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Document 62023CC0023

    Schlussanträge der Generalanwältin T. Ćapeta vom 30. Mai 2024.


    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:444

    SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

    TAMARA ĆAPETA

    vom 30. Mai 2024(1)

    Rechtssache C23/23

    Europäische Kommission

    gegen

    Republik Malta

    „ Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 2009/147/EG – Erhaltung der wildlebenden Vogelarten – Fang lebender Exemplare – Abweichende Regelung zur Zulassung des Fangs von Finken – Art. 9 Abs. 1 Buchst. b – Abweichung zu Forschungszwecken – Anforderungen – Genaue und angemessene Begründung – Fehlen einer anderen zufriedenstellenden Lösung “






    I.      Einleitung

    1.        Der Falke ist nicht der einzige Vogel, für den Malta bekannt ist(2). Seit Jahrhunderten ist es dort nämlich Tradition, Wildfinken zu fangen, die über das Gebiet Maltas ziehen(3).

    2.        In der Europäischen Union sind wildlebende Finken durch die Vogelschutzrichtlinie geschützt(4). Gemäß dem unsterblichen Spruch von Sam Spade aus dem Malteser Falken: „Ich habe nichts gegen ein vernünftiges Maß an Ärger“, hat sich die Republik Malta bei den Beitrittsverhandlungen bereit erklärt, ihre Tradition bis 2008 an die Anforderungen der Vogelschutzrichtlinie anzupassen(5).

    3.        Im Jahr 2009 verbot Malta daher den Finkenfang. Im Jahr 2014 beschloss Malta jedoch, von der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie vorgesehenen abweichenden Regelung Gebrauch zu machen, um den Fang von sieben Wildfinkenarten als Freizeitbeschäftigung zu erlauben(6).

    4.        In seinem Urteil vom 21. Juni 2018 in der Rechtssache Kommission/Malta(7) stellte der Gerichtshof fest, dass diese „Freizeitregelung“ die Voraussetzungen für die genannte Abweichung nicht erfüllte. Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Klage ist, dass nach Ansicht des Gerichtshofs die fehlenden Kenntnisse über die Herkunft der Referenzbestände der über Malta ziehenden Vögel der Erfüllung des bei der „Freizeitabweichung“ der Vogelschutzrichtlinie zu beachtenden Kriteriums der „geringen Mengen“ entgegenstanden (im Folgenden: Wissenslücke)(8).

    5.        Infolge dieses Urteils hob Malta die abweichende „Freizeitregelung“ auf.

    6.        Im Oktober 2020 verabschiedete Malta das „Finkenprojekt“(9). Es sieht den Lebendfang derselben sieben Finkenarten wie in der Regelung für den Freizeitfang vor; der im Finkenprojekt vorgeschlagene Fang soll jedoch im Rahmen eines vorgeblichen Forschungsprojekts erfolgen. Die neuen Rechtsvorschriften, die den Rahmen für das Finkenprojekt bilden, beruhen auf einer anderen abweichenden Regelung der Vogelschutzrichtlinie, und zwar einer solchen, die gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie zu „Forschungszwecken“ geltend gemacht werden kann.

    7.        Die Europäische Kommission hält das Finkenprojekt für einen bloßen „Deckmantel“, unter dem eine Fortsetzung der gleichen Freizeitaktivitäten des Finkenfangs ermöglicht werden solle, die der Gerichtshof im Urteil Kommission/Malta als Verstoß gegen die Vogelschutzrichtlinie eingestuft habe. Daher hat die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AEUV eingeleitet, das zur vorliegenden Klage geführt (10).

    II.    Rechtlicher Rahmen

    A.      Unionsrecht

    8.        Die Vogelschutzrichtlinie ist zusammen mit der Habitatrichtlinie(11) das Unionsinstrument, das der Erhaltung der biologischen Vielfalt dient(12).

    9.        Wie sich aus den Erwägungsgründen 3 und 5 der Vogelschutzrichtlinie ergibt, ist die Erhaltung der Vielfalt der Vogelarten nicht nur ein Umweltziel an sich, sondern wird auch als ein notwendiges Element zur Verwirklichung der Unionsziele einer nachhaltigen Entwicklung und besserer Lebensbedingungen verstanden.

    10.      Obwohl die Regelungen, die für die in den Anhängen I bis III der Vogelschutzrichtlinie aufgeführten Vogelarten gelten, gewisse Unterschiede aufweisen, wird in Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie klargestellt, dass ihr Ziel „die Erhaltung sämtlicher wildlebenden Vogelarten [ist], die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf welches der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind“(13). Daher hat die Vogelschutzrichtlinie „den Schutz, die Bewirtschaftung und die Regulierung dieser Arten zum Ziel und regelt die Nutzung dieser Arten“.

    11.      Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie verbietet u. a. das absichtliche Töten oder Fangen von Vögeln, ungeachtet der angewandten Methode, sowie das absichtliche Stören von Vögeln.

    12.      Art. 8 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie sieht außerdem vor:

    13.      „Was die Jagd, den Fang oder die Tötung von Vögeln im Rahmen dieser Richtlinie betrifft, so untersagen die Mitgliedstaaten sämtliche Mittel, Einrichtungen oder Methoden, mit denen Vögel in Mengen oder wahllos gefangen oder getötet werden oder die gebietsweise das Verschwinden einer Vogelart nach sich ziehen können, insbesondere die in Anhang IV Buchstabe a aufgeführten Mittel, Einrichtungen und Methoden.“

    14.      In Anhang IV Buchst. a vierter Gedankenstrich werden Netze und Fangfallen als verbotene Fangmittel und ‑methoden genannt, und aus dem Urteil Kommission/Malta ergibt sich, dass Klappnetze, deren Verwendung im Rahmen des „Finkenprojekts“ vorgesehen ist, unter diese Bestimmung fallen(14).

    15.      Auch wenn die Vogelschutzrichtlinie grundsätzlich den Vogelfang verbietet, hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Jagd oder der Fang von Wildvögeln als Freizeitbeschäftigung unter bestimmten Voraussetzungen eine nach dieser Richtlinie zulässige „vernünftige Nutzung“ darstellen kann(15). Dies steht offenbar im Einklang mit Art. 2 der Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten bei der Planung von für die Erhaltung der Vögel erforderlichen Maßnahmen wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung tragen dürfen.

    16.      Wie der Gerichtshof ebenfalls bestätigt hat(16), stellt die Beibehaltung traditioneller Tätigkeiten jedoch keine eigenständige Abweichung von der durch die Vogelschutzrichtlinie geschaffenen Schutzregelung dar. Vielmehr ist jede Abweichung nur dann zulässig, wenn dies in der Vogelschutzrichtlinie selbst vorgesehen ist und die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

    17.      Hierzu heißt es in Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie wie folgt:

    „Die Mitgliedstaaten können, sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt, aus den nachstehenden Gründen von den Artikeln 5 bis 8 abweichen:

    b)      zu Forschungs- und Unterrichtszwecken, zur Aufstockung der Bestände, zur Wiederansiedlung und zur Aufzucht im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen;

    c)      um unter streng überwachten Bedingungen selektiv den Fang, die Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung bestimmter Vogelarten in geringen Mengen zu ermöglichen.“

    B.      Maltesisches Recht

    18.      Die Republik Malta verabschiedete das Finkenprojekt im Jahr 2020. Die einschlägigen Rechtsvorschriften wurden auf der Grundlage der „Wild Birds Regulations“ (Regelungen über wildlebende Vogelarten)(17) erlassen, die den Rechtsakt zur Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie in maltesisches Recht darstellen.

    19.      Regulation 9 der Regelungen über wildlebende Vogelarten setzt Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie um, stellt die Voraussetzungen auf, unter denen Abweichungen zu prüfen sind, und legt ein besonderes Entscheidungsverfahren fest, an dem der maltesische ornithologische Ausschuss beteiligt ist, dessen Rolle in Regulation 10 der Regelungen über wildlebende Vogelarten bestimmt wird.

    20.      Das Finkenprojekt wurde durch die Rahmenregelungen von 2020(18) eingeführt und in demselben Jahr auf der Grundlage der Bekanntmachung von 2020(19) durchgeführt. Die ursprünglichen Rahmenbedingungen wurden im Jahr 2021 durch die Rahmenregelungen von 2021(20) geändert, die in demselben Jahr durch die Bekanntmachung von 2021(21) und im darauffolgenden Jahr durch die Bekanntmachung von 2022(22) umgesetzt wurden.

    21.      Die einschlägigen Regelungen „legen einen Rahmen fest, innerhalb dessen unter streng überwachten Bedingungen und selektiv eine Abweichung zu Forschungszwecken zugelassen wird, damit Maltas Referenzbestand [an sieben Finkenarten] gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. b [der Vogelschutzrichtlinie] bestimmt werden kann …“(23). Regulation 1(2) der Rahmenregelungen von 2020 sah weiter vor, dass das Projekt „speziell darauf abzielt, ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, damit Malta eine abweichende Regelung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie einführen kann, die dem Kriterium der ‚geringen Mengen‘ in der Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil [Kommission/Malta] gerecht wird“.

    22.      Im Rahmen des Finkenprojekts sollen die entsprechenden Daten durch den Fang von Vögeln, die den sieben unter das Projekt fallenden Finkenarten angehören, mit Hilfe von Klappnetzen mit einer Maschenweite von mindestens 18 mm mal 18 mm erhoben werden. Das Untersuchungsdesign sieht eine Datensättigung bei Erreichen einer Stichprobengröße von 60 bis 70 Beringungen für jede der sieben Finkenarten vor.

