URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

20. Januar 2016 ( *1 )

„Rechtsmittel — Wettbewerb — Kartelle — Art. 101 Abs. 1 AEUV — Markt für Leistungstransformatoren — Mündliche Vereinbarung über die Marktaufteilung (Gentlemen’s Agreement) — Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung — Zugangsschranken — Vermutung der Beteiligung an einem rechtswidrigen Kartell — Geldbußen — Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen (2006) — Ziff. 18“

In der Rechtssache C‑373/14 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 31. Juli 2014,

Toshiba Corporation mit Sitz in Tokio (Japan), vertreten durch J. MacLennan, Solicitor, sowie durch die Rechtsanwälte A. Schulz, J. Jourdan und P. Berghe,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch F. Ronkes Agerbeek, J. Norris-Usher und K. Mojzesowicz als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Ersten Kammer R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter), A. Arabadjiev, C. Lycourgos und J.‑C. Bonichot,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. April 2015,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juni 2015

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Toshiba Corporation (im Folgenden: Toshiba) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 21. Mai 2014, Toshiba/Kommission (T‑519/09, EU:T:2014:263, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 7. Oktober 2009 C (2009) 7601 final in einem Verfahren nach Artikel 81 EG (Sache COMP/39.129 – Leistungstransformatoren) (im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen hat.

Rechtlicher Rahmen

2

In Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) heißt es:

„Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig

a)

gegen Artikel 81 [EG] oder Artikel 82 [EG] verstoßen …

…“.

3

Ziff. 4 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien von 2006) bestimmt:

„… Diese sollte so hoch festgesetzt werden, dass nicht nur die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen sanktioniert werden (Spezialprävention), sondern auch andere Unternehmen von der Aufnahme oder Fortsetzung einer Zuwiderhandlung gegen die Artikel 81 [EG] oder 82 [EG] abgehalten werden (Generalprävention).“

4

Ziff. 13 der Leitlinien von 2006 sieht vor:

„Zur Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße verwendet die Kommission den Wert der von dem betreffenden Unternehmen im relevanten räumlichen Markt innerhalb des [Europäischen Wirtschaftsraums (EWR)] verkauften Waren oder Dienstleistungen, die mit dem Verstoß in einem unmittelbaren oder mittelbaren … Zusammenhang stehen. Im Regelfall ist der Umsatz im letzten vollständigen Geschäftsjahr zugrunde zu legen, in dem das Unternehmen an der Zuwiderhandlung beteiligt war …“

5

Ziff. 18 der Leitlinien von 2006 lautet:

„Soweit sich eine Zuwiderhandlung in einem Gebiet auswirkt, das über das Gebiet des [EWR] hinausreicht (beispielsweise weltweite Kartelle), gibt der innerhalb des EWR erzielte Umsatz das Gewicht der einzelnen Unternehmen bei der Zuwiderhandlung möglicherweise nicht angemessen wieder. Das ist insbesondere der Fall, wenn eine Aufteilung der Märkte weltweit vereinbart wurde.

Um in solchen Fällen sowohl den aggregierten Umsatz im EWR als auch das jeweilige Gewicht der einzelnen Unternehmen bei der Zuwiderhandlung wiederzugeben, kann die Kommission den Gesamtwert des Umsatzes mit den betreffenden Waren oder Dienstleistungen, die mit dem Verstoß in Zusammenhang stehen, im gesamten (über den EWR hinausreichenden) relevanten räumlichen Markt schätzen, den Anteil der einzelnen beteiligten Unternehmen am Umsatz auf diesem Markt ermitteln und diesen Anteil auf den aggregierten Umsatz derselben Unternehmen innerhalb des EWR anwenden. Das Ergebnis wird als Umsatz bei der Bestimmung des Grundbetrags der Geldbuße verwendet.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

6

Der in der vorliegenden Rechtssache betroffene Sektor ist der Sektor der Leistungstransformatoren, Spartransformatoren und Drosselspulen im Spannungsbereich von 380 kV und mehr. Leistungstransformatoren sind wichtige elektrotechnische Bauteile, mit denen die Spannung in einem Stromkreis verringert oder erhöht werden kann.

7

Toshiba ist eine japanische Gesellschaft, die hauptsächlich in drei Bereichen tätig ist: in dem der digitalen Geräte, dem der elektronischen Geräte und Komponenten sowie dem der Infrastruktursysteme.

8

Bezüglich der Tätigkeiten dieses Unternehmens im Sektor der Leistungstransformatoren sind während des von der Kommission bei ihren Ermittlungen berücksichtigten Zeitraums, d. h. vom 9. Juni 1999 bis zum 15. Mai 2003, zwei Abschnitte zu unterscheiden. Vom 9. Juni 1999 bis zum 30. September 2002 war Toshiba in diesem Sektor über ihre Tochtergesellschaft Power System Co. tätig. Ab 1. Oktober 2002 wurde die Tätigkeit der Rechtsmittelführerin über TM T&D ausgeübt, einem Gemeinschaftsunternehmen von Toshiba und Mitsubishi Electric, in dem die beiden Unternehmen ihre Produktion von Leistungstransformatoren zusammengeführt haben.

9

Am 30. September 2008 beschloss die Kommission, ein Verfahren in Bezug auf den Markt für Leistungstransformatoren einzuleiten. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte erging am 20. November 2008. Toshiba antwortete hierauf am 19. Januar 2009. Die Anhörung fand am 17. Februar 2009 statt.

