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Document 62023CC0248

    Schlussanträge der Generalanwältin T. Ćapeta vom 6. Juni 2024.


    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:464

     SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

    TAMARA ĆAPETA

    vom 6. Juni 2024 ( 1 )

    Rechtssache C‑248/23

    Novo Nordisk AS

    gegen

    Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága

    (Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Törvényszék [Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn])

    „Vorabentscheidungsersuchen – Besteuerung – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 90 Abs. 1 – Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage – Nationale Steuerregelung, nach der gesetzlich vorgeschriebene Beiträge, die ein pharmazeutisches Unternehmen an den staatlichen Krankenversicherungsträger leistet, nicht die Steuerbemessungsgrundlage vermindern – Preisnachlass“

    I. Einführung

    1.

    „Oh, save me, save me, save me from this squeeze.“ (Oh, helft mir, helft mir, helft mir aus dieser Klemme.) ( 2 )

    2.

    In der Tat geht es in der vorliegenden Rechtssache um Steuern, genauer gesagt um die Umsatzsteuer. Die Rechtssache ist beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) anhängig, das den Gerichtshof um die Auslegung von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ( 3 ) ersucht hat, wonach eine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage möglich ist, wenn nach der Bewirkung des Umsatzes ein Preisnachlass stattfindet.

    3.

    Der Rechtsstreit entstand zwischen der Novo Nordisk AS (im Folgenden: Novo Nordisk), einem pharmazeutischen Unternehmen, das den ungarischen Markt mit Arzneimitteln beliefert, und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága (Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn; im Folgenden: Rechtsbehelfsdirektion), die den Antrag von Novo Nordisk auf nachträgliche Verminderung der auf den Umsatz mit bezuschussten Arzneimitteln entrichteten Umsatzsteuer ablehnte.

    4.

    Der Gerichtshof wird um Auslegung hinsichtlich der Frage ersucht, ob bestimmte nach ungarischem Recht vorgeschriebene Zahlungen, die auf der Grundlage des Preises bezuschusster Arzneimittel berechnet werden, einem Preisnachlass oder einer Steuer gleichzustellen sind. Sofern es sich um einen Preisnachlass handelt, wäre die Steuerbemessungsgrundlage nach Maßgabe von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie zu vermindern. Ist diese Zahlung hingegen als Steuer zu werten, hat Novo Nordisk keinen Anspruch auf eine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage zu Umsatzsteuerzwecken.

    II. Vorgeschichte des Ausgangsverfahrens, Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof

    5.

    In Ungarn erfolgt der Vertrieb von Arzneimitteln im Einzelhandel über Apotheken. Diese versorgen sich bei Großhändlern, die sich wiederum bei Arzneimittelvertriebsunternehmen versorgen.

    6.

    Die Arzneimittel können vom Nemzeti Egészségbiztosítási Alapkezelő (Staatlicher Krankenversicherungsträger, Ungarn; im Folgenden: NEAK) bezuschusst werden, der dann ein sogenanntes Preiszuschusssystem anwendet. Nach diesem System gewährt der NEAK im Rahmen ambulanter Behandlungen einen Kaufpreiszuschuss für rezeptpflichtige Arzneimittel, der von der Sozialversicherung übernommen wird. Die Zahlung des Preises für das bezuschusste Arzneimittel wird anschließend zwischen dem NEAK und dem Patienten aufgeteilt. Der Patient zahlt an die Apotheke einen Betrag, die „Erstattungsgebühr“, die der Differenz zwischen dem Preis des Arzneimittels und dem vom NEAK gezahlten Zuschussbetrag entspricht. Der NEAK vergütet der Apotheke nachträglich diesen Zuschussbetrag. Der Arzneimittelpreis, den die Apotheken erhalten und der die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer ist, hat somit zwei Komponenten, nämlich den Zuschuss des NEAK und die vom Patienten gezahlte „Erstattungsgebühr“. Die Apotheke ist also verpflichtet, sowohl auf den vom Patienten als auch auf den vom NEAK gezahlten Betrag Umsatzsteuer zu entrichten.

    7.

    Novo Nordisk, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, ist eine in Dänemark eingetragene Gesellschaft, die in Ungarn Arzneimittel herstellt und vertreibt.

    8.

    Sie gehört zusammen mit der Novo Nordisk Hungária Kft. einer Unternehmensgruppe an, die mit dem NEAK in eigenem Namen und für Novo Nordisk Verträge über das Sortiment der bezuschussten Produkte und das Zuschussvolumen schloss (im Folgenden: Zuschussvolumenverträge). Gemäß diesen Verträgen ging Novo Nordisk die Verpflichtung ein, einen Betrag, der sich nach der Verkaufsmenge der von der Sozialversicherung bezuschussten Arzneimittel richtete, an den NEAK zu zahlen (im Folgenden: in Zuschussvolumenverträgen festgelegte Zahlungspflicht), wofür sie einen Teil der Einnahmen aus dem Verkauf dieser Arzneimittel verwendete.

    9.

    Neben den Zuschussvolumenverträgen ist Novo Nordisk gemäß § 36 Abs. 1 und § 40/A Abs. 1 des A biztonságos és gazdaságos gyógyszer- és gyógyászatisegédeszköz-ellátás, valamint a gyógyszerforgalmazás általános szabályairól szóló 2006. évi XCVIII. törvény (Gesetz Nr. XCVIII von 2006 über die allgemeinen Regeln der sicheren und wirtschaftlichen Versorgung mit Arzneimitteln und medizinischen Hilfsmitteln sowie des Arzneimittelvertriebs; im Folgenden: Arzneimittelvertriebsgesetz) zur Leistung zusätzlicher Zahlungen in Höhe von 20 % bzw. 10 % für einen „Teil … der … Sozialversicherungsstützung“ für Arzneimittel, die von ihr über Apotheken verkauft und in irgendeiner Form öffentlich bezuschusst wurden, verpflichtet (im Folgenden: gesetzliche Zahlungspflicht).

