Rechtssache C‑73/08
Nicolas Bressol u. a.
und
Céline Chaverot u. a.
gegen
Gouvernement de la Communauté française
(Vorabentscheidungsersuchen des Verfassungsgerichtshofs [Belgien])
„Unionsbürgerschaft – Art. 18 und 21 AEUV – Richtlinie 2004/38/EG – Art. 24 Abs. 1 – Aufenthaltsfreiheit – Diskriminierungsverbot – Zugang zum Hochschulunterricht – Studierende aus einem Mitgliedstaat, die sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben, um dort eine Ausbildung zu absolvieren – Kontingentierung der Einschreibung von nichtansässigen Studierenden für Studiengänge an Universitäten im Bereich des Gesundheitswesens – Rechtfertigung – Verhältnismäßigkeit – Gefahr für die Qualität des Unterrichts in den medizinischen und paramedizinischen Fächern – Gefahr eines Mangels an Absolventen in den Berufssektoren des Gesundheitswesens“
Leitsätze des Urteils
1. Unionsbürgerschaft – Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Richtlinie 2004/38
(Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 2004/38, Art. 24 Abs. 1)
2. Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Gleichbehandlung – Unionsbürgerschaft – Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit
(Art. 18 AEUV und 21 AEUV)
3. Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Gleichbehandlung – Unionsbürgerschaft – Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit
(Art. 18 AEUV und 21 AEUV; Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Art. 13 Abs. 2 Buchst. c)
1. Die Situation von studierenden Unionsbürgern, die nach der Regelung des Aufnahmemitgliedstaats als nicht ansässig angesehen werden und sich deshalb nicht für eine Hochschulausbildung in diesem Staat einschreiben können, fällt möglicherweise unter Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, der für jeden Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, gilt.
Der Umstand, dass solche Studierenden in dem Aufnahmemitgliedstaat möglicherweise keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, ist unerheblich, da die Richtlinie 2004/38 für alle Unionsbürger unabhängig davon gilt, ob sie im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als Arbeitnehmer oder als Selbständige wirtschaftlich tätig sind oder nicht.
(vgl. Randnrn. 34-36)
2. Die Art. 18 und 21 AEUV stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die die Zahl der als nicht in diesem Staat ansässig angesehenen Studierenden, die sich zum ersten Mal für einen medizinischen oder paramedizinischen Studiengang an einer Hochschuleinrichtung dieses Staates einschreiben können, beschränkt, es sei denn, das nationale Gericht stellt nach Würdigung aller von den zuständigen Stellen angeführten relevanten Gesichtspunkte fest, dass diese Regelung im Hinblick auf das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt ist.
Eine solche Ungleichbehandlung zwischen ansässigen und nichtansässigen Studierenden stellt nämlich eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar, sofern sie nicht durch das Ziel der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen medizinischen Versorgung gerechtfertigt werden kann, wenn es zur Erreichung eines hohen Niveaus des Gesundheitsschutzes beiträgt. Insoweit ist zu prüfen, ob die Regelung geeignet ist, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zu dessen Erreichung erforderlich ist; dies festzustellen ist Sache des nationalen Gerichts.
Als Erstes wird dieses zu prüfen haben, ob der Schutz der öffentlichen Gesundheit wirklich gefährdet ist. Bei der Prüfung dieser Gefahren hat es zunächst zu berücksichtigen, dass zwischen der Ausbildung des künftigen medizinischen Personals und dem Ziel der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen medizinischen Versorgung nur ein mittelbarer Zusammenhang besteht, der weniger kausal ist als der Zusammenhang zwischen dem Ziel der öffentlichen Gesundheit und der Tätigkeit des bereits auf dem Markt verfügbaren medizinischen Personals. Die Würdigung eines solchen Zusammenhangs hängt nämlich u. a. von einer Untersuchung der voraussichtlichen Entwicklung ab, bei der ausgehend von vielen zufallsabhängigen und ungewissen Elementen extrapoliert und die künftige Entwicklung des betreffenden Gesundheitssektors berücksichtigt werden muss, aber auch von einer Untersuchung der zum Ausgangszeitpunkt bestehenden Situation. Sodann hat das nationale Gericht den Umstand zu berücksichtigen, dass der Mitgliedstaat, wenn eine Ungewissheit hinsichtlich des Vorliegens oder der Bedeutung der Gefahren für die öffentliche Gesundheit bleibt, Schutzmaßnahmen treffen kann, ohne warten zu müssen, bis es an medizinischem Personal fehlt. Dies hat auch dann zu gelten, wenn die Qualität des Unterrichts in diesem Bereich gefährdet ist. Der Nachweis, dass solche Gefahren tatsächlich bestehen, obliegt daher den zuständigen nationalen Stellen und muss auf eine objektive, eingehende und auf Zahlenangaben gestützte Untersuchung gestützt sein, anhand deren sich mittels zuverlässiger, übereinstimmender und beweiskräftiger Daten nachweisen lassen muss, dass die öffentliche Gesundheit tatsächlich gefährdet ist.
