-Vertrags auf das Verfahren eingeladen worden sei;

Ansfer jedoch nicht auf die Einladung reagiert habe und nicht zur Anhörung erschienen sei;

die Kommission der Auffassung gewesen sei, dass Ansfer, da sie nicht auf die an sie gerichtete Einladung zur neuen Anhörung reagiert habe und nicht zur Anhörung erschienen sei, nicht mehr am Verfahren teilnehmen wolle und somit nicht zur Anhörung vom 23. April 2018 eingeladen werden müsse;

die Kommission in diesem Zusammenhang berücksichtigt habe, dass zum einen sich die Teilnahme von Ansfer an der Anhörung vom 13. Juni 2002 auf die Einreichung einer schriftlichen Erklärung ohne Wortmeldung beschränkt habe und zum anderen die Erklärung der Akte beigefügt worden sei.

117

Gemäß der Regelung können Dritte an einer Anhörung im Rahmen eines Verfahrens zur Anwendung der Wettbewerbsvorschriften teilnehmen, doch müssen sie dies bei der Kommission beantragen und ihr gegenüber darlegen, dass sie ein Interesse haben, das ausreicht, um sie zur Teilnahme zuzulassen (siehe oben, Rn. 81 und 82).

118

Ferner ist festzustellen, dass, wenn einem Dritten der Status als „Dritter mit ausreichendem Interesse“ im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens, das durch eine gerichtliche Kontrolle mit anschließender Nichtigerklärung durch den Unionsrichter unterbrochen wurde, zuerkannt wurde, die Kommission einen Ermessensspielraum bei der Entscheidung darüber hat, ob dieser Dritte ein ausreichendes Interesse behalten hat, um seinen Standpunkt darzulegen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt nämlich nicht, dass die Kommission bei der Wiederaufnahme des Verfahrens Dritte anhört, die nicht mehr über ein ausreichendes Interesse verfügen (vgl. entsprechend Urteile vom 16. Juni 2015, FSL u. a./Kommission, T‑655/11, EU:T:2015:383, Rn. 406, und vom 11. Juli 2019, Silver Plastics und Johannes Reifenhäuser/Kommission, T‑582/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:497, Rn. 202 und die dort angeführte Rechtsprechung).

119

Denn im Interesse einer ordnungsgemäßen Verwaltung muss vermieden werden, dass es zu einer Vervielfachung von Streithelfern kommt, während gleichzeitig die Teilnahme derer zu gewährleisten ist, die einen echten – be- oder entlastenden – Beitrag bei der Analyse des Falls und im Rahmen der Wahrung der Verteidigungsrechte leisten können, so dass sichergestellt ist, dass die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses und die Entscheidung der Kommission in voller Kenntnis der Sachlage und unter Einhaltung der Verfahrensrechte erfolgen.

120

Nachdem die Beurteilung vorgenommen worden war, wurde Ansfer im vorliegenden Fall als „Dritter mit ausreichendem Interesse“ zur Teilnahme an den Anhörungen vom 13. Juni 2002 und 30. September 2002 eingeladen.

121

Da Ansfer auf die Einladung zur Teilnahme an der zweiten Anhörung vom 30. September 2002 nicht reagiert und an der Anhörung nicht teilgenommen hatte, beging die Kommission keinen Fehler, als sie anschließend davon ausging, dass Ansfer darauf verzichtet habe, am weiteren Verlauf des Verfahrens teilzunehmen, oder zumindest ihre Argumente in der Anhörung vom 23. April 2018 nicht weiter habe darlegen wollen und dass ihr der Akte bereits beigefügte und anschließend in den Vorschlag für den angefochtenen Beschluss aufgenommene Beitrag es nicht rechtfertige, sie über die Wiederaufnahme des Verfahrens zu informieren, um ihr die Gelegenheit zu geben, erneut ihr Interesse zum Ausdruck zu bringen und gegebenenfalls zur Teilnahme an der Anhörung eingeladen zu werden.

122

Das Argument ist daher zurückzuweisen.

123

Die Klägerinnen machen drittens geltend, sie hätten die Kommission mit Schreiben vom 1. Februar 2018 darauf hingewiesen, dass das Verfahren nicht wirksam wieder aufgenommen werden könne, da nicht alle im Jahr 2002 anwesenden Akteure an der neuen Anhörung teilnehmen könnten, so dass den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten, deren Vertreter eine Meinung äußern müssten, damit der Beratende Ausschuss seine Stellungnahme im Einklang mit der Regelung abgeben könne, nur eine eingeschränkte Sicht der Angelegenheit vermittelt werden könne.

124

Hierzu ist festzustellen, dass dieser Hinweis, so wie er formuliert ist, nicht als ein an die Kommission gerichteter Antrag, Ansfer oder andere Dritte zur Anhörung einzuladen, im Sinne von Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 angesehen werden kann, wonach die Parteien in ihren schriftlichen Ausführungen „der Kommission die Anhörung von Personen vorschlagen [können], die die in ihren Ausführungen vorgetragenen Tatsachen bestätigen können“.

125

Wie die Kommission zu Recht vorträgt, war es Sache der Klägerinnen, falls sie die Beteiligung von Ansfer zur Verteidigung ihres Vorbringens für notwendig oder auch nur sinnvoll hielten, den Verband über die Wiederaufnahme des Verfahrens zu informieren, damit er die Kommission kontaktiert, oder selbst konkret bei der Kommission zu beantragen, dass Ansfer eingeladen werde.

126

Die Klägerinnen haben in ihren schriftlichen Antworten auf die Fragen des Gerichts jedoch eingeräumt, keine entsprechenden Schritte gegenüber der Kommission oder Ansfer unternommen zu haben.

127

Nach Art. 27 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 können die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten bei der Kommission die Anhörung Dritter beantragen, wenn sie dies für zweckdienlich halten.

128

Die Klägerinnen waren durch nichts daran gehindert, den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten während der Anhörung vom 23. April 2018 oder davor nahezulegen, bei der Kommission die Anhörung von Ansfer zu beantragen.

129

Die Klägerinnen haben den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten jedoch keinen entsprechenden Vorschlag unterbreitet, und die Wettbewerbsbehörden haben bei der Kommission nicht beantragt, dass Ansfer angehört werde.

130

Da Ansfer kein ausreichendes Interesse mehr daran hatte, ihren Standpunkt bei der Wiederaufnahme des Verfahrens darzulegen (siehe oben, Rn. 112 bis 122), und bei der Kommission nicht beantragt wurde, Ansfer anzuhören, kann der Kommission nicht wirksam vorgeworfen werden, sie nicht zur Teilnahme an der Anhörung am 23. April 2018 eingeladen zu haben.

131

Das Argument ist daher zurückzuweisen.

– Zur Situation sonstiger Dritter

132

Soweit das Vorbringen der Klägerinnen so ausgelegt werden kann, dass es auf eine dritte Situation Bezug nimmt, ist festzustellen, dass die Regelung für die Durchführung von Anhörungen eine solche dritte Situation vorsieht, die andere Personen betrifft, die kein ausreichendes Interesse in dem oben in den Rn. 81 und 82 dargelegten Sinne nachweisen können.

133

Nach Art. 13 Abs. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 besteht die Möglichkeit, abgesehen von den Unternehmen, gegen die sich das Verfahren richtet, oder den Dritten mit ausreichendem Interesse jede andere natürliche oder juristische Person aufzufordern, sich schriftlich zu äußern und gegebenenfalls an der Anhörung teilzunehmen. Neben der Zulassung zur Teilnahme an der Anhörung können diese Personen auch aufgefordert werden, sich in der Anhörung zu äußern.

134

In dieser Situation befand sich u. a. Ansfer, da die Kommission, wie bereits festgestellt worden ist, davon ausgehen konnte, dass der Verband kein ausreichendes Interesse mehr daran hatte, sich im Rahmen der Wiederaufnahme des Verfahrens zu äußern (siehe oben, Rn. 112 bis 122).