    10.

    In der Vorlageentscheidung führt das vorlegende Gericht aus, dass Novo Nordisk mit der Erfüllung der gesetzlichen Zahlungspflicht nach dem Verkauf der Produkte auf einen Teil der vom Großhändler erhaltenen Gegenleistung, d. h. auf einen Teil des von ihr erzielten Umsatzes, verzichtet. Ob die gesetzliche Zahlungspflicht greift und wie hoch der zu zahlende Gesamtbetrag ausfällt, hängt daher von der Menge der verkauften bezuschussten Arzneimittel und der Höhe des Sozialversicherungszuschusses ab. Genauer gesagt basiert der nach § 36 Abs. 1 des Arzneimittelvertriebsgesetzes aufgrund der gesetzlichen Zahlungspflicht zu leistende Betrag auf den „Rezeptumsatzdaten im Berichtsmonat für den zum Erzeugerpreis proportionalen Teil“.

    11.

    Am 16. Juli 2021 reichte Novo Nordisk gemäß § 195 des Az adózás rendjéről szóló 2017. évi CL. törvény (Gesetz Nr. CL von 2017 über die Besteuerungsordnung; im Folgenden: Besteuerungsordnung) eine Eigenrevisionserklärung in Bezug auf die Umsatzsteuer für den Zeitraum vom Januar 2016 bei der ungarischen erstinstanzlichen Steuerbehörde der Rechtsbehelfsdirektion ein. Mit der Eigenrevisionserklärung verminderte Novo Nordisk unter Berufung auf Zahlungen, die sie sowohl aufgrund der mit dem NEAK geschlossenen Zuschussvolumenverträge als auch gemäß § 36 Abs. 1 und § 40/A Abs. 1 des Arzneimittelvertriebsgesetzes geleistet hatte, den im genannten Zeitraum zu entrichtenden Umsatzsteuerbetrag um 7832000 Forint (HUF) (etwa 20353,47 Euro).

    12.

    Die erstinstanzliche Steuerbehörde wies die Eigenrevisionserklärung von Novo Nordisk zurück und lehnte die Verminderung der Bemessungsgrundlage ab. Auf den von Novo Nordisk eingelegten Einspruch, in dem auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Boehringer Ungarn ( 4 ) Bezug genommen wurde, ließ die Rechtsbehelfsdirektion die Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage um die Beträge zu, die aufgrund der in den Zuschussvolumenverträgen festgelegten Zahlungspflicht gezahlt worden waren.

    13.

    Eine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage um die aufgrund der gesetzlichen Zahlungspflicht gezahlten Beträge lehnte die Rechtsbehelfsdirektion hingegen ab. Es handele sich um eine gesetzlich festgelegte Zahlungspflicht, die keinen Preisnachlass, sondern eine Sondersteuer darstelle. Diese Zahlungspflicht ergebe sich nicht aus den Zuschussvolumenverträgen, sondern unmittelbar aus dem Gesetz. Es handele sich daher nicht um einen Preisnachlass, weil der Abschlag nicht vom Arzneimittelhändler an den Endverbraucher weitergereicht werde und weil die Zahlungen hauptsächlich Maßnahmen zur Erreichung von Haushalts- und gesundheitspolitischen Zielen darstellten. Wie bereits erwähnt, sind die gesetzlichen Zahlungspflichten in der Besteuerungsordnung geregelt; die insoweit zu zahlenden Beträge sind an die Steuerbehörde abzuführen und gemäß § 6 Abs. 2 Buchst. a der Besteuerungsordnung als Steuern anzusehen. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens macht daher geltend, bei der gesetzlichen Zahlungspflicht handele es sich um eine Steuer, die aufgrund einer zwingenden Rechtsvorschrift zu entrichten sei und nicht als Preisnachlass angesehen werden könne.

    14.

    Vor diesem Hintergrund hat das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Ist Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, nach der ein pharmazeutisches Unternehmen, das an den staatlichen Krankenversicherungsträger gesetzlich vorgeschriebene Zahlungen aus den Einnahmen leistet, die es mit öffentlich bezuschussten Arzneimitteln erzielt, deshalb nicht zur nachträglichen Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage berechtigt ist, weil die Zahlungen kraft Gesetzes erfolgen, von der Bemessungsgrundlage für die Zahlungspflicht sowohl die im Rahmen eines Zuschussvolumenvertrags geleisteten Zahlungen als auch die vom Unternehmen getätigten Investitionen in Forschung und Entwicklung für den Gesundheitssektor abgezogen werden können und der zu zahlende Betrag von der staatlichen Steuerbehörde eingezogen wird, die ihn unverzüglich an den staatlichen Krankenversicherungsträger weiterleitet?

    15.

    Novo Nordisk, die ungarische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht.

    16.

    In der mündlichen Verhandlung vom 19. März 2024 haben Novo Nordisk, die ungarische Regierung und die Europäische Kommission mündliche Ausführungen gemacht.

    III. Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    17.

    Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

    „Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.“

    Ungarisches Recht

    18.

