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Document 62009CC0031

Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 4. März 2010.
Nawras Bolbol gegen Bevándorlási és Állampolgársági Hivatal.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Fővárosi Bíróság - Ungarn.
Richtlinie 2004/83/EG - Von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen zu erfüllende Mindestvoraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtlinge - Staatenlose Palästinenserin, die nicht den Schutz oder Beistand des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) beantragt hat - Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling - Zurückweisung wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Anspruch dieser Staatenlosen auf Anerkennung als Flüchtling nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83.
Rechtssache C-31/09.

European Court Reports 2010 I-05539

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:119

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 4. März 20101(1)

Rechtssache C‑31/09

Nawras Bolbol

gegen

Bevándorlási és Állampolgársági Hivatal

(Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Bíróság [Ungarn])

„Von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen zu erfüllende Mindestvoraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtlinge – Staatenlose Person palästinensischer Herkunft – Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft – Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG“






1.        Das humanitäre Problem der Versorgung von Personen, die aufgrund von Konflikten ihr Heim und ihre Existenzgrundlage verlieren, besteht, seitdem der Mensch gelernt hat, Waffen herzustellen und sie gegen seinen Nächsten einzusetzen. Einzelpersonen und Gruppen von Einzelpersonen, die sich in einer entsprechenden Situation befinden, benötigen und verdienen Beistand und Schutz. Durch bestimmte Konfliktarten geraten leider sehr viele Menschen in diese Lage. Wohlhabenderen oder stabileren Staaten, in die sich diese Personen begeben, um dort Asyl zu beantragen, fällt es – insbesondere unmittelbar nachdem wieder einmal Unruhen entflammt sind – nicht immer leicht, den Zustrom zu bewältigen, ohne potenziell Wohlstand und Stabilität des eigenen Landes zu gefährden. Eine aus welchem Grunde auch immer erfolgende bevorzugte Behandlung einer bestimmten Klasse oder Gruppe von Flüchtlingen geht daher, wenn sie sich nicht in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit hält und das Gleichgewicht wahrt, zulasten der angemessenen Behandlung anderer Personen, die unter objektiven humanitären Gesichtspunkten ebenso bedürftig sind.

2.        Die internationale Gemeinschaft hat daher mit dem Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951(2) verbindliche Regelungen des humanitären Völkerrechts zu der Frage festgelegt, welche Personen unter welchen Voraussetzungen als Flüchtlinge behandelt und wie sie versorgt werden sollen. Alle EU-Mitgliedstaaten sind Unterzeichner des Abkommens von 1951. Auf EU-Ebene sind ihre entsprechenden Verpflichtungen in der Richtlinie 2004/83(3) normiert.

3.        Das vorliegende gemäß dem früheren Art. 68 EG gestellte Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Bíróság (hauptstädtisches Gericht, Ungarn) betrifft die Voraussetzungen, unter denen ein Mitgliedstaat einer Palästinenserin, die dort Asyl beantragt hat, die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen kann oder muss.

 Völkerrecht

 Abkommen von 1951

4.        In den Erwägungsgründen des Abkommens von 1951 wird daran erinnert, dass die Charta der Vereinten Nationen und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte den Grundsatz bestätigt haben, dass die Menschen ohne Unterschied die Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen sollen, und festgestellt, dass die Organisation der Vereinten Nationen wiederholt die tiefe Verantwortung zum Ausdruck gebracht hat, die sie für die Flüchtlinge empfindet, und sich bemüht hat, diesen in möglichst großem Umfang die Ausübung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten zu sichern. Gleichzeitig wird in den Erwägungsgründen darauf hingewiesen, dass sich aus der Gewährung des Asylrechts nicht zumutbare schwere Belastungen für einzelne Länder ergeben können und dass eine befriedigende Lösung des Problems, dessen internationalen Umfang und Charakter die Organisation der Vereinten Nationen anerkannt hat, ohne internationale Zusammenarbeit unter diesen Umständen nicht erreicht werden kann. In den Erwägungsgründen wird der Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass alle Staaten in Anerkennung des sozialen und humanitären Charakters des Flüchtlingsproblems alles in ihrer Macht Stehende tun, um zu vermeiden, dass dieses Problem zwischenstaatliche Spannungen verursacht.

5.        In Art. 1 Abschnitt A des Abkommens von 1951 sind im Einzelnen die Kriterien aufgeführt, die bei der Beurteilung der Frage heranzuziehen sind, ob einer Person die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden soll:

„Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck ‚Flüchtling‘ auf jede Person Anwendung:

2. die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.

…“(4)

6.        Art. 1 Abschnitt C sieht verschiedene Fälle vor, in denen eine Person, die die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 1 Abschnitt A erfüllt, nicht mehr unter das Abkommen fällt – im Wesentlichen entweder weil sie den durch das Abkommen gewährten Schutz nicht mehr benötigt oder weil der Wegfall des Schutzbedürfnisses unterstellt wird.

7.        Art. 1 Abschnitt D (um dessen Auslegung es im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren entscheidend geht) lautet wie folgt:

„Dieses Abkommen findet keine Anwendung auf Personen, die zurzeit den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge genießen.

Ist dieser Schutz oder diese Unterstützung aus irgendeinem Grunde weggefallen, ohne dass das Schicksal dieser Person endgültig gemäß den hierauf bezüglichen Entschließungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen geregelt worden ist, so fallen diese Personen ipso facto unter die Bestimmungen dieses Abkommens.“

8.        Nach Art. 38 wird jeder Streitfall zwischen den Parteien des Abkommens über dessen Auslegung oder Anwendung auf Antrag einer Partei vom Internationalen Gerichtshof(5) entschieden.

 Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum „Palästinaproblem“(6)

9.        Im Gefolge der Ereignisse des 2. Weltkriegs und insbesondere des Holocaust stimmten die Vereinten Nationen den Vorschlägen des Sonderausschusses der Vereinten Nationen für Palästina(7) zur Teilung Palästinas zu (Resolution 181 [II] vom 29. November 1947). Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel gegründet. Unmittelbar im Anschluss daran kam es zum „Konflikt von 1948“, wie er in späteren VN-Resolutionen bezeichnet wurde. Mit der Resolution 273 (III) vom 11. Mai 1949 nahmen die Vereinten Nationen Israel in die Organisation auf.

10.      Infolge des Konflikts von 1948 wurden viele Palästinenser vertrieben. Mit der Resolution 212 (III) vom 19. November 1948 wurde der Sonderfonds der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge eingerichtet, um diesen Personen temporäre Soforthilfe zu leisten. Mit der Resolution 302 (IV) der Generalversammlung vom 8. Dezember 1949 wurde das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten geschaffen.(8)

11.      Seit Einrichtung der UNRWA im Jahr 1949 wurde ihr Mandat alle drei Jahre verlängert. Das gegenwärtige Mandat endet im Jahr 2011.(9) Ihr Einsatzgebiet erstreckt sich auf fünf Gebiete: Libanon, Syrien, Jordanien, Westjordanland (einschließlich Ostjerusalems) und den Gazastreifen.(10)

 Die Consolidated Eligibility and Registration Instructions (Konsolidierte Anweisungen betreffend die Berechtigungsvoraussetzungen und die Registrierung; CERI)

12.      Gemäß den von der UNRWA herausgegebenen CERI ist „eine Person, die die Kriterien der UNRWA für Palästina-Flüchtlinge erfüllt“ definiert als „jede Person, deren normaler Wohnort im Zeitraum zwischen 1. Juni 1946 und 15. Mai 1948 Palästina war und die infolge des Konflikts von 1948 ihr Heim und ihre Existenzgrundlage verloren hat“.(11) Bestimmte andere Personen, die keine Palästina-Flüchtlinge im Sinne der UNRWA-Kriterien sind, sind ebenfalls zur Inanspruchnahme von UNRWA-Leistungen berechtigt.(12) Die UNRWA fasst diese beiden Gruppen zusammen als Personen, „die nach Registrierung im Registrationssystem der UNRWA und Erhalt einer UNRWA-Registrierungskarte zum Nachweis der Registrierung zur Inanspruchnahme von UNRWA-Leistungen berechtigt sind“.(13)

13.      Darüber hinaus gibt es jedoch noch bestimmte weitere Personengruppen, die zur Inanspruchnahme von UNRWA-Leistungen berechtigt sind, ohne im Registrierungssystem des Hilfswerks erfasst zu sein.(14) Hierzu gehören „nichtregistrierte Personen, die infolge der Feindseligkeiten von 1967 und späterer Feindseligkeiten vertrieben sind“(15) sowie „nichtregistrierte Personen, die in Flüchtlingslagern und ‑gemeinschaften leben“. (16)

 Satzung des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge

14.      Das Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge(17) wurde am 14. Dezember 1950 durch die Resolution 428 (V) der Generalversammlung der Vereinten Nationen errichtet. Der UNHCR ist ein Nebenorgan der Vereinten Nationen im Sinne von Art. 22 der Charta der Vereinten Nationen. Die Aufgaben des Amtes des UNHCR sind in seiner Satzung festgelegt.(18)

15.      In Art. 6 der Satzung ist der Zuständigkeitsbereich des UNHCR definiert. Diese Zuständigkeit erstreckt sich nach Art. 7 Buchst. c jedoch nicht auf eine Person, die weiter von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen Schutz und Hilfe erhält.

 Erklärungen des UNHCR

16.      Gelegentlich gibt der UNHCR Erklärungen ab, die Überzeugungskraft, jedoch keine Bindungswirkung haben.(19) Sein Amt hat verschiedene Erklärungen zur Auslegung von Art. 1 Abschnitt D des Abkommens von 1951 herausgegeben: einen Kommentar in seinem Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967, eine 2002 veröffentlichte (und 2009 überarbeitete) Note sowie eine Erklärung von 2009 (ebenfalls später überarbeitet), die sich ausdrücklich auf den Fall von Frau Bolbol bezieht. Ich möchte die letztgenannte Erklärung als Amicus-curiae-Schriftsatz behandeln.

 UNHCR-Handbuch

17.      Das Handbuch bezeichnet Art. 1 Abschnitt D als Bestimmung, nach der Personen, die sonst die für einen Flüchtling erforderlichen Kriterien erfüllen, von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen sind. Nach dieser Klausel sei jede Person ausgeschlossen, die den Schutz oder Beistand der UNRWA genieße, wobei zu beachten sei, dass die Tätigkeit der UNRWA sich nur auf bestimmte Teile des Nahen Ostens erstrecke und dass sie nur in diesen Gebieten Schutz und Beistand leiste.(20) Ein Palästina-Flüchtling, der sich außerhalb dieses Gebiets aufhalte, genieße nicht diesen Beistand und könne, was die Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft anbelange, den Kriterien des Abkommens von 1951 entsprechend behandelt werden. Normalerweise – so das Handbuch – sollte die Feststellung genügen, dass die Umstände, die dazu führten, dass eine Person erstmalig Schutz oder Beistand der UNRWA erhielt, noch andauern und dass die Beendigungs- und Ausschlussklauseln(21) auf sie nicht Anwendung finden.

