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Document 61958CC0027

    Schlussanträge des Generalanwalts Roemer vom 11. Februar 1960.
    Compagnie des hauts fourneaux et fonderies de Givors und andere gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
    Verbundene Rechtssachen 27-58, 28-58 und 29-58.

    Englische Sonderausgabe 1960 00515

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1960:2

    SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    HERRN KARL ROEMER

    11. Februar 1960

    GLIEDERUNG

    Seite
     

    I. - Einleitung

     

    1) Gegenstand des Rechtsstreits

     

    2) Zulässigkeit der Klageanträge

     

    3) Sonstige Zulässigkeitsfragen, insbesondere Einhaltung der Klagefrist

     

    II. - Sind die angegriffenen Entscheidungen wegen Ablaufs der Übergangszeit aufzuheben?

     

    1) Nachweis für den Erlaß der Entscheidungen

     

    2) Welchen Einfluß hat der Ablauf der Übergangszeit auf die Befugnisse der Hohen Behörde?

     

    A) Tragweite des § 10 VII des Übergangsabkommens

     

    B) Verhältnis von § 10 VII zu § 23 des Übergangsabkommens

     

    C) Zustellung der angegriffenen Entscheidungen nach Ablauf der Übergangszeit

     

    III. - Mitwirkung des Sachverständigenausschusses bei der Prüfung bestehender Ausnahmetarife gemäß § 10 VII des Übergangsabkommens

     

    IV. - Sind die angegriffenen Entscheidungen wegen Verletzung des Vertrages aufzuheben?

     

    1) Allgemeine Bemerkungen zur Auslegung von Artikel 70 des Vertrages

     

    a) Zur Auslegung von Artikel 70 Absatz 1

     

    b) Zur Auslegung von Artikel 70 Absatz 4

     

    2) Die Anwendung von Artikel 70 IV auf den vorliegenden Fall

     

    a) Der Grundsatz des Artikels 2

     

    b) Das Subventionsverbot des Artikels 4

     

    c) Artikel 67 des Vertrages

     

    d) Gleicher Zugang zur Produktion

     

    e) Die Bildung niedrigster Preise

     

    f) Ausweitung und Verbesserung der Produktion

     

    g) Wahl der Frachtbasis

     

    h) Die geordnete Versorgung des gemeinsamen Marktes

     

    i) Die Erfordernisse der Regionalpolitik

     

    k) Der Grundsatz der Verkehrserhaltung

     

    3) Ergebnis

     

    4) Die zur Abänderung der Ausnahmetarife bewilligten Fristen

     

    V. - Gesamtergebnis

    Herr Präsident, meine Herren Richter!

    Im Rahmen der Verkehrstarifprozesse, die vor den Gerichtshof getragen worden sind, fällt mir heute die Aufgabe zu, meine Schlußanträge zu stellen in den drei verbundenen Rechtssachen 27, 28 und 29/58. Diese Verfahren betreffen die Klage der „Société d'Exploitation Minière des Pyrénées, société anonyme, Ollette (Pyrénées Orientales)“, die in den östlichen Pyrenäen Eisenerz fördert, die Klage des wichtigsten Kunden dieser Gesellschaft, der „Compagnie des Hauts Fourneaux et Fonderies de Givors, Etablissements Prénat, société anonyme, Givors (Rhône)“, und endlich die Klage der „Compagnie des Ateliers et Forges de la Loire, société anonyme, Saint-Etienne“.

    I. EINLEITUNG

    1. Gegenstand des Rechtsstreits

    Die drei Unternehmen haben zwei Entscheidungen der Hohen Behörde angegriffen, und zwar

    a)

    die „Compagnie des Hauts Fourneaux et Fonderies de Givors“ und die „Société d'Exploitation Minière des Pyrénées“ eine Entscheidung, in der unter anderem angeordnet wird:

    die schrittweise Aufhebung gewisser Ausnahmetarife der SNCF für Erztransporte von den Gruben Westfrankreichs und der Pyrenäen;

    (das ist die Entscheidung der Hohen Behörde vom 9. 2. 1958, der französischen Regierung zugestellt mit Schreiben vom 12. 2. 1958 und veröffentlicht im Amtsblatt vom 3. 3. 1958 auf S. 127)

    und

    b)

    die „Compagnie des Ateliers et Forges de la Loire“ eine Entscheidung, in der angeordnet wird:

    die schrittweise Aufhebung gewisser Ausnahmetarife der SNCF für die Beförderung von mineralischen Brennstoffen;

    (das ist die Entscheidung der Hohen Behörde vom 9. 2. 1958, ebenfalls der französischen Regierung zugestellt mit Schreiben vom 12. 2. 1958 und veröffentlicht im Amtsblatt vom 3. 3. 1958 auf S. 111).

    2. Zulässigkeit der Klageanträge

    Zu den völlig übereinstimmenden Klageanträgen der beiden erstgenannten Unternehmen, die ich hier nicht wiederholen möchte, hat die Hohe Behörde schon im schriftlichen Verfahren den Einwand erhoben, sie seien insoweit unzulässig, als sie sich auf Entscheidungsteile beziehen, die keine die Klägerinnen interessierenden Ausnahmetarife zum Inhalt haben (nämlich Ziffer 5 a und b der Entscheidung). Im schriftlichen Verfahren haben die Klägerinnen sich zu diesem Einwand nicht geäußert. Sie haben aber auf eine entsprechende Frage in der mündlichen Verhandlung die Berechtigung dieser Feststellung anerkannt und ihr Einverständnis damit bekundet, daß diese Teile der Entscheidung als nicht zum Gegenstand des Rechtsstreites gehörend angesehen werden sollen. In dieser Erklärung der Klägerinnen, die den ursprünglichen Klageantrag einschränkt, ist eine teilweise Klagerücknahme zu sehen. Der Gerichtshof hat sich also mit diesem Teil der Klageanträge nicht mehr auseinanderzusetzen.

    3. Sonstige Zulässigkeitsfragen, insbesondere Einhaltung der Klagefrist

    Im übrigen zeigen sich im Bereich der Zulässigkeitsfragen keine besonderen Probleme.

    Angegriffen werden individuelle Entscheidungen der Hohen Behörde, die die Klägerinnen unmittelbar betreffen. Da die Entscheidungen den Klägerinnen nicht zugestellt oder mitgeteilt wurden, ist für den Beginn der Klagefrist die Veröffentlichung im Amtsblatt der Gemeinschaften maßgeblich. Ausgehend von diesem Datum kommt man unter Berücksichtigung der Vorschriften des Vertrages und der alten Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die hier noch anzuwenden ist, zu dem Resultat, daß die Klagefrist gewahrt ist.

    Ich kann mich nach diesen Vorbemerkungen also unverzüglich den Streitpunkten des vorliegenden Verfahrens zuwenden.

    II. SIND DIE ANGEGRIFFENEN ENTSCHEIDUNGEN WEGEN ABLAUFS DER ÜBERGANGSZEIT AUFZUHEBEN?

    Ebenso wie in den Verfahren über die deutschen Ausnahmetarife sieht sich der Gerichtshof in dem vorliegenden Fall an erster Stelle vor die Frage gestellt, ob die Entscheidungen der Hohen Behörde rechtzeitig, nämlich vor Ablauf der Übergangszeit, ergangen sind oder aber in Ermangelung dieser Voraussetzung der Aufhebung verfallen müssen.

    Bemerkenswert in unserem Verfahren ist zunächst die Tatsache, daß die klägerischen Vorwürfe in diesem Punkt während des schriftlichen Verfahrens modifiziert wurden. Heißt es in den Klageschriften:

    „die Befugnisse, die gemäß § § 1 und 10 des Übergangsabkommens der Hohen Behörde … zustanden, waren bereits erloschen, als die Hohe Behörde mit Schreiben vom 12. Februar 1958, … ihre Weigerung … mitgeteilt … hat“,

    so liest man in ihrem zweiten Schriftsatz:

    „Es stellt sich daher die Frage, ob die Entscheidung ihr Datum verbindlich feststellen kann, ob die bloße Angabe eines Datums zum Nachweis dieses Datums ausreicht … Bei individuellen Entscheidungen dient die Zustellung zum Nachweis für den Zeitpunkt ihres Erlasses“.

    Der Vorwurf in seiner abgewandelten Form betrifft also nur die Art des Nachweises dafür, daß eine Entscheidung zu einem bestimmten Zeitpunkt erlassen wurde.

    1. Nachweis für den Erlaß der Entscheidungen

    Faßt man nur diesen letzten Gesichtspunkt ins Auge, so kann die Lösung der Frage meines Erachtens kaum Schwierigkeiten machen. Anders als im Bereich des Privatrechts gilt für hoheitliche Äußerungen der öffentlichen Gewalt das Prinzip, daß sie bei Fehlen besonderer Vorschriften in allen Teilen öffentlichen Glauben genießen, d. h. die Vermutung der Echtheit besitzen, solange das Gegenteil nicht nachgewiesen ist. Dieses Prinzip findet sich im französischen Recht (vgl. WALINE, Droit administratif 8. A., S. 865), beansprucht aber auch Geltung etwa im deutschen Verwaltungsrecht (vgl. TUREGG, Lehrbuch des Verwaltungsrechts 3. A., S. 22). Es ist insbesondere nicht Aufgabe der Zustellung, und zwar weder in nationalen Verwaltungsrechten noch nach dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, den Nachweis zu erbringen, daß ein Verwaltungsakt in einem bestimmten Zeitpunkt erlassen wurde. Wenn also in den angegriffenen Schreiben der Hohen Behörde an die französische Regierung die Feststellung enthalten ist, daß die Entscheidungen der Hohen Behörde am 9. 2. 1958 ergangen sind, dann gilt diese Feststellung solange als richtig, bis Tatsachen zu ihrer Erschütterung vorgetragen werden.