    § 36 Abs. 1 des Arzneimittelvertriebsgesetzes lautet:

    „Der Zulassungsinhaber des Arzneimittels bzw. – wenn dieser im Inland keine Vertriebstätigkeit verrichtet – aufgrund der mit dem Vertreiber abgeschlossenen und von der staatlichen Steuerbehörde bestätigten Vereinbarung der Vertreiber sowie die einen Antrag auf Sozialversicherungsstützung für Nährmittel einreichende Person bzw. – wenn diese nicht mit dem Vertreiber der Nährmittel identisch ist – der Vertreiber (im Weiteren zusammen im Sinne dieses Abschnitts: Zulassungsinhaber des Arzneimittels) haben für alle ihre öffentlich finanzierten, in Apotheken vertriebenen Arzneimittel und Nährmittel (im Weiteren zusammen im Sinne dieses Abschnitts: Arzneimittel) – mit Ausnahme der Arzneimittel laut § 38 Abs. 1 und der Nährmittel laut einer Rechtsnorm über Nährmittel als Ersatz und Ergänzung von Muttermilch – für den zum Erzeugerpreis oder Importeinkaufspreis (im Weiteren zusammen: Erzeugerpreis) proportionalen Teil (aus Erzeugerpreis und Verbraucherpreis) der sich aufgrund der Rezeptumsatzdaten im Berichtsmonat ergebenden Sozialversicherungsstützung eine Zahlungspflicht von 20 % zu erfüllen. Die Zulassungsinhaber des Arzneimittels haben für alle ihre öffentlich finanzierten, in Apotheken vertriebenen Nährmittel laut einer Rechtsnorm über Nährmittel als Ersatz und Ergänzung von Muttermilch für den zum Erzeugerpreis proportionalen Teil (aus Erzeugerpreis und Verbraucherpreis) der sich aufgrund der Rezeptumsatzdaten im Berichtsmonat ergebenden Sozialversicherungsstützung eine Zahlungspflicht von 10 % zu erfüllen. Die Berechnung der Zahlungspflicht ist pro Erzeugnis und Rechtstitel der Stützung vorzunehmen. Unter der; Sozialversicherungsstützung‘ ist eine die Umsatzsteuer enthaltende (Brutto‑)Stützung, unter dem,Verbraucherpreis‘ der Bruttoverbraucherpreis bzw. unter dem,Erzeugerpreis‘ der die Umsatzsteuer nicht enthaltende (Netto‑)Erzeugerpreis zu verstehen.“

    19.

    Gemäß § 40 dieses Gesetzes überweist die staatliche Steuerbehörde

    „a) die aufgrund von § 36 Abs. 1, 2, 4 und 4a kassierte Summe auf das beim Schatzamt geführte, in einer gesonderten Rechtsnorm festgelegte Konto des Krankenversicherungsfonds [und]

    b) führt die Überweisung unverzüglich nach der Einzahlung aus.“

    20.

    § 40/A des Gesetzes bestimmt:

    „(1)   Der Zulassungsinhaber von Arzneimitteln bzw. – wenn dieser im Inland keine Vertriebstätigkeit verrichtet – aufgrund der mit dem Vertreiber abgeschlossenen und von der staatlichen Steuerbehörde bestätigten Vereinbarung der Vertreiber (im Weiteren zusammen im Sinne dieses Paragrafen: Zulassungsinhaber des Arzneimittels) hat – über die Einzahlung laut § 36 Abs. 1 hinaus – für alle seine seit wenigstens sechs Jahren öffentlich finanzierten und mit einem als Basis der öffentlichen Finanzierung akzeptierten Preis über 1000 HUF in Apotheken vertriebenen Arzneimittel für den zum Erzeugerpreis oder Importeinkaufspreis (im Weiteren zusammen: Erzeugerpreis) proportionalen Teil aus Erzeugerpreis und Verbraucherpreis der sich aufgrund der Rezeptumsatzdaten im Berichtsmonat ergebenden Sozialversicherungsstützung eine Zahlungspflicht von 10 % zu erfüllen, wenn es kein öffentlich finanziertes Präparat mit demselben Wirkstoff, der gleichen Einnahmeform bzw. einem abweichenden Markennamen wie das gegebene Präparat gibt, das von einem anderen Zulassungsinhaber zur Zulassung angemeldet wurde. Die Berechnung der Zahlungspflicht ist pro Erzeugnis und Rechtstitel der Stützung vorzunehmen.

    (4)   Bezüglich der in Abs. 1 festgehaltenen Zahlungspflicht sind die Bestimmungen des Gesetzes über die Steuerverwaltungsordnung und des Gesetzes über die Besteuerungsordnung mit den in diesem Gesetz festgehaltenen Abweichungen anzuwenden.

    (5)   Von der Bestätigung der Vereinbarung zwischen dem Zulassungsinhaber und dem Vertreiber laut Abs. 1 informiert die staatliche Steuerbehörde das Krankenversicherungsorgan innerhalb von acht Tagen nach dem Tag der Bestätigung.

    (6)   Das für die Verwaltung des Krankenversicherungsfonds verantwortliche Krankenversicherungsorgan teilt dem Zahlungspflichtigen die zur Erfüllung der in Abs. 1 festgelegten Zahlungspflicht notwendigen Stützungs- bzw. Umsatzdaten bis zum Zehnten des zweiten Kalendermonats nach dem Berichtsmonat mit bzw. veröffentlicht diese auf seiner Internetseite.

    (7)   Die Zulassungsinhaber von Arzneimitteln reichen bei der staatlichen Steuerbehörde aufgrund der in Abs. 1 festgelegten Zahlungspflicht bis zum Zwanzigsten des dritten Kalendermonats nach dem Berichtsmonat auf einem von der staatlichen Steuerbehörde eingeführten Formular eine Erklärung ein und leisten gleichzeitig eine Zahlung auf das durch die staatliche Steuerbehörde beim Schatzamt extra zu diesem Zweck eröffnete Konto.

    (8)   Gleichzeitig mit der in Abs. 6 festgelegten Datenleistung erfüllt das für die Verwaltung des Krankenversicherungsfonds verantwortliche Krankenversicherungsorgan der staatlichen Steuerbehörde auf elektronischem Wege eine Datenleistung über die zur Kontrolle der Zahlungspflichtigen notwendigen Daten.

