URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

17. Dezember 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Art. 18 und 21 AEUV – Auslieferung eines Unionsbürgers an einen Drittstaat – Person, die die Unionsbürgerschaft nach Verlegung ihres Lebensmittelpunkts in den ersuchten Mitgliedstaat erworben hat – Anwendungsbereich des Unionsrechts – Nur für Inländer geltendes Auslieferungsverbot – Beschränkung der Freizügigkeit – Rechtfertigung durch die Vermeidung der Straflosigkeit – Verhältnismäßigkeit – Unterrichtung des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt – Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaats und des Herkunftsmitgliedstaats, den ersuchenden Drittstaat um Übermittlung der Strafakte zu ersuchen – Fehlen“

In der Rechtssache C‑398/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Kammergericht Berlin (Deutschland) mit Entscheidung vom 14. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Mai 2019, in dem Verfahren betreffend die Auslieferung von

BY,

Beteiligte:

Generalstaatsanwaltschaft Berlin,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, M. Vilaras, E. Regan, M. Ilešič, L. Bay Larsen, A. Kumin und N. Wahl, der Richter S. Rodin und F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter C. Lycourgos, I. Jarukaitis und N. Jääskinen,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von BY, vertreten durch Rechtsanwalt K. Peters,

der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann, R. Kanitz, F. Halabi und A. Berg als Bevollmächtigte,

von Irland, vertreten durch M. Browne, G. Hodge, J. Quaney und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von M. Gray, SC,

der griechischen Regierung, vertreten durch V. Karra, A. Magrippi und E. Tsaousi als Bevollmächtigte,

der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kucina, V. Soņeca und L. Juškeviča als Bevollmächtigte,

der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und R. Kissné Berta als Bevollmächtigte,

der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll und M. Augustin als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der rumänischen Regierung, vertreten durch L. Liţu, S.‑A. Purza und C.‑R. Canţăr als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Grünheid und R. Troosters als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. September 2020

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 und 21 AEUV sowie des Urteils vom 6. September 2016, Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:630).

2

Es ergeht im Zusammenhang mit einem an die deutschen Behörden gerichteten Ersuchen der ukrainischen Behörden um Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung von BY, der die ukrainische und die rumänische Staatsangehörigkeit besitzt.

Rechtlicher Rahmen

Europäisches Auslieferungsübereinkommen

3

Art. 1 des am 13. Dezember 1957 in Paris unterzeichneten Europäischen Auslieferungsübereinkommens (im Folgenden: Europäisches Auslieferungsübereinkommen) bestimmt:

„Die Vertragsparteien verpflichten sich, gemäß den nachstehenden Vorschriften und Bedingungen einander die Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des ersuchenden Staates wegen einer strafbaren Handlung verfolgt oder zur Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Sicherung und Besserung gesucht werden.“

4

Art. 6 („Auslieferung eigener Staatsangehöriger“) des Übereinkommens bestimmt:

„1   

a

Jede Vertragspartei ist berechtigt, die Auslieferung ihrer Staatsangehörigen abzulehnen.

b

Jede Vertragspartei kann, was sie betrifft, bei der Unterzeichnung oder der Hinterlegung ihrer Ratifikations- oder Beitrittsurkunde durch eine Erklärung den Begriff ‚Staatsangehörige‘ im Sinne dieses Übereinkommens bestimmen.

c

Für die Beurteilung der Eigenschaft als Staatsangehöriger ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Auslieferung maßgebend. …

2   Liefert der ersuchte Staat seinen Staatsangehörigen nicht aus, so hat er auf Begehren des ersuchenden Staates die Angelegenheit den zuständigen Behörden zu unterbreiten, damit gegebenenfalls eine gerichtliche Verfolgung durchgeführt werden kann. Zu diesem Zweck sind die auf die strafbare Handlung bezüglichen Akten, Unterlagen und Gegenstände kostenlos auf dem in Artikel 12 Abs. 1 vorgesehenen Wege zu übermitteln. Dem ersuchenden Staat ist mitzuteilen, inwieweit seinem Begehren Folge gegeben worden ist.“

5

Art. 12 Abs. 2 des Übereinkommens bestimmt:

„Dem Ersuchen sind beizufügen:

a

die Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift eines vollstreckbaren verurteilenden Erkenntnisses, eines Haftbefehls oder jeder anderen, nach den Formvorschriften des ersuchenden Staates ausgestellten Urkunde mit gleicher Rechtswirkung;

b

eine Darstellung der Handlungen, derentwegen um Auslieferung ersucht wird. Zeit und Ort ihrer Begehung sowie ihre rechtliche Würdigung unter Bezugnahme auf die anwendbaren Gesetzesbestimmungen sind so genau wie möglich anzugeben;

c

eine Abschrift der anwendbaren Gesetzesbestimmungen oder, sofern dies nicht möglich ist, eine Erklärung über das anwendbare Recht sowie eine möglichst genaue Beschreibung des Verfolgten und alle anderen zur Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit geeigneten Angaben.“

6

Die Bundesrepublik Deutschland hat zu Art. 6 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens folgende Erklärung abgegeben:

„Die Auslieferung eines Deutschen aus der Bundesrepublik Deutschland an das Ausland ist nach Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland [vom 23. Mai 1949, BGBl. I S. 1] nicht zulässig und muss daher in jedem Fall abgelehnt werden.