Als Zweites hat das nationale Gericht, sofern es den Schutz der öffentlichen Gesundheit für tatsächlich gefährdet hält, zu prüfen, ob in Anbetracht der Angaben der zuständigen Stellen die Regelung als geeignet angesehen werden kann, die Erreichung des Ziels des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang hat es u. a. zu bewerten, ob eine Begrenzung der Zahl der nichtansässigen Studierenden tatsächlich geeignet ist, die Zahl der Absolventen zu erhöhen, die für die Gewährleistung der Gesundheitsversorgung in der fraglichen Gemeinschaft letztlich zur Verfügung stehen.
Als Drittes schließlich hat das nationale Gericht zu beurteilen, ob die Regelung nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angeführten Ziels erforderlich ist, insbesondere, ob das angeführte im Allgemeininteresse liegende Ziel nicht durch weniger einschränkende Maßnahmen erreicht werden könnte, mit denen für Studierende, die ihr Studium in der fraglichen Gemeinschaft absolvieren, ein Anreiz geschaffen würde, nach Abschluss des Studiums dort zu bleiben, oder für außerhalb der Französischen Gemeinschaft ausgebildete Berufsangehörige ein Anreiz, sich dort niederzulassen. Ebenso ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die zuständigen Stellen die Erreichung dieses Ziels angemessen mit den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Erfordernissen in Einklang gebracht haben, insbesondere mit dem den Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten zustehenden Recht auf Zugang zum Hochschulunterricht, das zum Kernbereich des Grundsatzes der Freizügigkeit der Studierenden gehört.
(vgl. Randnrn. 62-64, 66, 69-71, 75-79, 82, Tenor 1)
3. Die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats können sich nicht auf Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte berufen, wenn ein nationales Gericht feststellt, dass eine Regelung des Mitgliedstaats zur Regelung der Studierendenzahl in bestimmten Studiengängen des ersten Zyklus des Hochschulunterrichts nicht mit den Art. 18 und 21 AEUV vereinbar ist.
Nach dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Paktes dient dieser nämlich im Wesentlichen demselben Ziel wie die Art. 18 und 21 AEUV, nämlich, den Grundsatz der Nichtdiskriminierung beim Zugang zum Hochschulunterricht zu gewährleisten. Dies wird durch Art. 2 Abs. 2 des Paktes bestätigt, wonach die Vertragsstaaten des Paktes sich verpflichten, zu gewährleisten, dass die in diesem verkündeten Rechte ohne Diskriminierung u. a. hinsichtlich der nationalen Herkunft ausgeübt werden. Dagegen verlangt Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Paktes von einem Vertragsstaat nicht und gestattet es ihm auch nicht, einen breiten Zugang zu einem Hochschulunterricht von guter Qualität nur für seine eigenen Staatsangehörigen zu gewährleisten.
(vgl. Randnrn. 86-88, Tenor 2)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
13. April 2010(*)
„Unionsbürgerschaft – Art. 18 und 21 AEUV – Richtlinie 2004/38/EG – Art. 24 Abs. 1 – Aufenthaltsfreiheit – Diskriminierungsverbot – Zugang zum Hochschulunterricht – Studierende aus einem Mitgliedstaat, die sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben, um dort eine Ausbildung zu absolvieren – Kontingentierung der Einschreibung von nichtansässigen Studierenden für Studiengänge an Universitäten im Bereich des Gesundheitswesens – Rechtfertigung – Verhältnismäßigkeit – Gefahr für die Qualität des Unterrichts in den medizinischen und paramedizinischen Fächern – Gefahr eines Mangels an Absolventen in den Berufssektoren des Gesundheitswesens“
In der Rechtssache C‑73/08
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verfassungsgerichtshof (Belgien) mit Entscheidung vom 14. Februar 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Februar 2008, in dem Verfahren
Nicolas Bressol u. a.,
Céline Chaverot u. a.
gegen
Gouvernement de la Communauté française
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts und J.‑C. Bonichot, der Kammerpräsidentinnen R. Silva de Lapuerta und C. Toader sowie der Richter C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Schiemann, J. Malenovský (Berichterstatter), T. von Danwitz, A. Arabadjiev und J.‑J. Kasel,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: M.‑A. Gaudissart, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. März 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Kläger Bressol u. a., vertreten durch M. Snoeck und J. Troeder, avocats,
– der Kläger Chaverot u. a., vertreten durch J. Troeder und M. Mareschal, avocats,
– der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von M. Nihoul, avocat,
– der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Cattabriga und G. Rozet als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 25. Juni 2009
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 12 Abs. 1 EG und 18 Abs. 1 EG in Verbindung mit Art. 149 Abs. 1 und 2 EG und Art. 150 Abs. 2 EG.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen den Klägern Bressol u. a. und Chaverot u. a. einerseits und jeweils der Regierung der Französischen Gemeinschaft andererseits über die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Dekrets der Französischen Gemeinschaft vom 16. Juni 2006 zur Regelung der Studierendenzahl in bestimmten Studiengängen des ersten Zyklus des Hochschulunterrichts (Moniteur belge vom 6. Juli 2006, S. 34055, im Folgenden: Dekret vom 16. Juni 2006).
