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Document 62015CJ0427

Urteil des Gerichtshofs (Neunte Kammer) vom 18. Januar 2017.
NEW WAVE CZ, a.s. gegen ALLTOYS, spol. s r. o.
Vorabentscheidungsersuchen des Nejvyšší soud České republiky.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Richtlinie 2004/48/EG – Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums – Recht auf Auskunft – Auskunftsverlangen in einem Verfahren – Verfahren in Zusammenhang mit der Klage, die zur Feststellung der Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums geführt hat.
Rechtssache C-427/15.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2017:18

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

18. Januar 2017 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Geistiges Eigentum — Richtlinie 2004/48/EG — Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums — Recht auf Auskunft — Auskunftsverlangen in einem Verfahren — Verfahren in Zusammenhang mit der Klage, die zur Feststellung der Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums geführt hat“

In der Rechtssache C‑427/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší soud (Oberstes Gericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 24. Juni 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 3. August 2015, in dem Verfahren

NEW WAVE CZ a. s.

gegen

ALLTOYS spol. s r. o.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters C. Vajda (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten, der Richterin K. Jürimäe und des Richters C. Lycourgos,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Němečková und F. Wilman als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, berichtigt im ABl. 2004, L 195, S. 16).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der NEW WAVE CZ a. s. (im Folgenden: NEW WAVE), Inhaberin der Wortmarke MegaBabe, und der ALLTOYS spol. s r. o. wegen der Benutzung dieser Marke durch letztere Partei ohne die Genehmigung der ersteren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Der zehnte Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/48 lautet:

„Mit dieser Richtlinie sollen [die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten] einander angenähert werden, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten.“

4

Art. 8 („Recht auf Auskunft“) der Richtlinie 2004/48 bestimmt in den Abs. 1 und 2:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums auf einen begründeten und die Verhältnismäßigkeit wahrenden Antrag des Klägers hin anordnen können, dass Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege von Waren oder Dienstleistungen, die ein Recht des geistigen Eigentums verletzen, von dem Verletzer und/oder jeder anderen Person erteilt werden, die

a)

nachweislich rechtsverletzende Ware in gewerblichem Ausmaß in ihrem Besitz hatte,

b)

nachweislich rechtsverletzende Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß in Anspruch nahm,

c)

nachweislich für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß erbrachte,

oder

d)

nach den Angaben einer in Buchstabe a), b) oder c) genannten Person an der Herstellung, Erzeugung oder am Vertrieb solcher Waren bzw. an der Erbringung solcher Dienstleistungen beteiligt war.

(2)   Die Auskünfte nach Absatz 1 erstrecken sich, soweit angebracht, auf

a)

die Namen und Adressen der Hersteller, Erzeuger, Vertreiber, Lieferer und anderer Vorbesitzer der Waren oder Dienstleistungen sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren;

b)

Angaben über die Mengen der hergestellten, erzeugten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Waren und über die Preise, die für die betreffenden Waren oder Dienstleistungen gezahlt wurden.“

5

Art. 9 („Einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen“) der Richtlinie 2004/48 bestimmt in den Abs. 1 und 2:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte die Möglichkeit haben, auf Antrag des Antragstellers

a)

gegen den angeblichen Verletzer eine einstweilige Maßnahme anzuordnen, um eine drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums zu verhindern oder einstweilig und, sofern die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften dies vorsehen, in geeigneten Fällen unter Verhängung von Zwangsgeldern die Fortsetzung angeblicher Verletzungen dieses Rechts zu untersagen oder die Fortsetzung an die Stellung von Sicherheiten zu knüpfen, die die Entschädigung des Rechtsinhabers sicherstellen sollen; eine einstweilige Maßnahme kann unter den gleichen Voraussetzungen auch gegen eine Mittelsperson angeordnet werden, deren Dienste von einem Dritten zwecks Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums in Anspruch genommen werden; Anordnungen gegen Mittelspersonen, deren Dienste von einem Dritten zwecks Verletzung eines Urheberrechts oder eines verwandten Schutzrechts in Anspruch genommen werden, fallen unter die Richtlinie 2001/29/EG;

b)

die Beschlagnahme oder Herausgabe der Waren, bei denen der Verdacht auf Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums besteht, anzuordnen, um deren Inverkehrbringen und Umlauf auf den Vertriebswegen zu verhindern.