    2. Welchen Einfluß hat der Ablauf der Übergangszeit auf die Befugnisse der Hohen Behörde?

    Einen anderen Aspekt erhält die Frage durch die Rechtsansicht, ein Verwaltungsakt sei überhaupt erst erlassen mit seiner Zustellung. Vom Boden dieser These aus gewinnt der Umstand Bedeutung, daß die angegriffenen Entscheidungen zwar vor Ablauf der Übergangszeit von der Hohen Behörde beschlossen, aber erst nach diesem Zeitpunkt der französischen Regierung zugestellt worden sind. Man hat sich dann zu fragen, ob der Ablauf der Übergangszeit für die Befugnisse der Hohen Behörde auf dem Gebiete der Ausnahmetarife von entscheidender Bedeutung ist und, wenn man diese Frage bejaht, zu überlegen, ob die von den Klägerinnen in den Klageschriften vertretene „Zugangstheorie“ für die Entscheidungen der Hohen Behörde zu akzeptieren ist.

    Die Hohe Behörde hat die angegriffenen Entscheidungen — das ergibt sich aus ihren Gründen — gestützt auf Artikel 70 des Vertrages und § 10 des Übergangsabkommens. Die Übergangszeit hat ihr Ende gefunden am 9. 2. 1958, 24 Uhr. Das ist unstreitig und objektiv richtig, wie die Bestimmungen des Übergangsabkommens selbst (§ 1 Ziffer 4, § 8) in Verbindung mit dem Schreiben der Hohen Behörde vom 7. 2. 1953 (ABl. S. 5) klar ergeben. Mit dem Ablauf der Übergangszeit sind die Bestimmungen des Übergangsabkommens (abgesehen von ausdrücklichen Ausnahmen) nicht mehr anwendbar. Durchführungsmaßnahmen verlieren im gleichen Zeitpunkt ihre Wirkung (§ 1 Ziffer 5 des Übergangsabkommens).

    Da Ausnahmen in § 10 nicht vorgesehen sind (außer in Absatz 9, der hier nicht interessiert), ist also Absatz 7 des § 10, die Bestimmung für die bestehenden Ausnahmetarife nach Ablauf der Übergangszeit nicht mehr anwendbar.

    Ehe aus diesen Feststellungen weitergehende Schlüsse gezogen werden können, ist genau zu analysieren, welche Tragweite dieser Vorschrift zukommt.

    A. TRAGWEITE DES § 10 VII DES ÜBERGANGSABKOMMENS

    Zwei Dinge werden in Absatz 7 des § 10 geregelt:

    a)

    die in Artikel 70 IV genannten, bei der Einsetzung der Hohen Behörde geltenden Tarifbestimmungen, also Ausnahmetarife im Binnenverkehr zugunsten eines oder mehrerer Unternehmen der Kohleförderung und Stahlerzeugung sind der Hohen Behörde mitzuteilen;

    b)

    die Hohe Behörde hat für ihre Änderung die Fristen zu bewilligen, die zur Vermeidung schwerer wirtschaftlicher Störungen notwendig sind.

    Im vorliegenden Fall interessiert nur der zweite Teil dieser Vorschrift. Ihr Sinn kann in verschiedener Weise gedeutet werden:

    a)

    Absatz 7 ist eine Norm, die die Hohe Behörde dazu ermächtigt, die Abänderung bestehender Tarife zu verlangen;

    b)

    Absatz 7 macht der Hohen Behörde zur Pflicht, bestehende Ausnahmetarife bis zum Ablauf der Übergangszeit zu prüfen und unter Umständen ihre Abänderung zu verlangen, ohne die Ermächtigung der Hohen Behörde auf diese Frist zu begrenzen;

    c)

    Absatz 7 erschöpft sich darin, der Hohen Behörde die Möglichkeit zur Einräumung von Schonfristen zu geben.

    Sinn und Tragweite dieser Vorschrift können nur bestimmt werden, wenn man den Text des Vertrages selbst heranzieht und das Verhältnis des Übergangsabkommens zum Vertragstext im engeren Sinne feststellt.

    Denn § 1 des Übergangsabkommens bestimmt, daß mit dem Inkrafttreten des Vertrages seine Bestimmungen anwendbar sind, vorbehaltlich der Änderungen und der Ergänzungen des Übergangsabkommens. Die im Übergangsabkommen enthaltenen Änderungen und Ergänzungen sind mit dem Ablauf der Übergangszeit nicht mehr anwendbar.

    Also ist eine genaue Feststellung notwendig, was im Übergangsabkommen eine Vertragsänderung oder -ergänzung ist.

    Für die Ausnahmetarife lautet die Frage:

    Wird in § 10 VII eine Abänderung gewisser Ausnahmetarife angeordnet, oder findet sich das Gebot zur Abänderung der Ausnahmetarife im Vertrag selbst und wird in § 10 VII des Übergangsabkommens vorausgesetzt?

    Für die zweite Möglichkeit spricht zunächst der Wortlaut des Absatzes 7. Läge der normative Gehalt dieser Bestimmung in der Begründung der Befugnis, die Abänderung von Ausnahmetarifen anzuordnen, dann wäre dies nicht nur — wie geschehen — fast beiläufig in einem Satz erwähnt worden, dessen Hauptinhalt die Bewilligung von Fristen bei der Abänderung ist.

    Wichtig ist aber vor allem, daß der Vertrag selbst einige Vorschriften enthält, die nach ihrem Sinn und Zweck auch für Ausnahmetarife gelten können.

    So bestimmt der Vertrag in Artikel 4:

    „Als unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl werden innerhalb der Gemeinschaft gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages aufgehoben und untersagt:

    b)

    Maßnahmen oder Praktiken, die eine Diskriminierung zwischen Erzeugern oder Käufern oder Verbrauchern herbeiführen, insbesondere hinsichtlich der … Beförderungstarife …

    c)

    von den Staaten bewilligte Subventionen …

    Ich brauche hier nicht zu erwähnen, daß Artikel 4 nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht nur ein Programmsatz ist, sondern unmittelbar geltendes Recht darstellt mit verpflichtender Wirkung für Staaten und Unternehmen, und daß seine Bestimmungen selbständig anwendbar sind, soweit sie nicht in andere Vorschriften des Vertrages übernommen worden sind. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß für Kartelle im Übergangsabkommen eine Bestimmung vorhanden ist, die besagt, daß die Verbote des Artikels 65 erst nach Ablauf der von der Hohen Behörde gesetzten Frist wirksam werden (§ 12). Für Ausnahmetarife in § 10 wurde zwar nicht der gleiche Wortlaut gewählt; es ist aber dasselbe gemeint: die Hohe Behörde kann die Anwendung der Verbotsnormen des Vertrages durch Fristbewilligung hinausschieben. Daraus folgt, daß der Vertrag selbst die Abschaffung der Ausnahmetarife verlangt, soweit sie nicht die Voraussetzungen des Artikels 70 IV erfüllen. Es wurde nicht etwa im Übergangsabkommen eine Befugnis der Hohen Behörde eingeführt, die Abschaffung der Ausnahmetarife zu verlangen.

    Aufgabe der Hohen Behörde ist es, die angemeldeten Ausnahmetarife zu prüfen und, wenn sie bei dieser Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, daß die Tarife mit den Prinzipien des Vertrages nicht im Einklang stehen, daß der Vertrag selbst also ihre Abschaffung anordnet, die schroffe Anwendung der Vertragsbestimmungen durch die Einräumung von Fristen abzumildern, die den Umständen des Einzelfalles angemessen sind. Darin liegt die einzige Befugnis der Hohen Behörde in Ansehung der bestehenden Ausnahmetarife nach dem Übergangsabkommen. Es ist daher auch unrichtig, von einer Genehmigung bestehender Ausnahmetarife zu reden, die mit dem Vertrag im Einklang stehen. Eine solche Genehmigung ist rechtlich nicht erforderlich und daher auch in Absatz 7 des § 10 nicht erwähnt.

    Gilt also für das Verhältnis zwischen Vertrag und Übergangsabkommen im Hinblick auf Ausnahmetarife, daß gegenüber den eigentlichen Vertragsbestimmungen als Änderung oder Ergänzung im Übergangsabkommen nur der zweite Satz von § 10 VII angesehen werden kann:

    Fristen sind zu bewilligen für die Abänderung der Ausnahmetarife, die mit dem Vertrag nicht zu vereinbaren sind,

    so ist mit dieser Kennzeichnung des normativen Gehalts von § 10 VII gleichzeitig deutlich gemacht, was geschah, als die Vorschrift nach Ablauf der Übergangszeit außer Kraft trat: Es entfiel lediglich die Befugnis der Hohen Behörde, für die Beseitigung der bestehenden Ausnahmetarife gemäß Absatz 7 Fristen zu bewilligen, nicht dagegen waren von diesem Zeitpunkt an für bereits vorhandene Ausnahmetarife die allgemeinen Vertragsverbote nicht mehr anwendbar.

    Für die These, durch § 10 VII sei die sich aus dem Vertrag unmittelbar ergebende Beseitigungspflicht der Staaten in Ansehung der Ausnahmetarife in der Weise modifiziert worden, daß diese Pflicht nur dann und solange bestehe, als die Hohe Behörde die Abänderung der Tarife verlange, ergeben sich weder im Übergangsabkommen noch im Vertragstext Anhaltspunkte.

    Allenfalls ließe sich aus § 10 Absatz 7 des Übergangsabkommens herauslesen eine Pflicht der Hohen Behörde, die Prüfung der bestehenden Ausnahmetarife im Laufe der Übergangszeit abzuschließen. Die Nichterfüllung dieser Pflicht hätte aber nicht die Folge, daß Vertragsverbote, deren Einhaltung die Hohe Behörde zu überwachen hat, unanwendbar würden.

