URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

10. April 2014 ( *1 )

Inhaltsverzeichnis

 

I – Rechtlicher Rahmen

 

II – Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

 

III – Klagen vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

 

IV – Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

 

V – Zu den Rechtsmitteln

 

A – Zusammenfassung der Rechtsmittelgründe

 

B – Prüfung der Rechtsmittelgründe

 

1. Zu den Rechtsmittelgründen, die die Zurechnung der Zuwiderhandlung von Tochtergesellschaften gegenüber ihren Muttergesellschaften betreffen

 

a) Erster Rechtsmittelgrund, mit dem die Gesellschaften der Alstom-Gruppe der Kommission eine Verletzung ihrer Begründungspflicht vorwerfen

 

i) Zum ersten Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten ersten Rechtsmittelgrundes

 

– Vorbringen der Parteien

 

– Würdigung durch den Gerichtshof

 

ii) Zum zweiten Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten ersten Rechtsmittelgrundes

 

b) Zum ersten Rechtsmittelgrund von Areva und zum zweiten Rechtsmittelgrund der Gesellschaften der Alstom-Gruppe, mit denen sie dem Gericht vorwerfen, die ihm obliegende Begründungspflicht verletzt zu haben

 

i) Zum ersten Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten zweiten Rechtsmittelgrundes

 

ii) Zum ersten Rechtsmittelgrund von Areva und zum zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes der Gesellschaften der Alstom-Gruppe

 

– Vorbringen der Parteien

 

– Würdigung durch den Gerichtshof

 

iii) Zum vierten Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten zweiten Rechtsmittelgrundes

 

c) Zum dritten Rechtsmittelgrund der Gesellschaften der Alstom-Gruppe, mit dem ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV, insbesondere gegen die Regeln über die Zurechnung der Zuwiderhandlung, sowie gegen die Grundsätze des Rechts auf ein faires Verfahren und der Unschuldsvermutung geltend gemacht wird

 

i) Zum ersten Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten dritten Rechtsmittelgrundes

 

ii) Zum zweiten Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten dritten Rechtsmittelgrundes

 

2. Zu den Rechtsmittelgründen betreffend die Anwendung der Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für Geldbußen

 

a) Zu den Argumenten in Bezug auf die den Muttergesellschaften Areva und Alstom auferlegte faktische gesamtschuldnerische Haftung

 

i) Vorbringen der Parteien

 

ii) Würdigung durch den Gerichtshof

 

– Zur Zulässigkeit

 

– Zur Begründetheit

 

b) Zu den Argumenten betreffend die interne Aufteilung der Geldbuße zwischen den einzelnen Gesamtschuldnern

 

i) Vorbringen der Parteien

 

ii) Würdigung durch den Gerichtshof

 

3. Zum vierten Rechtsmittelgrund von Areva, mit dem ein Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung bei der Festsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße geltend gemacht wird

 

i) Vorbringen der Parteien

 

ii) Würdigung durch den Gerichtshof

 

4. Zum fünften Rechtsmittelgrund von Alstom, mit dem ein Verstoß gegen das Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf geltend gemacht wird

 

i) Vorbringen der Parteien

 

ii) Würdigung durch den Gerichtshof

 

VI – Kosten

„Rechtsmittel — Wettbewerb — Kartell — Markt für Projekte im Bereich gasisolierter Schaltanlagen — Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung von Tochtergesellschaften gegenüber ihren Muttergesellschaften — Begründungspflicht — Gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der Geldbuße — Begriff des Unternehmens — ‚Faktische‘ gesamtschuldnerische Haftung — Grundsätze der Rechtssicherheit und der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen — Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung“

In den verbundenen Rechtssachen C‑247/11 P und C‑253/11 P

betreffend zwei Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 18. und 20. Mai 2011,

Areva SA (C‑247/11 P) mit Sitz in Paris (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Schild, C. Simphal und E. Estellon,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien des Verfahrens:

Alstom SA mit Sitz in Levallois-Perret (Frankreich),

T&D Holding SA, vormals Areva T&D Holding SA, mit Sitz in Levallois-Perret,

Alstom Grid SAS, vormals Areva T&D SA, mit Sitz in La Défense (Frankreich),

Alstom Grid AG, vormals Areva T&D AG, mit Sitz in Oberentfelden (Schweiz) (C‑253/11 P),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J. Derenne, A. Müller-Rappard und M. Lagrue,

Klägerinnen im ersten Rechtszug,

Europäische Kommission, vertreten durch V. Bottka und N. von Lingen als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

und

Alstom SA,

T&D Holding SA,

Alstom Grid SAS,

Alstom Grid AG (C‑253/11 P),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J. Derenne, A. Müller-Rappard und M. Lagrue,

Rechtsmittelführerinnen,

andere Parteien des Verfahrens:

Areva SA, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Schild, C. Simphal und E. Estellon,

Klägerin im ersten Rechtszug,

Europäische Kommission, vertreten durch V. Bottka und N. von Lingen als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Vierten Kammer, der Richter M. Safjan und J. Malenovský sowie der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Mai 2013,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. September 2013

folgendes

Urteil

1

Mit ihren Rechtsmitteln beantragen die Areva SA (im Folgenden: Areva), die Alstom SA (im Folgenden: Alstom), die T&D Holding SA, die Alstom Grid SAS und die Alstom Grid AG (im Folgenden für die vier letztgenannten Gesellschaften gemeinsam: Gesellschaften der Alstom-Gruppe, sowie für diese fünf Gesellschaften gemeinsam: Rechtsmittelführerinnen) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 3. März 2011, Areva u. a./Kommission (T-117/07 und T-121/07, Slg. 2011, II-633, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung K(2006) 6762 endg. der Kommission vom 24. Januar 2007 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/F/38.899 – Gasisolierte Schaltanlagen), von der eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2008, C 5, S. 7) veröffentlicht wurde (im Folgenden: streitige Entscheidung), sowie, hilfsweise, auf Herabsetzung der mit dieser Entscheidung gegen sie verhängten Geldbuße abgewiesen hat.

I – Rechtlicher Rahmen

2

Art. 23 („Geldbußen“) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) bestimmt:

„…

(2)   Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig

a)

gegen Artikel [81 EG] oder Artikel [82 EG] verstoßen …

(3)   Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen.

…“

3

Art. 31 („Nachprüfung durch den Gerichtshof“) dieser Verordnung lautet:

„Bei Klagen gegen Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Geldbuße oder ein Zwangsgeld festgesetzt hat, hat der Gerichtshof die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Entscheidung. Er kann die festgesetzte Geldbuße oder das festgesetzte Zwangsgeld aufheben, herabsetzen oder erhöhen.“

II – Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

4

Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende, in den Rn. 1 bis 35 des angefochtenen Urteils dargestellte Sachverhalt kann wie folgt zusammengefasst werden.

5

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein den Verkauf von gasisolierten Schaltanlagen (im Folgenden: GIS), die zur Kontrolle des Energieflusses in einem Stromnetz dienen, betreffendes Kartell. Es handelt sich um schweres elektrisches Gerät, das ein wichtiger Bestandteil schlüsselfertiger Umspannwerke ist.

6

Die Rn. 6 bis 9 des angefochtenen Urteils enthalten folgende Angaben zu den verschiedenen an diesem Rechtsstreit beteiligten Gesellschaften:

„6

Alstom (vormals unter Alsthom firmierend), eine Aktiengesellschaft französischen Rechts mit Verwaltungsrat, ist die Muttergesellschaft einer Gruppe von Gesellschaften (im Folgenden: Alstom-Gruppe). Vom 15. April 1988 bis zum 8. Januar 2004 war die Alstom-Gruppe auf dem Gebiet der Übertragung (Transmission) von und der Versorgung (Distribution) mit Strom (im Folgenden: Geschäftsbereich T&D) und insbesondere im GIS-Geschäft tätig.

7

Das Frankreich-Geschäft der Alstom-Gruppe mit gasisolierten Schaltanlagen lag bis 1989 – d. h. bis zur Umbenennung in GEC Alsthom SA, einer l00%igen Tochter von GEC Alsthom N[V] – in den Händen der Alsthom SA (Frankreich). Am 16. November 1992 wurde die Kléber Eylau SA gegründet, der das französische GIS‑Geschäft auf der Grundlage einer Vereinbarung, die am 7. Dezember 1992 wirksam wurde, übertragen wurde. Kléber Eylau befand sich zu 99,76 % im Eigentum von GEC Alsthom SA; 0,04 % hielt Étoile Kléber. Im Juni 1993 wurde Kléber Eylau zur GEC Alsthom T&D SA, woraus im Juni 1998 die Alstom T&D SA wurde. Die Alstom T&D SA war eine l00%ige Tochter der Alstom Holdings (Frankreich), die wiederum eine 100%ige Tochter von Alstom war.

8

Ab der 100%igen Übernahme der Sprecher Energie AG durch Alsthom im Januar 1986 betrieb die Alstom-Gruppe parallel zum GIS‑Geschäft in Frankreich auch in der Schweiz ein Geschäft mit gasisolierten Schaltanlagen. Im November 1993 änderte Sprecher Energie ihren Namen in GBC Alsthom T&D AG, woraus im Juli 1997 die GEC Alsthom AG und im Juni 1998 die Alstom AG (im Folgenden: Alstom [Schweiz]) wurde. Am 22. Dezember 2000 wurde Alstom (Schweiz) von der Alstom Power (Schweiz) AG übernommen. Das neue Unternehmen nannte sich Alstom (Schweiz) AG. Im November 2002 wurde in der Alstom-Gruppe eine neue rechtliche Einheit geschaffen, auf die die Aktivitäten im Schweizer Geschäftsbereich T&D übertragen wurden. Diese Einheit hieß zunächst Alstom (Schweiz) Services AG und wurde in der Folge in Alstom T&D AG umbenannt.

9

Sämtliche Aktivitäten der Alstom-Gruppe im Geschäftsbereich T&D wurden am 8. Januar 2004 auf die Gruppe übertragen, deren Muttergesellschaft Areva, eine Aktiengesellschaft französischen Rechts mit Vorstand und Aufsichtsrat, ist (im Folgenden: Areva‑Gruppe). In der Zeit vom 9. Januar bis zum 11. Mai 2004 wurden die T&D‑Geschäfte der Areva-Gruppe von der Areva T&D SA und der Areva T&D AG betrieben, zwei 100%igen Tochtergesellschaften der Areva T&D Holding SA, die selbst zu 100 % Areva gehört (im Folgenden zusammen: Gesellschaften der Areva-Gruppe).“

7

Am 3. März 2004 informierte die ABB Ltd (im Folgenden: ABB) die Kommission über das Vorliegen eines Kartells im GIS-Sektor und beantragte mündlich, ihr auf der Grundlage der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3, im Folgenden: Kronzeugenregelung) eine Geldbuße zu erlassen. Am 25. April 2004 gewährte die Kommission ABB einen bedingten Geldbußenerlass.

8

Auf der Grundlage der Erklärungen von ABB leitete die Kommission eine Untersuchung ein und führte am 11. und 12. Mai 2004 unangekündigt Nachprüfungen u. a. in den Geschäftsräumen der Areva T&D SA durch. Am 20. April 2006 nahm die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, die außer an Alstom und die Gesellschaften der Areva‑Gruppe an ABB, die Fuji Electric Holdings Co. Ltd und die Fuji Electric Systems Co. Ltd, die Hitachi Ltd und die Hitachi Europe Ltd, die Japan AE Power Systems Corp., die Mitsubishi Electric System Corp., die Nuova Magrini Galileo SpA, die Schneider Electric SA, die Siemens AG, die Toshiba Corp. sowie fünf Gesellschaften der Gruppe, deren Muttergesellschaft die VA Technologie AG war, darunter die VA Technologie AG selbst, gesandt wurde.

9

Am 24. Januar 2007 erließ die Kommission die streitige Entscheidung, die den 20 Gesellschaften zugestellt wurde, an die die Mitteilung der Beschwerdepunkte gesandt worden war.

10

In den Rn. 29 bis 31 des angefochtenen Urteils sind die Merkmale des in der streitigen Entscheidung festgestellten Kartells wie folgt zusammengefasst worden:

„29

In den Randnrn. 113 bis 123 der [streitigen] Entscheidung führte die Kommission aus, die am Kartell beteiligten Unternehmen hätten die weltweite Zuteilung von GIS‑Projekten mit Ausnahme einiger Märkte nach vereinbarten Regeln koordiniert, um insbesondere Kontingente beizubehalten, die weitgehend ihren geschätzten historischen Marktanteilen entsprächen. Die Zuteilung der GIS‑Projekte sei auf der Grundlage eines gemeinsamen ‚japanischen‘ Gesamtkontingents und eines gemeinsamen ‚europäischen‘ Gesamtkontingents vorgenommen worden, die sodann von den japanischen und den europäischen Herstellern jeweils untereinander aufgeteilt worden seien. Eine in Wien [(Österreich)] am 15. April 1988 unterzeichnete Vereinbarung (‚GQ-Agreement‘, im Folgenden: GQ-Abkommen) habe die Regeln festgelegt, nach denen die GIS‑Projekte den japanischen oder den europäischen Herstellern zuzuteilen und ihr Wert auf das jeweilige Kontingent anzurechnen gewesen seien. In den Randnrn. 124 bis 132 der [streitigen] Entscheidung legte die Kommission weiter dar, dass die einzelnen am Kartell beteiligten Unternehmen eine nicht schriftlich abgefasste Vereinbarung getroffen hätten …, nach der die GIS‑Projekte in Japan einerseits und in den Ländern der europäischen Kartellmitglieder andererseits, die zusammen als die ‚Stammländer‘ für die GIS-Projekte bezeichnet worden seien, den japanischen bzw. europäischen Mitgliedern des Kartells vorbehalten gewesen seien. Über die GIS‑Projekte in den ‚Stammländern‘ seien keine Informationen zwischen den beiden Gruppen ausgetauscht und sie seien nicht auf die jeweiligen Kontingente angerechnet worden.

30

Das GQ‑Abkommen habe des Weiteren Bestimmungen enthalten über den – insbesondere durch die Sekretariate der genannten Gruppen besorgten – Austausch der notwendigen Informationen über die Arbeitsweise des Kartells zwischen den beiden Herstellergruppen, die Manipulation der betreffenden Ausschreibungen und die Festsetzung von Preisen für die GIS‑Projekte, die nicht hätten zugeteilt werden können. Ausweislich seines Anhangs 2 sei das GQ-Abkommen auf die ganze Welt mit Ausnahme der Vereinigten Staaten, Kanadas, Japans und von siebzehn westeuropäischen Ländern anwendbar gewesen. Zudem seien nach der [nicht schriftlich abgefassten Vereinbarung] GIS‑Projekte in anderen europäischen Ländern als den ‚Stammländern‘ ebenfalls der europäischen Gruppe vorbehalten gewesen, da sich die japanischen Hersteller verpflichtet hätten, für GIS-Projekte in Europa keine Angebote abzugeben.