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
3 Art. 2 Abs. 2 des von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 16. Dezember 1966 angenommenen und am 3. Januar 1976 in Kraft getretenen Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (im Folgenden: Pakt) lautet:
„Die Vertragsstaaten verpflichten sich, zu gewährleisten, dass die in diesem Pakt verkündeten Rechte ohne Diskriminierung hinsichtlich … der nationalen … Herkunft … ausgeübt werden.“
4 In Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Paktes heißt es:
„Die Vertragsstaaten erkennen an, dass im Hinblick auf die volle Verwirklichung [des Rechts eines jeden auf Bildung]“
…
c) der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss;
…“
Unionsrecht
5 In den Erwägungsgründen 1, 3 und 20 der nach den Art. 12 Abs. 2 EG, 18 Abs. 2 EG, 40 EG, 44 EG und 52 EG erlassenen Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigt in ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2007, L 204, S. 28) heißt es:
„(1) Die Unionsbürgerschaft verleiht jedem Bürger der Union das elementare und persönliche Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der im Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.
…
(3) Die Unionsbürgerschaft sollte der grundsätzliche Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sein, wenn sie ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt wahrnehmen. Daher müssen die bestehenden Gemeinschaftsinstrumente, die Arbeitnehmer und Selbständige sowie Studierende und andere beschäftigungslose Personen getrennt behandeln, kodifiziert und überarbeitet werden, um das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu vereinfachen und zu verstärken.
…
(20) Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit erfordert, dass alle Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die sich aufgrund dieser Richtlinie in einem Mitgliedstaat aufhalten, in diesem Mitgliedstaat in den Anwendungsbereichen des Vertrags die gleiche Behandlung wie Inländer genießen; dies gilt vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen.“
6 Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 bestimmt:
„Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen …“
7 Art. 24 („Gleichbehandlung“) Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 lautet:
„Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt genießen.“
Nationales Recht
8 Nach dem Dekret vom 16. Juni 2006 sind die Universitäten und Hochschulen der Französischen Gemeinschaft verpflichtet, die Zahl der zum Zeitpunkt ihrer Einschreibung als im Sinne dieses Dekrets nicht in Belgien ansässig angesehenen Studierenden (im Folgenden: nichtansässige Studierende), die sich zum ersten Mal für einen der neun von diesem Dekret erfassten medizinischen und paramedizinischen Studiengänge einschreiben können, unter Beachtung bestimmter Modalitäten zu beschränken.
9 Art. 1 des Dekrets vom 16. Juni 2006 lautet:
„Unter einem ansässigen Studierenden im Sinne dieses Dekrets ist ein Studierender zu verstehen, der zum Zeitpunkt seiner Einschreibung in einer Hochschuleinrichtung den Beweis erbringt, dass er seinen Hauptwohnort in Belgien hat und folgende Bedingungen erfüllt:
1. Er ist berechtigt, sich ständig in Belgien aufzuhalten;
2. er hat zum Zeitpunkt seiner Einschreibung in einer Hochschuleinrichtung seit wenigstens sechs Monaten seinen Hauptwohnort in Belgien und dort eine Berufstätigkeit als Lohnempfänger oder Nichtlohnempfänger ausgeübt oder ein durch einen belgischen öffentlichen Dienst gewährtes Ersatzeinkommen erhalten;
3. er besitzt die Erlaubnis für den Aufenthalt für unbestimmte Dauer auf der Grundlage der [belgischen Rechtsvorschriften];
4. er besitzt die Erlaubnis für den Aufenthalt in Belgien durch die Anerkennung als Flüchtling aufgrund [der belgischen Rechtsvorschriften] oder eines entsprechenden Antrags;
5. er besitzt die Erlaubnis für den Aufenthalt in Belgien mit dem zeitweiligen Schutz im Sinne [der einschlägigen belgischen Bestimmungen];
6. er hat als Vater, Mutter, gesetzlichen Vormund oder Ehegatten eine Person, die eine der vorstehenden Bedingungen erfüllt;
7. er hat zum Zeitpunkt der Einschreibung in einer Hochschuleinrichtung seinen Hauptwohnort seit mindestens drei Jahren in Belgien;
8. er ist Inhaber einer Bescheinigung als Stipendiat, die im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit für das akademische Jahr und für die Studien ausgestellt wurde, für die der Antrag auf Einschreibung eingereicht wird.
Unter ‚Recht auf ständigen Aufenthalt‘ im Sinne von Abs. 1 Nr. 1 ist für die Staatsbürger eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union das Recht zu verstehen, das aufgrund der Art. 16 und 17 der [Richtlinie 2004/38] anerkannt wird …“
10 Kapitel II des Dekrets, das aus den Art. 2 bis 5 besteht, enthält Bestimmungen über den Zugang zu Universitäten.
11 Art. 2 des Dekrets vom 16. Juni 2006 lautet:
„Die akademischen Behörden begrenzen die Zahl der Studierenden, die sich zum ersten Mal in einer Universität der Französischen Gemeinschaft für einen Studiengang im Sinne von Art. 3 einschreiben, auf die in Art. 4 vorgesehene Weise.
