URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

12. September 2013 ( *1 )

„Sozialpolitik — Gleichbehandlung von Männern und Frauen — Richtlinie 76/207/EWG — Vor dem Beitritt des Mitgliedstaats geschlossener befristeter Arbeitsvertrag — Vertragsablauf nach dem Beitritt — Dienstordnung, die den Zeitpunkt des Vertragsablaufs auf den letzten Tag des Jahres festsetzt, in dem das Pensionsantrittsalter erreicht wird — Unterschiedliches Alter für Männer und Frauen“

In der Rechtssache C‑614/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 25. Oktober 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 30. November 2011, in dem Verfahren

Niederösterreichische Landes-Landwirtschaftskammer

gegen

Anneliese Kuso

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter), E. Juhász, D. Šváby und C. Vajda,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Niederösterreichischen Landes-Landwirtschaftskammer, vertreten durch Rechtsanwalt B. Hainz,

von Frau Kuso, vertreten durch die Rechtsanwälte C. Henseler, H. Pflaum, P. Karlberger und W. Opetnik sowie Rechtsanwältin P. Rindler,

der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und C. Gheorghiu als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. L 269, S. 15) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 76/207).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Niederösterreichischen Landes‑Landwirtschaftskammer (im Folgenden: NÖ-LLWK) und Frau Kuso über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 2 der Richtlinie 76/207 bestimmt:

„(1)   Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf.

(2)   Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

‚unmittelbare Diskriminierung‘: wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

…“

4

In Art. 3 der Richtlinie heißt es:

„(1)   Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bedeutet, dass es im öffentlichen und privaten Bereich einschließlich öffentlicher Stellen in Bezug auf folgende Punkte keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben darf:

a)

die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, einschließlich des beruflichen Aufstiegs;

c)

die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen sowie das Arbeitsentgelt nach Maßgabe der Richtlinie 75/117/EWG;

…“

5

Die Richtlinie 76/207 wurde durch die Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. L 204, S. 23) nach Art. 34 dieser Richtlinie mit Wirkung vom 15. August 2009 aufgehoben. Die Richtlinie 2006/54 ist auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar.

Österreichisches Recht

6

Das Gleichbehandlungsgesetz (BGBl I 66/2004), mit dem u. a. die Richtlinie 76/207 umgesetzt wird, sieht in Art. 3 („Gleichbehandlungsgebot im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis“) vor:

„Auf Grund des Geschlechtes, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, darf im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis niemand unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden, insbesondere nicht

1.

bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses,

3.

bei der Gewährung freiwilliger Sozialleistungen, die kein Entgelt darstellen,

7.

bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.“

7

Auf das Arbeitsverhältnis von Frau Kuso ist das Angestelltengesetz 1921 anzuwenden. Nach § 19 Abs. 1 dieses Gesetzes endet ein Dienstverhältnis mit dem Ablauf der Zeit, für die es eingegangen wurde.

8

Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass der befristete Arbeitsvertrag von Frau Kuso der Dienst- und Besoldungsordnung der Niederösterreichischen Landes-Landwirtschaftskammer (im Folgenden: DO) unterlag. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist diese Regelung als Teil der nationalen Rechtsvorschriften anzusehen; im Hinblick auf diese Rechtsvorschriften wird der Gerichtshof ersucht, eine Auslegung des Unionsrechts vorzunehmen.

9

Diese Dienstordnung beschränkt das Kündigungsrecht des Arbeitgebers, indem sie eine Sonderregelung einführt, nach der die Dienstnehmer außer bei schwerem Verschulden nur aus bestimmten Gründen gekündigt werden können.

10

Die DO enthält folgende Bestimmungen:

„§ 25 Auflösung von Dienstverhältnissen

1.   ) Das Dienstverhältnis von pensionsberechtigten Dienstnehmern wird aufgelöst:

a)

Versetzung in den zeitlichen oder dauernden Ruhestand (§ 26)

2.   ) Das Dienstverhältnis von unkündbaren Dienstnehmern wird aufgelöst:

a)

durch die Erreichung der Altersgrenze

3.   ) Das Dienstverhältnis eines unkündbaren Dienstnehmers kann ferner gegen seinen Willen vom Dienstgeber aufgelöst werden,

c)

wenn der Dienstnehmer im Zeitpunkt der Lösung des Dienstverhältnisses einen Anspruch auf eine Pensionsleistung aus eigener Versicherung nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften erworben hat.