Der Begriff ‚Staatsangehörige‘ im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 Buchstabe b des Europäischen Auslieferungsabkommens umfasst alle Deutschen im Sinne des Artikels 116 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland.“

Rahmenbeschluss 2002/584/JI

7

Der Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) bestimmt in Art. 1 Abs. 1 und 2:

„(1)   Bei dem Europäischen Haftbefehl handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.

(2)   Die Mitgliedstaaten vollstrecken jeden Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses.“

Deutsches Recht

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

8

Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt:

„Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.“

Strafgesetzbuch

9

§ 7 des Strafgesetzbuchs in der im Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1)   Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt.

(2)   Für andere Taten, die im Ausland begangen werden, gilt das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Täter

1.

zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist oder

2.

zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen und, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung nach der Art der Tat zuließe, nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen innerhalb angemessener Frist nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10

BY besitzt die ukrainische und die rumänische Staatsangehörigkeit. Er wurde in der Ukraine geboren, wo er bis zu seinem Umzug nach Deutschland im Jahr 2012 auch lebte. Als Nachfahre früherer, in der ehemals rumänischen Bukowina lebender rumänischer Staatsangehöriger erhielt er 2014 auf Antrag die rumänische Staatsangehörigkeit. Er hatte allerdings nie einen Lebensmittelpunkt in Rumänien.

11

Am 15. März 2016 erließ die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine auf der Grundlage eines Haftbefehls eines ukrainischen Gerichts wegen der Veruntreuung von Geldern eines ukrainischen staatlichen Unternehmens ein formelles Ersuchen um Auslieferung von BY zum Zwecke der Strafverfolgung, das der Bundesrepublik Deutschland über das ukrainische Justizministerium übermittelt wurde.

12

BY wurde am 26. Juli 2016 vorläufig festgenommen. Das Kammergericht Berlin (Deutschland) ordnete gegen BY mit Beschluss vom 1. August 2016 die Auslieferungshaft an. Gemäß einem Beschluss des Kammergerichts vom 28. November 2016 wurde BY am 2. Dezember 2016 nach Hinterlegung einer Sicherheit unter Auflagen aus der Auslieferungshaft entlassen.

13

In der Zwischenzeit hatte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Deutschland) das rumänische Justizministerium mit Schreiben vom 9. November 2016 unter Beifügung des in der vorstehenden Randnummer genannten Beschlusses vom 1. August 2016 über das Auslieferungsersuchen unterrichtet und angefragt, ob im Fall von BY eine Übernahme der Strafverfolgung beabsichtigt sei, da BY die rumänische Staatsangehörigkeit besitze und im Ausland Straftaten begangen habe. Das rumänische Justizministerium teilte auf diese Anfrage mit Schreiben vom 22. November 2016 mit, dass über eine Übernahme der Strafverfolgung nur auf ein Ersuchen der ukrainischen Behörden hin entschieden werden könne. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin fragte daraufhin mit Schreiben vom 2. Januar 2017 ergänzend an, ob das rumänische Recht die Verfolgung der in Rede stehenden Taten ermögliche. Das rumänische Justizministerium teilte in seiner Antwort vom 15. März 2017 mit, dass der Erlass eines nationalen Haftbefehls als Voraussetzung eines Europäischen Haftbefehls eine hinreichende Beweislage für die Täterschaft des Verfolgten voraussetze. Es ersuchte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, Unterlagen und Kopien der von den ukrainischen Behörden übermittelten Beweismittel für die BY zur Last gelegten Taten beizubringen.

14

Das vorlegende Gericht versteht dieses Schreiben dahin, dass das rumänische Recht die Verfolgung eines rumänischen Staatsbürgers wegen im Ausland begangener Taten grundsätzlich ermöglicht.

15

Es erachtet die Auslieferung von BY an die Ukraine für zulässig, meint jedoch, dass ihr das Urteil vom 6. September 2016, Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:630), entgegenstehen könne, da die rumänischen Justizbehörden nicht formell über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls entschieden hätten. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Bundesrepublik Deutschland eigene Staatsangehörige nicht ausliefere, für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten jedoch kein Auslieferungsverbot bestehe. Wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls, der von dem Sachverhalt, der dem genannten Urteil zugrunde liege, abweiche, sei jedoch fraglich, welche Folgen sich aus dem genannten Urteil für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits ergäben.

16

Als Erstes weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass BY seinen Lebensmittelpunkt zu einem Zeitpunkt nach Deutschland verlegt habe, in dem er lediglich die ukrainische Staatsbürgerschaft besessen habe, und dass er die rumänische Staatsangehörigkeit erst später erworben habe. BY habe seinen Aufenthalt in Deutschland daher nicht in Ausübung des Rechts aus Art. 21 Abs. 1 AEUV begründet. Deshalb sei fraglich, ob die Grundsätze aus dem Urteil vom 6. September 2016, Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:630), im Fall von BY anwendbar seien.