135

Die Kommission hat einen Ermessensspielraum bei der Entscheidung darüber, ob die Teilnahme nicht interessierter Dritter an den Erörterungen zweckmäßig sein kann, wobei der Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör nicht in allen Fällen verlangt, dass die Kommission die beantragten Anhörungen durchführt (vgl. in diesem Sinne die oben in Rn. 118 angeführte Rechtsprechung).

136

Somit beging die Kommission im vorliegenden Fall keinen Fehler, als sie aus den oben in den Rn. 112 bis 122 dargelegten Gründen der Ansicht war, dass die Teilnahme von Ansfer an der Anhörung vom 23. April 2018 zu keinem Erkenntnisgewinn führen würde.

137

Unter diesen Umständen kann der Kommission nicht wirksam vorgeworfen werden, durch die unterlassene Einladung sonstiger Dritter zur Anhörung vom 23. April 2018 eine Verfahrensvorschrift verletzt zu haben, die sich auf die Ausübung der Verteidigungsrechte der Klägerinnen auswirken konnte.

138

Das Argument ist daher zurückzuweisen.

139

Nach alledem kann festgestellt werden, dass die Kommission keine Verfahrensregeln in Bezug auf die Anhörung sonstiger Personen oder Organisationen verletzt hat und somit die Ausübung der Verteidigungsrechte, auf die sich die Klägerinnen berufen, nicht durch einen Verstoß gegen diese Regeln beeinträchtigt worden sein kann.

140

Soweit erforderlich, ist hinzuzufügen, dass die Klägerinnen nicht nachgewiesen haben, dass sie unabhängig von einem Regelverstoß aufgrund der Abwesenheit eines Unternehmens oder eines Dritten bei der im Hinblick auf den Erlass des angefochtenen Beschlusses organisierten Anhörung in der Ausübung ihrer Verteidigungsrechte beeinträchtigt wurden.

141

Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

Zur dritten Rüge: fehlende Möglichkeit der Kommission, den vom Gerichtshof beanstandeten Verfahrensfehler zu heilen

142

Die Klägerinnen machen im Wesentlichen geltend, es sei nicht möglich gewesen, den vom Gerichtshof beanstandeten Verfahrensfehler zu heilen. Die aufgrund des Zeitablaufs erfolgten Änderungen in der Identität der Akteure und der Marktstruktur hätten die Durchführung einer erneuten Anhörung unter identischen oder zumindest gleichwertigen Bedingungen wie 2002 verhindert.

143

Insoweit ist festzustellen, dass sich aufgrund der umfangreichen Aufgaben, die im Rahmen von Wettbewerbsverfahren anfallen, der Kontext, in dem diese Verfahren durchgeführt werden, zwangsläufig durch den Zeitablauf verändert.

144

In einem solchen Kontext, in dem der Wettbewerb zu laufenden Änderungen der Akteure, Produkte und Marktanteile führt, würde die Möglichkeit, dass solche Veränderungen für sich genommen den Erlass eines neuen Beschlusses verhindern, grundsätzlich die Möglichkeit der Kommission einschränken, ein Verfahren zur Anwendung der Wettbewerbsregeln in Erfüllung der ihr durch die Verträge übertragenen Aufgaben wieder aufzunehmen.

145

Wenn die Kommission entscheidet, ein Verfahren infolge der Nichtigerklärung einer ihrer Entscheidungen durch ein Urteil des Gerichtshofs oder des Gerichts wieder aufzunehmen, muss sie jedoch eine Beurteilung vornehmen, um zu entscheiden, ob angesichts der zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme vorherrschenden Umstände und insbesondere der Auswirkungen, die sich durch den Zeitablauf ergeben können, die Fortsetzung des Verfahrens noch als eine der Situation angemessene Lösung erscheint, was die Kommission im vorliegenden Fall getan hat, wie in Beantwortung der ersten Rüge des zweiten Klagegrundes dargelegt wird (siehe unten, Rn. 149 bis 173).

146

Demnach sind die Rüge und somit der erste Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

Zum zweiten Klagegrund: Rechtswidrigkeit der Weigerung der Kommission, vor Erlass des angefochtenen Beschlusses seine Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer zu prüfen

147

Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe nicht rechtlich hinreichend geprüft, ob der angefochtene Beschluss erlassen werden könne, obwohl er nicht mit dem in Art. 41 der Charta verankerten Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer vereinbar gewesen sei. Zum einen werfen sie der Kommission in diesem Zusammenhang einen Rechtsfehler vor. Zum anderen sind sie der Auffassung, die Kommission sei der ihr obliegenden Begründungspflicht nicht nachgekommen.

148

Die Kommission widerspricht dem Vorbringen der Klägerinnen.

Zur ersten Rüge: Rechtsfehler

149

Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe gegen Art. 41 der Charta verstoßen, da sie sich geweigert habe, vor Erlass des angefochtenen Beschlusses seine Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer zu prüfen.

150

Wie die Klägerinnen zu Recht vortragen, ist die Kommission verpflichtet, den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer zu beachten, der in Art. 41 der Charta verankert ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, EU:C:2002:582, Rn. 179, und vom 5. Juni 2012, Imperial Chemical Industries/Kommission, T‑214/06, EU:T:2012:275, Rn. 285).

151

Insoweit ist die Verfahrensdauer zu berücksichtigen, wenn die Kommission im Rahmen des Wertungsspielraums, den ihr das Unionsrecht einräumt, beurteilt, ob nach den Wettbewerbsregeln die Verfolgung einer Zuwiderhandlung einzuleiten und ein Beschluss zu erlassen ist.

152

Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen ist dem angefochtenen Beschluss zu entnehmen, dass die Kommission bei der Beurteilung, ob die Verfolgung einer Zuwiderhandlung einzuleiten und ein Beschluss zu erlassen ist, nicht gegen die Verpflichtung verstieß, die Verfahrensdauer zu berücksichtigen. Aus dem angefochtenen Beschluss ergibt sich nämlich, dass die Kommission vor ihrer Entscheidung geprüft hat, ob im vorliegenden Fall das Verfahren wieder aufgenommen werden konnte und zum Erlass eines solchen Beschlusses über die Verhängung einer Geldbuße führen konnte.

153

Die Kommission hat insoweit in mehreren Abschnitten des angefochtenen Beschlusses geprüft, ob zum einen das dem angefochtenen Beschluss vorausgehende Verfahren in Bezug auf die Dauer zufriedenstellend durchgeführt wurde und zum anderen aus der Dauer der zum Erlass dieses Beschlusses führenden Verfahrensabschnitte Konsequenzen zu ziehen sind.

154

Beispielsweise stellte die Kommission fest, ihrer Analyse zufolge seien die Untersuchungstätigkeiten sorgfältig durchgeführt worden und die Unterbrechungen während des Verwaltungsverfahrens der gerichtlichen Kontrolle geschuldet (Erwägungsgründe 528 und 555 des angefochtenen Beschlusses).