10

Mit der streitigen Entscheidung stellte die Kommission fest, dass sich Toshiba vom 9. Juni 1999 bis zum 15. Mai 2003 an einem rechtswidrigen Kartell beteiligt habe, das sich auf das gesamte Gebiet des EWR und Japan erstreckt habe. Dieses Kartell habe in einer mündlichen Vereinbarung zwischen den europäischen Herstellern von Leistungstransformatoren einerseits und den japanischen Herstellern andererseits bestanden, die zum Inhalt gehabt habe, die Märkte im Gebiet jeder dieser beiden Gruppen von Transformatorenherstellern zu respektieren und auf den Verkauf auf diesen Märkten zu verzichten (im Folgenden: Gentlemen’s Agreement).

11

Die Kommission stufte das Gentlemen‘s Agreement als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung ein. In den Rn. 165 bis 169 der streitigen Entscheidung prüfte sie das Vorbringen einiger der vom fraglichen Verfahren betroffenen Unternehmen, dass das Kartell keine Auswirkungen auf den Wettbewerb gehabt habe, da die japanischen und die europäischen Hersteller wegen der unüberwindbaren Hindernisse für den Zugang zum EWR-Markt keine Wettbewerber seien, verwarf dieses jedoch.

12

Was die mit dem Gentlemen‘s Agreement eingerichtete Struktur betrifft, stellte die Kommission fest, dass jede Herstellergruppe ein Unternehmen habe benennen müssen, das die Aufgabe eines Sekretariats übernommen habe. Außerdem sei die Vereinbarung über die Marktaufteilung durch eine Vereinbarung ergänzt worden, deren Zweck es gewesen sei, dem Sekretariat der jeweiligen Gruppe die aus dem Gebiet der anderen Gruppe stammenden Ausschreibungen bekannt zu geben, so dass diese hätten untereinander verteilt werden können.

13

Die Kommission stellte ferner fest, dass die Unternehmen während des relevanten Zeitraums, also vom 9. Juni 1999 bis zum 15. Mai 2003, ein- oder zweimal im Jahr zusammengetroffen seien. Diese Treffen hätten in Malaga (Spanien) vom 9. bis 11. Juni 1999, in Singapur am 29. Mai 2000, in Barcelona (Spanien) vom 29. Oktober bis zum 1. November 2000, in Lissabon (Portugal) am 29. und 30. Mai 2001, in Tokio am 18. und 19. Februar 2002, in Wien (Österreich) am 26. und 27. September 2002 (im Folgenden: Treffen in Wien) sowie in Zürich (Schweiz) am 15. und 16. Mai 2003 (im Folgenden: Treffen in Zürich) stattgefunden. Diese Treffen hätten vor allem den Zweck gehabt, das Gentlemen‘s Agreement zu bestätigen.

14

Aufgrund dieser Erwägungen stellte die Kommission fest, dass Toshiba gegen Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) verstoßen habe und setzte daher gegen diese Gesellschaft eine Geldbuße von 13,2 Mio. Euro fest. Die streitige Entscheidung war nicht gegen TM T & D und Mitsubishi Electric gerichtet.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

15

Mit am 23. Dezember 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob Toshiba gegen die streitige Entscheidung eine Nichtigkeitsklage, die sie auf vier Klagegründe stützte.

16

Das Gericht wies alle diese Klagegründe zurück und die Klage insgesamt als unbegründet ab.

Anträge der Parteien vor dem Gerichtshof

17

Toshiba beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären,

hilfsweise, die Sache an das Gericht zurückzuverweisen und

der Kommission die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug und des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

18

Die Kommission beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen und

Toshiba die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

Zum ersten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

19

Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund, der sich auf die Rn. 230 und 231 des angefochtenen Urteils bezieht, trägt Toshiba vor, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es das Gentlemen’s Agreement als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eingestuft und sich in diesem Zusammenhang auf das potenzielle Wettbewerbsverhältnis zwischen den japanischen und den europäischen Herstellern gestützt habe. Da die Kartellteilnehmer aber keine potenziellen Wettbewerber gewesen seien, habe es nicht auf das Vorliegen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung schließen können. Das Gericht habe zu Unrecht das Vorliegen eines solchen potenziellen Wettbewerbsverhältnisses erstens aus dem Fehlen unüberwindbarer Hindernisse für den Zugang zum EWR-Markt und zweitens aus dem Bestehen des Gentlemen’s Agreement abgeleitet.

20

Das Fehlen unüberwindbarer Hindernisse für den Zugang zum EWR-Markt hält Toshiba für ein ungeeignetes Kriterium, um das Bestehen eines potenziellen Wettbewerbsverhältnisses zwischen den japanischen und den europäischen Herstellern nachzuweisen. Zu diesem Zweck hätte das Gericht im vorliegenden Fall nachweisen müssen, dass die japanischen Hersteller tatsächlich konkrete Möglichkeiten gehabt hätten, in den EWR-Markt einzudringen, und dass ein solches Eindringen für sie eine wirtschaftlich realisierbare Strategie gewesen sei. Im vorliegenden Fall machten jedoch die Merkmale und das Funktionieren des Marktes für Leistungstransformatoren jeden Zugang zum EWR-Markt wirtschaftlich unrentabel.

21

Was das Gentlemen’s Agreement angeht, ist Toshiba der Ansicht, das Gericht habe, indem es sich auf sein Bestehen als Nachweis für einen potenziellen Wettbewerb zwischen den japanischen und den europäischen Herstellern gestützt habe, eine unwiderlegliche Vermutung aufgestellt, dass zwei Unternehmen automatisch als potenzielle Wettbewerber angesehen würden, wenn sie irgendeine Vereinbarung schlössen, und die Kommission so von der entsprechenden Beweislast befreit.

22

Nach Auffassung der Kommission ist das Vorbringen der Rechtsmittelführerin als unbegründet zurückzuweisen.