…“
12 Art. 3 des Dekrets vom 16. Juni 2006 bestimmt:
„Die Bestimmungen dieses [Kapitels II] finden Anwendung auf die Studiengänge, die zu den folgenden akademischen Graden führen:
1. Bachelor in Heilgymnastik und Rehabilitation;
2. Bachelor in Veterinärmedizin.“
13 Art. 4 des Dekrets vom 16. Juni 2006 lautet:
„Für jede Universitätseinrichtung und jeden Studiengang im Sinne von Art. 3 wird eine Zahl T festgesetzt, die der Gesamtzahl der Studierenden entspricht, die sich zum ersten Mal für den betreffenden Studiengang einschreiben und für die Finanzierung berücksichtigt werden, sowie eine Zahl NR, die der Zahl der Studierenden entspricht, die sich zum ersten Mal für den betreffenden Studiengang einschreiben und nicht als ansässige Studierende im Sinne von Art. 1 angesehen werden.
Wenn das Verhältnis zwischen einerseits der Zahl NR und andererseits der Zahl T des vorangegangenen akademischen Jahres einen Prozentsatz P erreicht, verweigern die akademischen Behörden die Einschreibung zusätzlicher Studierender, die nie für den betreffenden Studiengang eingeschrieben waren und nicht als ansässige Studierende im Sinne von Art. 1 angesehen werden.
Der Satz P im vorstehenden Absatz wird auf 30 % festgesetzt. Wenn jedoch für ein akademisches Jahr der Anteil der Studierenden, die ihr Studium anderswo fortsetzen als in dem Land, in dem sie ihr Sekundarschuldiplom erlangt haben, mehr als durchschnittlich 10 % in sämtlichen Hochschuleinrichtungen der Europäischen Union beträgt, entspricht der Satz P für das darauffolgende akademische Jahr diesem Prozentsatz, multipliziert mit drei.“
14 Art. 5 des Dekrets vom 16. Juni 2006 bestimmt:
„… Studierende, die nicht als ansässige Studierende im Sinne von Art. 1 angesehen werden, [müssen] ihren Antrag auf Einschreibung für einen der Studiengänge im Sinne von Art. 3 frühestens am dritten Werktag vor dem 2. September vor dem betreffenden akademischen Jahr stellen …
…
In Abweichung von Abs. 1 wird für die nicht ansässigen Studierenden, die spätestens am letzten Werktag vor dem 2. September vor dem akademischen Jahr vorstellig werden, um einen Antrag auf Einschreibung für einen der Studiengänge im Sinne von Art. 3 einzureichen, wenn die Zahl dieser somit vorstellig gewordenen Studierenden höher als die in Art. 4 Abs. 2 vorgesehene Zahl NR ist, die Reihenfolge dieser Studierenden durch das Los bestimmt. …
…“
15 Kapitel III des Dekrets vom 16. Juni 2006, das aus den Art. 6 bis 9 besteht, enthält Bestimmungen über den Zugang zu Hochschulen. Die Bestimmungen der Art. 6 Abs. 1, 8 und 9 entsprechen denen der Art. 2 Abs. 1, 4 und 5 dieses Dekrets.
16 Nach Art. 7 dieses Dekrets finden diese Bestimmungen Anwendung auf die Studiengänge, die zu folgenden akademischen Graden führen:
„1. Hebamme-Bachelor;
2. Bachelor in Ergotherapie;
3. Bachelor in Logopädie;
4. Bachelor in Podologie-Podotherapie;
5. Bachelor in Heilgymnastik;
6. Bachelor in Audiologie;
7. spezialisierte(r) Erzieher(in) in psycho-erzieherischer Begleitung.“
Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen
17 Das Hochschulbildungssystem der Französischen Gemeinschaft beruht auf einem freien Zugang zur Ausbildung, bei dem die Studierenden keiner Einschreibungsbeschränkung unterliegen.
18 Seit mehreren Jahren verzeichnet diese Gemeinschaft jedoch eine deutliche Zunahme der Zahl der Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten als dem Königreich Belgien, die sich an Einrichtungen ihres Hochschulbildungssystems einschreiben, und zwar insbesondere für neun medizinische und paramedizinische Studiengänge. Der Vorlageentscheidung nach beruht diese Zunahme insbesondere auf dem Zustrom französischer Studierender in die Französische Gemeinschaft, da dort der Hochschulunterricht in derselben Sprache wie in Frankreich angeboten wird und die Französische Republik den Zugang zu den betroffenen Studiengängen beschränkt hat.
19 Die Französische Gemeinschaft war der Ansicht, dass die Zahl solcher Studierender in den genannten Studiengängen zu hoch geworden sei, und erließ daher das Dekret vom 16. Juni 2006.
20 Am 9. August bzw. 13. Dezember 2006 reichten die Kläger der Ausgangsverfahren beim Verfassungsgerichtshof eine Klage auf Nichtigerklärung dieses Dekrets ein.
21 Die Kläger sind zu einem Teil Studierende insbesondere französischer Staatsangehörigkeit, die keiner der in Art. 1 des Dekrets vom 16. Juni 2006 genannten Kategorien angehören und für das Studienjahr 2006/2007 die Einschreibung an einer Hochschuleinrichtung der Französischen Gemeinschaft für einen der in diesem Dekret genannten Studiengänge beantragt hatten.
22 Da die Zahl der nichtansässigen Studierenden die mit dem genannten Dekret festgesetzte Grenze überstieg, veranstalteten die betroffenen Einrichtungen unter diesen Studierenden eine Auslosung, bei der die Kläger der Ausgangsverfahren leer ausgingen. Ihre Anträge auf Einschreibung wurden daher von den betroffenen Einrichtungen abgelehnt.