31

Den Ausführungen der Kommission zufolge war die Aufteilung der GIS-Projekte auf die europäischen Hersteller in einem ebenfalls in Wien am 15. April 1988 unterzeichneten Abkommen mit der Bezeichnung ‚E‑Group Operation Agreement for GQ‑Agreement‘ (Abkommen der Gruppe E über die Durchführung des GQ-Abkommens …) geregelt. Danach habe die Zuteilung der in Europa durchzuführenden GIS-Projekte nach den gleichen Regeln und Verfahren wie die Zuteilung der GIS-Projekte in anderen Ländern erfolgen sollen. Insbesondere hätten auch die in Europa durchzuführenden GIS‑Projekte mitgeteilt, in eine Liste eingetragen, zugeteilt, abgesprochen oder mit einem Mindestpreis versehen werden sollen.“

11

Am Ende der Tatsachenfeststellungen und rechtlichen Beurteilungen kam die Kommission in der streitigen Entscheidung zu dem Schluss, dass die beteiligten Unternehmen gegen die Art. 81 EG und 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) verstoßen hätten, und verhängte gegen sie Geldbußen, deren Höhe anhand der in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), dargestellten Methode und anhand der Kronzeugenregelung errechnet wurde.

12

Die Kommission entschied in Anwendung der Kronzeugenregelung, dass dem Antrag von ABB auf Geldbußenerlass stattzugeben sei, während die Anträge weiterer Gesellschaften, darunter Areva, auf Ermäßigung der Geldbuße abzulehnen seien.

13

Die Art. 1 und 2 der streitigen Entscheidung sehen vor:

Artikel 1

Die nachstehenden Unternehmen haben gegen Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen verstoßen, indem sie in den angegebenen Zeiträumen im [Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)] an einer Gesamtheit von Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen betreffend den [GIS-Sektor] teilgenommen haben:

b)

[Alstom] vom 15. April 1988 bis 8. Januar 2004;

c)

[Areva] vom 9. Januar 2004 bis 11. Mai 2004;

d)

Areva T&D AG vom 22. Dezember 2003 bis 11. Mai 2004;

e)

Areva T&D Holding … vom 9. Januar 2004 bis 11. Mai 2004;

f)

Areva T&D SA vom 7. Dezember 1992 bis 11. Mai 2004;

Artikel 2

Für die in Artikel 1 genannten Zuwiderhandlungen werden folgende Geldbußen festgesetzt:

b)

[Alstom]: EUR 11475000;

c)

[Alstom], EUR 53550000, gesamtschuldnerisch mit AREVA T&D SA. Von dem Betrag von AREVA T&D SA (EUR 53550000), AREVA …, AREVA T&D Holding … und AREVA T&D AG gesamtschuldnerisch mit AREVA T&D SA: EUR 25500000;

…“

14

Nach Angaben der Rechtsmittelführerinnen hat Areva am 7. Juni 2010 ihr gesamtes T&D-Geschäft verkauft. Im Einzelnen wurden die Tätigkeiten auf dem Gebiet der Übertragung (Transmission) von Alstom übernommen. Später wurde die Areva T&D Holding in die T&D Holding SA umbenannt, die Areva T&D SA wurde zur Alstom Grid SAS, und die Areva T&D AG nennt sich nunmehr Alstom Grid AG.

III – Klagen vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

15

Wie sich aus Rn. 50 des angefochtenen Urteils ergibt, stützten die Gesellschaften der Areva-Gruppe ihre Nichtigkeitsanträge auf sieben Klagegründe, die das Gericht wie folgt zusammengefasst hat:

„Der erste wird aus einem Verstoß gegen die in Art. 253 EG vorgesehene Begründungspflicht hergeleitet. Der zweite wird im Wesentlichen auf einen sich aus Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen ergebenden Verstoß gegen die Regeln für die Zurechnung der Zuwiderhandlungen sowie auf einen Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Rückwirkungsverbots gestützt. Der dritte Klagegrund wird im Wesentlichen aus einem Verstoß gegen die Regeln für die Zurechnung der Zuwiderhandlungen hergeleitet, die sich aus Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen ergeben. Mit dem vierten Klagegrund werden im Wesentlichen ein Verstoß gegen die Regeln für die Zurechnung der Zuwiderhandlungen und der gesamtschuldnerischen Haftung für die Zahlung der Geldbußen nach Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen, ein Verstoß gegen Art. 7 EG sowie ein Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit, des Rückwirkungsverbots und des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gerügt. Mit dem fünften Klagegrund wird ein Verstoß gegen die Regeln der gesamtschuldnerischen Haftung für die Zahlung der Geldbußen beanstandet, die sich aus Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen ergeben. Mit dem sechsten Klagegrund werden im Wesentlichen ein Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung … Nr. 1/2003 … sowie gegen Nr. 2 der Leitlinien …, ein Beurteilungsfehler sowie ein Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit gerügt. Schließlich ist der siebte Klagegrund im Wesentlichen gegen einen Beurteilungsfehler und einen Verstoß gegen Art. 81 EG und Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen sowie gegen die Kronzeugenregelung gerichtet.“

16

In Rn. 51 des angefochtenen Urteils hat das Gericht die von Alstom zur Stützung ihrer Anträge geltend gemachten acht Klagegründe folgendermaßen zusammengefasst:

„Der erste Klagegrund wird aus einem Verstoß gegen das Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf hergeleitet. Der zweite wird im Wesentlichen auf einen sich aus Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen ergebenden Verstoß gegen die Regeln der gesamtschuldnerischen Haftung für die Zahlung der Geldbußen, einen Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze der Rechtssicherheit und der individuellen Strafzumessung sowie auf einen Verstoß gegen die Begründungspflicht gestützt. Der dritte wird aus einem Verstoß gegen die in Art. 253 EG vorgesehene Begründungspflicht hergeleitet. Mit dem vierten Klagegrund werden in erster Linie ein Verstoß gegen die sich aus Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen ergebenden Regeln für die Zurechnung der Zuwiderhandlungen sowie ein Rechtsfehler und, hilfsweise, ein Verstoß gegen Art. 25 der Verordnung Nr. 1/2003 gerügt. Der fünfte Klagegrund wird im Wesentlichen aus einem Beurteilungsfehler, einem Verstoß gegen die Leitlinien, einem Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit sowie aus einem Verstoß gegen die Begründungspflicht hergeleitet. Mit dem sechsten Klagegrund werden im Wesentlichen ein Verstoß gegen die Beweisvorschriften für die Dauer einer Zuwiderhandlung, die sich aus Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81 EG] und [82 EG] in geänderter Fassung (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), ergeben, sowie ein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit gerügt. Der siebte Klagegrund beruht auf einem Verstoß gegen den Grundsatz der Beachtung der Verteidigungsrechte sowie gegen Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003. Der achte Klagegrund beruht im Wesentlichen auf einem Verstoß gegen die Leitlinien und, hilfsweise, einem Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.“

17

In Rn. 317 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den Klagegründen, mit denen die Klägerinnen einen Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung geltend gemacht hatten, stattgegeben und entschieden, Art. 2 Buchst. b und c der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin gegen Alstom und die Gesellschaften der Areva-Gruppe wegen des erschwerenden Umstands einer Rolle als Anführer des Verstoßes die gleiche Erhöhung des Grundbetrags ihrer Geldbußen um 50 % wie gegen die Siemens AG festgesetzt worden sei.

18

In Rn. 323 des angefochtenen Urteils hat das Gericht aufgrund dieses erschwerenden Umstands in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung den Grundbetrag der Geldbuße für Alstom und die Areva T&D SA um 35 % sowie für die Areva T&D AG, Areva und Areva T&D Holding um 20 % erhöht und auf dieser Grundlage die in Art. 2 Buchst. b und c der streitigen Entscheidung auferlegten Geldbußen abgeändert.

19

Alle anderen von Alstom und den Gesellschaften der Areva-Gruppe geltend gemachten Klagegründe hat das Gericht zurückgewiesen.

20

Das Gericht hat daher in Nr. 2 des Tenors des angefochtenen Urteils Art. 2 Buchst. b und c der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt und in Nr. 3 des Tenors dieses Urteils die Geldbußen wie folgt festgesetzt:

„–

… Alstom: 10327500 Euro;

Alstom: 48195000 Euro gesamtschuldnerisch mit der Areva T&D SA, wobei 20400000 Euro des von der Areva T&D SA zu zahlenden Betrags gesamtschuldnerisch von dieser sowie der Areva T&D AG, … Areva und der Areva T&D Holding … zu zahlen sind.“

IV – Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

21

Areva beantragt mit ihrem Rechtsmittel,

das angefochtene Urteil aufzuheben;

für den Fall, dass der Gerichtshof der Ansicht sein sollte, dass der Rechtsstreit zur endgültigen Entscheidung reif ist, Art. 1 Buchst. c und Art. 2 Buchst. c der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären, hilfsweise, die gegen sie verhängte Geldbuße wesentlich herabzusetzen und der Kommission die gesamten Kosten, einschließlich der Kosten, die ihr im Verfahren vor dem Gericht entstanden sind, aufzuerlegen;

für den Fall, dass der Gerichtshof der Ansicht sein sollte, dass der Rechtsstreit nicht zur endgültigen Entscheidung reif ist, die Rechtssache an eine anders besetzte Kammer des Gerichts zurückzuverweisen und die Kostenentscheidung vorzubehalten.

22

Die Gesellschaften der Alstom-Gruppe beantragen mit ihrem Rechtsmittel,

das angefochtene Urteil aufzuheben;

für den Fall, dass der Gerichtshof der Ansicht sein sollte, dass der Rechtsstreit zur endgültigen Entscheidung reif ist, Art. 1 Buchst. b, d, e und f sowie Art. 2 Buchst. b und c der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären; hilfsweise, die gegen sie verhängten Geldbußen wesentlich herabzusetzen; der Kommission die Kosten, einschließlich derjenigen des Verfahrens vor dem Gericht, aufzuerlegen;

für den Fall, dass der Gerichtshof der Ansicht sein sollte, dass der Rechtsstreit nicht zur endgültigen Entscheidung reif ist, die Rechtssache an eine anders besetzte Kammer des Gerichts zurückzuverweisen und die Kostenentscheidung vorzubehalten.

23

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 20. Juli 2011 sind die Rechtssachen C‑247/11 P und C‑253/11 P zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

V – Zu den Rechtsmitteln

A – Zusammenfassung der Rechtsmittelgründe

24

Areva stützt ihr Rechtsmittel auf vier Nichtigkeitsgründe. Mit dem ersten, der sich in drei Teile gliedert, macht sie geltend, das Gericht habe im Rahmen der Prüfung, ob Areva in der Zeit vom 9. Januar 2004 bis zum 11. Mai 2004 tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf die Areva T&D SA und die Areva T&D AG ausgeübt habe, dadurch gegen die ihm obliegende Begründungspflicht und gegen ihre Verteidigungsrechte verstoßen,

dass es die Argumentation der Kommission durch seine eigene ersetzt habe, indem es der streitigen Entscheidung nachträglich Gründe hinzugefügt habe, um festzustellen, dass die Kommission zu Recht die Auffassung vertreten habe, dass Areva die für die tatsächliche Ausübung eines bestimmenden Einflusses sprechende Vermutung nicht widerlegt habe;

dass es Ausführungen gemacht habe, denen sich die Gründe, aus denen es ihrem Vorbringen zur Widerlegung dieser Vermutung nicht gefolgt sei, nicht entnehmen ließen und

dass es für die Widerlegung der Vermutung einen unmöglichen Beweis (probatio diabolica) verlangt und es abgelehnt habe, ihr Gelegenheit zu geben, sich zu den der streitigen Entscheidung hinzugefügten neuen Gründen zu äußern.

25

Mit den anderen drei Rechtsmittelgründen rügt Areva eine Verletzung

der Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der Geldbuße, die einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der individuellen Zumessung von Strafen zur Folge habe, da das Gericht es nicht beanstandet habe, dass die Kommission eine faktische gesamtschuldnerische Haftung von Areva und Alstom ‐ zwei Gesellschaften, die niemals eine gemeinsame wirtschaftliche Einheit gebildet hätten – geschaffen habe;

der Regeln über die Übertragung von Befugnissen der Kommission, der Begründungspflicht des Gerichts und des Grundsatzes der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen, weil das Gericht nicht beanstandet habe, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung offengelassen habe, welchen Anteil an der Geldbuße Alstom bzw. Areva zu tragen hätten, und die Beantwortung dieser Frage somit stillschweigend den nationalen Gerichten oder einem Schiedsgericht überlassen habe, obwohl diese Entscheidung in das nicht übertragbare Sanktionsermessen der Kommission falle, sowie

der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung, soweit das Gericht die Areva als Gesamtschuldnerin für eine viermonatige Zuwiderhandlung auferlegte Geldbuße bestätigt habe, die in etwa der Hälfte der Geldbuße entspreche, die Alstom gesamtschuldnerisch für eine Zuwiderhandlung mit einer Dauer von zwölf Jahren zahlen solle, bzw. dem Doppelten der Geldbuße, die Alstom allein wegen ihrer vierjährigen unmittelbaren Beteiligung am fraglichen Kartell zahlen solle, ohne dass dies durch einen bedeutsamen Unterschied bei der Größe der Gesellschaften oder der Schwere der Zuwiderhandlung in der fraglichen Zeit gerechtfertigt wäre.

26

Die Gesellschaften der Alstom-Gruppe machen mit ihrem Rechtsmittel fünf – teilweise in mehrere Teile gegliederte – Nichtigkeitsgründe geltend, mit denen sie Verstöße rügen gegen

die Begründungspflicht, weil das Gericht zum einen entschieden habe, dass die Kommission ihre Schlussfolgerung, dass Alstom gesamtschuldnerisch mit der Areva T&D SA und der Areva T&D AG hafte, da Alstom die Vermutung, dass sie entscheidenden Einfluss auf ihre Tochterunternehmen ausgeübt habe, nicht widerlegt habe, in rechtlich hinreichender Weise begründet habe, obwohl die Kommission auf das Vorbringen von Alstom zur Widerlegung dieser Vermutung nicht eingegangen sei (erster Teil), und weil es zum anderen festgestellt habe, dass die Kommission nicht habe begründen müssen, weshalb gegen zwei Unternehmen, die am Tag des Entscheidungserlasses keine wirtschaftliche Einheit bildeten, gesamtschuldnerisch eine Geldbuße verhängt werden könne (zweiter Teil);

die dem Gericht obliegende Begründungspflicht, da es

die Argumentation der Kommission durch seine eigene ersetzt habe, indem es der streitigen Entscheidung nachträglich Gründe hinzugefügt habe, die diese nicht enthalten habe (erste drei Teile), und

auf das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, wonach zwei Unternehmen, die am Tag des Erlasses der Kommissionsentscheidung keine wirtschaftliche Einheit gebildet hätten, nicht als Gesamtschuldner mit einer Geldbuße belastet werden könnten, rechtlich nicht hinreichend eingegangen sei (vierter Teil);

Art. 101 AEUV und die Grundsätze des Rechts auf ein faires Verfahren und der Unschuldsvermutung, die in den Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie in Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert seien, soweit das Gericht

bei der Anwendung der Vermutung der Ausübung eines bestimmenden Einflusses von einer Definition der Ausübung eines solchen Einflusses einer Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaft ausgegangen sei, die keinen Bezug zu einem tatsächlichen Verhalten auf dem fraglichen Markt aufweise, wodurch diese Vermutung unwiderlegbar geworden sei;

bei der Prüfung der Frage, ob die Areva T&D Holding SA in der Zeit vom 9. Januar bis zum 11. Mai 2004 tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf die Areva T&D SA und die Areva T&D AG ausgeübt habe, Rechtsfehler begangen habe;

den Begriff der gesamtschuldnerischen Haftung, soweit das Gericht

festgestellt habe, dass die Anteile, die von den Unternehmen, gegen die gesamtschuldnerisch eine Geldbuße verhängt worden sei, jeweils zu zahlen seien, durch den Begriff der gesamtschuldnerischen Haftung bestimmt würden;

nicht beanstandet habe, dass die Kommission ihre Befugnis, die Haftung einer jeden der Sanktion unterworfenen Gesellschaft zu bestimmen, übertragen und dadurch gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der individuellen Zumessung von Strafen sowie gegen Art. 13 EUV verstoßen habe;

die Pflicht des Gerichts, auf die vorgetragenen Klagegründe einzugehen, da es die Tragweite des Klagegrundes einer Verletzung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und gerichtlichen Schutz nicht zutreffend erfasst habe und dadurch nicht auf den vorgebrachten, sondern auf einen anderen, nicht geltend gemachten Klagegrund eingegangen sei.