 Note von 2002

18.      In seiner Note von 2002(22) geht der UNHCR davon aus, dass es sich bei den beiden Sätzen des Art. 1 Abschnitt D nicht um Kumulativ-, sondern um Alternativbestimmungen handele. Art. 1 Abschnitt D finde Anwendung auf Palästina-Flüchtlinge im Sinne der Resolution 194 (III) vom 11. Dezember 1948 oder auf vertriebene Personen im Sinne der Resolution 2252 (ES-V) vom 4. Juli 1967.(23) Eine Person, die in der UNRWA-Zone lebe und vom Hilfswerk registriert worden sei oder berechtigt sei, vom Hilfswerk registriert zu werden(24), sei als eine Person anzusehen, die Schutz und Beistand der UNRWA genieße und als solche unter Art. 1 Abschnitt D Satz 1 und damit nicht unter das Abkommen von 1951 falle.

19.      Nach Ansicht des UNHCR verleiht Art. 1 Abschnitt D Satz 2 automatisch denjenigen Personen Anspruch auf die Schutzmechanismen des Abkommens von 1951, die sich außerhalb der UNRWA-Zone befänden(25), aber gleichwohl Palästina-Flüchtlinge im Sinne der Resolution 194 (III) vom 11. Dezember 1948 oder vertriebene Personen im Sinne der Resolution 2252 (ES-V) vom 4. Juli 1967 seien. Hierzu gehörten auch Personen, die zu keiner Zeit innerhalb der UNRWA-Zone ihren Wohnsitz gehabt hätten und daher in den Zuständigkeitsbereich des UNHCR fielen.(26) Allerdings könnten solche Personen auch in die UNRWA-Zone zurückkehren (oder zurückgeschickt werden).(27) In diesem Fall gelte für sie Art. 1 Abschnitt D Satz 1.

 Note von 2009

20.      Ähnlich nimmt auch die Note von 2009 den Wortlaut der Resolutionen 194 (III) und 2252 (ES-V) zum Ausgangspunkt. Der UNHCR ist der Auffassung, dass der Begriff „genießen“ in Art. 1 Abschnitt D Satz 1 auch die „Berechtigung zum Genuss“ von Schutz oder Beistand der UNRWA umfasse, und weist darauf hin, dass Voraussetzung für den Genuss dieser Unterstützung sei, dass sich der Betreffende in der UNRWA-Zone befinde(28). Bezüglich Art. 1 Abschnitt D Satz 2 fügt der UNHCR seinen Ausführungen in der Note von 2002 die Anmerkung hinzu, dass seiner Ansicht nach der Begriff „aus irgendeinem Grunde weggefallen“ auch den Fall erfasse, dass sich eine Person, die zuvor beim UNRWA registriert gewesen sei, die UNRWA-Zone verlassen habe.(29)

 Unionsrecht

 EG-Vertrag

21.      Art. 63 EG(30) bestimmt:

„Der Rat beschließt …

1.      in Übereinstimmung mit dem Genfer Abkommen vom 28. Juli 1951 und dem Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie einschlägigen anderen Verträgen Asylmaßnahmen …

…“

 Gemeinsamer Standpunkt 96/196/JI

22.      Nr. 12 des Gemeinsamen Standpunkts(31) trägt die Überschrift „Artikel 1 Abschnitt D des Genfer Abkommens“. Sie lautet:

„Entzieht sich eine Person bewusst dem Schutz oder Beistand im Sinne des Artikels 1 Abschnitt D des Genfer Abkommens, so fällt sie nicht automatisch von Rechts wegen unter jenes Abkommen. In diesen Fällen bestimmt sich die Flüchtlingseigenschaft grundsätzlich nach Artikel 1 Abschnitt A des Genfer Abkommens.“

 Richtlinie 2004/83

23.      Der Rat von Tampere schuf die Grundlagen für das als Haager Programm bekannte Rechtssetzungsvorhaben der EU für einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Die Richtlinie 2004/83 ist Bestandteil dieses Programms. Sie legt Mindestnormen fest für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die Anspruch auf eine subsidiäre Form des Schutzes (etwa Nichtzurückweisungsverfügungen) haben.

24.      Im dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 heißt es, dass „[d]ie Genfer Konvention und das Protokoll … einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen dar[stellen]“. Gemäß dem sechsten Erwägungsgrund „[ist es d]as wesentliche Ziel dieser Richtlinie … einerseits, ein Mindestmaß an Schutz in allen Mitgliedstaaten für Personen zu gewährleisten, die tatsächlich Schutz benötigen, und andererseits sicherzustellen, dass allen diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird“.

25.      Art. 2 Buchst. c der Richtlinie entspricht Art. 1 Abschnitt A Nr. 2 Satz 1 des Abkommens von 1951. Er definiert den Begriff des Flüchtlings als „einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet“.

26.      Gegenstand des Kapitels III der Richtlinie ist die Anerkennung als Flüchtling. Der zu diesem Kapitel gehörende Art. 12 lehnt sich an Art. 1 Abschnitt D des Abkommens von 1951 an. Insbesondere entspricht Art. 12 Abs. 1 Buchst. a dem Art. 1 Abschnitt D des Abkommens und lautet:

„Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er

a) den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie“.

27.      Nach Art. 13 der Richtlinie ist „einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II [Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz] und III [Anerkennung als Flüchtling] erfüllt“, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

28.      In den Kapiteln V und VI der Richtlinie sind die Voraussetzungen für den Anspruch auf subsidiären Schutz bzw. der subsidiäre Schutzstatus geregelt. Insbesondere sieht Art. 18 vor, dass einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und V erfüllt, der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist.

29.      Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie schreibt deren Umsetzung in nationales Recht bis zum 10. Oktober 2006 vor. Zu dem Zeitpunkt, der für den diesem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegenden Sachverhalt maßgebend ist, war Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie in Ungarn noch nicht in nationales Recht umgesetzt worden, obwohl die Umsetzungsfrist bereits verstrichen war. Beide Parteien des Ausgangsverfahrens gehen davon aus, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie inhaltlich hinreichend genau, bestimmt und unbedingt sei, so dass sich ein Antragsteller gegenüber einer zuständigen nationalen Behörde unmittelbar auf diese Vorschrift berufen könne.

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

30.      Frau Bolbol, eine staatenlose Palästinenserin, kam gemeinsam mit ihrem Ehemann am 10. Januar 2007 aus dem Gazastreifen mit einem Visum nach Ungarn. Hier beantragte und erhielt sie eine Aufenthaltsgenehmigung von der Ausländerbehörde. Am 21. Juni 2007 stellte sie beim Bevándorlási és Állampolgársági Hivatal (Amt für Zuwanderung und Staatsbürgerschaft, im Folgenden: BAH) einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da sie für den Fall, dass die Ausländerbehörde ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängern würde, nicht in den Gazastreifen zurückkehren wollte, der wegen des Konflikts zwischen Fatah und Hamas unsicher sei.

31.      Frau Bolbol stellte ihren Antrag gemäß Art. 1 Abschnitt D Satz 2 mit der Begründung, dass sie eine Palästinenserin sei, die sich außerhalb der UNRWA-Zone befinde. Nur ihr Vater sei im Gazastreifen geblieben, wo er als Universitätslehrer arbeite. Alle anderen Familienangehörigen seien ausgewandert.

32.      Unstreitig nahm Frau Bolbol während ihres Aufenthalts im Gazastreifen den Schutz und Beistand der UNRWA nicht tatsächlich in Anspruch. Sie trägt jedoch vor, sie sei hierzu berechtigt. Zur Stützung ihres Vorbringens legte sie eine auf die Familie des Vaters ihres Cousins ausgestellte UNRWA-Registrierungskarte vor. Das BAH bestreitet die Familienbeziehungen jedoch wegen fehlender Urkundenbeweise. Die UNRWA hat nicht ausdrücklich bestätigt, ob Frau Bolbol ein Anspruch auf Registrierung zusteht.(32)

33.      Mit Entscheidung vom 14. September 2007 lehnte das BAH den Antrag von Frau Bolbol auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab.(33) Gleichzeitig stellte es Frau Bolbol jedoch unter den Schutz einer Nichtzurückweisungsverfügung(34), da die Wiederaufnahme von Palästinensern im Ermessen der israelischen Behörden liege und Frau Bolbol aufgrund der im Gazastreifen herrschenden kritischen Verhältnisse dort der Gefahr von Folter bzw. einer grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

34.      Frau Bolbol erhob gegen die Entscheidung des BAH, mit der dieses ihren Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt hatte, Klage beim Fővárosi Bíróság, das das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt hat:

1.      Ist bei der Anwendung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG eine Person nur deswegen als unter dem Schutz und Beistand einer Institution der Vereinten Nationen stehend zu betrachten, weil sie ein Recht auf den Beistand oder Schutz hat, oder ist es erforderlich, dass sie tatsächlich den Beistand oder Schutz in Anspruch nimmt?

2.      Bedeutet der Wegfall des Schutzes oder des Beistands der Institution bei der Anwendung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG den Aufenthalt außerhalb des Tätigkeitsgebiets der Institution, die Abschaffung der Institution oder den Wegfall der Möglichkeit der Institution, Beistand oder Schutz zu gewähren, oder gegebenenfalls ein objektives Hindernis, weswegen die dazu berechtigte Person den Schutz oder den Beistand nicht in Anspruch nehmen kann?

3.      Bedeuten die durch die Richtlinie gewährten Vorteile bei der Anwendung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG die Anerkennung als Flüchtling oder – je nach Wahl der Mitgliedstaaten – eine der beiden zum Anwendungsbereich der Richtlinie gehörenden Schutzformen (Anerkennung als Flüchtling und subsidiärer Schutz) oder gegebenenfalls keine dieser beiden automatisch, sondern nur die Zugehörigkeit zum persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie?

35.      Frau Bolbol, die belgische, die deutsche, die französische und die ungarische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. In der Sitzung vom 20. Oktober 2009 waren alle diese Verfahrensbeteiligten mit Ausnahme der Regierung des Vereinigten Königreichs vertreten und haben mündliche Ausführungen gemacht.

 Würdigung

 Zur Richtlinie und zum Abkommen von 1951

36.      Die Europäische Union ist zwar als solche nicht Unterzeichnerin des Abkommens, jedoch schreibt Art. 63 Abs. 1 EG ausdrücklich vor, dass die gemeinsame Asylpolitik in Übereinstimmung mit dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 beschlossen werden muss. Die Richtlinie 2004/83, die auf Art. 63 Abs. 1 EG als Rechtsgrundlage gestützt ist, bezeichnet das Abkommen von 1951 in ihrer Präambel als „wesentlichen Bestandteil“ des Rahmens für den Schutz von Flüchtlingen. Ganz offenkundig bezweckt die Richtlinie, völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten durch gemeinsame Gemeinschaftsregelungen Wirkung zu verleihen. Die Bestimmungen der Richtlinie sind daher mit dem Abkommen von 1951 konform auszulegen.(35)

37.      Der Internationale Gerichtshof hat bisher noch keine Entscheidung zur Auslegung von Art. 1 Abschnitt D des Abkommens von 1951 erlassen, allerdings hat sich der UNHCR zu diesem Thema geäußert.(36) Bei einer (nicht erschöpfenden) Untersuchung einschlägiger Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte der Mitgliedstaaten stößt man auf auffällige Abweichungen sowohl im Ansatz als auch im Ergebnis(37) (die auch in den Erklärungen der diesem Verfahren beigetretenen Mitgliedstaaten zum Ausdruck kommen). Selbstverständlich ist keine dieser Auslegungen für den Gerichtshof bindend.

