URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

14. September 2017 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2004/18/EG – Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 – Bieter, der sich auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützt, um die Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers zu erfüllen – Verlust der benötigten Kapazitäten durch diese Unternehmen – Nationale Regelung, die den Ausschluss des Bieters vom Vergabeverfahren und die Vergabe des Auftrags an einen Mitbewerber vorsieht“

In der Rechtssache C‑223/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 3. November 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 20. April 2016, in dem Verfahren

Casertana Costruzioni Srl

gegen

Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti – Provveditorato Interregionale per le opere pubbliche della Campania e del Molise,

Agenzia Regionale Campana per la Difesa del Suolo – A.R.Ca.Di.S.,

Beteiligte:

Consorzio Stabile Infratech,

W.E.E. Water Environment Energy SpA,

Massimo Fontana,

Studio Tecnico Associato Thinkd,

Claudio Della Rocca,

Nicola Maione,

Vittorio Ciotola,

Fin.Se.Co. SpA,

Edilgen SpA,

Site Srl,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Regan, A. Arabadjiev, C. G. Fernlund und S. Rodin (Berichterstatter),

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Casertana Costruzioni Srl, vertreten durch E. Sticchi Damiani und G. Ceceri, avvocati,

des Consorzio Stabile Infratech, vertreten durch L. Lentini und F. Migliarotti, avvocati,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Colelli, avvocato dello Stato,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und A. Tokár als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Mai 2017

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 47 und 48 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114) sowie von Art. 63 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Casertana Costruzioni Srl (im Folgenden: Casertana) einerseits und dem Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti – Provveditorato Interregionale per le opere pubbliche della Campania e del Molise (Ministerium für Infrastrukturen und Verkehr – Interregionales Inspektorat für öffentliche Aufträge von Kampanien und Molise, Italien) und der Agenzia Regionale Campana per la Difesa del Suolo – A.R.Ca.Di.S. (Amt für Bodenerhaltung der Region Kampanien, Italien) andererseits über das Vergabeverfahren für die Ausführungsplanung, Sicherheitskoordinierung in der Planungsphase und Ausführung von Bauarbeiten für das Projekt „La Bandiera Blu“ in der Küstenregion Litorale Domizio.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2004/18

3

Art. 47 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 bestimmte:

„Ein Wirtschaftsteilnehmer kann sich gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen stützen. Er muss in diesem Falle dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er beispielsweise die diesbezüglichen Zusagen dieser Unternehmen vorlegt.“

4

Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie lautete:

„Ein Wirtschaftsteilnehmer kann sich gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen stützen. Er muss in diesem Falle dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass ihm für die Ausführung des Auftrags die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er beispielsweise die Zusage dieser Unternehmen vorlegt, dass sie dem Wirtschaftsteilnehmer die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen.“

5

Die Richtlinie 2004/18 wurde durch die Richtlinie 2014/24 aufgehoben.

Richtlinie 2014/24

6

Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 sieht vor:

„In Bezug auf die Kriterien für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit gemäß Artikel 58 Absatz 3 und die Kriterien für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit gemäß Artikel 58 Absatz 4 kann ein Wirtschaftsteilnehmer gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag die Kapazitäten anderer Unternehmen – ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen – in Anspruch nehmen. … Beabsichtigt ein Wirtschaftsteilnehmer, die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch zu nehmen, so weist er dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nach, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen werden, indem er beispielsweise die diesbezüglichen verpflichtenden Zusagen dieser Unternehmen vorlegt.

Der öffentliche Auftraggeber überprüft gemäß den Artikeln 59, 60 und 61, ob die Unternehmen, deren Kapazitäten der Wirtschaftsteilnehmer in Anspruch nehmen möchte, die entsprechenden Eignungskriterien erfüllen und ob Ausschlussgründe gemäß Artikel 57 vorliegen. Der öffentliche Auftraggeber schreibt vor, dass der Wirtschaftsteilnehmer ein Unternehmen, das ein einschlägiges Eignungskriterium nicht erfüllt oder bei dem zwingende Ausschlussgründe vorliegen, ersetzt. Der öffentliche Auftraggeber kann vorschreiben, oder ihm kann durch den Mitgliedstaat vorgeschrieben werden, vorzuschreiben, dass der Wirtschaftsteilnehmer ein Unternehmen, bei dem nicht zwingende Ausschlussgründe vorliegen, ersetzt.