(2)   Im Falle von Rechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die zuständigen Gerichte die Möglichkeit haben, die vorsorgliche Beschlagnahme beweglichen und unbeweglichen Vermögens des angeblichen Verletzers einschließlich der Sperrung seiner Bankkonten und der Beschlagnahme sonstiger Vermögenswerte anzuordnen, wenn die geschädigte Partei glaubhaft macht, dass die Erfüllung ihrer Schadensersatzforderung fraglich ist. Zu diesem Zweck können die zuständigen Behörden die Übermittlung von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen oder einen geeigneten Zugang zu den entsprechenden Unterlagen anordnen.“

6

In Art. 13 („Schadensersatz“) der Richtlinie 2004/48 heißt es in Abs. 1:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat.

…“

Tschechisches Recht

7

§ 3 Abs. 1 des Zákon č. 221/2006 Sb., o vymáhání práv z průmyslového vlastnictví a o změně zákonů na ochranu průmyslového vlastnictví (Gesetz Nr. 221/2006 zur Durchsetzung der Rechte des gewerblichen Eigentums und zur Änderung von Gesetzen zum Schutz des gewerblichen Eigentums, im Folgenden: Gesetz Nr. 221/2006) sieht die Möglichkeit vor, einen Anspruch auf Auskunft bezüglich einer Rechtsverletzung geltend zu machen.

8

Nach § 3 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 221/2006 kann der Rechtsinhaber die in Abs. 1 bezeichnete Auskunft, wenn sie nicht freiwillig innerhalb einer angemessenen Frist erteilt wird, mit einem Antrag beim Gericht in einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts verlangen. Das Gericht lehnt den Antrag ab, wenn er außer Verhältnis zur Schwere der Gefährdung bzw. der Verletzung des Rechts steht.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

9

NEW WAVE betrieb gegen ALLTOYS ein erstes Verfahren wegen ungenehmigter Benutzung der Marke MegaBabe beim Anbieten ihrer Waren.

10

In diesem ersten Verfahren entschied das nationale Gericht mit rechtskräftigem Urteil, dass ALLTOYS die Rechte von NEW WAVE an der Marke MegaBabe verletzt habe, und verurteilte sie, weitere Verletzungshandlungen zu unterlassen und die betreffenden bereits in Verkehr gebrachten Waren zurückzurufen. Das Gericht gestattete NEW WAVE allerdings nicht, ihre Klage zu ändern, um ALLTOYS auch dazu verpflichten zu lassen, ihr sämtliche Auskünfte über die betreffenden Waren zu erteilen.

11

Nach dem rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens strengte NEW WAVE ein neues Verfahren vor dem Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag, Tschechische Republik) an mit dem Antrag, ALLTOYS zu verpflichten, ihr sämtliche Auskünfte über die Herkunft und die Vertriebswege der mit der Marke MegaBabe versehenen Waren, die ALLTOYS jemals in der Vergangenheit oder gegenwärtig gelagert, in Verkehr gebracht oder importiert habe, zu erteilen, und zwar konkret jeweils den Vor- und Nachnamen bzw. die Firma oder Bezeichnung sowie den Wohn- oder Unternehmenssitz des Lieferanten, des Herstellers, des Lagerhalters, des Vertreibers und jedes anderen Vorbesitzers dieser Waren, sowie Angaben zu den gelieferten, gelagerten, empfangenen oder bestellten Mengen und zu den verkauften Stückzahlen sowie genaue Angaben über den Verkaufspreis der verschiedenen Artikel und den von ALLTOYS an den Lieferanten für die gelieferten Waren gezahlten Preis.

12

Mit Urteil vom 26. April 2011 wies der Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag) die Klage von NEW WAVE ab. Das Gericht ging davon aus, dass es nicht möglich sei, einen Auskunftsanspruch mit einer gesondert erhobenen Klage geltend zu machen, da nach § 3 des Gesetzes Nr. 221/2006 ein solcher Anspruch nur mittels eines Antrags bei dem Gericht, das mit einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts befasst sei, geltend gemacht werden könne. Im vorliegenden Fall sei das Verfahren wegen Verletzung eines Rechts aber bereits mit dem im ersten Verfahren ergangenen rechtskräftigen Urteil abgeschlossen worden.

