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Document 61993TJ0534

    Leitsätze des Urteils

    URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kanuner)

    14. Juli 1994

    Rechtssache T-534/93

    Arlette Grynberg und Eileen Hall

    gegen

    Kommission der Europäischen Gemeinschaften

    „Beamte — Personalvertretung — Wahlverfahren — Verteilung der Mandate — Vorläufiges Verzeichnis der gewählten Kandidaten — Ersetzung von gewählten Kandidaten“

    Vollständiger Wortlaut in französischer Sprache   II-595

    Gegenstand:

    Klage auf Aufhebung der Ergebnisse der Wahlen zu einer örtlichen Personalvertretung der Kommission, soweit die Klägerinnen, die ursprünglich gewählt worden waren, durch andere Kandidaten ersetzt worden sind

    Ergebnis:

    Abweisung

    Zusammenfassung des Urteils

    Die Wahlen zur Neuvergabe der 27 Mandate der Personalvertretung der Kommission in Brüssel wurden nach einer Wahlordnung durchgeführt, wonach die Wahlvorschläge der Gewerkschaften oder Beruf s verbände „in Form von Listen einzureichen [sind], auf denen höchstens jeweils 27 Mitglieder mit ihren Stellvertretern aufgeführt sind“. Die Wähler hatten ihre Stimme entweder für eine einzige Liste („Listenstimmen“) oder für höchstens 27 Kandidaten und ihre Stellvertreter abzugeben, die aus einer oder mehreren Listen auszuwählen waren („Präferenzstimmen“).

    Artikel 11 der Wahlordnung bestimmt:

    „a)

    Die Verteilung der Mandate zwischen ‚Listenstimmen’ und ‚Präferenzstimmen’ bestimmt sich nach dem Verhältnis der Zahl der Stimmzettel, auf denen

    eine Liste gewählt worden ist,

    zu solchen, auf denen Präferenzstimmen abgegeben worden sind.

    (...)

    c)

    Die Verteilung der ‚Präferenzmandate’ bestimmt sich nach dem Verhältnis der für die Kandidaten jeder Liste abgegebenen Gesamtzahl von Stimmen.

    Innerhalb jeder Liste werden die ‚Präferenzmandate’ an die nicht über die Listenstimmen gewählten Kandidaten vergeben, die die größte Zahl von Stimmen erhalten haben. “

    Artikel 12 Buchstabe a bestimmt: „Auf diese Weise wird ein vorläufiges Verzeichnis der auf jeder Liste gewählten Kandidaten aufgestellt. Sind unter diesen eine Laufbahngruppe, eine Sonderlaufbahn oder die sonstigen Bediensteten nicht vertreten, so tritt derjenige Kandidat der zu vertretenden Laufbahngruppe, Sonderlaufbahn oder der sonstigen Bediensteten, der die meisten Präferenzstimmen erhalten hat, an die Stelle des letzten Bewerbers auf dem vorläufigen Verzeichnis der Gewählten derjenigen Liste, auf der er kandidiert hat. “

    Der Wahlvorstand errechnete nach Maßgabe des Artikels 11 Buchstabe a, daß von den 27 zu vergebenden Mandaten elf nach dem Modus der „Listenstimmen“ und sechzehn nach dem der „Präferenzstimmen“ zu vergeben waren.

    Bei der Aufstellung des vorläufigen Verzeichnisses der gewählten Kandidaten stellte der Wahlvorstand zunächst hinsichtlich der „Listenstimmen“ fest, daß der Liste 3 (Gewerkschaftsbund) vier der elf Mandate zustünden, die den ersten vier Kandidatenpaaren auf der Liste in der vom Gewerkschaftsbund festgelegten Reihenfolge zugewiesen wurden.

    Sodann stellte der Wahlvorstand fest, daß in bezug auf die „Präferenzstimmen“ der Liste 3 vier der nach dem Modus der „Präferenzstimmen“ zu vergebenden sechzehn Mandate zustünden. Da von den vier Kandidatenpaaren mit den meisten Stimmen eines bereits nach dem Modus der „Listenstimmen“ gewählt worden war, berücksichtigte der Wahlvorstand nach Artikel 11 Buchstabe c Absatz 2 das in der Reihenfolge der „Präferenzstimmen“ der Liste 3 nächste Kandidatenpaar, das von den Klägerinnen gebildet wurde (753 Stimmen).

    Da der Wahlvorstand nach Artikel 12 Buchstabe a Satz 2 zur Ersetzung eines gewählten Kandidaten verpflichtet war, um die noch fehlende Vertretung der „örtlichen Bediensteten“ zu gewährleisten, berücksichtigte er einen Kandidaten der Liste 3, der diese Kategorie vertrat und zusammen mit seiner Stellvertreterin 556 „Präferenzstimmen“ erhalten hatte, und schloß innerhalb dieser Liste 3 das Kandidatenpaar, das die Klägerinnen darstellten, aus.