    Gesichtspunkte der Verwirkung kommen in diesem Zusammenhang nicht in Betracht, einmal, weil ständige Verhandlungen der Hohen Behörde mit den Regierungen unter Beteiligung der Unternehmen nicht den Gedanken aufkommen lassen konnten, es werde für die Ausnahmetarife alles beim alten bleiben, und weil zum anderen von Verwirkung nur bei individuellen Rechten und Befugnissen, nicht aber bei objektiven Vertragsgeboten, gesprochen werden kann.

    B. VERHÄLTNIS VON § 10 VII ZU § 23 DES ÜBERGANGSABKOMMENS

    Die Klägerinnen haben in der mündlichen Verhandlung — zum ersten Mal übrigens, soweit ich sehe — das Argument in die Debatte gebracht, die Tatsache, daß mit dem Ende der Übergangszeit § 23 des Übergangsabkommens (in dem Anpassungshilfen vorgesehen sind) wegfalle, erfordere, daß die Entscheidungen der Hohen Behörde über die Ausnahmetarife so rechtzeitig vor dem Ende der Übergangszeit getroffen werden, daß von diesen Anpassungshilfen notfalls Gebrauch gemacht werden kann. Diese Verkoppelung zweier Vorschriften des Übergangsabkommens findet nicht nur an keiner Stelle des Abkommens einen Ausdruck in dem behaupteten Sinne; diese These würde auch dazu zwingen, die Fristen zur Abschaffung der Ausnahmetarife auf das Ende der Übergangszeit zu begrenzen. Denn in der Regel wird sich erst nach Ablauf der Frist zeigen, ob der Wegfall der Ausnahmetarife zur Einstellung des Betriebs führt. Als einziger Maßstab für die nach Absatz 7 des § 10 zu bewilligenden Fristen ist aber die Vermeidung schwerer wirtschaftlicher Störungen angegeben.

    Ich meine daher, daß auch dieses Argument nicht geeignet ist, die Abänderung von bestehenden Ausnahmetarifen auf die Übergangszeit zu beschränken.

    C. ZUSTELLUNG DER ANGEGRIFFENEN ENTSCHEIDUNGEN NACH ABLAUF DER ÜBERGANGSZEIT

    Zeigt sich also, daß die Beendigung der Übergangszeit für bestehende Ausnahmetarife nicht die von den Klägerinnen angenommenen Auswirkungen auf die Kompetenz der Hohen Behörde hatte, so erübrigt es sich, der Frage nachzugehen, ob eine vor Ende der Übergangszeit beschlossene Entscheidung Rechtsgültigkeit erlangt, wenn sie erst nach diesem Zeitpunkt zugestellt wird: Auch in Entscheidungen, die nach diesem Zeitpunkt wirksam werden, kann die Hohe Behörde noch feststellen, daß bestimmte Ausnahmetarife mit den Prinzipien des Vertrages nicht vereinbar sind, und damit kundtun, daß der Vertrag ihre Abschaffung verlange. Ich bin überdies der Überzeugung, daß der Vertrag selbst auch nach diesem Zeitpunkt die Gewährung von Fristen erlaubt — ich denke dabei an Artikel 2, der die Vermeidung tiefgreifender und anhaltender wirtschaftlicher Störungen vorschreibt —, wenn auch nur unter strengeren Voraussetzungen. Es müßte also auch nicht etwa der Teil der Entscheidungen, der die Bewilligung von Fristen ausspricht (und der, da es sich um eine den Klägerinnen günstige Maßnahme handelt, nicht gerügt ist) wegen Fehlens einer entsprechenden Kompetenz der Hohen Behörde aufgehoben werden.

    Daß die hier vertretene Auffassung die von den Klägerinnen befürchteten Folge der Rechtsunsicherheit haben könnte, vermag ich nicht einzusehen. Ich habe bereits angedeutet, daß man aus § 10 VII eine Pflicht der Hohen Behörde herauslesen könnte, diese Probleme während der Übergangszeit zu erledigen. Verzögert die Hohe Behörde die Erledigung dieser Aufgabe ohne vernünftige Gründe über das Ende der Übergangszeit hinaus, dann könnten die betroffenen Unternehmen unter Umständen aus dieser Tatsache Schadensersatzklagen herleiten, die die befürchteten Folgen von ihnen abhalten können.

    III. MITWIRKUNG DES SACHVERSTÄNDIGENAUSSCHUSSES BEI DER PRÜFUNG BESTEHENDER AUSNAHMETARIFE GEMÄSS § 10 VII DES ÜBERGANGSABKOMMENS

    Hat der Ablauf der Übergangszeit also keinen Einfluß auf die Rechtswirksamkeit der angegriffenen Entscheidungen, so muß ich mich nunmehr der Frage zuwenden, ob bei der Vorbereitung der Entscheidungen wesentliche Verfahrensvorschriften außer acht gelassen worden sind, die zur Aufhebung der Entscheidungen Anlaß geben können. Ich habe dabei im Auge die zweite Rüge der Klägerinnen, die Entscheidungen erwähnten nicht die Mitwirkung des Sachverständigenausschusses.

    Dieser Vorwurf einer Formverletzung impliziert einen Vorwurf der Vertragsverletzung. Es ist also zunächst zu untersuchen, ob der Vertrag oder das Übergangsabkommen die Beteiligung des Sachverständigenausschusses bei der Prüfung der Ausnahmetarife vorsieht. Ist das der Fall, dann ist auch Artikel 15 des Vertrages zu beachten, der bestimmt:

    „Die Entscheidungen … der Hohen Behörde … haben auf die pflichtgemäß eingeholten Stellungnahmen Bezug zu nehmen.“

    In Absatz 7 von § 10 ist nichts über die Anhörung des Sachverständigenausschusses gesagt. Die Klägerinnen vertreten jedoch die Meinung, daß sich dieses Erfordernis aus der Gesamtheit der Bestimmungen des § 10 ergebe.

    In Absatz 1 ist der Auftrag des Sachverständigenausschusses generell umschrieben: er hat die Ausarbeitung von Vorschriften zur Erreichung der Ziele des Artikels 70, die den Regierungen vorgeschlagen werden sollen, vorzunehmen.

    Zu den Zielen des Artikels 70 gehört sicher die Beseitigung von Diskriminierungen, wie aus dessen Absatz 1 folgt. § 10 Absatz 1 bezieht sich aber nur auf solche Vorschriften, die den Regierungen vorgeschlagen werden sollen und mit denen die Regierungen einverstanden sein müssen (Abs. 2 § 10).

    Welche Vorschriften das sind, ergibt sich aus den Absätzen 5 und 6 des § 10, wo vom Einverständnis der Regierungen zu gewissen Vorschlägen die Rede ist. Hier sind aber nur Maßnahmen gemäß Absatz 3 Ziffer 2 und 3 erwähnt.

    Der Zusammenhang der Absätze 1 bis 6 zeigt also, daß die Mitwirkung des Sachverständigenausschusses nur für genau bestimmte Aufgaben vorgesehen ist.

    Absatz 3 beschreibt die Maßnahmen, die vom Ausschuß zu prüfen sind:

    1.

    Beseitigung von Diskriminierungen gemäß Artikel 70 Absatz 2.

    2.

    Aufstellung direkter internationaler Tarife.

    3.

    Prüfung von Frachten und Beförderungsbedingungen für die Zwecke ihrer Harmonisierung.

    In keine dieser Kategorien ist die Prüfung von Ausnahmetarifen einzuordnen. Es ist insbesondere nicht vorgeschrieben, daß der Sachverständigenausschuß bei jeder Vermeidung von schweren Störungen mitzuwirken hat. Ausdrücklich vorgesehen ist dies nur in Absatz 6 von § 10.

    Schließlich erwähnen die Absätze 8 und 9 die Mitwirkung des Sachverständigenausschusses bei der Prüfung besonderer Fragen, die die luxemburgischen Verhältnisse betreffen.

    Aus diesen Untersuchungen folgt, daß § 10 für die Mitwirkung des Sachverständigenausschusses keine Generalklausel enthält, sondern umgekehrt eine sehr genaue und enumerative Regelung. Hieraus muß geschlossen werden, daß eine Mitwirkung außerhalb der bezeichneten Aufgaben zumindesten nicht notwendig ist.

    Wenn sich aus § 10 aber ergibt, daß für Absatz 7 eine Beteiligung des Sachverständigenausschusses nicht vorgeschrieben ist, können die Klagen im vorliegenden Fall nicht auf den Umstand gestützt werden, daß die Erwähnung dieser Mitwirkung in den angegriffenen Entscheidungen unterblieben ist.

    Ich komme zusammenfassend nach diesem Abschnitt meiner Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß die Entscheidungen der Hohen Behörde nicht aus formellen Gründen der Aufhebung verfallen.

    IV. SIND DIE ANGEGRIFFENEN ENTSCHEIDUNGEN WEGEN VERLETZUNG DES VERTRAGES AUFZUHEBEN?

    Ich habe mich nunmehr zu befassen mit den Vorwürfen, die Hohe Behörde habe beim Erlaß ihrer Entscheidungen den Vertrag verletzt. Zu dieser Frage, die hauptsächlich um die Auslegung von Artikel 70 des Vertrages kreist, hat der Gerichtshof in den vergangenen Monaten die Stimmen vieler bedeutender Praktiker und Rechtsgelehrter gehört, die uns in der Vielfalt ihrer Argumentation unter Anführung zahlreicher Thesen deutlich gemacht haben, daß die hier erörterten Fragen von großer wirtschaftlicher Bedeutung sind und eine mühelose Entscheidung nicht erwarten lassen.