23 Zu einem anderen Teil sind die Kläger Lehrer an vom Dekret vom 16. Juni 2006 betroffenen Universitäten und Hochschulen, die in der Anwendung dieses Dekrets eine direkte und unmittelbare Gefahr für ihre Beschäftigung sehen, da es letztlich zu einer Verringerung der Zahl der bei ihren Bildungseinrichtungen eingeschriebenen Studierenden führe.
24 Zur Begründung ihrer Klagen machen die Kläger der Ausgangsverfahren insbesondere geltend, dass das Dekret vom 16. Juni 2006 gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung verstoße, da danach ansässige und nichtansässige Studierende ohne zutreffende Rechtfertigung unterschiedlich behandelt würden. Während nämlich ansässige Studierende nach diesem Dekret weiter freien Zugang zu den erfassten Studiengängen hätten, sei für nichtansässige Studierende der Zugang auf eine solche Weise beschränkt, dass die Zahl der für diese Studiengänge eingeschriebenen Studierenden dieser Kategorie die Grenze von 30 % nicht übersteigen könne.
25 Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Dekrets vom 16. Juni 2006 und ist der Auffassung, dass die Bestimmungen der belgischen Verfassung, deren Einhaltung zu überprüfen es zuständig sei und deren Verletzung behauptet werde, in Verbindung mit den Art. 12 Abs. 1 EG, 18 Abs. 1 EG, 149 Abs. 1 und 2 zweiter Gedankenstrich EG und 150 Abs. 2 dritter Gedankenstrich EG auszulegen seien.
26 Unter diesen Umständen hat der Verfassungsgerichtshof die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind die Art. 12 Abs. 1 EG und 18 Abs. 1 EG in Verbindung mit Art. 149 Abs. 1 und 2 zweiter Gedankenstrich EG sowie mit Art. 150 Abs. 2 dritter Gedankenstrich EG in dem Sinne auszulegen, dass diese Bestimmungen verhindern, dass eine für den Hochschulunterricht zuständige autonome Gemeinschaft eines Mitgliedstaats, die mit einem Zustrom von Studierenden eines benachbarten Mitgliedstaats in mehreren, hauptsächlich mit öffentlichen Mitteln finanzierten Ausbildungen medizinischer Art konfrontiert ist, und zwar infolge einer restriktiven Politik dieses benachbarten Mitgliedstaats, Maßnahmen ergreift, wie sie im Dekret [vom 16. Juni 2006] festgelegt sind, wenn diese Gemeinschaft triftige Gründe dafür anführt, dass diese Situation die öffentlichen Finanzen übermäßig zu belasten und die Qualität des erteilten Unterrichts zu beeinträchtigen droht?
2. Macht es für die Beantwortung der ersten Frage einen Unterschied, wenn diese Gemeinschaft beweist, dass diese Situation zur Folge hat, dass zu wenig in dieser Gemeinschaft ansässige Studierende ihr Diplom erhalten, damit auf Dauer genug medizinische Fachkräfte vorhanden sind, um die Qualität des öffentlichen Gesundheitssystems in dieser Gemeinschaft zu gewährleisten?
3. Macht es für die Beantwortung der ersten Frage einen Unterschied, wenn diese Gemeinschaft unter Berücksichtigung von Art. 149 Abs. 1 a. E. EG und Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Paktes, der eine Stillhalteverpflichtung enthält, sich für die Aufrechterhaltung eines breiten und demokratischen Zugangs zu einem Hochschulunterricht von guter Qualität für die Bevölkerung dieser Gemeinschaft entscheidet?
Zur ersten und zur zweiten Frage
27 Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der in den Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, nach der die Zahl der nichtansässigen Studierenden, die sich zum ersten Mal für einen medizinischen oder paramedizinischen Studiengang an einer Hochschuleinrichtung einschreiben können, beschränkt wird, wenn dieser Mitgliedstaat infolge einer restriktiven Politik eines Nachbarmitgliedstaats einem Zustrom von Studierenden aus diesem ausgesetzt ist und diese Situation dazu führt, dass zu wenig Studierende aus dem erstgenannten Mitgliedstaat in diesen Studiengängen ein Diplom erhalten.
Zur Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bildungsbereich
28 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht zwar – nach den Art. 165 Abs. 1 und 166 Abs. 1 AEUV – die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Gestaltung ihrer Bildungssysteme und Systeme der beruflichen Bildung unberührt lässt, dass die Mitgliedstaaten jedoch bei der Ausübung dieser Zuständigkeit das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Freizügigkeit und die Aufenthaltsfreiheit beachten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. September 2007, Schwarz und Gootjes-Schwarz, C‑76/05, Slg. 2007, I‑6849, Randnr. 70, sowie vom 23. Oktober 2007, Morgan und Bucher, C‑11/06 und C‑12/06, Slg. 2007, I‑9161, Randnr. 24).
29 Die Mitgliedstaaten sind somit frei, sich für ein Bildungssystem zu entscheiden, das auf einem freien Zugang zur Ausbildung beruht – ohne Beschränkung der Zahl der Studierenden, die sich einschreiben können –, oder für ein System, das auf einem regulierten Zugang beruht, bei dem die Studierenden ausgewählt werden. Haben sie sich jedoch einmal für eines dieser Systeme oder für eine Kombination derselben entschieden, müssen die Modalitäten des gewählten Systems dem Unionsrecht und insbesondere dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit entsprechen.