38.      Zur Beantwortung der vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen halte ich es für sowohl logisch wie hilfreich, zunächst Art. 1 Abschnitt D des Abkommens zu würdigen und dann diese Würdigung auf das EU-Recht zu übertragen.(38)

39.      Außerdem muss der Rahmen des vorliegenden Falles klar umrissen werden. Sowohl in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 als auch in Art. 1 Abschnitt D des Abkommens von 1951 ist allgemein von „Schutz oder Beistand“ „einer Organisation oder einer Institution“ der Vereinten Nationen die Rede. Frau Bolbol stützt ihre Klage beim nationalen Gericht jedoch auf ein von ihr geltend gemachtes Recht auf Inanspruchnahme der Unterstützung der UNRWA, und in den dem Gerichtshof vorliegenden Erklärungen aller Verfahrensbeteiligten werden die Fragen ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Aufgabe der UNRWA (und nicht allgemein) behandelt. Ich werde diesem Ansatz daher auch in diesen Schlussanträgen folgen.

40.      Im Rahmen der Prüfung von Art. 1 Abschnitt D des Abkommens von 1951 werde ich zunächst die Entstehungsgeschichte des Art. 1 Abschnitt D (zusammen mit den Materialien) untersuchen.(39) Sodann stelle ich die meiner Meinung nach maßgebenden Leitgedanken dar und gehe anschließend auf spezielle Auslegungsfragen ein, die geklärt werden müssen. Schließlich wende ich mich wieder der Richtlinie 2004/83 zu und behandele nacheinander die Vorlagefragen.

 Zu der Entstehungsgeschichte und den Materialien

41.      Das Abkommen von 1951 wurde vor dem Hintergrund der Konflikte, Zerstörungen und Vertreibungen konzipiert, die zuvor stattgefunden hatten. Nach dem 2. Weltkrieg gab es in Europa eine große Anzahl von Vertriebenen. Im Rahmen einer anderen, aber mit dem 2. Weltkrieg in Zusammenhang stehenden Abfolge von Ereignissen war es unter Mitwirkung der internationalen Gemeinschaft zur Teilung Palästinas und der anschließenden Gründung Israels gekommen. Im Zuge des regionalen Konflikts, der diesem Vorgang vorausging und nachfolgte, wurde eine erhebliche Anzahl von Menschen vertrieben.

42.      Da Art. 1 Abschnitt D allgemein formuliert ist, kann er auf jeden Fall angewandt werden, in dem „eine Organisation oder eine Institution“ der Vereinten Nationen einer Person „Schutz oder Beistand“ gewährt, die andernfalls in den persönlichen Geltungsbereich des Abkommens von 1951 fiele. Tatsächlich hatten die Vereinten Nationen kurz zuvor mit Hilfeleistungen im Rahmen des Koreakonflikts begonnen.(40) Andererseits geht aus den Materialien hervor, dass die Konferenz der Bevollmächtigten über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und Staatenlosen(41) bei der Abfassung von Art. 1 Abschnitt D in erster Linie die Lage in Palästina im Sinn hatte.

43.      Die Diskussion um die Formulierungen zeigt, dass es um drei Hauptproblemkreise ging(42): erstens Verhinderung eines Massenexodus aus dem geografischen Gebiet, das einstmals Palästina darstellte(43); zweitens den Wunsch bestimmter Staaten, die politische Sichtbarkeit der infolge der Ereignisse von 1948 vertriebenen Personen zu erhalten(44); drittens Vermeidung einer Überschneidung der Befugnisse des UNHCR und der UNRWA(45). Im Mittelpunkt aller dieser Problemkreise stehen (aus historischen Gründen) die Konsequenzen – unter dem Gesichtspunkt, dass die Vertriebenen des Beistands bedürfen – der Lage in Palästina. Bei der Prüfung von Art. 1 Abschnitt D nehme ich dies daher zum historischen Ausgangspunkt.

44.      Außerdem wird die Vertreibung der Palästinenser in den Materialien offenbar als ein eine Personengruppe betreffendes Problem(46) gesehen. Auch wenn historisch der Personenkreis der vertriebenen Palästinenser Regelungsgegenstand von Art. 1 Abschnitt D war, so ist diese Vorschrift selbst jedoch so auszulegen, dass sie für den Einzelnen verständlich und auf diesen anwendbar ist. Diese Sichtweise trägt dem Umstand Rechnung, dass das Völkerrecht als Ganzes dem Selbstbestimmungsrecht (ein Personengruppen zustehendes Kollektivrecht) hohen Wert beimisst(47), dass gleichzeitig aber das humanitäre Völkerrecht auf den Grundsätzen der Achtung der Person und des Einzelnen innerhalb der Gruppe beruht(48).

45.      Mit dem ausgehandelten Kompromiss, der zu Art. 1 Abschnitt D führte, werden vor allem vertriebene Palästinenser herausgehoben und für eine besondere Rücksichtnahme und in gewisser Hinsicht auch einen besonderen Schutz im Gesamtrahmen des Flüchtlingsvölkerrechts ausersehen.

46.      Art. 1 Abschnitt D lässt trotz seiner Kürze eine Vielzahl von Fragen offen. Man kann mindestens vier allgemeine Bereiche – zwei aufgrund von Satz 1 und zwei aufgrund von Satz 2 – unterscheiden, in denen Unklarheit herrscht und die erhellt werden müssen, um die dem Gerichtshof im vorliegenden Fall vorgelegten Fragen beantworten zu können.(49)

47.      Erstens: Wie ist die Wendung „Personen, die zurzeit … Schutz oder Beistand … genießen“ im geografischen und/oder zeitlichen Sinne zu verstehen? Zweitens: Müssen diese Personen den Schutz oder Beistand tatsächlich genießen, oder reicht es, wenn sie zum Genuss berechtigt sind? (Als Unterfrage, die speziell für die Auslegung der Richtlinie und das Verfahren vor dem nationalen Gericht relevant ist: Welche Wirkung hat die formelle Registrierung durch die UNRWA? Hat sie eine materiell-rechtliche oder lediglich eine Beweiswirkung?) Drittens: Wann ist davon auszugehen, dass „diese Unterstützung aus irgendeinem Grunde weggefallen“ ist? Viertens: Wie ist die Wendung „so fallen diese Personen ipso facto unter die Bestimmungen dieses Abkommens“ zu verstehen?

 Leitgedanken

48.      Wie sich aus den schriftlichen und mündlichen Erklärungen vor dem Gerichtshof ergibt, lässt der Wortlaut von Art. 1 Abschnitt D ein breites Spektrum unterschiedlicher Auslegungen zu. Ich halte es daher für unbedingt notwendig, die entscheidenden Grundsätze meiner Gedankenführung klar und unmissverständlich darzulegen.

49.      Erstens verdient jeder echte Flüchtling Schutz und Beistand. Eine Auslegung, die zu einer Lücke im Schutz einer solchen Person führt, ist daher von vornherein zu verwerfen.

50.      Zweitens hatte Art. 1 Abschnitt D zweifellos historisch den Zweck, vertriebenen Palästinensern in irgendeiner Form eine besondere Behandlung und Rücksicht zukommen zu lassen.(50)

51.      Drittens haben sich die Probleme im Zusammenhang mit der Lage in Palästina ungeachtet der anfänglichen Hoffnungen der Generalversammlung (die 1951 von den Verfassern des Abkommens zugrunde gelegt wurden), dass die UNRWA nur mit temporären Hilfsmaßnahmen befasst sein würde, im Laufe der nächsten Jahrzehnte als hartnäckig erwiesen, wie die immer wieder erfolgten Verlängerungen des UNRWA-Mandats beweisen. Auch im Protokoll von 1967 spiegelt sich die unglückselige Realität wider, dass sich die Flüchtlingsprobleme, die gemäß dem Abkommen von 1951 geregelt werden müssen, keinesfalls auf diejenigen beschränken, die durch die vor dem 1. Januar 1951 eingetretenen Ereignisse verursacht wurden. Die ursprüngliche Absicht der Verfasser des Abkommens muss daher im Licht der anschließenden realen geschichtlichen Entwicklung betrachtet werden.

52.      Viertens entsprach es dem Willen der Verfasser des Abkommens, dass vertriebene Palästinenser, denen die zu ihrer Versorgung vorgesehene besondere Behandlung und Rücksichtnahme (Beistand durch die UNRWA) zuteil wird, nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen unter der Aufsicht des UNHCR beantragen können (daher Art. 1 Abschnitt D Satz 1). Solange sich die UNRWA um diese Personen kümmert, sind sie vom persönlichen Geltungsbereich des Abkommens ausgeschlossen.

53.      Fünftens haben von Art. 1 Abschnitt D Satz 2 erfasste vertriebene Palästinenser als Folge dieses Ausschlusses (oder möglicherweise als Entschädigung für diesen Ausschluss) unter bestimmten Voraussetzungen ipso facto Anspruch auf die Vergünstigungen nach dem Abkommen (der Wegfall des Schutzes oder der Unterstützung durch die UNRWA führt also nicht einfach nur dazu, dass ihr Ausschluss vom Geltungsbereich des Abkommens endet). Schon die bloße Existenz von Satz 2 impliziert eine weiter reichende Folge als nur die, dass die Betreffenden bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gemeinsam mit allen anderen potenziellen Bewerbern um die Flüchtlingseigenschaft nach Art. 1 Abschnitt A in die Warteschlange eingereiht werden.

54.      Sechstens darf die Auslegung der Wendung „Wegfall des Schutzes oder der Unterstützung“ einer anderen Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen als des UNHCR (hier der UNRWA) nicht dazu führen, dass die Betroffenen praktisch in der UNRWA-Zone in der Falle sitzen und erst dann (selbst wenn sie zwangsweise von der UNRWA-Unterstützung abgeschnitten sind) die Möglichkeit haben, das Gebiet zu verlassen und anderenorts die Anerkennung als Flüchtling zu beantragen, wenn die Lage in Palästina insgesamt gelöst ist und die UNRWA aufgelöst wird. Dieses Ergebnis wäre völlig unannehmbar.

55.      Siebtens: Da sämtliche echten Flüchtlinge Schutz oder Beistand in Anspruch nehmen können sollten, andererseits die Staaten aber keine grenzenlose Kapazität zur Aufnahme von Flüchtlingen haben, darf Art. 1 Abschnitt D allerdings auch nicht dahin ausgelegt werden, dass jeder vertriebene Palästinenser unabhängig davon, ob er tatsächlich die Unterstützung der UNRWA erhält oder erhalten hat, berechtigt ist, die UNRWA-Zone freiwillig zu verlassen und automatisch andernorts als Flüchtling anerkannt zu werden. Durch eine solche Auslegung würden vertriebene Palästinenser zulasten sonstiger echter Bewerber um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die infolge anderer Konflikte in der Welt vertrieben worden sind, unverhältnismäßig bevorzugt.

56.      Schließlich und endlich sollen die beiden Sätze, aus denen Art. 1 Abschnitt D besteht, in ihrem Zusammenspiel dem Anliegen dienen, den durch die Lage in Palästina Vertriebenen besondere Behandlung und Rücksichtnahme zuteilwerden zu lassen. Da man Satz 1 allein als unzureichend empfand, wurde Satz 2 hinzugefügt. Es erscheint daher angebracht, die beiden Sätze (und damit auch ihre einzelnen Tatbestandsmerkmale) nicht voneinander getrennt, sondern konsekutiv zu betrachten(51) und zu einer Auslegung der Bestimmung als Ganzes zu kommen, das die Fürsorge für vertriebene Palästinenser (nach Art. 1 Abschnitt D) und die Fürsorge für andere potenzielle Flüchtlinge (nach der Gesamtregelung des Abkommens von 1951) in ein angemessenes Gleichgewicht bringt.