155

In diesem Zusammenhang erkannte die Kommission an, dass sie, wie vom Gericht und dem Gerichtshof in den Urteilen vom 25. Oktober 2007, SP u. a./Kommission (T‑27/03, T‑46/03, T‑58/03, T‑79/03, T‑80/03, T‑97/03 und T‑98/03, EU:T:2007:317), und vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission (C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717), festgestellt, Verfahrensfehler begangen hatte. Diese Fehler, die das Verfahren möglicherweise verlängert hätten, seien jedoch der Rechtsunsicherheit geschuldet, in der sie sich infolge des Auslaufens des EGKS-Vertrags befunden habe (555. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

156

Ebenso räumte die Kommission ein, dass die verschiedenen, aufeinanderfolgenden Verfahrensabschnitte aufgrund der begangenen Verfahrensfehler für das Verfahren insgesamt, einschließlich administrativer Verfahrensabschnitte und Unterbrechungen infolge der gerichtlichen Kontrolle, zu einer „objektiv“ langen Dauer hätten führen können (528. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

157

Im Rahmen dieser Beurteilung stellte die Kommission zudem fest, dass die lange Dauer nicht die Verfahrensdauer überschreite, die angesichts der Rechtsprechung als akzeptabel angesehen werde (528. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

158

Ergänzend fügte die Kommission hinzu, dass nach der Rechtsprechung eine Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer für sich genommen nicht zur Nichtigerklärung eines Beschlusses führen könne. Dem Gerichtshof zufolge setze eine Nichtigerklärung nämlich voraus, dass die unangemessene Verfahrensdauer die Verteidigungsrechte dadurch beeinträchtigt habe, dass es den betroffenen Unternehmen erschwert worden sei, Beweise beizubringen und Argumente vorzutragen. Die Klägerinnen hätten jedoch nicht nachgewiesen, dass dies vorliegend der Fall gewesen sei (Erwägungsgründe 556 und 557 des angefochtenen Beschlusses).

159

Ferner stellte die Kommission im 536. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses fest, dass sie angesichts der anwendbaren Regelung und im Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung befugt sei, einen neuen Beschluss zu erlassen.

160

Die Kommission räumte ein, dass dem Erlass eines neuen Beschlusses eine Prüfung vorausgehen müsse, bei der im Rahmen des ihr bei der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen zustehenden Ermessens das öffentliche Interesse an einer wirksamen Anwendung der Wettbewerbsregeln und das Interesse der Parteien daran, dass innerhalb einer angemessenen Frist eine Entscheidung ergehe und mögliche Folgen etwaiger Verfahrensfehler abgemildert würden, gegeneinander abzuwägen seien (Erwägungsgründe 536 und 559 des angefochtenen Beschlusses).

161

Im vorliegenden Fall nahm die Kommission diese Interessenabwägung vor, indem sie angesichts der Schwere der festgestellten Zuwiderhandlung zu dem Ergebnis gelangte, dass zum einen ein Beschluss zu erlassen sei und zum anderen eine Sanktion gegen die Adressaten verhängt werden müsse (Erwägungsgründe 560 bis 568 des angefochtenen Beschlusses).

162

Schließlich setzte die Kommission im Einklang mit der Empfehlung des Anhörungsbeauftragten den Betrag der Geldbuße herab, um in einem gewissen Maß (50 %) die negativen Folgen abzumildern, die sich für die betroffenen Unternehmen aus der langen Dauer des Verfahrens und den Verfahrensfehlern ergeben haben könnten (Erwägungsgründe 570 bis 573 des angefochtenen Beschlusses).

163

Insoweit ist dem angefochtenen Beschluss zu entnehmen, dass – entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen – die Kommission vor Erlass des Beschlusses geprüft hat, ob der Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer eingehalten wurde, und in diesem Zusammenhang die Dauer des Verwaltungsverfahrens, einschließlich der administrativen Verfahrensabschnitte und der Unterbrechungen aufgrund der gerichtlichen Kontrolle, die möglichen Ursachen der Dauer des Verfahrens und die eventuell daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen untersucht hat.

164

Die Klägerinnen treten diesem Ergebnis entgegen und machen geltend, die Kommission habe es im angefochtenen Beschluss abgelehnt, sich zur unangemessenen Länge des Verfahrens zu äußern, da diese Beurteilung dem Unionsrichter vorbehalten sei und sie darüber nicht entscheiden könne.

165

Insoweit ist festzustellen, dass der Unionsrichter mit Fragen zur Verfahrensdauer befasst werden kann. In Haftungsstreitigkeiten muss er die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union verurteilen, wenn sie durch den Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer einen Schaden verursacht haben (Urteile vom 26. November 2013,Kendrion/Kommission, C‑50/12 P, EU:C:2013:771, Rn. 94, und vom 11. Juli 2019, Italmobiliare u. a./Kommission, T‑523/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:499, Rn. 159). Bei Nichtigkeitsklagen kann die Dauer eines Verfahrens zur Nichtigerklärung eines angefochtenen Beschlusses führen, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Erstens muss die Dauer des Verfahrens unangemessen erscheinen, und zweitens muss die Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer die Ausübung der Verteidigungsrechte beeinträchtigt haben (Urteile vom 21. September 2006, Technische Unie/Kommission, C‑113/04 P, EU:C:2006:593, Rn. 47 und 48, vom 8. Mai 2014, Bolloré/Kommission, C‑414/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:301, Rn. 84 und 85, und vom 9. Juni 2016, PROAS/Kommission, C‑616/13 P, EU:C:2016:415, Rn. 74 bis 76).

166

Wie die Klägerinnen zu Recht geltend machen, kann die dem Unionsrichter insoweit übertragene Befugnis nicht dazu führen, dass die Kommission von der Verpflichtung befreit wird, bei der Entscheidung über die sich aus einem Nichtigkeitsurteil ergebenden Maßnahmen gemäß Art. 266 AEUV eine Beurteilung durchzuführen.

167

Wie bereits dargelegt, muss die Kommission bei der Vornahme dieser Beurteilung sämtliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigen, und zwar u. a. ob es zweckmäßig ist, einen neuen Beschluss zu erlassen, eine Sanktion zu verhängen oder gegebenenfalls die in Aussicht genommene Sanktion herabzusetzen, insbesondere wenn die Verfahrensdauer, ohne selbst eine schuldhafte Pflichtverletzung darzustellen, aufgrund von administrativen Verfahrensabschnitten und gegebenenfalls auch Unterbrechungen infolge der gerichtlichen Kontrolle offensichtlich Auswirkungen auf die bei der Festsetzung des Betrags der Geldbuße zu berücksichtigenden Gesichtspunkte gehabt haben kann, insbesondere auf die etwaige abschreckende Wirkung der Geldbuße, wenn diese lange Zeit nach dem Sachverhalt der Zuwiderhandlung verhängt wird.

168

Diese Beurteilung, die u. a. die gesamte Dauer des Verfahrens einschließlich gerichtlicher Verfahrensabschnitte betrifft, wurde im Wesentlichen im 528. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses vorgenommen.

169

Somit hat die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen im angefochtenen Beschluss geprüft, ob die Verfahrensdauer einer Wiederaufnahme des Verfahrens entgegenstehen könnte, und gleichzeitig anerkannt, dass diese Beurteilung der Kontrolle des Unionsrichters für Streitigkeiten, die die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts betreffen, oder gegebenenfalls für Haftungsstreitigkeiten unterliegt.

170

In ihrer Klageschrift berufen sich die Klägerinnen auf Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) und machen in diesem Zusammenhang geltend, der Kommission obliege die Pflicht, vor Erlass eines neuen Beschlusses zu prüfen, ob der Erlass mit dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer vereinbar sei.

171

Insoweit ist festzustellen, dass aus Art. 6 EMRK genau wie aus Art. 47 der Charta, auf den sich die Klägerinnen ebenfalls berufen, die Verpflichtung folgt, in Gerichtsverfahren den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer zu wahren.

172

Im vorliegenden Fall können sich Art. 6 EMRK und Art. 47 der Charta jedenfalls nicht auf die Lösung des vorliegenden Rechtsstreits in Bezug auf den hier untersuchten Klagegrund auswirken, da die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen in der Sachverhaltsfeststellung, wie dem angefochtenen Beschluss zu entnehmen ist, die Überprüfung vornahm, die im Vorbringen der Klägerinnen in Rede steht.

173

Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

Zur zweiten Rüge: Verstoß gegen die Begründungspflicht

174

Die Klägerinnen beanstanden, die Kommission habe die Begründungspflicht dadurch verletzt, dass sie nicht rechtlich hinreichend dargelegt habe, warum sie ihrer Meinung nach die Einhaltung des Grundsatzes der angemessenen Verfahrensdauer nicht beurteilen müsse.