Zur Bestimmung der in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Vorschriften
30 Nach Art. 21 Abs. 1 AEUV hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.
31 Im Übrigen kann sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs jeder Unionsbürger in allen Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, auf Art. 18 AEUV berufen, der jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet, wobei zu diesen Situationen auch die Ausübung der durch Art. 21 AEUV verliehenen Freiheit gehört, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello, C‑148/02, Slg. 2003, I‑11613, Randnr. 24, vom 15. März 2005, Bidar, C‑209/03, Slg. 2005, I‑2119, Randnrn. 32 und 33, und vom 18. November 2008, Förster, C‑158/07, Slg. 2008, I‑8507, Randnrn. 36 und 37).
32 Zudem ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass dieses Verbot auch Situationen erfasst, die die Voraussetzungen für den Zugang zur Berufsausbildung betreffen, wobei sowohl das Hochschul- als auch das Universitätsstudium eine Berufsausbildung darstellen (Urteil vom 7. Juli 2005, Kommission/Österreich, C‑147/03, Slg. 2005, I‑5969, Randnrn. 32 und 33 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
33 Folglich können sich die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Studierenden auf das in den Art. 18 und 21 AEUV verankerte Recht berufen, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats wie des Königreichs Belgien ohne unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit frei zu bewegen und aufzuhalten.
34 Gleichwohl lässt sich nicht ausschließen, dass die Situation einiger Kläger der Ausgangsverfahren möglicherweise unter Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 fällt, der für jeden Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, gilt.
35 Hierzu ist erstens festzustellen, dass aus den Akten hervorgeht, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Studierenden Unionsbürger sind.
36 Zweitens ist der Umstand, dass sie in Belgien möglicherweise keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unerheblich, da die Richtlinie 2004/38 für alle Unionsbürger unabhängig davon gilt, ob sie im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als Arbeitnehmer oder als Selbständige wirtschaftlich tätig sind oder nicht.
37 Drittens lässt sich nicht ausschließen, dass sich einige Kläger der Ausgangsverfahren bereits in Belgien aufhielten, bevor sie beschlossen, sich für einen der fraglichen Studiengänge einzuschreiben.
38 Viertens ist festzustellen, dass die Richtlinie 2004/38 zeitlich auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbar ist. Die Mitgliedstaaten hatten diese Richtlinie nämlich bis zum 30. April 2006 umzusetzen, und das streitige Dekret wurde am 16. Juni 2006, also nach diesem Zeitpunkt, erlassen. Zudem steht fest, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Studierenden bei den betroffenen Hochschuleinrichtungen für das akademische Jahr 2006/2007 ihre Einschreibung beantragt hatten und diese auf der Grundlage dieses Dekrets abgelehnt worden war. Ihre Anträge müssen also zwangsläufig nach dem 30. April 2006 abgelehnt worden sein.
39 Da der Gerichtshof jedoch nicht über alle Anhaltspunkte verfügt, die es ermöglichen würden, festzustellen, dass die Situation der Kläger der Ausgangsverfahren auch unter Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 fällt, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob diese Bestimmung tatsächlich auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten Anwendung findet.
Zum Vorliegen einer Ungleichbehandlung
40 Das Diskriminierungsverbot erfasst nicht nur unmittelbare Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle Formen der mittelbaren Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2007, Hartmann, C‑212/05, Slg. 2007, I‑6303, Randnr. 29).
41 Eine Vorschrift des nationalen Rechts ist, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, als mittelbar diskriminierend anzusehen, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Angehörige anderer Mitgliedstaaten als auf Inländer auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie die Erstgenannten besonders benachteiligt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. November 2000, Österreichischer Gewerkschaftsbund, C‑195/98, Slg. 2000, I‑10497, Randnr. 40, und Hartmann, Randnr. 30).
42 Was die Ausgangsverfahren angeht, sieht das Dekret vom 16. Juni 2006 vor, dass zu den von diesem Dekret erfassten medizinischen und paramedizinischen Studiengängen nur ansässige Studierende unbeschränkten Zugang erhalten, d. h. jene, die die Voraussetzung des Hauptwohnorts in Belgien und eine der acht weiteren, alternativen Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 8 dieses Dekrets erfüllen.
43 Studierende, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, erhalten dagegen nur einen beschränkten Zugang zu diesen Einrichtungen, da die Gesamtzahl solcher Studierenden je Hochschuleinrichtung und Studiengang grundsätzlich auf 30 % aller Einschreibungen des vorangegangenen akademischen Jahrs begrenzt ist. Im Rahmen dieses für sie vorgesehenen prozentualen Anteils werden die nichtansässigen Studierenden, die eingeschrieben werden, durch Auslosung ermittelt.
44 Die streitige nationale Regelung bewirkt somit eine Ungleichbehandlung zwischen ansässigen und nichtansässigen Studierenden.