§ 26 Versetzung in den Ruhestand

1.   ) Die Versetzung des Dienstnehmers in den zeitlichen oder dauernden Ruhestand gegen seinen Willen ist dem Hauptausschuss der [NÖ-LLWK] nach den Bestimmungen der Pensionsbesoldungsordnung vorbehalten.

§ 65 Übertritt in den dauernden Ruhestand

Der männliche Dienstnehmer tritt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem er das 65., der weibliche Dienstnehmer mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem er das 60. Lebensjahr vollendet hat, in den dauernden Ruhestand.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

11

Frau Kuso war ab dem 1. März 1967 im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses bei der NÖ-LLWK beschäftigt. Am 1. Januar 1980 vereinbarte sie durch Heranziehung einer Vertragsschablone, der DO, die Unkündbarstellung, mit der die nach § 25 Abs. 2 DO vorgesehene Befristung des Vertrags verbunden war.

12

Frau Kuso vollendete ihr 60. Lebensjahr im Jahr 2008. Am 18. Juli 2008 wurde sie vom Leiter des Personalreferats telefonisch davon in Kenntnis gesetzt, dass ihr Ansuchen auf Beschäftigung auch über das Pensionsantrittsalter hinaus in der Präsidialsitzung der NÖ-LLWK vom 14. Juli 2008 abschlägig beschieden worden sei. Die NÖ-LLWK gehe davon aus, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Jahres 2008 enden werde. In einem Schreiben vom 25. Juli 2008 wurde Frau Kuso mitgeteilt, dass einer Verlängerung ihres Arbeitsverhältnisses über den 31. Dezember 2008 hinaus nicht zugestimmt werde und das Arbeitsverhältnis mit Ende des Jahres 2008 als aufgelöst gelte.

13

Frau Kuso focht die Rechtmäßigkeit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses beim Landesgericht Korneuburg an. Das für sie nachteilige Urteil dieses Gerichts vom 21. Januar 2009 wurde durch das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. März 2010 abgeändert. Daraufhin legte die NÖ-LLWK beim Obersten Gerichtshof Revision ein.

14

Das vorlegende Gericht führt zum einen aus, die DO, die Bestandteil des Arbeitsvertrags von Frau Kuso sei, sehe u. a. vor, dass das Arbeitsverhältnis am letzten Tag des Jahres, in dem der Arbeitnehmer das Pensionsalter erreiche, ende. Dieses Alter sei jedoch je nach dem Geschlecht des Arbeitnehmers unterschiedlich, nämlich 60 Jahre für Frauen und 65 Jahre für Männer. Zudem sei der fragliche Arbeitsvertrag vor dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union geschlossen worden, aber nach dem Beitritt abgelaufen. In Anbetracht der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie der Stellung, die das Recht auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen einnehme, fragt sich das vorlegende Gericht nach dem zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 76/207.

15

Der Oberste Gerichtshof erläutert zum anderen, dass das Ausgangsverfahren zwar gewisse Ähnlichkeiten mit der Rechtssache aufweise, in der das Urteil vom 18. November 2010, Kleist (C-356/09, Slg. 2010, I-11939), ergangen sei, dass es sich aber zumindest in zweierlei Hinsicht davon unterscheide.

16

Erstens sei in der Rechtssache, in der das Urteil Kleist ergangen sei, das Arbeitsverhältnis von Frau Kleist auf der Grundlage eines Kollektivvertrags beendet worden, der als generelle Norm angesehen werde, während das Arbeitsverhältnis von Frau Kuso durch einen befristeten Einzelarbeitsvertrag geregelt werde.