175

Hierzu ist festzustellen, dass die Rüge sachlich unzutreffend ist.

176

Wie nämlich bereits im Rahmen der ersten Rüge des vorliegenden Klagegrundes dargelegt, hat sich die Kommission im angefochtenen Beschluss nicht geweigert, zu prüfen, ob der Erlass des angefochtenen Beschlusses mit dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer vereinbar ist.

177

Vielmehr ist der Beantwortung der ersten Rüge zu entnehmen, dass die Kommission diese Prüfung rechtlich hinreichend vornahm, als sie feststellte, dass es keinen Gesichtspunkt gebe, der einer Wiederaufnahme des Verfahrens, dem Erlass eines neuen Beschlusses und der Verhängung einer Geldbuße entgegenstehe.

178

Demnach sind die zweite Rüge und somit der zweite Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

Zum dritten Klagegrund und zu Teilen des vierten Klagegrundes: Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer

179

Zur Stützung des dritten Klagegrundes machen die Klägerinnen geltend, der angefochtene Beschluss sei für nichtig zu erklären, da er nach Abschluss eines Verfahrens ergangen sei, das die angemessene Verfahrensdauer überschritten habe. Die überlange Dauer des Verfahrens habe zur Folge, dass die Kommission nicht mehr zur Verhängung von Sanktionen befugt gewesen sei und der Beschluss deshalb auch wegen Befugnisüberschreitung rechtswidrig sei. Das Vorbringen zur Stützung des dritten Klagegrundes wird teilweise auch im Rahmen des vierten Klagegrundes geltend gemacht. Die Klägerinnen erheben im Wesentlichen drei Rügen, die die Dauer der administrativen Verfahrensabschnitte, die Gesamtdauer des Verfahrens und die Auswirkungen der Verfahrensdauer auf die Verteidigungsrechte betreffen und alle von der Kommission bestritten werden.

180

Vor der Prüfung dieser Rügen ist daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Dauer eines Verfahrens zur Nichtigerklärung eines angefochtenen Beschlusses führen kann, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Erstens muss die Dauer des Verfahrens unangemessen erscheinen, und zweitens muss die Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer die Ausübung der Verteidigungsrechte beeinträchtigt haben (siehe oben, Rn. 165).

181

Folglich könnte ein Beschluss der Kommission nicht allein wegen der Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer für nichtig erklärt werden, wenn die Verteidigungsrechte der Klägerinnen durch die Überschreitung nicht beeinträchtigt wurden. Somit ist das Vorbringen der Klägerinnen, die Kommission sei allein wegen der Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer verpflichtet gewesen, auf den Erlass des angefochtenen Beschlusses zu verzichten, von vornherein zurückzuweisen.

182

Bei der Analyse dieses Klagegrundes wird das Gericht die erste Voraussetzung prüfen, indem zunächst die Dauer der administrativen Verfahrensabschnitte (erste Rüge) und anschließend die Gesamtdauer des Verwaltungsverfahrens einschließlich der Unterbrechungen infolge der gerichtlichen Kontrolle (zweite Rüge) untersucht werden. Anschließend wird im Rahmen der zweiten Voraussetzung geprüft, ob die Klägerinnen bei der Ausübung ihrer Verteidigungsrechte beeinträchtigt wurden (dritte Rüge).

Zur ersten Rüge: Dauer der administrativen Verfahrensabschnitte

183

Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass die Dauer der administrativen Verfahrensabschnitte, die sich über mehr als sechs Jahre hingezogen hätten, nicht mit dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer vereinbar sei. Sie beanstanden insbesondere die Verzögerung, mit der die Kommission auf die sukzessiven Nichtigerklärungen durch das Gericht und den Gerichtshof reagiert habe:

Zwischen der Verkündung des Urteils vom 25. Oktober 2007, SP u. a./Kommission (T‑27/03, T‑46/03, T‑58/03, T‑79/03, T‑80/03, T‑97/03 und T‑98/03, EU:T:2007:317), und dem Erlass der Entscheidung von 2009, d. h. während eines Zeitraums von über zwei Jahren, habe sich die Kommission darauf beschränkt, das oben in Rn. 10 genannte Schreiben vom 30. Juni 2008, in dem die Wiederaufnahme des Verfahrens angekündigt worden sei, sowie Auskunftsverlangen zu versenden, und in diesem Zeitraum sei weder eine neue Mitteilung der Beschwerdepunkte übermittelt worden noch habe eine neue Anhörung stattgefunden, obwohl es für die Kommission nicht schwierig gewesen wäre, den Fehler zu berichtigen, der zur Ungültigkeit der für nichtig erklärten Entscheidung geführt habe, da das Gericht den Fehler klar benannt habe;

ebenso habe sich die Tätigkeit der Kommission zwischen dem Urteil vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission (C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717), und dem Erlass des angefochtenen Beschlusses, d. h. während eines Jahres und neun Monaten, darauf beschränkt, das Schreiben vom 15. Dezember 2017 zur Ankündigung der Wiederaufnahme des Verfahrens sowie Schreiben zur Ankündigung und Erläuterung der Anhörung vom 23. April 2018 und beschränkte Auskunftsverlangen zum Umsatz der Klägerinnen zu versenden.

184

Die lange Dauer dieser Verfahrensabschnitte sei angesichts der Rechtsprechung ungerechtfertigt:

In der Rechtssache im Urteil vom 16. Juni 2011, Bavaria/Kommission (T‑235/07, EU:T:2011:283, Rn. 323), sei eine Dauer von 20 Monaten in Bezug auf den zweiten Abschnitt des Verwaltungsverfahrens, der sich vom Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte bis zum Erlass der in jener Rechtssache streitigen Entscheidung erstreckt habe, für unangemessen angesehen worden;

in der Rechtssache im Urteil vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission (C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, EU:C:2002:582), habe das Verfahren zur Neuentscheidung nur zehn Monate gedauert;

ferner habe das Verfahren zur Neuentscheidung in der Rechtssache Solvay/Kommission (Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Solvay/Kommission, C‑109/10 P, EU:C:2011:256, Nr. 242) acht Monate, in der Rechtssache im Urteil vom 8. Mai 2014, Bolloré/Kommission (C‑414/12 P, EU:C:2014:301), neun Monate, in der Rechtssache im Urteil vom 12. Februar 2019, Printeos/Kommission (T‑201/17, EU:T:2019:81), drei Monate und in der Rechtssache im Urteil vom 18. Oktober 2018, GEA/Kommission (T‑640/16, EU:T:2018:700), vier Monate gedauert.

185

Nach dem Unionsrecht sind die Organe verpflichtet, im Rahmen der von ihnen durchgeführten Verwaltungsverfahren Angelegenheiten innerhalb einer angemessenen Frist zu behandeln (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2012, Imperial Chemical Industries/Kommission,T‑214/06, EU:T:2012:275, Rn. 284).

186

Die Pflicht, Verwaltungsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist durchzuführen, stellt nämlich einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar, der u. a. von Art. 41 Abs. 1 der Charta übernommen wird (Urteile vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, EU:C:2002:582, Rn. 167, vom 11. April 2006, Angeletti/Kommission, T‑394/03, EU:T:2006:111, Rn. 162, und vom 7. Juni 2013, Italien/Kommission, T‑267/07, EU:T:2013:305, Rn. 61).

187

Im vorliegenden Fall ist den Akten zu entnehmen, dass vier Verfahrensabschnitte, die insgesamt sechs Jahre und einen Monat dauerten, im Rahmen der Bearbeitung der Angelegenheit bei der Kommission durchlaufen wurden:

Ein erster Verfahrensabschnitt, der ein Jahr und fünf Monate dauerte, trennte die ersten Untersuchungsmaßnahmen von der Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte an Federacciai und die anderen betroffenen Unternehmen;

die drei anschließenden Verfahrensabschnitte führten zum Erlass der Entscheidung von 2002 bzw. von 2009 sowie zum Erlass des angefochtenen Beschlusses und dauerten jeweils neun Monate, zwei Jahre und einen Monat bzw. ein Jahr und neun Monate.