    (9)   Die staatliche Steuerbehörde überweist die aufgrund von Abs. 1 kassierte Summe unverzüglich nach der Einzahlung auf das beim Schatzamt geführte, in einer gesonderten Rechtsnorm festgelegte Konto des Krankenversicherungsfonds.“

    IV. Rechtliche Würdigung

    21.

    Die vorliegende Rechtssache erfordert eine Auslegung der Mehrwertsteuerrichtlinie, die es dem vorlegenden Gericht ermöglicht, zu entscheiden, ob es sich bei der nach nationalem Recht erforderlichen Zahlung um einen Preisnachlass handelt, der eine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage zulässt.

    22.

    Vermindert ein Steuerpflichtiger aus irgendeinem Grund den Preis eines von ihm gelieferten Gegenstands oder einer von ihm erbrachten Dienstleistung, kann ein solcher Preisnachlass von der Steuerbemessungsgrundlage abgezogen werden, auf deren Grundlage die Mehrwertsteuer berechnet wird. Preisnachlässe können zum Zeitpunkt der Lieferung angeboten werden; in derartigen Fällen findet Art. 79 der Mehrwertsteuerrichtlinie Anwendung. Preise können jedoch auch nach der Bewirkung des Umsatzes reduziert werden. In diesem Fall sieht Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie eine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage vor. In der vorliegenden Rechtssache geht es um die Anwendbarkeit dieser Bestimmung.

    23.

    Diese Bestimmungen sind Ausdruck eines fundamentalen Grundsatzes der Mehrwertsteuerrichtlinie, nach dem Bemessungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist und aus dem folgt, dass die Steuerverwaltung als Mehrwertsteuer keinen höheren als den dem Steuerpflichtigen gezahlten Betrag erheben darf ( 5 ).

    24.

    Novo Nordisk war nach dem Arzneimittelvertriebsgesetz verpflichtet, dem NEAK einen Betrag zu zahlen, der unmittelbar an die Menge und den Preis der gelieferten Produkte anknüpfte und dessen Leistung nach der Lieferung dieser Produkte erfolgte.

    25.

    Stellt eine solche Zahlung einen Preisnachlass dar, so dass die Steuerbemessungsgrundlage nach Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie um den entsprechenden Betrag zu vermindern ist, oder erfolgt eine solche Zahlung in Erfüllung der Pflicht, eine Sondersteuer abzuführen, und wirkt sich somit nicht auf die Steuerbemessungsgrundlage aus?

    26.

    Meines Erachtens gibt es in der vorliegenden Rechtssache verschiedene Gesichtspunkte, die für den einen oder den anderen Schluss sprechen. Die bestehende Rechtsprechung, insbesondere die Urteile des Gerichtshofs in den Rechtssachen Boehringer Deutschland ( 6 ) und Boehringer Ungarn, liefert einige Anhaltspunkte, kann aber in der vorliegenden Rechtssache keine endgültige Antwort geben.

    27.

    Ich werde folgendermaßen vorgehen: Zunächst werde ich erläutern, warum die in Rede stehende gesetzliche Zahlung als ein Preisnachlass angesehen werden kann (A). Dann werde ich darlegen, warum die streitige Zahlung, auch wenn sie die meisten Elemente einer Sondersteuer aufweist, im vorliegenden Fall nicht als solche einzustufen ist (B). Ich werde dem Gerichtshof daher vorschlagen, im vorliegenden Fall zu entscheiden, dass die fragliche gesetzliche Zahlung als Preisnachlass zu werten ist (C).

    A.   Die streitige gesetzliche Zahlung als Preisnachlass

    28.

    Aus dem Urteil Boehringer Deutschland ergibt sich, dass ein Preisnachlass nicht notwendigerweise freiwillig sein muss, sondern sich auch aus einer gesetzlichen Verpflichtung ergeben kann, um als Preisnachlass im Sinne von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie qualifiziert zu werden ( 7 ).

    29.

    In der Rechtssache Boehringer Deutschland ging es um den Abschlag auf den Arzneimittelpreis, den ein pharmazeutisches Unternehmen kraft Gesetzes einem Unternehmen der privaten Krankenversicherung gewähren musste, das seinen Versicherten die Kosten erstattete. Die Feststellung des Gerichtshofs, dass es sich bei dem Abschlag um einen Preisnachlass im Sinne von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie handelt, beruhte in erster Linie darauf, dass ein pharmazeutisches Unternehmen aufgrund der in Rede stehenden deutschen Rechtsvorschriften nur über einen Betrag verfügen konnte, der dem Preis für den Verkauf der betreffenden Erzeugnisse an Apotheken entsprach, abzüglich dieses Abschlags ( 8 ).

    30.

    Der Umstand, dass nicht das Krankenversicherungsunternehmen, sondern der Versicherte unmittelbarer Empfänger der Arzneimittellieferungen war, konnte nicht den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der getätigten Lieferung und der empfangenen Gegenleistung beseitigen. Nach Auffassung des Gerichtshofs war das Unternehmen der privaten Krankenversicherung als Endverbraucher einer Lieferung durch ein pharmazeutisches Unternehmen anzusehen, so dass der von der Finanzverwaltung erhobene Betrag den vom Krankenversicherungsunternehmen als Endverbraucher gezahlten Betrag nicht übersteigen durfte ( 9 ). Die Gegenleistung, die das Unternehmen tatsächlich erhielt und die die Steuerbemessungsgrundlage darstellte, wurde daher durch den gesetzlich vorgeschriebenen Abschlag gemindert ( 10 ).

    31.

    Wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, erstattet Novo Nordisk im vorliegenden Fall im Rahmen der gesetzlichen Zahlungspflicht dem NEAK, der die Arzneimittel bezuschusst, einen im Voraus festgelegten Prozentsatz für jedes Arzneimittel, dessen Kaufpreis bezuschusst wird.

