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Document 61991TJ0045

Urteil des Gerichts erster Instanz (Vierte Kammer) vom 18. Februar 1993.
Helen Mc Avoy gegen Europäisches Parlament.
Beamte - Aufhebung einer Ernennung - Offensichtlicher Fehler - Diskriminerung - Berechtigtes Vertrauen.
Rechtssache T-45/91.

European Court Reports 1993 II-00083

ECLI identifier: ECLI:EU:T:1993:11

61991A0045

URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (VIERTE KAMMER) VOM 18. FEBRUAR 1993. - HELEN MC AVOY GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - BEAMTE - AUFHEBUNG EINER ERNENNUNG - OFFENSICHTLICHER IRRTUM - DISKRIMINIERUNG - BERECHTIGTES VERTRAUEN. - RECHTSSACHE T-45/91.

Sammlung der Rechtsprechung 1993 Seite II-00083


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

1. Beamte ° Klage ° Rechtsschutzinteresse ° Gegen die Ernennung eines Bewerbers um eine freie Stelle gerichtete Klage eines anderen Bewerbers ° Fehlen der in der Stellenausschreibung aufgestellten Voraussetzungen bei beiden Bewerbern ° Zulässigkeit wegen des Interesses des Klägers, daß die Stelle nach anderen Modalitäten besetzt wird

(Beamtenstatut, Artikel 91)

2. Beamte ° Organisation der Dienststellen ° Organisationsplan ° Keine rechtliche Bedeutung

3. Beamte ° Beförderung ° Abwägung der Verdienste ° Ermessen der Verwaltung ° Grenzen ° Beachtung der in der Stellenausschreibung aufgestellten Voraussetzungen

(Beamtenstatut, Artikel 45)

4. Beamte ° Beistandspflicht der Verwaltung ° Bedeutung

(Beamtenstatut, Artikel 24)

Leitsätze


1. Die Anfechtungsklage eines Bewerbers um eine freie Stelle gegen die Entscheidung, mit der ein anderer Bewerber um diese Stelle ernannt wurde, ist zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes, konkretes und gegenwärtiges Interesse an der Aufhebung dieser Ernennung hat.

Dies ist bei einem Bewerber der Fall, der die in der Stellenausschreibung aufgestellten Voraussetzungen nicht erfuellt, der jedoch für den Fall, daß er die Aufhebung der Ernennung seines einzigen Mitbewerbers erreicht, weil dieser die Voraussetzungen ebenfalls nicht erfuellt, die Möglichkeit erhalten könnte, seine Eignung für diese Stelle in einem Verfahren beurteilen zu lassen, in dem die Stelle nach anderen Modalitäten besetzt werden soll.

2. Der Organisationsplan eines Gemeinschaftsorgans ist ein internes Dokument, das nicht die Merkmale eines Verwaltungsakts aufweist, keine Rechtswirkungen erzeugt und ausschließlich Informationszwecken dient.

3. Die Ausübung des Ermessens, über das die Anstellungsbehörde bei der Bewertung des dienstlichen Interesses und der im Rahmen einer Beförderungsentscheidung zu berücksichtigenden Verdienste verfügt, verlangt eine sorgfältige Prüfung der Personalakten und eine gewissenhafte Beachtung der in der Stellenausschreibung genannten Anforderungen. Die Stellenausschreibung, deren wesentlicher Zweck es ist, Interessenten so genau wie möglich über die Art der für die zu besetzende Stelle notwendigen Voraussetzungen zu unterrichten, bildet den rechtlichen Rahmen, den sich die Anstellungsbehörde selbst gesetzt hat. Stellt sie jedoch fest, daß die in der Stellenausschreibung aufgestellten Voraussetzungen über das hinausgehen, was das dienstliche Interesse erfordert, so ist die Anstellungsbehörde befugt, das Beförderungsverfahren auf einer neuen Grundlage zu wiederholen, indem sie die ursprüngliche Ausschreibung aufhebt und durch eine berichtigte Ausschreibung ersetzt. Dagegen muß sie die Bewerber zurückweisen, die die in der ursprünglichen Stellenausschreibung aufgestellten Voraussetzungen nicht erfuellen, wenn sie ihre Wahl auf der Grundlage dieser Ausschreibung treffen will.

4. Gegenstand der Beistandspflicht nach Artikel 24 des Statuts ist die Verteidigung des Beamten durch das Gemeinschaftsorgan gegen Angriffe Dritter, nicht aber gegen Handlungen des Organs selbst, für deren Überprüfung andere Bestimmungen des Statuts gelten.

Entscheidungsgründe


Sachverhalt und Verfahren

1 Die Klägerin trat im Oktober 1979 als Übersetzerin in der Besoldungsgruppe LA 7 in den Dienst des Europäischen Parlaments (nachstehend: Parlament). Nach ihrer Beförderung nach Besoldungsgruppe LA 6 im Januar 1982 wurde sie im Oktober desselben Jahres zur Verwaltungsrätin in der Besoldungsgruppe A 7 ernannt und der Generaldirektion Forschung und Dokumentation als Leiterin der Dienststelle "Presseauswertung, Bibliothek, Auskünfte und Verwaltung" in Luxemburg zugewiesen.

2 Am 24. September 1984 richtete ein Direktor der Generaldirektion Forschung und Dokumentation eine Note an das Personal der Abteilung "Auskünfte, Information und Dokumentation", in der zur Verteilung der Aufgabenbereiche zwischen der Klägerin und einem anderen Verwaltungsrat, M. Tonelotto, folgendes ausgeführt wurde:

"Im Anschluß an die Ernennung von Herrn Tonelotto auf einen Dienstposten A 7/6 der Bibliothek teile ich Ihnen mit, daß bezueglich der Verteilung der Aufgabenbereiche zwischen Frau Mc Avoy und Herrn Tonelotto folgende Entscheidungen getroffen wurden:

1. Solange ein Abteilungsleiter fehlt, ist Frau Mc Avoy für die allgemeine Koordinierung aller Bibliotheksdienste zuständig. Sie leitet insbesondere:

a) die Dienststelle Presseauswertung;

b) das Sekretariat des Abteilungsleiters;

c) die Dokumentaristen, vor allem bezueglich der Zuweisung wichtiger Arbeiten;

d) den Fotokopierdienst;

e) den Katalogsaal;

f) den Lesesaal in Brüssel.