57.      Ich wende mich jetzt der eingehenden Prüfung der vier Auslegungskomplexe(52) zu, die das vorlegende Gericht mit seinen Fragen angesprochen hat.

 (i) Bedeutung der Wendung „Personen, die zurzeit … Schutz oder Beistand … genießen“

58.      Der Ausdruck „zurzeit genießen“ hat eine in zweifachem Sinne einschränkende Wirkung. Erstens weisen die praktischen Gegebenheiten einer Schutz- oder Beistandsleistung durch die UNRWA auf eine örtliche Beschränkung hin.(53) Zweitens deuten das Wort „zurzeit“ und die Verwendung des Präsens auf eine zeitliche Beschränkung hin.(54)

 Örtliche Beschränkung

59.      Um den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR zu genießen, muss sich der Betreffende an einem Ort befinden, an dem dieser Schutz und Beistand rein tatsächlich bereitsteht. Unterstützung durch die UNRWA steht nur in der UNRWA-Zone zur Verfügung. Folgerichtig erklärt der UNHCR hierzu in seiner Note, dass eine Person nur dann von Art. 1 Abschnitt D Satz 1 erfasst werde, wenn sie sich in der UNRWA-Zone aufhalte.

60.      Die belgische Regierung vertritt die Auffassung, dass folglich der gesamte Art. 1 Abschnitt D in seiner Anwendung auf Personen beschränkt sein müsse, die sich in der UNRWA-Zone befinden. Unter rechtlichen Gesichtspunkten beinhaltet meines Erachtens jedoch keiner der beiden Sätze, aus denen Art. 1 Abschnitt D besteht, irgendeine geografische Anwendungsbeschränkung. Die offenbare geografische Beschränkung in Satz 1 ergibt sich lediglich aus den praktischen Zwängen einer Inanspruchnahme der UNRWA-Hilfe. Folglich sollte eine Einzelperson, die die UNRWA-Zone verlässt, in bestimmten Fällen durchaus die Möglichkeit haben, sich unabhängig von ihrem jeweiligen Aufenthaltsort auf die durch Art. 1 Abschnitt D Satz 2 verliehenen spezifischen Rechte zu berufen.

61.      Ich weise im Übrigen darauf hin, dass die beiden Sätze von Art. 1 Abschnitt D konsekutiv zu betrachten sind. Will daher der Betreffende Rechte aus Art. 1 Abschnitt D Satz 2 geltend machen, ist zuvor zu prüfen, ob er ursprünglich von Satz 1 der Vorschrift erfasst wurde. Ist dies zu verneinen, gehört er von vornherein nicht zu dem Personenkreis, der vom Geltungsbereich des Abkommens ausgeschlossen ist. Er kann dann vielmehr – wie jeder andere potenzielle Flüchtling auch – individuelle Hilfe nach Art. 1 Abschnitt A beantragen.(55)

 Zeitliche Beschränkung

62.      Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs bezieht sich der Begriff „zurzeit“ auf das Jahr 1951, d. h. auf den Zeitpunkt der Abfassung des Abkommens. Die Verfasser hätten ausschließlich den Kreis von Personen im Sinn gehabt, der dadurch gekennzeichnet gewesen sei, dass die Betreffenden zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens bereits Beistand und Schutz des UNRWA genossen hätten.

63.      Frau Bolbol ist der Auffassung, dass jede Person, die jemals Unterstützung der UNRWA genossen habe(56), von der Ausschlussklausel des Art. 1 Abschnitt D Satz 1 erfasst werde.(57)

64.      Die Kommission und Ungarn verstehen den Begriff „zurzeit genießen“ im Sinne von „unmittelbar vor Beantragung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 1 Abschnitt D genießen“.

65.      Meines Erachtens ist die vom Vereinigten Königreich vorgeschlagene Auslegung strenger, als es der Wortlaut zulässt, insbesondere angesichts des Protokolls von 1967 und der wiederholten Verlängerung des UNRWA-Mandats.

66.      Ich räume ein, dass die Verfasser im Jahr 1951 vor allem an Personen gedacht haben mögen, die damals bereits den Schutz oder Beistand „einer Organisation oder einer Institution“ der Vereinten Nationen (wie der UNRWA) genossen haben. Seit dieser Zeit hat diese Organisation jedoch zahlreichen weiteren Personen (sowohl den Nachkommen der ursprünglichen Vertriebenen als auch neuen Vertriebenen) Beistand und Schutz gewährt. In den durch das Protokoll von 1967 erfolgten Änderungen des Abkommens kommt sogar eindeutig die Erkenntnis der internationalen Gemeinschaft zum Ausdruck, dass Situationen, die Anlass zur Beantragung der Anerkennung als Flüchtling geben, leider nicht ab einem bestimmten Zeitpunkt des Geschichtsverlaufs zu bestehen aufgehört haben.

67.      Bei Übertragung dieses Gedankengangs auf den vorliegenden Fall ergibt sich, dass die vom Vereinigten Königreich vorgetragene strenge Auslegung von Art. 1 Abschnitt D nicht richtig sein kann. Eine restriktive Lesart lässt sich auch nur schwer mit den eigenen Leitlinien der UNRWA (CERI) in Einklang bringen, wonach Unterstützung nicht nur den infolge der Ereignisse von 1948 vertriebenen Personen zu gewähren ist, sondern (z. B.) auch „nichtregistrierten Personen, die infolge der Feindseligkeiten von 1967 und späterer Feindseligkeiten vertrieben sind“.(58)

68.      Außerdem erstreckt sich nach Art. 7 der Satzung des UNHCR dessen Zuständigkeit nicht auf eine „Person, … die weiter von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen Schutz und Hilfe erhält“. In der (nicht unvernünftigen) Annahme, dass a) die UNRWA heute einer größeren Anzahl von Personen Hilfe leistet als im Jahr 1951 und dass b) viele der Personen, die 1951 von der UNRWA Hilfe erhalten haben, inzwischen verstorben sind, scheint mir eine restriktive Auslegung von Art. 1 Abschnitt D Satz 1 dazu zu führen, vertriebenen Palästinensern eine besondere Behandlung und Rücksichtnahme auf einem niedrigeren Niveau zuteilwerden zu lassen, als dies von den Vereinten Nationen beabsichtigt war.

69.      Andererseits geht mir der ausgedehnte zeitliche Geltungsbereich bei der von Frau Bolbol vorgetragenen Lösung zu weit. In den Genuss der in Art. 1 Abschnitt D Satz 2 vorgesehenen besonderen Behandlung können potenziell nur diejenigen kommen, die aufgrund von Art. 1 Abschnitt D Satz 1 zunächst vom Geltungsbereich des Abkommens ausgenommen waren.(59) Ein ausgewogener Auslegungsansatz für die gesamte Vorschrift des Art. 1 Abschnitt D gebietet daher, weder den Kreis der durch Satz 1 ausgeschlossenen Personen künstlich auszuweiten (über diejenigen hinaus, die „zurzeit“ den Schutz oder Beistand einer anderen Einrichtung als des UNHCR „genießen“) noch die Sachverhalte zu überdehnen, bei deren Vorliegen die Mitglieder dieses Personenkreises den durch Satz 2 verliehenen Schutz erwerben.

70.      Eine gewisse zeitliche Beschränkung ist also erforderlich. Ich verstehe daher die Wendung „zurzeit Schutz oder Beistand genießen“ in Art. 1 Abschnitt D dahin, dass sie sich auf „Personen“ bezieht, die zu einem gegebenen Zeitpunkt „aktuell den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR genießen“. Diese Personen sind deshalb vom Geltungsbereich des Abkommens ausgeschlossen, weil sie dessen Schutz nicht benötigen.

 (ii) Tatsächlicher oder potenzieller Genuss?

71.      Der zweite Auslegungskomplex betrifft die Frage, ob der Betreffende tatsächlich in den Genuss des Beistands oder Schutzes gekommen sein muss oder ob es ausreicht, wenn er potenziell dazu berechtigt ist.

72.      Meines Erachtens erfasst Art. 1 Abschnitt D Satz 1 nur Personen, die den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution mit Ausnahme des UNHCR tatsächlich in Anspruch nehmen.

73.      Erstens wird in Satz 1 der Begriff „genießen“ und nicht „zum Genuss berechtigt sind“ verwendet.(60) Insoweit folge ich dem Vortrag des Vereinigten Königreichs, dass die Auslegung von „genießen“ im Sinne von „zum Genuss berechtigt sein“ offenkundig nicht vom Wortlaut gedeckt ist.

74.      Zweitens stellt Art. 1 Abschnitt D Satz 1 insoweit eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz dar, dass der durch das Abkommen gewährte Schutz hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs lückenlos ist(61), als durch diese Bestimmung ein bestimmter Personenkreis vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgeschlossen wird. Aus diesem Grunde dürfte die Vorschrift wohl eher eng als weit auszulegen sein.(62)

75.      Drittens fügt sich eine enge Auslegung auch in die Vorstellung ein, dass die Betroffenen (die dann erforderlichenfalls die besonderen Rechte aus Art. 1 Abschnitt D Satz 2 geltend machen können) nicht aus freiem Entschluss handeln, sondern von Ereignissen mitgerissen werden, auf die sie keinen Einfluss haben(63), da die Entscheidung über die Leistung von Hilfe an den Einzelnen unmittelbar oder mittelbar von der UNRWA abhängt.(64)

76.      Soweit ich an dieser Stelle der vom Amt des UNHCR vertretenen Auslegung widerspreche, orientiere ich mich in erster Linie am eindeutigen Wortlaut der Bestimmung, der seit mehr als 50 Jahren nicht geändert worden ist. Demgegenüber scheint mir, dass die Auslegung des UNHCR im Laufe der Zeit geschwankt hat(65), was ein Beleg für die Hartnäckigkeit des Palästinaproblems ist. Die Auslegung des UNHCR hat zwar den Vorteil, dass dadurch die meisten mit Satz 1 verbundenen Beweisprobleme entfallen, erreicht wird dies jedoch nur durch Ausschluss einer wesentlich größeren Zahl potenzieller Flüchtlinge vom Geltungsbereich des Abkommens von 1951.

 (iii) „Ist dieser Schutz oder diese Unterstützung aus irgendeinem Grunde weggefallen“

77.      In den verschiedenen beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird dieser Halbsatz in fast allen seinen Bedeutungsmöglichkeiten ausgelegt – vom völligen Wegfall der UNRWA-Tätigkeit(66) bis hin zum Wegfall des einem konkret Betroffenen gewährten Schutzes(67). Frau Bolbol geht sogar noch weiter und macht geltend, dass Art. 1 Abschnitt D Satz 2 bereits eingreife, wenn entweder der Schutz oder die Unterstützung wegfalle. Sie weist darauf hin, dass die United Nations Conciliation Commission for Palestine(68) ihre Tätigkeit praktisch eingestellt habe(69), und kommt zu dem Ergebnis, dass für alle diejenigen, die zunächst aufgrund von Art. 1 Abschnitt D Satz 1 vom Schutz ausgeschlossen seien, schon zwangsläufig Satz 2 gelte.