17

Als Zweites weist das vorlegende Gericht auf ein praktisches Problem bei der Umsetzung der sich aus dem genannten Urteil ergebenden Grundsätze hin. Die rumänischen Justizbehörden könnten über die Frage, ob sie im Fall von BY eine Strafverfolgung für zweckmäßig hielten, nur entscheiden, wenn sie über die gegen BY vorliegenden Beweise verfügten. Solche Beweise zählten jedoch nicht zu den Dokumenten, die einem Auslieferungsersuchen gemäß Art. 12 Abs. 2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens beizufügen seien. Es sei dem ersuchten Mitgliedstaat somit nicht möglich, den rumänischen Justizbehörden diese Beweise zu übermitteln. Jedenfalls könnte die Übermittlung solcher Beweise an den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitze, ebenso wie die Übermittlung des vollständigen Auslieferungsersuchens allein der souveränen Entscheidung des ersuchenden Drittstaates unterliegen.

18

Aus Sicht des vorlegenden Gerichts ist daher fraglich, ob die Behörden des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitze, wenn sie vom ersuchten Mitgliedstaat über ein Auslieferungsersuchen unterrichtet würden, verpflichtet seien, den ersuchenden Drittstaat um Übermittlung der Strafakte zu ersuchen, um die Möglichkeit der Übernahme der Strafverfolgung prüfen zu können. Dies wäre möglicherweise mit einem hohen Zeitaufwand verbunden, der kaum vertretbar erscheine. Es wäre ebenso schwer praktikabel, vom ersuchten Mitgliedstaat zu verlangen, dass er den Drittstaat darum ersucht, ein Verfolgungsübernahmeersuchen an den Mitgliedstaat zu richten, dessen Staatangehörigkeit die gesuchte Person besitzt.

19

Als Drittes weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nach dem deutschen Strafrecht, nämlich § 7 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs, eine Auffangzuständigkeit zur Verfolgung von Auslandstaten für den Fall der Nichtauslieferung begründet sei, die auch für Ausländer gelte. Aus Sicht des vorlegenden Gerichts ist fraglich, ob das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV es gebiete, diese Bestimmung anzuwenden und die Auslieferung eines Unionsbürgers für unzulässig zu erklären. Das vorlegende Gericht sieht bei einer solchen Vorgehensweise allerdings eine Gefährdung einer effektiven Strafverfolgung.

20

Wenn aufgrund dieser Auffangzuständigkeit die Auslieferung eines Unionsbürgers von vornherein unzulässig wäre, kämen nämlich nach einer anderen Bestimmung des deutschen Rechts auch der Erlass eines Auslieferungshaftbefehls und damit auch die Anordnung der Auslieferungshaft nicht in Betracht. Der Erlass eines nationalen Haftbefehls setze in Deutschland einen dringenden Tatverdacht voraus, der nur auf der Grundlage einer Prüfung der gegen den Verfolgten vorliegenden Beweismittel bejaht werden könne. Zu deren Beschaffung müssten die deutschen Behörden dem ersuchenden Drittstaat die Verfolgungsübernahme anbieten bzw. ein entsprechendes Begehren des Drittstaats initiieren, was wiederum mit einem hohen Zeitaufwand verbunden wäre.

21

Das Kammergericht Berlin hat das Verfahren deshalb ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Gelten die Grundsätze aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 6. September 2016, Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:630), zur Anwendung von Art. 18 und 21 AEUV im Falle des Ersuchens eines Drittstaats auf Auslieferung eines Unionsbürgers auch dann, wenn der Verfolgte seinen Lebensmittelpunkt in den ersuchten Mitgliedstaat zu einem Zeitpunkt verlegt hat, in dem er noch nicht Unionsbürger war?

2.

Ist auf der Grundlage des Urteils des Gerichtshofs vom 6. September 2016, Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:630), der über ein Auslieferungsersuchen unterrichtete Heimatmitgliedstaat verpflichtet, den ersuchenden Drittstaat um Übermittlung der Akten zur Prüfung der Verfolgungsübernahme zu ersuchen?

3.

Ist der von einem Drittstaat um die Auslieferung eines Unionsbürgers ersuchte Mitgliedstaat auf der Grundlage des Urteils des Gerichtshofs vom 6. September 2016, Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:630), verpflichtet, die Auslieferung abzulehnen und die Strafverfolgung selbst zu übernehmen, wenn ihm dies nach seinem nationalen Recht möglich ist?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

22

Irland macht geltend, dass der Gerichtshof für die Entscheidung über das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen nicht zuständig sei. Die Rechtsstellung eines Unionsbürgers falle nur dann in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, wenn dieser von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe, als er bereits den Status eines Unionsbürgers besessen habe. Dies sei bei BY zu dem Zeitpunkt, als er seinen Lebensmittelpunkt von der Ukraine nach Deutschland verlegt habe, nicht der Fall gewesen. BY habe sich in Deutschland mithin nicht in Ausübung eines Rechts aus Art. 21 AEUV aufgehalten und nicht als Unionsbürger gehandelt. Er könne sich daher nicht auf Art. 18 AEUV berufen.

23

Es ist festzustellen, dass dieses Vorbringen mit der Prüfung von Frage 1 zusammenfällt, mit der das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen möchte, ob die Art. 18 und 21 AEUV, wie sie vom Gerichtshof im Urteil vom 6. September 2016, Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:630), ausgelegt wurden, auf den Fall eines Unionsbürgers anwendbar sind, der wie BY seinen Lebensmittelpunkt in einen anderen Mitgliedstaat als den, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zu einem Zeitpunkt verlegt hat, als er noch nicht den Status eines Unionsbürgers besaß.