2. Herr Tonelotto ist zuständig für:

a) die Dienststelle 'Katalogisierung und Anschaffungen' ;

b) die Dienststelle 'Periodika' ;

c) die Dienststelle 'Gemeinschaftsdokumente' ;

d) die Einheit 'Einkäufe' ;

e) die neue Ausleihestelle im COMPACTUS;

f) das Projekt Informatik (bis zur Einstellung des neuen Informatikers)."

3 Durch Verfügung des Präsidenten des Parlaments vom 4. Juni 1985 wurde die Klägerin mit Wirkung zum 1. Juli 1985 nach Brüssel versetzt. Von diesem Zeitpunkt an war sie mit der Verwaltung der Aussenstelle der Bibliothek des Parlaments in Brüssel betraut. Mit Entscheidung vom 30. Oktober 1986 wurde sie mit Wirkung zum 1. Januar 1986 nach Besoldungsgruppe A 6 befördert und übernahm ab 1987 die Aufgaben eines Leiters der Bibliothek in Brüssel.

4 Am 2. April 1990 veröffentlichte das Parlament die Stellenausschreibung Nr. 6262 zur Besetzung der Planstelle eines Hauptverwaltungsrats der Laufbahn A 5/A 4 in der Generaldirektion Wissenschaft, Dienststelle "Bibliothek", in Luxemburg im Wege der Beförderung oder Versetzung (IV/A/1539-RP/90). In dieser Ausschreibung hieß es zu dem zu befördernden oder zu versetzenden Beamten: "Der hochqualifizierte Beamte, der dem Direktor oder Generaldirektor untersteht, hat die Beaufsichtigung einer Verwaltungseinheit wahrzunehmen und überwacht und koordiniert Arbeiten in Verbindung mit der ordnungsgemässen Verwaltung einer Parlamentsbibliothek." Vorausgesetzt wurden u. a. "Abgeschlossenes Hochschulstudium oder gleichwertige Berufserfahrung" sowie "Hochschuldiplom als Bibliothekar".

5 Mit Schreiben vom 19. April 1990 betreffend die fragliche Ausschreibung teilte der Berater der Generaldirektion Personal, Haushalt und Finanzen dem Generaldirektor für Wissenschaft die auf die Veröffentlichung der Stellenausschreibung eingegangenen Bewerbungen mit. Er unterschied hierbei zwischen den Bewerbungen, die nach den Beförderungsvorschriften berücksichtigt werden konnten, und denen, bei denen dies nicht der Fall war; zu den erstgenannten gehörten insbesondere die Bewerbung der Klägerin und die von M. Tonelotto.

6 Mit Schreiben vom 3. Mai 1990 schlug der Generaldirektor für Wissenschaft dem Generaldirektor für Personal, Haushalt und Finanzen vor, M. Tonelotto auf die Planstelle eines Hauptverwaltungsrats zu befördern, da er "als einziger Bewerber zugleich ein Hochschuldiplom als Bibliothekar und eine Berufserfahrung von zwölf Jahren in dem betreffenden Bereich aufweist".

7 Im Juni 1990 verbreitete die Generaldirektion Wissenschaft einen Organisationsplan mit dem Vermerk "(von den Direktoren nicht revidiert)", in dem es in der Spalte "12. Bibliothek" hieß:

"12a. Bibliothek, Anschaffung, Katalogisierung:

A/1539 [Aushang A 5 (2. April)] Mario Tonelotto A 7/6".

Im Juli 1990 wurde ein neuer Organisationsplan mit demselben Vermerk "(von den Direktoren nicht revidiert)" verteilt, in dem es in der Spalte "11.5. Bibliothek" hieß:

"5.1. Bibliothek, Anschaffung, Katalogisierung:

A/1539 (Vorschlag A 5 03/05/90) Mario Tonelotto A 7/6, Neuaufnahme des Vorgangs am 23.07.90 für GD V".

8 Mit Verfügung des Präsidenten des Parlaments vom 11. September 1990 wurde M. Tonelotto im Wege der Beförderung auf die am 2. April 1990 ausgeschriebene Planstelle ernannt.

9 Am 7. November 1990 legte die Klägerin beim Generalsekretär des Parlaments gegen die Verfügung vom 11. September 1990 eine Beschwerde gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Statut) ein, in der sie im wesentlichen geltend machte, sie verfüge über ein höheres Dienstalter, ein umfassenderes Tätigkeitsfeld und mehr Verdienste als der genannte Bewerber. Im übrigen lasse das in die Ausschreibung aufgenommene Erfordernis eines Hochschuldiploms als Bibliothekar für eine Arbeit, die sie seit mehreren Jahren ausgeführt habe, die Vermutung zu, daß diese neue Voraussetzung aufgestellt worden sei, um möglichst viele Bewerber auszuschließen.

10 In einer Note vom 8. April 1991 an den Generalsekretär des Rates zu der Beschwerde der Klägerin bestätigte der Generaldirektor für Wissenschaft, daß M. Tonelotto ein Diplom in Bibliothekswissenschaft besitze, und erklärte, daß "die Form dieses Diploms vielleicht irreführend [ist], die Urkunde jedoch [bestätigt], daß der Inhaber eine Spezialisierungsprüfung in den im Inhaltsverzeichnis aufgeführten Fächern erfolgreich abgelegt hat", und daß er "die Betrachtungsweise des Juristischen Dienstes nicht [teilt]". Die Note enthielt ein Laufbahnprofil von M. Tonelotto und der Klägerin. Zu der Klägerin heisst es in der Note: "1979: Einstellung LA 7 ° Übersetzerin; 1982: Übersetzerin LA 6 ° Verwaltungsrätin A 7 ° Leiterin der Abteilung 'Presseauswertung' ; 1983/1984: Verwaltungsrätin A 7 ° Leiterin der Abteilung 'Presseauswertung, Bibliothek, Auskünfte und Verwaltung' ; 1985/1986: Verwaltungsrätin A 6 ° Presseauswertung bis zum 1/7/1985; 1.07.85: Verwaltung der Aussenstelle der Bibliothek des EP in Brüssel ° Verfügung des Präsidenten Pflimlin vom 4/6/1985; 1987/1989: Verwaltungsrätin A 6 ° Leiterin der Bibliothek in Brüssel". Die Laufbahn der Klägerin war abschließend wie folgt zusammengefasst: "Frau Mc Avoy hat eine Laufbahn in Stufen mit unterschiedlichem Berufsprofil zurückgelegt, nämlich +/- zwei Jahre Sprachendienst; dann +/- drei Jahre Verwaltung der Dienststelle 'Pressedokumentation' , dann 'Presseauswertung' ; schließlich +/- fünf Jahre Verwaltung der Bibliothek/Dokumentation in Brüssel".