    23.      Der Fang ist von Personen durchzuführen, die über eine spezielle Genehmigung verfügen und als Datenerfasser bezeichnet werden. Die spezielle Genehmigung kann einer Person erteilt werden, die eine allgemeine Genehmigung für den Fang lebender Tiere besitzt, einen Lageplan vorlegt, auf dem die zugelassenen Klappnetze verzeichnet sind, und an einem Pflichtkurs über die Forschungsziele teilnimmt.

    24.      Nach dem Fang des Vogels prüft ein Datenerfasser, ob der gefangene Vogel beringt ist, und trägt bejahendenfalls die Informationen aus dem Ring in ein Erfassungsformular ein (dies wird als „Überwachung“ bezeichnet). Das Formular muss an die maltesische Wild Birds Regulation Unit (Abteilung für wildlebende Vögel, im Folgenden: WBRU) zurückgeschickt werden. Seit dem Erlass der Rahmenregelungen von 2021 ist vorgesehen, dass alle von einem Datenerfasser gefangenen Exemplare, einschließlich solcher, die nicht beringt sind, unverzüglich der Regulierungsbehörde (bereits zum damals maßgeblichen Zeitpunkt die WBRU) gemeldet werden müssen. Nach der „Überwachung“ des Vogels muss der Datenerfasser ihn unverzüglich wieder in die freie Wildbahn entlassen.

    25.      Die einschlägigen Rahmenvorschriften sahen auch vor, dass Personen mit einer speziellen Befugnis zur Beringung an dem Projekt teilnehmen konnten, deren Aufgabe darin bestehen sollte, den Ring mit relevanten Daten über die gefangenen Vögel zu versehen. Die in Malta im Bereich der Vogelberingung tätigen Organisationen EURING und BirdLife Malta lehnten jedoch eine Mitwirkung am Finkenprojekt wegen ethischer Bedenken ab(24) und forderten die Vogelberinger auf, sich nicht an diesem Projekt zu beteiligen. Da Vogelberinger aus dem nationalen Beringungsdienst, wie in der mündlichen Verhandlung erklärt wurde, nicht an dem Projekt teilnahmen, veröffentlichte Malta vor jedem Forschungszeitraum eine europaweite Ausschreibung für Vogelberinger. Es bewarben sich jedoch keine Vogelberinger. Daher bestand das Finkenprojekt nur im Einfangen und Überwachen bereits beringter Vögel.

    26.      Das Finkenprojekt wurde in der beschriebenen Form in den Jahren 2020 bis 2022 durchgeführt. Mit den jeweiligen Durchführungsbekanntmachungen wurden jährlich zwischen dem 20. Oktober und dem 20. Dezember die Forschungszeiträume eröffnet, in denen der Vogelfang zulässig war.

    III. Vorverfahren

    27.      Am 3. Dezember 2020 übersandte die Kommission Malta ein Aufforderungsschreiben. Nach ihrer Ansicht war das Finkenprojekt nicht mit Art. 5 und Art. 8 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie vereinbar und nicht durch die in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehene Abweichung gerechtfertigt. Malta habe nicht nachgewiesen, dass das Finkenprojekt einem echten Forschungszweck diene. Die maltesische Regelung enthalte auch keine Begründung dafür, ob es eine andere zufriedenstellende Lösung gebe, und Malta sei den Nachweis schuldig geblieben, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung gebe.

    28.      Malta antwortete am 3. Februar 2021 und machte geltend, das Finkenprojekt sei nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Vogelschutzrichtlinie gerechtfertigt. Die neue abweichende Regelung diene der Forschung. Mit dieser Forschung solle insbesondere die vom Gerichtshof im Urteil Kommission/Malta festgestellte Wissenslücke geschlossen werden.

    29.      Am 9. Juni 2021 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie die gleichen Vorwürfe wie im Aufforderungsschreiben erhob. Da Malta bereits erklärt hatte, im Herbst 2021 eine weitere Fangsaison zu eröffnen, wurde in der mit Gründen versehenen Stellungnahme eine kurze Antwortfrist von einem Monat gesetzt. Ein Antrag Maltas, diese Frist zu verlängern, wurde abgelehnt.

    30.      Malta antwortete auf die mit Gründen versehene Stellungnahme am 15. Juli 2021 und blieb bei seinem Standpunkt, dass die fragliche Regelung unionsrechtskonform sei.

    31.      Nach Gesprächen und Treffen zwischen den Dienststellen der Kommission und den maltesischen Behörden hob der maltesische Umweltminister am 14. Oktober 2021 die Rahmenregelungen von 2020 „unbeschadet der Gültigkeit aller in ihrem Rahmen getroffenen oder unterlassenen Maßnahmen“ auf.

    32.      Am 19. Oktober 2021 setzte dieser Minister das Finkenprojekt mit dem Erlass der Rahmenregelungen von 2021 fort(25).

    33.      Die Kommission betrachtet die Rahmenregelungen von 2020 und die Rahmenregelungen von 2021 sowie die Bekanntmachungen zur Eröffnung der Forschungszeiträume 2020, 2021 und 2022 als ein und dasselbe Verhalten und behandelt sie daher gemeinsam als eine einzige Maßnahme.

    IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof

    34.      Mit ihrer am 20. Januar 2023 erhobenen Klage beantragt die Kommission, festzustellen, dass Malta gegen seine Verpflichtungen aus Art. 5 und Art. 8 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie verstoßen hat, indem es das Finkenprojekt verabschiedet und damit den Lebendfang der sieben fraglichen Wildfinkenarten erlaubt hat.

    35.      In seiner am 21. April 2023 eingereichten Klagebeantwortung beantragt Malta, die vorliegende Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen.

    36.      Die Kommission und Malta haben außerdem am 19. Juni 2023 bzw. am 24. Juli 2023 eine Erwiderung und eine Gegenerwiderung eingereicht.

    37.      Am 7. März 2024 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der die Kommission und Malta mündlich verhandelt haben.

    V.      Würdigung

    38.      Bevor ich auf die Begründetheit der vorliegenden Klage eingehe, werde ich zunächst ihre Zulässigkeit erörtern.

    A.      Zulässigkeit

    39.      Malta hält die vorliegende Klage für unzulässig, da sie auf einer mit Gründen versehenen Stellungnahme beruhe, auf die unverzüglich eine wesentliche Änderung des nationalen Rechts gefolgt sei, die in der Klage mit dem früheren Recht gleichgesetzt und verwechselt werde. Infolgedessen sei der Gegenstand der vorliegenden Klage unklar, was die Verteidigungsrechte Maltas verletze.

    40.      Die Kommission entgegnet, die mit Gründen versehene Stellungnahme vom 9. Juni 2021 habe sich auf das Finkenprojekt Maltas bezogen, das damals aus den Rahmenregelungen von 2020 und der Bekanntmachung von 2020 bestanden habe. Die Klage richte sich gegen dasselbe Projekt, das zu diesem Zeitpunkt durch die Rahmenregelungen von 2021 und die Bekanntmachungen von 2021 und 2022 fortgesetzt worden sei. Bei den letztgenannten Maßnahmen handle es sich um ein Verhalten „derselben Art“(26).

    41.      Die wesentlichen Merkmale des ursprünglichen Finkenprojekts, das laut der mit Gründen versehenen Stellungnahme gegen Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Vogelschutzrichtlinie verstoße, hätten auch die zur Zeit der Klageerhebung durch die Kommission bestehende Regelung geprägt. Es handle sich um die folgenden wesentlichen Merkmale: Das Projekt verfolge denselben vorgeblichen Forschungszweck der Erhebung von Daten(27), die dieselben sieben Finkenarten beträfen(28), und sehe dieselben Genehmigungsbedingungen vor, einschließlich der Erteilung von Genehmigungen nicht an berufsmäßige Wissenschaftler, sondern an jede Person, die über eine allgemeine Genehmigung für den Lebendfang verfüge, ein Paar an Klappnetzen desselben Typs besitze und an demselben Kurs teilgenommen habe(29); außerdem umfasse der Geltungsbereich der abweichenden Regelung denselben Zeitraum von 64 Tagen im Herbst(30).

    42.      Im Gegensatz zum Vorbringen Maltas, wonach mit den Rahmenregelungen von 2021 den von der Kommission im Vertragsverletzungsverfahren erhobenen Vorwürfen Rechnung getragen worden sei, hält die Kommission die mit den Rahmenregelungen von 2021 und den Durchführungsbekanntmachungen eingeführten Neuerungen für unbedeutend. Die Einrichtung einer für die Forschung zuständigen Regulierungsstelle habe keinen nennenswerten Einfluss gehabt, da die WBRU(31) diese Aufgabe wahrnehme, wie sie es schon im Rahmen der vorherigen Rahmenregelungen getan habe. Es seien auf die Rahmenregelungen von 2021 gestützte Genehmigungen für Anträge erteilt worden, die im Rahmen der vorherigen Rahmenregelungen von 2020 gestellt worden seien; außerdem seien die Bekanntmachungen (von 2020, 2021 und 2022) nahezu identisch.

    43.      Die Unzulässigkeitsrüge Maltas ist nach meinem Dafürhalten zurückzuweisen.

    44.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs wird der Gegenstand der nach Art. 258 AEUV erhobenen Klage durch das in dieser Vorschrift vorgesehene vorprozessuale Verfahren umschrieben, weshalb die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission und die Klage auf identische Rügen gestützt werden müssen(32).

    45.      Zugleich erkennt der Gerichtshof an, dass ein solches Erfordernis jedoch nicht so weit gehen kann, dass die nationalen Vorschriften, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme und in der Klageschrift angeführt werden, in jedem Fall miteinander völlig identisch sein müssten. Ist zwischen der vorprozessualen und der gerichtlichen Phase des Verfahrens eine Gesetzesänderung erfolgt, so genügt es, dass die Regelung, die mit den im vorprozessualen Verfahren beanstandeten Rechtsvorschriften eingeführt wurde, durch die neuen Maßnahmen, die der Mitgliedstaat im Anschluss an die mit Gründen versehenen Stellungnahme erlassen hat, im Kern aufrechterhalten wird, auch wenn die neue Regelung in der vorprozessualen Phase nicht förmlich beanstandet wurde(33).