24

Es ist offenkundig, dass der Gerichtshof zuständig ist, dem vorlegenden Gericht die relevanten Hinweise zur Auslegung zu geben, anhand deren es feststellen kann, ob das Unionsrecht auf einen solchen Sachverhalt anwendbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Mai 2011, McCarthy, C‑434/09, EU:C:2011:277, Rn. 43 und 56).

25

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Fragen 2 und 3, wenn Frage 1 verneinend dahin beantwortet würde, dass die Art. 18 und 21 AEUV auf einen solchen Sachverhalt nicht anwendbar sind, nicht mehr zu prüfen wären.

26

Der Gerichtshof ist mithin für die Entscheidung über das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zuständig.

Zu den Vorlagefragen

Zu Frage 1

27

Mit Frage 1 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 18 und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie auf den Fall eines Unionsbürgers anwendbar sind, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält und Gegenstand eines von einem Drittstaat an diesen Mitgliedstaat gerichteten Auslieferungsersuchens ist, auch wenn der betreffende Unionsbürger seinen Lebensmittelpunkt in diesen anderen Mitgliedstaat zu einem Zeitpunkt verlegt hat, als er noch nicht den Status eines Unionsbürgers hatte.

28

Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in dem Urteil vom 6. September 2016, Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:630, Rn. 30), das wie hier ein Auslieferungsersuchen eines Drittstaats betraf, mit dem die Union kein Auslieferungsabkommen geschlossen hat, entschieden hat, dass die Auslieferungsvorschriften mangels eines solchen Abkommens zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, zu den Situationen, die in den Anwendungsbereich von Art. 18 AEUV in Verbindung mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Unionsbürgerschaft fallen, aber diejenigen gehören, die die Ausübung der durch Art. 21 AEUV verliehenen Freiheit betreffen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten.

29

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs fällt eine Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und daher den Status eines Unionsbürgers hat, wenn sie sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, in den Anwendungsbereich des Unionsrechts (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello, C‑148/02, EU:C:2003:539, Rn. 26 und 27, und vom 8. Juni 2017, Freitag, C‑541/15, EU:C:2017:432, Rn. 34).

30

Folglich hat eine Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, als Unionsbürger das Recht, sich auf Art. 21 Abs. 1 AEUV zu berufen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Oktober 2004, Zhu und Chen, C‑200/02, EU:C:2004:639, Rn. 26, und vom 2. Oktober 2019, Bajratari, C‑93/18, EU:C:2019:809, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung), und fällt in den Anwendungsbereich der Verträge im Sinne von Art. 18 AEUV, der den Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. September 2016, Petruhhin, C‑182/15, EU:C:2016:630, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 13. November 2018, Raugevicius, C‑247/17, EU:C:2018:898, Rn. 27).

31

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Unionsbürger die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats und damit den Status als Unionsbürger erst zu einem Zeitpunkt erworben hat, als er sich bereits in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er erworben hat, aufgehalten hat. Sonst würde ein solcher Unionsbürger nämlich an der Geltendmachung der durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte gehindert und somit die praktische Wirksamkeit dieses Status beeinträchtigt, der dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, zu sein (vgl. insoweit Urteil vom 20. September 2001, Grzelczyk, C‑184/99, EU:C:2001:458, Rn. 31).

32

Das Gleiche gilt für den Umstand, dass der Unionsbürger, um dessen Auslieferung ersucht wird, auch die Staatsangehörigkeit des ersuchenden Drittstaats besitzt. Die doppelte Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats und eines Drittstaats kann dem Betroffenen nämlich nicht die Freiheiten nehmen, die er als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats aus dem Unionsrecht herleitet (Urteil vom 13. November 2018, Raugevicius, C‑247/17, EU:C:2018:898, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass BY, der die rumänische Staatsangehörigkeit besitzt, als Unionsbürger sein Recht aus Art. 21 AEUV ausübt, sich in einem anderen Mitgliedstaat, im vorliegenden Fall der Bundesrepublik Deutschland, aufzuhalten, so dass seine Situation in den Anwendungsbereich der Verträge im Sinne von Art. 18 AEUV fällt, obwohl er seinen Lebensmittelpunkt in diesen anderen Mitgliedstaat zu einem Zeitpunkt verlegt hat, als er die rumänische Staatangehörigkeit noch nicht erworben hatte, und obwohl er auch die Staatsangehörigkeit des ersuchenden Drittstaats besitzt.

34

Somit ist auf Frage 1 zu antworten, dass die Art. 18 und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie auf den Fall eines Unionsbürgers anwendbar sind, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält und Gegenstand eines von einem Drittstaat an diesen Mitgliedstaat gerichteten Auslieferungsersuchens ist, auch wenn der Unionsbürger seinen Lebensmittelpunkt in diesen anderen Mitgliedstaat zu einem Zeitpunkt verlegt hat, als er noch nicht den Status eines Unionsbürgers hatte.

Zu Frage 2

35

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Sache des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteile vom 13. September 2016, Rendón Marín, C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 33, und vom 8. Juni 2017, Freitag, C‑541/15, EU:C:2017:432, Rn. 29).