45 Ein Erfordernis der Ansässigkeit wie das nach dieser Regelung geltende wird jedoch von Inländern, die meist in Belgien ansässig sind, leichter erfüllt als von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, die in der Regel in einem anderen Mitgliedstaat als Belgien wohnen (vgl. entsprechend Urteile vom 8. Juni 1999, Meeusen, C‑337/97, Slg. 1999, I‑3289, Randnrn. 23 und 24, sowie Hartmann, Randnr. 31).
46 Folglich wirkt sich die in den Ausgangsverfahren streitige nationale Regelung, wie die belgische Regierung im Übrigen einräumt, ihrem Wesen nach auf Angehörige anderer Mitgliedstaaten als des Königreichs Belgien eher aus als auf Inländer und benachteiligt somit die Erstgenannten besonders.
Zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
47 Wie in Randnr. 41 des vorliegenden Urteils festgestellt, ist eine Ungleichbehandlung wie die durch das Dekret vom 16. Juni 2006 eingeführte eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, die verboten ist, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist.
48 Um gerechtfertigt zu sein, muss die betroffene Maßnahme geeignet sein, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und sie darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Oktober 2008, Renneberg, C‑527/06, Slg. 2008, I‑7735, Randnr. 81, und vom 19. Mai 2009, Apothekerkammer des Saarlandes u. a., C‑171/07 und C‑172/07, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 25).
Zur Rechtfertigung mit übermäßigen Belastungen zur Finanzierung des Hochschulunterrichts
49 Die belgische Regierung macht mit Unterstützung der österreichischen Regierung zunächst geltend, die Ungleichbehandlung von ansässigen und nichtansässigen Studierenden sei notwendig, um übermäßige Belastungen zur Finanzierung des Hochschulunterrichts zu vermeiden, die sich daraus ergäben, dass ohne unterschiedliche Behandlung die Zahl der an Hochschuleinrichtungen der Französischen Gemeinschaft eingeschriebenen nichtansässigen Studierenden ein übermäßig hohes Niveau erreichen würde.
50 Hierzu ist festzustellen, dass nach den Ausführungen der Französischen Gemeinschaft, wie sie sich aus der Vorlageentscheidung ergeben, die finanzielle Belastung keinen entscheidenden Grund für den Erlass des Dekrets vom 16. Juni 2006 darstellt. Diesen Ausführungen zufolge wird nämlich das Bildungswesen auf der Grundlage eines Systems der „geschlossenen Dotierung“ finanziert, bei dem die globale Mittelzuweisung nicht von der Gesamtzahl der Studierenden abhängt.
51 Unter diesen Umständen kann die Sorge vor einer übermäßigen Belastung zur Finanzierung des Hochschulunterrichts keine Ungleichbehandlung zwischen ansässigen und nichtansässigen Studierenden rechtfertigen.
Zur Rechtfertigung mit der Wahrung der Einheitlichkeit des Systems des Hochschulunterrichts
52 Die belgische Regierung macht mit Unterstützung der österreichischen Regierung geltend, dass die Teilnahme von nichtansässigen Studierenden an den betroffenen Studiengängen ein Niveau erreicht habe, das wegen der immanenten Begrenztheit der Aufnahmekapazität der Hochschuleinrichtungen und ihrer Personaldecke eine Verringerung der Qualität des Hochschulunterrichts zur Folge haben könnte. Um die Einheitlichkeit dieses Systems zu wahren und der Bevölkerung der Französischen Gemeinschaft einen breiten und demokratischen Zugang zu einem Hochschulunterricht von guter Qualität zu sichern, sei es geboten, zwischen den ansässigen und den nichtansässigen Studierenden eine Ungleichbehandlung einzuführen und die Zahl der Letztgenannten zu begrenzen.
53 Es lässt sich zwar nicht ohne Weiteres ausschließen, dass es zur Vermeidung einer Gefahr für den Bestand eines nationalen Bildungssystems und seine Einheitlichkeit gerechtfertigt sein könnte, bestimmte Studierende ungleich zu behandeln (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Österreich, Randnr. 66).
54 Die hierzu vorgetragenen Rechtfertigungsgründe stimmen jedoch mit jenen überein, die mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit zusammenhängen. Sie sind daher allein unter dem Gesichtspunkt der Rechtfertigungen zu prüfen, die aus den mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit zusammenhängenden Erfordernissen hergeleitet werden.
Zur Rechtfertigung mit Erfordernissen der öffentlichen Gesundheit
– Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
55 Die belgische Regierung macht mit Unterstützung der österreichischen Regierung geltend, die in den Ausgangsverfahren streitige Regelung sei erforderlich, um die Qualität und den Fortbestand der medizinischen und paramedizinischen Versorgung in der Französischen Gemeinschaft sicherzustellen.
56 Die hohe Zahl der nichtansässigen Studierenden führe erstens zu einer erheblichen Minderung der Unterrichtsqualität in den medizinischen und paramedizinischen Studiengängen, die insbesondere viele Stunden an praktischer Ausbildung erfordere. Es habe sich herausgestellt, dass eine solche Ausbildung ab einer gewissen Zahl von Studierenden nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden könne, da die Aufnahmekapazität der Hochschuleinrichtungen, ihre Personaldecke und die Möglichkeiten der praktischen Ausbildung nicht unbegrenzt seien.