17

Zweitens sei in jener Rechtssache die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung erfolgt. Eine solche Kündigung habe es jedoch bei Frau Kuso nicht gegeben. Im Ausgangsverfahren beruhe das Arbeitsverhältnis auf einem befristeten Arbeitsvertrag und habe durch Zeitablauf geendet. Da solche Arbeitsverhältnisse normalerweise durch Zeitablauf enden, ohne dass eine entsprechende Erklärung notwendig wäre, stellt sich dem vorlegenden Gericht demnach die Frage, ob die Umstände des Ausgangsverfahrens von denjenigen der Rechtssache Kleist zu unterscheiden seien oder ob die vom Gerichtshof in jener Rechtssache entwickelte Lösung auf den Ausgangsrechtsstreit übertragen werden könne.

18

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs hängt die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Auslegung des Unionsrechts ab; er hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Steht Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 76/207 einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Frage einer Diskriminierung wegen des Geschlechts im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, die aufgrund eines vor Inkrafttreten der genannten Richtlinie (hier: vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union) geschlossenen befristeten Einzelarbeitsvertrags ausschließlich durch Zeitablauf erfolgt, nicht anhand der vor dem Beitritt getroffenen Vertragsvereinbarung über die Befristung als „Entlassungsbedingung“, sondern nur im Zusammenhang mit der Ablehnung des Antrags auf Vertragsverlängerung als „Einstellungsbedingung“ zu prüfen ist?

Zur Vorlagefrage

19

Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Abs. 1 Buchst. a oder c der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die in einer Dienstordnung besteht, die Bestandteil eines vor Beitritt des betreffenden Mitgliedstaats zur Union geschlossenen Arbeitsvertrags ist und vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis durch Erreichen des Pensionsantrittsalters endet, das nach dem Geschlecht des Arbeitnehmers unterschiedlich festgesetzt ist, eine nach der Richtlinie verbotene Diskriminierung begründet, wenn der betreffende Arbeitnehmer das Pensionsantrittsalter nach diesem Beitritt erreicht.

Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

20

Die NÖ-LLWK ist der Ansicht, dass das bloße Auslaufen des Vertrags im Ausgangsverfahren ausreichend sei, um das Arbeitsverhältnis zu beenden. Das Arbeitsverhältnis von Frau Kuso sei nicht durch Kündigung beendet worden, sondern durch den im befristeten Arbeitsvertrag vereinbarten Zeitablauf. Da Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 ausschließlich Entlassungen betreffe, könne diese Bestimmung nicht herangezogen werden. Da außerdem die Dienstordnung, die dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitsvertrag zugrunde liege, aus der Zeit vor dem Beitritt der Republik Österreich zur Union stamme, könne eine nationale Regelung wie diejenige des Ausgangsverfahrens keine Diskriminierung im Sinne der Richtlinie begründen. Die NÖ-LLWK ist daher der Meinung, dass die Vorlagefrage nur unter dem Gesichtspunkt einer Einstellungsbedingung und damit im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 76/207 zu prüfen sei.

21

Frau Kuso und die Europäische Kommission tragen hingegen vor, die Vorlagefrage sei nur unter dem Gesichtspunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu prüfen. Da es sich bei dem Arbeitsvertrag um einen Vertrag handle, der sukzessiv erfüllt werde, sei festzuhalten, dass die Auswirkungen eines solchen Vertrags ab dem Beitritt der Republik Österreich zur Union in den Anwendungsbereich der Richtlinie 76/207 gefallen seien. Folglich sei das Vorbringen, das darauf gestützt sei, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Arbeitsvertrag vor dem Beitritt geschlossen worden sei, zurückzuweisen und die Vorlagefrage im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie zu prüfen.

Antwort des Gerichtshofs

22

Wie Frau Kuso und die Kommission vortragen, ist festzustellen, ob die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf der Grundlage von § 25 Abs. 2 Buchst. a der DO unter Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 fällt.

23

Erstens ist die Frage nach der zeitlichen Anwendbarkeit dieser Bestimmung bei einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens zu stellen.