78.      Ich vermag mich dieser Auffassung nicht anzuschließen. Die beiden Sätze von Art. 1 Abschnitt D sind konsekutiv zu betrachten. Die Wendung „Schutz oder Beistand“ bzw. „Schutz oder Unterstützung“ – in der englischen Sprachfassung wird in beiden Sätzen der Ausdruck „protection or assistance“ verwendet – ist daher im Sinne von Schutz oder Beistand „irgendeiner Organisation oder irgendeiner Institution der Vereinten Nationen“ mit Ausnahme des UNHCR zu verstehen. Eine Person, die „zurzeit den Schutz oder Beistand“ irgendeiner dieser Institutionen „genießt“, ist vom Geltungsbereich des Abkommens ausgeschlossen (Satz 1). Ich verstehe „wegfallen“ in dem Sinne, dass Art. 1 Abschnitt D Satz 2 eingreift, wenn eben dieser Person der Schutz oder die Unterstützung irgendeiner dieser Einrichtungen nicht mehr zugutekommen kann.

79.      Wollte man andererseits „wegfallen“ in dem Sinne auslegen, dass die UNRWA-Tätigkeiten in der gesamten UNRWA-Zone komplett weggefallen sein müssen, so hätte dies zur Konsequenz, dass bis zu diesem Zeitpunkt eine Person, deren Schutz oder Unterstützung durch Organisationen wie die UNRWA weggefallen ist, nicht unter Art. 1 Abschnitt D Satz 2 und wohl auch nicht unter die Bestimmungen des gesamten Abkommens fallen könnte. Eine solche Auslegung passt auch nicht recht zu der Wendung „aus irgendeinem Grunde“, die in der Vorschrift vor der Bezugnahme auf die Lösung des zugrunde liegenden Problems (vertriebene Palästinenser) steht, da der offensichtliche Grund für eine komplette Einstellung der UNRWA-Tätigkeit darin bestünde, dass „das Schicksal dieser Person[en]“ endgültig geregelt wurde.

80.      Meines Erachtens ist deshalb darauf abzustellen, ob der einzelne Betroffene keinen Schutz oder Beistand mehr genießt.

81.      Schließlich muss ich auf die Frage eingehen, ob der Grund für den Wegfall der UNRWA-Hilfe eine Rolle spielt. Insbesondere: Greift Art. 1 Abschnitt D Satz 2 ein, wenn sich eine Person freiwillig aus dem geografischen Einsatzgebiet der UNRWA entfernt und damit weitere Hilfeleistungen der UNRWA an sie unmöglich macht? Oder bedeutet „Wegfall aus irgendeinem Grunde“ einfach „gleichviel aus welchem Grund die UNRWA einer bestimmten Person keine Hilfe mehr gewährt“? Aus den nachstehend dargelegten Gründen ziehe ich die zweite Auslegung vor.

82.      Um diesen Gordischen Knoten zu durchschlagen, muss man sich meines Erachtens sowohl die mit einer bestimmten Auslegung verbundenen Folgen als auch den Normzweck vor Augen führen. Meine Antwort hängt daher mit meinen Ausführungen zu dem letzten Auslegungskomplex (betreffend die Rechtsfolgen des Eingreifens von Art. 1 Abschnitt D Satz 2) zusammen(70), in dessen Rahmen ich zu einem großzügigeren Ergebnis gelange als einige Mitgliedstaaten. Ich möchte unterscheiden zwischen Personen, die sich freiwillig der UNRWA-Zone und damit der UNRWA-Hilfe entziehen, und Personen, denen die UNRWA aufgrund externer Ereignisse, die außerhalb ihres Einflussbereichs liegen, keine Hilfe mehr leistet.(71)

83.      Personen, die der ersten Kategorie angehören, sind nicht mehr vom persönlichen Geltungsbereich des Abkommens ausgeschlossen, da sie nicht „zurzeit … Schutz oder Beistand … genießen“, und haben somit die Möglichkeit, sich einer individuellen Beurteilung zu unterziehen, um die Anerkennung als Flüchtling nach Art. 1 Abschnitt A zu erwirken. Sie fallen jedoch nicht ipso facto unter die Bestimmungen des Abkommens. Sie haben sich bewusst in eine Lage begeben, in der ihnen die UNRWA-Hilfe nicht mehr zugänglich ist; die Bereitschaft der UNRWA zur Leistung dieser Hilfe ist hingegen nicht weggefallen.

84.      Personen, die der zweiten Kategorie angehören, befinden sich unfreiwillig in einer gegenüber ihrer früheren Lage (in der sie zwar aufgrund von Art. 1 Abschnitt D Satz 1 vom Geltungsbereich des Abkommens ausgeschlossen waren, die UNRWA sich aber um sie gekümmert hat) veränderten Situation. Die UNRWA hat ihre Hilfe an sie eingestellt. Wenn die in Art. 1 Abschnitt D Satz 2 vorgesehene Sonderregelung überhaupt eine Bedeutung haben soll, muss sie meines Erachtens in einem solchen Fall eingreifen, um den Bedürfnissen dieser Personen Rechnung zu tragen.

 (iv) „fallen … ipso facto unter die Bestimmungen dieses Abkommens“

85.      Nach Auffassung der Regierungen Belgiens und des Vereinigten Königreichs ist unter der Wendung „unter die Bestimmungen [des] Abkommens [von 1951 fallen]“ lediglich der Anspruch zu verstehen, anhand der in Art. 1 Abschnitt A genannten Kriterien beurteilt zu werden. Meines Erachtens geht aus dem Wortlaut von Art. 1 Abschnitt D Satz 2 mehr als deutlich hervor, dass jemand, der zunächst aufgrund von Art. 1 Abschnitt D Satz 1 vom Geltungsbereich des Abkommens ausgeschlossen war, für den der Genuss des von einer anderen Einrichtung als dem UNHCR gewährten Schutzes oder Beistands jedoch im Sinne von Art. 1 Abschnitt D Satz 2 Halbsatz 1 weggefallen ist, dann jedoch einen viel weiter gehenden Anspruch hat, nämlich einen Anspruch auf automatische Anerkennung als Flüchtling.

86.      Erstens spricht für diese Auslegung der Wortlaut sowohl der englischen als auch der französischen Sprachfassung. So heißt es im Englischen „shall ipso facto be entitled to the benefits of this Convention“ und im Französischen „bénéficieront de plein droit du régime de cette convention“. Ich sehe nicht, wie ein bloßer Anspruch, nach Art. 1 Abschnitt A beurteilt zu werden, einer dieser beiden Formulierungen gerecht werden kann.

87.      Zweitens ist Art. 1 für sich allein genommen kein „benefit“ im Sinne der englischen Sprachfassung. Die „benefits“ – verstanden als Schutzrechte – sind erst in den nachfolgenden Artikeln geregelt. Art. 1 definiert, auf wen diese Bestimmungen anzuwenden sind und auf wen nicht.(72) Folglich muss jemand, der ipso facto unter diese nachfolgenden Bestimmungen fällt, die Hürde des Art. 1 bereits genommen haben.

88.      Drittens bezweckt Art. 1 Abschnitt D, vertriebenen Palästinensern besondere Behandlung und Rücksichtnahme zukommen zu lassen. Ich halte die bloße Erlaubnis, sich in die Schlange der Personen einzureihen, die auf eine individuelle Beurteilung ihres Anspruchs auf Anerkennung als Flüchtling warten, kaum für eine besondere Behandlung und Rücksichtnahme. Das erscheint mir vielmehr eher als Beseitigung eines zuvor bestehenden Hinderungsgrundes (Ausschluss vom Geltungsbereich des Abkommens).

89.      Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass „ipso facto unter die Bestimmungen [des] Abkommens [fallen]“ im Sinne von „automatische Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ohne weitere individuelle Beurteilung“ zu verstehen ist.

 Ergebnis dieser Auslegung von Art. 1 Abschnitt D

90.      Ich schlage vor, im Rahmen jedes einzelnen der vier Auslegungskomplexe die beiden Sätze, aus denen sich Art. 1 Abschnitt D zusammensetzt, so auszulegen, dass folgende Endergebnisse gewährleistet sind:

a) Ein vertriebener Palästinenser, der keinen Schutz oder Beistand der UNRWA genießt, ist nicht vom persönlichen Geltungsbereich des Abkommens ausgeschlossen. Er ist daher wie jede andere Person zu behandeln, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt, und nach Art. 1 Abschnitt A zu beurteilen (Vermeidung von Überschneidungen zwischen UNRWA und UNHCR; Anwendung des Grundsatzes des lückenlosen Schutzes).

b) Ein vertriebener Palästinenser, der den Schutz oder Beistand der UNRWA genießt, ist vom persönlichen Geltungsbereich des Abkommens ausgeschlossen, solange er diesen Beistand genießt (Vermeidung von Überschneidungen zwischen UNRWA und UNHCR).

c) Ein vertriebener Palästinenser, der den Schutz oder Beistand der UNRWA genossen hat, aus irgendeinem Grunde aber den Schutz oder Beistand der UNRWA nicht mehr erlangen kann, ist nicht länger vom persönlichen Geltungsbereich des Abkommens ausgeschlossen (Anwendung des Grundsatzes des lückenlosen Schutzes); ob er dann jedoch ipso facto unter die Bestimmungen des Abkommens fällt, hängt davon ab, aus welchem Grund er diesen Schutz oder Beistand nicht mehr erlangen kann.

d) Falls ein solcher vertriebener Palästinenser aus außerhalb seines Einflussbereichs liegenden Gründen den Schutz oder Beistand der UNRWA nicht mehr in Anspruch nehmen kann, hat er automatisch Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling (Anwendung des Grundsatzes der besonderen Behandlung und Rücksichtnahme).

e) Falls ein solcher vertriebener Palästinenser den Schutz oder Beistand der UNRWA aufgrund seiner eigenen Handlungen nicht mehr in Anspruch nehmen kann, hat er nicht automatisch Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling; er hat jedoch (selbstverständlich) das Recht, dass ein Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter Berücksichtigung der Umstände seines Falles gemäß Art. 1 Abschnitt A geprüft wird (Anwendung des Grundsatzes des lückenlosen Schutzes und der fairen Behandlung aller echten Flüchtlinge; dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechende Festlegung des Umfangs der besonderen Behandlung und Rücksichtnahme, die vertriebenen Palästinensern zuteilwerden muss).

 Übertragung mutatis mutandis auf die Richtlinie

91.      Da sich der Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie unmittelbar an das Abkommen von 1951 anlehnt, lassen sich die eigentlichen Vorlagefragen nunmehr verhältnismäßig kurz abhandeln. Im Anschluss an eine Auslegung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a durch den Gerichtshof kann dieser Vorschrift meines Erachtens unmittelbare Wirkung zukommen.

 Zur ersten Frage

92.      Art. 12 Abs. 1 Buchst. a gibt die Ausschlussklausel „zurzeit den Schutz oder Beistand … genießt“ nicht wortwörtlich wieder, sondern begnügt sich mit einem unmittelbaren Verweis auf Art. 1 Abschnitt D des Abkommens von 1951. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ausschlussklausel in der Richtlinie etwas anderes beinhalten soll als in Art. 1 Abschnitt D. Im Gegenteil: Alles spricht für einen völlig identischen Sinngehalt.

93.      Bei Übertragung der oben dargelegten Auslegung von Art. 1 Abschnitt D des Abkommens von 1951 komme ich daher zu dem Ergebnis, dass eine Person nur dann von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 erfasst wird, wenn sie den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahmen des UNHCR tatsächlich in Anspruch genommen hat. Das bloße Recht auf diesen Schutz oder Beistand schließt die Flüchtlingseigenschaft dieser Person im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie nicht aus.