    32.

    Auch wenn der NEAK nicht der unmittelbare Empfänger der Arzneimittellieferungen ist, kann er dennoch in dem gleichen Sinne als Endverbraucher angesehen werden wie die Versicherungsgesellschaft, die in der Rechtssache Boehringer Deutschland ein Endverbraucher war. Der NEAK zahlt nämlich einen Teil des Preises der gelieferten Arzneimittel.

    33.

    Da der von Novo Nordisk nach ungarischem Recht dem NEAK geschuldete Betrag auf der Grundlage des Preises der gelieferten verschreibungspflichtigen Arzneimittel berechnet wird und die Erstattung an dieselbe Einrichtung erfolgt, die gleichzeitig Endverbraucher ist, entspricht eine solche Erstattung dem für die gelieferten Arzneimittel nach Bewirkung der Lieferung gewährten Preisnachlass im Sinne von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie.

    34.

    Folglich kann eine gesetzliche Zahlungspflicht wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende einen Preisnachlass darstellen, so dass für Mehrwertsteuerzwecke die „Steuerbemessungsgrundlage“ des betreffenden Unternehmens infolge des sich aus einer solchen gesetzlichen Zahlung ergebenden Preisnachlasses gemindert werden kann.

    B.   Die streitige gesetzliche Zahlung als Steuer

    35.

    Handelte es sich jedoch bei der in Rede stehenden gesetzlichen Zahlung nicht um eine Erstattung des vom NEAK als Endverbraucher gezahlten Preisanteils, sondern um die Zahlung einer gesetzlich vorgeschriebenen Sondersteuer an den NEAK als staatlichem Krankenversicherungsträger, fände Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie keine Anwendung. In einem solchen Fall gäbe es keinen Grund für eine Verminderung der Besteuerungsgrundlage, da die Zahlung dieser Steuer den Betrag der Gegenleistung, die Novo Nordisk für ihre Lieferungen der bezuschussten Arzneimittel erhalten hat, nicht verringern würde.

    36.

    In der Rechtssache Boehringer Deutschland kam der Abschlag, den das pharmazeutische Unternehmen zu gewähren hatte, einem privaten Versicherungsunternehmen zugute, das keine staatliche Funktion erfüllte. In der Rechtssache Boehringer Deutschland war daher klar, dass die gesetzliche Zahlung die erhaltene Gegenleistung für die gelieferten Erzeugnisse unmittelbar verringerte.

    37.

    Demgegenüber ist der NEAK der ungarischen Regierung zufolge ein Träger öffentlicher Gewalt, der nicht nur mit der Bezuschussung von Arzneimitteln, sondern auch mit anderen Verantwortlichkeiten für die Gestaltung des öffentlichen Gesundheitswesens betraut ist. Im vorliegenden Fall könnte daher die Zahlung, die nach Bewirkung der Umsätze erfolgt, auch als Beitrag zu dem Teil des Staatshaushalts angesehen werden, für den der NEAK zuständig ist und der nicht nur dazu verwendet werden kann, die Belastung der Patienten beim Kauf von Arzneimitteln zu verringern, sondern auch zu anderen öffentlichen Zwecken im Zusammenhang mit der Gestaltung des öffentlichen Gesundheitssystems. Aus diesem Grund können die Feststellungen des Gerichtshofs im Urteil Boehringer Deutschland meines Erachtens nicht ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen werden.

    38.

    In der Rechtssache Boehringer Ungarn hatte der Gerichtshof Gelegenheit, über die Zahlungen eines pharmazeutischen Unternehmens an den NEAK zu entscheiden, die ebenfalls auf der Grundlage des Preises und der Menge der gelieferten bezuschussten Arzneimittel berechnet wurden. Der Gerichtshof hat diese Zahlungen als Preisnachlass gewertet. Allerdings beruhten die Zahlungen in jener Rechtssache auf dem Vertragsverhältnis zwischen dem NEAK und einem pharmazeutischen Unternehmen und nicht auf dem Gesetz, so dass sie nicht als Steuern behandelt werden konnten. Es war auch klar, dass jene Zahlungen gerade zu dem Zweck vereinbart wurden, die vom NEAK zu zahlenden Arzneimittelpreise zu senken. Aus diesem Grund lassen sich die Feststellung des Gerichtshofs in jener Rechtssache, nämlich dass Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie anwendbar war, nicht ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen, in dem die Zahlung auf dem Gesetz beruht und dem allgemeinen Staatshaushalt zufließt, von dem sie automatisch zu einem Teil des vom NEAK verwalteten Haushalts weitergeleitet wird.

    39.

    Es stellt sich daher die Frage, ob die in Rede stehende gesetzliche Zahlungsverpflichtung als Steuer angesehen werden könnte.

    40.

    Nach Ansicht der ungarischen Regierung (1) handelt es sich bei den fraglichen gesetzlichen Zahlungen um Sondersteuern, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern im Sinne von Art. 401 der Mehrwertsteuerrichtlinie haben, und (2) vermindern solche Sondersteuern nicht die Steuerbemessungsgrundlage ( 11 ).

    1. Steuer im Sinne von Art. 401 der Mehrwertsteuerrichtlinie

    41.

    In Art. 401 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es: „Unbeschadet anderer [unions]rechtlicher Vorschriften hindert diese Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran, … alle Steuern, Abgaben und Gebühren, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben, beizubehalten oder einzuführen, sofern die Erhebung dieser Steuern, Abgaben und Gebühren im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht mit Formalitäten beim Grenzübertritt verbunden ist.“

    42.