24

Die Vorschriften des materiellen Unionsrechts sind im Interesse der Beachtung der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes so auszulegen, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossene Sachverhalte nur gelten, soweit aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist (vgl. u. a. Urteil vom 29. Januar 2002, Pokrzeptowicz-Meyer, C-162/00, Slg. 2002, I-1049, Randnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine neue Vorschrift unmittelbar auf die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts anzuwenden ist, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist (Urteile vom 10. Juli 1986, Licata/WSA, 270/84, Slg. 1986, 2305, Randnr. 31, und Pokrzeptowicz-Meyer, Randnr. 50). Der Gerichtshof hat auch festgestellt, dass ab dem Beitritt die ursprünglichen Verträge für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich sind und in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und der jeweiligen Beitrittsakte gelten (vgl. Urteil vom 2. Oktober 1997, Saldanha und MTS, C-122/96, Slg. 1997, I-5325, Randnr. 13).

26

Was die Richtlinie 76/207 und das Ausgangsverfahren betrifft, ist die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 1994, C 241, S. 21, und ABl. 1995, L 1, S. 1) am 1. Januar 1995 in Kraft getreten. Nach Art. 2 dieser Akte „[sind] ab dem Beitritt … die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte“. In diesem Zusammenhang nimmt Anhang XV dieser Akte, auf den ihr Art. 151 verweist, ausdrücklich auf die Richtlinie 76/207 Bezug.

27

Da in der Beitrittsakte – abgesehen von einer zeitlichen Ausnahme in Bezug auf die Nachtarbeit von Frauen in dem in der vorstehenden Randnummer genannten Anhang XV Abschnitt V der Beitrittsakte, die aber nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist – keine besonderen Bestimmungen hinsichtlich der Anwendung der Richtlinie 76/207 vorgesehen sind, ist diese daher für die Republik Österreich vom Zeitpunkt ihres Beitritts zur Union an verbindlich, so dass sie für zukünftige Auswirkungen vor dem Beitritt dieses Mitgliedstaats zur Union entstandener Sachverhalte gilt (vgl. in diesem Sinne Urteil Saldanha und MTS, Randnr. 14).

28

Sodann ist das Vorbringen der NÖ-LLWK zu verwerfen, wonach Frau Kuso damit, dass sie sich auf die ab dem Beitritt der Republik Österreich zur Union geltende Anwendbarkeit der Bestimmungen der Richtlinie 76/207 berufe, um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses anzufechten, vor diesem Beitritt erworbene Rechte in Frage zu stellen versuche und den Grundsatz des Schutzes des Vertrauens ihres Arbeitgebers missachte.

29

Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass ein befristeter Arbeitsvertrag, der vor Inkrafttreten des durch den Beschluss 93/743/Euratom, EGKS, EG des Rates und der Kommission vom 13. Dezember 1993 (ABl. L 348, S. 1) im Namen der Gemeinschaft geschlossenen und gebilligten Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Polen andererseits geschlossen wurde, seine Rechtswirkungen nicht mit der Unterzeichnung erschöpft, sondern sie vielmehr fortgesetzt und regelmäßig während der gesamten Vertragsdauer erzeugt (vgl. in diesem Sinne Urteil Pokrzeptowicz-Meyer, Randnr. 52).

30

Im Übrigen darf der Anwendungsbereich des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht so weit erstreckt werden, dass die Anwendung einer neuen Regelung auf die künftigen Auswirkungen von unter der Geltung der früheren Regelung entstandenen Sachverhalten schlechthin ausgeschlossen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Pokrzeptowicz-Meyer, Randnr. 55).

31

Unter diesen Umständen durfte die NÖ-LLWK nicht darauf vertrauen, dass die Richtlinie 76/207 keinerlei Auswirkung auf die dem im Jahr 1980 geschlossenen Vertrag zugrunde liegenden Regeln haben wird, die erst bei Vertragsende relevant werden sollten. Folglich betrifft die Anwendung dieser Richtlinie ab dem Beitritt der Republik Österreich zur Union, um die Beendigung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitsverhältnisses anzufechten, keinen zuvor abgeschlossenen Sachverhalt.