Würdigung durch den Gerichtshof

23

In Rn. 228 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass die Kommission zu Recht davon ausgegangen sei, dass eine Vereinbarung wie das Gentlemen‘s Agreement eine Vereinbarung über die Marktaufteilung darstelle und als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung einzustufen sei.

24

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Vereinbarungen nur dann unter das in Art. 101 Abs. 1 AEUV aufgestellte Verbot fallen, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts „bezwecken oder bewirken“. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs seit dem Urteil LTM (56/65, EU:C:1966:38) erfordert es der durch die Konjunktion „oder“ gekennzeichnete alternative Charakter dieser Voraussetzung, zunächst den Zweck der Vereinbarung als solchen heranzuziehen (Urteil ING Pensii, C‑172/14, EU:C:2015:484, Rn. 30).

25

Steht der wettbewerbswidrige Zweck einer Vereinbarung fest, brauchen daher ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht geprüft zu werden (vgl. in diesem Sinne Urteile T‑Mobile Netherlands u. a., C‑8/08, EU:C:2009:343, Rn. 28 und 30, sowie GlaxoSmithKline Services u. a./Kommission u. a., C‑501/06 P, C‑513/06 P, C‑515/06 P und C‑519/06 P, EU:C:2009:610, Rn. 55).

26

Zur Einstufung einer Praxis als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass bestimmte Arten der Koordination zwischen Unternehmen den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigen, um davon ausgehen zu können, dass die Prüfung ihrer Wirkungen nicht notwendig ist (Urteil ING Pensii, C‑172/14, EU:C:2015:484, Rn. 31). Diese Rechtsprechung liegt darin begründet, dass bestimmte Formen der Kollusion zwischen Unternehmen schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können (Urteil CB/Kommission, C‑67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 50).

27

Die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist auch in dem Sinne gefestigt, dass bei der Prüfung der Frage, ob eine Vereinbarung zwischen Unternehmen eine hinreichende Beeinträchtigung erkennen lässt, um als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV aufgefasst zu werden, auf den Inhalt ihrer Bestimmungen und die mit ihr verfolgten Ziele sowie auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen ist (Urteil ING Pensii, C‑172/14, EU:C:2015:484, Rn. 33).

28

So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Vereinbarungen über die Aufteilung der Märkte besonders schwere Wettbewerbsverstöße darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteile Solvay Solexis/Kommission, C‑449/11 P, EU:C:2013:802, Rn. 82, und YKK u. a./Kommission, C‑408/12 P, EU:C:2014:2153, Rn. 26). Der Gerichtshof hat ferner die Auffassung vertreten, dass Vereinbarungen, die auf die Aufteilung der Märkte abzielen, als solche eine Einschränkung des Wettbewerbs zum Gegenstand haben und zu einer Kategorie durch Art. 101 Abs. 1 AEUV ausdrücklich untersagter Vereinbarungen gehören und ein solcher Gegenstand nicht durch eine Analyse des wirtschaftlichen Kontexts, in dem das fragliche wettbewerbswidrige Verhalten stand, gerechtfertigt werden kann (Urteil Siemens u. a./Kommission, C‑239/11 P, C‑489/11 P und C‑498/11 P, EU:C:2013:866, Rn. 218).

29

Was solche Vereinbarungen angeht, kann daher die Analyse des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs, in dem die Verhaltensweise steht, auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt werden, um auf das Bestehen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung zu schließen.

30

Im vorliegenden Fall ist Toshiba der Ansicht, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es das Gentlemen’s Agreement als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eingestuft habe, ohne zuvor zu prüfen, ob der eventuelle Eintritt in den EWR-Markt für die japanischen Hersteller eine wirtschaftlich realisierbare Strategie gewesen sei.

31

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht das Vorbringen von Toshiba geprüft hat, wonach das Gentlemen’s Agreement nicht geeignet gewesen sei, den Wettbewerb innerhalb des EWR zu beschränken, weil die europäischen und die japanischen Hersteller keine Wettbewerber auf dem europäischen Markt gewesen seien. Vor diesem Hintergrund hat das Gericht zum einen in Rn. 230 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass das Gentlemen’s Agreement, da sich Art. 101 AEUV auch auf den potenziellen Wettbewerb beziehe, den Wettbewerb habe einschränken können, es sei denn, es hätten unüberwindbare Hindernisse für den Zugang zum europäischen Markt bestanden, die jeden potenziellen Wettbewerb seitens der japanischen Hersteller ausgeschlossen hätten.

32

Zum anderen hat das Gericht in den Rn. 232 und 233 des angefochtenen Urteils angenommen, dass diese Hindernisse nicht als unüberwindbar eingestuft werden könnten, was durch den Umstand belegt werde, dass Hitachi Projekte von Kunden übernommen habe, die in Europa ansässig seien.

33

Es ist in Rn. 231 des angefochtenen Urteils weiter davon ausgegangen, dass das Gentlemen’s Agreement ein „starkes Indiz für das Bestehen von Wettbewerbsbeziehungen“ zwischen den beiden Kategorien von Herstellern dargestellt habe, das, wie der Generalanwalt in Nr. 100 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ein Bestandteil des relevanten wirtschaftlichen und rechtlichen Kontexts ist.

34

Die Analyse des Gerichts entspricht somit den in den Rn. 24 bis 29 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien für die Feststellung, ob eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV den Charakter einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung hat, ohne dass eine eingehendere Analyse des relevanten wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs erforderlich wäre.