    Somit steht Art. 401 der Mehrwertsteuerrichtlinie der Beibehaltung oder Einführung einer Steuer nicht entgegen, sofern diese nicht eines der wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer aufweist.

    43.

    Die Rechtsprechung hat vier solcher Merkmale herausgearbeitet: die allgemeine Geltung der Mehrwertsteuer für alle sich auf Gegenstände und Dienstleistungen beziehenden Geschäfte, die Festsetzung ihrer Höhe proportional zum Preis, den der Steuerpflichtige als Gegenleistung für die Gegenstände und Dienstleistungen erhält, ihre Erhebung auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe einschließlich der Einzelhandelsstufe, ungeachtet der Zahl der vorher bewirkten Umsätze, sowie der Abzug der auf den vorhergehenden Stufen bereits entrichteten Beträge von der vom Steuerpflichtigen geschuldeten Mehrwertsteuer, so dass sie sich auf der jeweiligen Stufe nur auf den auf dieser Stufe vorhandenen Mehrwert bezieht und die Belastung letztlich vom Verbraucher getragen wird ( 12 ).

    44.

    Selbst wenn die streitige Zahlung auf Basis des Umsatzes des Unternehmens berechnet wird, besteht kein Zweifel, dass die nach den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften geschuldeten Beträge nicht auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben, sondern nur einmal von den pharmazeutischen Unternehmen über die Steuerverwaltung an den NEAK gezahlt werden.

    45.

    Daher fällt eine gesetzliche Zahlungspflicht wie die im Ausgangsverfahren in der Tat nicht unter den Begriff der Steuer, die den Charakter von Umsatzsteuern im Sinne von Art. 401 der Mehrwertsteuerrichtlinie hat.

    46.

    Bei der in Ungarn kraft Gesetzes eingeführten Zahlungspflicht handelt es sich somit nicht um eine Steuer, deren Einführung den Mitgliedstaaten nach der Mehrwertsteuerrichtlinie untersagt wäre. Dies beantwortet jedoch noch nicht die Frage, ob diese gesetzliche Zahlungspflicht als Steuer qualifiziert werden kann.

    2. Die gesetzliche Zahlungspflicht als in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogene Steuer

    47.

    Nach ständiger Rechtsprechung ist die Qualifizierung einer Steuer, Abgabe oder Gebühr nach Unionsrecht vom Gerichtshof nach den objektiven Merkmalen der Steuer unabhängig von ihrer Qualifizierung im nationalen Recht vorzunehmen ( 13 ).

    48.

    Gemäß Art. 78 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie bezieht die Steuerbemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer auch Steuern ein. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass der Steuertatbestand, auf den sich die in Rede stehende vermutliche Steuer gründet, nur dann unter diese Vorschrift fällt, wenn er mit dem Steuertatbestand für die Mehrwertsteuer deckungsgleich und als Steuer zu qualifizieren ist. Es müssen beide Kriterien erfüllt sein ( 14 ).

    49.

    Im vorliegenden Fall ist das erste Kriterium erfüllt: Es ist unstreitig, dass die Lieferung der Arzneimittel den Steuertatbestand darstellt, auf den sich die gesetzliche Zahlung und die Mehrwertsteuer gründen.

    50.

    Wie die Kommission jedoch hervorgehoben hat, ist der Rechtsprechung zu Art. 78 der Mehrwertsteuerrichtlinie nichts zu der Frage zu entnehmen, wann eine gesetzliche Zahlung als Steuer zu qualifizieren ist. Die Kommission schlägt vor, folgende Gesichtspunkte in die Beurteilung einzubeziehen ( 15 ): ob die Zahlung obligatorisch ist und sich aus dem Gesetz ergibt ( 16 ), ob sie auf einer im Vorhinein festgelegten Bemessungsgrundlage und einem im Vorhinein festgelegten Abgabensatz beruht, ob der Begünstigte der Zahlung bestimmt ist, welche Absichten der nationale Gesetzgeber verfolgte und welchen Zwecken die Steuer selbst dient.

    51.

    Im vorliegenden Fall ist klar, dass die in Rede stehende Zahlung auf dem Gesetz beruht und zwingend ist. Doch auch wenn dieses Merkmal, wie ich in Nr. 28 der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, es erlaubt, die fragliche Zahlung als Steuer einzustufen, so steht dies ihrer Einstufung als Preisnachlass nicht entgegen. Mit anderen Worten: Nicht jede auf dem Gesetz beruhende Zahlung ist eine Steuer, aber um eine Steuer zu sein, muss eine Zahlung auf dem Gesetz beruhen und zwingend sein.

    52.

    Die gesetzliche Zahlungspflicht beruht auch auf einer Bemessungsgrundlage und einem Abgabensatz, die im Vorhinein festgelegt sind. Sie könnte somit als Steuer qualifiziert werden. Diese Bemessungsgrundlage ist aber auch an den Preis der gelieferten Arzneimittel geknüpft, so dass sich auch nicht ausschließen lässt, dass es sich bei der Zahlung um einen Preisnachlass handelt.

    53.

    Als weiteres relevantes Kriterium für die Beurteilung, ob es sich bei der Zahlung um eine Steuer handelt, wurde die Bestimmung des Begünstigten der Zahlung vorgeschlagen. Diesbezüglich wird die in Rede stehende Zahlung an den Staatshaushalt geleistet, was dafürspricht, sie als Steuer zu betrachten. Es ist jedoch ebenfalls unstreitig, dass sie sofort und automatisch an den vom NEAK verwalteten Teil des Haushalts weitergeleitet wird. Dies allein dürfte ihr den steuerlichen Charakter nicht nehmen. Es kann indes auch ein Zeichen dafür sein, dass es sich um eine Zahlung handelt, die den vom NEAK als Endverbraucher von Arzneimitteln zu zahlenden Preis verringert.