11 Am 6. Juni 1991 sandte der Generaldirektor für Wissenschaft eine weitere Note an den Generalsekretär des Parlaments mit folgendem Inhalt: "Sie haben mich um Stellungnahme zu der Auffassung des Juristischen Dienstes über den Wert des Zeugnisses von M. Tonelotto mit der Bezeichnung 'Einführung in die philosophische Forschung' (die insgesamt umfasst: Bibliothekswissenschaft, Systematisierung und Katalogisierung; Bibliographie, Dokumentation und Forschung; Handschriftenkunde) gebeten. In der gesetzten Frist ist es uns nicht gelungen, ein amtliches Gutachten der zuständigen Stellen zu der Frage einzuholen, welchen genauen Wert dieses Schriftstück im Rahmen der allgemeinen anerkannten Befähigungsnachweise des Bibliothekarberufs hat." Nach einer Analyse der Bedeutung des Ausdrucks "Diplom" anhand der wichtigsten Wörterbücher der französischen Sprache gelangte er zu dem Ergebnis: "Ich halte meinen Standpunkt aufrecht, daß dieser Beleg in der Akte von M. Tonelotto dem Erfordernis in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens entspricht."

12 Mit Klageschrift, die am 7. Juni 1991 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen T-45/91 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist.

13 Mit Schreiben vom 13. Juni 1991 hat der Generalsekretär des Parlaments auf die Beschwerde der Klägerin wie folgt geantwortet:

"Ich kann Ihnen versichern, daß Ihre Bewerbung sorgfältig geprüft worden ist, ebenso wie Ihre Verdienste und Ihr Dienstalter, die Sie in Ihrem Schreiben erwähnen.

Es hat indessen den Anschein, als seien bei dieser Prüfung einige Aspekte, die bestimmte Bewerbungen für diese Planstelle betreffen, nicht angemessen gewürdigt worden. Aus diesem Grund habe ich die Generaldirektion Wissenschaft gebeten, mir alle Erläuterungen und maßgeblichen Gesichtspunkte mitzuteilen, damit der Präsident des Europäischen Parlaments als zuständige Anstellungsbehörde seine Entscheidung in voller Kenntnis der Sachlage treffen kann.

Da es bisher nicht möglich war, die betreffenden Aspekte mit der gewünschten Klarheit festzustellen, konnte ich mir keine endgültige Meinung in dieser Frage bilden, die allerdings, wie ich erneut betone, Ihre Bewerbung nicht unmittelbar betrifft."

14 Am 3. Juli 1991 übermittelte der Generaldirektor für Wissenschaft in Beantwortung einer Note des Generalsekretärs des Parlaments diesem eine weitere Note, in der er zunächst mehrere Überlegungen zum Wert des Diploms von M. Tonelotto anstellte, sodann seinen Standpunkt bekräftigte, daß dieses Diplom "einen von der Fakultät einer Hochschule ausgestellten Nachweis über den Abschluß eines Spezialisierungsstudiums, hier der Bibliothekswissenschaft," darstelle, und schließlich eine neue Analyse der Bewerbungen vornahm, die ihn zu der Schlußfolgerung führten, daß drei Bewerbungen im Hinblick auf die Ausschreibung "inadäquat" seien, daß eine Bewerbung "unzureichend" sei und daß zwei Bewerbungen, nämlich die der Klägerin und von M. Tonelotto, "eine vertiefte Prüfung" verdienten. Nach Wiedergabe derselben Laufbahnprofile wie in der Note vom 8. April 1991 schloß die Note wie folgt: "Ich erhalte die der Anstellungsbehörde unterbreitete ursprüngliche Auswahl aufrecht. Sollte jedoch ein Zweifel terminologischer Art Anlaß für die Anstellungsbehörde sein, alle dieser Ernennung zugrunde gelegten Annahmen in Frage zu stellen, werde ich Ihnen einen Ausschreibungsentwurf zukommen lassen."

15 Das Gericht hat gemäß Artikel 64 der Verfahrensordnung prozeßleitende Verfügungen getroffen und den Beklagten ersucht, u. a. die Akte über die Besetzung der betreffenden Planstelle, genaue Auskünfte über Umfang und Ergebnis der Prüfung des Wertes des Bibliothekardiploms von M. Tonelotto sowie alle zugehörigen Schriftstücke vorzulegen.

16 Am 10. Februar 1992 hat der Beklagte die geforderten Schriftstücke eingereicht. Es sind dies u. a.: a) ein vom Präsidenten des "Institut supérieur de philosophie" der Katholischen Universität Louvain unterzeichnetes Zeugnis vom 13. Juli 1970, in dem bestätigt wird, daß M. Tonelotto am 23. Juni 1966 eine Prüfung zu der Vorlesung "Einführung in die philosophische Forschung" abgelegt habe. Diese Vorlesung umfasste folgende Fächer: Bibliothekswissenschaft, Systematisierung und Katalogisierung, Bibliographie, Dokumentation und Forschung, Handschriftenkunde; b) eine vom Verwaltungssekretär des genannten Instituts der Katholischen Universität Louvain unterzeichnete Bescheinigung vom 21. März 1991 mit folgendem Wortlaut: "Das 'Institut supérieur philosophie' der Katholischen Universität Louvain bescheinigt, daß das M. Tonelotto am 13. Juli 1970 ausgehändigte Schriftstück ein Zeugnis über die Ablegung einer Prüfung in den angeführten Fächern im Anschluß an einen zweijährigen Hochschulstudiengang darstellt"; c) ein Antwortschreiben dieses Verwaltungssekretärs an den Juristischen Dienst des Parlaments vom 23. April 1991, in dem es heisst: "1. Die von M. Tonelotto besuchte Einführungsvorlesung in die philosophische Forschung umfasste 30 Stunden. 2. Was der Betroffene vor seiner Zulassung zum Bakkalaureat-Studium studiert hat, ist mir nicht bekannt. Er hat aber mit Sicherheit studiert, da dies die conditio sine qua non für die Zulassung zu diesem Studienjahr war, und wird Sie sicherlich darüber informieren können. 3. Die betreffende Vorlesung gehörte zu einer Einheit ° dem Programm dieses Studienjahres des ersten Zyklus °, es gab aber keine eigentliche Prüfung in Einführung in die philosophische Forschung. Der erfolgreiche Abschluß des gesamten Bakkalaureat-Programms war Voraussetzung für den Zugang zum Philosophiestudium des Studiengangs 'Licence' . 4. Herrn Tonelotto wurde am 13. Juli 1970 der Grad 'Licence' in Philosophie (zweiter Zyklus) verliehen." Aus den Erläuterungen des Beklagten ergibt sich ausserdem, daß in Belgien die Hochschulausbildung in Philosophie seinerzeit zwei Studienjahre umfasste, die mit dem Bakkalaureat in Philosophie abgeschlossen wurden, das wiederum Voraussetzung für den Zugang zu zwei weiteren, mit der "Licence" in Philosophie abzuschließenden Studienjahren war. Das von M. Tonelotto vorgelegte Zeugnis betrifft eines der Fächer des Programms für das zweite Studienjahr des Bakkalaureats in Philosophie.