B – Prüfung der Rechtsmittelgründe

1. Zu den Rechtsmittelgründen, die die Zurechnung der Zuwiderhandlung von Tochtergesellschaften gegenüber ihren Muttergesellschaften betreffen

a) Erster Rechtsmittelgrund, mit dem die Gesellschaften der Alstom-Gruppe der Kommission eine Verletzung ihrer Begründungspflicht vorwerfen

i) Zum ersten Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten ersten Rechtsmittelgrundes

– Vorbringen der Parteien

27

Mit dem ersten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes, der die Rn. 90 bis 99 des angefochtenen Urteils betrifft, rügen die Gesellschaften der Alstom-Gruppe, das Gericht hätte beanstanden müssen, dass die Kommission ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen sei. Die Kommission sei insbesondere nicht auf das Vorbringen von Alstom in den Nrn. 90 bis 150 ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte eingegangen, das mit dieser Antwort beigefügten Unterlagen zur Widerlegung der Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses untermauert worden sei. Aus diesen Unterlagen gehe hervor, dass die Tochtergesellschaften von Alstom ‐ trotz der Vermutung, dass Letztere auf ihre Tochtergesellschaften, deren Gesellschaftskapital zu 100 % in ihrem Besitz sei, einen bestimmenden Einfluss habe ‐ in der Zeit der Zuwiderhandlung ihr Marktverhalten gegenüber ihrer Muttergesellschaft eigenständig bestimmt hätten.

28

Außerdem habe das Gericht die streitige Entscheidung insbesondere in Rn. 95 des angefochtenen Urteils verfälscht, da die Rn. 345 bis 347 dieser Entscheidung keineswegs eine kurze Zusammenfassung der Nrn. 90 bis 150 der Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte enthielten.

29

Die Kommission beantragt, das Vorbringen der Gesellschaften der Alstom-Gruppe zurückzuweisen.

– Würdigung durch den Gerichtshof

30

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Verstoß einer Tochtergesellschaft gegen die Wettbewerbsregeln namentlich dann ihrer Muttergesellschaft zugerechnet werden kann, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht eigenständig bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt, und zwar vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen, die die beiden Rechtssubjekte verbinden (vgl. u. a. Urteile vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission, C-97/08 P, Slg. 2009, I-8237, Rn. 58, sowie vom 19. Juli 2012, Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., C‑628/10 P und C‑14/11 P, Rn. 43).

31

Da nämlich in einem solchen Fall die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit sind und damit ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG bilden, kann die Kommission eine Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an die Muttergesellschaft richten, ohne dass deren persönliche Beteiligung an der Zuwiderhandlung nachzuweisen wäre (vgl. Urteile Akzo Nobel u. a./Kommission, Rn. 59, sowie Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., Rn. 44).

32

Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass in dem besonderen Fall, dass eine Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, die gegen die Wettbewerbsregeln der Union verstoßen hat, zum einen diese Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausüben kann und zum anderen eine widerlegliche Vermutung besteht, dass diese Muttergesellschaft tatsächlich einen solchen Einfluss ausübt (Urteil Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., Rn. 46 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Unter diesen Umständen genügt es, dass die Kommission nachweist, dass die Muttergesellschaft das gesamte Kapital der Tochtergesellschaft hält, um die Vermutung zu begründen, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft ausübt. Die Kommission kann in der Folge die Muttergesellschaft als gesamtschuldnerisch für die Zahlung der gegen die Tochtergesellschaft verhängten Geldbuße haftbar ansehen, sofern die Muttergesellschaft, der die Widerlegung dieser Vermutung obliegt, keine ausreichenden Beweise dafür erbringt, dass ihre Tochtergesellschaft auf dem Markt eigenständig auftritt (Urteile Akzo Nobel u. a./Kommission, Rn. 61, sowie Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., Rn. 47).

34

Darüber hinaus muss eine Entscheidung zur Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union, wenn sie an eine Mehrzahl von Adressaten gerichtet ist und die Zurechnung der Zuwiderhandlung betrifft, in Bezug auf jeden Adressaten hinreichend begründet sein, vor allem aber in Bezug auf diejenigen, denen die Zuwiderhandlung in der Entscheidung zugerechnet wird. Daher muss eine solche Entscheidung in Bezug auf eine Muttergesellschaft, die für die Zuwiderhandlung ihrer Tochtergesellschaft haftbar gemacht wird, grundsätzlich eine Darlegung der Gründe enthalten, die die Zurechnung der Zuwiderhandlung an die Muttergesellschaft rechtfertigt (Urteil Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., Rn. 75).

35

Was insbesondere eine Entscheidung der Kommission anbelangt, die im Hinblick auf bestimmte Adressaten ausschließlich auf die Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses gestützt ist, so ist festzustellen, dass die Kommission – da diese Vermutung andernfalls praktisch nicht zu widerlegen wäre – auf jeden Fall verpflichtet ist, diesen Adressaten angemessen die Gründe darzulegen, aus denen die geltend gemachten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte nicht ausgereicht haben, um die Vermutung zu widerlegen (Urteil vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C-521/09 P, Slg. 2011, I-8947, Rn. 153).

36

Die Kommission muss sich jedoch keineswegs ausschließlich auf die genannte Vermutung stützen. Sie ist nämlich durch nichts daran gehindert, durch andere Beweise oder durch eine Kombination solcher Beweise mit der genannten Vermutung darzutun, dass eine Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft ausübt (Urteil Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., Rn. 49).

37

Im vorliegenden Fall ergibt sich, wie vom Gericht in Rn. 91 des angefochtenen Urteils festgestellt, aus der streitigen Entscheidung, insbesondere aus deren Erwägungsgründen 335, 348 bis 356 und 358, dass sich die Kommission für die Feststellung, dass Alstom für die Zuwiderhandlungen ihrer Tochtergesellschaften, die ihr zu 100 % gehörten, hafte, letztlich nicht ausschließlich auf die Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses, sondern vielmehr auf die sogenannte Methode der „doppelten Grundlage“ gestützt hat, indem sie diese Vermutung mit anderen Beweisen, im vorliegenden Fall mit im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Angaben zum Sachverhalt, kombiniert hat, die diese Vermutung bestätigen (vgl. entsprechend Urteil Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., Rn. 50).

38

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 25 und 26 seiner Schlussanträge vorgetragen hat, kann der Kommission in Anbetracht der Ausführungen in der streitigen Entscheidung nicht vorgeworfen werden, sie habe keine den Anforderungen der Rechtsprechung entsprechende ausführliche Begründung für die Zurechnung der Verantwortung für die fragliche Zuwiderhandlung an Alstom gegeben.

39

Eine solche Begründung entspricht dem mit der Pflicht zur Begründung einer Einzelentscheidung angestrebten Ziel, neben der Ermöglichung einer gerichtlichen Überprüfung den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die Entscheidung eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht (vgl. entsprechend Urteil vom 8. Mai 2013, ENI/Kommission, C‑508/11 P, Rn. 71).

40

Was insbesondere die Gesichtspunkte angeht, die Alstom in den Nrn. 90 bis 150 ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte zur Widerlegung der Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses vorgetragen hat, so hat die Kommission zwar nicht alle im Einzelnen behandelt, sie hat jedoch das betroffene Unternehmen so ausreichend unterrichtet, dass es erkennen konnte, ob diese Entscheidung richtig oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht, und auch ausreichend genug, um dem Gericht die Überprüfung der Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu ermöglichen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P bis C-208/02 P und C-213/02 P, Slg. 2005, I-5425, Rn. 462, sowie ENI/Kommission, Rn. 72).

41

Wie der Generalanwalt in Nr. 28 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hat die Kommission im Rahmen der ausführlichen Begründung, weshalb Alstom nach der in der streitigen Entscheidung dargelegten Methode der doppelten Grundlage die Verantwortung für die fragliche Zuwiderhandlung zuzurechnen sei, insbesondere eine Gesamtwürdigung des Vorbringens von Alstom in den Nrn. 90 bis 150 ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte – soweit es im Hinblick auf die Widerlegung der Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses erheblich sein konnte – vorgenommen.

42

Bei einer Entscheidung wie der streitigen – mit der, wie bereits in Rn. 37 des vorliegenden Urteils ausgeführt, der Muttergesellschaft nach der Methode der doppelten Grundlage die Verantwortlichkeit für eine von ihrer Tochtergesellschaft begangene Zuwiderhandlung zugerechnet wird, indem die Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses mit in dieser Entscheidung eingehend dargelegten Beweisen kombiniert wird ‐ entspricht eine solche Gesamtwürdigung grundsätzlich dem Umfang der der Kommission obliegenden Begründungspflicht, da die Muttergesellschaft ihr entnehmen kann, aus welchen Gründen die Kommission ihr die Verantwortung für die von ihrer Tochtergesellschaft begangene Zuwiderhandlung zugerechnet hat.

43

Die Gesellschaften der Alstom-Gruppe haben im Übrigen nicht erläutert, inwieweit die angeblich mangelhafte Begründung der streitigen Entscheidung sie daran gehindert haben soll, sich vor dem Gericht sachgerecht zu verteidigen, oder dieses daran gehindert haben soll, seine Kontrollaufgabe wahrzunehmen. Die vom Gericht in den Rn. 93 bis 97 des angefochtenen Urteils vorgenommene eingehende Prüfung des Vorbringens von Alstom zur Widerlegung der Vermutung eines bestimmenden Einflusses zeigt im Gegenteil, dass sich Alstom vor dem Gericht sachgerecht verteidigen konnte und Letzteres in der Lage war, seine Kontrollaufgabe wahrzunehmen (vgl. entsprechend Beschlüsse vom 7. Februar 2012, Total und Elf Aquitaine/Kommission, C‑421/11 P, Rn. 57, und vom 13. September 2012, Total und Elf Aquitaine/Kommission, C‑495/11 P, Rn. 50).

44

Außerdem ist hinsichtlich des Umfangs der erforderlichen Begründung vorab darauf hinzuweisen, dass ‐ anders als in dem Fall, der dem Urteil vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission (C-521/09 P, Slg. 2011, I-8947), zugrunde lag, auf das sich die Gesellschaften der Alstom-Gruppe berufen – diese sich hier nicht mit der ersten Entscheidung der Kommission konfrontiert sahen, in der diese sich in Abweichung von ihrem gewohnten Vorgehen ausschließlich auf die Vermutung eines von der Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaft ausgeübten bestimmenden Einflusses gestützt hat, um der Muttergesellschaft die Zuwiderhandlung zuzurechnen (vgl. entsprechend Beschluss vom 7. Februar 2012, Total und Elf Aquitaine/Kommission, Rn. 58).

45

Schließlich war die Kommission entgegen dem Vorbringen der Gesellschaften der Alstom-Gruppe durch nichts daran gehindert, sich im Rahmen der Prüfung, ob Alstom die von ihren Tochtergesellschaften begangene Zuwiderhandlung zuzurechnen ist, auch, wie sich aus Rn. 97 des angefochtenen Urteils ergibt, auf von dritter Seite, im vorliegenden Fall von den Gesellschaften der Areva-Gruppe, beigebrachte Angaben zu stützen.

46

Daraus folgt, dass der von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe vorgetragene erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen ist.

ii) Zum zweiten Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten ersten Rechtsmittelgrundes

47

Mit dem zweiten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes, der Rn. 200 des angefochtenen Urteils betrifft, rügen die Gesellschaften der Alstom-Gruppe, das Gericht habe nicht beanstandet, dass die Kommission nicht näher begründet habe, weshalb sie Alstom und der Areva T&D SA als Gesamtschuldnerinnen eine Geldbuße auferlegt habe, obwohl diese Gesellschaften zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung nicht mehr ein Unternehmen gebildet hätten.

48

Dieser zweite Teil ist zurückzuweisen.

49

Kann nämlich die Zuwiderhandlung einer Tochtergesellschaft ihrer Muttergesellschaft zugerechnet werden, kann nach ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen werden, dass diese Unternehmen während der Dauer der Zuwiderhandlung Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit waren und damit ein einziges Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts der Union bildeten. Unter diesen Umständen kann die Kommission anschließend die Muttergesellschaft als Gesamtschuldnerin für die von ihrer Tochtergesellschaft in der fraglichen Zeit begangene Zuwiderhandlung und damit für die ihrer Tochtergesellschaft auferlegte Geldbuße haftbar machen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission sowie Kommission/Alliance One International u. a., Rn. 44 und 47 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

50

In Anbetracht dieses anerkannten Grundsatzes hat das Gericht in Rn. 200 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt, dass die Kommission mit der streitigen Entscheidung davon ausgehen konnte, dass die Tatsache allein, dass die Tochtergesellschaft, die die Zuwiderhandlung begangen hatte, und die Muttergesellschaft, der diese Zuwiderhandlung zugerechnet werden konnte, zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung, mit der die Kommission die Zuwiderhandlung festgestellt hat, nicht mehr zu derselben wirtschaftlichen Einheit und damit nicht mehr zu ein und demselben Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG gehörten, die Kommission nicht daran hindern kann, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, eine von diesen Gesellschaften als Gesamtschuldnerinnen zu zahlende Geldbuße zu verhängen, so dass dieser Punkt keiner näheren Begründung bedurfte.

51

Da sich aus der Prüfung des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten ersten Teils des ersten Rechtsmittelgrundes ergibt, dass die streitige Entscheidung insoweit rechtlich hinreichend begründet ist, als Alstom die Gründe zur Kenntnis nehmen konnte, aus denen die Kommission ihr die Verantwortung für die von ihren Tochtergesellschaften begangene Zuwiderhandlung zugerechnet hatte, und das Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen konnte, kann diesem daher nicht vorgeworfen werden, es nicht beanstandet zu haben, dass die Kommission zu der Frage der Verhängung einer gesamtschuldnerisch zu zahlenden Geldbuße gegenüber Gesellschaften, die nicht mehr ein und dasselbe Unternehmen bildeten, keine nähere Begründung gegeben hat.