13

NEW WAVE legte Berufung beim Vrchní soud v Praze (Obergericht Prag, Tschechische Republik) ein, der mit Urteil vom 27. Februar 2012 das erstinstanzliche Urteil abänderte und ALLTOYS verpflichtete, NEW WAVE die geforderten Auskünfte zu erteilen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts war § 3 des Gesetzes Nr. 221/2006 unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 auszulegen. In diesem Zusammenhang sei aber auch ein Verfahren wegen Erteilung nicht freiwillig gegebener Auskünfte ein Verfahren wegen Verletzung eines Rechts.

14

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts legte ALLTOYS beim Nejvyšší soud (Oberstes Gericht, Tschechische Republik) Kassationsbeschwerde ein.

15

Dieses Gericht weist darauf hin, dass, auch wenn mit dem Gesetz Nr. 221/2006 die Richtlinie 2004/48 in das tschechische Recht umgesetzt worden sei, dennoch ein Unterschied zwischen dem Wortlaut des Gesetzes und dem der Richtlinie bestehe. Denn während § 3 des Gesetzes Nr. 221/2006 die Möglichkeit vorsehe, Auskünfte durch die Stellung eines Antrags „in einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts“ („v řízení o porušení práva“) zu erlangen, verpflichte Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 in seiner tschechischen Sprachfassung die Mitgliedstaaten, die Möglichkeit der Auskunftserlangung „im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums“ („v souvislosti s řízením o porušení práva duševního vlastnictví“) zu gewährleisten. Die nationale Vorschrift sei im Einklang mit der Richtlinie 2004/48 auszulegen. Allerdings sei die Auslegung des in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie enthaltenen Ausdrucks nicht eindeutig.

16

Ferner betont der Nejvyšší soud (Oberstes Gericht), dass es Unterschiede zwischen den verschiedenen Sprachfassungen der Richtlinie 2004/48 gebe. So werde in der tschechischen Fassung der Ausdruck „im Zusammenhang mit einem Verfahren“ („v souvislosti s řízením“), in der englischen Fassung „im Kontext eines Verfahrens“ („in the context of proceedings“) und in der französischen Fassung „im Rahmen eines Verfahrens“ („dans le cadre d’une action“) verwendet. Im Gegensatz zu der tschechischen und der englischen Fassung der Richtlinie 2004/48 entspreche die französische Fassung eher dem Wortlaut des Gesetzes Nr. 221/2006, da sie eine engere Verbindung zwischen dem Verfahren und dem Auskunftsverlangen herstelle.

17

Unter diesen Voraussetzungen hat der Nejvyšší soud (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen, dass ein Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums auch dann gegeben ist, wenn nach rechtskräftiger Beendigung eines Verfahrens, in dem die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums festgestellt worden ist, der Kläger in einem gesonderten Verfahren Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege von Waren oder Dienstleistungen fordert, die dieses Recht des geistigen Eigentums verletzen (um etwa den Schaden genau beziffern und anschließend Schadensersatz fordern zu können)?

Zur Vorlagefrage

18

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass er auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren vorliegende anwendbar ist, in der ein Kläger nach dem rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens, in dem die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums festgestellt wurde, in einem gesonderten Verfahren Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege der Waren oder Dienstleistungen, die dieses Recht verletzen, verlangt.

19

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 17. März 2016, Liffers, C‑99/15, EU:C:2016:173, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20

Was erstens den Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 betrifft, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass der Ausdruck „im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums“ nicht so zu verstehen ist, dass er sich allein auf Verfahren bezieht, in denen die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums festgestellt werden soll. Die Verwendung dieses Ausdrucks schließt es nämlich nicht aus, dass Art. 8 Abs. 1 auch gesonderte Verfahren wie das hier in Rede stehende Ausgangsverfahren umfassen kann, die erst nach dem rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens, in dem die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums festgestellt wurde, eingeleitet werden.