32

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof wiederholt zum einen festgestellt hat, dass Art. 3 der Richtlinie 76/207, der Art. 5 dieser Richtlinie in ihrer ursprünglichen Fassung entspricht, unbedingt und hinreichend genau ist, so dass sich ein Einzelner gegenüber dem Staat darauf berufen kann (vgl. Urteile vom 26. Februar 1986, Marshall, 152/84, Slg. 1986, 723, Randnr. 52, und vom 12. Juli 1990, Foster u. a., C-188/89, Slg. 1990, I-3313, Randnr. 21), und zum anderen, dass eine Einrichtung, die unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und die hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen, zu den Rechtssubjekten gehört, denen die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie entgegengehalten werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil Foster u. a., Randnr. 22). Wie das vorlegende Gericht – von den Parteien des Ausgangsverfahrens und der Kommission unbestritten – ausführt, zählt die NÖ-LLWK zu den Rechtssubjekten, die mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen.

33

Drittens ist festzustellen, ob Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung, nach der ein Arbeitsverhältnis wegen des Ablaufs des Arbeitsvertrags unter Bezugnahme auf ein für Männer und Frauen unterschiedliches Alter endet, eine Diskriminierung im Sinne der Richtlinie begründet.

34

Es ist darauf hinzuweisen, dass sich der Zeitpunkt des Ablaufs des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden befristeten Arbeitsvertrags nach der Dienstordnung bestimmt, die Bestandteil dieses Arbeitsvertrags ist, und dass diese Dienstordnung für männliche und für weibliche Arbeitnehmer ein unterschiedliches Pensionsantrittsalter vorsieht.

35

Der Gerichtshof hat zwar entschieden, dass die Nichterneuerung eines befristeten Arbeitsvertrags zum Zeitpunkt seiner regulären Beendigung grundsätzlich nicht einer Kündigung gleichgestellt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2001, Jiménez Melgar, C-438/99, Slg. 2001, I-6915, Randnr. 45).

36

Nach ständiger Rechtsprechung ist jedoch der Begriff der Entlassung im Bereich der Gleichbehandlung weit auszulegen (vgl. Urteile vom 16. Februar 1982, Burton, 19/81, Slg. 1982, 555, Randnr. 9, Marshall, Randnr. 34, vom 26. Februar 1986, Beets-Proper, 262/84, Slg. 1986, 773, Randnr. 36, vom 21. Juli 2005, Vergani, C-207/04, Slg. 2005, I-7453, Randnr. 27, und Kleist, Randnr. 26).

37

Insbesondere hat der Gerichtshof zum einen festgestellt, dass der Begriff „Entlassung“ im Rahmen der Richtlinie 76/207 in dem Sinne auszulegen ist, dass er die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber einschließt, auch wenn sie aufgrund einer Regelung über freiwilliges Ausscheiden erfolgt (Urteil Burton, Randnr. 9), und zum anderen, dass eine allgemeine Entlassungspolitik, wonach eine Frau nur deshalb entlassen wird, weil sie das Alter erreicht oder überschritten hat, in dem sie Anspruch auf eine staatliche Pension erwirbt und das nach den nationalen Rechtsvorschriften für Männer und Frauen unterschiedlich ist, eine durch diese Richtlinie verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt (vgl. Urteile Marshall, Randnr. 38, und Kleist, Randnr. 28).

38

Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen erläutert, ist die im Ausgangsverfahren fragliche Dienstordnung aber zum einen wegen ihrer Verbindlichkeit und zum anderen wegen der Verweisung auf ein Pensionsalter, das für männliche und weibliche Arbeitnehmer unterschiedlich ist, mit der vom Gerichtshof im Urteil Kleist geprüften Regelung vergleichbar.

39

Daher ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Frau Kuso im Ausgangsverfahren nach § 25 Abs. 2 Buchst. a der DO einer Entlassung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 gleichzusetzen.

40

Es ist weiter festzustellen, ob diese Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 verbotene Entlassung darstellt. Dafür ist zu prüfen, ob der Grund für diese Entlassung eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne von Art. 2 dieser Richtlinie begründet.

41

Nach Art. 2 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 76/207 liegt eine „unmittelbare Diskriminierung“ vor, wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

42

Im vorliegenden Fall geht aus § 25 der DO hervor, dass das Dienstverhältnis der Dienstnehmer endet, wenn sie das Pensionsantrittsalter erreichen. Nach den §§ 26 und 65 der DO beträgt das Pensionsantrittsalter für männliche Dienstnehmer 65 Jahre, für weibliche Dienstnehmer hingegen 60 Jahre.