17 Die Klägerin hat sich hierzu am 17. Februar 1992 geäussert.

18 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Vierte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

19 Die Vertreter der Parteien haben in der Sitzung vom 18. März 1992 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet:

Anträge der Parteien

20 Die Klägerin beantragt,

° die Klage für zulässig und begründet zu erklären;

° die stillschweigende Entscheidung über die Zurückweisung ihrer Beschwerde vom 7. November 1990 und, soweit erforderlich, deren ausdrückliche Zurückweisung vom 13. Juni 1991 für nichtig zu erklären;

° die Verfügung des Parlaments vom 11. September 1990, mit der M. Tonelotto auf die Planstelle eines Hauptverwaltungsrats (Laufbahn A 5/4) in der Generaldirektion Forschung, Dienststelle "Bibliothek", befördert wurde, für unbegründet zu erklären und daher aufzuheben;

° die erfolgte Beförderung, soweit erforderlich, aufzuheben;

° dem Beklagten sämtliche Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

21 Der Beklagte beantragt,

° die Klage als unbegründet abzuweisen;

° über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

Zur Zulässigkeit

22 Der Beklagte hat eine förmliche prozeßhindernden Einrede nicht erhoben, in der mündlichen Verhandlung jedoch die Frage der Zulässigkeit aufgeworfen. Diese Frage hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, weil sie mit dem Rechtsschutzinteresse der Klägerin zusammenhängt.

Vorbringen der Parteien

23 Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, die Klägerin, die kein Bibliothekardiplom habe und damit die Voraussetzung der Ausschreibung der streitigen Planstelle nicht erfuelle, sei nicht befugt, die Ernennung von M. Tonelotto anzufechten. Selbst wenn auch dessen Qualifikationen nicht den Anforderungen der Ausschreibung entsprechen sollten, könne sich die Klägerin darauf nicht berufen, da ihre eigene Bewerbung auf keinen Fall Erfolg haben könne.

24 Die Klägerin räumt ein, kein Bibliothekardiplom zu besitzen, bestreitet aber zugleich, daß der ernannte Bewerber ein Diplom besitze, das den Anforderungen der Ausschreibung entspreche. Zu den Ausführungen des Parlaments zum angeblichen Fehlen ihres Rechtsschutzinteresses hat sie nicht besonders Stellung genommen.

Würdigung durch das Gericht

25 Wie der Gerichtshof mehrfach entschieden hat, ist "die Anfechtungsklage eines Teilnehmers an einem Auswahlverfahren gegen die Entscheidung, einen anderen Bewerber auf der zu besetzenden Planstelle zu ernennen, zulässig" (Urteil vom 16. Oktober 1984 in der Rechtssache 257/83, Williams/Rechnungshof, Slg. 1984, 3547, Randnr. 11), doch ist ein Beamter "nicht befugt ..., im Interesse des Gesetzes oder der Organe tätig zu werden", und er kann zur Stützung der Klage auf Anfechtung einer Rechtshandlung nur "ihn persönlich betreffende Beschwerdepunkte" geltend machen (Urteile vom 30. Juni 1983 in der Rechtssache 83/82, Schloh/Rat, Slg. 1983, 2105, und vom 21. Januar 1987 in der Rechtssache 204/85, Stroghili/Rechnungshof, Slg. 1987, 389, Randnr. 9). Der Gerichtshof hat ausserdem festgestellt, daß "als beschwerende Maßnahmen nur solche angesehen werden können, die die Rechtsstellung der Betroffenen unmittelbar und sofort berühren" (Urteil Stroghili a. a. O), wobei diese Prüfung nicht abstrakt, sondern unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers zu erfolgen hat (Urteil vom 12. Dezember 1967 in der Rechtssache 15/67, Bauer/Kommission, Slg. 1967, 530).

26 Nach Auffassung des Gerichts hat die Klägerin ein Rechtsschutzinteresse. Der Generaldirektor für Wissenschaft hat nämlich in seiner Note vom 3. Juli 1991 an den Generalsekretär des Parlaments (siehe Randnr. 14 dieses Urteils) festgestellt, daß von den Bewerbungen, die auf die Veröffentlichung der Stellenausschreibung eingegangen und nach den Beförderungsbestimmungen berücksichtigt werden konnten, sowohl die Bewerbung der Klägerin als auch die von M. Tonelotto ° und nur diese ° eine "vertiefte Prüfung" verdienten.