    Ich werde mir gestatten, meine Ausführungen zu diesem Abschnitt mit allgemeinen Betrachtungen über die Auslegung von Artikel 70 zu beginnen, zu denen die erwähnten Diskussionen Anlaß gaben.

    1. Allgemeine Bemerkungen zur Auslegung von Artikel 70 des Vertrages

    Es wurde die Frage aufgeworfen, in welchem Verhältnis Artikel 70 IV zu den übrigen Bestimmungen des Artikels 70 stehe: Erlaubt Absatz 4 die Durchbrechung eines allgemeinen Diskriminierungsverbots für Transporttarife im Einzelfall, oder sind Ausnahmetarife des Absatzes 4 Differenzierungen, die ihrer Natur nach nicht unter das Diskriminierungsverbot fallen? Oder gibt es gar kein allgemeines Diskriminierungsverbot dieser Art, so daß Artikel 70 IV schon aus diesem Grunde eine Durchbrechung des Verbotes nicht darstellen kann?

    a) ZUR AUSLEGUNG VON ARTIKEL 70 ABSATZ 1

    Artikel 4 b) spricht mit klaren Worten von einem Verbot diskriminierender Beförderungstarife. Er gilt aber nur „gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages“.

    Der Gerichtshof hat in seinem Urteil 7 und 9/54 (Rechtsprechungssammlung Band II, S. 91) festgestellt, daß „die Bestimmungen von Artikel 4 selbständig ohne weiteres anwendbar (sind), wenn sie nicht in einem Teil des Vertrages näher bestimmt werden. Werden hingegen die Bestimmungen von Artikel 4 in anderen Teilen des Vertrages genannt, näher bestimmt oder geregelt, so müssen die Texte, die sich auf ein und dieselbe Bestimmung beziehen, im ganzen betrachtet und gleichzeitig angewendet werden.“

    Artikel 4 kann also nur zusammen mit Artikel 70 gelesen werden, und zwar auch für die Frage, ob ein allgemeines Diskriminierungsverbot für Transporttarife besteht.

    Zweifel ergeben sich bei der Untersuchung des Wortlautes von Artikel 70 I. Ein Vergleich mit anderen Vertragsbestimmungen und die Untersuchung des Vertragssystems insgesamt, sowie der Entstehungsgeschichte des Vertrages sollen zur Klärung dieser Frage beitragen.

    Artikel 70 I besagt:

    „Es wird anerkannt, daß die Errichtung des gemeinsamen Marktes die Anwendung solcher Transporttarife für Kohle und Stahl erforderlich macht, die den in vergleichbarer Lage befindlichen Verbrauchern vergleichbare Preisbedingungen bieten.“

    Diese Fassung gibt zu denken, weil der Vertrag an anderen Stellen bei der Formulierung von Rechtsnormen eindeutiger ist.

    Ich erwähne zunächst Artikel 69 § 1, wo es heißt:

    „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, jede auf die Staatsangehörigkeit gegründete Beschränkung hinsichtlich der Beschäftigung anerkannter Kohle- und Stahlfacharbeiter, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind, in der Kohle- und Stahlindustrie zu beseitigen …“.

    Auch Artikel 69 § 4 (Verbot diskriminierender Löhne) zeigt, daß bei der Redaktion des Vertrages Diskriminierungsverbote durchaus in der üblichen deutlichen Form eines Verbotes abgefaßt wurden.

    Man könnte freilich in bezug auf das Diskriminierungsverbot sagen, Artikel 4 sei deutlich genug als Verbotsnorm gekennzeichnet, so daß es nicht notwendig war, das Verbot in Artikel 70 zu wiederholen.

    Dem ist aber entgegenzuhalten, daß in anderen Fällen, für die Artikel 4 ein Verbot bereits ausspricht, in besonderen Vertragsbestimmungen dieses Verbot wiederholt und näher umrissen wird.

    Dies gilt für das Verbot diskriminierender Preise.

    So ist in Artikel 4 b einerseits zu lesen:

    ‚Als unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl werden innerhalb der Gemeinschaft gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages aufgehoben und untersagt:

    b)

    Maßnahmen oder Praktiken, die eine Diskriminierung zwischen Erzeugern oder Käufern oder Verbrauchern herbeiführen, insbesondere hinsichtlich der Preis- und Lieferungsbedingungen…‘;

    andererseits wiederholt Artikel 60 § 1:

    ‚Auf dem Gebiet der Preise sind die zu den Artikeln 2, 3 und 4 in Widerspruch stehenden Praktiken verboten, insbesondere

    die Praktiken unlauteren Wettbewerbs, vor allem die nur vorübergehenden oder nur örtlichen Preissenkungen, die auf Erlangung einer Monopolstellung innerhalb des gemeinsamen Marktes gerichtet sind;

    die diskriminierenden Praktiken, die auf dem gemeinsamen Markt die Anwendung von ungleichen Bedingungen auf vergleichbare Geschäfte durch ein- und denselben Verkäufer mit sich bringen, insbesondere wenn die Käufer wegen ihrer Nationalität unterschiedlich behandelt werden.

    Die Hohe Behörde kann durch Entscheidungen, die nach Anhörung des Beratenden Ausschusses und des Rates ergehen, die von diesem Verbot betroffenen Praktiken näher bezeichnen‘.

    Für Kartellabsprachen bestimmt einerseits Artikel 4 d:

    ‚Als unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl werden innerhalb der Gemeinschaft gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages aufgehoben und untersagt:

    d)

    einschränkende Praktiken, die auf eine Aufteilung oder Ausbeutung der Märkte abzielen‘,

    andererseits Artikel 65 § 1:

    ‚Verboten, sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, alle Beschlüsse von Verbänden von Unternehmen und alle verabredeten Praktiken, die darauf abzielen würden, auf dem gemeinsamen Markt unmittelbar oder mittelbar den normalen Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen, insbesondere

    a)

    die Preise festzusetzen oder zu bestimmen;

    b)

    die Erzeugung, die technische Entwicklung oder die Investitionen einzuschränken oder zu kontrollieren;

    c)

    die Märkte, Erzeugnisse, Abnehmer oder Versorgungsquellen aufzuteilen.‘

    Insbesondere der Vergleich von Artikel 60 (plus Artikel 4) und Artikel 70 (plus Artikel 4) ist frappant: In beiden Fällen ist die Rede von der Anwendung ungleicher Bedingungen auf vergleichbare Geschäfte (Artikel 60) oder von Verbrauchern in vergleichbarer Lage, denen vergleichbare Preisbedingungen zu bieten sind (Artikel 70) und wird besonders hervorgehoben die unterschiedliche Behandlung der Käufer wegen ihrer Nationalität (Artikel 60) oder den auf dem Herkunfts- oder Bestimmungsland der Erzeugnisse beruhenden Diskriminierungen (Artikel 70). Nur für die letzten beiden Fälle enthalten beide Bestimmungen ein ausdrückliches Verbot, während Artikel 70 im Gegensatz zu Artikel 60 kein ausdrückliches generelles Diskriminierungsverbot enthält. Der Hinweis auf das Verbot des Artikels 4, das eine Wiederholung in anderen Vertragsbestimmungen überflüssig macht, müßte aber in gleicher Weise auch gelten für Artikel 60. - Aus dem Unterschied in der Fassung dieser ähnlichen Normen auf einen Unterschied im sachlichen Gehalt zu schließen, liegt daher durchaus nahe.

    Zu den erwähnten Unterschieden kommt aber noch ein weiterer: Gemäß Artikel 60 hat die Hohe Behörde die Befugnis, durch Entscheidungen die verbotenen Praktiken näher zu bezeichnen, und zwar nach Anhörung des Beratenden Ausschusses und des Rates.

    Die Einführung des zuletzt genannten Verfahrens hätte wenigstens ebenso nahegelegen für die Bestimmung des Diskriminierungsbegriffes auf einem Gebiet, das der Kompetenz der Gemeinschaft nur ausnahmsweise und in beschränktem Umfang unterstellt ist.

    Enthielte Artikel 70 I ein allgemeines Diskriminierungsverbot für Transporttarife, dann wäre es auch merkwürdig, daß in § 10 des Übergangsabkommens bei den vom Sachverständigenausschuß zu prüfenden Maßnahmen zwar die Diskriminierungen gemäß Artikel 70 II, nicht aber die (in ihrer Überprüfung sicher doch ebenso komplizierten) Diskriminierungen gemäß Artikel 70 I genannt werden.

    Es ist aus den Vorarbeiten zum Vertrag schließlich noch bekannt, daß damals der Diskriminierungstatbestand auf die nationale Diskriminierung beschränkt blieb. So heißt es in einem Dokument zu den Vorarbeiten:

    ‚Die deutsche Delegation mußte aber verlangen, daß die nähere Erläuterung der Diskriminierung alle Fälle erfaßt und daß nicht … nur Beispiele aufgezählt werden…

    Nach längeren Erörterungen wurde eine Fassung gefunden, die die beiden Punkte a) und b) in einem einzigen Satz aufnimmt. Damit wird für die … Eisenbahntransporte im Mehrländer-Verkehr der Gemeinschaft die Anwendung der gleichen Frachttafeln (barèmes), Frachtsätze (prix) und sonstigen Tarifbedingungen aller Art (autres conditions tarifaires de toute nature) verlangt wie im Binnenverkehr.‘

    Nach allen diesen Argumenten ist der Schluß durchaus vertretbar, daß der Vertrag ein allgemeines Diskriminierungsverbot auf dem Gebiet der Transporttarife gar nicht enthält und daß ein solches Verbot nur für die nationale Diskriminierung existiert. Wenn es aber ein allgemeines Diskriminierungsverbot für das Transportwesen im Vertrag nicht gibt, dann kann Artikel 70 IV auch nicht eine Durchbrechung dieses Verbotes vorsehen. Damit wird die Beurteilung von Ausnahmetarifen von vornherein von einem anderen Standpunkt aus vorgenommen, als ihn die Hohe Behörde einnahm.

    b) ZUR AUSLEGUNG VON ARTIKEL 70 ABSATZ 4

    Geht man abweichend von diesen Schlußfolgerungen davon aus, daß Artikel 70 I nicht nur Programmsatz ist, sondern ein unmittelbar anwendbares allgemeines Diskriminierungsverbot enthält, dann erhebt sich die weitere Frage,

    ob Artikel 70 IV eine Durchbrechung im Einzelfall gestattet oder ob Ausnahmetarife gar nicht unter das Diskriminierungsverbot fallen, die Genehmigung gemäß Absatz 4 also nur Kontrollfunktion hat.