36

Im vorliegenden Fall möchte das vorlegende Gericht mit Frage 2 wissen, welche Verpflichtungen dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der gesuchte Unionsbürger besitzt, der Gegenstand eines von einem Drittstaat an den Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet er sich aufhält, gerichteten Auslieferungsersuchens ist, im Rahmen der Durchführung des in den Rn. 47 bis 49 des Urteils vom 6. September 2016, Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:630), angesprochenen Informationsaustauschs obliegen könnten. So wie sie vom vorlegenden Gericht formuliert ist, zielt Frage 2 darauf ab, ob der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, verpflichtet ist, den ersuchenden Drittstaat um Übermittlung der Akten zu der dieser Person zur Last gelegten Straftat zu ersuchen.

37

Da der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils angesprochene Informationsaustausch jedoch auf der Zusammenarbeit der beiden genannten Mitgliedstaaten beruht und da das vorlegende Gericht in der Begründung seines Vorabentscheidungsersuchens auf deren jeweilige Verpflichtungen eingeht, ist, um dem vorlegenden Gericht eine vollständige Antwort zu geben, davon auszugehen, dass Gegenstand von Frage 2 auch die Verpflichtungen des ersuchten Mitgliedstaats im Rahmen dieses Informationsaustauschs sind.

38

Frage 2 ist daher umzuformulieren. Es ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit ihr wissen möchte, ob die Art. 18 und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass, wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der gesuchte Unionsbürger besitzt, der Gegenstand eines von einem Drittstaat an einen anderen Mitgliedstaat gerichteten Auslieferungsersuchens ist, von diesem anderen Mitgliedstaat über das Auslieferungsersuchen unterrichtet worden ist, einer dieser beiden Mitgliedstaaten verpflichtet ist, den ersuchenden Drittstaat darum zu ersuchen, ihm eine Kopie der Strafakte zu übermitteln, damit der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, die Möglichkeit der Übernahme der Strafverfolgung prüfen kann.

39

Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nationale Auslieferungsvorschriften eines Mitgliedstaats, die – wie im vorliegenden Fall – eine Ungleichbehandlung in Abhängigkeit davon schaffen, ob die gesuchte Person ein Staatsangehöriger dieses Mitgliedstaats oder ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, geeignet sind, das Recht der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zu beeinträchtigen, da sie dazu führen, dass Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des ersuchten Mitgliedstaats aufhalten, der Schutz vor Auslieferung, den die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats genießen, nicht gewährt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. September 2016, Petruhhin, C‑182/15, EU:C:2016:630, Rn. 32, und vom 10. April 2018, Pisciotti, C‑191/16, EU:C:2018:222, Rn. 44).

40

Folglich führt in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Ungleichbehandlung, die darin besteht, dass ein Unionsbürger, der die Staatsangehörigkeit eines anderen als des ersuchten Mitgliedstaats besitzt, ausgeliefert werden kann, zu einer Beschränkung des Rechts aus Art. 21 AEUV, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. September 2016, Petruhhin, C‑182/15, EU:C:2016:630, Rn. 33, und vom 10. April 2018, Pisciotti, C‑191/16, EU:C:2018:222, Rn. 45).

41

Eine solche Beschränkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn sie auf objektiven Erwägungen beruht und in angemessenem Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht (Urteil vom 6. September 2016, Petruhhin, C‑182/15, EU:C:2016:630, Rn. 34).

42

Insoweit hat der Gerichtshof anerkannt, dass das Ziel, der Gefahr entgegenzuwirken, dass Personen, die eine Straftat begangen haben, straflos bleiben, als legitim anzusehen ist und dass eine Maßnahme, durch die eine Grundfreiheit wie die in Art. 21 AEUV vorgesehene eingeschränkt wird, mit diesem Ziel gerechtfertigt werden kann, wenn diese Maßnahme zum Schutz der Belange, die sie gewährleisten soll, erforderlich ist, und auch nur insoweit, als diese Ziele nicht mit weniger einschränkenden Maßnahmen erreicht werden können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. September 2016, Petruhhin, C‑182/15, EU:C:2016:630, Rn. 37 und 38, vom 10. April 2018, Pisciotti, C‑191/16, EU:C:2018:222, Rn. 47 und 48, und vom 2. April 2020, Ruska Federacija, C‑897/19 PPU, EU:C:2020:262, Rn. 60).

43

Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass dem Informationsaustausch mit dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, der Vorzug gegeben werden muss, um den Behörden dieses Mitgliedstaats gegebenenfalls die Möglichkeit zu geben, einen Europäischen Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung auszustellen. Der Mitgliedstaat, in dem sich die gesuchte Person rechtmäßig aufhält, ist daher im Fall eines Auslieferungsersuchens eines Drittstaats verpflichtet, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, zu informieren und ihm die gesuchte Person gegebenenfalls auf sein Ersuchen im Einklang mit den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2002/584 zu übergeben, sofern dieser Mitgliedstaat nach seinem nationalen Recht für die Verfolgung der gesuchten Person wegen im Ausland begangener Straftaten zuständig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2016, Petruhhin, C‑182/15, EU:C:2016:630, Rn. 48 und 50, vom 10. April 2018, Pisciotti, C‑191/16, EU:C:2018:222, Rn. 51, und vom 2. April 2020, Ruska Federacija, C‑897/19 PPU, EU:C:2020:262, Rn. 70).

44

Zur Wahrung des Ziels, der Gefahr entgegenzuwirken, dass eine Person wegen der ihr im Auslieferungsersuchen angelasteten Taten straflos bleibt, muss der von dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die betreffende Person besitzt, gegebenenfalls ausgestellte Europäische Haftbefehl zudem zumindest denselben Sachverhalt betreffen wie das Auslieferungsersuchen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. April 2018, Pisciotti, C‑191/16, EU:C:2018:222, Rn. 54).