Nimmt ein Wirtschaftsteilnehmer im Hinblick auf Kriterien für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch, so kann der öffentliche Auftraggeber vorschreiben, dass der Wirtschaftsteilnehmer und diese Unternehmen gemeinsam für die Auftragsausführung haften.

…“

Italienisches Recht

7

Art. 40 Abs. 1 und 2 des Decreto legislativo n. 163 – Codice dei contratti pubblici relativi a lavori, servizi e forniture in attuazione delle direttive 2004/17/CE e 2004/18/CE (gesetzesvertretende Verordnung Nr. 163, Gesetzbuch über öffentliche Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge zur Umsetzung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG) vom 12. April 2006 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 100 vom 2. Mai 2006) bestimmt:

„1.   Die Personen, die öffentliche Arbeiten aus gleich welchem Grund ausführen, müssen dafür zugelassen sein und dafür sorgen, dass ihre Tätigkeit von den Grundsätzen der Qualität, der Professionalität und der Korrektheit bestimmt ist. Zu diesem Zweck unterliegen die Waren, Prozesse, Dienstleistungen und betrieblichen Qualitätssysteme, die von diesen Personen verwendet werden, einer Zertifizierung nach den geltenden Rechtsvorschriften.

2.   Mit der in Art. 5 vorgesehenen Verordnung wird das Zulassungssystem geregelt, das für alle Personen, die aus gleich welchem Grund öffentliche Aufträge zu einem Auftragswert von mehr als 150000 Euro ausführen, einheitlich und nach Auftragsart und ‑wert gegliedert ist. Die in Art. 5 vorgesehene Verordnung gestattet außerdem, periodisch die Kategorien für die Zulassung zu ändern und eventuell neue Kategorien vorzusehen.“

8

In Art. 49 dieser Verordnung heißt es:

„Der Bieter, d. h. der einzelne Bieter, das Konsortium oder die Gemeinschaft im Sinne von Art. 34, kann sich in Bezug auf eine konkrete Ausschreibung von Bauarbeiten, Dienstleistungen und Lieferungen, um die wirtschaftlichen, finanziellen, technischen und organisatorischen Anforderungen zu erfüllen bzw. die Bescheinigung der SOA über die Zertifizierung zu erhalten, auf die Fähigkeiten eines anderen Unternehmens oder auf die SOA-Bescheinigung eines anderen Unternehmens stützen.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

9

Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass das Interregionale Inspektorat für öffentliche Aufträge von Kampanien und Molise im Juni 2013 für das Amt für Bodenerhaltung der Region Kampanien europaweit ein offenes Verfahren zur Vergabe eines Auftrags über die Ausführungsplanung, Sicherheitskoordinierung in der Planungsphase und Ausführung von Bauarbeiten für das Projekt „La Bandiera Blu“ in der Küstenregion Litorale Domizio einleitete.

10

In den Verdingungsunterlagen hieß es, dass für die Teilnahme am Verfahren eine Bescheinigung der Società Organismo di Attestazione (Zertifizierungsgesellschaft) über die für die Erbringung von Planungs- und Ausführungsleistungen bestimmter Kategorien erforderlichen Qualifikationen nötig sei.

11

Casertana nahm als federführendes Mitglied einer in Gründung befindlichen vorübergehenden Arbeitsgemeinschaft von Unternehmen an dieser Ausschreibung teil und gab an, sich für die nach der gesetzesgebenden Verordnung Nr. 163 erforderlichen Qualifikationen auf zwei Hilfsunternehmen zu stützen, von denen eines das Consorzio Stabile GAP war.