    Mit einer an den Wahlvorstand gerichteten Note machte der Spitzenkandidat der Liste 3 geltend, die Ersetzung der Klägerinnen beruhe auf einer irrigen Auslegung des Artikels 12, da das Kandidatenpaar, das von allen innerhalb einer Liste gewählten Kandidaten am wenigsten Stimmen erhalten habe, durch das Kandidatenpaar zu ersetzen sei, das die fehlende Personalkategorie vertrete.

    Der Wahlleiter bestätigte gegenüber dem zuständigen Generaldirektor die Auslegung des Wahl vorstands, der sich der Juristische Dienst der Kommission, der vom Generaldirektor angerufen worden war, anschloß. Mit Note vom 7. Januar 1993 bestätigte der Generaldirektor diese Auslegung.

    Die Klägerin Grynberg trat am 1. Januar 1993 in den Ruhestand. Am 7. April 1993 legten die beiden Klägerinnen eine Beschwerde ein, mit der sie einen Verstoß gegen Artikel 12 der Wahlordnung und gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes geltend machten; diese Beschwerde wurde nicht ausdrücklich beschieden.

    Zulässigkeit

    Zum Vorliegen einer beschwerenden Maßnahme

    Das Gericht erinnert daran, daß der Gemeinschaftsrichter, der auf der Grundlage der Bestimmungen des Statuts über die Beamtenklagen bei Wahlstreitigkeiten zuständig ist, seine gerichtliche Kontrolle im Rahmen von Klagen gegen das betreffende Organ wegen Handlungen oder Unterlassungen der Anstellungsbehörde ausübt, zu denen die Ausübung der Kontrolle, die die Anstellungsbehörde auf diesem Gebiet wahrnimmt, führt (Randnr. 20).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 27. Oktober 1987, Diezler u. a./WSA, 146/85 und 431/85 Slg 1987, 4283, Randnr. 5

    Das Gericht betrachtet die Note des Generaldirektors vom 7. Januar 1993 als eigene Entscheidung, die im Rahmen der Aufgabe des Organs, die Ordnungsmäßigkeit der Wahlen der Personalvertretungsorgane zu gewährleisten, ergangen ist. Da diese Note das von den Klägerinnen gebildete Kandidatenpaar namentlich nennt und angibt, daß dieses Paar von der Liste der gewählten Kandidaten ausgeschlossen sei, entfaltet sie zwingende rechtliche Wirkungen, die geeignet sind, die Interessen der Betroffenen dadurch unmittelbar und sofort zu berühren, daß sie deren Rechtsstellung in qualifizierter Weise ändert, und stellt als solche eine beschwerende Maßnahme dar (Randnrn. 21 und 22).

    Verweisung auf: Gericht, 8. März 1990, Maindiauxu. a./WSA, T-28/89, Slg. II-59, Randnr. 32; Gericht, 15. Juni 1994, Pérez Jiménez/Kommission, Slg.ÖD 1994, II-497, Randnr. 34

    Zum Rechtsschlitzinteresse der Klägerin Grynberg

    Nachdem das Gericht darauf hingewiesen hat, daß auf dem Gebiet der Wahlstreitigkeiten ein Beamter allein aufgrund seiner Eigenschaft als Wahlberechtigter ein ausreichendes Interesse hat, damit seine Klage zulässig ist, erkennt es ein solches Interesse bei der Klägerin Grynberg an, da sie bei den streitigen Wahlen die Eigenschaft einer Wahlberechtigten hatte und sich für ihren Antrag auf Überprüfung der Wahlergebnisse auf diese Eigenschaft beruft, ohne daß ihr dieses Rechtsschutzinteresse allein deshalb abzusprechen wäre, weil sie wegen ihrer Versetzung in den Ruhestand ihre Eigenschaft als Wahlberechtigte vor der Erhebung ihrer Klage verloren hat. Jeder Wahlberechtigte, der zur Teilnahme an Wahlen berechtigt war, behält nämlich bis zum Ablauf der in den Artikeln 90 und 91 des Statuts vorgesehenen Fristen ein berechtigtes Interesse daran, daß sein Stimmrecht seine Wirkungen unter Bedingungen, die den einschlägigen Bestimmungen entsprechen, entfaltet (Randnrn. 29 und 30).

    Verweisung auf: Diezleru. a./WSA, a. a. O., Randnr. 9

    Begründetheit

    Zum Klagegrund des Verstoßes gegen Artikel 12 der Wahlordnung

    Nach Ansicht des Gerichts führt eine wörtliche und systematische Auslegung der einschlägigen Bestimmungen zu der Annahme, daß der letzte Kandidat des vorläufigen Verzeichnisses der gewählten Kandidaten einer Liste im Sinne des Artikels 12 Buchstabe a der Wahlordnung derjenige ist, der zur Gruppe der Kandidaten gehört, die nach dem Modus der „Präferenzstimmen“ gewählt worden sind (Randnr. 41).