35

Jedenfalls ist festzustellen, dass, soweit Toshiba behauptet, das Gericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Hindernisse für den Zugang zum europäischen Markt nicht unüberwindbar seien, und dass daher ein potenzieller Wettbewerb zwischen den europäischen und den japanischen Herstellern auf diesem Markt bestehe, dieses Vorbringen die Würdigung der Tatsachen seitens des Gerichts beanstandet, die in Ermangelung einer offenkundigen Tatsachenverfälschung und vorbehaltlich der im Rahmen des zweiten Rechtsmittelgrundes im vorliegenden Urteil vorzunehmenden Prüfung der Kontrolle durch den Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens entzogen ist.

36

Der erste Rechtsmittelgrund von Toshiba ist daher zurückzuweisen.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

37

Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund, der sich gegen die Ausführungen des Gerichts in Rn. 233 des angefochtenen Urteils richtet, macht Toshiba geltend, das Gericht habe den Inhalt des Schreibens von Hitachi verfälscht. Während sich Hitachi auf die Vorlage einer allgemeinen Erklärung beschränkt habe, in der sie das Bestehen des Gentlemen’s Agreement nicht mehr in Abrede gestellt habe, habe das Gericht dem nämlich entnommen, dass diese Gesellschaft eingeräumt habe, drei Projekte europäischer Kunden ihrer Transformatoren angenommen zu haben.

38

Ohne diese Verfälschung des Sinns des Schreibens von Hitachi hätte das Gericht nicht zu dem Ergebnis gelangen können, dass die Zugangsschranken zum EWR-Markt nicht unüberwindbar gewesen seien, so dass im vorliegenden Fall eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht hätte nachgewiesen werden können.

39

Die Kommission beantragt, diesen Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Würdigung durch den Gerichtshof

40

Es ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs allein das Gericht für die Feststellung und Würdigung der Tatsachen sowie für die Prüfung der Beweise, auf die es seine Feststellungen stützt, zuständig ist. Sind diese Beweise ordnungsgemäß erhoben und die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie die Vorschriften über die Beweislast und das Beweisverfahren eingehalten worden, ist es nämlich allein Sache des Gerichts, den Wert der ihm vorgelegten Beweise zu beurteilen. Diese Beurteilung ist somit, sofern die Beweise nicht verfälscht werden, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegt.

41

Um vom Gerichtshof beanstandet werden zu können, muss sich eine Verfälschung in offensichtlicher Weise aus den Akten ergeben, ohne dass es einer neuen Tatsachen- und Beweiswürdigung bedarf.

42

Wie der Generalanwalt in Nr. 108 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, geht aus der Prüfung des Schreibens von Hitachi nicht hervor, dass das Gericht die sich daraus ergebenden erheblichen Tatsachen verfälscht hat.

43

In ihrem Schreiben beschränkt sich Hitachi nämlich nicht darauf, das Bestehen des Gentlemen’s Agreement nicht mehr in Abrede zu stellen, wie Toshiba behauptet. Vielmehr ergibt sich aus der Formulierung des Schreibens von Hitachi, dass diese Gesellschaft „die Schlussfolgerungen [der Kommission] über das Bestehen und die Tragweite des Gentlemen‘s Agreement, wie sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegt wurden“, akzeptierte. Wie der Generalanwalt in dieser Nr. 108 seiner Schlussanträge festgestellt hat, war die Frage des Abschlusses von drei Verträgen durch Hitachi im EWR bereits in der Mitteilung der Beschwerdepunkte aufgeworfen worden.

44

Daraus folgt, dass die vom Gericht in Rn. 233 des angefochtenen Urteils vorgenommene Auslegung keineswegs das Schreiben von Hitachi offensichtlich verfälscht.

45

Selbst wenn das Gericht den Inhalt des Schreibens von Hitachi verfälscht hätte, wäre dies jedenfalls nicht geeignet, die Schlussfolgerung in Frage zu stellen, dass die Kommission rechtlich hinreichend nachgewiesen habe, dass die Hindernisse für den Zugang zum europäischen Markt nicht unüberwindbar seien.

46

Diese Schlussfolgerung beruht nämlich nicht ausschließlich auf den in Rn. 37 des vorliegenden Urteils erwähnten Erklärungen von Hitachi, sondern auch auf anderen Anhaltspunkten. So hat das Gericht zum einen in Rn. 225 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Kommission in Rn. 168 der streitigen Entscheidung die Gründe dargelegt habe, aus denen die Hindernisse für den Marktzugang nicht unüberwindbar gewesen seien, nämlich erstens, dass das koreanische Unternehmen Hyundai in jüngerer Zeit in den europäischen Markt eingetreten sei, und zweitens, dass die japanischen Hersteller beträchtliche Umsätze in den Vereinigten Staaten verzeichnet hätten und dass die betreffenden Unternehmen keinen Beweis dafür vorgelegt hätten, dass sich die Hindernisse für den Zugang zum amerikanischen Markt von den Hindernissen für den Zugang zum europäischen Markt deutlich unterschieden hätten. Diese Feststellungen sind von der Rechtsmittelführerin im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels nicht beanstandet worden.

47

Zum anderen hat das Gericht in Rn. 231 des angefochtenen Urteils entschieden, dass schon das Bestehen des Gentlemen‘s Agreement ein Umstand sei, der die Plausibilität der von der Rechtsmittelführerin vertretenen Auffassung ernsthaft in Frage stelle, wonach die Hindernisse für den Zugang zum europäischen Markt unüberwindbar seien. Wie das Gericht in dieser Randnummer zutreffend ausgeführt hat, ist es nämlich kaum wahrscheinlich, dass die japanischen und die europäischen Hersteller eine Vereinbarung über die Marktaufteilung geschlossen hätten, wenn sie sich nicht zumindest als potenzielle Wettbewerber betrachtet hätten.