45

Stellt der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, hingegen keinen Europäischen Haftbefehl aus, kann der ersuchte Mitgliedstaat sie ausliefern, sofern er geprüft hat, dass die Auslieferung die in Art. 19 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgten Rechte nicht beeinträchtigen wird, wie es die Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2016, Petruhhin, C‑182/15, EU:C:2016:630, Rn. 60).

46

Vor diesem Hintergrund ist als Zweites im Hinblick auf die vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Fragen zu erläutern, wie der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angesprochene Informationsaustausch im Einzelnen durchzuführen ist.

47

Insoweit ergibt sich aus den Rn. 55 und 56 des Urteils vom 10. April 2018, Pisciotti (C‑191/16, EU:C:2018:222), im Wesentlichen, dass der ersuchte Mitgliedstaat der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils genannten Informationspflicht genügt, wenn er die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, in die Lage versetzt, mit einem Europäischen Haftbefehl die Übergabe der gesuchten Person zu verlangen.

48

Nach dem in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV verbürgten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, nach dem sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig achten und sich bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben, gegenseitig unterstützen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2016, Petruhhin, C‑182/15, EU:C:2016:630, Rn. 42), hat der ersuchte Mitgliedstaat die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, nicht nur über das Vorliegen eines gegen die betreffende Person gerichteten Auslieferungsersuchens zu informieren, sondern auch über sämtliche rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte, die der ersuchende Drittstaat im Rahmen des Auslieferungsersuchens übermittelt hat. Die genannten Behörden sind jedoch verpflichtet, diese Angaben vertraulich zu behandeln, wenn der insoweit ordnungsgemäß unterrichtete Drittstaat dies verlangt. Außerdem hat der ersuchte Mitgliedstaat die genannten Behörden über jede Änderung der Situation, in der sich die gesuchte Person befindet, zu informieren, die für die etwaige Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls gegen sie relevant ist, und dabei die in den Rn. 43 und 44 des vorliegenden Urteils dargestellten Grundsätze zu beachten.

49

Dagegen sind nach dem Unionsrecht weder der ersuchte Mitgliedstaat noch der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, verpflichtet, den ersuchenden Drittstaat um Übermittlung der Strafakte zu ersuchen.

50

Abgesehen davon, dass es für eine solche Verpflichtung im Unionsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand keine Rechtsgrundlage gibt, wäre sie auch nicht mit den Zielen vereinbar, auf denen der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils genannte Informationsaustausch beruht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dient dieser nämlich dem Ziel, die Unionsbürger unter gleichzeitiger Bekämpfung der Straflosigkeit von Straftaten vor Maßnahmen zu schützen, die ihnen das in Art. 21 AEUV vorgesehene Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht verwehren können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2016, Petruhhin, C‑182/15, EU:C:2016:630, Rn. 47).

51

Denn wenn der ersuchte Mitgliedstaat oder der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, verpflichtet wären, den ersuchenden Drittstaat um Übermittlung der Strafakte zu ersuchen, bestünde die Gefahr, dass das Auslieferungsverfahren erheblich verkompliziert und wesentlich in die Länge gezogen würde, so dass letztlich das Ziel der Bekämpfung der Straflosigkeit von Straftaten beeinträchtigt werden könnte.

52

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die in Rn. 43 des vorliegenden Urteils dargestellte Rechtsprechung auf der Prämisse beruht, dass der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, wenn er vom ersuchten Mitgliedstaat darüber informiert wird, dass ein Auslieferungsersuchen gegen einen seiner Staatsangehörigen vorliegt, selbst beurteilt, ob es zweckmäßig ist, einen Europäischen Haftbefehl auszustellen. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, in Ausübung eines sich aus seiner Souveränität in Strafsachen ergebenden Ermessens nach den Vorschriften seines nationalen Rechts dafür entscheiden kann, den ersuchenden Drittstaat, um die Zweckmäßigkeit etwaiger Strafverfolgungsmaßnahmen prüfen zu können, um die Übermittlung der Strafakte zu ersuchen.

53

Daraus folgt, dass die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats, sofern sie die Behörden des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, entsprechend den Ausführungen in Rn. 48 des vorliegenden Urteils ordnungsgemäß informiert haben, das Auslieferungsverfahren fortsetzen und die gesuchte Person gegebenenfalls ausliefern können, wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, innerhalb einer unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls angemessenen Frist keinen Europäischen Haftbefehl ausgestellt hat.

54

In einem solchen Fall kann der ersuchte Mitgliedstaat die gesuchte Person also ausliefern, ohne über eine solche angemessene Frist hinaus abwarten zu müssen, dass der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, eine förmliche Entscheidung erlässt, mit der er auf die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls gegen diese Person verzichtet. Dies zu verlangen, ginge nämlich über das hinaus, was die Anwendung der unionsrechtlichen Mechanismen der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Unterstützung in Strafsachen erfordert. Außerdem bestünde die Gefahr, dass das Auslieferungsverfahren über Gebühr in die Länge gezogen wird.