52

Dies gilt umso mehr, wenn, wie der Generalanwalt in den Nrn. 39 und 40 seiner Schlussanträge festgestellt hat, die Verhängung einer solchen Geldbuße gegen Gesellschaften, die zum Zeitpunkt des Erlasses der Kommissionsentscheidung nicht mehr demselben Unternehmen angehören, nicht von der früheren Praxis der Kommission abweicht, so dass die Anforderungen an die erforderliche Begründung geringer sind.

53

Daraus folgt, dass der von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe vorgetragene zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes und dieser deshalb insgesamt zurückzuweisen ist.

b) Zum ersten Rechtsmittelgrund von Areva und zum zweiten Rechtsmittelgrund der Gesellschaften der Alstom-Gruppe, mit denen sie dem Gericht vorwerfen, die ihm obliegende Begründungspflicht verletzt zu haben

54

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung aus der Begründung eines Urteils die Überlegungen des Gerichts klar und eindeutig hervorgehen müssen, so dass die Betroffenen die Gründe für die Entscheidung des Gerichts erkennen können und der Gerichtshof seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (vgl. u. a. Urteil ENI/Kommission, Rn. 74).

55

Die Begründungspflicht verlangt aber nicht, dass das Gericht bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend behandelt. Die Begründung kann daher implizit erfolgen, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die Gründe zu erkennen, aus denen das Gericht ihrer Argumentation nicht gefolgt ist, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben liefert, damit er seine Kontrollfunktion ausüben kann (vgl. u. a. Urteil vom 11. Juli 2013, Ziegler/Kommission, C‑439/11 P, Rn. 82).

56

Außerdem darf der Unionsrichter im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle im Sinne von Art. 263 AEUV auf keinen Fall die vom Urheber der angefochtenen Handlung gegebene Begründung durch seine eigene ersetzen (vgl. u. a. Urteil vom 24. Januar 2013, Frucona Košice/Kommission, C‑73/11 P, Rn. 89 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57

Dem Gericht kann jedoch nicht vorgeworfen werden, hinsichtlich der Zurechnung einer von einer Tochtergesellschaft begangenen Zuwiderhandlung an ihre Muttergesellschaft die Begründung der Kommission durch seine eigene ersetzt zu haben, wenn sich die Begründung des fraglichen Urteils auf die Gesichtspunkte bezieht, die die Kläger vor dem Gericht zur Widerlegung der Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses vorgetragen haben und die von ihm im Rahmen der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung zu prüfen sind (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 7. Februar 2012, Total und Elf Aquitaine/Kommission, Rn. 65, und vom 13. September 2012, Total und Elf Aquitaine/Kommission, Rn. 60).

i) Zum ersten Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten zweiten Rechtsmittelgrundes

58

Mit dem ersten Teil ihres zweiten Rechtsmittelgrundes rügen die Gesellschaften der Alstom-Gruppe, das Gericht habe in den Rn. 102 bis 110 des angefochtenen Urteils die Begründung der Kommission durch seine eigene ersetzt. In diesen Randnummern habe es die von Alstom in den Nrn. 90 bis 150 ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegten Gesichtspunkte geprüft, mit denen für die Zeit vom 7. Dezember 1992 bis zum 8. Januar 2004 die Vermutung der Ausübung eines bestimmenden Einflusses habe widerlegt werden sollen. In der streitigen Entscheidung seien diese Gesichtspunkte jedoch nicht gewürdigt worden, und deshalb habe das Gericht der Begründung der streitigen Entscheidung eine derartige Würdigung hinzugefügt.

59

Diese Argumentation beruht auf der Prämisse, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung die von Alstom in den Nrn. 90 bis 150 ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegten Gesichtspunkte nicht ordnungsgemäß geprüft hat.

60

Wie sich jedoch aus der Prüfung des ersten von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten Rechtsmittelgrundes ergibt, ist diese Prämisse falsch, denn in Rn. 42 des vorliegenden Urteils ist festgestellt worden, dass die streitige Entscheidung hinsichtlich der Frage, ob Alstom die Zuwiderhandlung ihrer Tochtergesellschaften zugerechnet werden kann, eine ausreichende Begründung enthält, die eine Gesamtwürdigung der von Alstom in den Nrn. 90 bis 150 ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegten Gesichtspunkte einschließt.

61

Wie sich aus Rn. 57 des vorliegenden Urteils ergibt, kann dem Gericht außerdem nicht vorgeworfen werden, die in der streitigen Entscheidung enthaltene Begründung zu den fraglichen Nrn. 90 bis 150 in den Rn. 102 bis 110 des angefochtenen Urteils weiterentwickelt zu haben, da es dort lediglich die von Alstom im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Argumente und Beweise eingehender geprüft hat.

62

Demzufolge ist der erste Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten zweiten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

ii) Zum ersten Rechtsmittelgrund von Areva und zum zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes der Gesellschaften der Alstom-Gruppe

– Vorbringen der Parteien

63

Areva beanstandet mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund, der sich auf die Rn. 144 bis 152 des angefochtenen Urteils bezieht, dass das Gericht die ihm obliegende Begründungspflicht und ihre Verteidigungsrechte verletzt habe.

64

Zunächst habe es in Rn. 150 des angefochtenen Urteils die Begründung der Kommission durch seine eigene Begründung ersetzt, indem es der streitigen Entscheidung zwei neue Gesichtspunkte hinzugefügt habe, um das Vorbringen zurückzuweisen, Areva und Areva T&D Holding hätten in der Zeit vom 9. Januar bis zum 11. Mai 2004 keine hinreichende Erfahrung im Geschäftsbereich T&D gehabt, um tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf das Verhalten der Areva T&D SA und der Areva T&D AG (im Folgenden zusammen: T&D-Tochtergesellschaften) ausüben zu können.

65

Diese neuen Gesichtspunkte bestünden in der Feststellung, dass sich nicht ausschließen lasse, dass Areva und Areva T&D Holding in der Zeit zwischen dem Abschluss des Vertrags über die Übertragung der T&D-Tochtergesellschaften von Alstom im September 2003 bis zu deren tatsächlichen Übertragung am 8. Januar 2004 Kenntnisse im Geschäftsbereich T&D hätten erwerben können, und dass sich auch nicht ausschließen lasse, dass Areva sich durch die Einstellung einer neuen Führungskraft für diese Tochtergesellschaften von außerhalb der Gruppe das Fachwissen im Geschäftsbereich T&D habe verschaffen können.

66

Die Erwägungen des Gerichts ermöglichten es nicht, nachzuvollziehen, aus welchen Gründen es ihrem Vorbringen nicht gefolgt sei. Deshalb sei das angefochtene Urteil mit einem Begründungsmangel behaftet.

67

Schließlich habe das Gericht auch die Verteidigungsrechte von Areva verletzt. Zum einen habe es dadurch, dass es sich auf Gesichtspunkte gestützt habe, die in Wirklichkeit Annahmen oder hypothetische Szenarien seien, die Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses unwiderlegbar gemacht und ihr für den Nachweis, dass sie tatsächlich keinen bestimmenden Einfluss auf die T&D-Tochtergesellschaften ausgeübt habe, eine probatio diabolica auferlegt, indem es von ihr einen Negativbeweis, nämlich den Nachweis gefordert habe, dass sie sich nicht in das Verhalten ihrer Tochtergesellschaften eingemischt habe. Das Gericht habe ihr nicht die Möglichkeit gegeben, sich zu diesen beiden neuen Gesichtspunkten, die es der streitigen Entscheidung hinzugefügt habe, zu äußern.

68

Mit dem zweiten Teil ihres zweiten Rechtsmittelgrundes rügen die Gesellschaften der Alstom-Gruppe, das Gericht habe seine Begründungspflicht verletzt. Sie tragen damit im Wesentlichen die gleiche Rüge vor wie Areva im Rahmen ihres ersten Rechtsmittelgrundes.

69

Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück. Sie trägt insbesondere vor, der von Areva geltend gemachte Rechtsmittelgrund sei unzulässig, weil Areva damit in Wirklichkeit die Beweiswürdigung des Gerichts rüge.

– Würdigung durch den Gerichtshof

70

Erstens ist das Vorbringen von Areva, mit dem sie – erstmals im Zeitpunkt ihrer Erwiderung – rügt, das Gericht habe nicht beanstandet, dass die Kommission im Rahmen der Prüfung, ob Areva tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf die T&D-Tochtergesellschaften ausgeübt habe, ihre Begründungspflicht verletzt habe, als unzulässig zurückzuweisen.

71

Dieses Vorbringen unterscheidet sich grundlegend von ihren im Rechtsmittelschriftsatz dargelegten Argumenten, die sich ausschließlich auf die Begründungspflicht des Gerichts beziehen.

72

Es ist festzustellen, dass dieses Vorbringen einen im Lauf des Verfahrens entwickelten neuen Rechtsmittel‑ und Verteidigungsgrund im Sinne der Art. 127 und 190 der Verfahrensordnung darstellt, der als unzulässig zurückzuweisen ist, da er sich nicht auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte stützt, die erst während des Verfahrens vor dem Gerichtshof zutage getreten sind (vgl. u. a. Urteil vom 19. Dezember 2013, Siemens u. a./Kommission, C‑239/11 P, C‑489/11 P und C‑498/11 P, Rn. 371 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

73

Zweitens ist das Vorbringen von Areva und den Gesellschaften der Alstom-Gruppe, das Gericht habe in Rn. 150 des angefochtenen Urteils der Begründung der streitigen Entscheidung zwei neue Gesichtspunkte hinzugefügt (siehe oben, Rn. 64 des vorliegenden Urteils), im Licht der in den Rn. 54 bis 57 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zu prüfen.

74

Insoweit ist Rn. 150 des angefochtenen Urteils im Rahmen der Ausführungen des Gerichts in den Rn. 144 bis 152 dieses Urteils zum dritten Klagegrund zu prüfen, mit dem die Gesellschaften der Areva-Gruppe vor dem Gericht geltend gemacht haben, dass die Muttergesellschaften Areva und Areva T&D Holding keine hinreichende Erfahrung im Geschäftsbereich T&D gehabt hätten, um tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf das Verhalten der T&D-Tochtergesellschaften ausüben zu können.

75

Eine solche Prüfung ergibt jedoch, wie auch der Generalanwalt in den Nrn. 65 bis 71 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dass das Gericht in Rn. 150 des angefochtenen Urteils keineswegs der in der streitigen Entscheidung enthaltenen Begründung zwei neue Gesichtspunkte hinzugefügt und damit diese Begründung durch seine eigene ersetzt hat; es ist im Rahmen der Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung vielmehr lediglich ausführlich auf die ihm gegenüber zur Widerlegung der Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses vorgetragenen Argumente eingegangen, wonach die fragliche Zuwiderhandlung den Muttergesellschaften Areva und Areva T&D Holding nicht zugerechnet werden könne, weil diese keine hinreichende Erfahrung im Geschäftsbereich T&D gehabt hätten.

76

Drittens ist das Vorbringen von Areva zurückzuweisen, sie könne anhand der Ausführungen des Gerichts zu diesen beiden neuen Gesichtspunkten, die der streitigen Entscheidung hinzugefügt worden seien, nicht nachvollziehen, inwiefern diese Gesichtspunkte es rechtfertigen könnten, die tatsächliche Ausübung eines entscheidenden Einflusses festzustellen.

77

Dazu genügt, wie sich aus Rn. 75 des vorliegenden Urteils ergibt, der Hinweis darauf, dass die Feststellung einer tatsächlichen Ausübung eines entscheidenden Einflusses nicht auf den beiden von Areva genannten Gesichtspunkten beruht. Diese sind lediglich Argumente, die das Gericht im Hinblick auf das Vorbringen entwickelt hat, das die Gesellschaften der Areva-Gruppe im Verwaltungsverfahren und anschließend vor ihm vorgetragen haben, wonach die Muttergesellschaften der genannten Gruppe aufgrund ihrer mangelnden Erfahrung im Geschäftsbereich T&D nicht in der Lage gewesen seien, tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf die betreffenden Tochtergesellschaften auszuüben.

78

Viertens ist das Vorbringen von Areva zurückzuweisen, sie sei dadurch in ihren Verteidigungsrechten verletzt worden, dass sie sich zu den beiden angeblich neuen Gesichtspunkten nicht habe äußern können. Die Verteidigungsrechte konnten nämlich keinesfalls verletzt werden, da sich aus Rn. 75 des vorliegenden Urteils ergibt, dass das Gericht mit diesen Gesichtspunkten auf das Vorbringen der Gesellschaften der Areva-Gruppe eingegangen ist.

79

Fünftens ist auch das Vorbringen von Areva als unbegründet zurückzuweisen, ihre Verteidigungsrechte seien dadurch verletzt worden, dass das Gericht ihr eine probatio diabolica auferlegt habe, indem von ihr der Nachweis verlangt werde, dass sie sich nicht in das Verhalten ihrer Tochtergesellschaften eingemischt habe.

80

Der Ansatz, den das Gericht in Bezug auf die von den Gesellschaften der Areva-Gruppe zur Widerlegung der Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses vorgetragenen Gesichtspunkte gewählt hat, stellt nämlich, insgesamt betrachtet, keine probatio diabolica dar. Gemäß der Rechtsprechung ist es Sache der Einheiten, die diese Vermutung widerlegen möchten, alle Gesichtspunkte vorzutragen, die sich auf die wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen der fraglichen Tochtergesellschaft und der Muttergesellschaft beziehen und die sie für den Nachweis als geeignet ansehen, dass sie keine wirtschaftliche Einheit darstellen (Urteil Elf Aquitaine/Kommission, Rn. 65).

81

Dass es schwierig ist, den zur Widerlegung einer Vermutung erforderlichen Gegenbeweis zu erbringen, bedeutet als solches nicht, dass die Vermutung tatsächlich unwiderlegbar wäre, vor allem wenn die Einheiten, denen gegenüber die Vermutung greift, am besten in der Lage sind, diesen Nachweis in ihrer eigenen Tätigkeitssphäre zu suchen (Urteil Elf Aquitaine/Kommission, Rn. 70).

82

Nach alledem sind der erste Rechtsmittelgrund von Areva und der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes der Gesellschaften der Alstom-Gruppe zurückzuweisen.

iii) Zum vierten Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten zweiten Rechtsmittelgrundes

83

Mit dem vierten Teil ihres zweiten Rechtsmittelgrundes rügen die Gesellschaften der Alstom-Gruppe, dass dem Gericht im angefochtenen Urteil in zweifacher Hinsicht ein Begründungsfehler unterlaufen sei, da Rn. 206 dieses Urteils nicht zu entnehmen sei, weshalb zum einen die Kommission ‐ ohne dies in der streitigen Entscheidung zu begründen ‐ Rechtssubjekten, die zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung keine wirtschaftliche Einheit mehr gebildet hätten, Geldbußen habe auferlegen können, und zum anderen die von ihnen angeführte Rechtsprechung nicht einschlägig sei.