94.      Eine Unterfrage (die sich im Rahmen der Anwendung der Richtlinie stellt) lautet, welche Belege ein Antragsteller für den Nachweis, dass er unter die Bestimmung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie gefallen ist, und damit als Voraussetzung für die Geltendmachung der Sonderrechte aus Satz 2 vorlegen muss. Bei Zugrundelegung meiner oben dargestellten Auslegung muss der Antragsteller meines Erachtens beweisen, dass ihm tatsächlich Schutz oder Beistand gewährt worden ist.

95.      In diesem Zusammenhang sind sowohl das legitime Interesse des Staates an einer Überprüfung des Anspruchs des Betroffenen auf den von ihm beantragten Schutz als auch die sehr realen praktischen Probleme anzuerkennen, die sich einem Vertriebenen, der die Anerkennung als Flüchtling beantragt, beim Nachweis seines Anspruchs unter Umständen entgegenstellen. Einige Antragsteller werden keinen rechtmäßigen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben, und der Staat ist berechtigt, ihr Vorbringen zu überprüfen. Gleichzeitig darf der Staat aber keine unrealistischen Beweisanforderungen stellen.(73)

96.      Somit ergibt sich die Frage, ob die tatsächliche Registrierung durch die UNRWA eine Rolle spielt oder spielen sollte.

97.      Ich halte die Registrierung nicht für einen materiell-rechtlich, sondern für einen beweisrechtlich erheblichen Tatbestand.

98.      In einigen Fällen leistet die UNRWA Beistand, ohne den Betroffenen zu registrieren.(74) In einigen Fällen mögen sich die Verwaltungsaufzeichnungen nicht auf dem aktuellen Stand befinden oder sogar selbst bei den Feindseligkeiten vernichtet worden sein. Ich weise daher das Vorbringen der französischen Regierung zurück, wonach nur der tatsächliche Beweis für die UNRWA-Registrierung ausreiche.

99.      Umgekehrt würde ich den Nachweis der tatsächlichen Registrierung bei der UNRWA als unwiderlegliche Vermutung dafür ansehen, dass der Antragsteller tatsächlich Unterstützung erhalten hat.

 Zur zweiten Frage

100. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie stimmt in der englischen Sprachfassung wörtlich mit der entsprechenden Bestimmung des Abkommens von 1951 überein und ist daher erst recht gleich auszulegen.

101. Meine Antwort auf die zweite Vorlagefrage lautet daher, dass „Wegfall des Schutzes oder des Beistands der Institution“ dahin zu verstehen ist, dass der Betreffende den Schutz oder Beistand, der ihm unmittelbar zuvor gewährt wurde, unfreiwillig nicht mehr in Anspruch nimmt.

102. Ich unterschätze keineswegs die Beweisschwierigkeiten, die sich bei der Beurteilung ergeben, ob der Betreffende die UNRWA-Zone freiwillig oder unfreiwillig verlassen hat. Die Probleme reichen von lückenhaften Nachweisen (die einen Teil der Schilderung, nicht aber jeden einzelnen Schritt belegen) bis hin zu der Möglichkeit, dass Belege gefälscht sind (oder echte Belege durch Bestechung des richtigen Mitarbeiters erlangt wurden). Insoweit kann der Staat ebenso wie beim Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme der Unterstützung gewisse Belege verlangen, nicht jedoch die stichhaltigsten Beweise, die im Idealfall vorgelegt werden könnten.

 Zur dritten Frage

103. Die dritte Frage lässt sich nicht durch unmittelbare Übertragung der vorstehenden Würdigung beantworten. Hier muss vielmehr die Systematik der Richtlinie berücksichtigt werden.

104. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie definiert einen Flüchtling als einen Drittstaatsangehörigen, der eine bestimmte (an Art. 1 Abschnitt A des Abkommens angelehnte) Kombination von Kriterien erfüllt und „auf den Artikel 12 keine Anwendung findet“. Art. 12 (mit der Überschrift „Ausschluss“) schließt wiederum Personen bestimmter Kategorien (teilweise entsprechend Art. 1 des Abkommens von 1951)(75) „von der Anerkennung als Flüchtling“ aus.

105. Heißt das, dass eine Person, die von irgendeinem Teil des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a (d. h. Satz 1 und/oder Satz 2) erfasst wird, auf Dauer von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist? Ich denke nicht.

106. Erstens sieht Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 eindeutig vor, dass der Schutz der Richtlinie sich auf die Personen erstreckt, die von Satz 1 erfasst worden sind, dann aber die Kriterien des Satzes 2 erfüllen. Will man diese Formulierung mit der allgemeinen Definition des Begriffs „Flüchtling“ in Art. 2 Buchst. c in Einklang bringen, muss man Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 als Ausnahme von dem in Satz 1 dieser Vorschrift enthaltenen Ausschlusstatbestand auslegen, was seinerseits bestimmte Konsequenzen nach sich zieht.

107. Zweitens steht Art. 12 in Kapitel III der Richtlinie („Anerkennung als Flüchtling“). Die Stellung dieses Artikels deutet – wie Frau Bolbol, die ungarische Regierung und die Kommission zutreffend ausgeführt haben – darauf hin, dass es sich um eine gegenüber dem in Kapitel II („Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz“) geregelten Verfahren eigenständige Möglichkeit handelt, als Flüchtling anerkannt zu werden und somit einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 13 geltend zu machen.(76)

108. Schließlich lehnen sich die Art. 2 Buchst. c, Art. 11 und Art. 12 zur Bestimmung des Kreises der Personen, die als Flüchtlinge anzusehen sind, nicht nur an den Wortlaut, sondern auch an die Systematik des gesamten Art. 1 des Abkommens von 1951 an. Wenn Personen, die die Voraussetzungen von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 und 2 erfüllen, trotzdem von der Einordnung als Flüchtlinge ausgeschlossen wären, enthielte die Richtlinie eine Regelungslücke und versäumte es daher, die sich aus dem Abkommen ergebenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten korrekt in Unionsrecht umzusetzen. Eine solche Auslegung der Richtlinie muss daher falsch sein.

109. Bei Übertragung der oben dargelegten Würdigung von Art. 1 Abschnitt D des Abkommens von 1951 komme ich daher in Beantwortung der dritten Vorlagefrage zu dem Ergebnis, dass die Wendung „Schutz dieser Richtlinie“ die Anerkennung als Flüchtling und den automatischen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 13 der Richtlinie bedeutet.(77)

110. Der Vollständigkeit halber füge ich hinzu, dass die zur Verfügung stehende weitere Option der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus(78) an der Auslegung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a nichts ändert. Diese Option betrifft ausschließlich Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft nicht automatisch aufgrund von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a zuerkannt wird, die jedoch gemäß den Bestimmungen des Kapitels II beurteilt werden und die Voraussetzungen für den Anspruch auf subsidiären Schutz nach Kapitel V erfüllen. Im Rahmen des Abkommens von 1951 ist Voraussetzung für jede Schutzform, dass der Betreffende die in Art. 1 Abschnitt A genannten Kriterien erfüllt. Im Rahmen der Richtlinie kann einer Person, die die (in Art. 2 Buchst. c genannten und in Kapitel II näher beschriebenen) entsprechenden Kriterien nicht erfüllt, trotzdem ein (geringeres) Maß an Schutz geboten werden.

 Ergebnis

111. Nach alledem schlage ich vor, die vom Fővárosi Bíróság vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      Eine Person wird nur dann vom Geltungsbereich von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 erfasst, wenn sie tatsächlich den Schutz oder Beistand einer anderen Institution der Vereinten Nationen als des UNHCR in Anspruch nimmt. Das bloße Recht auf diesen Schutz oder Beistand reicht nicht aus, um die Vorschrift eingreifen zu lassen.

2.      Die Wendung „Wegfall des Schutzes oder des Beistands der Institution“ bedeutet, dass der Betreffende sich nicht mehr in dem relevanten geografischen Gebiet befindet und den Schutz oder Beistand, der ihm unmittelbar vor Verlassen dieses geografischen Gebiets gewährt wurde, unfreiwillig nicht mehr in Anspruch nimmt.

3.      Die Wendung „Schutz dieser Richtlinie“ bedeutet die Anerkennung als Flüchtling und die automatische Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Im Folgenden: Abkommen von 1951 oder Abkommen, durch das ältere Instrumente konsolidiert und ersetzt wurden. Es ist am 22. April 1954 in Kraft getreten. Die im vorliegenden Fall anwendbare Fassung ergibt sich aus dem 1967 beschlossenen New Yorker Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (im Folgenden: Protokoll von 1967). Das Abkommen von 1951 wird in der Richtlinie 2004/83 „Genfer Konvention“ genannt, eine Kurzbezeichnung, die üblicherweise eher den vier Abkommen mit zugehörigen Protokollen vorbehalten ist, die in ihrer Gesamtheit die völkerrechtlichen Normen für die humanitäre Behandlung von Kriegsopfern enthalten. Der Klarheit halber werde ich daher in diesen Schlussanträgen den Begriff „Genfer Konvention“ vermeiden, soweit er nicht in wörtlichen Zitaten enthalten ist.


3 – Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304, S. 12, im Folgenden: Richtlinie 2004/83 oder Richtlinie).


4 –      Geändert durch das 1967 hinzugefügte Protokoll in der Erkenntnis, dass seit Annahme des Abkommens neue Kategorien von Flüchtlingen entstanden sind und dass allen Flüchtlingen die gleiche Rechtsstellung gewährt werden sollte.


5 – Im Folgenden: IGH.


6 – Die Frage, ob Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen im strengen Sinne „Rechtsvorschriften“ sind, ist bisher noch nicht geklärt (eine Erörterung des normativen Wertes von Resolutionen findet sich z. B. im Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Rechtmäßigkeit der Androhung oder des Einsatzes von Atomwaffen [Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, ICJ Reports 1996, S. 226]). Für die Zwecke der vorliegenden Schlussanträge bedarf diese Problematik jedoch keiner näheren Untersuchung.


7 – Im Folgenden: UNSCOP.


8 – Im Folgenden: UNRWA.


9 – Vgl. Resolution 62/02 der Generalversammlung der Vereinten Nationen.


10 – Vgl. CERI, Nr. VII.E. Der Einfachheit halber bezeichne ich das UNRWA-Einsatzgebiet in diesen Schlussanträgen als UNRWA-Zone.


11 – Website der UNRWA: http://www.un.org/unrwa/overview/qa.html; Nr. III.A.1 der CERI. In Nr. VII (Glossar und Begriffsbestimmungen) wird diese Definition (in Nr. VII.J) wiederholt. Dort finden sich auch ausführliche Definitionen bestimmter anderer Begriffe, die ich weiter unten in diesem Abschnitt der Schlussanträge verwende.


12 – Hierbei handelt es sich um „Personen, die zum Zeitpunkt der Erstregistrierung nicht alle Kriterien der UNRWA für Palästina-Flüchtlinge erfüllt haben, bei denen aber festgestellt wurde, dass sie aus Gründen, die mit dem Konflikt von 1948 in Palästina zusammenhängen, erhebliche Verluste und/oder Härten erlitten haben; hierzu gehören auch Personen, die Familienangehörige registrierter Personen sind“ (Nr. III.A.2 der CERI). Solche Personen zählen trotz ihrer Registrierung bei der UNRWA nicht zum Kreis der beim Hilfswerk offiziell registrierten Flüchtlinge. Nach Angaben auf der Website der UNRWA sind derzeit rund 4,6 Millionen Personen bei der UNRWA registriert.