55

Im Interesse der Rechtssicherheit hat der ersuchte Mitgliedstaat dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, eine angemessene Frist mitzuteilen, nach deren Ablauf die gesuchte Person, wenn von ihm kein Europäischer Haftbefehl ausgestellt wird, ausgeliefert wird. Eine solche Frist ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere einer etwaigen Auslieferungshaft der gesuchten Person und der Schwierigkeiten der Rechtssache, festzusetzen.

56

Somit ist auf Frage 2 zu antworten, dass die Art. 18 und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass, wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der gesuchte Unionsbürger besitzt, der Gegenstand eines von einem Drittstaat an einen anderen Mitgliedstaat gerichteten Auslieferungsersuchens ist, von diesem anderen Mitgliedstaat über das Vorliegen des Auslieferungsersuchens unterrichtet worden ist, keiner dieser beiden Mitgliedstaaten verpflichtet ist, den ersuchenden Drittstaat darum zu ersuchen, ihm eine Kopie der Strafakte zu übermitteln, damit der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, die Möglichkeit der Übernahme der Strafverfolgung prüfen kann. Sofern er den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, ordnungsgemäß über das Vorliegen des Auslieferungsersuchens, über sämtliche rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte, die der ersuchende Drittstaat im Rahmen des Auslieferungsersuchens übermittelt hat, sowie über jede Änderung der Situation der gesuchten Person, die für die etwaige Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls gegen diese Person relevant ist, informiert hat, kann der ersuchte Mitgliedstaat die gesuchte Person ausliefern, ohne abwarten zu müssen, dass der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, eine förmliche Entscheidung erlässt, mit der er auf die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls, der zumindest denselben Sachverhalt betrifft wie das Auslieferungsersuchen, gegen die gesuchte Person verzichtet, wenn dieser Mitgliedstaat einen solchen Haftbefehl nicht innerhalb einer angemessenen Frist ausstellt, die ihm der ersuchte Mitgliedstaat hierfür unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls gewährt hat.

Zu Frage 3

57

Mit Frage 3 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 18 und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass der von einem Drittstaat um Auslieferung eines Unionsbürgers zum Zwecke der Strafverfolgung ersuchte Mitgliedstaat verpflichtet ist, die Auslieferung abzulehnen und die Strafverfolgung selbst zu übernehmen, wenn ihm dies nach seinem nationalen Recht möglich ist.

58

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Auslieferung ein Verfahren ist, das verhindern soll, dass eine Person, die sich in einem anderen Hoheitsgebiet aufhält als dem, in dem sie eine Straftat begangen haben soll, der Strafe entgeht. Denn nach der Maxime aut dedere, aut iudicare (ausliefern oder verfolgen) wird die Nichtauslieferung von Inländern zwar im Allgemeinen dadurch ausgeglichen, dass der ersuchte Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, seine eigenen Staatsangehörigen wegen außerhalb seines Hoheitsgebiets begangener schwerer Straftaten zu verfolgen, doch ist er in der Regel nicht dafür zuständig, über solche Sachverhalte zu urteilen, wenn weder der Täter noch das Opfer der mutmaßlichen Straftat die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt. Mit der Auslieferung lässt sich somit verhindern, dass Personen, die im Hoheitsgebiet eines Staates Straftaten begangen haben und aus diesem Hoheitsgebiet geflohen sind, der Strafe entgehen (Urteil vom 6. September 2016, Petruhhin, C‑182/15, EU:C:2016:630, Rn. 39).

59

Vor diesem Hintergrund hat der Gerichtshof entschieden, dass nationale Vorschriften, die es ermöglichen, einem Auslieferungsantrag zum Zweck der Verfolgung und Aburteilung in dem Drittstaat, in dem die Straftat begangen worden sein soll, stattzugeben, zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet erscheinen, sofern es keine andere Maßnahme gibt, die die Ausübung der Rechte aus Art. 21 AEUV weniger beschränken würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2016, Petruhhin, C‑182/15, EU:C:2016:630, Rn. 40 und 41).

60

Im vorliegenden Fall steht die Frage des vorlegenden Gerichts jedoch in einem Kontext, in dem es dem ersuchten Mitgliedstaat anders als in der in Rn. 58 des vorliegenden Urteils beschriebenen Konstellation nach seinem nationalen Recht möglich wäre, einen Ausländer wegen außerhalb seines Hoheitsgebiets begangener Straftaten zu verfolgen. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nach § 7 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs eine Auffangzuständigkeit der deutschen Strafverfolgungsbehörden zur Verfolgung von Auslandstaten für den Fall der Nichtauslieferung begründet ist, und zwar auch dann, wenn die Taten von einem Ausländer begangen worden sind.

61

Die deutsche Regierung hält diese Auslegung von § 7 Abs. 2 Nr. 2 des Strafgesetzbuchs durch das vorlegende Gericht für unzutreffend. Sie meint, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Auffangzuständigkeit nur für den Fall eingreife, dass der ersuchende Drittstaat die Tat nicht verfolgen könne oder wolle. Dies sei im Ausgangsverfahren aber nicht der Fall. Die genannte Vorschrift ermögliche daher nicht die Strafverfolgung von BY in Deutschland.