48

Nach alledem ist der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum dritten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

49

Der dritte Rechtsmittelgrund ist in drei Teile gegliedert. Mit dem ersten Teil macht Toshiba zum einen geltend, dass das angefochtene Urteil in Bezug auf die Analyse ihrer Teilnahme an dem Kartell auf eine widersprüchliche Begründung gestützt sei, und zum anderen, dass das Gericht von ihm in diesem Zusammenhang verwendete Beweise, nämlich das Protokoll des Treffens in Wien, den internen Vermerk von Herrn M., der zur Gesellschaft Fuji gehöre, und den von Fuji erstellten erläuternden Vermerk zu diesem Treffen (im Folgenden zusammen: streitige Dokumente) verfälscht habe. Das Gericht habe, während es in Rn. 208 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt habe, dass die Rechtsmittelführerin bei dem Treffen in Wien darauf verzichtet habe, im Anschluss an die Gründung von TM T&D an künftigen Treffen teilzunehmen, in den Rn. 209 und 211 dieses Urteils gleichwohl festgestellt, dass die Beteiligung von Toshiba an dem Gentlemen‘s Agreement zweifelhaft geblieben sei, da sie davon abhängig gewesen sei, ob TM T&D daran beteiligt gewesen sei oder nicht. Das Gericht habe sich daher insoweit widersprochen, als der einzige Gesichtspunkt, der nach dem Treffen in Wien offengeblieben sei, die Beteiligung an künftigen Treffen und an dem Gentlemen’s Agreement nicht von Toshiba als Einzelunternehmen, sondern die von TM T&D gewesen sei.

50

Der zweite Teil, der sich im Wesentlichen auf die Erwägungen in den Rn. 213, 218 und 220 des angefochtenen Urteils bezieht, betrifft eine angeblich fehlerhafte Anwendung des Kriteriums der offenen Distanzierung durch das Gericht, da das Gericht auf die Tatsache abgestellt habe, dass das Gentlemen’s Agreement bei dem Treffen in Wien bestätigt worden sei, um für Toshiba jede Möglichkeit auszuschließen, sich bei diesem Treffen offen von dieser Vereinbarung zu distanzieren. Das Gericht hätte vielmehr daraus, dass Toshiba nicht an dem Treffen in Zürich teilgenommen habe, ableiten müssen, dass diese Gesellschaft von dem Treffen in Wien an auf eine Beteiligung an dem Kartell verzichtet habe.

51

Mit dem dritten Teil rügt Toshiba einen Verstoß des Gerichts gegen den Grundsatz der persönlichen Haftung, da es davon ausgegangen sei, dass die Rechtsmittelführerin ihre Beteiligung an dem Kartell auch nach der Gründung von TM T&D fortgesetzt habe, obwohl Toshiba nach deren Gründung aus dem betreffenden Markt ausgeschieden sei. Insoweit beanstandet Toshiba insbesondere die Feststellungen des Gerichts in den Rn. 218 bis 221 des angefochtenen Urteils, da das Gericht einen Fehler begangen habe, indem es im Wesentlichen bestätigt habe, dass die Beteiligung der Rechtsmittelführerin an der Zuwiderhandlung bis zu dem Treffen in Zürich daraus hervorgehe, dass „sie den anderen Teilnehmern Anlass zu der Annahme gegeben habe, dass sie oder TM T&D noch immer an dem Gentlemen’s Agreement beteiligt sei,“ ohne eine konkrete Prüfung vorzunehmen, ob Toshiba bei diesem Treffen anwesend gewesen sei.

52

Nach Ansicht der Kommission ist dieser Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Würdigung durch den Gerichtshof

– Zum ersten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes

53

Als Erstes ist festzustellen, dass die von Toshiba im Rahmen des ersten Teils des dritten Rechtsmittelgrundes vorgebrachte Rüge einer widersprüchlichen Begründung auf einem fehlerhaften Verständnis des angefochtenen Urteils beruht.

54

Das Gericht hat in Rn. 208 des angefochtenen Urteils auf der Grundlage der streitigen Dokumente zwar anerkannt, dass wegen der Gründung von TM T&D über die individuelle Beteiligung von Toshiba an dem Gentlemen’s Agreement nach dem Treffen in Wien erst noch entschieden werden sollte. In Rn. 209 jenes Urteils hat es dazu festgestellt, dass die streitigen Dokumente darauf schließen ließen, dass es nach Ende des Treffens in Wien „Zweifel an der künftigen Beteiligung der [Rechtsmittelführerin] an dem Gentlemen‘s Agreement und an dessen Fortführung gab und … dass ein künftiges Treffen stattfinden sollte, bei dem diese Frage erörtert werden sollte“.

55

Wie aus Rn. 208 des angefochtenen Urteils weiter hervorgeht, waren zum einen die an dem Kartell beteiligten Unternehmen jedoch der Ansicht, dass ohne die Beteiligung der Rechtsmittelführerin eine Aufrechterhaltung des Gentlemen‘s Agreement nicht mehr von Interesse sei. Zum anderen hat das Gericht in Rn. 211 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass das Gentlemen’s Agreement und die Regeln über die Benachrichtigung von unter dieses Kartell fallenden Projekten von den Teilnehmern des Treffens in Wien bestätigt worden seien.