    Die erste nach Beendigung des Wahlvorgangs vorzunehmende Handlung besteht nämlich in einer Verteilung aller zu vergebenden Mandate nach der Gesamtzahl der Stimmzettel, die zum einen einer „Listenstimmen“-Wahl und zum anderen einer „ Präferenzstimmen“ -Wahl entsprechen (Randnr. 42).

    Da außerdem der Ersatzkandidat nach der Wahlordnung auf der Grundlage der „Präferenzstimmen“, die er erhalten hat, bestimmt wird, entspricht es dem Aufbau des Wahlsystems, daß der ausgeschlossene Kandidat ebenfalls allein aufgrund der „Präferenzstimmen“ bestimmt wird, ohne daß die „Präferenzstimmen“, die die mit den „Listenstimmen“ gewählten Kandidaten erhalten haben, berücksichtigt werden (Randnr. 43).

    Diese Auslegung beachtet auch die Verteilung der Mandate, die nach dem Modus der „Listenstimmen“ und nach dem Modus der „Präferenzstimmen“ vergeben werden. Könnten nämlich vom Vorgang der Ersetzung alle Kandidaten der Liste erfaßt werden, so könnte die nach den beiden Wahlmodi erfolgte ursprüngliche Verteilung der Anzahl der Mandate nachträglich geändert werden, was die Kohärenz des Wahlsystems insgesamt und den von den Wählern geäußerten Willen beeinträchtigen würde (Randnr. 44).

    Entgegen der Auffassung der Klägerinnen kann der Grundsatz der Gleichheit des repräsentativen Wertes der Stimmen dann nicht verletzt werden, wenn die Gesamtzahl der gewählten Kandidaten, die zur Liste 3 gehören, gleich bleibt, unabhängig davon, ob das eine oder das andere Kandidatenpaar im endgültigen Verzeichnis der gewählten Kandidaten aufgeführt ist (Randnr. 46).

    Zum Klagegrund des Verstoßes gegen den Grundsatz des berechtigten Vertrauens auf die Aufrechterhaltung einer anderen Auslegung der einschlägigen Bestimmungen

    Das Gericht erinnert daran, daß das Recht, den Schutz des berechtigten Vertrauens zu verlangen, jedem einzelnen zusteht, der sich in einer Situation befindet, aus der sich ergibt, daß die Gemeinschaftsverwaltung dadurch, daß sie ihm bestimmte Zusicherungen gegeben hat, bei ihm begründete Erwartungen geweckt hat. Im vorliegenden Fall läßt sich jedoch die Verletzung eines etwaigen berechtigten Vertrauens nicht nachweisen (Randnrn. 51 und 52).

    Verweisung auf: Gericht, 9. Februar 1994, Latham/Kommission, T-3/92, Slg.ÖD 1994, II-83, Randnr. 58; Gericht, 19. Mai 1994, Consorzio gruppo di azione locale „Murgia Messapica“ /Kommission, T-465/93, Slg. 1994, II-361, Randnr. 67

    Jedenfalls läuft der Klagegrund darauf hinaus, daß der Schutz einer irrigen Auslegung der Wahlordnung verlangt wird. Zusagen, die der spezifischen Regelung für einen bestimmten administrativen Sachverhalt nicht Rechnung tragen, können aber bei denen, an die sie sich richten, kein berechtigtes Vertrauen begründen (Randnrn. 52 und 53).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 24. März 1993, CIRFS u. a./Kommission, C-313/90, Slg. 1993, I-1125, Randnr. 45; Gericht, 17. Dezember 1992, Holtbecker/Kommission, T-20/91, Slg. 1992, II-2599, Randnr. 54; Latham/Kommission.a. a. O., Randnr. 58

    Zum Klagegrund des Verstoßes gegen Artikel 25 des Statuts wegen fehlender Begründung der Note des zuständigen Generaldirektors vom 7. Januar 1993

    Da dieser Klagegrund nicht in der Beschwerde geltend gemacht worden ist, weist das Gericht darauf hin, daß der Gemeinschaftsrichter von Amts wegen zu prüfen hat, ob die Kommission ihrer Verpflichtung, die angefochtene Entscheidung zu begründen, nachgekommen ist. Da diese Prüfung in jedem Stadium des Verfahrens erfolgen kann, kann keinem Kläger die Geltendmachung dieses Klagegrundes nur aus dem Grund verwehrt werden, weil er ihn nicht in seiner Beschwerde angeführt hat (Randnr. 59).

    Zur Begründetheit stellt das Gericht fest, daß die Klägerinnen imstande waren, ihren Standpunkt wirksam zu Gehör zu bringen, und daß das Gericht in der Lage war, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu kontrollieren (Randnr. 60).

    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

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