27 Wäre gleichwohl davon auszugehen, daß weder die Klägerin, wie der Beklagte im Verfahren vor dem Gericht vorgetragen hat, noch M. Tonelotto, wie die Klägerin vorgetragen hat, mangels des geforderten Diploms auf die ausgeschriebene Planstelle hätten ernannt werden können, so hätte das Auswahlverfahren nicht mit einer Ernennung beendet werden können. In diesem Fall hätte die Verwaltung die Möglichkeit gehabt, zur Besetzung der betreffenden Stelle eine neue Stellenausschreibung bekanntzugeben, deren Erfordernisse von denen der ursprünglichen Ausschreibung hätten abweichen können (Urteil des Gerichtshofes vom 30. Oktober 1974 in der Rechtssache 188/73, Grassi/Rat, Slg. 1974, 1099). Auf diese Möglichkeit scheint der Generaldirektor für Wissenschaft in seiner Note vom 3. Juli 1991 angespielt zu haben, als er sich bereit erklärte, einen "neuen Ausschreibungsentwurf" vorzulegen, also eine neue Stellenausschreibung für den Fall, daß bezueglich der Auslegung eines der Erfordernisse der Ausschreibung, nämlich des Bibliothekardiploms, weiterhin Zweifel bestanden hätten. Die Verwaltung hätte auch die Möglichkeit gehabt, das Verfahren zur Besetzung der freien Planstelle unter Berücksichtigung der in Artikel 29 des Statuts festgelegten Reihenfolge fortzusetzen.

28 Auf jeden Fall hat die Klägerin unter diesen Umständen ein berechtigtes, konkretes und gegenwärtiges Interesse daran, die Ernennung von M. Tonelotto anzufechten, damit ihre Befähigung erneut mit der dieses Bewerbers verglichen werden kann.

Zur Begründetheit

29 Die Klägerin stützt ihre Anträge auf vier Klagegründe. Der erste betrifft die Verletzung des Artikels 45 des Statuts, der zweite die Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der dritte die Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes und der vierte einen Verstoß gegen Artikel 24 des Statuts.

° Zum ersten und zum zweiten Klagegrund: Verletzung des Artikels 45 des Statuts und des Grundsatzes der Gleichbehandlung

Vorbringen der Parteien

30 Mit ihrem ersten Klagegrund rügt die Klägerin, daß sowohl die Verfügung des Präsidenten des Parlaments vom 11. September 1990 als auch die stillschweigende und die ausdrückliche Zurückweisung ihrer Beschwerde Artikel 45 Absatz 1 des Statuts verletzten. Dieser Klagegrund gliedert sich in zwei Teile; mit dem ersten wird ein Verfahrensfehler, mit dem zweiten ein offensichtlicher Fehler gerügt.

31 Mit dem ersten Teil dieses Klagegrundes rügt die Klägerin, daß das Beförderungsverfahren einen Verfahrensfehler aufweise. Während das Verfahren noch im Gang gewesen sei und noch keine Entscheidung über die Besetzung der streitigen Planstelle vorgelegen habe, hätten zwei im Juni und Juli 1990 innerhalb der Generaldirektion für Wissenschaft verbreitete Organisationspläne den Namen von M. Tonelotto als den des erfolgreichen Bewerbers aufgeführt (vgl. Randnr. 7 dieses Urteils).

32 Solche amtlichen Informationen zeigten in aller Deutlichkeit das Vorliegen von Unregelmässigkeiten. Ohne einen Hinweis, daß die betreffende Planstelle frei und ein Einstellungsverfahren im Gang sei, müssten solche Veröffentlichungen zu der Annahme führen, daß eine Ernennungsentscheidung vor Abschluß des im Statut vorgesehenen Verfahrens getroffen worden sei.

33 Der Beklagte entgegnet, die Prüfung der Bewerbungen, die hätten berücksichtigt werden können, habe ergeben, daß nur M. Tonelotto ein Hochschuldiplom als Bibliothekar vorgelegt habe, worauf seine Ernennung vorgeschlagen worden sei. Aus diesem Grund trage der erste Organisationsplan den Vermerk "Aushang A 5 (2. April)" und der zweite den Vermerk "Vorschlag A 5 03/05/90". Ausserdem seien diese Organisationspläne nur interne Schriftstücke und keine Verwaltungsakte. Auch wenn der Name des vorgeschlagenen und dann ernannten Bewerbers dort genannt sei, könne dies der endgültigen Entscheidung nicht vorgreifen, die allein der Anstellungsbehörde zustehe. Gegenüber dem Beklagten möge eine solche Vorgehensweise "taktlos" sein, es könne hierin aber kein Beweis für einen Verfahrensfehler gesehen werden.

34 Zu dem mit dem zweiten Teil des Klagegrundes gerügten offensichtlichen Irrtum trägt die Klägerin vor, die Anstellungsbehörde verfüge zwar bei Beförderungen über ein weites Ermessen, habe davon aber im vorliegenden Fall keinen ordnungsgemässen Gebrauch gemacht, da sie keine eingehende Prüfung auf der Grundlage zutreffender Tatsachen vorgenommen habe. Andernfalls hätte die Berücksichtigung ihres Dienstalters als Bibliothekarin und ihrer Verdienste zu einem für sie günstigeren Ergebnis führen müssen.

35 Ihr Vorbringen werde durch das an sie gerichtete Schreiben des Generalsekretärs des Parlaments vom 13. Juni 1991 bestätigt, in dem dieser einräume, daß es "den Anschein [hat], als seien bei dieser Prüfung einige Aspekte, die bestimmte Bewerbungen für diese Planstelle betreffen, nicht angemessen gewürdigt worden".

36 Die Verwaltung habe zu prüfen, ob der beförderte Bewerber die in der Stellenausschreibung geforderten Voraussetzungen erfuelle. Selbst wenn man davon ausgehe, daß der beförderte Bewerber das im vorliegenden Fall geforderte Bibliothekardiplom besitze, sei, wie Generalanwältin Rozès in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache 280/81 (Urteil vom 17. März 1983, Hoffmann/Kommission, Slg. 1983, 889, 907) ausgeführt habe, bei einer zehn Jahre nach Erlangung eines Diploms erfolgten Beförderung der Wert dieses Diploms nur zweitrangig, wenn nicht sogar bedeutungslos, und müssten andere Faktoren, wie etwa das allgemeine Leistungsniveau in den letzten Jahren vor dem Beförderungsverfahren, bei der Bewertung der Verdienste der Bewerber sehr viel schwerer wiegen.