12

Nach Abschluss der Phase der Zulassung zum Vergabeverfahren verlor dieses Hilfsunternehmen im Lauf des Verfahrens die Qualifikation für die erforderliche Leistungskategorie und war damit nur noch für eine niedrigere Leistungskategorie qualifiziert.

13

Mit Entscheidung vom 8. Oktober 2014 wurde der Auftrag an die vom Consorzio Stabile Infratech geführte vorübergehende Arbeitsgemeinschaft vergeben, während die von Casertana geführte auf den zweiten Platz gesetzt wurde.

14

Casertana erhob eine Klage beim Tribunale amministrativo regionale per la Campania (Verwaltungsgericht der Region Kampanien, Italien), mit der sie die Entscheidung zur endgültigen Vergabe des Auftrags in mehrfacher Hinsicht beanstandete.

15

Daraufhin erhob die erfolgreiche Arbeitsgemeinschaft eine Inzidentklage auf Feststellung des Ausschlusses der Klägerin des Ausgangsverfahrens, mit der sie geltend machte, dass diese vom Vergabeverfahren hätte ausgeschlossen werden müssen, weil ihr Hilfsunternehmen im Lauf dieses Verfahrens die für die Teilnahme erforderliche Kategorie verloren habe. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens verteidigte sich damit, dass dieser dem Hilfsunternehmen zuzurechnende Verlust einen Fall höherer Gewalt darstelle und nicht zum automatischen Ausschluss ihrer Arbeitsgemeinschaft führen könne.

16

Mit Urteil vom 27. März 2015 gab das Tribunale amministrativo regionale per la Campania (Verwaltungsgericht der Region Kampanien) der Inzidentklage der erfolgreichen Arbeitsgemeinschaft statt, indem es den ersten Klagegrund für begründet erachtete. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Verlust der Qualifikation für die erforderliche Kategorie durch das Hilfsunternehmen während des Vergabeverfahrens zum Ausschluss der Arbeitsgemeinschaft der Klägerin des Ausgangsverfahrens von diesem Verfahren geführt habe. Deren Vorbringen zum Vorliegen eines Falles höherer Gewalt sei unerheblich.

17

Am 8. Juli 2015 legte Casertana ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil ein. Sie macht geltend, dass der Bieter, der darauf vertraue, dass das Hilfsunternehmen die erforderlichen Qualifikationen besitze, nicht für deren Verlust einzustehen habe, da dieser ihm nicht zuzurechnen sei. Es sei unmöglich, einen ihm zuzurechnenden „Fehler“ zu bestimmen, so dass das Verwaltungsgericht hätte anerkennen müssen, dass der Bieter das Hilfsunternehmen ersetzen dürfe, wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs und Art. 63 der Richtlinie 2014/24, in dem dies ausdrücklich vorgesehen sei, hervorgehe.

18

Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stehen Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 in der Form, wie sie durch Art. 63 der Richtlinie 2014/24 ersetzt wurden, einer nationalen Regelung entgegen, die für einen Wirtschaftsteilnehmer, d. h. für das Unternehmen, das an der Ausschreibung teilnimmt, die Möglichkeit ausschließt, anstelle des ursprünglich in Anspruch genommenen „Hilfsunternehmens“, das die Teilnahmevoraussetzungen nicht mehr oder nur mehr in eingeschränktem Maß erfüllt, ein anderes Unternehmen anzugeben, oder in dem Sinne ausgelegt werden kann, dass sie diese Möglichkeit ausschließt, und somit zum Ausschluss des Wirtschaftsteilnehmers von der Ausschreibung wegen einer Tatsache führt, die weder objektiv noch subjektiv auf ihn zurückzuführen ist?

Zur Vorlagefrage

19

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 im Licht des Art. 63 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen ein Wirtschaftsteilnehmer, der sich an einem Vergabeverfahren beteiligt, ein Hilfsunternehmen, das nach Angebotsabgabe erforderliche Qualifikationen verliert, nicht ersetzen darf und automatisch vom Verfahren ausgeschlossen wird.

Zur Anwendbarkeit von Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24

20

Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 unter Berücksichtigung von Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 auszulegen ist.