43

Da mit dem in diesen Bestimmungen herangezogenen Kriterium ausdrücklich auf das Geschlecht der Arbeitnehmer abgestellt wird, ist somit festzustellen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche eine unmittelbar auf das Geschlecht gestützte Ungleichbehandlung begründet.

44

Um zu bestimmen, ob diese Ungleichbehandlung eine nach der Richtlinie 76/207 verbotene Diskriminierung darstellt, ist zu prüfen, ob sich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die männlichen und die weiblichen Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation befinden.

45

Nach ständiger Rechtsprechung kann die Vergleichbarkeit von Situationen u. a. im Hinblick auf das Ziel der nationalen Regelung geprüft werden, die die Ungleichbehandlung festsetzt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Dezember 2004, Hlozek, C-19/02, Slg. 2004, I-11491, Randnr. 46, und Kleist, Randnr. 34).

46

Im Ausgangsverfahren haben die §§ 25, 26 und 65 der DO, die die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen festsetzen, das Ziel, die Bedingungen zu regeln, unter denen das Dienstverhältnis der Beschäftigten beendet werden kann.

47

Der den weiblichen Arbeitnehmern eingeräumte Vorteil, der darin besteht, dass sie eine Alterspension in einem Alter beanspruchen können, das fünf Jahre unter dem für männliche Arbeitnehmer festgelegten Alter liegt, steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ziel der Regelung, die eine Ungleichbehandlung festsetzt.

48

Dieser Vorteil bringt die weiblichen Arbeitnehmer nicht in eine besondere Situation im Vergleich zu den männlichen Arbeitnehmern, da sich Männer und Frauen hinsichtlich der Bedingungen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der gleichen Situation befinden (vgl. Urteil Kleist, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49

Es ist also festzustellen, dass sich die männlichen und die weiblichen Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation befinden.

50

Nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 76/207, der zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung unterscheidet, kann nur bei der mittelbaren Diskriminierung eine Einstufung als Diskriminierung verneint werden, und zwar wenn sie „durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt [ist] und die Mittel … zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich [sind]“. Eine solche Möglichkeit ist bei der unmittelbaren Diskriminierung dagegen nicht vorgesehen.

51

Da eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende – wie sich aus Randnr. 43 des vorliegenden Urteils ergibt – eine unmittelbar auf das Geschlecht gestützte Ungleichbehandlung begründet, kann die Diskriminierung, die sie festsetzt, nicht sachlich gerechtfertigt sein.

52

Unter diesen Umständen ist, da der Gerichtshof zum einen entschieden hat, dass die durch eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eingeführte Ungleichbehandlung unmittelbar auf das Geschlecht gestützt ist und sich die männlichen und die weiblichen Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation befinden, und zum anderen, dass die Richtlinie 76/207 für eine unmittelbare Diskriminierung keine Ausnahmeregelung enthält, festzustellen, dass diese Ungleichbehandlung eine nach der Richtlinie 76/207 verbotene unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt.

53

Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die in einer Dienstordnung besteht, die Bestandteil eines vor Beitritt des betreffenden Mitgliedstaats zur Union geschlossenen Arbeitsvertrags ist und vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis durch Erreichen des Pensionsantrittsalters endet, das nach dem Geschlecht des Arbeitnehmers unterschiedlich festgesetzt ist, eine nach der Richtlinie verbotene unmittelbare Diskriminierung begründet, wenn der betreffende Arbeitnehmer das Pensionsantrittsalter nach diesem Beitritt erreicht.

Kosten

54

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die in einer Dienstordnung besteht, die Bestandteil eines vor Beitritt des betreffenden Mitgliedstaats zur Europäischen Union geschlossenen Arbeitsvertrags ist und vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis durch Erreichen des Pensionsantrittsalters endet, das nach dem Geschlecht des Arbeitnehmers unterschiedlich festgesetzt ist, eine nach der Richtlinie verbotene unmittelbare Diskriminierung begründet, wenn der betreffende Arbeitnehmer das Pensionsantrittsalter nach diesem Beitritt erreicht.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.