37 In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ausgeführt, ihre Zweifel, die sie in ihren Schriftsätzen geäussert habe ° daß nämlich der beförderte Bewerber kein Hochschuldiplom als Bibliothekar gehabt habe °, seien durch die vom Beklagten auf Ersuchen des Gerichts vorgelegten Schriftstücke bestätigt worden. Das Schriftstück, das der Beklagte als das in der Ausschreibung geforderte Diplom angesehen habe, sei lediglich ein Zeugnis, das bestätige, daß der Betreffende eine Prüfung in einem der zum Programm des Bakkalaureats in Philosophie gehörenden Fächer erfolgreich abgelegt habe. Eine solche Auslegung laufe darauf hinaus, daß alle Studenten, die erfolgreich Prüfungen ihrer Kenntnisse in den einzelnen zum Studienprogramm einer "Licence" gehörenden Fächern abgelegt hätten, Inhaber von Universitätsdiplomen in all diesen Fächern sein müssten.

38 Der Beklagte ist allgemein der Auffassung, daß die von der Klägerin geltend gemachten Klagegründe die von der Anstellungsbehörde unter den Beförderungsanwärtern getroffene Auswahl und damit ihr Urteil über deren Verdienste in Frage stellen sollten; dieses Urteil stehe aber nach ständiger Rechtsprechung in ihrem alleinigen Ermessen.

39 Zu der vom Generalsekretär des Parlaments in seinem Schreiben vom 13. Juni 1991 an die Klägerin angesprochenen Schwierigkeit führt der Beklagte aus, nach der Veröffentlichung der betreffenden Stellenausschreibung sei deutlich geworden, daß von den sechs Personen, deren Bewerbungen nach den Beförderungsvorschriften hätten berücksichtigt werden können, nur M. Tonelotto zugleich das geforderte Diplom und die geforderte Berufserfahrung gehabt habe. Er sei daher vorgeschlagen und auf die Planstelle ernannt worten. Bei einer späteren Überprüfung habe sich jedoch gezeigt, daß der Wert dieses Diploms zweifelhaft sei, und hierzu seien einander widersprechende Standpunkte vertreten worden. Dieses Problem habe aber, wie der Generalsekretär in seinem Schreiben vom 13. Juni 1991 erklärt habe, nichts mit der Beurteilung der Bewerbung der Klägerin zu tun gehabt.

40 Zum Wert des Diploms von M. Tonelotto hat sich der Beklagte in Beantwortung einer Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung auf die Erklärung beschränkt, die Diskussionen, die diese Frage ausgelöst habe, seien in den zu den Akten gereichten Schriftstücken festgehalten; die Verwaltung habe sogar die Universität, die dieses Diplom ausgestellt habe, befragt und möglicherweise auch ihre Vorbehalte gegenüber diesem Diplom aufrechterhalten.

41 Zur Stützung ihres zweiten Klagegrundes, mit dem sie die Verletzung des Gleichheitssatzes rügt, verweist die Klägerin auf Artikel 5 Absatz 3 des Statuts, der bestimme: "Für Einstellung und dienstliche Laufbahn der Beamten der gleichen Laufbahngruppe oder der gleichen Sonderlaufbahn gelten jeweils die gleichen Voraussetzungen." Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes dürften nach dem Gleichheitssatz gleiche Situationen nicht unterschiedlich und unterschiedliche Situationen nicht gleichbehandelt werden, falls nicht die abweichende Behandlung tatsächlich gerechtfertigt sei. Das beklagte Parlament habe die Verdienste der Bewerber nicht auf gleicher Grundlage und unter Berücksichtigung vergleichbarer Informationsquellen und Auskünfte abgewogen, so daß nicht alle Bewerber gleichbehandelt worden seien.

42 Ihre Verdienste seien höher zu veranschlagen als die von M. Tonelotto, weil sie ein höheres Dienstalter in der Laufbahngruppe A habe und ein Jahr vor ihm nach Besoldungsgruppe A 6 befördert worden sei. Seit 1984 habe sie Dienstaufgaben mit hoher Verantwortung wahrgenommen, da sie sowohl für die Koordinierung aller Bibliotheksstellen des Parlaments in Luxemburg als auch für die Verwaltung der Aussenstelle der Bibliothek des Parlaments in Brüssel verantwortlich gewesen sei. Die Aufgaben von M. Tonelotto hingegen hätten sich auf den Erwerb und die Katalogisierung von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen sowie auf Fragen im Zusammenhang mit dem Informatiksystem beschränkt.

43 Ausserdem sei es bezeichnend, daß in der besagten Stellenausschreibung auf einmal ein Bibliothekardiplom zur Erfuellung von Aufgaben gefordert worden sei, die sie seit neun Jahren erledigt habe. Dieses neue Erfordernis stelle eine Ungleichbehandlung dar, die nur zu einer Benachteiligung bestimmter Beamter im Verhältnis zu anderen habe führen können.

44 Der Beklagte verweist erneut darauf, daß die Anstellungsbehörde bei der Abwägung der Verdienste von Beförderungsanwärtern über ein Ermessen verfüge, dessen Ausübung nur bei einem offensichtlichen Fehler oder einer Verletzung von Verfahrensregeln beanstandet werden könne, die aber die Klägerin nicht nachgewiesen habe. Zu der angeblichen Diskriminierung der Klägerin gegenüber anderen Kollegen vertritt der Beklagte die Auffassung, im vorliegenden Fall lasse sich dem Sachverhalt keine Verletzung des Gleichheitssatzes entnehmen.

Würdigung durch das Gericht

45 Zu dem mit dem ersten Teil des ersten Klagegrunds gerügten Verfahrensfehler vertritt das Gericht die Auffassung, daß die im Juni und Juli veröffentlichten Organisationspläne der Generaldirektion Wissenschaft für sich betrachtet keinen Verfahrensfehler beweisen, auch wenn es, wie der Beklagte eingeräumt hat, bedauerlich ist, daß der Name eines Bewerbers um eine Planstelle vor dessen Ernennung in einem Organisationsplan auftaucht. Zunächst ist ein Organisationsplan ein internes Schriftstück, das nicht die Merkmale eines Verwaltungsakts aufweist, keine Rechtswirkungen erzeugt und ausschließlich Informationszwecken dient. Sodann verwies im vorliegenden Fall der Organisationsplan des Monats Juni auf die Stellenausschreibung vom 2. April 1990 und der vom Monat Juli auf das Vorliegen eines Beförderungsvorschlags. Aus diesen Schriftstücken ergab sich somit, daß ein Verfahren zur Besetzung der betreffenden Planstelle im Gange war. Mithin erbringt entgegen der Behauptung der Klägerin der blosse Umstand, daß die Pläne in dieser Form verteilt wurden, bevor die Entscheidung der Ernennung von M. Tonelotto bekanntgegeben war, nicht den Beweis, daß diese Entscheidung in Wirklichkeit bereits gefallen war, ohne daß ein ordnungsgemässes Beförderungsverfahren mit seinen einzelnen Stufen eingehalten worden wäre.