13 – Nr. III.A der CERI. An anderer Stelle erklärt die UNRWA, dass „[d]ie Leistungen der UNRWA … allen Personen [zur Verfügung stehen], die in ihrem Einsatzgebiet leben, die diese Definition erfüllen, die beim Hilfswerk registriert sind und die Hilfe benötigen“ (www.un.org/unrwa/refugees/whois.html).


14 – Nr. III.B der CERI. Die UNRWA gibt an, dass im Rahmen ihrer Programme über solche Personen „ordnungsgemäß Buch geführt“ werde. Jedoch ist wohl verständlich, dass die UNRWA nicht bestrebt ist, festzustellen oder zu bestätigen, ob eine konkrete Person, die nicht registriert ist und tatsächlich keine Hilfe erhält, gleichwohl potenziell Anspruch auf Hilfe hat (siehe hierzu näher unten, Nr. 71).


15 – Die UNRWA stellt ihre Leistungen allen Personen dieser Gruppe im Rahmen üblicher Praxis und/oder einer Vereinbarung mit dem Aufnahmeland zur Verfügung. Mit der Resolution 2252 (ES-V) vom 4. Juli 1967 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Bemühungen der UNRWA unterstützt, „anderen Personen in diesem Gebiet, die infolge der jüngsten Feindseligkeiten gegenwärtig vertrieben sind und dringend Hilfe benötigen, als zeitweilige Notstandsmaßnahme im Rahmen des praktisch Möglichen humanitäre Hilfe zu gewähren“. Dass diese humanitäre Hilfe jedoch nicht nur „zeitweilig“ benötigt wird, zeigt sich daran, dass die in der Resolution 2252 (ES-V) verwendete Formulierung seither in zahlreichen Resolutionen der Generalversammlung wiederholt worden ist, zuletzt in der Resolution 64/L.13 vom 13. November 2009.


16 – „Diesen Personen kommen die UNRWA-Leistungen zugute (z. B. Sanitär- und Hygienemaßnahmen), die Flüchtlingslagern und ‑gemeinschaften in ihrer Gesamteinheit geboten werden“ (Nr. III.B der CERI).


17 – Im Folgenden: UNHCR.


18 – Die der Resolution im Anhang beigefügt ist.


19 – So heißt es im 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83, dass „Konsultationen mit dem [UNHCR] … den Mitgliedstaaten wertvolle Hilfe bei der Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft nach Artikel 1 der Genfer Konvention bieten [können]“. Vgl. zur Bedeutung von Stellungnahmen des UNHCR Hathaway, The right of Refugees under International Law, Cambridge University Press, 2005, S. 112 bis 118, der insbesondere hinsichtlich des normativen Gewichts zwischen (a) Schlussfolgerungen des Exekutivausschusses (denen das höchste Gewicht zukommt), (b) dem Handbuch und (c) anderen zur Anleitung abgegebenen Erklärungen unterscheidet. Die UNHCR-Dokumente, auf die in den vorliegenden Schlussanträgen Bezug genommen wird, fallen in die Kategorien (b) und (c).


20 – Im Handbuch wird darauf hingewiesen, dass die UNRWA zwar derzeit das einzige Organ bzw. die einzige Institution mit Ausnahme des UNHCR sei, die Schutz oder Beistand nach Art. 1 Abschnitt D gewähre, dass es früher jedoch eine andere Stelle (die United Nations Korean Reconstruction Agency) gegeben habe und dass in Zukunft noch weitere Einrichtungen dieser Art entstehen könnten.


21 – Art. 1 Abschnitt C (Beendigung) sowie Art. 1 Abschnitte E und F (Ausschluss).


22 – 2009 hat das Amt des UNHCR eine überarbeitete Fassung dieser Note herausgegeben. Ich habe die einschlägigen Änderungen in den Fußnoten dieses Abschnitts vermerkt.


23 – In der überarbeiteten Fassung von 2009 kommt deutlicher zum Ausdruck, dass auch die Nachkommen solcher Personen erfasst sind.


24 – In der überarbeiteten Fassung von 2009 ist diese Voraussetzung entfallen: Der bloße Aufenthalt in der UNRWA-Zone reiche aus, um den Betreffenden als Person anzusehen, die Schutz und Beistand genieße.


25 – In der überarbeiteten Fassung von 2009 heißt es, dass solche Personen von Satz 2 erfasst seien, weil sie den Schutz oder Beistand „zurzeit nicht“ (anstatt „nicht mehr“) genössen und dieser daher „weggefallen“ sei.


26 – In der überarbeiteten Fassung von 2009 wurde der Passus „und daher in den Zuständigkeitsbereich des UNHCR fallen“ an dieser Stelle gestrichen.


27 – Der Begriff „zurückgeschickt werden“ wird in der überarbeiteten Fassung von 2009 nicht erörtert.


28 – Die überarbeitete Fassung dieser Note übernimmt die Analyse der überarbeiteten Note von 2002 und fügt hinzu, dass alle Personen, die vom Wortlaut der Resolutionen 194 (III) und 2252 (ES‑V) erfasst werden, sowie ihre Abkömmlinge, die sich in der UNRWA-Zone befinden, „zurzeit … Schutz oder Beistand genießen“ im Sinne von Art. 1D.


29 – Die überarbeitete Fassung analysiert die Bedeutung von „aus irgendeinem Grund weggefallen“ nicht, sondern weist nur darauf hin, dass Personen, die sich aus der UNRWA-Zone heraus‑ und dann wieder in diese hineinbegeben, zwischen Abs. 1 und Abs. 2 von Art. 1D hin und her wechseln, unabhängig vom Grund für das Verlassen oder die Rückkehr.


30 – Nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon findet sich Art. 63 Abs. 1 und 2 EG (mit einigen Änderungen) in Art. 78 Abs. 1 und 2 AEUV wieder. Insbesondere verpflichtet der AEUV das Europäische Parlament und den Rat zum Erlass von Maßnahmen in Bezug auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem, das u. a. einen einheitlichen Asyl- und subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige umfasst. Art. 63 Abs. 3 Buchst. a EG findet sich (mit einigen Änderungen) in Art. 79 Abs. 2 Buchst. a AEUV wieder.


31 – Gemeinsamer Standpunkt vom 4. März 1996 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegt – betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs „Flüchtling“ in Artikel 1 des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (ABl. L 63, S. 2).


32 – Vgl. oben, Fn. 14 (der Rechtsvertreter von Frau Bolbol hatte eine solche Bestätigung angefordert). Selbst wenn Frau Bolbol keinen Anspruch auf Registrierung hätte, könnte sie jedoch (wenn sie sich in der UNRWA-Zone befände) zur Inanspruchnahme von Hilfe berechtigt sein: vgl. oben, Nrn. 10 bis 12.


33 – Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass sich diese Entscheidung auf § 3 Abs. 1 des Menedékjogról Szóló 1997. évi CXXXIX. törvény (Gesetz CXXXIX von 1997 über das Asylrecht, im Folgenden: Met.) stützte.


34 – Aus dem Vorlagebeschluss geht ferner hervor, dass Rechtsgrundlage hierfür § 38 Abs. 1 Met. und § 51 Abs. 1 des Harmadik országbeli állampolgárok beutazásáról és tartózkodásáról szóló 2007. évi II. törvény (Gesetz Nr. II von 2007 über die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen) ist.


35 – Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 2. März 2010, Abdulla u. a. (C‑175/08, C‑176/08, C‑178/08 und C‑179/08, Slg. 2010, I‑0000, Randnrn. 52 und 53).


36 – Vgl. das UNHCR-Handbuch und die beiden Noten, oben in den Fn. 18 bzw. 20 angeführt. Nach Art. 38 ist der IGH allein zuständig für verbindliche Entscheidungen über die Auslegung des Abkommens von 1951.


37 – Vgl. z. B. den Ansatz des Court of Appeal (Vereinigtes Königreich) in der Rechtssache El-Ali [2003] 1 WLR 95 mit dem Ergebnis, zu dem der Conseil du Contentieux des Etrangers (Belgien) in seinen Entscheidungen vom 21. April 2009 und 14. Mai 2009 (Aktenzeichen 26 112 bzw. 27 366) gelangt ist.


38 – Dafür spricht vor allem, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a praktisch die Begriffe und den Wortlaut von Art. 1D der Konvention von 1951 übernimmt. Mit dieser Maßgabe versteht sich von selbst, dass die konkrete Entscheidung des Gerichtshofs nur in Bezug auf die Richtlinie bindend ist.


39 – Wenngleich das Völkerrecht (gemäß Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge [Wiener Vertragsrechtskonvention, im Folgenden: WVRK]) bemüht ist, die Bestimmungen eines Vertrags nach ihrer natürlichen und gewöhnlichen Bedeutung wirksam werden zu lassen, so besteht sowohl nach der WVRK (gemäß Art. 32) als auch nach den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts die Möglichkeit, die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsschlusses heranzuziehen, um die Bedeutung eines Begriffs zu bestimmen, wenn die Auslegung nach der gewöhnlichen Bedeutung einer Bestimmung im Licht des Ziels und Zwecks des Vertrags die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt. Eine ausführlichere Darstellung findet sich bei Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, 2. Aufl., Manchester University Press, 1984, S. 141 ff.


40 – Vgl. oben, Fn. 19.


41 – Im Folgenden: Bevollmächtigtenkonferenz.


42 – Mehrere internationale Einrichtungen haben mitunter die Bestimmungen eines Vertrags im Licht des gemeinsamen Willens der Verfasser zum Zeitpunkt der Abfassung ausgelegt (vgl. z. B. Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 10. Oktober 2002 zur Land- und Seegrenze zwischen Kamerun und Nigeria [Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria, ICJ Reports 2002, S. 303, Randnr. 59], sowie Entscheidung der Grenzkommission Eritrea-Äthiopien vom 13. April 2002 über den Grenzverlauf zwischen Eritrea und Äthiopien, Nrn. 3.3, 3.4 und 3.13, in der auf die Entscheidung des Schiedsgerichts im Grenzstreit Argentinien/Chile [1966] 38 ILR 10, S. 89, verwiesen wird).


43 – Vgl. die Erklärungen des italienischen und des irakischen Vertreters in der 19. Sitzung und des französischen Vertreters in der 29. Sitzung der Bevollmächtigtenkonferenz.


44 – Vgl. die Erklärungen des ägyptischen Vertreters in der 19. und der 29. Sitzung der Bevollmächtigtenkonferenz.


45 – Vgl. die Erklärungen des ägyptischen Vertreters in der 19. und des französischen Vertreters in der 20. Sitzung der Bevollmächtigtenkonferenz.


46 – Vgl. z. B. die Erklärungen des Konferenzvorsitzenden in der 19. Sitzung, des französischen Vertreters in der 20. Sitzung und des US-amerikanischen Vertreters in der 21. Sitzung der Bevollmächtigtenkonferenz.