21

Hierzu ist zu ergänzen, dass zwar entsprechend dem Hinweis des vorlegenden Gerichts manche Sprachfassungen von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48, wie etwa die französische Fassung, Ausdrücke verwenden, die so verstanden werden könnten, dass sie einen engeren Geltungsbereich haben als die Ausdrücke, die in anderen Sprachfassungen, wie etwa der tschechischen oder der englischen Fassung, verwendet werden. Gleichwohl geht, wie die Europäische Kommission in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen vorgetragen hat, aus keiner dieser Sprachfassungen hervor, dass der Kläger das in diesem Artikel vorgesehene Recht auf Auskunft in ein und demselben Verfahren, in dem auch die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums festgestellt werden soll, geltend machen muss.

22

Zum anderen geht aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 hervor, dass der Adressat der Auskunftspflicht nicht nur der Verletzer des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums ist, sondern auch „jede andere Person“, die in den Buchst. a bis d dieser Vorschrift genannt wird. Diese anderen Personen sind aber nicht unbedingt Parteien des Verfahrens betreffend die Feststellung der Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums. Dies bestätigt, dass der Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie nicht dahin ausgelegt werden darf, dass er nur im Rahmen solcher Verfahren gilt.

23

Zweitens steht diese Auslegung auch im Einklang mit dem Ziel der Richtlinie 2004/48, das nach ihrem zehnten Erwägungsgrund darin besteht, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums einander anzunähern, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten (Urteil vom 16. Juli 2015, Diageo Brands, C‑681/13, EU:C:2015:471, Rn. 71).

24

Um ein hohes Schutzniveau für geistiges Eigentum zu gewährleisten, ist eine Auslegung abzulehnen, die das in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 vorgesehene Recht auf Auskunft nur im Rahmen eines Verfahrens anerkennt, in dem es um die Feststellung der Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums geht. Die Gewährleistung eines solchen Schutzniveaus wäre nämlich gefährdet, wenn es nicht möglich wäre, dieses Auskunftsrecht auch in einem gesonderten Verfahren auszuüben, das erst nach dem rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens, in dem die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums festgestellt wurde, eingeleitet wird, wie es im Ausgangsverfahren der Fall war.

25

Drittens ist darauf hinzuweisen, dass das in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 vorgesehene Auskunftsrecht das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgte Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf konkretisiert und dadurch die wirksame Ausübung des Grundrechts auf Eigentum sicherstellt, zu dem das durch Art. 17 Abs. 2 der Charta geschützte Recht des geistigen Eigentums gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2015, Coty Germany, C‑580/13, EU:C:2015:485, Rn. 29). Mit Hilfe dieses Auskunftsrechts kann der Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums herausfinden, wer letzteres Recht verletzt, und die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz dieses Rechts ergreifen, wie etwa die Beantragung einstweiliger Maßnahmen gemäß Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/48 oder Schadensersatz gemäß Art. 13 dieser Richtlinie. Ohne die vollständige Kenntnis, in welchem Ausmaß sein Recht des geistigen Eigentums verletzt ist, wäre der Rechtsinhaber nämlich nicht in der Lage, den ihm aufgrund der Verletzung zustehenden Schadensersatz genau zu bestimmen oder zu berechnen.

26

Nicht immer ist es möglich, einen Antrag mit dem Ziel der Erlangung aller relevanten Auskünfte im Rahmen eines Verfahrens zu stellen, in dem die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums festgestellt wird. Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass der Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums erst nach dem rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens von dem Ausmaß der Rechtsverletzung Kenntnis erlangt.

27

Folglich ist die Ausübung des Auskunftsrechts gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 nicht auf Verfahren beschränkt, in denen es um die Feststellung der Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums geht.

28

Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass er auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren vorliegende anwendbar ist, in der ein Kläger nach dem rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens, in dem die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums festgestellt wurde, in einem gesonderten Verfahren Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege der Waren oder Dienstleistungen, die dieses Recht verletzen, verlangt.

Kosten

29

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ist dahin auszulegen, dass er auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren vorliegende anwendbar ist, in der ein Kläger nach dem rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens, in dem die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums festgestellt wurde, in einem gesonderten Verfahren Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege der Waren oder Dienstleistungen, die dieses Recht verletzen, verlangt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Tschechisch.

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