21

Für die Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich diejenige Richtlinie anwendbar ist, die zu dem Zeitpunkt gilt, zu dem der öffentliche Auftraggeber die Art des durchzuführenden Verfahrens auswählt und endgültig entscheidet, ob die Verpflichtung zu einem vorherigen Aufruf zum Wettbewerb für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags besteht. Unanwendbar sind hingegen die Bestimmungen einer Richtlinie, deren Umsetzungsfrist nach diesem Zeitpunkt abgelaufen ist (Urteile vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C‑213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz, C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 83).

22

Im Ausgangsverfahren wurde die Auftragsbekanntmachung am 7. Juni 2013 dem Amtsblatt der Europäischen Union übermittelt und am 10. Juni 2013 in der Gazzetta Ufficiale della Repubblica Italiana (Amtsblatt der Italienischen Republik) veröffentlicht. Die Richtlinie 2014/24 wurde am 26. Februar 2014 erlassen, und ihre Umsetzungsfrist ist nach Art. 90 jedenfalls am 18. April 2016 abgelaufen.

23

Als die im Ausgangsverfahren fragliche Ausschreibung im Juni 2013 veröffentlicht wurde, war die Richtlinie 2014/24 demnach in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar.

24

Was die Frage angeht, ob Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 unter Berücksichtigung des Inhalts von Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24, der die Entsprechung insbesondere zu diesem Art. 48 Abs. 3 darstellt, auszulegen ist, so ist festzustellen, dass diese letztere Vorschrift allgemein formuliert ist und nicht ausdrücklich die Modalitäten nennt, unter denen sich ein Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützen kann (Urteil vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz, C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 87 und 88).

25

Dagegen sieht Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 nunmehr vor, dass Wirtschaftsteilnehmer die Kapazitäten anderer Unternehmen nur dann in Anspruch nehmen können, „wenn diese die Arbeiten ausführen beziehungsweise die Dienstleistungen erbringen, für die diese Kapazitäten benötigt werden“ (Urteil vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz, C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 89), und dass „[d]er öffentliche Auftraggeber [vorschreibt], dass der Wirtschaftsteilnehmer ein Unternehmen, das ein einschlägiges Eignungskriterium nicht erfüllt oder bei dem zwingende Ausschlussgründe vorliegen, ersetzt“.

26

Zwar soll die Richtlinie 2014/24, wie es u. a. in ihrem zweiten Erwägungsgrund heißt, grundlegende Begriffe und Konzepte klären, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und bestimmten Aspekten der einschlägigen ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs Rechnung zu tragen; nichtsdestoweniger wurden mit Art. 63 dieser Richtlinie wesentliche Änderungen vorgenommen, was das Recht eines Wirtschaftsteilnehmers betrifft, im Rahmen eines öffentlichen Auftrags Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch zu nehmen (Urteil vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz, C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 90).

27

Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 ist nämlich keineswegs eine Fortschreibung von Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18, mit der dessen Tragweite klargestellt wird, sondern führt neue Bedingungen ein, die unter der Vorgängerregelung nicht vorgesehen waren (Urteil vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz, C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 91).

28

Unter diesen Umständen kann diese Bestimmung der Richtlinie 2014/24 nicht als Kriterium für die Auslegung von Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 herangezogen werden, weil es vorliegend nicht darum geht, einen Auslegungszweifel hinsichtlich des Inhalts der letztgenannten Bestimmung auszuräumen (Urteil vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz, C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 92).

Zu Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18

29

Nach ständiger Rechtsprechung räumen Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 jedem Wirtschaftsteilnehmer das Recht ein, sich für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen – ungeachtet des Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen – zu stützen, sofern er gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber den Nachweis erbringt, dass ihm die für die Ausführung dieses Auftrags erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen (Urteil vom 10. Oktober 2013, Swm Costruzioni 2 und Mannocchi Luigino, C‑94/12, EU:C:2013:646, Rn. 29).