188

Nach der Rechtsprechung ist die Angemessenheit der Verfahrensdauer anhand der Umstände jeder einzelnen Rechtssache, insbesondere anhand der Interessen, die in dem Rechtsstreit für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, der Komplexität der Rechtssache sowie des Verhaltens des Klägers und der zuständigen Behörden, zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, EU:C:2002:582, Rn. 187 und 188).

189

Selbst wenn man daher annimmt, wie dies von den Klägerinnen behauptet wird, dass in anderen Rechtssachen der administrative Verfahrensabschnitt, der auf die Nichtigerklärung einer Entscheidung der Kommission durch den Unionsrichter folgt, im Rahmen eines für den Erlass einer neuen Entscheidung wieder aufgenommenen Verfahrens kürzer war als im vorliegenden Fall, lässt dies für sich genommen nicht den Schluss zu, dass der Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer verletzt wurde.

190

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist nämlich anhand der Umstände jeder einzelnen Rechtssache zu beurteilen, und zwar insbesondere anhand der oben in Rn. 188 genannten Kriterien.

191

Als Erstes ist in Bezug auf die Bedeutung des Rechtsstreits für den Betroffenen hervorzuheben, dass bei einem Rechtsstreit über eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht das grundlegende Gebot der für die Wirtschaftsteilnehmer unerlässlichen Rechtssicherheit und das Ziel, zu gewährleisten, dass der Wettbewerb im Binnenmarkt nicht verfälscht wird, nicht nur für die Klägerinnen und ihre Konkurrenten, sondern wegen der großen Zahl betroffener Personen und der berührten finanziellen Interessen auch für Dritte von erheblichem Interesse sind (vgl. Urteil vom 1. Februar 2017, Aalberts Industries/Europäische Union, T‑725/14, EU:T:2017:47, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

192

Im vorliegenden Fall stellte die Kommission im angefochtenen Beschluss fest, dass die Klägerinnen dadurch gegen Art. 65 § 1 KS verstoßen hätten, dass sie vom 6. Dezember 1989 bis zum 27. Juni 2000 an einer fortdauernden Vereinbarung oder an verabredeten Praktiken hinsichtlich Bewehrungsrundstahl beteiligt gewesen seien, die eine Festlegung der Preise und die Beschränkung oder Kontrolle der Produktion oder des Absatzes im Binnenmarkt bezweckt oder bewirkt hätten.

193

Auf der Grundlage dieser Feststellung verhängte die Kommission eine Geldbuße in Höhe von 5,125 Mio. Euro gegen die gesamtschuldnerisch haftenden Klägerinnen.

194

Angesichts dieser Umstände ist davon auszugehen, dass die Angelegenheit für die Klägerinnen von erheblicher Bedeutung war.

195

Als Zweites ist zur Komplexität der Rechtssache festzustellen, dass die von der Kommission begangenen Fehler die Konsequenzen betreffen, die aus dem Auslaufen des EGKS-Vertrags für das Verfahren zu ziehen waren.

196

Die Frage, welche Vorschriften auf den in Rede stehenden Sachverhalt sowohl in materiell-rechtlicher als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht anwendbar waren, war aufgrund des Auslaufens des EGKS-Vertrags einigermaßen komplex, wie die Kommission zu Recht geltend macht.

197

Zudem bestand das Kartell während eines relativ langen Zeitraums (zehn Jahre und sieben Monate), war eine erhebliche Anzahl von Akteuren involviert (acht Unternehmen, die insgesamt elf Gesellschaften umfassten, sowie ein Wirtschaftsverband) und wurden zahlreiche Dokumente im Rahmen der Prüfungen bereitgestellt oder herangezogen (etwa 20000 Seiten).

198

Angesichts dieser Umstände ist die Angelegenheit als komplex anzusehen.

199

Was als Drittes das Verhalten der Parteien betrifft, hat die Kommission aufgrund ihrer intensiven Beanspruchung durch die Parteien des Verwaltungsverfahrens eine fortlaufende Aktivität an den Tag gelegt.

200

Insoweit musste sich die Kommission im Zusammenhang mit dem Erlass des angefochtenen Beschlusses mit mehreren Schreiben befassen, gleichzeitig die Anhörung vom 23. April 2018 vorbereiten und eine Vergleichsausführung prüfen, die von einigen Parteien des Verwaltungsverfahrens am 4. Dezember 2018 vorgelegt worden war.

201

Aus diesem Gesamtbild ergibt sich, dass die Dauer der administrativen Verfahrensabschnitte angesichts der Umstände der Rechtssache und insbesondere ihrer Komplexität in einem Kontext, in dem der Kommission keine Phase unerklärlicher Untätigkeit im Lauf der einzelnen Etappen der administrativen Verfahrensabschnitte vorgeworfen werden kann, nicht unangemessen erscheint.

202

Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

Zur zweiten Rüge: Gesamtdauer des Verfahrens

203

Die Klägerinnen beanstanden die Gesamtdauer der Bearbeitung des Vorgangs, angefangen von den ersten Ermittlungshandlungen bis zum Erlass des angefochtenen Beschlusses. Da die Gesamtdauer bei Erlass des angefochtenen Beschlusses fast 19 Jahre betragen habe und sich der Beschluss auf Verhaltensweisen beziehe, von denen einige vor über 30 Jahren stattgefunden hätten, liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer vor.

204

Die Pflicht, Verwaltungsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist durchzuführen, stellt einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar, der u. a. von Art. 41 Abs. 1 der Charta übernommen wird. Überdies stellt die Nichteinhaltung einer angemessenen Entscheidungsfrist einen Verfahrensfehler dar (Urteil vom 16. Juli 2009, Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland/Kommission, C‑385/07 P, EU:C:2009:456, Rn. 191). Gemäß Art. 47 der Charta und Art. 6 EMRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 2009, Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland/Kommission, C‑385/07 P, EU:C:2009:456, Rn. 177 bis 179, und vom 5. Juni 2012, Imperial Chemical Industries/Kommission, T‑214/06, EU:T:2012:275, Rn. 282 und 283).

205

Nach dem Unionsrecht sind die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union nämlich verpflichtet, im Rahmen der von ihnen durchgeführten Verwaltungsverfahren Angelegenheiten innerhalb einer angemessenen Frist zu behandeln (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2012, Imperial Chemical Industries/Kommission, T‑214/06, EU:T:2012:275, Rn. 284).

206

Die Pflicht zur Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer gilt für jeden Abschnitt eines Verfahrens sowie das Verfahren insgesamt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, EU:C:2002:582, Rn. 230 und 231, und Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Solvay/Kommission, C‑109/10 P, EU:C:2011:256, Nr. 239).

207

Im vorliegenden Fall war der Zeitraum, über den sich das gesamte Verwaltungsverfahren erstreckte, außergewöhnlich lang, was die Kommission im Übrigen veranlasste, die letztlich gegen die Klägerinnen verhängte Geldbuße herabzusetzen (siehe oben, Rn. 162).

208

Die lange Gesamtdauer des Verwaltungsverfahrens lässt sich im vorliegenden Fall jedoch durch die Komplexität des Vorgangs erklären, wobei diese Komplexität erstens in mehrerlei Hinsicht Umständen geschuldet ist, die in der Sache selbst begründet sind, und zweitens in anderer Hinsicht auf den Kontext zurückzuführen ist, in den der Vorgang eingebettet ist, nämlich das Auslaufen des EGKS-Vertrags (siehe oben, Rn. 195 bis 198).

209

Zwar beging die Kommission Fehler bei der Beurteilung der Konsequenzen, die aus dem Auslaufen des EGKS-Vertrags zu ziehen sind, und diese Fehler führten zu den sukzessiven Nichtigerklärungen durch das Gericht und den Gerichtshof.