56

Demnach hat das Gericht widerspruchsfrei in Rn. 213 des angefochtenen Urteils im Wesentlichen entschieden, dass aus den streitigen Dokumenten nicht abgeleitet werden könne, dass die Absicht von Toshiba, sich von dem Gentlemen’s Agreement zu distanzieren, seit dem Treffen in Wien festgestanden habe und von den anderen Teilnehmern dieses Treffens eindeutig verstanden worden sei, zumal diesen Dokumenten auch zu entnehmen sei, dass angesichts der Bedeutung, die die Parteien der Beteiligung von Toshiba an dem Kartell beigemessen hätten, die Fortführung dieses Kartells von keinerlei Interesse gewesen sei. Daher ist der erste Teil des dritten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen, soweit mit ihm eine widersprüchliche Begründung gerügt wird.

57

Was als Zweites das Argument einer Verfälschung der Tragweite der streitigen Dokumente durch das Gericht betrifft, geht aus ihnen keineswegs hervor, dass Toshiba das Gentlemen’s Agreement ab dem Treffen in Wien aufgekündigt hat. Wie der Generalanwalt in den Rn. 119 bis 121 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, geht zum einen aus dem internen Vermerk von Herrn M., der zur Gesellschaft Fuji gehört, bezüglich des Treffens in Wien hervor, dass über die Teilnahme von Toshiba an den nach der Gründung von TM T&D stattfindenden Treffen noch entschieden werden sollte. Zwar ergibt sich aus dem von der Gesellschaft Fuji erstellten erläuternden Vermerk über dieses Treffen, dass „[d]ie Möglichkeit, dass Toshiba nach Gründung von TM T & D an den Treffen teilnimmt (während Mitsubishi nicht teilnimmt), … von Toshiba ausgeschlossen [wurde]“. In diesem Vermerk heißt es jedoch auch, dass, „[d]a Mitsubishi an diesen Treffen nicht mehr teilnimmt, … über die Frage entschieden werden [sollte], ob TM T & D befugt ist, an diesen Treffen teilzunehmen“.

58

Zum anderen ergibt sich eindeutig aus dem Protokoll des Treffens in Wien, dass über die Frage der Teilnahme von Toshiba an künftigen Treffen „relativ schnell“ entschieden werden sollte und dass diese Frage das zentrale Thema des folgenden Treffens sein sollte. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Gericht die ihm vorliegenden Beweismittel verfälscht hat.

59

Mithin ist nicht davon auszugehen, dass die Begründung des Gerichts widersprüchlich ist oder dass es die ihm vorliegenden Beweismittel verfälscht hat. Nach alledem ist der erste Teil des dritten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

– Zum zweiten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes

60

Mit dem zweiten Teil zur Stützung ihres dritten Rechtsmittelgrundes wirft Toshiba dem Gericht im Wesentlichen vor, dass es trotz der Erklärungen, die sie bei dem Treffen in Wien abgegeben habe, und der Tatsache, dass sie nicht an dem Treffen in Zürich teilgenommen habe, nicht auf ihre Distanzierung vom Gentlemen’s Agreement bei dem Treffen in Wien geschlossen habe.

61

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es ein ausreichender Beleg für die Teilnahme eines Unternehmens am Kartell ist, wenn die Kommission nachweist, dass das betreffende Unternehmen an Zusammenkünften teilgenommen hat, bei denen wettbewerbswidrige Vereinbarungen getroffen wurden, ohne sich offen dagegen auszusprechen. Ist die Teilnahme an solchen Zusammenkünften erwiesen, obliegt es dem fraglichen Unternehmen, Indizien vorzutragen, die zum Beweis seiner fehlenden wettbewerbswidrigen Einstellung bei der Teilnahme an den Zusammenkünften geeignet sind, und nachzuweisen, dass es seine Wettbewerber darauf hingewiesen hat, dass es mit einer anderen Zielsetzung als diese an den Zusammenkünften teilgenommen hat (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, EU:C:2004:6, Rn. 81).

62

Um zu beurteilen, ob sich ein Unternehmen tatsächlich distanziert hat, kommt es für die Beurteilung der Frage, ob sich das betreffende Unternehmen von der rechtswidrigen Vereinbarung distanzieren wollte, tatsächlich entscheidend auf das Verständnis an, das die übrigen Kartellteilnehmer von seiner Absicht hatten (Urteil Archer Daniels Midland/Kommission, C‑510/06 P, EU:C:2009:166, Rn. 120).

63

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff der offenen Distanzierung einen Sachverhalt wiedergibt, den das Gericht im Einzelfall unter Berücksichtigung einer Reihe von Koinzidenzen und ihm unterbreiteter Indizien und nach einer Gesamtbewertung aller relevanten Beweise und Anhaltspunkte feststellt. Sofern diese Beweise ordnungsgemäß erhoben und die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie die Vorschriften über die Beweislast und das Beweisverfahren eingehalten worden sind, ist es allein Sache des Gerichts, den Wert der ihm vorgelegten Beweise zu beurteilen. Diese Beurteilung ist somit, sofern die Beweise nicht verfälscht werden, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil Comap/Kommission, C‑290/11 P, EU:C:2012:271, Rn. 71).

64

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass das Gericht in Rn. 208 des angefochtenen Urteils, gestützt auf die Prüfung der streitigen Dokumente, zunächst anerkannt hat, dass Zweifel an der Beteiligung von Toshiba an der Zuwiderhandlung nach dem Treffen in Wien bestanden hätten und dass die Aufrechterhaltung des Gentlemen’s Agreement ohne die Beteiligung der Rechtsmittelführerin für die Kartellteilnehmer nicht von Interesse gewesen sei,

65

Sodann hat das Gericht in Rn. 209 des angefochtenen Urteils aus den streitigen Dokumenten abgeleitet, dass die Frage der künftigen Beteiligung von Toshiba an dem Kartell und seiner Aufrechterhaltung bei einem künftigen Treffen erörtert werden sollte.