84

Hierzu genügt in Anbetracht der Ausführungen in den Rn. 49 und 50 des vorliegenden Urteils die Feststellung, dass das Gericht nicht rechtsfehlerhaft gehandelt hat, als es in Rn. 200 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, der Kommission könne nicht vorgeworfen werden, die gesamtschuldnerisch gegen Alstom und die Areva T&D SA festgesetzte Geldbuße nicht speziell im Hinblick auf die Tatsache begründet zu haben, dass diese Gesellschaften am Tag des Erlasses der angefochtenen Entscheidung keine wirtschaftliche Einheit mehr gebildet hätten, und in Rn. 206 dieses Urteils ausgeführt hat, dass aus der Rechtsprechung nicht hervorgehe, dass nur gegen Gesellschaften, die am Tag des Erlasses der Entscheidung über die Festsetzung der Geldbuße eine wirtschaftliche Einheit bildeten, eine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße festgesetzt werden könnte.

85

Demzufolge ist der vierte Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten zweiten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

86

Daraus folgt, dass der erste Rechtsmittelgrund von Areva und der zweite Rechtsmittelgrund der Gesellschaften der Alstom-Gruppe, mit Ausnahme des dritten Teils des letztgenannten Rechtsmittelgrundes, der später geprüft wird, zurückzuweisen sind.

c) Zum dritten Rechtsmittelgrund der Gesellschaften der Alstom-Gruppe, mit dem ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV, insbesondere gegen die Regeln über die Zurechnung der Zuwiderhandlung, sowie gegen die Grundsätze des Rechts auf ein faires Verfahren und der Unschuldsvermutung geltend gemacht wird

i) Zum ersten Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten dritten Rechtsmittelgrundes

87

Mit dem ersten Teil ihres dritten Rechtsmittelgrundes rügen die Gesellschaften der Alstom-Gruppe, dass das Gericht im Rahmen der Anwendung der Vermutung der Ausübung eines bestimmenden Einflusses in den Rn. 84 bis 110 des angefochtenen Urteils von einer Definition der Ausübung eines bestimmenden Einflusses einer Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaft ausgegangen sei, die keinen Bezug zu einem tatsächlichen Verhalten auf dem fraglichen Markt aufweise, wodurch diese Vermutung unwiderlegbar geworden sei.

88

Es sei unangemessen, dass das Gericht dadurch, dass es die tatsächliche Ausübung eines bestimmenden Einflusses aus dem bloßen Vorliegen organisatorischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Verbindungen zwischen der Muttergesellschaft und ihren Tochtergesellschaften und nicht aus bestimmten Tatsachen im Zusammenhang mit einem tatsächlichen Verhalten auf dem fraglichen Markt abgeleitet habe, von Alstom eine probatio diabolica verlangt habe, denn sie könne die Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses nur dadurch widerlegen, dass sie das Bestehen der genannten Verbindungen und damit ihre eigene Existenz verneine.

89

Dazu ist zunächst festzustellen, dass das Gericht entgegen dem Vorbringen der Gesellschaften der Alstom-Gruppe die tatsächliche Ausübung eines bestimmenden Einflusses nicht aus dem bloßen Vorliegen organisatorischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Verbindungen zwischen der Muttergesellschaft und einer ihrer Tochtergesellschaften abgeleitet hat.

90

In Rn. 103 des angefochtenen Urteils hat es nämlich festgestellt, dass die von Alstom im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen belegen, dass die Geschäftsleitung der Alstom-Gruppe, die Alstom unterstellt war, an der Festlegung der Ausrichtung des Marktverhaltens im Geschäftsbereich T&D der Alstom-Gruppe und seiner verschiedenen Sparten beteiligt war und dass sie ständig überwachte, dass in dem genannten Geschäftsbereich und seinen verschiedenen Sparten diese Ausrichtung beibehalten wurde.

91

Sodann kann die Kommission, wie sie zutreffend ausgeführt hat, in einem Fall, in dem die Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses gelten soll und gegebenenfalls in die Methode der doppelten Grundlage, wie sie im vorliegenden Fall angewandt wurde, integriert wird, nicht zur Erbringung des Nachweises verpflichtet sein, dass sich die Muttergesellschaft tatsächlich im Rahmen konkreter Umstände im Zusammenhang mit einem tatsächlichen Verhalten auf dem fraglichen Markt die organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verbindungen mit ihren Tochtergesellschaften zunutze gemacht hat, da diese Vermutung durch eine derartige Verpflichtung sinnlos würde.

92

Im Übrigen kann, wie sich aus den Rn. 80 und 81 des vorliegenden Urteils ergibt, dem Gericht nicht vorgeworfen werden, diese Vermutung praktisch als eine unwiderlegliche Vermutung angewandt zu haben, indem es von Alstom hinsichtlich der Gesichtspunkte, die sie vorgebracht hat, um diese Vermutung zu widerlegen, eine probatio diabolica verlangt hat.

93

Was schließlich die Vereinbarkeit der Vermutung der Ausübung eines bestimmenden Einflusses mit den Grundsätzen des Rechts auf ein faires Verfahren und der Unschuldsvermutung angeht, so hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass diese Vermutung in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten legitimen Ziel steht und sich demzufolge innerhalb akzeptabler Grenzen hält. Mit ihr soll nämlich ein Gleichgewicht hergestellt werden zwischen der Bedeutung des Ziels, Verhaltensweisen, die gegen die Wettbewerbsregeln, insbesondere gegen Art. 81 EG, verstoßen, zu unterbinden und ihre Wiederholung zu verhindern, auf der einen Seite und den Anforderungen bestimmter allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts wie etwa der Grundsätze der Unschuldsvermutung, der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen und der Rechtssicherheit sowie der Verteidigungsrechte einschließlich des Grundsatzes der Waffengleichheit auf der anderen Seite (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile ENI/Kommission, Rn. 50, und vom 18. Juli 2013, Schindler Holding u. a./Kommission, C‑501/11 P, Rn. 107 und 108).

94

Demzufolge ist der erste Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten dritten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

ii) Zum zweiten Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten dritten Rechtsmittelgrundes

95

Mit dem zweiten Teil ihres dritten Rechtsmittelgrundes werfen die Gesellschaften der Alstom-Gruppe dem Gericht vor, in den Rn. 144 bis 152 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft die streitige Entscheidung bestätigt zu haben, soweit dort festgestellt worden sei, dass die Areva T&D Holding in der Zeit vom 9. Januar bis zum 11. Mai 2004 tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf die Areva T&D SA und die Areva T&D AG ausgeübt habe. Um die Beurteilung der Kommission zu rechtfertigen, habe sich das Gericht in Rn. 150 des angefochtenen Urteils auf die beiden Gesichtspunkte gestützt, die Areva bereits im Rahmen ihres ersten Rechtsmittelgrundes gerügt habe (siehe oben, Rn. 65 des vorliegenden Urteils).

96

Dazu ist festzustellen, dass sich die in diesem Zusammenhang vorgetragenen Argumente der Gesellschaften der Alstom-Gruppe weitgehend mit denen überschneiden, die Areva im Rahmen ihres ersten Rechtsmittelgrundes gegen dieselben Randnummern des angefochtenen Urteils gerichtet hat.

97

Diese Argumente hat der Gerichtshof jedoch bereits in Rn. 77 des vorliegenden Urteils im Rahmen der Würdigung des ersten von Areva geltend gemachten Rechtsmittelgrundes zurückgewiesen, aus der sich ergibt, dass das Gericht bei der Prüfung einer Reihe von Argumenten, die Areva zur Widerlegung der Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses geltend gemacht hatte, die zwei fraglichen Gesichtspunkte geprüft und mit sorgfältig und wohl abgewogenen Worten festgestellt, dass sie für den Nachweis, dass keine tatsächliche Ausübung eines bestimmenden Einflusses vorliege, nicht geeignet seien.

98

Damit hat das Gericht, wie in den Rn. 80, 81 und 92 des vorliegenden Urteils ausgeführt, von Alstom keineswegs eine probatio diabolica verlangt und die Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses unwiderlegbar gemacht.

99

Ferner ist das Vorbringen von Alstom insoweit unzulässig, als sie dem Gericht außerdem vorwirft, diese beiden Gesichtspunkte sachlich unzutreffend gewürdigt zu haben, ohne jedoch darzutun, inwiefern sie verfälscht worden sein sollen.

100

Daraus folgt, dass auch der zweite Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten dritten Rechtsmittelgrundes keinen Erfolg haben kann, so dass der dritte Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen ist.

2. Zu den Rechtsmittelgründen betreffend die Anwendung der Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für Geldbußen

101

Areva – mit ihrem zweiten und ihrem dritten Rechtsmittelgrund – und die Gesellschaften der Alstom-Gruppe – mit dem dritten Teil ihres zweiten Rechtsmittelgrundes und ihrem vierten Rechtsmittelgrund – rügen mehrere Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Auslegung und der Anwendung der Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung von Geldbußen, die die Kommission gegen verschiedene juristische Personen verhängt, die als Gesamtschuldner haften, weil sie zu ein und demselben Unternehmen gehören, das eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Union für schuldig befunden wurde.

102

Eine erste Gruppe der von den Rechtsmittelführerinnen geltend gemachten Argumente betrifft die „faktische“ gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der Geldbuße, die die Kommission Areva und Alstom in deren Eigenschaft als aufeinanderfolgende Muttergesellschaften von Tochtergesellschaften, die Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht begangen hätten, auferlegt habe. Das Gericht habe diese Haftung nicht beanstandet, obwohl sie insbesondere gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der individuellen Zumessung von Strafen verstoße.

103

Die zweite Gruppe von Argumenten, mit denen die Rechtsmittelführerinnen einen Verstoß gegen dieselben Grundsätze sowie gegen Art. 7 EG und die Begründungspflicht geltend machen, bezieht sich auf bestimmte Ausführungen im angefochtenen Urteil zur Haftung im Innenverhältnis, d. h. auf eine Reihe vom Gericht angeführter Grundsätze, die die Bestimmung der Anteile an der Geldbuße betreffen, die von den gesamtschuldnerisch in Anspruch genommenen Mitschuldnern im Innenverhältnis zu übernehmen sind, nachdem der Kommission die gesamte Geldbuße von einem oder mehreren der Gesamtschuldner gezahlt wurde.

a) Zu den Argumenten in Bezug auf die den Muttergesellschaften Areva und Alstom auferlegte faktische gesamtschuldnerische Haftung

i) Vorbringen der Parteien

104

Die Rechtsmittelführerinnen rügen, das Gericht habe dadurch gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der individuellen Zumessung von Strafen verstoßen, dass es nicht die Art und Weise beanstandet habe, wie die Kommission die Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung von Geldbußen angewandt habe. Die Kommission habe nämlich Alstom und Areva, zwei aufeinanderfolgenden Muttergesellschaften von Tochtergesellschaften, die gegen die Wettbewerbsregeln der Union verstoßen hätten, eine faktische gesamtschuldnerische Haftung auferlegt, obwohl diese Muttergesellschaften niemals eine wirtschaftliche Einheit miteinander gebildet hätten.

105

Areva fügt hinzu, das Gericht habe ferner gegen die genannten Grundsätze verstoßen, indem es im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung geänderte Geldbußen verhängt habe, die ebenfalls zu einer faktischen gesamtschuldnerischen Haftung geführt hätten.

106

Die Gesellschaften der Alstom-Gruppe tragen vor, diese faktische gesamtschuldnerische Haftung ergebe sich zum einen daraus, dass der gesamtschuldnerisch gegen Areva und die T&D-Tochtergesellschaften festgesetzte Betrag von 25500000 Euro (vom Gericht herabgesetzt auf 20400000 Euro) Teil des gesamtschuldnerisch gegen Alstom und deren ehemalige Tochtergesellschaft Areva T&D SA festgesetzten Betrags von 53550000 Euro (vom Gericht herabgesetzt auf 48195000 Euro) sei, und zum anderen daraus, dass die Summe der Höchstbeträge, für die die aufeinanderfolgenden Muttergesellschaften hafteten, den von der Tochtergesellschaft zu zahlenden Betrag übersteige.

107

Diese Technik der „kaskadierenden“ Bestimmung der Geldbuße führe zu einer faktischen gesamtschuldnerischen Haftung von Alstom und Areva, denn der Betrag, den die Kommission tatsächlich bei einer Muttergesellschaft einziehe, wirke sich unmittelbar auf den Betrag aus, den die Kommission von der anderen Muttergesellschaft verlangen könne, obwohl diese Gesellschaften niemals demselben Unternehmen im Sinne der Regeln des Wettbewerbsrechts der Union angehört hätten. Außerdem könnten die Muttergesellschaften bei einer solchen Technik den genauen Betrag der Geldbuße, die jede von ihnen zu zahlen habe, nicht klar erkennen.

108

Im Urteil vom 13. September 2010, Trioplast Industrier/Kommission (T-40/06, Slg. 2010, II-4893), habe das Gericht in einem Fall von aufeinanderfolgenden Muttergesellschaften von Tochtergesellschaften, die im Wesentlichen die gleichen Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht begangen hätten, wie sie in den vorliegenden Rechtssachen begangen worden seien, entschieden, dass eine derartige Technik zur Bestimmung des externen Haftungsverhältnisses dem Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen zuwiderlaufe.

109

Nach Ansicht der Kommission sind die von den Rechtsmittelführerinnen geltend gemachten Rechtsmittelgründe neu und daher unzulässig, soweit mit ihnen gerügt wird, dass das Gericht nicht beanstandet habe, dass die Kommission eine faktische gesamtschuldnerische Haftung der Muttergesellschaften Areva und Alstom begründet habe. Es handele sich um Gründe, die diese Gesellschaften im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht hätten, obwohl ihnen dies möglich gewesen sei. Die die Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung betreffenden Klagegründe hätten sich nur auf die echte oder „rechtliche“ gesamtschuldnerische Haftung der Areva T&D SA und ihrer aufeinanderfolgenden Muttergesellschaften Alstom und Areva bezogen, wie sie in der streitigen Entscheidung festgelegt sei.

110

In der Sache trägt die Kommission hilfsweise vor, die Veräußerung der Areva T&D SA im Zeitraum der fraglichen Zuwiderhandlung habe zu einer doppelten gesamtschuldnerischen Haftung dieser Tochtergesellschaft mit ihren aufeinanderfolgenden Muttergesellschaften geführt. Zwar könne es bei der im vorliegenden Fall zur Definition der gesamtschuldnerischen Haftung angewandten Methode zu einer Überschneidung der von Areva und Alstom zu zahlenden Beträge kommen, doch bedeute dies nicht, dass diese Gesellschaften rechtlich als Gesamtschuldnerinnen hafteten, denn in rechtlicher Hinsicht komme es lediglich auf die gesamtschuldnerische Haftung der einzelnen Muttergesellschaften mit der übertragenen Tochtergesellschaft an.