210

Diese Fehler und die Auswirkungen, die sie auf die Dauer des Verwaltungsverfahrens haben konnten, sind jedoch unter Berücksichtigung der Komplexität der aufgeworfenen Fragen zu würdigen.

211

Überdies ist die Gesamtdauer des Verwaltungsverfahrens zum Teil den Unterbrechungen durch die gerichtliche Kontrolle geschuldet und folglich mit der Zahl der Klagen verbunden, die vor dem Unionsrichter zu verschiedenen Aspekten der Rechtssache erhoben worden sind.

212

Die Möglichkeit, dass die Fälle von Unternehmen, die sich in einer Situation wie die Klägerinnen befinden, mehr als einmal von den Verwaltungsbehörden und gegebenenfalls von den Gerichten der Union geprüft werden, ist inhärenter Bestandteil des eingeführten Systems, das von den Urhebern der Verträge für die Kontrolle der Verhaltensweisen und Transaktionen auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts konzipiert wurde. Insoweit kann die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, eine Reihe von Formalitäten und Verfahrensschritten zu durchlaufen, bevor sie eine abschließende Entscheidung auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts erlassen kann, und die Möglichkeit, dass diese Formalitäten oder Verfahrensschritte Anlass zu einer Klage geben können, nicht von einem Unternehmen am Ende des Prozesses als Argument dafür verwendet werden, dass die angemessene Verfahrensdauer überschritten wurde (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Wahl in den Rechtssachen Feralpi u. a./Kommission, C‑85/15 P, C‑86/15 P und C‑87/15 P, C‑88/15 P und C‑89/15 P, EU:C:2016:940, Nr. 70).

213

Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Dauer des Verwaltungsverfahrens insgesamt betrachtet übermäßig lang war und somit dem Erlass eines neuen Beschlusses durch die Kommission zur Verhängung einer Geldbuße entgegenstehen konnte.

214

Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

Zur dritten Rüge: Auswirkungen der langen Verfahrensdauer auf die Verteidigungsrechte

215

Die Klägerinnen machen geltend, dass die lange Dauer des Verwaltungsverfahrens ihre Verteidigungsrechte beeinträchtigt habe. Aufgrund der langen Dauer des Verfahrens habe die mündliche Anhörung vom 23. April 2018 den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten nicht die Gelegenheit gegeben, alle Akteure anzuhören, deren Auffassungen einen Einfluss auf ihre Verteidigungsmöglichkeiten haben könnten.

216

Insoweit ist festzustellen, dass, wie oben in Rn. 180 erwähnt, zwei Voraussetzungen vorliegen müssen, damit der Richter den von der Kommission erlassenen Beschluss wegen einer Verletzung des Grundsatzes der angemessenen Verfahrensdauer für nichtig erklärt. Da die erste Voraussetzung (unangemessen lange Dauer des Verfahrens) nicht erfüllt ist, muss im Rahmen der dritten Rüge grundsätzlich nicht geprüft werden, ob die Länge des Verwaltungsverfahrens die Ausübung der Verteidigungsrechte beeinträchtigt hat. Die Prüfung ist dennoch ergänzend vorzunehmen, um die Bedenken der Klägerinnen vollständig auszuräumen.

217

Zum einen ist festzustellen, dass die Klägerinnen im Lauf des gesamten Verfahrens mindestens siebenmal Gelegenheit hatten, ihren Standpunkt zu äußern und ihre Argumente vorzutragen (siehe oben, Rn. 3 bis 6, 10, 22 und 23).

218

Insbesondere konnten die Klägerinnen ihre Auffassung im dritten Verfahrensabschnitt in ihrer Stellungnahme vom 1. Februar 2018 und in der Anhörung vom 23. April 2018 darlegen (siehe oben, Rn. 22 und 23).

219

Zum anderen hat die Prüfung des ersten Klagegrundes ergeben, dass die Verteidigungsrechte der Klägerinnen weder dadurch beeinträchtigt wurden, dass nicht alle Akteure, die an den vorhergehenden Anhörungen beteiligt gewesen waren, bei der Anhörung vom 23. April 2018 anwesend waren, noch dadurch, dass den Vertretern der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihren Standpunkt im Beratenden Ausschuss darlegten, bekannt war, dass zuvor zwei Entscheidungen, von denen eine vom Gericht bestätigt worden war, in Bezug auf die betroffenen Unternehmen erlassen worden waren (siehe oben, Rn. 66 bis 146).

220

Daraus ergibt sich, dass, selbst wenn man annimmt, dass die Dauer des Verwaltungsverfahrens nicht mit dem Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer vereinbar ist, die Voraussetzungen für die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses nicht vorliegen, da die Klägerinnen nicht nachweisen konnten, dass die Verfahrensdauer zu einer Beeinträchtigung ihrer Verteidigungsrechte geführt hat.

221

Somit ist keine der Anforderungen für eine Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses wegen Verletzung des Grundsatzes der angemessenen Verfahrensdauer erfüllt.

222

Demnach sind die Rüge und damit der Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

Zum vierten Klagegrund: Verstoß gegen die Begründungspflicht und offensichtliche Beurteilungsfehler

223

Im Rahmen des vierten Klagegrundes machen die Klägerinnen drei Rügen geltend: erstens keine ausreichende Begründung der Entscheidung der Kommission, einen neuen Beschluss zur Verhängung einer Geldbuße zu erlassen, zweitens offensichtlicher Beurteilungsfehler der Kommission in Bezug auf die potenzielle Abschreckungswirkung eines solchen Beschlusses und drittens Fehler der Kommission bei der Beurteilung der Möglichkeit von Dritten, eine Haftungsklage vor den nationalen Gerichten zu erheben, sowie weitere Argumente, die alle von der Kommission bestritten werden.

Zur ersten Rüge: keine ausreichende Begründung der Entscheidung der Kommission, einen neuen Beschluss zur Verhängung einer Geldbuße zu erlassen

224

Nach Auffassung der Klägerinnen hat die Kommission die Gründe, die sie zur Wiederaufnahme des Verfahrens bewogen, nicht ausreichend dargelegt:

Zum einen rechtfertige die Begründung nicht, dass ein Beschluss erlassen werde, der neben der Feststellung einer Zuwiderhandlung auch eine Geldbuße vorsehe;

zum anderen habe die Kommission es unterlassen, ihre Behauptung zu belegen, dass eine Geldbuße notwendig sei, um eine abschreckende Wirkung auf dem fraglichen Markt zu gewährleisten, obwohl sich dieser radikal geändert habe.

225

Als Erstes ist festzustellen, dass der Kommission gemäß Art. 105 Abs. 1 AEUV die Aufgabe übertragen ist, auf die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV zu achten.

226

Nach der Rechtsprechung muss sie die Wettbewerbspolitik der Union festlegen und durchführen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Oktober 2013, Vivendi/Kommission, T‑432/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:538, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

227

In diesem Zusammenhang verfügt die Kommission über ein weites Ermessen, das durch die Verordnung Nr. 1/2003 belegt ist, wonach die Kommission, wenn sie eine Zuwiderhandlung feststellt, zum einen die beteiligten Unternehmen verpflichten „kann“, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen (Art. 7 Abs. 1), und zum anderen gegen die zuwiderhandelnden Unternehmen Geldbußen verhängen „kann“ (Art. 23 Abs. 2).

228

Im Bereich des Wettbewerbsrechts wurde der Kommission insoweit unabhängig davon, auf welchem Weg sie Kenntnis von einem Vorgang erlangt hat, u. a. im Rahmen einer Beschwerde oder von Amts wegen, die Befugnis übertragen, in Abhängigkeit von den Prioritäten, die sie im Rahmen ihrer Wettbewerbspolitik festlegt, zu entscheiden, ob Verhaltensweisen Gegenstand einer Verfolgung, eines Beschlusses und einer Geldbuße sein sollen.