    46.      Meines Erachtens würde dieser Durchsetzungsmechanismus in der Tat seine Wirksamkeit verlieren, wenn die Mitgliedstaaten durch jede unwesentliche Änderung der überprüften Regelung erreichen könnten, dass das Vertragsverletzungsverfahren von Anfang an wieder aufgenommen werden müsste. Eine bloße Änderung einer Regelung kann daher eine Klage vor dem Gerichtshof nicht zwangsläufig unzulässig machen. Allerdings darf dies, wie Malta vorträgt, nicht dazu führen, dass dem beklagten Staat die Möglichkeit genommen wird, sich wirksam zu verteidigen.

    47.      Insoweit stimme ich mit der Kommission darin überein, dass die Neufassung der nationalen Rechtsvorschriften, die das Finkenprojekt geprägt haben, keine wesentliche Änderung der von der Kommission genannten Merkmale bewirkt hat(34).

    48.      Ferner war für Malta das Vorbringen, warum nach Ansicht der Kommission das Finkenprojekt den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Vogelschutzverordnung nicht genügte, auch verständlich. Dieser Mitgliedstaat konnte darlegen, ob und wie die von der Kommission gerügten Mängel in der neuen Regelung anders behoben worden waren, und dem Gerichtshof erklären, weshalb diese Regelung seines Erachtens die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Vogelschutzrichtlinie erfüllt. Die Verteidigungsrechte Maltas waren somit gewahrt.

    49.      Daher ist die vorliegende Klage nach meiner Ansicht zulässig.

    B.      Begründetheit

    50.      Im vorliegenden Fall macht die Kommission geltend, dass Malta seine Verpflichtungen aus Art. 5 und Art. 8 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie verletzt habe und dass der Verstoß gegen diese Bestimmungen nicht auf die in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie für die Forschung vorgesehene Abweichung gestützt werden könne.

    51.      Malta hat seine Regelung von Anfang an ausdrücklich auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Vogelschutzrichtlinie gestützt. Die Entscheidung, sich auf eine Abweichung zu berufen, kann nur als Eingeständnis Maltas in dem Sinne verstanden werden, dass die in seiner Regelung vorgesehene Tätigkeit gegen die Vogelschutzrichtlinie verstieße, wenn sie nicht in den Geltungsbereich einer Abweichung fiele.

    52.      Der springende Punkt in dieser Rechtssache ist also, ob Malta die nach der Vogelschutzrichtlinie erforderlichen Voraussetzungen für die Abweichung zugunsten der Forschung erfüllt hat(35).

    53.      Insoweit führt die Kommission im Wesentlichen drei Argumente an: Erstens habe Malta nicht nachgewiesen, dass das Finkenprojekt einem echten Forschungszweck diene, zweitens habe Malta nicht begründet und drittens in der Sache nicht nachgewiesen, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung gebe.

    54.      Die wichtigste und zugleich neue Frage, die sich in dieser Rechtssache stellt, betrifft das erste Argument: Ist das maltesische Finkenprojekt ein echtes Forschungsprojekt oder handelt es sich, wie die Kommission meint, nur um einen Deckmantel für die Fortsetzung von Tätigkeiten, die gegen die Vogelschutzrichtlinie verstoßen? Auf diese Frage werde ich zunächst eingehen (1). Ich komme zu dem Schluss, dass das fragliche Forschungsprojekt sowohl in seinem Design als auch bei seiner Durchführung Mängel aufweist, die den Gerichtshof zu der Feststellung veranlassen sollten, dass es sich in der Tat nicht um ein echtes Forschungsprojekt handelt. Aus diesem Grund haben das zweite und das dritte Argument der Kommission für mich nur subsidiären Charakter. Ich werde sie gemeinsam unter (2) behandeln.

    1.      Fehlender Nachweis, dass mit dem Finkenprojekt ein Forschungszweck verfolgt wird

    55.      Wie kann der Gerichtshof darüber entscheiden, ob ein Vorhaben, das der Gesetzgeber eines Mitgliedstaats als Forschungsprojekt präsentiert, tatsächlich zu Forschungszwecken verabschiedet wurde, oder ob sich der Mitgliedstaat auf die Abweichung zugunsten der Forschung nur beruft, um sonst rechtswidrige Tätigkeiten zu ermöglichen?

    56.      Die logische Antwort wäre, dass der Gerichtshof feststellen sollte, dass ein Projekt zu Forschungszwecken verabschiedet wurde, sofern es alle in der Vogelschutzrichtlinie festgelegten Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Abweichung erfüllt.

    57.      Das sieht aber einfacher aus, als es in Wirklichkeit ist. Die Vogelschutzrichtlinie lässt zwar im Interesse der Forschung eine Abweichung von dem sonst verbotenen Fangen und Stören wildlebender Vögel zu, enthält jedoch keinen Hinweis darauf, was mit der Formulierung „zu Forschungszwecken“ in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie gemeint ist.

    58.      Auch in ihrer Schwesterrichtlinie, der Habitatrichtlinie, die eine fast gleichlautende Ausnahmeregelung zugunsten der Forschung enthält, wonach ein Abweichen von dem in diesem Rechtsakt vorgesehenen Schutz zur Erhaltung der darin erfassten Tiere und Pflanzen zulässig ist, fehlt es an einer diesbezüglichen Erläuterung(36).

    59.      Bei der Ermittlung der Bedeutung des Begriffs „Forschung“ kann das Übereinkommen von Bern über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume herangezogen werden, dem die Europäische Union beigetreten ist(37). Art. 9 dieses Übereinkommens sieht Ausnahmen für die Forschung vor, die ähnlich wie in der Vogelschutz- und der Habitatrichtlinie formuliert sind. Zur Bedeutung solcher Ausnahmeregelungen vertrat der Ständige Ausschuss des Übereinkommens von Bern die Auffassung, dass „Forschung … eine geistige Tätigkeit [ist], die darauf abzielt, methodisch, systematisch und nachprüfbar neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen“(38).

    60.      Diese Beschreibung lässt Rückschlüsse auf einige inhaltliche wie auch verfahrensmäßige Elemente des Begriffs „Forschung“ zu. Die inhaltliche Dimension eines Forschungsprojekts betrifft dessen Ziel; sie beantwortet die Frage, welchen Fundus an Erkenntnissen das Projekt erweitern soll, und erklärt, warum diese Frage überhaupt gestellt werden sollte. Die verfahrensmäßige Dimension betrifft die verwendeten wissenschaftlichen Methoden, d. h. die Art und Weise, wie das angestrebte Ergebnis erreicht werden soll.

    61.      Ich schlage daher dem Gerichtshof vor, für die Zwecke der vorliegenden Rechtssache – ohne dass es einer eingehenderen Definition des Begriffs „Forschung“ bedürfte – festzustellen, dass ein Forschungsprojekt ein Ziel haben muss, das in einer Forschungsfrage zum Ausdruck kommt, und so konzipiert sein muss, dass diese Frage beantwortet werden kann. Diese Elemente des Forschungsbegriffs, hinsichtlich deren beide Parteien zudem darin übereinstimmen, dass es sich um eine „wissenschaftliche Forschung“ handeln muss, sind unbestritten(39).

    62.      Als der Internationale Gerichtshof (IGH) in einem Fall, der das japanische Walfangprojekt in der Antarktis betraf(40), mit einer ähnlichen Frage wie der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache konfrontiert war, hielt er es ebenfalls nicht für erforderlich, den Begriff „Forschung“ umfassend zu definieren. Der IGH erklärte jedoch, dass „eine objektive Prüfung der Frage, ob ein Programm wissenschaftlichen Forschungszwecken dient, nicht von den Absichten einzelner Regierungsbeamter abhängt, sondern davon, ob das Design und die Durchführung des Programms mit Blick auf die Erreichung der erklärten Forschungsziele angemessen sind“(41).

    63.      Ich schlage dem Gerichtshof vor, eine ähnliche Methode anzuwenden und zu prüfen, ob das Design und die Durchführung des Finkenprojekts mit Blick auf die erklärten Forschungsziele dieses Projekts angemessen sind.

    64.      Die Kommission hat sowohl die erklärten Forschungsziele als auch das Design und die Durchführung des Finkenprojekts bemängelt. Ich werde diese Fragen der Reihe nach behandeln.

    a)      Forschungsfrage und ziel

    65.      Die Forschungsfrage des Finkenprojekts lautet folgendermaßen: „Woher kommen die Finken, die nach ihrer Paarung während der (Herbst‑)Migration über Malta ziehen?“(42)

    66.      Die Kommission macht geltend, mit dieser Forschungsfrage werde kein Erhaltungsziel verfolgt. Malta suche vielmehr nach einer Antwort auf diese Frage nur, um die „Freizeitabweichung“ (wieder) einzuführen.

    67.      Die Abweichung gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Vogelschutzrichtlinie könne aber nur für eine Forschung in Anspruch genommen werden, mit der ein Erhaltungsziel verfolgt werde.

    68.      Malta hat bekräftigt, nachdem der Gerichtshof in seinem Urteil Kommission/Malta auf die Wissenslücke hingewiesen habe, sei tatsächlich anerkannt worden, dass die Forschungsfrage des Finkenprojekts beantwortet werden müsse. Ein Forschungsprojekt könne nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Vogelschutzrichtlinie jedenfalls das Ziel haben, diese Lücke zu schließen, derentwegen Malta an der Einführung einer „Freizeitabweichung“ gehindert sei.