46 Der Klagegrund ist daher in seinem ersten Teil zurückzuweisen.

47 Zum zweiten Teil des Klagegrundes, mit dem ein offensichtlicher Fehler gerügt wird, weist das Gericht erstens darauf hin, daß nach einer umfangreichen Rechtsprechung die Anstellungsbehörde bei der Bewertung des dienstlichen Interesses und der im Rahmen einer Beförderungsentscheidung nach Artikel 45 des Statuts zu berücksichtigenden Verdienste über einen weiten Ermessensspielraum verfügt und daß sich die Nachprüfung durch den Gemeinschaftsrichter auf diesem Gebiet auf die Frage zu beschränken hat, ob die Verwaltung, nach der Art und Weise zu urteilen, wie sie zu ihrer Entscheidung gelangt ist, die Grenzen des Zulässigen überschritten hat und bei der Ausübung ihres Ermessens einen offensichtlichen Fehler begangen hat (Urteil des Gerichtshofes vom 23. Oktober 1986 in der Rechtssache 26/85, Vaysse/Kommission, Slg. 8631, S. 31). Die Ausübung dieser Ermessensbefugnis der Anstellungsbehörde verlangt eine sorgfältige Prüfung der Personalakten und eine gewissenhafte Beachtung der in der Stellenausschreibung genannten Anforderungen (Urteil des Gerichtshofes vom 30. Oktober 1974 in der Rechtssache 188/73, Grassi/Rat, Slg. 1974, 1099), weil das Gegenstück dieses Ermessens die Verpflichtung der Verwaltung ist, die Situation aufgrund zutreffender Tatsachen eingehend zu prüfen (Urteil des Gerichtshofes vom 21. Januar 1987 in der Rechtssache 219/84, Powell/Kommission, Slg. 1987, 339).

48 Zweitens ist es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der wesentliche Zweck der Stellenausschreibung, Interessenten so genau wie möglich über die Art der für die fragliche Stelle notwendigen Voraussetzungen zu unterrichten. Die Stellenausschreibung bildet somit einen rechtlichen Rahmen, den sich die Anstellungsbehörde selbst gesetzt hat. Stellt sie erst im nachhinein fest, daß die in der Stellenausschreibung aufgestellten Voraussetzungen über das hinausgehen, was das dienstliche Interesse erfordert, so steht es ihr frei, das Beförderungsverfahren zu wiederholen, indem sie die ursprüngliche Ausschreibung aufhebt und durch eine berichtigte Ausschreibung ersetzt (Urteile Grassi, a. a. O., und vom 7. Februar 1990 in der Rechtssache C-343/87, Culin/Kommission, Slg. 1990, I-225).

49 Zu der Frage, ob der ausgewählte Bewerber im vorliegenden Fall die Voraussetzungen der Stellenausschreibung erfuellte, ist zunächst festzustellen, daß in dieser Ausschreibung "Abgeschlossenes Hochschulstudium" und ein "Hochschuldiplom als Bibliothekar" gefordert waren. Das Gericht ist der Auffassung, daß angesichts der eigentlichen Bedeutung des Ausdrucks "Diplom" und der Formulierung der zweiten Voraussetzung im Vergleich zur ersten ° die sich eindeutig auf den Abschluß eines vollständigen Hochschulstudiums bezieht ° das Erfordernis "Hochschuldiplom als Bibliothekar" nicht so ausgelegt werden kann, daß darunter ausschließlich ein Abschlußzeugnis eines Hochschulstudiums als Bibliothekar verstanden werden kann.

50 Das Gericht ist jedoch der Auffassung, daß das von M. Tonelotto vorgelegte Schriftstück nicht die Voraussetzungen dafür erfuellt, daß es als ein "Hochschuldiplom als Bibliothekar" betrachtet werden kann. Aus dem vom Präsidenten des "Institut supérieur de philosophie" der Katholischen Universität Louvin unterzeichneten Zeugnis vom 13. Juli 1970, aus der vom Verwaltungssekretär dieses Instituts unterzeichneten Bescheinigung vom 21. März 1991 sowie aus dessen Schreiben vom 23. April 1991, die allesamt dem Gericht vorgelegt worden sind (vgl. Randnr. 16 dieses Urteils), ergibt sich, daß es sich bei dem von M. Tonelotto vorgelegten Schriftstück um ein Zeugnis handelt, das bestätigt, daß der Betreffende eine Prüfung seiner Kenntnisse in einem Fach (Einführung in die philosophische Forschung) bestanden hat, das in einer dreissigstuendigen Vorlesung gelehrt wurde und zum Programm des Bakkalaureat-Studiums der Philosophie gehört, dessen Abschluß wiederum Voraussetzung für den Zugang zu einem Studium der Philosophie mit dem Abschluß der "Licence" ist. Wie die Klägerin zu Recht geltend gemacht hat, würde die Gleichstellung eines solchen Zeugnisses mit einem Hochschuldiplom als Bibliothekar, wie sie der Beklagte vorgenommen hat, darauf hinauslaufen, die Studenten, die die Prüfungen ihrer Kenntnisse in den einzelnen zu ihrem Studienprogramm gehörenden Fächern bestanden haben, als Inhaber von Hochschuldiplomen in all diesen Fächern anzusehen.

51 Somit hat die Anstellungsbehörde mit der Annahme, M. Tonelotto erfuelle die Voraussetzungen der Stellenausschreibung, so wie sie veröffentlicht war, die Grenzen überschritten, die sie sich selbst bezueglich ihrer Auswahlmöglichkeiten gezogen hatte und die sie nicht überschreiten durfte. Da die Anstellungsbehörde die ursprüngliche Stellenausschreibung nicht zurückgenommen und durch eine neue Ausschreibung mit ausdrücklich geänderten Voraussetzungen ersetzt hat, hätte sie die Bewerbung von M. Tonelotto zurückweisen müssen.