229

Das Bestehen dieser Befugnis entbindet die Kommission jedoch nicht von der Begründungspflicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. März 2020, LL-Carpenter/Kommission, T‑531/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:91, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).

230

In einem Sachverhalt, in dem – wie vorliegend – zum einen eine Entscheidung der Kommission zweimal für nichtig erklärt wurde und zum anderen außergewöhnlich viel Zeit zwischen den ersten Ermittlungshandlungen und dem Erlass des Beschlusses verstrichen ist, obliegt es diesem Organ im Rahmen des Grundsatzes der ordnungsgemäßen Verwaltung, die Verfahrensdauer und ihre etwaigen Auswirkungen auf die Entscheidung, die betroffenen Unternehmen zu verfolgen, zu berücksichtigen, und diese Beurteilung muss in der Begründung des Beschlusses zum Ausdruck gebracht werden.

231

Dem hat die Kommission jedoch Rechnung getragen, indem sie zum einen in den Erwägungsgründen 526 bis 529 des angefochtenen Beschlusses und zum anderen in den Erwägungsgründen 536 bis 573 des Beschlusses ausführlich begründete, warum sie der Auffassung war, dass ein neuer Beschluss erforderlich sei, um das Vorliegen der Zuwiderhandlung festzustellen und eine Geldbuße gegen die betroffenen Unternehmen zu verhängen. Insbesondere stellte sie fest, dass durch die Verhängung einer Geldbuße gewährleistet werden könne, dass die Adressaten, die an einem über lange Zeit existierenden Kartell beteiligt gewesen seien, nicht straflos blieben, und sie fügte hinzu, dass eine Geldbuße eine einheitliche Anwendung der Wettbewerbsregeln sicherstelle und gegenüber den Unternehmen abschreckende Wirkung entfalte (565. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

232

Das erste Argument ist daher zurückzuweisen.

233

Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission im 505. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angab, sie habe die Adressaten des Beschlusses in Kenntnis gesetzt, nachdem sie ihre Beurteilung vorgenommen habe, der zufolge sie das Verfahren habe wieder aufnehmen wollen, um nach einer Anhörung zum Inhalt der Rechtssache gemäß den Verordnungen Nrn. 1/2003 und 773/2004 festzustellen, ob die Teilnahme der Adressaten an der ihnen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der Mitteilung der zusätzlichen Beschwerdepunkte vorgeworfenen Zuwiderhandlung hinreichend deutlich ersichtlich sei.

234

Was die Sanktion betrifft, wies die Kommission, wie oben in Rn. 231 dargelegt, im 565. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses darauf hin, dass durch die Verhängung einer Geldbuße gewährleistet werden könne, dass die betroffenen Unternehmen nicht straflos blieben, und dass nur eine solche Geldbuße eine einheitliche Anwendung der Wettbewerbsregeln des Unionsrechts und eine abschreckende Wirkung sicherstelle.

235

Was schließlich die Veränderungen des Marktes betrifft, die nach Ansicht der Klägerinnen rechtfertigen müssten, dass die Kommission in Bezug auf die Geldbuße mehr Nachsicht walten lasse, so wird diese Frage im 567. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses behandelt, in dem die Kommission feststellte, dass, auch wenn die Zuwiderhandlung vor relativ langer Zeit geendet habe, der Erlass eines Beschlusses zur Verhängung einer Geldbuße noch immer wichtig sei, insbesondere für den italienischen Bewehrungsrundstahlmarkt, um die Adressaten davon abzuschrecken, erneut so schwerwiegende Verhaltensweisen an den Tag zu legen.

236

Nach alledem kann festgestellt werden, dass die von der Kommission im angefochtenen Beschluss angegebene Begründung die Überlegungen, mit denen sie den Erlass eines neuen Beschlusses zur Verhängung einer Geldbuße trotz der bereits erfolgten Nichtigerklärungen rechtfertigte, klar und eindeutig zum Ausdruck brachte, einschließlich ihres Anliegens, dem angefochtenen Beschluss eine abschreckende Wirkung zu verleihen.

237

Demnach sind das zweite Argument und damit die Rüge insgesamt zurückzuweisen.

Zur zweiten Rüge: offensichtlicher Beurteilungsfehler der Kommission in Bezug auf die potenzielle Abschreckungswirkung eines neuen Beschlusses zur Verhängung einer Geldbuße

238

Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie die Auffassung vertreten habe, es sei trotz der Veränderungen auf dem Markt für Bewehrungsrundstahl weiterhin erforderlich, einen Beschluss zu erlassen und eine Sanktion zu verhängen, um die Adressaten des Beschlusses davon abzubringen, künftig ein solches Verhalten an den Tag zu legen, und um alle eventuell betroffenen Akteure davon abzuschrecken, in Zukunft vergleichbare Zuwiderhandlungen zu begehen.

239

Insoweit ist festzustellen, dass die Kommission zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses angesichts der Schwere der festgestellten Zuwiderhandlung und unter Berücksichtigung der potenziellen Abschreckungswirkung des Beschlusses und der Geldbuße auf den Märkten es weiterhin für gerechtfertigt halten konnte, einen Beschluss zu erlassen und eine Geldbuße zu verhängen.

240

Es ist nämlich die Sanktion, d. h. die Verpflichtung, die verhängte Geldbuße zu zahlen, die ein Unternehmen und allgemein die Marktakteure davon abschreckt, Wettbewerbsverstöße im Sinne der Art. 101 und 102 AEUV zu begehen.

241

Zwar wurde im Lauf des Verfahrens zweimal eine Sanktion gegen die Klägerinnen verhängt, nämlich erstmals durch die Entscheidung von 2002 und ein zweites Mal durch die Entscheidung von 2009. Diese Entscheidungen sind jedoch durch den Unionsrichter bzw. in den Urteilen vom 25. Oktober 2007, SP u. a./Kommission (T‑27/03, T‑46/03, T‑58/03, T‑79/03, T‑80/03, T‑97/03 und T‑98/03, EU:T:2007:317), und vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission (C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717), für nichtig erklärt worden. Unter diesen Umständen konnte die Verhängung einer Sanktion im angefochtenen Beschluss angesichts der Notwendigkeit, eine abschreckende Wirkung zu garantieren, für gerechtfertigt gehalten werden.

242

Außerdem verfolgte die Kommission mit der Geldbuße im vorliegenden Fall nicht nur das Ziel, dem angefochtenen Beschluss eine gewisse Abschreckungswirkung zu verleihen, sondern sie wollte auch verhindern, dass die betroffenen Unternehmen völlig straffrei bleiben, wie es der Fall gewesen wäre, wenn im angefochtenen Beschluss keine Sanktion gegen sie verhängt worden wäre (vgl. 527. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

243

Angesichts der im angefochtenen Beschluss genannten Umstände, insbesondere zum einen der Schwere der von der Kommission festgestellten Zuwiderhandlung und zum anderen der Dauer der Zuwiderhandlung, wie sie die Kommission festgestellt hatte, reichte das zuletzt genannte Ziel für sich genommen aus, um im vorliegenden Fall den Erlass eines Beschlusses zur Verhängung einer Sanktion zu rechtfertigen.

244

Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

Zur dritten Rüge: Fehler der Kommission bei der Beurteilung der Möglichkeit von Dritten, eine Schadensersatzklage vor den nationalen Gerichten zu erheben

245

Die Klägerinnen bestreiten eines der Argumente, das die Kommission zur Rechtfertigung der Wiederaufnahme des Verfahrens vorgetragen hat, dass nämlich gewährleistet sein müsse, dass Dritte nach dem Erlass des angefochtenen Beschlusses Schadensersatzklagen erheben könnten. Nach Ansicht der Klägerinnen konnte bei Erlass des angefochtenen Beschlusses keine Zivilklage mehr erhoben werden, da zivilrechtliche Ansprüche in Italien nach fünf Jahren verjährt seien und die im vorliegenden Verfahren fraglichen Verhaltensweisen in einigen Fällen vor über 30 Jahren stattgefunden hätten.