66

Schließlich hat das Gericht in Rn. 211 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass aus den streitigen Dokumenten hervorgehe, dass die Unternehmen, die an dem Treffen in Wien teilgenommen hätten, darunter Toshiba, das Gentlemen‘s Agreement und die Regeln über die Benachrichtigung von unter dieses Kartell fallenden Projekten bestätigt hätten.

67

Auf der Grundlage seiner Würdigung der Beweismittel und wie bereits in Rn. 56 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ist das Gericht unter Berücksichtigung insbesondere der Bestätigung der in dem Gentlemen’s Agreement vorgesehenen Regeln über die Benachrichtigung von Projekten daher in Rn. 213 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass sich Toshiba bei dem Treffen in Wien nicht endgültig von dem Kartell distanziert habe.

68

Daher ist davon auszugehen, dass Toshiba mit dem zweiten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes den Gerichtshof im Wesentlichen ersuchen will, die vom Gericht im angefochtenen Urteil vorgenommene Würdigung der Beweise durch seine eigene Würdigung zu ersetzen.

69

Daher und da sich – wie in Rn. 58 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist – aus der Prüfung der streitigen Dokumente keine offenkundige Verfälschung ergibt, ist der zweite Teil des dritten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

– Zum dritten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes

70

Mit dem dritten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes macht Toshiba im Wesentlichen geltend, dass das Gericht den Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit verletzt habe, indem es auf ihre Beteiligung an dem Gentlemen’s Agreement in der Zeit zwischen dem Treffen in Wien und dem Treffen in Zürich geschlossen habe, ohne zu prüfen, ob die Rechtsmittelführerin tatsächlich an dem Treffen in Zürich teilgenommen habe.

71

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Teilnahme eines Unternehmens an einem Treffen mit wettbewerbswidrigem Zweck eine Vermutung der Rechtswidrigkeit dieser Teilnahme begründet, die dieses Unternehmen durch den Beweis einer offenen Distanzierung widerlegen muss, die von den anderen Kartellteilnehmern als eine solche aufgefasst werden muss (Urteil Total Marketing Services/Kommission, C‑634/13 P, EU:C:2015:614, Rn. 21).

72

Im vorliegenden Fall hat das Gericht in Rn. 218 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Rügen der Rechtsmittelführerin, die dem Nachweis dienen sollten, dass sie nicht bis zu dem Treffen in Zürich an dem Kartell beteiligt gewesen sei, ins Leere gingen.

73

Das Gericht hat sich dafür unter Verweis auf seine entsprechende Würdigung in den Rn. 205 bis 214 des angefochtenen Urteils auf den Umstand gestützt, dass sich Toshiba bei dem Treffen in Wien nicht von dem Kartell distanziert habe und dass bei diesem Treffen zwischen den Teilnehmern vereinbart worden sei, bei dem folgenden Treffen, d. h. dem Treffen in Zürich am 15. und 16. Mai 2003, die künftige Beteiligung der Rechtsmittelführerin am Gentlemen’s Agreement zu erörtern.

74

Diese Feststellung ist entscheidend, da, wie aus Rn. 66 des vorliegenden Urteils hervorgeht, bei dem Treffen in Wien die Teilnehmer an diesem Treffen, darunter Toshiba, das Gentlemen’s Agreement und die Regeln über die Benachrichtigung von unter dieses Kartell fallenden Projekten bestätigt haben.

75

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es davon ausgegangen ist, dass die Teilnahme der Rechtsmittelführerin an dem Treffen in Zürich unerheblich sei, um auf die Aufrechterhaltung ihrer Beteiligung an dem Kartell bis zu diesem Treffen zu schließen.

76

Infolgedessen ist der dritte Teil des dritten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

77

Damit ist der dritte Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen.

Zum vierten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

78

Mit ihrem vierten Rechtsmittelgrund, der die Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße betrifft, macht Toshiba geltend, das Gericht habe Ziff. 18 der Leitlinien von 2006, insbesondere den Begriff des „(über den EWR hinausreichenden) relevanten räumlichen Markt[es]“, nicht richtig angewandt. Während das Kartell nur das Gebiet des EWR und Japans betroffen habe, habe das Gericht nämlich die Weltmarktanteile der Hersteller von Leistungstransformatoren berücksichtigt, um das Gewicht der Parteien bei der Zuwiderhandlung getreu wiederzugeben. Da das rechtswidrige Kartell den Schutz der Märkte des EWR und Japans zum Ziel gehabt habe, hätte das Gericht bei der Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße hingegen nur die Marktanteile in diesen Gebieten berücksichtigen dürfen.

79

Entgegen den Erwägungen des Gerichts in Rn. 276 des angefochtenen Urteils hätte die Berücksichtigung der Weltmarktanteile nur bei Fehlen von Hindernissen für den Zugang zum EWR-Markt eine Rechtfertigung gefunden. Bei Vorliegen solcher Hindernisse, was hier der Fall sei, könnten die japanischen Hersteller in diesem Gebiet keine Marktanteile erzielen, die den Weltmarktanteilen entsprächen.

80

Außerdem habe das Gericht einen Fehler begangen, indem es in Rn. 288 des angefochtenen Urteils davon ausgegangen sei, dass die angewandte Methode geeignet gewesen sei, die „eventuellen Zugangsschranken zu berücksichtigen, die in den verschiedenen Segmenten des Weltmarkts bestehen könnten“, da jeder räumliche Markt seine eigenen Besonderheiten habe.