52 Nach Auffassung des Gerichts ergibt sich schon aus diesen Feststellungen, daß die Abwägung der Verdienste der Bewerber einen offensichtlichen Fehler aufweist. Das Gericht stellt ausserdem fest, daß die Note des Generaldirektors für Wissenschaft an den Generalsekretär des Parlaments vom 8. April 1991 (vgl. Randnr. 10 dieses Urteils) in der abschließenden Zusammenfassung der Laufbahn der Klägerin einen Widerspruch enthält. In dieser Zusammenfassung heisst es, daß die Klägerin drei Jahre lang die Dienststelle "Pressedokumentation", dann die "Presseauswertung" und schließlich fünf Jahre lang die Bibliothek/Dokumentation in Brüssel verwaltet habe. Die Angabe bezueglich dieser fünf Jahre ist richtig. Die Angaben für die vorausgegangenen drei Jahre stimmen dagegen nicht mit der Laufbahn der Klägerin überein, wie sie in derselben Note und vom Beklagten in seiner Klagebeantwortung dargestellt wird. Aus dieser Darstellung ergibt sich nämlich, daß die Klägerin von Oktober 1982 bis Juni 1985 Leiterin der Abteilung "Presseauswertung, Bibliothek, Auskünfte und Verwaltung" und vom 24. September 1984 an, da ein Abteilungsleiter fehlte, für die allgemeine Koordinierung aller Bibliotheksdienste des Parlaments einschließlich derjenigen verantwortlich war, für die M. Tonelotto seit seinem Dienstantritt in der Bibliothek zuständig war. Dieser Widerspruch ist ein Indiz, das Zweifel aufkommen lässt, ob die Prüfung der Akten der Bewerber mit der Sorgfalt und der Genauigkeit durchgeführt worden ist, die die Rechtsprechung von der Anstellungsbehörde bei der Ausübung ihres Ermessens bei Beförderungen verlangt.

53 Aus alledem folgt, daß der erste Klagegrund in seinem zweiten Teil und der zweite Klagegrund durchgreifen.

° Zum dritten Klagegrund: Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes

Vorbringen der Parteien

54 Der Begriff des Vertrauensschutzes bedeutet der Klägerin zufolge, daß der Beamte sich auf eine ständige Praxis der Verwaltungsbehörde verlassen dürfe, so daß er eine Ermessensausübung unter gleichen Bedingungen beanspruchen könne. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes könne die Verwaltungsbehörde nicht willkürlich von einer früheren Praxis abweichen, ohne dies zu begründen, weil sie sonst gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstosse. Angesichts der beruflichen Aufgaben, die sie seit Oktober 1982 wahrgenommen habe, habe sie auf eine für sie günstige Entscheidung der Anstellungsbehörde ihrer Bewerbung vertrauen dürfen.

55 Nach Auffassung des Beklagten ist die streitige Frage für eine Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht geeignet. Dieser Grundsatz könne in einem Rechtsstreit, in dem es lediglich um die Abwägung der Verdienste zweier beförderungswürdiger Beamter gehe, nicht herangezogen werden.

Würdigung durch das Gericht

56 Das Gericht weist darauf hin, daß das Recht auf Vertrauensschutz jedem zusteht, bei dem die Verwaltung begründete Erwartungen geweckt hat (Urteil des Gerichtshofes vom 19. Mai 1983 in der Rechtssache 289/91, Mavridis/Parlament, Slg. 1983, 1731). Im vorliegenden Fall ist festzustellen, daß Zusagen oder Versicherungen, die bei der Klägerin begründete Erwartungen auf eine Beförderung hätten wecken können, von seiten der Verwaltung nicht abgegeben worden sind und auch nicht hätten abgegeben werden können, da eine Beförderung ausschließlich aufgrund einer Auswahl nach sorgfältiger Prüfung der Verdienste der Bewerber durch die Anstellungsbehörde erfolgt.

57 Dieser Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

° Zum vierten Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 24 des Statuts

Vorbringen der Parteien

58 Ohne diesen Klagegrund näher auszuführen, bringt die Klägerin vor, sie habe entgegen Artikel 24 Absätze 3 und 4 des Statuts von ihrem Gemeinschaftsorgan nicht den erforderlichen Beistand erhalten.

59 Dem Beklagten zufolge kann im vorliegenden Fall von einer Verletzung der Beistandspflicht keine Rede sein.

Würdigung durch das Gericht

60 Nach ständiger Rechtsprechung ist Gegenstand der Beistandspflicht nach Artikel 24 des Statuts die Verteidigung des Beamten durch das Gemeinschaftsorgan gegen Angriffe Dritter, nicht aber gegen Handlungen des Organs selbst, für deren Überprüfung andere Bestimmungen des Statuts gelten (Urteile des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 178/80, Bellardi-Ricci/Kommission, Slg. 1981, 3187; vom 25. März 1982 in der Rechtssache 98/81, Munk/Kommission, Slg. 1982, 1155, und vom 9. Dezember 1982 in der Rechtssache 191/81, Plug/Kommission, Slg. 1982, 4229). Die Klägerin beruft sich aber gerade gegenüber einer Entscheidung des eigenen Gemeinschaftsorgans auf Artikel 24 des Statuts.

61 Ausserdem bezieht sich Artikel 24 Absätze 3 und 4 des Statuts, auf den sich die Klägerin beruft, auf die Pflicht der Gemeinschaften, die berufliche Fortbildung der Beamten zu erleichtern, soweit dies mit dem reibungslosen Arbeiten ihrer Dienststellen vereinbar ist, und diese Fortbildung für das Aufsteigen innerhalb der Laufbahn zu berücksichtigen. Nach Meinung des Gerichts hat das im vorliegenden Fall aufgeworfene Problem nichts mit diesen Bestimmungen zu tun, die somit auch nicht verletzt worden sind.

62 Demnach ist der vierte Klagegrund zurückzuweisen.

Kostenentscheidung


Kosten

63 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Beklagte mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Entscheidung des Europäischen Parlaments vom 11. September 1990, mit der M. Tonelotto im Anschluß an die Stellenausschreibung Nr. 6262 im Wege der Beförderung auf die Planstelle eines Hauptverwaltungsrats in der Generaldirektion Wissenschaft, Dienststelle "Bibliothek", ernannt wurde, wird aufgehoben.

2) Der Beklagte trägt die gesamten Kosten des Verfahrens.

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