    Gegen die Annahme einer Durchbrechung spricht die Wendung in Absatz 4: ‚mit den Grundsätzen des Vertrages im Einklang stehen‘. Zu den Grundsätzen des Vertrages gehört auch das Diskriminierungsverbot (vgl. Artikel 4).

    Gegen eine Durchbrechung spricht aber namentlich auch die Tatsache, daß der Vertrag in der Beachtung seiner grundsätzlichen Bestimmungen von strenger Konsequenz ist. Das zeigt Artikel 95 (kleine Vertragsrevision), demzufolge auch bei Vorliegen der Voraussetzungen, die eine Vertragsrevision rechtfertigen, die Grundsätze der Artikel 2, 3 und 4 nicht angetastet werden dürfen.

    Das zeigt auch Artikel 88, wonach eine Durchbrechung des Artikels 4 nur zulässig ist, wenn ein Mitgliedstaat sich selbst einer Vertragsverletzung schuldig gemacht hat, und auch dann nur mit Zustimmung des Rates.

    Das zeigt schließlich Artikel 58 § 2, der vorschreibt, daß bei der Festsetzung von Quoten (bei einer offensichtlichen Krise also) die Grundsätze der Artikel 2, 3 und 4 zu berücksichtigen sind.

    In diesem Zusammenhang ist eine weitere Überlegung anzustellen: Wären Ausnahmetarife wirklich nur unter Durchbrechung eines Verbotes möglich, dann hätte auch für bereits bestehende Ausnahmetarife eine Genehmigung vorgesehen werden müssen (was gemäß § 10 VII nicht der Fall ist).

    Diesen Schluß legt nahe ein Vergleich mit der Behandlung bestehender Subventionen und Kartelle gemäß § 11 und § 12 des Übergangsabkommens. In beiden Fällen ist bestimmt, daß auch bereits vorhandene Subventionen und Kartelle einer Zustimmung der Hohen Behörde (§ 11 für Subventionen) bzw. einer Genehmigung (§ 12 für Kartelle) bedürfen.

    Für bestehende Ausnahmetarife fehlt es an einer entsprechenden Bestimmung, also kann auch die Genehmigung gemäß Absatz 4 des Artikels 70 für neu einzuführende Ausnahmetarife, die an denselben materiellen Maßstäben zu messen sind wie die alten Ausnahmetarife, nur Kontrollfunktion haben, d. h. die Genehmigung soll sicherstellen, daß ein Ausnahmetarif nach Ansicht der Hohen Behörde mit dem Vertrag vereinbar ist. Erfüllen bereits vorhandene Ausnahmetarife diese Voraussetzungen, dann bedarf es keiner Genehmigung, sondern es genügt, daß die Hohe Behörde derartige Tarife unangetastet läßt.

    Ausgehend von der Ansicht, daß Artikel 70 I ein fertiges Diskriminierungsverbot enthält, kommt man also zu folgendem Ergebnis:

    Artikel 70 IV gibt der Hohen Behörde nicht die Befugnis, eine Abweichung vom allgemeinen Diskriminierungsverbot zu genehmigen. Die Genehmigung des Absatzes 4 soll nur dafür sorgen, daß Ausnahmetarife, die diskriminierend sein könnten, erst dann angewandt werden, wenn die Hohe Behörde kontrolliert hat, daß sie mit dem Vertrag zu vereinbarende Differenzierungen darstellen.

    Auch diese Interpretation von Artikel 70 führt zu einer grundsätzlich anderen Ausgangsposition, als sie die Hohe Behörde eingenommen hat.

    Es sei nur daran erinnert, daß die Hohe Behörde bei ihrer Interpretation des Artikels 70 IV (Durchbrechung eines Verbotes im Einzelfall) ein Element in den Absatz 4 hineininterpretiert, das darin nicht enthalten ist: den Begriff ‚notwendig‘ nämlich. Nach Ansicht der Hohen Behörde muß eine Durchbrechung des Verbotes notwendig sein zur Erreichung der Vertragsziele.

    Vgl. den ‚Sechsten Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft‘, Band I, S. 81:

    ‚Soweit es sich um Unterstützungstarife handelt, ist die Hohe Behörde, die deren Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Vertrages feststellen muß, der Auffassung, daß die Anwendung dieser Tarife nur zulässig ist, wenn sie zur Erreichung der in Artikel 2 und 3 des Vertrages definierten Ziele erforderlich ist, d. h. daß diese Tarife nur mit einer außergewöhnlichen Lage eines oder mehrerer Unternehmen begründet werden können, welche eine Senkung des allgemeinen Tarifs unumgänglich macht, wenn die Ziele der genannten Artikel des Vertrages erreicht werden sollen.‘

    Hierzu ist zu bemerken, daß der Vertrag insofern in der Wahl der Begriffe im allgemeinen deutlich und zuverlässig ist. Wenn im einzelnen Fall Tatbestandsvoraussetzung für ein Handeln der Hohen Behörde ‚die Notwendigkeit zur Erreichung der Vertragsziele‘ ist, dann finden sich entsprechende Formulierungen im Vertragstext.

    Vgl. etwa Artikel 53 a):

    ‚Unbeschadet der Bestimmungen des Art. 58 und des Kapitels V des Titels III kann die Hohe Behörde

    a)

    nach Anhörung des Beratenden Ausschusses und des Rates unter Bedingungen, die sie bestimmt, und unter ihrer Kontrolle die Schaffung jeder Art von gemeinsamen finanziellen Einrichtungen für mehrere Unternehmen genehmigen, die sie zur Durchführung der Aufgaben nach Art. 3 für erforderlich und mit den Vorschriften des Vertrages, insbesondere mit Art. 65, für vereinbar hält‘.

    (Hier wird deutlich unterschieden zwischen ‚erforderlich‘ und ‚vereinbar‘).

    Vgl. weiter Artikel 61 a) und b):

    ‚Auf Grund von Untersuchungen, welche die Hohe Behörde unter Beteiligung der Unternehmen und ihrer Verbände gemäß Artikel 46 Absatz 1 und Artikel 48 Absatz 3 und nach Anhörung des Beratenden Ausschusses und des Rates über die Zweckmäßigkeit solcher Maßnahmen und über das von ihnen bestimmte Preisniveau angestellt hat, kann sie für eines oder mehrere der ihrer Zuständigkeit unterliegenden Erzeugnisse festsetzen:

    a)

    Höchstpreise innerhalb des gemeinsamen Marktes, falls sie feststellt, daß eine solche Entscheidung zur Erreichung der in Artikel 3, insbesondere in dessen Abs. c, genannten Ziele erforderlich ist;

    b)

    Mindestpreise innerhalb des gemeinsamen Marktes, falls sie feststellt, daß eine offensichtliche Krise eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht, und daß eine solche Entscheidung zur Erreichung der in Art. 3 genannten Ziele erforderlich ist‘

    und schließlich Artikel 95 I:

    ‚In allen in diesem Vertrag nicht vorgesehenen Fällen, in denen eine Entscheidung oder Empfehlung der Hohen Behörde erforderlich erscheint, um eines der in Artikel 2, 3 und 4 näher bezeichneten Ziele der Gemeinschaft auf dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl gemäß Artikel 5 zu erreichen, kann diese Entscheidung oder Empfehlung mit einstimmiger Zustimmung des Rates und nach Anhörung des Beratenden Ausschusses ergehen‘.

    Diese Beispiele zeigen, daß die Hohe Behörde zu Unrecht für Artikel 70 IV verlangt, daß Ausnahmetarife notwendig sein müssen für die Erreichung der Vertragsziele.

    Die Gesamtheit der bisherigen Überlegungen ergibt also für die Anwendung von Artikel 70 IV folgende Ausgangsposition:

    Die Hohe Behörde hat Ausnahmetarife daraufhin zu überprüfen, ob sie mit den Grundsätzen des Vertrages im Einklang stehen oder ob sie diese Grundsätze verletzen. Dieser Meinung ist auch die Hohe Behörde an einer anderen Stelle des Sechsten Gesamtberichts, S. 82:

    ‚Mit diesen Entscheidungen, durch die alle mit den Grundsätzen des Vertrages nicht vereinbaren Unterstützungstarife beseitigt werden, hat die Hohe Behörde sich bemüht, in jedem Einzelfall die besondere Lage des Unternehmens oder der Gruppe von Unternehmen zu berücksichtigen.‘

    Die Hohe Behörde hat also eine Art Polizeifunktion auf einem Gebiet, das grundsätzlich ihrer Jurisdiktion nicht unterstellt ist (wie Artikel 70 V zeigt): Sie soll darüber wachen, daß die Grundsätze eines teilintegrierten Marktes nicht durch Einwirkungen aus außervertraglichen Bereichen paralysiert werden.