111

Hafte eine Tochtergesellschaft gesamtschuldnerisch mit ihren aufeinanderfolgenden Muttergesellschaften, verstoße es außerdem keineswegs gegen das Unionsrecht, wenn die von diesen Gesellschaften zu zahlende Geldbuße auf der Grundlage eines Gesamtausgangsbetrags berechnet werde, der dem für die Tochtergesellschaft festgesetzten entspreche. Anders als die Rechtsmittelführerinnen vortrügen, habe das Gericht in Rn. 74 des Urteils Trioplast Industrier/Kommission die Rechtmäßigkeit dieser Methode bestätigt, die im Übrigen für die fraglichen Muttergesellschaften günstiger als andere in derartigen Fällen denkbare Methoden sei.

ii) Würdigung durch den Gerichtshof

– Zur Zulässigkeit

112

Die Kommission erhebt gegen das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, sie habe den Muttergesellschaften Areva und Alstom eine faktische gesamtschuldnerische Haftung auferlegt, eine Unzulässigkeitseinrede, indem sie geltend macht, die Rechtsmittelführerinnen hätten in ihrer Klageschrift nichts derartiges vorgetragen. Im ersten Rechtszug hätten sie lediglich die rechtliche gesamtschuldnerische Haftung der Areva T&D SA und ihrer aufeinanderfolgenden Muttergesellschaften in Frage gestellt. Es handele sich daher um neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel, die im Rechtsmittelverfahren unzulässig seien.

113

Insoweit ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung, dass einer Partei, wenn sie vor dem Gerichtshof erstmals ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorbringen könnte, das sie vor dem Gericht nicht vorgebracht hat, letztlich gestattet würde, den Gerichtshof mit einem weiter reichenden Rechtsstreit zu befassen, als ihn das Gericht zu entscheiden hatte. Im Rahmen eines Rechtsmittels kann der Gerichtshof grundsätzlich nur überprüfen, wie das Gericht die vor ihm erörterten Angriffs- und Verteidigungsmittel gewürdigt hat (vgl. u. a. Urteil Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission, Rn. 111).

114

Ein Argument, das im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurde, ist jedoch dann kein neues, im Rechtsmittelverfahren unzulässiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel, wenn es lediglich eine Erweiterung eines bereits vor dem Gericht geltend gemachten Arguments darstellt (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Siemens u. a./Kommission, Rn. 287).

115

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 117 bis 120 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, ist festzustellen, dass Alstom in ihrer Klageschrift im Rahmen ihres zweiten Klagegrundes ‐ mit dem sie einen Verstoß gegen die Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung von Geldbußen, die sich insbesondere aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der individuellen Zumessung von Strafen ergäben, gerügt hat ‐ ausdrücklich die Technik zur Bestimmung der Geldbuße beanstandet hat, nach der die Geldbuße, für die Areva mit ihren ehemaligen T&D-Tochtergesellschaften gesamtschuldnerisch hafte, mit der Geldbuße, für die Alstom mit der Areva T&D SA gesamtschuldnerisch hafte, zusammengefasst worden sei.

116

Auch wenn Alstom daher im ersten Rechtszug nicht ausdrücklich gerügt hat, dass die Kommission von einer „faktischen“ gesamtschuldnerischen Haftung ausgegangen ist, hat sie doch, gestützt auf dieselbe Rechtsgrundlage wie die mit dem Rechtsmittelgrund geltend gemachte, die einer solchen Haftung zugrunde liegende Technik bestandet. Folglich handelt es sich bei dem Vorbringen von Alstom zu dieser faktischen gesamtschuldnerischen Haftung nicht um einen neuen, im Rechtsmittelverfahren unzulässigen Rechtsmittel- oder Verteidigungsgrund, da es lediglich eine Erweiterung eines bereits vor dem Gericht geltend gemachten Arguments darstellt.

117

Zu Areva ist festzustellen, dass diese vor dem Gericht einen Klagegrund geltend gemacht hat, mit dem ein Verstoß gegen die sich aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit ergebenden Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung gerügt wurde und der teilweise mit dem Rechtsmittelgrund übereinstimmt, mit dem die faktische gesamtschuldnerische Haftung gerügt wird. Dieser Klagegrund bezog sich als solcher zwar lediglich auf die rechtliche gesamtschuldnerische Haftung von Areva T&D SA und Alstom, doch hat Areva in diesem Zusammenhang Fragen zur doppelten gesamtschuldnerischen Haftung der Areva T&D SA zusammen mit ihren aufeinanderfolgenden Muttergesellschaften aufgeworfen.

118

Darüber hinaus hat das Gericht, wie Areva ausgeführt hat, in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung eine Geldbuße nach derselben Methode der „kaskadierenden“ Bestimmung der Geldbuße verhängt. Das Gericht hat sich also auf diese Methode gestützt, so dass das Vorbringen, aus der genannten Methode ergebe sich eine faktische gesamtschuldnerische Haftung, auf das angefochtene Urteil zurückgeht und diese Methode im Rechtsmittelverfahren in Frage gestellt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. April 2014, Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, C‑231/11 P bis C‑233/11 P, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung).

119

Unter diesen Umständen ist die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.

– Zur Begründetheit

120

Gemäß der Rechtsprechung ist die Kommission, wenn mehrere juristische Personen für ihre Beteiligung an einem Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln der Union persönlich haftbar gemacht werden können, weil sie zu ein und demselben Unternehmen gehören, dem diese Zuwiderhandlung vorgeworfen werden kann, nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 befugt, eine gesamtschuldnerisch zu entrichtende Geldbuße gegen sie zu verhängen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 39 bis 51).

121

Übt die Kommission diese Sanktionsbefugnis aus, kann sie die gesamtschuldnerische Haftung im Außenverhältnis und insbesondere die Höhe der Geldbuße, deren Zahlung sie in vollem Umfang von jedem einzelnen Gesamtschuldner verlangen kann, jedoch nicht beliebig festsetzen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 52 und 54).

122

Da nämlich der unionsrechtliche Begriff der gesamtschuldnerischen Haftung für die Zahlung einer Geldbuße lediglich Ausdruck einer von Rechts wegen eintretenden Wirkung des Unternehmensbegriffs ist, ergibt sich die Bestimmung des Bußgeldbetrags, dessen volle Zahlung die Kommission von jedem der Gesamtschuldner fordern kann, aus der Anwendung dieses Unternehmensbegriffs im Einzelfall (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 51 und 57).

123

Um den Urheber einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht zu bestimmen, dem gemäß den Art. 81 EG und 82 EG eine Sanktion auferlegt werden kann, haben sich die Verfasser der Verträge dafür entschieden, den Unternehmensbegriff zu verwenden und keine anderen Begriffe wie den der Gesellschaft oder der juristischen Person (Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 42).

124

Auf diesen Begriff des Unternehmens hat der Unionsgesetzgeber in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 abgestellt, um die Einheit zu definieren, der die Kommission eine Geldbuße auferlegen kann, um eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union zu ahnden.

125

Nach ständiger Rechtsprechung umfasst der Begriff des Unternehmens im Wettbewerbsrecht der Union jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Unter diesem Begriff ist eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen, selbst wenn diese Einheit rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen gebildet wird (vgl. u. a. Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 43).

126

Außerdem gelten für die Kommission im Rahmen der Bestimmung der gesamtschuldnerischen Haftung im Außenverhältnis, d. h. des Verhältnisses zwischen ihr und den einzelnen Personen des Unternehmens, von denen sie verlangen kann, die gesamte diesem Unternehmen auferlegte Geldbuße zu zahlen, bestimmte Zwänge.

127

So muss sie den Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen beachten, der gebietet, dass bei der Festsetzung der Höhe der gemäß Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 gesamtschuldnerisch zu zahlenden Geldbuße sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen ist (Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 52).

128

In diesem Rahmen muss die Kommission auch den Grundsatz der Rechtssicherheit wahren, der gebietet, dass ein von den Unionsorganen erlassener Rechtsakt klar und bestimmt ist, so dass die Betroffenen die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten genau erkennen und sich darauf einstellen können (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 29. März 2011, ArcelorMittal Luxembourg/Kommission und Kommission/ArcelorMittal Luxembourg u. a., C-201/09 P und C-216/09 P, Slg. 2011, I-2239, Rn. 68).

129

Im vorliegenden Fall stellt die von der Kommission für die Festlegung der gesamtschuldnerischen Haftung der Areva T&D SA als Tochtergesellschaft und der aufeinanderfolgenden Muttergesellschaften Alstom und Areva gewählte und vom Gericht bestätigte Methode – nach der die von Areva und den Gesellschaften der Areva-Gruppe, zu denen diese Tochtergesellschaft gehörte, gesamtschuldnerisch zu entrichtende Geldbuße mit der von Alstom und der genannten Tochtergesellschaft gesamtschuldnerisch geschuldeten Geldbuße zusammengefasst wurde ‐ als solche zwar keine formale gesamtschuldnerische Beziehung zwischen den genannten Muttergesellschaften her, doch kann sie in der Praxis die gleichen Auswirkungen haben wie diejenigen, die sich aus einer solchen Beziehung ergeben.

130

Eine solche Bestimmung der gesamtschuldnerischen Haftung im Außenverhältnis kann nämlich zur Folge haben, dass eine der Muttergesellschaften zunächst der Kommission die gesamten Geldbußen zahlen muss, die von den aufeinanderfolgenden Muttergesellschaften der Tochtergesellschaft, die gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen hat, geschuldet werden, obwohl die fraglichen Muttergesellschaften niemals zum selben Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts der Union gehört haben. Nachdem die Forderung der Kommission durch die vollständige Zahlung der Geldbußen erfüllt wäre, wäre die betreffende Muttergesellschaft sodann gezwungen, von der anderen Muttergesellschaft, gegebenenfalls im Rahmen einer Klage vor einem nationalen Gericht, die Erstattung dieser Geldbußen in Höhe des auf Letztere entfallenden Anteils zu verlangen, und wäre damit der Gefahr ausgesetzt, dass diese möglicherweise zahlungsunfähig ist.

131

Eine derartige Konfiguration der gesamtschuldnerischen Haftung verstößt jedoch gegen den in Rn. 127 des vorliegenden Urteils genannten Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen. Diese Konfiguration ermöglicht es der Kommission nämlich, von einer der Muttergesellschaften die Zahlung einer Geldbuße zu verlangen, mit der Zuwiderhandlungen geahndet werden, die in Bezug auf einen anderen Teil des Zeitraums der Zuwiderhandlung einem Unternehmen vorgeworfen werden, zu dem diese Muttergesellschaft niemals gehört hat, im vorliegenden Fall einem Unternehmen, zu dem die andere Muttergesellschaft gehört, anstatt einer Geldbuße in Höhe des Anteils an der gesamtschuldnerischen Haftung des Unternehmens, zu dem die Muttergesellschaft gehörte, als es die Zuwiderhandlung beging.

132

Außerdem kann die Kommission mit dem Instrument der gesamtschuldnerischen Haftung zwar das Risiko einer etwaigen Zahlungsunfähigkeit einer der Gesellschaften, die zum selben Unternehmen gehören, verringern, was dazu beiträgt, ihrem Vorgehen mehr Wirksamkeit zu verleihen und vor Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht abzuschrecken (Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 59), doch darf dieses Instrument nicht auf eine Weise verwendet werden, die das Risiko der Insolvenz einer Gesellschaft einer anderen Gesellschaft aufbürdet, obwohl beide niemals zum selben Unternehmen gehört haben.

133

Will die Kommission eine Tochtergesellschaft, die eine Zuwiderhandlung begangen hat, zusammen mit den einzelnen Muttergesellschaften, mit denen die Tochtergesellschaft im Zeitraum der Zuwiderhandlung nacheinander jeweils ein Unternehmen gebildet hat, ahnden, gebietet dieser Grundsatz, dass die Kommission für jedes der Unternehmen die Höhe der von den zu ihm gehörenden Gesellschaften gesamtschuldnerisch zu entrichtenden Geldbuße individuell festlegt, und zwar unter Berücksichtigung sowohl der Schwere der den einzelnen Unternehmen individuell angelasteten Zuwiderhandlung als auch der Dauer der Zuwiderhandlung.

134

Aus dem Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen ergibt sich zwar nicht, dass bei einer derartigen Konfiguration der gesamtschuldnerischen Haftung jede Gesellschaft der Entscheidung, mit der ihr eine Geldbuße auferlegt wird, für deren Zahlung sie gesamtschuldnerisch mit einer oder mehreren anderen Gesellschaften haftet, entnehmen können muss, welchen Anteil sie nach Befriedigung des Anspruchs der Kommission im Verhältnis zu ihren Mitgesamtschuldnern zu tragen hat (Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 66).

135

Dagegen gebietet dieser Grundsatz im Hinblick auf die gesamtschuldnerische Haftung im Außenverhältnis, dass bei einer derartigen Konfiguration der gesamtschuldnerischen Haftung jede der aufeinanderfolgenden Muttergesellschaften einer solchen Entscheidung den von ihr zu tragenden Anteil an der gesamtschuldnerischen Haftung für die Geldbuße, der dem Teil der der Tochtergesellschaft auferlegten Geldbuße entspricht, der ihr zuzurechnen ist und den die Kommission von ihr verlangen kann, entnehmen können muss.

136

In diesem Zusammenhang ist auch festzustellen, dass der Gesamtbetrag der Geldbußen, für den Areva und Alstom gesamtschuldnerisch haftbar gemacht wurden, nämlich 25,5 Mio. Euro (vom Gericht herabgesetzt auf 20,4 Mio. Euro) bzw. 53,55 Mio. Euro (vom Gericht herabgesetzt auf 48,195 Mio. Euro), höher ist als die Geldbuße von 53,55 Mio. Euro (vom Gericht herabgesetzt auf 48,195 Mio. Euro), die gegen Areva und Alstom gesamtschuldnerisch mit der Tochtergesellschaft Areva T&D SA verhängt wurde.

137

In einer Situation wie der vorliegenden wird die Haftung von Areva und Alstom als Muttergesellschaften für die begangene Zuwiderhandlung vollständig von der Haftung einer Tochtergesellschaft abgeleitet, die ihnen nacheinander gehört hat (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Januar 2013, Kommission/Tomkins, C‑286/11 P, Rn. 43 und 49).

138

Daraus folgt, dass die Gesamtsumme der Beträge, die gegen die Muttergesellschaften festgesetzt werden, nicht den Betrag übersteigen darf, der gegen diese Tochtergesellschaft festgesetzt wird.

139

Da die Bestimmung der gesamtschuldnerischen Haftung, wie sie in der streitigen Entscheidung vorgenommen und mit dem angefochtenen Urteil bestätigt wurde, den fraglichen Muttergesellschaften nicht erlaubt, genau zu erkennen, welchen Bußgeldbetrag sie für die Zeit zu zahlen haben, in der sie mit ihrer Tochtergesellschaft für die Zuwiderhandlung gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden, ist auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit festzustellen.

140

Diese Rechtsunsicherheit kann nicht durch eine Auffangregel der Haftung zu gleichen Teilen, wie sie das Gericht in Rn. 215 des angefochtenen Urteils aufgestellt hat, ausgeglichen werden, nach der in Ermangelung einer in der Entscheidung der Kommission, mit der gegen mehrere Gesellschaften eine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße verhängt wurde, getroffenen Feststellung, dass bestimmte Gesellschaften innerhalb eines Unternehmens für dessen Beteiligung am Kartell in einem bestimmten Zeitraum mehr Verantwortung tragen als andere, anzunehmen ist, dass ihr Verantwortungsbeitrag und damit auch ihr Anteil an den ihnen als Gesamtschuldner auferlegten Beträgen gleich hoch ist.