    54.

    Die aufgeführten Merkmale der in Rede stehenden gesetzlichen Zahlung erlauben zwar deren Einstufung als Steuer, sind jedoch nicht eindeutig, da sie ebenfalls zu dem Schluss führen können, dass es sich bei dieser Zahlung um einen Preisnachlass handelt.

    55.

    Die ungarische Regierung hat zwei zusätzliche Argumente für die Einstufung der streitigen gesetzlichen Zahlung als Steuer vorgebracht. Erstens hat sie auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs verwiesen, wonach es für die Einstufung einer Zahlung als „Steuer“ nicht nur darauf ankommt, ob eine Zahlungsverpflichtung besteht, sondern auch darauf, dass der Zahlungspflichtige bei Nichteinhaltung dieser Verpflichtung von den zuständigen Behörden verfolgt wird ( 17 ). Hierzu hat die ungarische Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass pharmazeutische Hersteller, die ihrer gesetzlichen Zahlungspflicht nicht nachkämen, wie jeder andere säumige Steuerpflichtige verfolgt werden könnten ( 18 ).

    56.

    Zweitens hat die ungarische Regierung erläutert, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung dazu verwendet werden könnten, die Bemessungsgrundlage des für die streitige gesetzliche Zahlung zu leistenden Betrags zu vermindern. Der Steuerpflichtige sei berechtigt, diese Verminderung zu beanspruchen, ohne dass der Verwaltung insoweit ein Ermessen zukomme, und jeder Steuerpflichtige könne sie unter den gleichen Bedingungen in Anspruch nehmen. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wäre eine solche Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage nicht möglich, wenn die in Rede stehende gesetzliche Zahlung keine Steuer wäre.

    57.

    Auch wenn diese beiden Argumente für die Qualifizierung der streitigen Zahlung als Steuer sprechen, sind sie doch nicht ausreichend. Nach meinem Dafürhalten erfüllt die in Rede stehende Zahlungspflicht nicht das letzte (aber nicht weniger wichtige) Merkmal, das eine Steuer aufweisen muss.

    58.

    Das letzte von der Kommission für die Qualifizierung einer Zahlung als Steuer vorgeschlagene Merkmal ist die Absicht des Staates. Hat ein Staat die Absicht, Steuern zu erheben, könnte eine Zahlungspflicht als Steuer verstanden werden.

    59.

    Es ist jedoch oft schwierig, die Absicht des Gesetzgebers zu ermitteln. Die ungarische Regierung macht vor dem Gerichtshof in der Tat geltend, es sei ihre Absicht gewesen, eine Steuer einzuführen. Meines Erachtens reicht dies aber nicht aus, denn es ist auch erforderlich, dass eine solche gesetzgeberische Absicht für die Steuerpflichtigen erkennbar ist.

    60.

    Ich bin daher der Auffassung, ein geeigneteres Kriterium bestünde darin, dass die Absicht eines Gesetzgebers, eine Zahlung kraft Gesetzes als Steuer zu erheben, für den Steuerpflichtigen vorhersehbar sein muss ( 19 ).

    61.

    Insoweit scheint sich der möglicherweise beabsichtigte steuerliche Charakter der streitigen gesetzlichen Zahlung – vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht – nicht eindeutig aus dem ungarischen Recht zu ergeben.

    62.

    Vielmehr wird die steuerliche Natur der in Rede stehenden Zahlung, wie von der Kommission angemerkt, in den maßgeblichen ungarischen Rechtsvorschriften nicht erwähnt. Die streitige Zahlung wird dort nicht als Steuer, sondern als „Zahlungspflicht“ bezeichnet.

    63.

    Zudem scheint die gesetzliche Zahlung, wie Novo Nordisk und die Kommission anführen, in der Gesetzesbegründung zu der hier einschlägigen Vorschrift als Abschlag und nicht als Steuer eingestuft zu werden. Der Kommission zufolge heißt es in der Gesetzesbegründung, dass „die Sozialversicherung … der größte Abnehmer von Arzneimitteln [ist], so dass der Begünstigte des Abschlags beim Verkauf bezuschusster Arzneimittel der Versicherer sein muss“.

    64.

    Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung zu diesem Punkt hat die ungarische Regierung eingeräumt, dass diese Formulierung unglücklich sei.

    65.

    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, Rechtsvorschriften – vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben können – klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen vorhersehbar sein müssen, damit die Einzelnen ihre Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und sich somit in ihrem Verhalten darauf einstellen können ( 20 ).

    66.

    Wie Generalanwältin Sharpston ausgeführt hat, muss eine Steuer in rechtsverbindlichen, den Steuerpflichtigen vorab zugänglichen Vorschriften geregelt sein, und zwar hinreichend klar, bestimmt und erschöpfend, damit der betreffende Steuerpflichtige den Betrag der zu einem gegebenen Zeitpunkt geschuldeten Steuer auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden oder zugänglichen Texte und Daten vorhersehen und bestimmen kann ( 21 ).

    67.

    Die hier streitige gesetzliche Zahlungspflicht erfüllt diese Erfordernisse der Klarheit und Vorhersehbarkeit nicht, so dass ein Steuerpflichtiger nicht im Voraus wissen konnte, dass die fragliche Zahlung als Steuer und nicht als Preisnachlass geschuldet war.

    C.   Vorschlag

    68.

    Meines Erachtens stellt das in Rede stehende ungarische Gesetz keine klare, bestimmte und vorhersehbare Regelung dar, die es Novo Nordisk als der Steuerpflichtigen ermöglicht, zu erkennen, dass es sich bei der gesetzlichen Zahlungspflicht um eine Steuer und keinen Preisnachlass handelt. Zugleich sind die in der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Einstufung dieser Zahlung als Preisnachlass erfüllt.