47 – Vgl. z. B. Art. 1 Abs. 2 der Charta der Vereinten Nationen. Das Institut der Selbstbestimmung hat sich parallel zum Entkolonialisierungsprozess entwickelt und weist daher in der Regel eine starke territoriale Komponente auf (Shaw, International Law, 5. Aufl., Cambridge University Press 2008). Die Anwendung dieses Begriffs auf Gruppen von Flüchtlingen und Staatenlosen ist daher schwierig. Die Frage der Anwendbarkeit auf vertriebene Palästinenser wird lebhaft diskutiert (vgl. u. a. Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 9. Juli 2004 zu den Rechtsfolgen des Baus einer Mauer in den besetzten Gebieten [Legal Consequences on the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, ICJ Reports 2004, S. 136]).


48 – Vgl. Präambel und Art. 1 Abs. 3 der Charta der Vereinten Nationen. Diese Sicht kommt auch in einem zentralen Aspekt von Art. 1 Abschnitt A des Abkommens zum Ausdruck, soweit darin nämlich geregelt ist, dass ein Einzelner nur dann als Flüchtling anerkannt werden kann, wenn er im Rahmen einer allgemeineren Gefahr für eine bestimmte Gruppe von Personen, die durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet sind, die begründete Furcht vor Verfolgung gerade seiner Person nachweisen kann.


49 – Den Materialien zufolge war sich anscheinend selbst die ägyptische Delegation, auf deren Initiative Satz 2 in den Entwurf aufgenommen wurde, aus dem Art. 1 Abschnitt D hervorgegangen ist, über die bezweckte Funktion des gesamten Satzes nicht völlig im Klaren: vgl. die Erklärungen des ägyptischen Vertreters in der 19. und 20. Sitzung der Bevollmächtigtenkonferenz.


50 – Die deutsche Regierung hat die Frage angesprochen, ob diese Regelung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt. Diese Frage lässt sich nur verneinen, wenn man davon ausgeht, dass durch Art. 1 Abschnitt D einem konkreten Problem einer konkreten Gruppe von Vertriebenen Rechnung getragen werden sollte, deren Lage – mindestens zum Teil – auf eine Entscheidung der internationalen Gemeinschaft (nämlich die Teilung Palästinas) zurückzuführen war. Dieser objektive Unterschied rechtfertigt dann (in gewissem Grad) eine Sonderbehandlung. Ob die Anwendung von Art. 1D auf Personen, die den Schutz oder Beistand einer anderen Einrichtung als des UNHCR genießen, in einer hypothetischen Situation, die nicht durch eine Entscheidung der internationalen Gemeinschaft verursacht worden ist, den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzen würde, ist eine Frage, die über den Rahmen dieser Schlussanträge hinausgeht.


51 – Insoweit kann ich mich nicht der Auslegung anschließen, die das Amt des UNHCR (in seiner Note von 2002 und deutlicher noch in der überarbeiteten Fassung dieser Note von 2009) vertritt und die dahin geht, dass alle (in den Geltungsbereich der Resolution 194 [III] vom 11. Dezember 1948 und Resolution 2252 [ES-V] vom 4. Juli 1967 fallenden) Palästinenser, die sich nicht in der UNRWA-Zone befänden, zurzeit nicht Schutz oder Beistand genössen und dieser daher weggefallen sei. Nach dieser Auslegung könnte die Unterstützung theoretisch auch dann „wegfallen“, wenn der Betreffende sie noch nie erhalten hat, was mit der natürlichen Bedeutung des Wortes „wegfallen“ schlicht nicht vereinbar ist. Die ursprüngliche Fassung der UNHCR-Note, um die es im vorliegenden Fall geht, besagte, dass, wenn jemand die UNRWA-Zone verlassen habe, Schutz und Beistand für ihn „weggefallen“ sei, so dass er dann automatisch die Vergünstigungen nach dem Abkommen erhalten sollte. Ich werde diesen Gedankengang später behandeln (in den Nrn. 81 ff.).


52 – Zusammenfassung oben, Nr. 47.


53 – Ich räume ein, dass diese Einschränkung für hypothetisch zukünftige Organe oder Institutionen der Vereinten Nationen, die im Sinne von Art. 1 Abschnitt D tätig werden, gegebenenfalls nicht gelten würde.


54 – Ich gehe weiter unten im Rahmen des zweiten Auslegungskomplexes der Frage nach, ob „genießen“ im Sinne von „tatsächlich genießen“ oder im Sinne von „zum Genuss berechtigt sein“ zu verstehen ist.


55 – Selbstverständlich unter der Voraussetzung, dass der Betreffende nicht unter die Ausschlusstatbestände von Art. 1 Abschnitt C, E oder F fällt.


56 – Oder zum Genuss von Unterstützung berechtigt wäre, vgl. hierzu Nrn. 71 ff.


57 – Sie befürwortet sodann eine entsprechend weite Auslegung des Satzes 2.


58 – Vgl. oben, Nrn. 11 bis 13.


59 – Der Inhalt dieser besonderen Behandlung wird nachstehend in den Nrn. 85 ff. erörtert.


60 – In der französischen Sprachfassung von Art. 1 Abschnitt D (der nach dem letzten Absatz des Abkommens neben der englischen anderen maßgebenden Fassung) heißt es ebenfalls „bénéficient actuellement“ und nicht „sont éligibles à bénéficier“.


61 – Die ursprüngliche zeitliche Beschränkung („infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind“) wurde durch das Protokoll von 1967 gestrichen; die meisten Staaten haben inzwischen von der nach Art. 1 Abschnitt B bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, das Abkommen als auf „Ereignisse, die vor dem 1. Januar 1951 in Europa oder anderswo eingetreten sind“ anwendbar zu behandeln. 2009 hatten von den 147 Staaten, die entweder dem Abkommen oder dem Protokoll beigetreten sind, nur vier Staaten die Option gewählt, das Abkommen als nur auf in Europa eingetretene Ereignisse anwendbar zu behandeln.


62 – Die Rechtsprechung zu solchen Klauseln ist zwar weniger deutlich als im Recht der Europäischen Union (vgl. z. B. die Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia, C‑73/07, Urteil vom 16. Dezember 2008, Slg. 2008, I‑9831, Nr. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung), jedoch haben internationale Gerichte und Schiedsstellen nach Maßgabe des WVRK ihre Auslegungspraxis dahin entwickelt, dass Zweck und Ziele der Verträge berücksichtigt werden (vgl. z. B. das Urteil des IGH vom 3. Februar 1994 im Gebietsstreit [Libyun Aruh Jamuhiriyu/Chad], ICJ Reports 1994, S. 6, Randnr. 41, sowie die Entscheidung des Schiedsgerichts in der Rechtssache German External Debts, 19 ILM 1980, S. 1377, Randnrn. 28 und 30). Daraus geht hervor, dass eine enge Auslegung des Ausnahmetatbestands bei anderen internationalen Einrichtungen auf Zustimmung stoßen könnte.


63 – Auf die Frage, in welchem Maße ein Flüchtling sein eigenes Schicksal in der Hand hat, komme ich unten, Nrn. 77 ff., zurück.


64 – Vgl. oben, Nrn. 11 bis 13 und die dortigen ausführlichen Fußnoten.


65 – Vgl. oben, Nrn. 18 f.


66 – Erklärungen der belgischen und der französischen Regierung sowie der Regierung des Vereinigten Königreichs.


67 – Erklärungen von Frau Bolbol und UNHCR-Note von 1009. Auch der Ansatz der Kommission stellt auf den Einzelnen ab. Die Kommission vertritt jedoch die Auffassung, dass Personen, die die UNRWA-Zone verlassen haben, nicht nach Art. 1 Abschnitt D, sondern nach den allgemeinen Regeln zu behandeln seien, da ihr Wegzug nicht einem Wegfall des Schutzes oder der Unterstützung gleichkomme (der Wegfall trete nämlich unabhängig von den Handlungen des Einzelnen ein).


68 – UN-Schlichtungskommission für Palästina (im Folgenden: UNCCP).


69 – Nach Meinung von Frau Bolbol wurde die UNRWA errichtet, um vertriebenen Palästinensern Beistand zu leisten, während die UNCCP diese Personen schützen sollte. Zur Begründung ihres Vorbringens führt Frau Bolbol an, dass die Tätigkeit der UNCCP weggefallen sei und dass die UNRWA die Aufgaben der UNCCP nicht übernommen habe.


70 – Vgl. unten, Nrn. 85 ff.


71 – Diesen Standpunkt hat im Übrigen zu Beginn auch der europäische Gesetzgeber eingenommen: Vgl. den Gemeinsamen Standpunkt 96/196, in dem es heißt, dass Personen, die sich bewusst dem Schutz oder Beistand im Sinne des Art. 1 Abschnitt D des Abkommens von 1951 entziehen, nicht automatisch von Rechts wegen unter jenes Abkommen fallen.


72 – Für diese Auslegung spricht auch die Formulierung des Art. 1 des Protokolls von 1967, der nämlich die Art. 2 bis 34 des Abkommens von 1951 zu einer Gruppe zusammenfasst. Auch in der Note von 2009 des Amtes des UNHCR heißt es, dass „der Begriff ‚unter die Bestimmungen dieses Abkommens fallen‘ sich auf das Niveau der Behandlung bezieht, die die Vertragsstaaten … den Flüchtlingen nach den Art. 2 bis 34 des Abkommens zukommen lassen müssen“.


73 – Bei Anwendung dieser Überlegungen auf die Richtlinie (im Gegensatz zu dem Übereinkommen) ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten zwar berechtigt sind, nach innerstaatlichem Recht die einschlägigen Beweisregeln festzulegen, dabei aber die Geltendmachung unionsrechtlich garantierter Rechte nicht unmöglich oder praktisch unmöglich machen dürfen: vgl. Urteil vom 29. Oktober 2009, Pontin (C‑63/08, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).


74 – Vgl. oben, Nr. 13 und Fn. 13 bis 15. Ein Großteil der Personen, die Unterstützung erhalten, dürfte wohl offiziell nicht registriert sein, wenngleich in der Regel irgendwelche Aufzeichnungen bei der UNRWA existieren dürften, denen zumindest die Wahrscheinlichkeit des Empfangs von Unterstützung entnommen werden kann.


75 – Die Entsprechungen lauten wie folgt (Angabe der Richtlinienvorschrift vor Angabe der Abkommensvorschrift: Art. 12 Abs. 1 Buchst. a entspricht Art. 1 Abschnitt D; Art. 12 Abs. 1 Buchst. b entspricht Art. 1 Abschnitt E; Art. 12 Abs. 2 Buchst. a, b und c entspricht Art. 1 Abschnitt F. Art. 12 Abs. 3 gibt weiteren Aufschluss über die Auslegung von Art. 12 Abs. 2. Art. 1 Abschnitt C entspricht inhaltlich einer gesonderten Bestimmung der Richtlinie (Art. 11: „Erlöschen“).


76 – „Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und III erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zu“ (Hervorhebung nur hier). Auch die Formulierung in Nr. 12 des Gemeinsamen Standpunkts 96/196 deutet darauf hin, dass Personen, die von beiden Sätzen des Art. 1 Abschnitt D des Abkommens von 1951 erfasst werden, automatisch von Rechts wegen Flüchtlingseigenschaft haben und nicht anhand der in Art. 1 Abschnitt A aufgeführten Kriterien beurteilt werden müssen.


77 – Die zwingende Formulierung „erkennen … die Flüchtlingseigenschaft zu“ in Art. 13 der Richtlinie (vgl. Fn. 73) kann nichts anderes bedeuten.


78 – Gemäß Kapitel VI Art. 18 f. der Richtlinie.

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