62

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Bezug auf die Auslegung von Bestimmungen des nationalen Rechts grundsätzlich gehalten ist, die sich aus der Vorlageentscheidung ergebenden rechtlichen Würdigungen zugrunde zu legen. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gerichtshof nämlich nicht befugt, das innerstaatliche Recht eines Mitgliedstaats auszulegen (Urteil vom 7. August 2018, Banco Santander und Escobedo Cortés, C‑96/16 und C‑94/17, EU:C:2018:643, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63

Daher ist bei der Prüfung von Frage 3 die Auslegung von § 7 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs, wie sie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, zugrunde zu legen. Das vorlegende Gericht wird gegebenenfalls zu überprüfen haben, ob diese Auslegung richtig ist.

64

Allerdings ist davon auszugehen, dass die Art. 18 und 21 AEUV nicht dahin ausgelegt werden können, dass der ersuchte Mitgliedstaat verpflichtet wäre, die Auslieferung eines Unionsbürgers, der die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, abzulehnen und die Strafverfolgung dieser Person wegen in einem Drittstaat begangener Taten zu übernehmen, wenn der ersuchte Mitgliedstaat nach seinem nationalen Recht zur Verfolgung des Unionsbürgers wegen bestimmter in einem Drittstaat begangener Straftaten befugt ist.

65

In einem solchen Fall hätte nämlich eine Verpflichtung, die Auslieferung abzulehnen und die Strafverfolgung zu übernehmen, zur Folge, dass dem ersuchten Mitgliedstaat die Möglichkeit genommen würde, nach nationalem Recht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, u. a. der in Anbetracht der verfügbaren Beweise bestehenden Chancen einer strafrechtlichen Verurteilung, über die Zweckmäßigkeit der Einleitung eines Strafverfahrens gegen den betreffenden Unionsbürger zu entscheiden. Eine solche Verpflichtung ginge daher über die Grenzen hinaus, die das Unionsrecht der Ausübung des Ermessens setzen kann, über das dieser Mitgliedstaat hinsichtlich der Zweckmäßigkeit der Verfolgung in einem Bereich verfügt, der wie das Strafrecht nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, auch wenn diese bei der Ausübung dieser Zuständigkeit das Unionsrecht zu wahren haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2019, Rimšēvičs und EZB/Lettland, C‑202/18 und C‑238/18, EU:C:2019:139, Rn. 57).

66

Wird der ersuchte Mitgliedstaat wie im Ausgangsverfahren von einem Drittstaat um die Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung eines Unionsbürgers, der die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, ersucht, stellt sich folglich nur die Frage, ob der ersuchte Mitgliedstaat in Bezug auf diesen Unionsbürger nicht in einer Weise vorgehen kann, die weniger stark in die Ausübung seines Rechts, sich frei zu bewegen und aufzuhalten, eingreift, wenn er ihn nicht an den ersuchenden Drittstaat ausliefert, sondern dem Mitgliedstaat übergibt, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (vgl. entsprechend Urteil vom 10. April 2018, Pisciotti, C‑191/16, EU:C:2018:222, Rn. 50).

67

Somit ist auf Frage 3 zu antworten, dass die Art. 18 und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass der von einem Drittstaat um die Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung eines Unionsbürgers, der die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, ersuchte Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, die Auslieferung abzulehnen und die Strafverfolgung selbst zu übernehmen, wenn ihm dies nach seinem nationalen Recht möglich ist.

Kosten

68

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Art. 18 und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie auf den Fall eines Unionsbürgers anwendbar sind, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, sich aber im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält und Gegenstand eines von einem Drittstaat an diesen Mitgliedstaat gerichteten Auslieferungsersuchens ist, auch wenn der Unionsbürger seinen Lebensmittelpunkt in diesen anderen Mitgliedstaat zu einem Zeitpunkt verlegt hat, als er noch nicht den Status eines Unionsbürgers hatte.

 

2.

Die Art. 18 und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass, wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der gesuchte Unionsbürger besitzt, der Gegenstand eines von einem Drittstaat an einen anderen Mitgliedstaat gerichteten Auslieferungsersuchen ist, von diesem anderen Mitgliedstaat über das Vorliegen des Auslieferungsersuchens unterrichtet worden ist, keiner dieser beiden Mitgliedstaaten verpflichtet ist, den ersuchenden Drittstaat darum zu ersuchen, ihm eine Kopie der Strafakte zu übermitteln, damit der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, die Möglichkeit der Übernahme der Strafverfolgung prüfen kann. Sofern er den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt, ordnungsgemäß über das Vorliegen des Auslieferungsersuchens, über sämtliche rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte, die der ersuchende Drittstaat im Rahmen des Auslieferungsersuchens übermittelt hat, sowie über jede Änderung der Situation der gesuchten Person, die für die etwaige Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls gegen diese Person relevant ist, informiert hat, kann der ersuchte Mitgliedstaat die gesuchte Person ausliefern, ohne abwarten zu müssen, dass der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, eine förmliche Entscheidung erlässt, mit der er auf die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls, der zumindest denselben Sachverhalt betrifft wie das Auslieferungsersuchen, gegen die gesuchte Person verzichtet, wenn dieser Mitgliedstaat einen solchen Haftbefehl nicht innerhalb einer angemessenen Frist ausstellt, die ihm der ersuchte Mitgliedstaat hierfür unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls gewährt hat.

 

3.

Die Art. 18 und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass der von einem Drittstaat um die Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung eines Unionsbürgers, der die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, ersuchte Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, die Auslieferung abzulehnen und die Strafverfolgung selbst zu übernehmen, wenn ihm dies nach seinem nationalen Recht möglich ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.