246

Hierzu ist festzustellen, dass die Kommission im 564. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses darlegte, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens und der Erlass eines neuen Beschlusses hilfreich sein könnten für Dritte, die gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten eine Schadensersatzklage erheben wollten.

247

Diese Beurteilung ist begründet. Die Kommission konnte bei Erlass des angefochtenen Beschlusses nämlich nicht ausschließen, dass einige Geschädigte möglicherweise eine Unterbrechung der Verjährung erwirkt hatten und der Beschluss somit die Erhebung einer Klage der Geschädigten auf Ersatz ihres etwaigen Schadens erleichtern konnte.

248

Zudem stützen sich die Klägerinnen bei ihrer Argumentation auf die Verjährung zivilrechtlicher Ansprüche in Italien.

249

Es konnten jedoch auch andere Länder als Italien von Klagen auf Ersatz eines etwaigen, durch das Kartell verursachten Schadens betroffen sein, da die vom Kartell betroffenen Produkte von Kunden im Ausland gekauft werden konnten.

250

Insoweit konnte die Geltung anderer nationaler Rechtsordnungen, die gegebenenfalls abweichende Verjährungsfristen oder andere Bestimmungen zum Ruhen bzw. zur Unterbrechung der Verjährung enthielten, von der Kommission nicht ausgeschlossen werden.

251

Somit haben die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen nicht nachgewiesen, dass ein Fehler vorliegt, sondern sich auf den Hinweis beschränkt, dass sie in Bezug auf die betreffende Frage, nämlich die nach dem Sinn eines Beschlusses der Kommission für die Erhebung von Schadensersatzklagen eventuell geschädigter Dritter vor den nationalen Gerichten, eine andere Meinung als die Kommission vertreten.

252

Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

Zum übrigen Vorbringen

253

Zur Stützung des vierten Klagegrundes tragen die Klägerinnen zwei weitere Argumente vor, die jedenfalls teilweise im Rahmen der Beantwortung der anderen bisher geprüften Klagegründe untersucht worden sind.

254

Mit dem ersten Argument machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe im angefochtenen Beschluss nicht rechtlich hinreichend geprüft, ob das Verwaltungsverfahren die angemessene Verfahrensdauer überschritten habe.

255

Insbesondere habe die Kommission nicht rechtlich hinreichend dargelegt, warum sie im Rahmen ihrer Analyse nur die Dauer des Verwaltungsverfahrens prüfen müsse.

256

Insoweit ist festzustellen, wie oben in den Rn. 152 bis 169 in Beantwortung der ersten Rüge des zweiten Klagegrundes dargelegt, dass die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen die Gesamtdauer des Verwaltungsverfahrens, einschließlich der administrativen Verfahrensabschnitte und der Unterbrechungen aufgrund der gerichtlichen Kontrolle, überprüft und untersucht hat, ob diese Dauer Auswirkungen auf die Möglichkeit, das Verfahren wieder aufzunehmen, und auf die Situation der betroffenen Unternehmen haben konnte oder musste.

257

In diesem Zusammenhang räumte die Kommission ein, dass die verschiedenen, aufeinanderfolgenden Verfahrensabschnitte aufgrund der begangenen Verfahrensfehler für das Verwaltungsverfahren insgesamt, d. h. administrative Verfahrensabschnitte einschließlich Unterbrechungen infolge der gerichtlichen Kontrolle, zu einer „objektiv“ langen Dauer hätten führen können, wie oben in den Rn. 156 und 157 dargelegt.

258

Bei der anschließenden Abwägung des öffentlichen Interesses an einer wirksamen Anwendung der Wettbewerbsregeln und des Interesses der Parteien an einer Berücksichtigung möglicher Auswirkungen der begangenen Verfahrensfehler entschied sich die Kommission dafür, einen Beschluss zur Feststellung eines Wettbewerbsverstoßes zu erlassen, wobei sie die verhängte Geldbuße um 50 % herabsetzte.

259

Das erste Argument ist daher zurückzuweisen.

260

Mit dem zweiten Argument machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie festgestellt habe, dass die angemessene Verfahrensdauer nicht überschritten worden sei.

261

Insbesondere könne die Kommission nicht behaupten, wie sie dies getan habe, dass das Verwaltungsverfahren zügig durchgeführt worden sei.

262

Insoweit ist angesichts der Ausführungen im Rahmen des dritten Klagegrundes (siehe oben, Rn. 183 bis 214) davon auszugehen, dass die Kommission keinen Beurteilungsfehler beging, als sie feststellte, dass die Dauer des Verwaltungsverfahrens nicht unangemessen gewesen sei.

263

Aus diesen Erwägungen und insbesondere den Rn. 185 bis 202 des vorliegenden Urteils ergibt sich gleichermaßen, dass die Feststellung der Kommission im 555. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, wonach sie „[i]n der vorliegenden Sache, was den administrativen Verfahrensabschnitt betrifft, der Auffassung ist, ihre Untersuchungstätigkeit stets zügig und ohne ungerechtfertigte Unterbrechungen durchgeführt zu haben“, ebenfalls keinen Beurteilungsfehler enthält.

264

Das zweite Argument ist daher zurückzuweisen.

265

Nach alledem ist der vierte Klagegrund insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

Zu dem von den Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Änderung des Betrags der Geldbuße

266

Die Klägerinnen haben in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie in ihrer Klage die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses, implizit jedoch auch den Betrag der Geldbuße beanstandet hätten, so dass das Gericht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auch mit einem Antrag auf Änderung der Geldbuße befasst sei.

267

Insoweit ist festzustellen, dass, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung zu Recht geltend gemacht hat, nach der Rechtsprechung der Unionsrichter die in Art. 261 AEUV und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehene Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nicht von Amts wegen ausüben kann.

268

Da das Verfahren vor den Gerichten der Union nämlich ein streitiges Verfahren ist, ist es Sache der klagenden Partei, diesen Antrag im Hinblick auf den angefochtenen Beschluss zu stellen, den Antrag zu begründen und Beweise für diese Gründe beizubringen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2013, Siemens u. a./Kommission, C‑239/11 P, C‑489/11 P und C‑498/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:866, Rn. 335).

269

Im vorliegenden Fall enthält die Klageschrift jedoch keinen Antrag auf Änderung der Geldbuße. Zwar haben die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass sich dieser Antrag aus dem Aufbau der Klageschrift ergebe. Sie haben jedoch nichts zur Stützung dieser Behauptung vorgetragen. Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Voraussetzungen von Art. 76 Buchst. e der Verfahrensordnung, wonach der Kläger seine Anträge in der Klageschrift angeben muss, nicht erfüllt sind. Nach dieser Bestimmung können nur die in der Klageschrift gestellten Anträge berücksichtigt werden, und die Begründetheit der Klage ist allein anhand der in der Klageschrift enthaltenen Anträge zu prüfen (Urteil vom 18. November 2020, H/Rat, T‑271/10 RENV II, EU:T:2020:548, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).

270

Folglich ist davon auszugehen, dass der Antrag auf Änderung der Geldbuße im Lauf des Verfahrens verspätet gestellt wurde und somit aufgrund der Verspätung nach Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung unzulässig ist.

271

In jedem Fall kann die Geldbuße nicht aufgrund der geltend gemachten Klagegründe herabgesetzt und erst recht nicht für nichtig erklärt werden, da die zur Stützung der Klage vorgetragenen Argumente in vollem Umfang zurückgewiesen worden sind.

Ergebnis

272

Nach alledem ist die Klage abzuweisen.

Kosten

273

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag der Kommission ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Die Ferriera Valsabbia SpA und die Valsabbia Investimenti SpA tragen die Kosten.

 

Gervasoni

Madise

Nihoul

Frendo

Martín y Pérez de Nanclares

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. November 2022.

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

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