141

Das Unionsrecht enthält nämlich keine solche Regel (Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 70 und 71). Im Übrigen betrifft diese Regel jedenfalls nur die interne Aufteilung der Geldbuße zwischen den einzelnen Gesamtschuldnern nach Befriedigung des Anspruchs der Kommission, und nicht im Außenverhältnis der Gesamtschuld die Festsetzung der Beträge, die die Kommission von den juristischen Personen verlangen kann, die den einzelnen während der Dauer der Zuwiderhandlung aufeinanderfolgenden Unternehmen angehört haben.

142

Schließlich steht, wie der Generalanwalt in Nr. 141 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, das Argument der Kommission, sie habe die von der Tochtergesellschaft, die die Zuwiderhandlung begangen hat, und von deren aufeinanderfolgenden Muttergesellschaften zu zahlende Geldbuße allein anhand des für die Tochtergesellschaft festgesetzten Gesamtausgangsbetrags berechnen können, der Schlussfolgerung nicht entgegen, dass die von der Kommission gewählte und vom Gericht bestätigte Ausgestaltung der Gesamtschuldnerschaft einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen darstellt.

b) Zu den Argumenten betreffend die interne Aufteilung der Geldbuße zwischen den einzelnen Gesamtschuldnern

i) Vorbringen der Parteien

143

Erstens rügen die Rechtsmittelführerinnen, das Gericht habe dadurch gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen verstoßen, dass es in Rn. 215 des angefochtenen Urteils entschieden habe, dass in Anbetracht der in Rn. 140 des vorliegenden Urteils angeführten Auffangregel einer Haftung zu gleichen Teilen jede Gesellschaft, gegen die eine Sanktion verhängt worden sei, der streitigen Entscheidung den Anteil habe entnehmen können, den sie im Innenverhältnis zu ihren Mitgesamtschuldnern zu tragen habe. Eine solche Auffangregel laufe nämlich dem Begriff der gesamtschuldnerischen Haftung im Sinne des Unionsrechts zuwider.

144

Zweitens machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, das Gericht habe gestützt auf die Regel einer Haftung zu gleichen Teilen in Rn. 236 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft festgestellt, die Kommission habe ihre Befugnis, den jeweiligen Anteil der Gesellschaften an der Geldbuße festzulegen, nicht einem nationalen Richter oder Schiedsrichter übertragen. Wenn die Kommission es nämlich unterlasse, den Anteil der einzelnen Mitschuldner festzulegen, übertrage sie diese Befugnis unter Verstoß gegen Art. 7 EG stillschweigend auf einen Dritten, d. h. auf einen nationalen Richter oder Schiedsrichter.

145

Drittens tragen die Rechtsmittelführerinnen vor, das Gericht habe gegen seine Begründungspflicht verstoßen, als es ihr Vorbringen zurückgewiesen habe, mit dem sie einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und, gestützt auf die Regel einer Haftung zu gleichen Teilen, eine rechtswidrige Übertragung von Befugnissen geltend gemacht hätten. Damit habe das Gericht den Inhalt der streitigen Entscheidung durch das Hinzufügen von Gründen geändert, die im Übrigen dem Willen der Kommission widersprächen.

146

Nach Ansicht der Kommission ist der Rechtsmittelgrund einer rechtswidrigen Übertragung von Befugnissen neu und deshalb unzulässig, auf jeden Fall jedoch unbegründet, weil er von der unzutreffenden Prämisse ausgehe, dass sie befugt sei, die Anteile der einzelnen Gesamtschuldner im Innenverhältnis festzulegen, obwohl ihre Sanktionsbefugnis lediglich das Außenverhältnis der Gesamtschuld betreffe. Demgegenüber stimmt sie im Wesentlichen der Rüge zu, mit der die Regel einer Haftung zu gleichen Teilen, wie sie das Gericht in Rn. 215 des angefochtenen Urteils aufgestellt hat, beanstandet wird, beantragt jedoch, die Begründung zu ersetzen, um die Rügen zurückzuweisen, mit denen ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen geltend gemacht wird.

ii) Würdigung durch den Gerichtshof

147

Zunächst ist die von der Kommission geltend gemachte Einrede der Unzulässigkeit hinsichtlich des Vorbringens der Gesellschaften der Alstom-Gruppe, es liege eine rechtswidrige Übertragung der Strafbefugnis vor, zurückzuweisen.

148

Da nämlich eine Partei sämtliche sie beschwerenden Gründe eines Urteils anfechten können muss, kann, wenn das Gericht zwei Rechtssachen verbunden und ein einziges Urteil erlassen hat, das auf sämtliche von den Parteien im Verfahren vor dem Gericht vorgetragenen Angriffs- und Verteidigungsmittel eingeht, jede Partei Erwägungen beanstanden, die sich auf vor dem Gericht allein von der Klägerin in der anderen verbundenen Rechtssache geltend gemachte Angriffs- und Verteidigungsmittel beziehen, soweit sie durch diese Erwägungen beschwert ist (Urteil vom 11. Juli 2013, Team Relocations u. a./Kommission, C‑444/11 P, Rn. 34).

149

Zur Begründetheit des Vorbringens der Rechtsmittelführerinnen zu den Rn. 215 und 236 des angefochtenen Urteils ist erstens festzustellen, dass diese Randnummern auf der in Rn. 214 dieses Urteils dargelegten Prämisse beruhen, wonach die der Kommission in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 eingeräumte Befugnis, eine Geldbuße zu verhängen, die von mehreren juristischen Personen, die zu ein und demselben Unternehmen gehören, gesamtschuldnerisch zu entrichten ist, die alleinige Befugnis einschließt, die Anteile an der Geldbuße festzulegen, die die einzelnen Gesamtschuldner in ihrem Innenverhältnis zu tragen haben, nachdem die Geldbuße vollständig gezahlt und infolgedessen der Anspruch der Kommission befriedigt wurde.

150

Mit der Zugrundelegung dieser Prämisse hat das Gericht jedoch einen Rechtsfehler begangen.

151

Die der Kommission eingeräumte Sanktionsbefugnis beschränkt sich nämlich auf die Festsetzung des von den juristischen Personen, die ein und demselben Unternehmen angehören, gesamtschuldnerisch zu entrichtenden Bußgeldbetrags, also auf das Außenverhältnis der Gesamtschuld, umfasst jedoch nicht die Bestimmung der Anteile an diesem Betrag, die die einzelnen Gesamtschuldner im Innenverhältnis zu zahlen haben (Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 58).

152

Mangels vertraglicher Festlegung der Anteile der Mitschuldner an einer ihnen als Gesamtschuldner auferlegten Geldbuße ist es vielmehr Sache der nationalen Gerichte, diese Anteile unter Beachtung des Unionsrechts nach dem nationalen Recht festzulegen (Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 62).

153

Daraus folgt, dass das Gericht rechtsfehlerhaft gehandelt hat, als es in Rn. 215 des angefochtenen Urteils im Wesentlichen entschieden hat, dass in Ermangelung einer in der Entscheidung der Kommission, mit der gegen mehrere Gesellschaften eine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße verhängt werde, getroffenen Feststellung, dass bestimmte Gesellschaften innerhalb des Unternehmens für dessen Beteiligung am Kartell in einem bestimmten Zeitraum mehr Verantwortung trügen als andere, anzunehmen sei, dass ihr Verantwortungsbeitrag und damit auch ihr Anteil an den ihnen als Gesamtschuldner auferlegten Beträgen gleich hoch sei (Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 69).

154

Daraus folgt auch, dass sich das Gericht nicht auf eine solche Auffangregel einer Haftung zu gleichen Teilen stützen konnte, um in den Rn. 216 und 236 des angefochtenen Urteils festzustellen, dass die von der Sanktion betroffenen Gesellschaften zweifelsfrei die möglichen finanziellen Folgen, die mit der Auferlegung der gesamtschuldnerisch zu zahlenden Geldbuße verbunden seien, hätten kennen können und dass die Kommission ihre Sanktionsbefugnis nicht auf einen nationalen Richter oder einen Schiedsrichter übertragen habe.

155

Allerdings kann, wenn zwar die Gründe eines Urteils des Gerichts eine Verletzung des Unionsrechts erkennen lassen, die Urteilsformel sich aber aus anderen Rechtsgründen als richtig erweist, ein solcher Verstoß nicht die Aufhebung dieses Urteils nach sich ziehen, so dass eine Ersetzung von Gründen vorzunehmen ist (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 9. September 2008, FIAMM u. a./Rat und Kommission, C-120/06 P und C-121/06 P, Slg. 2008, I-6513, Rn. 187 und die dort angeführte Rechtsprechung).

156

Nach alledem zeigt sich, dass das Gericht in den genannten Rn. 216 und 236 offensichtlich zu Recht festgestellt hat, dass das Vorbringen, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und eine rechtswidrige Übertragung von Befugnissen der Kommission geltend gemacht wurde, zurückzuweisen ist.

157

Da nämlich zum einen die Kommission nicht befugt ist, die interne Aufteilung einer gesamtschuldnerisch verhängten Geldbuße vorzunehmen, kann nicht verlangt werden, dass jede Gesellschaft der Entscheidung, mit der ihr eine gesamtschuldnerisch mit einer oder mehreren anderen Gesellschaften zu zahlende Geldbuße auferlegt wird, entnehmen kann, welchen Anteil sie nach Befriedigung des Anspruchs der Kommission im Verhältnis zu ihren Mitgesamtschuldnern zu tragen hat (Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 66). Mangels einer vertraglichen Regelung ist dieser Anteil von einem nationalen Gericht festzulegen. Deshalb kann der Umstand, dass dieser Anteil in der Entscheidung der Kommission über die Verhängung einer gesamtschuldnerisch zu entrichtenden Geldbuße nicht festgelegt wurde, als solcher keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit darstellen.

158

Da zum anderen die Befugnis, die interne Aufteilung einer gesamtschuldnerisch zu entrichtenden Geldbuße vorzunehmen, einem nationalen Gericht oder einem Schiedsgericht und nicht der Kommission zukommt, kann dieser keinesfalls vorgeworfen werden, sie habe eine solche Befugnis rechtswidrig übertragen, indem sie in der streitigen Entscheidung die Anteile der Mitgesamtschuldner im Innenverhältnis nicht festgelegt habe.

159

In Anbetracht dieser Erwägungen sind diese Rechtsmittelgründe jedenfalls offensichtlich unbegründet, so dass die Rechtsmittel aus den in den Rn. 157 und 158 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsgründen, die die vom Gericht in den Rn. 216 und 236 des angefochtenen Urteils angeführten Gründe ersetzen müssen, in diesem Punkt zurückzuweisen sind.

160

Zweitens ist schließlich auch das Vorbringen, mit dem ein Verstoß des Gerichts gegen die Begründungspflicht geltend gemacht wird, zurückzuweisen. Es kann ihm nämlich nicht vorgeworfen werden, die in der streitigen Entscheidung enthaltene Begründung durch seine eigene ersetzt zu haben. Das Gericht hat nämlich im Rahmen seiner Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung völlig zu Recht die fraglichen Klagegründe zurückgewiesen, indem es sich auf Gründe wie die Auffangregel einer Haftung zu gleichen Teilen gestützt hat, auch wenn sich dieser Grund in der Sache als rechtlich unzutreffend erwiesen hat.

161

Nach alledem ist festzustellen, dass der von Areva geltend gemachte zweite und dritte Rechtsmittelgrund sowie der dritte Teil des von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe geltend gemachten zweiten Rechtsmittelgrundes und deren vierter Rechtsmittelgrund begründet sind, soweit damit der Kommission und dem Gericht vorgeworfen wird, Areva und Alstom eine faktische gesamtschuldnerische Haftung auferlegt und dadurch gegen die Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung von Geldbußen verstoßen zu haben, die sich aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen ergeben.

3. Zum vierten Rechtsmittelgrund von Areva, mit dem ein Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung bei der Festsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße geltend gemacht wird

i) Vorbringen der Parteien

162

Areva trägt vor, das Gericht hätte in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung prüfen müssen, ob die Höhe der ihr als Gesamtschuldnerin auferlegten Geldbuße in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung und im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung stehe. Gemäß diesen Grundsätzen hätte es den Höchstbetrag der Geldbuße, für die sie als Gesamtschuldnerin haftbar gemacht worden sei, herabsetzen müssen.

163

Der geltend gemachte Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebe sich daraus, dass ihr für eine Zuwiderhandlung von nur vier Monaten gesamtschuldnerisch ein Betrag zur Zahlung auferlegt worden sei, der fast die Hälfte der Summe darstelle, die Alstom für eine Zuwiderhandlung von zwölf Jahren gesamtschuldnerisch zu zahlen habe, oder etwa das Doppelte der Geldbuße, die Alstom allein für ihre unmittelbare Beteiligung am Kartell während eines Zeitraums von vier Jahren zu zahlen habe.

164

Außerdem sei der Grundsatz der Gleichbehandlung insoweit missachtet worden, als das Gericht die streitige Entscheidung trotz der Tatsache bestätigt habe, dass die Kommission Areva mit der Entscheidung eine – unter Berücksichtigung der Dauer der Beteiligung an der fraglichen Zuwiderhandlung – viel strengere Sanktion auferlegt habe als Alstom, obwohl diese eine der Gründergesellschaften des genannten Kartells gewesen und die Gesamtdauer der Beteiligung von Alstom am Kartell 47-mal länger als die von Areva und der Umsatz von Alstom höher als der von Areva gewesen sei.

165

Die Kommission hält diesen Rechtsmittelgrund insbesondere deshalb für unzulässig, weil Areva ihn im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht habe und es sich auch nicht um einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts handele, den das Gericht von Amts wegen hätte prüfen müssen. In der Sache macht sie geltend, die Festlegung der gegen Areva verhängten Geldbuße sei nicht zu beanstanden, zumal sie in Anwendung der Leitlinien berechnet worden sei.

ii) Würdigung durch den Gerichtshof

166

Zunächst ist zur Zulässigkeit des vorliegenden Rechtsmittelgrundes den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 189 seiner Schlussanträge folgend festzustellen, dass die Gesellschaften der Areva-Gruppe in ihrer Klageschrift keinen Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung angeführt haben, um geltend zu machen, dass die Areva auferlegte Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen diese Grundsätze rechtswidrig sei. Die genannten Gesellschaften haben in ihrer Klageschrift zwar einen Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit vorgetragen, dieses Vorbringen betraf jedoch eine ganz andere Frage, nämlich die gesamtschuldnerische Inanspruchnahme der Gesellschaften Alstom und Areva T&D SA.

167

Es handelt sich somit um ein neues Angriffsmittel, das gemäß der in Rn. 113 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung im Rechtsmittelverfahren vor dem Gerichtshof unzulässig ist.

168

Im Übrigen handelt es sich, wie der Generalanwalt in Nr. 191 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, bei der Rückübertragung der Areva T&D SA auf Alstom, falls sie zwischen der Klageerhebung und der Einlegung des Rechtsmittels erfolgt ist, nicht um einen neuen tatsächlichen Gesichtspunkt, der es rechtfertigen könnte, diesen Rechtsmittelgrund als zulässig anzusehen, da dieser nicht auf diesem Gesichtspunkt beruht.