    69.      Im Übrigen werde mit dem Finkenprojekt auch ein weiter gehendes, auf Erhaltung gerichtetes Ziel verfolgt. Es könne Malta bei der Gestaltung seiner Erhaltungspolitik helfen, wenn herausgefunden werde, woher die über Malta fliegenden Finken kämen. Vor allem könnten anhand der im Rahmen des Finkenprojekts erhobenen Daten relevante Migrationsrouten ermittelt werden, was folglich dazu beitrage, die Bemühungen zur Erhaltung der Lebensräume zu koordinieren und die Raumplanung so zu gestalten, dass Rastgebiete und wichtige Routen geschützt würden.

    70.      Meines Erachtens kann der These der Kommission, dass mit einem Forschungsprojekt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Vogelschutzrichtlinie nur ein Erhaltungsziel verfolgt werden dürfe, nicht gefolgt werden. Forschung, die eine Ausnahme vom Vogelschutz notwendig macht, kann jedem legitimen Forschungsinteresse dienen. Solange im Vogelfang als Freizeittätigkeit eine zulässige vernünftige Nutzung der „Freizeitabweichung“ gesehen wird, sofern nur eine geringe Menge von Vögeln gefangen wird, kann die Erhebung von Daten für die Einführung einer solchen Abweichung nicht als illegitimes Ziel beanstandet werden.

    71.      Forschungen zur Entwicklung von Erhaltungszielen werden in einer anderen Bestimmung der Vogelschutzrichtlinie befürwortet. Nach Art. 10 dieser Richtlinie fördern „[d]ie Mitgliedstaaten … die zum Schutz, zur Regulierung und zur Nutzung der Bestände aller unter Artikel 1 fallenden Vogelarten notwendigen Forschungen und Arbeiten“. Dies spricht für meine Auffassung, wonach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Vogelschutzrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er Forschungen auch zu anderen legitimen Zwecken als der Erhaltung zulässt.

    72.      Andererseits bin ich der Meinung, dass Forschungen im Rahmen einer abweichenden Regelung, auch wenn sie nicht die Verbesserung von Erhaltungsmethoden zum Ziel haben müssen, nicht dazu führen dürfen, dass die in der Bewahrung des guten Erhaltungszustands einer Art bestehenden Erhaltungsziele vereitelt oder beeinträchtigt werden.

    73.      Zurück zu den Umständen der vorliegenden Rechtssache: In den Rahmenregelungen von 2020 war das Ziel des Finkenprojekts anders formuliert als in den Rahmenregelungen von 2021. Der in den Rahmenregelungen von 2020 enthaltene ausdrückliche Verweis auf die „Freizeitabweichung“ fehlt in den Rahmenregelungen von 2021(43). Malta hat in der mündlichen Verhandlung jedoch klargestellt, dass die mögliche Einführung der „Freizeitabweichung“ trotz des anderen Wortlauts weiterhin zu den Zielen der Rahmenregelungen von 2021 gehöre.

    74.      Die Forschungsfrage, die durch das Finkenprojekt beantwortet werden soll, scheint mir geeignet, die vom Gerichtshof im Urteil Kommission/Malta festgestellte Wissenslücke in Bezug auf die „Freizeitabweichung“ zu schließen.

    75.      Hingegen hat Malta zwar erklärt, das Finkenprojekt weise weiter gehende Erhaltungsziele auf, jedoch nur in sehr groben Zügen dargelegt, welche Erhaltungsziele mit diesem Projekt verfolgt werden sollen. Es ist daher schwierig, einen Zusammenhang zwischen der Forschungsfrage nach der Herkunft der im Herbst über Malta fliegenden Vögel und möglichen Erhaltungszielen herzustellen.

    76.      Dennoch werde ich im Zweifel zugunsten Maltas bei meiner Analyse von der Prämisse ausgehen, dass das Finkenprojekt auch ein weiter gehendes Erhaltungsziel verfolgt. Bei der Prüfung, ob das Design eines Projekts angemessen ist, sind dessen Ziele zu berücksichtigen. Ich werde daher untersuchen, ob das Design des Projekts im Licht seiner beiden erklärten Ziele gerechtfertigt werden kann.

    b)      Design und Durchführung der Forschung

    77.      Wie bereits erläutert, müssen das Design eines Projekts und die Art und Weise, wie dieses durchgeführt wird, angemessen sein(44). Das bedeutet, dass die nach der Vogelschutzrichtlinie grundsätzlich verbotene Störung von Vögeln wegen der mit dem Projekt verfolgten Ziele gerechtfertigt sein muss(45).

    78.      Ich werde die Fragen des Forschungsdesigns und der Durchführung des Finkenprojekts trennen. Dabei werde ich einerseits auf die von der Kommission gerügten Aspekte, die ich als angemessene Elemente des Designs dieses Projekts betrachte, und andererseits auf die Aspekte eingehen, die ich nicht für angemessen halte.

    1)      Akzeptable Elemente des Designs des Finkenprojekts

    79.      Die Kommission argumentiert, dass die Verwendung von Klappnetzen nicht gerechtfertigt sei, dass die Anzahl der Fangplätze übermäßig hoch sei und dass sie keinen eindeutigen Zusammenhang mit der Fragestellung aufweise. Außerdem könne die Forschungsfrage einfach nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums beantwortet werden, wenn nur die Daten beringter Vögel erhoben würden, denn in Malta würden nur wenige beringte Exemplare gefangen. Es würde gemäß dem gegenwärtigen Projektdesign etwa 70 Jahre dauern, die erforderliche Anzahl von Ringen zu sammeln.

    80.      Aus meiner Sicht hat Malta überzeugende Argumente gegen die von der Kommission als Designmängel angeführten Elemente vorgebracht. Erstens sind sowohl Klappnetze als auch Japannetze nach Anhang IV der Vogelschutzrichtlinie grundsätzlich verboten und dürfen nur im Rahmen einer der Abweichungen verwendet werden. Wenn also Vögel gefangen werden müssen, und dies scheint heute die einzige wissenschaftlich verfügbare Methode zu sein, um auf Daten in Ringen beringter Finken zuzugreifen, kann mit Klappnetzen ein selektiverer Vogelfang als mit Japannetzen durchgeführt werden. Da das Finkenprojekt auf sieben bestimmte Finkenrassen abzielt, scheint diese Option gerechtfertigt.

    81.      Zweitens ist meines Erachtens die große Zahl der gefangenen Vögel auf der großen Fläche des Landes nicht unbedingt ein Mangel des Projekts. Ein solches Design erhöht die Chancen, einen beringten Vogel zu fangen und die erforderlichen Informationen schneller zu erhalten. Einem Argument, das Malta in diesem Kontext angeführt hat, kann jedoch nicht zugestimmt werden. Malta hat betont, dass der Fang zahlreicher Vögel anders als bei einem früheren Freizeitprojekt kein Problem darstelle, da die Vögel unversehrt wieder freigelassen würden. Die Tatsache, dass die Finken nach dem Fang wieder freigelassen werden, kann jedoch nicht als Rechtfertigung für das Design des Projekts an sich verstanden werden. Es darf nicht vergessen werden, dass nach der Vogelschutzrichtlinie auch das Einfangen und Stören von Vögeln verboten ist, nicht nur ihre Haltung oder Tötung.

    82.      Was drittens die Sättigungsgrenze von 60 bis 70 gesammelten Ringen pro Finkenart angeht, woraus zu schließen sei, dass genügend Daten für belastbare Schlussfolgerungen gesammelt würden, so halte ich den Gerichtshof nicht für hinreichend unterrichtet, um über diesen Aspekt entscheiden zu können. Das gilt auch für die Prognosen über das mögliche Ende des Projekts.

    2)      Inakzeptable Mängel im Design und bei der Durchführung der Forschung

    83.      Wie ich bereits angeregt habe, sollte der Gerichtshof bei der Prüfung, ob ein Projekt ein echtes Forschungsprojekt ist, auf dessen Angemessenheit abstellen. Die Prüfung der Angemessenheit eines Forschungsprojekts erfordert eine Abwägung zwischen der für das Projekt erforderlichen Störung von Wildfinken, die nach der Vogelschutzrichtlinie verboten ist, und dem mit dem Projekt verfolgten wissenschaftlichen Ziel. Je wichtiger das Ziel des Projekts ist, desto leichter lassen sich der Fang und die Störung rechtfertigen. Je unwichtiger das Ziel ist, desto schwieriger erweist sich die Rechtfertigung des Projekts, was zu dem Schluss führen kann, dass der Fang und die Störung der Vögel nicht erlaubt werden sollten.

    84.      Bei der Abwägung ist auch zu berücksichtigen, dass das fragliche Projekt lebende Tiere betrifft(46). Es ist zu beachten, dass der Schutz des Wohlergehens der Tiere gemäß Art. 13 AEUV eine von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung darstellt(47). Der Gerichtshof hat dessen Bedeutung im Zusammenhang mit der Vogelschutzrichtlinie bereits ausdrücklich anerkannt(48).