81

Nach Auffassung der Kommission ist der vorliegende Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Würdigung durch den Gerichtshof

82

Mit ihrem vierten Rechtsmittelgrund macht Toshiba im Wesentlichen eine fehlerhafte Auslegung von Ziff. 18 der Leitlinien von 2006 geltend, da das Gericht die Analyse der Kommission bestätigt habe, wonach es im vorliegenden Fall möglich sei, den „(über den EWR hinausreichenden) relevanten räumlichen Markt“ im Sinne dieser Bestimmung nicht nur auf das Gebiet des EWR und Japans, sondern auch auf die ganze Welt zu erstrecken.

83

Erstens ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission die Leitlinien von 2006 im Rahmen der Anwendung der nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 verhängten Geldbußen erlassen hat, um die Transparenz und Objektivität ihrer Entscheidungen zu erhöhen. Diese Bestimmung soll u. a. eine hinreichende Abschreckungswirkung der Geldbuße sicherstellen, die die Berücksichtigung der Wirtschaftskraft des betreffenden Unternehmens rechtfertigt (Urteil Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 142). Es ist nämlich die angestrebte Abschreckungswirkung auf das mit einer Geldbuße belegte Unternehmen, wiederholt in Ziff. 4 der Leitlinien von 2006, die es rechtfertigt, dass die Größe und die Gesamtressourcen dieses Unternehmens berücksichtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile YKK u. a./Kommission, C‑408/12 P, EU:C:2014:2153, Rn. 85, und Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 143).

84

Daher muss die Kommission in jedem Einzelfall und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs und der Ziele, die mit der Sanktionsregelung der Verordnung Nr. 1/2003 verfolgt werden, die beabsichtigten Wirkungen auf das betreffende Unternehmen beurteilen und dabei insbesondere einen Umsatz berücksichtigen, der die tatsächliche wirtschaftliche Situation des Unternehmens in dem Zeitraum widerspiegelt, in dem die Zuwiderhandlung begangen wurde (vgl. Urteil Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 144).

85

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass Ziff. 13 der Leitlinien von 2006 betreffend die Zuwiderhandlungen, deren räumlicher Umfang nicht über den EWR hinausreicht, vorsieht, dass der Umsatz, der zur Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße verwendet wird, der Wert der von dem betreffenden Unternehmen verkauften Waren oder Dienstleistungen, die mit dem Verstoß in einem Zusammenhang stehen, ist. Diese Ziffer zielt somit darauf ab, bei der Berechnung der gegen ein Unternehmen verhängten Geldbuße einen Betrag als Ausgangspunkt festzulegen, der die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung und das jeweilige Gewicht dieses Unternehmens daran wiedergibt (vgl. in diesem Sinne Urteil Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 148).

86

Ebenso verfolgt Ziff. 18 der Leitlinien von 2006, wenn sie von der Abgrenzung des räumlichen Marktes im Sinne von Ziff. 13 dieser Leitlinien abweicht, das Ziel, das Gewicht und die wirtschaftliche Bedeutung, die das betreffende Unternehmen für die Zuwiderhandlung hat, möglichst getreu wiederzugeben, um eine hinreichende Abschreckungswirkung der Geldbuße sicherzustellen.

87

Im vorliegenden Fall widerspräche eine Auslegung des Begriffs des „(über den EWR hinausreichenden) relevanten räumlichen Markt[es]“, die nur die von dem rechtswidrigen Kartell betroffenen Gebiete berücksichtigte, dem in Ziff. 18 der Leitlinien von 2006 genannten Ziel sowie im Übrigen Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003.

88

Hätten nämlich, wie die Kommission in ihrer Rechtsmittelbeantwortung geltend gemacht hat, nur die Umsätze im EWR Berücksichtigung gefunden, wäre gegen Toshiba keine Geldbuße verhängt worden, da diese Gesellschaft in dem von der Kommission herangezogenen Referenzjahr keine Umsätze im EWR erzielt hat. Selbst wenn die Umsätze in Japan berücksichtigt worden wären, hätte dies außer Acht gelassen, dass die Parteien des Gentlemen’s Agreement weltweit tätige Hersteller von Leistungstransformatoren sind. Wie das Gericht in Rn. 275 des angefochtenen Urteils nämlich ausgeführt hat, „hatte das Gentlemen’s Agreement zur Folge, dass das weltweite Wettbewerbspotenzial der betreffenden Unternehmen nicht zugunsten des EWR-Markts genutzt worden ist“. Daher hätte die Einschränkung des relevanten räumlichen Marktes auf diese beiden Gebiete das Gewicht des Unternehmens im Kartell nicht getreu wiedergegeben und die Abschreckungswirkung der Geldbuße nicht sichergestellt.

89

Es ist auch darauf hinzuweisen, dass – wie der Generalanwalt in Nr. 153 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – die Berücksichtigung des Gebiets Japans oder des EWR allein im Wesentlichen dazu geführt hätte, die Teilnehmer am Gentlemen’s Agreement dafür zu belohnen, die Bedingungen des rechtswidrigen Kartells eingehalten zu haben, das gerade vorsah, dass die Teilnehmer in dem Gebiet der anderen Unternehmensgruppe keine Umsätze tätigen durften.

90

Aus diesen Erwägungen ist der Schluss zu ziehen, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, indem es in den Rn. 282 und 292 des angefochtenen Urteils die im vorliegenden Fall von der Kommission angewandte Methode für die Berechnung des Grundbetrags der Geldbußen bestätigt hat.

91

Aus alledem ergibt sich, dass der vierte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen ist.

92

Das Rechtsmittel ist demnach insgesamt zurückzuweisen.

Kosten

93

Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der gemäß deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da Toshiba mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Die Toshiba Corporation trägt die Kosten.

 

Unterschriften


( *1 )   Verfahrenssprache: Englisch.