    69.

    Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass die gesetzliche Zahlungspflicht im vorliegenden Fall nicht alle rechtlichen Anforderungen des Steuerbegriffs erfüllt und als gesetzlicher Preisnachlass im Sinne von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie einzustufen ist.

    70.

    Dies hindert einen Mitgliedstaat jedoch nicht daran, in einer expliziteren Form eine steuerliche Maßnahme zu ergreifen, die ein ähnliches Ziel der Finanzierung der Gesundheitspolitik erfüllt.

    V. Ergebnis

    71.

    Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) wie folgt zu beantworten:

    Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen,

    dass er einer nationalen Regelung, nach der ein pharmazeutisches Unternehmen, das gesetzlich verpflichtet ist, einen Teil seines Umsatzes aus dem Verkauf von aus öffentlichen Mitteln finanzierten Arzneimitteln an einen staatlichen Krankenversicherungsträger zu zahlen, keinen Anspruch auf nachträgliche Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage für diese Zahlungen hat, dann entgegensteht, wenn diese Regelung nicht klar, bestimmt und vorhersehbar festlegt, dass die betreffende Zahlung als Steuer geschuldet wird.


    ( 1 ) Originalsprache: Englisch.

    ( 2 ) The Kinks, „Sunny Afternoon“, 1966, Pye Records.

    ( 3 ) Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2009/162/EU des Rates vom 22. Dezember 2009 (ABl. 2010, L 10, S. 14) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

    ( 4 ) Urteil vom 6. Oktober 2021, Boehringer Ingelheim (C‑717/19, EU:C:2021:818, im Folgenden: Boehringer Ungarn).

    ( 5 ) Vgl. die in den Schlussanträgen von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache E. (Mehrwertsteuer – Minderung der Steuerbemessungsgrundlage) (C‑335/19, EU:C:2020:424, Nr. 30) angeführten Urteile.

    ( 6 ) Urteil vom 20. Dezember 2017, Boehringer Ingelheim Pharma (C‑462/16, EU:C:2017:1006, im Folgenden: Boehringer Deutschland).

    ( 7 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Boehringer Deutschland, Rn. 42, 43 und 46.

    ( 8 ) Urteil Boehringer Deutschland, Rn. 35.

    ( 9 ) Urteil Boehringer Deutschland, Rn. 40 und 41.

    ( 10 ) Urteil Boehringer Deutschland, Rn. 36.

    ( 11 ) In ihrem schriftlichen Vorbringen hat sich die ungarische Regierung auf Art. 78 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie berufen. In der mündlichen Verhandlung hat sie ganz allgemein vorgetragen, dass die gesetzliche Zahlung einer Steuer gleichkomme, ohne notwendigerweise als solche im Sinne dieser Bestimmung eingestuft zu werden.

    ( 12 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Juni 1999, Pelzl u. a. (C‑338/97, C‑344/97 und C‑390/97, EU:C:1999:285, Rn. 20 und 21 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), vom 3. Oktober 2006, Banca popolare di Cremona (C‑475/03, EU:C:2006:629, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 25. Februar 2021, Novo Banco (C‑712/19, EU:C:2021:137, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 13 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Februar 1996, Bautiaa und Société française maritime (C‑197/94 und C‑252/94, EU:C:1996:47, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation (C‑446/04, EU:C:2006:774, Rn. 107 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 3. März 2021, Promociones Oliva Park (C‑220/19, EU:C:2021:163, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 14 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Mai 2010, Kommission/Polen (C‑228/09, EU:C:2010:295, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 15 ) Die Kommission hat sich dafür auf das Urteil vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a. (C‑366/10, EU:C:2011:864, Rn. 143 bis 147), gestützt. Zur Eignung dieser Kriterien vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache IRCCS – Fondazione Santa Lucia (C‑189/15, EU:C:2016:287, Fn. 35).

    ( 16 ) Es wird die Auffassung vertreten, der Pflichtaspekt sei ein zentrales, wenn nicht sogar das wichtigste Merkmal einer Steuer (Suchy, G., „Some propositions on tax as a legal concept“, in Peeters, B., The Concept of Tax, EATLP, 2005, S. 49 bis 54, S. 49). Ferner wird angeregt, Steuern als Zwangsbeiträge an die Regierung zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben zu begreifen (Barassi, M., „The concept of tax and the different types of tax“, in Peeters, B., The Concept of Tax, EATLP, 2005, S. 59 bis 72, S. 72).

    ( 17 ) Urteil vom 18. Januar 2017, IRCCS – Fondazione Santa Lucia (C‑189/15, EU:C:2017:17, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 18 ) Dies scheint das schriftliche Vorbringen der Regierung zu bestätigen, das auf § 36 Abs. 5 und § 40/A Abs. 4 des Arzneimittelvertriebsgesetzes verweist, die wiederum ausdrücklich auf das Az adózás rendjéről szóló 2003. évi XCII. törvény (Gesetz Nr. XCII von 2003 über die Besteuerungsordnung) verweisen.

    ( 19 ) Vgl. dazu Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, 9. November 1999, Špaček/Tschechische Republik (CE:ECHR:1999:1109JUD002644995, § 54 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Generaldirektion Wissenschaftlicher Dienst und Dokumentation des Gerichtshofs der Europäischen Union, Research Note, „Scope of the principle of the legality of taxation, particularly in relation to value added tax“ (September 2018), abrufbar unter: https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2020-11/ndr-2018-005_neutralisee_synthese_en.pdf.

    ( 20 ) Urteil vom 16. Februar 2023, DGRFP Cluj (C‑519/21, EU:C:2023:106, Rn. 105 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 21 ) Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Związek Gmin Zagłębia Miedziowego (C‑566/17, EU:C:2018:995, Nr. 114).

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