    85.      Zur Angemessenheit des Finkenprojekts hebt die Kommission die folgenden Mängel im Projektdesign hervor. Erstens gebe es keine umfassende Datenerhebung, die die Störung der Vögel rechtfertigen könnte, und das Projekt konzentriere sich zu Unrecht auf die Erfassung bereits beringter Exemplare. Zweitens seien die am Projekt beteiligten Datenerfasser nicht ausreichend geschult und befänden sich in einem Interessenkonflikt, der ihrer Mitwirkung an dem Projekt entgegenstehen müsste.

    i)      Konzentration des Projekts auf bereits beringte Exemplare

    86.      Im Rahmen des ersten Arguments macht die Kommission unter Berufung auf die Ergebnisse der Berichte von BirdLife Malta und EURING zunächst geltend, die Konzentration des Projekts auf die Herkunft der Finken sei falsch. Diese sind der Ansicht, dass „[es] wichtig [ist], die Verbreitung, Anzahl und Fluktuation der auf Malta überwinternden Finken sowie ihren Migrationsursprung zu erforschen, um sie besser erhalten und bewirtschaften zu können und um eine Grundlage für die Überwachung der Wirksamkeit künftiger Erhaltungsmaßnahmen zu erlangen“. Der Akzent eines glaubwürdigen Projekts sollte zunächst nicht auf der Herkunft der Bestände liegen, sondern im Rahmen des Projekts sollten zuerst die Größe, die Zusammensetzung und die Fluktuation der auf Malta außerhalb der Brutzeit auftretenden Finkenbestände geschätzt werden. Hierfür kämen Verhaltensbeobachtungen in Betracht, die „grundlegende Erkenntnisse über die jahreszeitliche Häufigkeit und die Nutzung der Lebensräume [liefern würden], wodurch die Gebiete und Lebensräume ermittelt werden könnten, die für diese Vogelarten am wichtigsten seien und deren Erhaltung höchste Priorität genießen sollte“(49).

    87.      Malta hat dieses Argument nicht entkräftet. Wird das Projekt nur unter dem Aspekt seines Ziels betrachtet, durch Schließung der vom Gerichtshof im Urteil Kommission/Malta festgestellten Wissenslücke die (Wieder‑)Einführung einer „Freizeitabweichung“ zu ermöglichen, könnte die Erhebung von Daten über die Herkunft der Vögel in der Tat als ein angemessener Schwerpunkt für das Projekt erscheinen. Die Konzentration allein auf diese Art von Daten kann jedoch, insbesondere mangels anderer relevanter Daten, die im Rahmen des Finkenprojekts nicht erhoben werden können, die Störung von Vögeln im Licht eines weiter gehenden Erhaltungsziels nicht rechtfertigen.

    88.      Der zweite höchst problematische Fehler im Design des Projekts besteht darin, dass der Vogelfang nur zur Erfassung und Aufzeichnung von Daten gefangener und bereits beringter Exemplare erlaubt wird. Dies ist, wie die Kommission erklärt, weder wissenschaftlich noch ethisch gerechtfertigt. Wenn Vögel bei Beringungsaktionen gefangen werden, sollten alle geeigneten wissenschaftlichen Daten erhoben werden, um eine möglichst umfassende wissenschaftliche Datennutzung zu gewährleisten. Die Erhebung nicht nur der Ringdaten, sondern auch zusätzlicher Daten über jeden gefangenen Vogel, wie etwa Alter und Geschlecht, Gewicht, Zustand des Gefieders, Vermessung der Flügel usw., könnte in der Tat zusammen mit der Beringung aller gefangenen Exemplare Handlungen rechtfertigen, die eigentlich durch die Vogelschutzrichtlinie verboten sind. Hierfür wäre die Mitwirkung geschulter und erfahrener Beringer erforderlich.

    89.      Insoweit ist daran zu erinnern, dass das Finkenprojekt in seinem ursprünglichen Design nach den einschlägigen Rechtsvorschriften tatsächlich nicht nur die Datenerhebung von bereits beringten Vögeln, sondern auch die Beringung aller gefangenen Vögel vorsah. Für die Durchführung dieses Teils des Projekts sollte zugelassenen Vogelberingern eine spezielle Genehmigung für die Mitwirkung an dem Projekt erteilt werden können. Da die maßgebliche Beringungsorganisation EURING dem vorgeschlagenen Projekt jedoch skeptisch gegenüberstand, weigerten sich die in Malta tätigen Vogelberinger, an dem Projekt teilzunehmen(50). Eine europaweite Ausschreibung für Beringer war laut Malta erfolglos. Daher wurde das Projekt in den drei untersuchten Jahren nur durchgeführt, um Daten von bereits beringten Vögeln zu erheben.

    90.      Das im Finkenprojekt vorgesehene massenhafte Einfangen von Vögeln, nur um Daten von beringten Vögeln zu erheben, kann meines Erachtens das Projekt nicht rechtfertigen, unabhängig davon, ob dieses nur die (Wieder‑)Einführung der „Freizeitabweichung“ ermöglichen soll oder tatsächlich weiter gehende Erhaltungsziele verfolgt. In beiden Szenarien stünde eine derart massive Störung der Vögel in keinem Verhältnis zum wissenschaftlichen Nutzen des Projekts(51).

    91.      Es hätte eventuell vermieden werden können, dass sich die Beringer nicht am Finkenprojekt beteiligten, wenn der Gesetzgeber auf einen Teil des Projektdesigns verzichtet hätte. Einer der umstrittenen Punkte, derentwegen die Beringer ihre Mitwirkung am Finkenprojekt verweigerten, war die Verwendung lebender Lockvögel. Eine solche scheint jedoch nicht notwendig zu sein, um Finken mit Klappnetzen zu fangen. Die Verwendung zuvor eingestellter Vogellockrufpfeifen ist ebenso wirksam(52). Da das Projektdesign durch eine solche Änderung sinnvoller gestaltet werden könnte, weil es möglich wäre, die Vögel parallel zur Erfassung der vorhandenen Ringdaten zu beringen, ohne dass die Effizienz der Fangmethode beeinträchtigt würde, muss man sich fragen, ob dieser Teil des Projektdesigns nicht einem anderen Zweck als dem eigentlichen Forschungszweck dient. Mit diesem Teil des Projekts kann der Finkenfang als Freizeitbeschäftigung beibehalten werden, bei der traditionell lebende Lockvögel zum Einsatz kamen(53).

    ii)    Datenerfasser und Bürgerwissenschaft

    92.      Damit komme ich zum nächsten Argument der Kommission, das die Unangemessenheit der Mitwirkung von Personen an dem Projekt betrifft, die bereits am früheren Projekt der „Freizeitabweichung“ beteiligt gewesen seien.

    93.      Malta antwortet auf dieses Vorbringen hauptsächlich mit dem Hinweis auf die Bürgerwissenschaft. Die Kommission befürworte das Konzept der Bürgerwissenschaft nachdrücklich, so dass ihre Haltung in der vorliegenden Rechtssache überrasche(54). Es sei angemessen, Personen einzubinden, die im Rahmen einer „Freizeitfangabweichung“ eine Genehmigung für den Lebendfang erhalten hätten, da diese Personen mit Klappnetzen umzugehen wüssten. Schließlich könnten nur Fallensteller nach einer Schulung die spezielle Genehmigung erlangen, die sie zur Teilnahme am Finkenprojekt befähige.

    94.      Bürgerwissenschaft wird in der Tat von der Europäischen Union unterstützt(55). Bei der Einbindung von Bürgern in wissenschaftliche Projekte geht es jedoch nicht darum, Projekte zu konzipieren, um Bürger daran zu beteiligen, sondern vielmehr um die Einbindung von Bürgern in Forschungsprojekte, die als solche durch ein relevantes Forschungsziel gerechtfertigt sind. Die Bürgerbeteiligung sollte allen Personen, die an dem Projekt mitwirken möchten, zugänglich sowie diskriminierungsfrei sein, auch wenn sie an bestimmte Bedingungen geknüpft werden kann.

    95.      Im Gegensatz dazu ist das Finkenprojekt so konzipiert, dass nur Personen, die über die allgemeine Genehmigung für den Lebendfang verfügen – die nicht mehr erteilt wird, sondern sich nur noch im Besitz früherer Teilnehmer des Projekts der „Freizeitabweichung“ befindet –, die spezielle Genehmigung für die Teilnahme am Finkenprojekt beantragen können(56). Dies hat Malta in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Dieser Mitgliedstaat hat jedoch keine plausible Erklärung dafür geliefert, warum das Projekt, wenn es schon auf dem Konzept der Bürgerwissenschaft basiert, nicht allen an einer möglichen Mitwirkung interessierten Bürgern offensteht. Zwar wurde argumentiert, Personen im Besitz einer allgemeinen Genehmigung für den Lebendfang wüssten, wie man Klappnetze einsetze. Es wurde jedoch nicht erklärt, warum andere Bürger nicht in der Lage sein sollten, den Einsatz dieser Netze für die Zwecke des Projekts zu erlernen.

    96.      Die für die Erteilung der speziellen Genehmigung obligatorische Schulung scheint nur darauf abzuzielen, die potenziellen Teilnehmer über das rechtliche Konzept des Projekts zu informieren, wozu auch – nicht zuletzt – die Pflicht gehört, die gefangenen Vögel unverzüglich freizulassen. Aus den dem Gerichtshof übermittelten Angaben geht nicht hervor, dass durch die fragliche Schulung die für die Datenerhebung erforderlichen Fähigkeiten vermittelt würden, z. B. wie man Klappnetze richtig einsetzt oder wie man sieben Finkenarten voneinander und von anderen Vögeln unterscheidet(57). Dies dürfte in der Tat keine ausreichende Schulung sein, durch die alle interessierten Bürger in die Lage versetzt würden, sich an dem Projekt zu beteiligen.

    97.      Die anderen Projekte, die Malta in seiner Klagebeantwortung als mit dem Finkenprojekt vergleichbar bezeichnet hat, weil durch sie Bürger in die Erforschung von Vögeln einbezogen würden, sahen keine Bürgerbeteiligung an invasiven Maßnahmen gegenüber Vögeln vor. Vielmehr ging es bei diesen Projekten hauptsächlich um Beobachtung und Übermittlung der erhobenen Daten(58). Wie EURING erklärt, erhalten Bürger, die an den Beringungsprojekten mitwirken, außerdem eine intensive Schulung, die oft ein Jahr lang dauert, und nehmen neben professionellen Beringern an dem Projekt teil(59).