30

Diese Vorschriften sehen kein grundsätzliches Verbot für einen Bieter vor, sich über seine eigenen Kapazitäten hinaus auf die Kapazitäten eines oder mehrerer Drittunternehmen zu stützen, um die von einem öffentlichen Auftraggeber festgelegten Kriterien zu erfüllen. Der Gerichtshof hat überdies ausdrücklich auf die Möglichkeit eines Wirtschaftsteilnehmers hingewiesen, zur Ausführung eines Auftrags – gegebenenfalls über seine eigenen Mittel hinaus – Mittel einzusetzen, die einem oder mehreren anderen Unternehmen gehören (Urteil vom 10. Oktober 2013, Swm Costruzioni 2 und Mannocchi Luigino, C‑94/12, EU:C:2013:646, Rn. 30 und 32).

31

Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Ziel, den Bereich des öffentlichen Auftragswesens einem möglichst umfassenden Wettbewerb zu öffnen, das mit den einschlägigen Richtlinien im Interesse nicht nur der Wirtschaftsteilnehmer, sondern auch der öffentlichen Auftraggeber angestrebt wird. Außerdem ist diese Auslegung auch geeignet, kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu erleichtern, was mit der Richtlinie 2004/18, wie sich aus ihrem 32. Erwägungsgrund ergibt, ebenfalls beabsichtigt ist (vgl. Urteil vom 10. Oktober 2013, Swm Costruzioni 2 und Mannocchi Luigino, C‑94/12, EU:C:2013:646, Rn. 34).

32

Im vorliegenden Fall wendet sich Casertana gegen die Würdigung des Tribunale amministrativo regionale per la Campania (Verwaltungsgericht der Region Kampanien), wonach sie automatisch von dem im Ausgangsverfahren fraglichen Vergabeverfahren ausgeschlossen worden sei, weil das Consorzio Stabile GAP die Qualifikation für die betreffende Leistungskategorie verloren habe.

33

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die öffentlichen Auftraggeber nach dem 46. Erwägungsgrund und Art. 2 der Richtlinie 2004/18 gehalten sind, alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nicht diskriminierend sowie in transparenter Weise zu behandeln (Urteile vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz, C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 60, und vom 4. Mai 2017, Esaprojekt, C‑387/14, EU:C:2017:338, Rn. 35).

34

Somit müssen die Bieter zum einen nach den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen haben, was voraussetzt, dass die Angebote aller Bieter den gleichen Bedingungen unterworfen sein müssen. Zum anderen soll das Transparenzgebot die Gefahr einer Günstlingswirtschaft oder willkürlicher Entscheidungen des Auftraggebers ausschließen. Dieses Gebot verlangt, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen klar, genau und eindeutig formuliert sind, damit, erstens, alle durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt ihre genaue Bedeutung verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und, zweitens, der Auftraggeber imstande ist, tatsächlich zu überprüfen, ob die Angebote der Bieter die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen (Urteile vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz, C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 4. Mai 2017, Esaprojekt, C‑387/14, EU:C:2017:338, Rn. 36).

35

Ferner ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie das Transparenzgebot jeglicher Verhandlung zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und einem Bewerber entgegenstehen, was bedeutet, dass ein eingereichtes Angebot grundsätzlich nicht mehr geändert werden kann, weder auf Betreiben des öffentlichen Auftraggebers noch auf Betreiben des Bewerbers. Daraus folgt, dass der öffentliche Auftraggeber von einem Bewerber, dessen Angebot seiner Auffassung nach ungenau ist oder nicht den in den Verdingungsunterlagen enthaltenen technischen Spezifikationen entspricht, keine Erläuterungen verlangen darf (Urteile vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz, C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 4. Mai 2017, Esaprojekt, C‑387/14, EU:C:2017:338, Rn. 37).

36

Der Gerichtshof hat allerdings präzisiert, dass Art. 2 der Richtlinie 2004/18 es nicht verwehrt, die Angebote in einzelnen Punkten zu berichtigen oder zu ergänzen, insbesondere wegen einer offensichtlich gebotenen bloßen Klarstellung oder zur Behebung offensichtlicher sachlicher Fehler (Urteile vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz, C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 4. Mai 2017, Esaprojekt, C‑387/14, EU:C:2017:338, Rn. 38).