    Diese Deutung von Artikel 70 IV zeigt aber umgekehrt, daß die These der Klägerinnen keine Gültigkeit haben kann, derzufolge eine Intervention der Hohen Behörde auf dem Gebiet bereits vorhandener Ausnahmetarife nur dann zulässig sei, wenn diese Intervention zur Erreichung der Vertragsziele unmittelbar notwendig ist, insbesondere, wenn sie unmittelbar zur rationellsten Verteilung der Produktion auf dem höchsten Leistungsstande führt. Von dieser Voraussetzung ist das Handeln der Hohen Behörde auf dem Gebiet der Transporttarife nicht abhängig. Sie hat nur festzustellen, ob Ausnahmetarife mit den Vertragsgrundsätzen im Einklang stehen. Ist dies nicht der Fall, dann verlangt der Vertrag ihre Aufhebung; nicht etwa er gibt der Hohen Behörde die Möglichkeit, nach ihrem Ermessen zu intervenieren.

    2. Die Anwendung von Artikel 70 IV auf den vorliegenden Fall

    Wenn ich mich nach diesen einleitenden Bemerkungen anschicke, die angegriffenen Entscheidungen der Hohen Behörde zu untersuchen, dann habe ich mir die Frage zu stellen, ob die Hohe Behörde bei der Prüfung der französischen Ausnahmetarife zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangte, daß eine Verletzung der Vertragsprinzipien bei einer Aufrechterhaltung der Tarife vorliege.

    Die Grundsätze des Vertrages sind vor allem niedergelegt in den ersten Artikeln, also in Artikel 2, 3 und 4. Sie werden teilweise ergänzt und präzisiert in anderen Vertragsbestimmungen. Daß diese Grundsätze nicht alle gleichzeitig und vollständig zum Zuge kommen können, hat der Gerichtshof mit Recht schon festgestellt. Es muß dann eine Abstimmung der Ziele vorgenommen werden, je nach den Tatsachen und Umständen, wie sie zur Zeit des Erlasses der Entscheidung gelten (Rechtsprechungssammlung Band IV, S. 259).

    a) DER GRUNDSATZ DES ARTIKELS 2

    Ausgangspunkt für die Untersuchung der Vertragsgrundsätze ist Artikel 2:

    ‚Die Gemeinschaft hat in fortschreitender Entwicklung die Voraussetzungen zu schaffen, die von sich aus die rationellste Verteilung der Erzeugung auf dem höchsten Leistungsstande sichern; sie hat hierbei dafür zu sorgen, daß keine Unterbrechung in der Beschäftigung eintritt, und zu vermeiden, daß im Wirtschaftsleben der Mitgliedstaaten tiefgreifende und anhaltende Störungen hervorgerufen werden.‘

    ‚… die rationellste Verteilung der Erzeugung gemäß Artikel 2 (ist) diejenige, die vor allem auf einer Staffelung der sich aus der Produktivität ergebenden Produktionskosten beruht, d. h. den natürlichen und technischen Bedingungen, unter denen die einzelnen Erzeuger arbeiten‘. Dies hat der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache 7 und 9/54 (Rechtsprechungssammlung Band II, S. 92) ausgeführt und damit klargestellt, daß künstliche Maßnahmen, insbesondere von Seiten eines Staates, die die Produktivität beeinflussen, mit diesem Grundsatz des Vertrages nicht zu vereinbaren sind.

    Nur solche Unternehmen, die aus eigener Kraft imstande sind, am Wettbewerb des gemeinsamen Marktes teilzunehmen, sind geeignet, zur Erreichung des Rationalisierungszieles des Artikels 2 mitzuwirken. Künstliche Unterstützungsmaßnahmen ziehen Mittel aus der Gesamtvolkswirtschaft ab und vermindern damit die Förderungsmöglichkeiten rationeller Betriebe.

    b) DAS SUBVENTIONSVERBOT DES ARTIKELS 4

    Dieser Gedanke wird unterstrichen durch andere Vertragsbestimmungen, insbesondere durch das Subventionsverbot des Artikels 4 c. Vor allem im Lichte dieser Vorschrift — das möchte ich an dieser Stelle betonen — ist meines Erachtens Artikel 70 IV zu sehen. Das entspricht nicht nur dem System des Montanvertrages, sondern wird auch bestätigt durch das System des EWG-Vertrages, der das Diskriminierungsverbot dem Artikel 79, die Behandlung der Unterstützungstarife dagegen einem getrennten Artikel 80 vorbehalten hat, wo von Diskriminierungen nicht die Rede ist.

    Faßt man das Subventionsverbot des Montanvertrages ins Auge — das, wie alle Verbote des Artikels 4, „gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages“ gilt —, so ergibt eine Untersuchung des Vertragssystems, mit welcher Strenge die Beachtung dieses Prinzips durchgeführt wurde. Nicht nur enthält Artikel 4 ein kategorisches und generelles Verbot von Subventionen, „in welcher Form dies auch immer geschieht“; der gleiche Gedanke taucht auf in Artikel 3 (Ausweitungs- und Modernisierungsmaßnahmen dürfen nur gefördert werden unter Ausschluß von Schutzmaßnahmen gegen Konkurrenzindustrien) sowie in Artikel 54 Absatz 5 (die Hohe Behörde kann die Verwendung fremder Mittel verbieten, wenn die Finanzierung eines Programmes oder der sich daraus ergebende Betrieb von Anlagen Subventionen mit sich bringt).

    Daneben zeigt das Vertragssystem (zu dem auch das Übergangsabkommen gehört), unter welch strengen Voraussetzungen Hilfsmaßnahmen der Staaten oder der Gemeinschaft zulässig sind. Im Vordergrund stehen von der Hohen Behörde genehmigte oder geschaffene Ausgleichseinrichtungen.

    Subventionen der Staaten oder Beihilfen der Gemeinschaft sind vorgesehen in besonders schweren Fällen, letzten Endes vor allem zugunsten der Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz wechseln müssen, oder allenfalls (im Rahmen des Übergangsabkommens) vorübergehend zu Anpassungs- und Rationalisierungsmaßnahmen.

    Diese Grundeinstellung des Vertrages zur Frage der Subventionierung von Unternehmen gibt die Richtschnur an die Hand für alle die Fälle, in denen das Prinzip des Artikels 4 c des Vertrages eine Abschwächung erfährt, also auch für die Ausnahmetarife des Artikels 70 IV. Eine ständige Unterstützung von Unternehmen zum Ausgleich von betrieblichen oder standortmäßigen Nachteilen ist hiermit offensichtlich nicht vereinbar.

    c) ARTIKEL, 67 DES VERTRAGES

    Insbesondere wäre es verfehlt, das Subventionsverbot durch einen Hinweis auf Artikel 67 aufzuweichen, der bei der Beurteilung staatlicher Maßnahmen abstellt auf die Auswirkungen, die diese Maßnahmen haben für die Wettbewerbslage, und der Hohen Behörde die Möglichkeit offenhält, diese Auswirkungen durch andere Maßnahmen zu kompensieren.

    Dieser Versuch wurde gemacht mit der Begründung, daß die in Frage stehenden Ausnahmetarife zu einer Schädigung anderer Unternehmen nicht führen würden. Es ist meines Erachtens unzulässig, die Vorschriften des Artikels 67 in dieser Weise zu verallgemeinern. Dies würde zu einer weitgehenden Preisgabe der Ziele des Artikels 2 führen und die Erhaltung oder Schaffung ausgewogener Wettbewerbsverhältnisse für den Vertrag in den Vordergrund stellen. Artikel 67 ist vielmehr so zu verstehen, daß gegen allgemeine staatliche Maßnahmen auf Gebieten, die von der Integration nicht erfaßt sind, auf den Vertragsbereich aber einwirken, Abwehrmaßnahmen der Gemeinschaftsorgane getroffen werden können.

    d) GLEICHER ZUGANG ZUR PRODUKTION

    Die Klägerinnen wollen das Subventionsverbot und den Grundsatz des Artikels 2 darüber hinaus auch noch abschwächen, indem sie auf Artikel 3 hinweisen — „die Organe der Gemeinschaften haben allen in vergleichbarer Lage befindlichen Verbrauchern des gemeinsamen Marktes gleichen Zugang zu der Produktion zu sichern“ —, sowie auf Artikel 70 I, wo von Verbrauchern in vergleichbarer Lage, denen vergleichbare Preisbedingungen zu bieten sind, die Rede ist.

    Sie folgern daraus, daß der Vertrag eine Kompensation schlechter Standortbedingungen und sonstiger betrieblicher Nachteile (Abbauschwierigkeiten gewisser Gruben) durch besonders günstige Tarife zulasse, damit die durch die Natur benachteiligten Unternehmen in eine ähnliche Lage gebracht werden wie wirtschaftlich gesunde Betriebe. Konsequenterweise führt diese Meinung jedoch dahin, das Ziel des Artikels 2 zu vereiteln. Wenn besondere Schwierigkeiten eines Unternehmens durch besondere Vorteile ausgeglichen werden können, bleibt nach Errichtung des gemeinsamen Marktes alles beim alten. Es ist jedoch das erklärte Ziel des Vertrages, Veränderungen in der Struktur des gemeinsamen Marktes in Kauf zu nehmen im Hinblick auf eine rationellere Verteilung der Produktion.

    Es bedarf keines Wortes darüber, daß sich aus dieser erstrebten Veränderung gegebener Verhältnisse Schwierigkeiten für einzelne Unternehmen ergeben können, für die ja auch besondere Hilfsleistungen im Vertrag und im Übergangsabkommen vorgesehen sind. Der Anwendungsbereich von besonderen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen, etwa von Unterstützungstarifen, kann also nicht, gestützt auf die These der Klägerinnen, so sehr ausgeweitet werden, daß jede Veränderung im gemeinsamen Markt ausgeschlossen wird. Es kann nur darum gehen festzustellen, wie groß die Lücke ist, für die das Prinzip des Artikels 2 und auch das Subventionsverbot des Artikels 4 Ausnahmen duldet.

    e) DIE BILDUNG NIEDRIGSTER PREISE

    Diese Bemerkungen gelten in gleicher Weise für die These der Klägerinnen, das Gebot des Artikels 3 c, auf die Bildung niedrigster Preise zu achten, rechtfertige Ausnahmetarife für standortbenachteiligte Werke.