    98.      Ich stimme Malta zu, dass die Einbeziehung von Personen, die früher Finken zu Freizeitzwecken gefangen haben, an sich kein Problem darstellt und sogar eine erzieherische Komponente aufweisen kann, zumal das Halten der Vögel im Rahmen des Projekts verboten ist.

    99.      Dies erklärt aber nicht, warum nur an diese Personen eine Einladung zur Teilnahme an den bürgerwissenschaftlichen Vorhaben des Finkenprojekts ergeht. Das entspricht nicht dem Konzept der Bürgerwissenschaft. Es deutet vielmehr darauf hin, dass das Projekt eigentlich mit dem Ziel konzipiert und durchgeführt wurde, dieser besonderen Gruppe von Bürgern eine Fortsetzung ihrer Freizeitbeschäftigung des Finkenfangs zu ermöglichen.

    100. Malta hat erklärt, das Projekt sehe die Kontrolle seiner Durchführung und rechtlichen Durchsetzung vor, was die Datenerfasser davon abhalten solle, die gefangenen Vögel zu halten. Darüber hinaus zeigten die Zahlen der letzten beiden Jahre der Durchführung des Projekts dessen wirksame Implementierungskontrollen in der Praxis. Dazu hat Malta beachtliche Zahlen vorgelegt, die auf intensive Bemühungen zur Verbesserung der Durchsetzung seiner Rechtsvorschriften hinweisen. So war beispielsweise im Jahr 2021 während der eröffneten „Forschungszeiträume“ in Anbetracht dessen, dass nach der derzeitigen abweichenden Regelung 2 904 spezielle Genehmigungen erteilt wurden, der Einsatz von 50 Polizeibeamten für die zulässigen Uhrzeiten gesetzlich vorgeschrieben, wobei die Einsatzkräfte insgesamt 3 111 Stichproben durchführten, bei denen 122 Verstöße festgestellt wurden(60).

    101. Dies mag tatsächlich zu einem Rückgang der Fälle geführt haben, in denen gefangene Vögel nicht freigelassen wurden. Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ist es aber merkwürdig, dass ein echtes Forschungsprojekt eine so konstante und umfangreiche Mobilisierung von Strafverfolgungskapazitäten erfordert.

    102. Schließlich ist nicht nur das Design des Finkenprojekts unter dem Aspekt der Bürgerwissenschaft kaum zu verantworten, sondern dieses Projekt ist auch in keine Kooperation mit anderen Forschungsprojekten eingebunden. Es wäre doch zu erwarten, dass ein Projekt, das auf Daten aus anderen Ländern angewiesen ist und einen Beitrag zu anderen mit dem Vogelzug befassten Projekten leisten kann, eine nationale und internationale Zusammenarbeit mit ähnlichen Projekten vorsieht(61).

    103. Im Ergebnis bin ich mit der Kommission der Ansicht, dass sich aus der Beweislage nicht ergibt, dass das Design und die Durchführung des Finkenprojekts im Hinblick auf die Erreichung der erklärten Ziele echt und angemessen wären. Daher kann das Projekt nicht unter Berufung auf die „Forschungsabweichung“ gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Vogelschutzrichtlinie gerechtfertigt werden.

    2.      Fehlen einer anderen zufriedenstellenden Lösung und Begründungspflicht

    104. Die Kommission argumentiert, Malta habe nicht erklärt, warum die Forschungsfrage nicht mit anderen Methoden beantwortet werden könne, und auch in der Regelung, mit der die Abweichung eingeführt worden sei, keine klare Aussage hierzu getroffen.

    105. Malta entgegnet, die Hinweise auf die in den Bekanntmachungen zur Durchführung der Rahmenregelungen von 2020 und 2021 angeführten Berichte verdeutlichten hinreichend, warum es keine geeignete Alternative zum Finkenprojekt gebe.

    106. Erstens enthält Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie, unabhängig vom Grund für eine zulässige Abweichung, die Bedingung, dass eine solche Abweichung nur in Anspruch genommen werden kann, „sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt“.

    107. Ich habe bereits dargelegt, warum das Design und die Durchführung des Finkenprojekts meines Erachtens nicht angemessen sind, um die Forschungsziele zu erreichen. Ich bin daher der Meinung, dass dieses Projekt nicht zum Zweck der Forschung verabschiedet wurde. Somit stellt sich die Frage nach Alternativen nicht.

    108. Sollte der Gerichtshof jedoch feststellen, dass das Finkenprojekt zu Forschungszwecken verabschiedet wurde, bin ich der Auffassung, dass Malta, wie die Kommission geltend macht, nicht klar begründet hat, warum die beiden erwähnten Alternativen unzureichend sein sollen.

    109. Ziel des Finkenprojekts ist es, herauszufinden, woher die Finken kommen, die über Malta fliegen. Zu diesem Zweck sollen im Rahmen des Projekts Methoden angewandt werden, die nach der Vogelschutzrichtlinie verboten sind: Vogelfang und Einsatz von Klappnetzen. Um das Finkenprojekt gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Vogelschutzrichtlinie zu rechtfertigen, muss Malta also nachweisen, dass es keine anderen Methoden gibt, die nicht gegen die Richtlinie verstoßen oder die unter eine Abweichung fallen, aber weniger einschneidend sind.

    110. Die erste von der Kommission genannte Alternative betrifft die Hinzuziehung sachkundiger Ornithologen. Die Kommission hat nicht klar dargelegt, wie diese beteiligt werden sollten. Sie müssen zweifellos am Design des Projekts, an der Analyse der erhobenen Daten, an den aus diesen Analysen zu ziehenden Schlussfolgerungen und schließlich an der Veröffentlichung der Projektergebnisse beteiligt werden(62).

    111. Wie dem auch sei, das von der Kommission hervorgehobene Problem der fehlenden Beteiligung von Ornithologen am Design des Finkenprojekts betraf die Erhebung der Daten aus den Vogelringen und die Beschaffung zusätzlicher Informationen über die gefangenen Vögel.

    112. Insofern kann sich Malta meines Erachtens nicht darauf berufen, dass die Beteiligung von Ornithologen an dem Projekt deshalb keine zufriedenstellendere Alternative sei, weil ursprünglich die Mitwirkung von Vogelberingern bei der Datenerhebung geplant gewesen sei. Nachdem sein Versuch einer Hinzuziehung von Ornithologen gescheitert war, ließ Malta jedoch diesen ursprünglichen Aspekt des Projektdesigns außer Acht und führte das Projekt ohne Beteiligung von Ornithologen fort. Eine erste Alternative bestand offensichtlich, wurde aber von Malta vernachlässigt.

    113. Die zweite angeführte Alternative war eine großformatige Modellbildung. Wenngleich Malta mehrere Gründe anführt, warum diese Option weniger effizient sei als das Projekt, das sich auf eine Datenerhebung aus den Vogelringen stütze, behauptet Malta nicht, dass mit einer solchen Methode die Forschungsfrage nicht beantwortet und so die fragliche Wissenslücke geschlossen werden könnte. Da die großformatige Modellbildung eine Forschungsmethode darstellt, die nicht invasiv ist und daher nicht gegen die Vogelschutzrichtlinie verstößt, würde die Ablehnung einer solchen Methode eine gründlichere Begründung erfordern.

    114. Ich bin der Auffassung, dass Malta nicht klar dargelegt hat, warum andere verfügbare Methoden nicht geeignet sind, die Wissenslücke zu schließen, deren Feststellung der Grund für die Entwicklung des Finkenprojekts war. Daher genügt die in den Durchführungsbestimmungen (Bekanntmachungen) enthaltene Begründung nicht dem in der Rechtsprechung festgelegten Maß an Rechtssicherheit(63), wonach genau und angemessen begründet werden muss, wie die Bedingungen des Art. 9 erfüllt werden und warum die Behörde, die die abweichende Maßnahme erlässt, meint, dass es keine andere zufriedenstellende Alternative gebe(64).

    115. Weder die Rahmenregelungen von 2020 noch die Rahmenregelungen von 2021 enthalten eine Begründung, die sich mit einer verfügbaren Alternative befassen würde. In den drei Durchführungsbekanntmachungen, mit denen der jeweilige Forschungszeitraum für 2020, 2021 und 2022 eröffnet wird, findet sich ein Ansatz einer Begründung. Während in der Bekanntmachung von 2020 nur implizit auf Studien verwiesen wird, die dem Design des Projekts zugrunde liegen, enthalten die späteren Bekanntmachungen in Fußnoten deutlichere Hinweise auf diese Studien. Weder diese Studien noch die im Verfahren vor dem Gerichtshof vorgebrachten Argumente geben jedoch eine klare Antwort auf die Frage, warum die anderen Methoden verworfen werden mussten. Es wird nicht ihre fehlende Eignung, sondern nur ihre geringere Effizienz angeführt.

    116. Die Kommission hat somit hinreichend dargetan, dass Malta es versäumt hat, sowohl zu begründen als auch in der Sache nachzuweisen, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt.

    117. Infolgedessen schlage ich dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass Malta gegen seine Verpflichtungen aus Art. 5 und Art. 8 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie verstoßen hat.

    VI.    Kosten

    118. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission beantragt hat, die Republik Malta zur Tragung der Kosten zu verurteilen, und die Republik Malta mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

    VII. Ergebnis

    119. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

    –        festzustellen, dass die Republik Malta dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 und Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten verstoßen hat, dass sie eine abweichende Regelung erlassen hat, die den Lebendfang von sieben Wildfinkenarten (Buchfink Fringilla coelebs, Bluthänfling Carduelis cannabina, Stieglitz Carduelis carduelis, Grünfink Carduelis chloris, Kernbeißer Coccothraustes coccothraustes, Girlitz Serinus serinus und Erlenzeisig Carduelis spinus) zulässt;

    –        der Republik Malta neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Kommission aufzuerlegen.