169

Der vierte von Areva geltend gemachte Rechtsmittelgrund ist jedoch zulässig, soweit sie damit dem Gericht vorwirft, im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nicht geprüft zu haben, ob die ihr gesamtschuldnerisch, insbesondere zusammen mit der Areva T&D SA, auferlegte Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung rechtswidrig ist, oder im Rahmen dieser Prüfung rechtsfehlerhaft gehandelt zu haben.

170

Ein Rechtsmittel‑ oder Verteidigungsgrund, der auf das angefochtene Urteil zurückgeht, kann nämlich, wie in Rn. 118 dieses Urteils festgestellt, in einem Rechtsmittelverfahren geltend gemacht werden.

171

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht neben der im AEU-Vertrag vorgesehenen Rechtmäßigkeitskontrolle gemäß Art. 261 AEUV und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 zur unbeschränkten Nachprüfung befugt ist, in deren Rahmen es die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufheben, herabsetzen oder erhöhen kann (vgl. u. a. Urteile Siemens u. a./Kommission, Rn. 334, und vom 19. Dezember 2013, Koninklijke Wegenbouw Stevin/Kommission, C‑586/12 P, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

172

Der Gerichtshof hat jedoch auch hervorgehoben, dass die Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nicht einer Prüfung von Amts wegen entspricht und dass das Verfahren vor den Gerichten der Union ein streitiges Verfahren ist. Mit Ausnahme der Gründe zwingenden Rechts, die der Richter von Amts wegen zu berücksichtigen hat, ist es Sache des Klägers, gegen die angefochtene Entscheidung Klagegründe vorzubringen und für diese Beweise beizubringen (Urteil Siemens u. a./Kommission, Rn. 335).

173

Außerdem hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass dieses verfahrensrechtliche Erfordernis nicht gegen den Grundsatz verstößt, wonach die Kommission bei Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen zu beweisen und geeignete Beweise beizubringen hat, um das Vorliegen der eine solche Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend zu belegen. Vom Kläger wird nämlich im Rahmen einer Klage verlangt, dass er die beanstandeten Punkte der angefochtenen Entscheidung bezeichnet, insoweit Rügen formuliert und Beweise oder zumindest ernsthafte Indizien für ihre Begründetheit beibringt (Urteil Siemens u. a./Kommission, Rn. 336).

174

Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass das Gericht diese Grundsätze in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung in den Rn. 318 bis 323 des angefochtenen Urteils missachtet hätte.

175

Nachdem das Gericht nämlich in Rn. 317 seines Urteils festgestellt hat, dass die Klagegründe, mit denen sich die Klägerinnen auf die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung berufen hätten, begründet seien, soweit die Kommission gegen Alstom und die Gesellschaften der Areva-Gruppe wegen des erschwerenden Umstands einer Rolle als Anführer des Verstoßes die gleiche Erhöhung des Grundbetrags ihrer Geldbußen um 50 % wie gegen Siemens festgesetzt habe, hat es die gegen Alstom und Areva gesamtschuldnerisch verhängten Geldbußen geändert, indem es diese Erhöhung auf 35 % bzw. auf 20 % herabgesetzt hat.

176

Das Gericht brauchte in diesem konkreten Zusammenhang in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung keine sonstigen Rügen ‐ z. B. Rügen, wie sie Areva mit ihrem Rechtsmittel geltend gemacht hat ‐ von Amts wegen zu prüfen, die unter Berufung auf einen Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung gegen die Höhe der gegen Areva verhängten Geldbuße gerichtet werden könnten.

177

Schließlich ist es nach ständiger Rechtsprechung nicht Sache des Gerichtshofs, bei der Entscheidung über Rechtsfragen im Rahmen eines Rechtsmittels die Beurteilung des Gerichts, das in Ausübung seiner unbeschränkten Nachprüfungsbefugnis über den Betrag der gegen Unternehmen wegen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht festgesetzten Geldbußen entscheidet, aus Gründen der Billigkeit durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen. Nur wenn der Gerichtshof der Ansicht wäre, dass die Höhe der Sanktion nicht nur unangemessen, sondern auch dermaßen überhöht ist, dass sie unverhältnismäßig wird, wäre somit ein Rechtsfehler des Gerichts wegen der unangemessenen Höhe einer Geldbuße festzustellen (Urteil vom 30. Mai 2013, Quinn Barlo u. a./Kommission, C‑70/12 P, Rn. 57).

178

Was das Vorbringen angeht, die gegen Areva verhängte Geldbuße sei angesichts der Tatsache, dass ihre Beteiligung an der fraglichen Zuwiderhandlung von kurzer Dauer gewesen sei, unangemessen, so ist nicht ersichtlich, dass die Geldbuße, die gegen sie als Gesamtschuldnerin verhängt wurde, derart überhöht wäre, dass sie unverhältnismäßig würde.

179

Dieser Betrag wurde nämlich, wie die Kommission geltend macht, nach der in den Leitlinien dargelegten Methode berechnet. In diesem Zusammenhang steht fest, dass der Umstand, dass die Beteiligung von Areva am fraglichen Kartell von kurzer Dauer war, dadurch zum Ausdruck kam, dass der Ausgangsbetrag der Geldbuße nicht im Hinblick auf die Dauer der Zuwiderhandlung erhöht wurde. Bei Alstom hingegen wurde er aufgrund einer insgesamt 15 Jahre und 8 Monate währenden Beteiligung an diesem Kartell um 155 % erhöht.

180

Dass die Beteiligung von Areva am Kartell von kurzer Dauer war, ändert jedoch nichts an der Schwere der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung, die in der Berechnung der Geldbuße, insbesondere in der Festsetzung des Ausgangsbetrags, zum Ausdruck kommt.

181

Bei der Festsetzung des Bußgeldbetrags ist gemäß Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 sowohl die Schwere der dem betroffenen Unternehmen individuell zur Last gelegten Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen (Urteil Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, Rn. 52).

182

Unter diesen Umständen ist der vierte Rechtsmittelgrund von Areva zurückzuweisen.

4. Zum fünften Rechtsmittelgrund von Alstom, mit dem ein Verstoß gegen das Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf geltend gemacht wird

i) Vorbringen der Parteien

183

Mit ihrem fünften Rechtsmittelgrund tragen die Gesellschaften der Alstom-Gruppe vor, das Gericht habe in den Rn. 223 bis 230 des angefochtenen Urteils die Bedeutung des ersten Klagegrundes, mit dem Alstom einen Verstoß gegen das Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf und auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz geltend gemacht habe, verkannt und sei daher auf diesen Klagegrund nicht eingegangen.

184

Das Gericht habe sich in den genannten Randnummern zum Erfordernis einer gerichtlichen Kontrolle und insbesondere zu der Tatsache geäußert, dass Alstom und die Areva T&D SA das Recht gehabt hätten, die streitige Entscheidung einer gerichtlichen Kontrolle durch die effektive Ausübung von Rechtsbehelfen zu unterziehen. Der von Areva vor dem Gericht geltend gemachte erste Klagegrund habe sich jedoch auf die Entscheidungsfreiheit hinsichtlich einer Klageerhebung bezogen, die durch die gesamtschuldnerische Inanspruchnahme von Alstom und der Areva T&D SA beschränkt worden sei.

185

Die Kommission trägt vor, das Gericht sei in den Rn. 223 bis 230 des angefochtenen Urteils auf das erstinstanzliche Vorbringen der Gesellschaften der Alstom-Gruppe in angemessener Weise eingegangen.

ii) Würdigung durch den Gerichtshof

186

Anders als die Gesellschaften der Alstom-Gruppe vortragen, ergibt sich aus den Rn. 223 bis 230 des angefochtenen Urteils, dass das Gericht auf den von Alstom geltend gemachten Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen das Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf gerügt wurde, in angemessener Weise eingegangen ist und in diesem Zusammenhang keineswegs die Bedeutung des Vorbringens von Alstom verkannt hat.

187

Das Gericht hat nämlich unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung in den Rn. 224 bis 227 dieses Urteils in Rn. 228 zutreffend festgestellt, dass die gesamtschuldnerische Inanspruchnahme von Alstom und der Areva T&D SA durch die Kommission das Recht der beiden Gesellschaften als Adressaten der angefochtenen Entscheidung, diese durch die effektive Ausübung der im Recht der Union garantierten Rechtsbehelfe einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen, nicht beeinträchtigt habe.

188

Die Gesellschaften der Alstom-Gruppe machen geltend, das Gericht sei nicht auf die Beschränkungen der Entscheidungsfreiheit hinsichtlich einer Klageerhebung eingegangen, die sich daraus ergäben, dass eine Geldbuße gegen Alstom und die Areva T&D SA als Gesamtschuldnerinnen verhängt worden sei. Würde die Areva T&D SA eine Klage erheben, müsste Alstom daher das Gleiche tun, um zu verhindern, dass sie die verhängte Geldbuße in ihrer Gesamtheit bezahlen müsse. Würde die Areva T&D SA jedoch keine Klage erheben, müsste sie diese Geldbuße bezahlen, und eine Klage von Alstom könnte sich nicht mehr auf den Gesamtbetrag der Geldbuße auswirken.

189

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass diese Zwänge lediglich die unausweichliche Konsequenz dessen sind, dass gegen Alstom und die Areva T&D SA eine gesamtschuldnerisch zu entrichtende Geldbuße verhängt wurde. Eine solche Konsequenz kann sich zwar auf die Strategie der Gesamtschuldner ausgewirkt haben, doch hat sie als solche nicht zu einem Verstoß gegen das Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf geführt. Das Recht und die Möglichkeit jedes Mitschuldners, eine Klage zu erheben, ist nämlich gewahrt worden, und im Übrigen haben sowohl Alstom als auch die Areva T&D SA davon Gebrauch gemacht, wie auch das Gericht in Rn. 228 des angefochtenen Urteils festgestellt hat.

190

Daraus folgt, dass der fünfte Rechtsmittelgrund der Gesellschaften der Alstom-Gruppe zurückzuweisen ist.

191

Im Ergebnis führt die Prüfung sämtlicher von den Rechtsmittelführerinnen geltend gemachten Rechtsmittelgründe zum einen dazu, dass dem zweiten und dem dritten Rechtsmittelgrund von Areva sowie dem dritten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes und dem vierten Rechtsmittelgrund der Gesellschaften der Alstom-Gruppe stattzugeben ist, soweit damit der Kommission und dem Gericht vorgeworfen wird, Areva und Alstom eine faktische gesamtschuldnerische Haftung auferlegt zu haben und dadurch gegen die sich aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen ergebenden Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung von Geldbußen verstoßen zu haben, und zum anderen dazu, dass die Rechtsmittel im Übrigen zurückzuweisen sind.

192

Demzufolge ist zunächst Nr. 3 zweiter Gedankenstrich des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben.

193

Sodann ist über den Rechtsstreit, da er gemäß Art. 61 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Entscheidung reif ist, endgültig zu entscheiden.

194

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Festlegung der gesamtschuldnerischen Haftung in Art. 2 Buchst. c der streitigen Entscheidung derjenigen entspricht, die das Gericht nach Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung und Herabsetzung der Bußgeldbeträge in Nr. 3 zweiter Gedankenstrich des Tenors des angefochtenen Urteils vorgenommen hat.

195

Daher ist Art. 2 Buchst. c der streitigen Entscheidung, da die Rechtsmittelführerinnen im ersten Rechtszug seine Nichtigerklärung beantragt haben, aus denselben Gründen für nichtig zu erklären wie denen, die zur Aufhebung von Nr. 3 zweiter Gedankenstrich des Tenors des angefochtenen Urteils geführt haben und in den Rn. 129 bis 142 des vorliegenden Urteils dargelegt worden sind.

196

Schließlich stellt der Gerichtshof in Ausübung seiner ihm gemäß Art. 261 AEUV durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 eingeräumten Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung fest, dass es einer richtigen Anwendung der Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung entspricht, die Bußgeldbeträge nach einer Methode zu bestimmen, die ‐ im Gegensatz zu der von der Kommission und dem Gericht verwendeten Methode ‐ die sich aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen ergebenden Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung von Geldbußen berücksichtigt.

197

In Anbetracht der Ausführungen in Rn. 138 des vorliegenden Urteils und unter Berücksichtigung der in Rn. 14 des vorliegenden Urteils angeführten neuen Namen einiger der fraglichen Gesellschaften ist demnach Alstom gesamtschuldnerisch mit der Alstom Grid SAS eine Geldbuße in Höhe von 27,795 Mio. Euro sowie Areva, der T&D Holding und der Alstom Grid AG gesamtschuldnerisch mit der Alstom Grid SAS eine Geldbuße in Höhe von 20,4 Mio. Euro aufzuerlegen.

VI – Kosten

198

Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

199

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

200

Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt jede Partei ihre eigenen Kosten, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Der Gerichtshof kann jedoch gemäß dieser Bestimmung entscheiden, dass eine Partei außer ihren eigenen Kosten einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt, wenn dies in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt erscheint.

201

Da den von Areva und von den Gesellschaften der Alstom-Gruppe eingelegten Rechtsmitteln teilweise stattgegeben wird, sind der Kommission außer ihren eigenen Kosten im Verfahren des ersten Rechtszugs und im Rechtsmittelverfahren ein Fünftel der Kosten aufzuerlegen, die Areva und den Gesellschaften der Alstom-Gruppe im Verfahren des ersten Rechtszugs und im Rechtsmittelverfahren entstanden sind. Areva und die Gesellschaften der Alstom-Gruppe tragen vier Fünftel ihrer eigenen Kosten im Verfahren des ersten Rechtszugs und im Rechtsmittelverfahren.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Nr. 3 zweiter Gedankenstrich des Tenors des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 3. März 2011, Areva u. a./Kommission (T‑117/07 und T‑121/07), wird aufgehoben.

 

2.

Art. 2 Buchst. c der Entscheidung K(2006) 6762 endg. der Kommission vom 24. Januar 2007 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/F/38.899 – Gasisolierte Schaltanlagen) wird für nichtig erklärt.

 

3.

Wegen der in Art. 1 Buchst. b bis f der Entscheidung K(2006) 6762 endg. festgestellten Verstöße wird gegen die Alstom SA gesamtschuldnerisch mit der Alstom Grid SAS eine Geldbuße in Höhe von 27,795 Mio. Euro und gegen die Areva SA, die T&D Holding SA sowie die Alstom Grid AG gesamtschuldnerisch mit der Alstom Grid SAS eine Geldbuße in Höhe von 20,4 Mio. Euro verhängt.

 

4.

Im Übrigen werden die Rechtsmittel zurückgewiesen.

 

5.

Die Europäische Kommission trägt neben ihren eigenen Kosten im Verfahren des ersten Rechtszugs und im Rechtsmittelverfahren ein Fünftel der Kosten, die der Areva SA, der Alstom SA, der T&D Holding SA, der Alstom Grid SAS und der Alstom Grid AG im Verfahren des ersten Rechtszugs und im Rechtsmittelverfahren entstanden sind.

 

6.

Die Areva SA, die Alstom SA, die T&D Holding SA, die Alstom Grid SAS und die Alstom Grid AG tragen vier Fünftel ihrer eigenen Kosten im Verfahren des ersten Rechtszugs und im Rechtsmittelverfahren.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.