    Ich erinnere darüber hinaus im Zusammenhang mit diesem Argument an Artikel 62, wonach die Hohe Behörde Ausgleichszahlungen zwischen verschiedenen Unternehmen genehmigen kann, wenn dadurch vermieden werden kann, daß der Kohlepreis sich auf dem Niveau der Erzeugungskosten der Gruben mit den höchsten Kosten bildet, deren Fortführung zur Erfüllung der Aufgaben nach Artikel 3 vorübergehend erforderlich wird.

    Diese Vorschrift zeigt, daß dem Vertrag die Preisbeeinflussung durch Zuschüsse keineswegs fremd ist. Man übersehe aber nicht, welche Voraussetzungen dafür gefordert werden, man übersehe vor allem nicht den temporären Charakter solcher Maßnahmen und die Methode, die für die Finanzierung gewählt wurde: es sollen Ausgleichsleistungen vorgenommen werden.

    Diese Vorschrift reiht sich ohne Schwierigkeiten ein in das vorhin skizzierte System des Vertrages auf dem Gebiet der Beihilfen und Subventionen. Es kann nach alledem keine Rede davon sein, daß Ausnahmetarife für bestimmte Unternehmen im Hinblick auf die Ziele des Artikels 3 c gerechtfertigt seien.

    f) AUSWEITUNG UND VERBESSERUNG DER PRODUKTION

    Mit einem Wort läßt sich schließlich auch das Argument der Klägerinnen ausräumen, die Abschaffung der Ausnahmetarife verhindere die in Artikel 3 erwähnte Ausweitung und Verbesserung der Produktion: nicht nur Artikel 3 g, sondern auch Artikel 54 machen deutlich, daß für diese Ziele des Vertrages auf ständige Beihilfen und Subventionen nicht zurückgegriffen werden darf.

    g) WAHL DER FRACHTBASIS

    Wenn im Zusammenhang mit dem ökonomischen Prinzip des Vertrages auf Artikel 60 und die Möglichkeit der Manipulierung des Standortes durch die Unternehmen auf dem Wege über die Wahl der Frachtbasis hingewiesen wurde, so ist dazu zu sagen, daß es einen ganz wesentlichen Unterschied ausmacht, ob der Vertrag solche Manipulationen den Unternehmen, ausgehend von ihren natürlichen Produktionsbedingungen, gestattet, oder ob eine Veränderung der Produktionsbedingungen durch außerbetriebliche Einwirkung zugelassen wird. Letzteres schließt der Vertrag, wie ich meine, ganz offensichtlich aus. Aus der Tatsache, daß der Vertrag ein noch strengeres ökonomisches Prinzip durch die Zulassung der Frachtbasiswahl durchbrochen hat, darf also nicht geschlossen werden, daß er damit auch die viel weitergehende Möglichkeit einer staatlichen oder doch außerbetrieblichen Beeinflussung der Standortbedingungen akzeptiert hätte.

    h) DIE GEORDNETE VERSORGUNG DES GEMEINSAMEN MARKTES

    Bei der Untersuchung und Abwägung der grundsätzlichen Vertragsvorschriften könnte schließlich noch die Frage aufgeworfen werden, ob nicht Artikel 3, a, d. h. die Erfordernisse einer geordneten Versorgung des gemeinsamen Marktes, geeignet ist, dem Prinzip des Artikels 2 und des Artikels 4 gewisse Milderungen aufzuzwingen.

    Zwar ist dem Vertrag Autarkiestreben in der Gemeinschaft fremd; es kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß die Erfordernisse eines spezifischen Marktes die Aufrechterhaltung gewisser Versorgungsquellen innerhalb der Gemeinschaft in. einem bestimmten Umfang verlangen und daher auch — mit Rücksicht auf diese besondere Lage — besondere Maßnahmen, etwa Unterstützungstarife, zugunsten dieser Versorgungsquellen rechtfertigen. Ich möchte mich hier auf die Andeutung dieses Gedankens beschränken, ohne ihn zu vertiefen, weil ich nicht glaube, daß die vorliegenden Klagen hinreichende Anhaltspunkte liefern für die Anwendung dieser Theorie. Es sei nur daran erinnert, welch kleinen Bruchteil am französischen Eisenerzverbrauch die Eisenerzförderung in den Pyrenäen ausmacht (vgl. Anlage zur Klagebeantwortung, II, S. 2); ein Vergleich mit dem Gesamtverbrauch der Gemeinschaft würde ein noch deutlicheres Bild zu dieser Frage ergeben.

    i) DIE ERFORDERNISSE DER REGIONALPOLITIK

    Eine bedeutsame Frage im vorliegenden Prozeß scheint mir die der Zulässigkeit einer besonderen Regionalpolitik mit Hilfe von Ausnahmetarifen zu sein. Die Erörterung dieses Problems nimmt einen breiten Raum ein in den Schriftsätzen der Parteien. Der Gerichtshof wird also zu prüfen haben, ob dieser Gesichtspunkt Ausnahmetarife nach Artikel 70 Absatz 4 zu rechtfertigen vermag.

    Die Klägerinnen haben nicht versäumt, auf Artikel 80 des EWG-Vertrages hinzuweisen, in dem der Kommission bei der Prüfung der Unterstützungstarife ausdrücklich aufgegeben wird, die Erfordernisse einer angemessenen Standortpolitik und die Bedürfnisse der unterentwickelten Gebiete zu berücksichtigen. Der Montanvertrag, dessen Artikel 70 IV im übrigen große Ähnlichkeit mit Artikel 80 I des EWG-Vertrages hat, kennt solche Richtlinien nicht. Die Berücksichtigung der Standort- und Regionalpolitik gehört also nicht zu den Grundsätzen des Vertrages, die bei der Entscheidung nach Artikel 70 IV zu beachten sind.

    Es kann auch nicht davon die Rede sein, daß wir es hier mit einer Lücke des Montanvertrags zu tun haben, zu deren Ausfüllung die Grundsätze des EWG-Vertrages herangezogen werden können. Die erwähnten Grundsätze und Ziele des Montanvertrages zeigen vielmehr, daß bei seiner Abfassung eindeutig das Bestreben im Vordergrund stand, die rationelle Entwicklung und Expansion der Produktion zu fördern. Insoweit besteht ein grundlegender Unterschied zwischen dem eine Teilintegration herbeiführenden Montanvertrages und dem EWG-Vertrag. Da dieser eine Vollintegration des gesamten Wirtschaftslebens der Vertragsstaaten zum Ziele hat, muß er zwangsläufig die Bedürfnisse einer Regionalpolitik berücksichtigen, die Bestandteil der Wirtschaftspolitik jedes Mitgliedstaates sind. Für den Montanbereich konnte dieser Gesichtspunkt außer Betracht bleiben, weil eine Regionalpolitik der Staaten im Bereich der nichtintegrierten Wirtschaft möglich war.

    Dem steht nicht entgegen, daß auch nach dem Montanvertrag für die Berücksichtigung lokaler wirtschaftlicher Interessen in einem Staate ein gewisser Raum bleibt. Der Wortlaut des Artikels 2 zeigt, daß seine Grundsätze nicht vorbehaltlos gelten, und hier ist meines Erachtens der Platz, an dem Erwägungen im Hinblick auf die Regionalpolitik angestellt werden können. Daß die sich in diesem Rahmen bietenden Möglichkeiten sehr begrenzt sind, ist freilich von vornherein nicht zu verkennen.

    Artikel 2 enthält das Gebot, keine Unterbrechung der Beschäftigung herbeizuführen, sowie tiefgreifende und anhaltende Störungen zu vermeiden. Daß der erste Vorbehalt nicht im strengen Wortsinn zu verstehen ist, ergibt sich mit aller Deutlichkeit aus den Vertragsbestimmungen, die im Falle einer Betriebseinstellung Beihilfen für die Arbeitnehmer zur Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes vorsehen. Es kann daraus also nicht die Pflicht zur Aufrechterhaltung eines jeden Betriebes hergeleitet werden. Für die Rechtfertigung einer Regionalpolitik kommt dieser Teil der Bestimmung demnach nicht in Betracht, da der Vertrag keineswegs Betriebseinstellungen mit Umsiedlung von Arbeitern völlig ausschließen will.

    Es bleibt nur das Gebot, wirtschaftliche Störungen zu vermeiden. Dieser Vorbehalt ist in seinen Voraussetzungen allerdings so streng, daß mit seiner Hilfe lediglich Betriebseinstellungen oder Verlagerungen größeren Ausmaßes verhindert werden können, nicht dagegen eine Rechtfertigung gefunden werden kann für Unterstützungsmaßnahmen zugunsten einzelner Betriebe, deren Einstellung die Regionalpolitik eines Staates nicht in Gefahr bringt, oder gar zugunsten solcher Unternehmen, die auch ohne Unterstützungsmaßnahmen, wenn vielleicht auch unter erschwerten Bedingungen existenzfähig bleiben und keine Betriebsverlagerung ins Auge fassen.

    Für bestehende Ausnahmetarife ist ein entsprechender Vorbehalt ausdrücklich in § 10 VII des Übergangsabkommens wiederholt: zur Vermeidung schwerer wirtschaftlicher Störungen sind für die Abänderung der Tarife Fristen zu bewilligen. Es läßt sich sogar bei einem Vergleich des Wortlautes der beiden Bestimmungen sagen, daß § 10 VII weniger streng ist als Artikel 2, da er nur von „schweren wirtschaftlichen Störungen“ und nicht von „tiefgreifenden und anhaltenden wirtschaftlichen Störungen“ spricht.