    1      Originalsprache: Englisch.


    2      Huston, J., Der Malteser Falke, Warner Bros, 1941. Zu den historischen Fakten dieser Geschichte vgl. Falzon, M.‑A., Birds of Passage, Hunting and Conservation in Malta, Berghahn Books, New York, Oxford 2020, S. 26.


    3      Soweit ich weiß, hat man in Malta Finken gefangen, um diese Vögel als lebende Lockvögel für die Jagd oder zum weiteren Fallenstellen zu verwenden. Die Vögel wurden auch in Käfigen gehalten, und zwar zur Zucht, als Haustiere oder aus Freude an ihrem Gesang. Vgl. hierzu Falzon, M.‑A., Birds of Passage, Hunting and Conservation in Malta, a. a. O., S. 14 bis 15, 51 und 55 bis 56.


    4      Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 2010, L 20, S. 7), mit der die Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 1979, L 103, S. 1) aufgehoben wurde (im Folgenden: Vogelschutzrichtlinie).


    5      Im Beitrittsvertrag war eine Übergangsfrist vorgesehen, innerhalb deren Malta den durch die Vogelschutzrichtlinie verbotenen Vogelfang schrittweise einstellen sollte. Vgl. Vertrag zwischen dem Königreich Belgien, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, Irland, der Italienischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Portugiesischen Republik, der Republik Finnland, dem Königreich Schweden, dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (Mitgliedstaaten der Europäischen Union) und der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (ABl. 2003, L 236, S. 17 [S. 870]).


    6      Es handelt sich um die folgenden sieben Wildfinkenarten: den Buchfink (Fringilla coelebs), den Bluthänfling (Carduelis cannabina), den Stieglitz (Carduelis carduelis), den Grünfink (Carduelis chloris), den Kernbeißer (Coccothraustes coccothraustes), den Girlitz (Serinus serinus) und den Erlenzeisig (Carduelis spinus).


    7      Urteil vom 21. Juni 2018, Kommission/Malta (C‑557/15, EU:C:2018:477, im Folgenden: Urteil Kommission/Malta).


    8      Vgl. Urteil Kommission/Malta, Rn. 62 bis 76. Außerdem erfüllte die „Freizeitabweichung“ dem Gerichtshof zufolge die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie deshalb nicht, weil es sich bei den Klappnetzen um keine selektive Fangmethode handelte, weil der Fang sehr intensiv war und weil die Abweichung nicht unter streng überwachten Bedingungen angewendet wurde (vgl. Urteil Kommission/Malta, Rn. 71, 79, 81, 84 und 97).


    9      Das Finkenprojekt stützt sich auf die in Abschnitt II dieser Schlussanträge dargelegten Rechtsvorschriften.


    10      In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission erklärt, sie habe beschlossen, die vorliegende Klage gemäß Art. 258 AEUV und nicht Art. 260 Abs. 2 AEUV zu erheben, weil die Rechtsvorschriften zur Einführung des Finkenprojekts vorgeblich durch eine andere Bestimmung der Vogelschutzrichtlinie gerechtfertigt seien. Obwohl die neuen Rechtsvorschriften die alte Regelung aufrechterhielten, beruhten sie auf einem anderen Abweichungsgrund, weshalb ein neues Vertragsverletzungsverfahren habe eingeleitet werden müssen.


    11      Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Umwelt aufgrund des Beitritts der Republik Kroatien (ABl. 2013, L 158, S. 193) (im Folgenden: Habitatrichtlinie).


    12      Zur Bedeutung der biologischen Vielfalt vgl. die einleitenden Bemerkungen zu meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Irland (Ausweisung und Schutz von besonderen Schutzgebieten) (C‑444/21, EU:C:2023:90, Nrn. 1 bis 3).


    13      (Hervorhebung nur hier). In Anhang I der Vogelschutzrichtlinie sind die Vögel aufgeführt, auf die gemäß Art. 4 dieser Richtlinie besondere Schutzmaßnahmen anzuwenden sind, um ihr Überleben sicherzustellen. In Anhang II sind die Arten aufgeführt, die gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bejagt werden dürfen, und in Anhang III sind die Arten aufgeführt, mit denen unter bestimmten Bedingungen Handel getrieben werden darf. Finken, die Gegenstand des „Finkenprojekts“ sind, werden in keinem der Anhänge der Vogelschutzrichtlinie genannt. Auch sie unterliegen jedoch besonderen Schutzmaßnahmen gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie, der eine solche Behandlung für „die nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten“ vorschreibt.


    14      Vgl. in diesem Sinne Rn. 79, 81 und 84 dieses Urteils.


    15      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. März 2021, One Voice und Ligue pour la protection des oiseaux (C‑900/19, EU:C:2021:211, im Folgenden: Urteil One Voice, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).


    16      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Juli 1987, Kommission/Belgien (247/85, EU:C:1987:339, Rn. 8), vom 28. Februar 1991, Kommission/Deutschland (C‑57/89, EU:C:1991:89, Rn. 22), vom 23. April 2020, Kommission/Finnland (Frühjahrsjagd auf die männliche Eiderente) (C‑217/19, EU:C:2020:291, Rn. 85), und One Voice, Rn. 35.


    17      Legal Notice 79 (Gesetzliche Mitteilung 79) vom 29. März 2006, die Regelungen zur Erhaltung der wildlebenden Vogelarten enthält (Anlage A.1 zur Klageschrift).


    18      Legal Notice 399 (Gesetzliche Mitteilung 399) vom 27. Oktober 2020.


    19      Legal Notice 400 (Gesetzliche Mitteilung 400) von 2020 zur Bekanntmachung über eine Abweichung zur Zulassung eines Forschungszeitraums für 2020.


    20      Legal Notice 394 (Gesetzliche Mitteilung 394) von 2021.


    21      Legal Notice 395 (Gesetzliche Mitteilung 395) von 2021 zur Bekanntmachung über eine Abweichung zur Zulassung eines Forschungszeitraums für 2021.


    22      Legal Notice 257 (Gesetzliche Mitteilung 257) von 2022 zur Bekanntmachung über eine Abweichung zur Zulassung eines Forschungszeitraums für 2022.


    23      Das ist in Regulation 1(2) sowohl der Rahmenregelungen von 2020 als auch der Rahmenregelungen von 2021 vorgesehen. Die Formulierung „unter streng überwachten Bedingungen und selektiv“ wurde jedoch durch die Rahmenregelungen 2021 eingefügt.


    24      Vgl. hierzu Regulation 2(c) der Bekanntmachung von 2021, in der es heißt, dass Vogelberinger aus dem nationalen Beringungsdienst die Verwendung lebender Lockvögel zu Beringungs- und Kontrollzwecken nicht akzeptieren könnten und aus ethischen Gründen ablehnten.


    25      Mit der Bekanntmachung von 2021, die am selben Tag wie die Rahmenregelungen von 2021 erlassen wurde, eröffnete Malta einen weiteren Forschungszeitraum vom 20. Oktober 2021 bis zum 20. Dezember 2021. Mit der Bekanntmachung von 2022 wurde ein ähnlicher Forschungszeitraum vom 20. Oktober 2022 bis zum 20. Dezember 2022 eröffnet.


    26      Urteil vom 22. März 1983, Kommission/Frankreich (42/82, EU:C:1983:88, Rn. 20).


    27      Vgl. Regulation 1(2) der Rahmenregelungen von 2020 und der Rahmenregelungen von 2021.


    28      Vgl. die Definition der „relevanten Arten“ in Regulation 2(2) der Rahmenregelungen von 2020 und der Rahmenregelungen von 2021.


    29      Vgl. Regulations 5 bis 7 der Rahmenregelungen von 2020 und Regulations 10 bis 12 der Rahmenregelungen von 2021.


    30      Vgl. Regulation 4 der Rahmenregelungen von 2020 und Regulation 8 der Rahmenregelungen von 2021.


    31      Vgl. Regulation 3 der Rahmenregelungen von 2021.


    32      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. November 1992, Kommission/Griechenland (C‑105/91, EU:C:1992:441, Rn. 12 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 4. September 2014, Kommission/Deutschland (C‑211/13, EU:C:2014:2148, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).


    33      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. November 1992, Kommission/Griechenland (C‑105/91, EU:C:1992:441, Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 9. September 2004, Kommission/Griechenland (C‑417/02, EU:C:2004:503, Rn. 17), und vom 4. September 2014, Kommission/Deutschland (C‑211/13, EU:C:2014:2148, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).


    34      Siehe Nr. 40 der vorliegenden Schlussanträge.


    35      Vgl. in diesem Sinne Urteil One Voice, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung.


    36      Vgl. Art. 16 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie. Ein kleiner Unterschied besteht darin, dass in der englischen Fassung der Habitatrichtlinie der Singular verwendet wird. Ich halte dies nicht für einen wichtigen oder beabsichtigten Unterschied. Außerdem wird in der französischen Fassung sowohl der Habitat- als auch der Vogelschutzrichtlinie der Plural verwendet, wobei meines Erachtens der Plural für einen Verweis sowohl auf die Forschung als auch auf den Unterricht besser passt.