37

Zu Änderungen, die die erfolgreichen Unternehmen betreffen, hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass die Entscheidung, mit der die geänderte Zusammensetzung der erfolgreichen Arbeitsgemeinschaft genehmigt wird, zu einer Änderung der Zuschlagsentscheidung führt, die als wesentlich angesehen werden kann, wenn sie im Hinblick auf die Besonderheiten des betreffenden Vergabeverfahrens einen der Aspekte betrifft, der für den Erlass der Zuschlagsentscheidung ausschlaggebend war. In diesem Fall wären die im nationalen Recht zur Behebung dieser Unregelmäßigkeit vorgesehenen einschlägigen Maßnahmen anzuwenden, die bis hin zur Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens gehen können (Urteil vom 8. Mai 2014, Idrodinamica Spurgo Velox u. a., C‑161/13, EU:C:2014:307, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Darüber hinaus hat der Gerichtshof auf dem Gebiet der Konzessionsverträge entschieden, dass ein Wechsel des Nachunternehmers, auch wenn diese Möglichkeit im Vertrag vorgesehen ist, in Ausnahmefällen eine substanzielle Änderung eines der wesentlichen Bestandteile des Konzessionsvertrags darstellen kann, wenn die Heranziehung eines Nachunternehmers anstelle eines anderen unter Berücksichtigung der besonderen Merkmale der betreffenden Leistung ein ausschlaggebendes Element für den Abschluss des Vertrags war (Urteil vom 13. April 2010, Wall, C‑91/08, EU:C:2010:182, Rn. 39).

39

Wie der Generalanwalt in Nr. 47 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, würde die ausschließlich einer Arbeitsgemeinschaft auf nicht vorhersehbare Weise gewährte Möglichkeit, ein zu ihr gehörendes Drittunternehmen, das eine unter Meidung des Ausschlusses erforderliche Qualifikation verloren hat, eine wesentliche Änderung des Angebots und der Identität der Arbeitsgemeinschaft darstellen. Eine solche Änderung des Angebots würde nämlich den öffentlichen Auftraggeber dazu zwingen, neue Überprüfungen vorzunehmen, und der Arbeitsgemeinschaft, die versuchen könnte, ihr Angebot zu optimieren, um sich im Vergabeverfahren besser gegen ihre Mitbewerber durchzusetzen, einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

40

Dies würde gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, der verlangt, dass die Bieter bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen haben, und voraussetzt, dass die Angebote aller Bieter den gleichen Bedingungen unterworfen sind, verstoßen und den gesunden und effektiven Wettbewerb zwischen den sich um einen öffentlichen Auftrag bewerbenden Unternehmen verzerren.

41

Schließlich ist zum Vorbringen von Casertana zur höheren Gewalt festzustellen, dass die Richtlinie 2004/18 es zwar, wie in den Rn. 30 und 31 des vorliegenden Urteils ausgeführt, einem Bieter erlaubt, sich über seine eigenen Kapazitäten hinaus auf die Kapazitäten eines oder mehrerer Drittunternehmen zu stützen, um die von einem öffentlichen Auftraggeber festgelegten Kriterien zu erfüllen. Der Bieter bleibt jedoch als federführendes Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft dafür verantwortlich, dass diese die Verpflichtungen und Teilnahmebedingungen einhält, die der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen festgelegt hat.

42

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, nach denen ein Wirtschaftsteilnehmer, der sich an einem Vergabeverfahren beteiligt, ein Hilfsunternehmen, das nach Angebotsabgabe erforderliche Qualifikationen verliert, nicht ersetzen darf und automatisch vom Verfahren ausgeschlossen wird.

Kosten

43

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, nach denen ein Wirtschaftsteilnehmer, der sich an einem Vergabeverfahren beteiligt, ein Hilfsunternehmen, das nach Angebotsabgabe erforderliche Qualifikationen verliert, nicht ersetzen darf und automatisch vom Verfahren ausgeschlossen wird.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.