    Dabei ist § 10 VII nicht ganz frei von Widersprüchen: Einerseits wird vorausgesetzt die Notwendigkeit der Abänderung der Ausnahmetarife zu irgendeinem Zeitpunkt, was sich aus der Fristsetzung ergibt; andererseits wird gesprochen von Vermeidung (also nicht von Milderung) wirtschaftlicher Störungen. Ich glaube indes nicht, daß der Hauptakzent hier auf das Wort „vermeiden“ zu legen ist. Unterstützungstarife, die mit dem Vertrag nicht im Einklang stehen, sollen unter allen Umständen nur befristeten Charakter haben. Lassen sie nach Ablauf dieser Fristen nicht erwarten, daß die begünstigten Unternehmen aus eigener Kraft im gemeinsamen Markt bestehen können, dann sind sie auch unter dem Gesichtspunkt einer Regionalpolitik nicht mehr gerechtfertigt. Ich stimme insofern mit meinem Kollegen Lagrange überein, der die Zulässigkeit einer Regionalpolitik mit Hilfe von Unterstützungsmaßnahmen in dieser Weise einschränkt.

    Was ergeben diese Grundsätze, angewandt auf den konkreten Fall? Die Parteien haben dem Gerichtshof in ihren Schriftsätzen ein umfangreiches Zahlenmaterial vorgelegt, die Klägerinnen zum Nachweis dafür, daß die Abschaffung der Tarife zur Betriebseinstellung zwinge oder doch wettbewerbsfähige Preise verhindere, die Hohe Behörde zur Widerlegung dieser Ausführungen. Sie haben auch in der mündlichen Verhandlung die finanziellen Auswirkungen der Tarifmaßnahmen ausführlich erörtert. Ich glaube aber, der Gerichtshof kann es sich ersparen, in die Prüfung dieser schwierigen Berechnungen über den Einfluß auf die Ertragslage der Unternehmen einzutreten.

    Wir haben in der mündlichen Verhandlung gehört, daß die Klägerin „Compagnie des Hauts Fourneaux et Fonderies de Givors“ nach der Klageerhebung in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist. Die Hohe Behörde hat aber meines Erachtens überzeugend dargetan, daß diese Tatsache nicht ihre Ursache haben kann in der Tariferhöhung der SNCF nach dem Erlaß der Entscheidungen der Hohen Behörde. Schon in den Jahren 1954 und 1955 hat dieses Unternehmen nach den unwidersprochenen Darlegungen der Hohen Behörde mit so erheblichen Verlusten gearbeitet, daß sein Bestand auch ohne die Tarifmaßnahmen, deren Auswirkungen im Verhältnis zu diesen Verlustziffern bescheiden sind, gefährdet gewesen wäre.

    Was die anderen Klägerinnen angeht, so übersehen wir nicht, daß das von ihnen vorgelegte Zahlenwerk zu der Frage führt, ob nicht die Fortführung des Betriebes der Gruben in den Pyrenäen gefährdet ist. Demgegenüber darf aber nicht aus dem Auge verloren werden die Tatsache, daß in der Gemeinschaft für Kohle, und Stahl Unterstützungsmaßnahmen lokaler Natur und lokaler Auswirkung nur soweit gerechtfertigt sind, als sie zur Abwendung drohender schwerer wirtschaftlicher Störungen notwendig sind. Daß solche schweren wirtschaftlichen Störungen in ernsthafter Weise drohen, ist aber nicht dargetan. Dies wird verständlicherweise auch von der Hohen Behörde daraus gefolgert, daß die Regierung dieses Vertragsstaates das Verfahren gemäß Artikel 37 zur Vermeidung tiefgreifender und anhaltender Störungen nicht eingeleitet hat. Es erscheint daher naheliegend anzunehmen, daß diese Regierung selbst ihre Regionalpolitik durch die Tarifentscheidungen nicht in dem Maße beeinträchtigt sieht, in dem eine Beachtung nach den Grundsätzen des Vertrages allein in Betracht kommt.

    k) DER GRUNDSATZ DER VERKEHRSERHALTUNG

    Die Klägerinnen haben schließlich noch das Argument vorgebracht, die in Frage stehenden Ausnahmetarife seien im Interesse der Eisenbahn selbst eingeführt worden zur Erhaltung eines bestimmten Transportvolumens und rechtfertigten ihre Aufrechterhaltung auch heute noch unter diesem Gesichtspunkt. Sie sollen damit aus dem Kreis der Ausnahmetarife des Artikels 70 IV überhaupt ausscheiden, weil es sich nicht um Unterstützungsmaßnahmen zugunsten einzelner Unternehmen handele.

    Dieses Argument ist grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Es kommt also bei der Anwendung des Artikels 70 IV auf Ausnahmetarife darauf an, ob diese besonderen Maßnahmen auch und überwiegend im Interesse des Verkehrsträgers liegen. Damit werden Kriterien für die Beurteilung der Ausnahmetarife in die Diskussion gebracht, deren Nachprüfung nicht nur dem Gerichtshof, sondern auch der Hohen Behörde erhebliche Schwierigkeiten macht. Es ist in der Tat nicht zu verkennen, daß die Nachfrage für Transportleistungen auf einer bestimmten Strecke mit der Erhöhung des Tarifs über ein bestimmtes Maß hinaus zurückgehen oder ganz aufhören kann, weil der Preis für die Transportleistung den Empfänger in wirtschaftliche Schwierigkeiten brächte. Damit ist für den Verkehrsträger selbst, der bis dahin, auch bei Anwendung eines gesenkten Tarifs, auf einer bestimmten Strecke noch rentabel gearbeitet hat, ein Verlust an Einnahmen verbunden, der die Rentabilität des Betriebs auf dieser Strecke in Frage stellen kann.

    Diese besondere Lage, zu deren Erfassung sowohl die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage der Transportteilnehmer als auch des Transportträgers notwendig ist, könnte also die Aufrechterhaltung von Ausnahmetarifen rechtfertigen.

    Mir scheinen aber die vorliegenden Fälle keinen Anlaß zu bieten, diesem Problem weiter nachzugehen, da substantiierte Angaben in tatsächlicher Hinsicht zur Unterstützung dieser These aus dem Vortrag der Klägerinnen nicht zu entnehmen sind, jedenfalls soweit die Ertragslage des Verkehrsträgers in Frage steht.

    3. Ergebnis

    Ich komme also in allen drei Fällen übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß der Hohen Behörde eine Verletzung des Vertrages bei der Prüfung der strittigen Ausnahmetarife im Ergebnis nicht nachzuweisen ist. Das vorliegende Verfahren hat nicht den Beweis erbracht, daß entgegen der Beurteilung der Hohen Behörde, die in Einzelheiten Anlaß zu rechtlicher Kritik bot, die französischen Ausnahmetarife mit den Grundsätzen des Vertrages im Einklang standen und ihre Abänderung daher nicht verlangt werden konnte.

    4. Die zur Abänderung der Ausnahmetarife bewilligten Fristen

    Es bleibt nur noch die Rüge der Klägerinnen, die von der Hohen Behörde zur Abschaffung bewilligten Fristen seien zu kurz bemessen. Soweit ich sehe, wurde diese Rüge aber zum ersten Mal und ohne weitere Ausführungen in der Replik erhoben. Sie könnte daher außer Betracht bleiben als verspätetes Vorbringen. Sie weist jedoch noch einen anderen Mangel auf, der ihre gerichtliche Nachprüfung ausschließt.

    In den Entscheidungen der Hohen Behörde wird zur Begründung der Fristen, die für die einzelnen Fälle verschieden lang sind, außer dem Wortlaut des § 10 VII nur angegeben, bei der Festsetzung der Fristen sei die verschiedene Lage der Unternehmen berücksichtigt worden. Irgendwelche Einzelheiten, Elemente, die bei der Würdigung der Hohen Behörde eine Rolle gespielt haben, sind darin nicht enthalten.

    Ich bin aber der Ansicht, daß dieser Umstand für die Entscheidung des Gerichtshofes keine Bedeutung hat, da wir es hier zu tun haben mit einer Entscheidung, die sich stützt auf die „Würdigung der aus den wirtschaftlichen Tatsachen und Umständen sich ergebenden Gesamtlage“. Ob eine wirtschaftliche Störung und in welchem Ausmaß sie zu erwarten ist, kann nur gesagt werden auf Grund einer Gesamtwürdigung, die einschließt die Auswirkungen aller gleichartigen Tarifentscheidungen, nicht nur der hier angegriffenen. Dieser Teil der Entscheidungen kann daher nur angefochten werden mit der substantiierten Darlegung des Vorwurfs des Ermessensmißbrauchs oder der offensichtlichen Vertragsverletzung gemäß Artikel 33 Absatz 1 Satz 2. Im vorliegenden Fall ist nichts dergleichen geschehen, so daß kein Anlaß besteht, dieser Rüge nachzugehen.

    V. Gesamtergebnis

    Nach der Würdigung aller Rügen, die in den Klagen vorgebracht wurden, komme ich zu folgendem Ergebnis:

    Ich schlage dem Gerichtshof vor,

    die vorliegenden Klagen als unbegründet zurückzuweisen und die Kosten des Verfahrens den Klägerinnen aufzuerlegen.

    Die Klägerinnen in den Rechtssachen 27 und 28/58 haben die Kosten des Verfahrens auch insoweit zu tragen, als sie durch Erklärung in der mündlichen Verhandlung ihre Klageanträge eingeschränkt haben, da dies einer teilweisen Klagezurücknahme gleichkommt.

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