    37      Nach Ansicht von Generalanwältin Kokott setzt Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie Art. 9 des Übereinkommens über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume, am 19. September 1979 in Bern zur Unterschrift aufgelegt (ABl. 1982, L 38, S. 3) (im Folgenden: Übereinkommen von Bern), um, dem die Europäische Union beigetreten ist (Beschluss 82/72/EWG des Rates vom 3. Dezember 1981 über den Abschluss des Übereinkommens zur Erhaltung der europäischen freilebenden Tiere und wildwachsenden Pflanzen und ihrer natürlichen Lebensräume [ABl. 1982, L 38, S. 1]), weshalb dieses Übereinkommen bei der Auslegung der Vogelschutzrichtlinie zu berücksichtigen sei. Vgl. ihre Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen Föreningen Skydda Skogen u. a. (C‑473/19 und C‑474/19, EU:C:2020:699, Nr. 73).


    38      Ständiger Ausschuss, Provisions on Exceptions in accordance with Article 9 of the Bern Convention, T‑PVS/Inf (2011) 23, Nr. 3.5.5, S. 19, abrufbar unter https://rm.coe.int/0900001680746b62 (zuletzt aufgerufen am 29. Februar 2024).


    39      Unter Berufung auf Day, R., und Gastel, B., How to Write and Publish a Scientific Paper, 9. Aufl., Cambridge University Press, 2022, führte Malta folgende Elemente als Bestandteile eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts an: Ein solches Projekt müsse eine Forschungsfrage formulieren, ein Forschungsdesign wählen, die Methoden der Datenerhebung und ‑analyse festlegen und schließlich die Ergebnisse interpretieren und mitteilen. Malta meint, das Finkenprojekt weise alle diese Elemente auf. Die Kommission stellt Maltas Definition der wissenschaftlichen Forschung nicht in Frage. Sie bezweifelt jedoch, dass das Finkenprojekt unter diese Definition fällt.


    40      Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 31. März 2014, Whaling in the Antarctic [Walfang in der Antarktis] (Australien/Japan; Streithelfer: Neuseeland), ICJ Reports 2014, S. 226 [S. 258 ff.].


    41      Ebd., § 97 des Urteils.


    42      Diese Frage wird als die dem Finkenprojekt zugrunde liegende Frage in „Malta‘s finches research project: scope and methodology“, WBRU, S. 4, genannt. Bei diesem Bericht handelt es sich offenbar um ein Gutachten, das vor der Einführung des Finkenprojekts erstellt wurde. Das dem Gerichtshof (als Anhang B.2 zur Klagebeantwortung in der vorliegenden Rechtssache) übermittelte Dokument besagt, dass das Gutachten im Mai 2020 angenommen, aber erst im März 2023 in einer überarbeiteten Fassung veröffentlicht wurde. In seinen Ausführungen hat Malta bestätigt, dass es sich hierbei tatsächlich um die Forschungsfrage des Finkenprojekts handle.


    43      In Regulation 2(1) der Rahmenregelungen von 2020 wird die Erhebung von Daten für die künftige Einführung der „Freizeitabweichung“ ausdrücklich als Ziel des Finkenprojekts genannt. In Regulation 2(1) der Rahmenregelungen von 2021 wird ein solches Ziel nicht mehr ausdrücklich genannt.


    44      Siehe Nrn. 60 und 61 der vorliegenden Schlussanträge.


    45      Zum Erfordernis der Verhältnismäßigkeit jeder auf Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie beruhenden Maßnahme vgl. Urteile vom 10. September 2009, Kommission/Malta (C‑76/08, EU:C:2009:535, Rn. 57), und One Voice, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung.


    46      Vgl. hierzu ethische Erwägungen und Verfahren, die in den im Rahmen des Programms Horizont 2020 vorgeschlagenen Projekten enthalten sein müssen, unter: https://ec.europa.eu/research/participants/docs/h2020-funding-guide/cross-cutting-issues/ethics_en.htm.


    47      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Dezember 2020, Centraal Israëlitisch Consistorie van België u. a. (C‑336/19, EU:C:2020:1031, Rn. 63), und vom 29. Februar 2024, cdVet Naturprodukte (C‑13/23, EU:C:2024:175, Rn. 49). Im Hinblick darauf hat die Europäische Union die Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (ABl. 2010, L 276, S. 33) erlassen.


    48      Urteil One Voice, Rn. 39 und 65.


    49      EURING, Empfehlung an die Europäische Kommission zur Erhebung von Daten für die Erhaltung und Bewirtschaftung der maltesischen Finkenbestände (Anlage A.21 zur Klageschrift), S. 12.


    50      Vgl. hierzu das Protokoll der Sitzung des maltesischen ornithologischen Ausschusses von Mittwoch, dem 26. August 2020 (Anlage A.20 zur Klageschrift), Nr. 5.29, S. 13.


    51      Nach den dem Gerichtshof vorliegenden Daten wurden im Jahr 2020 nur zehn Ringe (Bericht der WBRU über das Ergebnis der Forschungsabweichung vom Herbst 2020 zur Bestimmung des maltesischen Referenzbestands der sieben Finkenarten, März 2021 [Anlage A.11 zur Klageschrift], Nr. 5.2) und im Jahr 2021 nur 22 Ringe erfasst (Bericht der WBRU über das Ergebnis der Forschungsabweichung vom Herbst 2021 zur Bestimmung des maltesischen Referenzbestands der sieben Finkenarten, März 2022 [Anlage B.27 zur Klagebeantwortung], Nr. 5.2).


    52      Der maltesische ornithologische Ausschuss sprach sich auf seiner Sitzung dafür aus, zusätzlich zur möglichen Verwendung lebender Lockvögel durch Fallensteller Vogellockrufpfeifen einzusetzen. Ein Vertreter von BirdLife Malta stimmte wegen der weiteren Verwendung lebender Lockvögel dagegen. Vgl. hierzu das Protokoll der Sitzung des maltesischen ornithologischen Ausschusses von Mittwoch, dem 26. August 2020 (Fn. 50 der vorliegenden Schlussanträge), Nrn. 5.14, 5.26 und 5.30. In der mündlichen Verhandlung hat Malta nicht erklärt, warum eine solche Änderung nicht eingeführt wurde, sondern nur wiederholt, dass der Einsatz von Vogellockrufpfeifen als zusätzliche Möglichkeit zur Verwendung lebender Lockvögel vorgesehen worden sei.


    53      Vgl. hierzu das Protokoll der Sitzung des maltesischen ornithologischen Ausschusses von Mittwoch, dem 26. August 2020 (Fn. 50 der vorliegenden Schlussanträge), Nr. 5.14.


    54      Hierzu verweist Malta auf das Grünbuch über Bürgerwissenschaft von 2013, abrufbar unter http://socientize.eu/sites/default/files/Green%20Paper%20on%20Citizen%20Science%202013.pdf; Empfehlung (EU) 2024/736 der Kommission vom 1. März 2024 zu einem Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung bei der Valorisierung von Wissen (ABl. L 2024/736).


    55      Die Europäische Kommission finanziert die EU‑Initiative Bürgerwissenschaft im Rahmen ihres Projekts Horizont 2020, erläutert unter: https://eu-citizen.science/. Auf der Website sind 328 Vorhaben aufgelistet, die die Öffentlichkeit über bürgerwissenschaftliche Aktivitäten in die Forschung einbeziehen.


    56      Regulation 5.3(a) der Rahmenregelungen von 2020 und Regulation 10.5(a) der Rahmenregelungen von 2021. Vgl. Bericht der WBRU über das Ergebnis der Forschungsabweichung vom Herbst 2020 zur Bestimmung des maltesischen Referenzbestands der sieben Finkenarten, März 2021 (Anlage A.11 zur Klageschrift), Nr. 4.1, und Bericht der WBRU über das Ergebnis der Forschungsabweichung vom Herbst 2021 zur Bestimmung des maltesischen Referenzbestands der sieben Finkenarten, März 2022 (Anlage B.27 zur Klagebeantwortung), Nr. 4.1.


    57      Das kann mangels weiterer detaillierter Informationen über die Schulung aus dem Mustertest geschlossen werden, den die Personen bestehen müssen, die eine Genehmigung beantragen, und der dem Gerichtshof als Anlage B.3 zur Klagebeantwortung vorgelegt wurde.


    58      Malta verwies auf eBird, die Weihnachtsvogelzählung und die Brutvogelzählung, die sich, wie es in seinem Vorbringen einräumte, auf nicht invasive Beobachtung und Kontrolle konzentrieren.


    59      Vgl. z. B. den British Trust for Ornithology und das Bird Banding Laboratory in den USA.


    60      Diese Zahlen wurden durch ein Schreiben des Polizeichefs bestätigt. Vgl. Anlage B.28 zur Klagebeantwortung.


    61      So ähnlich auch Urteil des IGH vom 31. März 2014, Whaling in the Antarctic [Walfang in der Antarktis] (Australien/Japan; Streithelfer: Neuseeland), ICJ Reports 2014, §§ 220 bis 222.


    62      Der Ständige Ausschuss des Übereinkommens von Bern hat erklärt, die Forschung müsse unabhängig davon, ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen oder sogar von Einzelpersonen durchgeführt werde, vom „Forscher … auf der Grundlage einer entsprechenden Ausbildung“ durchgeführt werden und „auf eine öffentliche Wirkung ausgerichtet“ sein. Ständiger Ausschuss, Provisions on Exceptions in accordance with Article 9 of the Bern Convention, T‑PVS/Inf (2011) 23, S. 20, abrufbar unter https://rm.coe.int/0900001680746b62 (zuletzt aufgerufen am 29. Februar 2024).


    63      Urteile vom 8. Juni 2006, WWF Italia u. a. (C‑60/05, EU:C:2006:378, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung), Kommission/Malta, Rn. 47, und One Voice, Rn. 28.


    64      Vgl. u. a. Urteile vom 11. November 2010, Kommission/Italien (C‑164/09, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:672, Rn. 26), Kommission/Malta, Rn. 50, und One Voice, Rn. 31.

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