57 Zur Verdeutlichung der im Unterricht auftretenden Schwierigkeiten führt die belgische Regierung u. a. die Situation im Bereich des Studiengangs Veterinärmedizin an. Auf der Grundlage der Qualitätsnormen für die Veterinärausbildung – u. a. müsse jeder Studierende ein klinisches Praktikum an einer ausreichenden Anzahl von Tieren absolvieren – sei festgestellt worden, dass in der Französischen Gemeinschaft im zweiten Zyklus des Hochschulstudiums nicht mehr als 200 Veterinäre pro Jahr ausgebildet werden könnten. Wegen eines Zustroms nichtansässiger Studierender sei jedoch die Gesamtzahl der in den sechs Studienjahren eingeschriebenen Studierenden von 1 233 im akademischen Jahr 1995/1996 auf 2 343 im akademischen Jahr 2002/2003 gestiegen.
58 In den anderen von dem Dekret vom 16. Juni 2006 erfassten Studiengängen sei die Situation ähnlich.
59 Zweitens könnte die hohe Zahl nichtansässiger Studierender letztlich im gesamten Gebiet zu einer Knappheit an medizinischen Fachkräften führen, was das öffentliche Gesundheitssystem in der Französischen Gemeinschaft gefährden würde. Diese Gefahr ergebe sich daraus, dass die nichtansässigen Studierenden nach dem Studium in ihre Herkunftsländer zurückkehrten, um dort ihren Beruf auszuüben, während es in bestimmten Fachgebieten weiter zu wenig ansässige Absolventen gebe.
60 Die Kläger der Ausgangsverfahren machen insbesondere geltend, sofern diese zur Rechtfertigung angeführten Gründe zulässig sein sollten, habe die belgische Regierung das tatsächliche Vorliegen der genannten Umstände nicht nachgewiesen.
61 Die Kommission trägt vor, sie nehme die von der belgischen Regierung angeführten Gefahren sehr ernst. Doch reiche ihr bisheriger Kenntnisstand nicht aus, um sich zur sachlichen Richtigkeit der Rechtfertigung zu äußern.
– Antwort des Gerichtshofs
62 Aus der Rechtsprechung geht hervor, dass eine mittelbar auf der Staatsangehörigkeit beruhende Ungleichbehandlung durch das Ziel der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen medizinischen Versorgung gerechtfertigt sein kann, wenn es zur Erreichung eines hohen Niveaus des Gesundheitsschutzes beiträgt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. März 2009, Hartlauer, C‑169/07, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
63 Somit ist zu prüfen, ob die in den Ausgangsverfahren streitige Regelung geeignet ist, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zu dessen Erreichung erforderlich ist.
64 Es ist letztlich Sache des nationalen Gerichts, das allein für die Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist, zu bestimmen, ob und inwieweit eine solche Regelung diesen Anforderungen entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juli 1989, Rinner-Kühn, 171/88, Slg. 1989, 2743, Randnr. 15, und vom 23. Oktober 2003, Schönheit und Becker, C‑4/02 und C‑5/02, Slg. 2003, I‑12575, Randnr. 82).
65 Der Gerichtshof, der dazu aufgerufen ist, dem nationalen Gericht zweckdienliche Antworten zu geben, ist jedoch befugt, dem vorlegenden Gericht auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise zu geben, die diesem Gericht eine Entscheidung ermöglichen (Urteile vom 20. März 2003, Kutz-Bauer, C‑187/00, Slg. 2003, I‑2741, Randnr. 52, sowie Schönheit und Becker, Randnr. 83).
66 Als Erstes wird das vorlegende Gericht zu prüfen haben, ob der Schutz der öffentlichen Gesundheit wirklich gefährdet ist.
67 Dabei kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine etwaige Verringerung der Qualität der Ausbildung des künftigen medizinischen Personals letztlich die Qualität der Versorgung in dem betroffenen Gebiet beeinträchtigt, da die Qualität der medizinischen oder paramedizinischen Versorgung in einem bestimmten Gebiet von den Befähigungen des dort tätigen medizinischen Personals abhängt.
68 Auch ist nicht auszuschließen, dass eine etwaige Begrenzung der Gesamtzahl der Studierenden in den betreffenden Studiengängen – u. a. um die Qualität der Ausbildung sicherzustellen – einen entsprechenden Rückgang der Zahl der Absolventen zur Folge hat, die für die Gewährleistung der Gesundheitsversorgung in dem betroffenen Gebiet letztlich zur Verfügung stehen, was sich dann auf das Niveau des Schutzes der öffentlichen Gesundheit auswirken könnte. Insoweit ist einzuräumen, dass ein Mangel an medizinischem Personal schwerwiegende Probleme für den Schutz der öffentlichen Gesundheit mit sich brächte und dass es zur Vermeidung dieser Gefahr erforderlich ist, dass in ausreichender Zahl Absolventen in dieses Gebiet ziehen, um dort einen der von dem Dekret vom 16. Juni 2006 erfassten medizinischen oder paramedizinischen Berufe auszuüben.
69 Bei der Prüfung dieser Gefahren hat das vorlegende Gericht zunächst zu berücksichtigen, dass zwischen der Ausbildung des künftigen medizinischen Personals und dem Ziel der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen medizinischen Versorgung nur ein mittelbarer Zusammenhang besteht, der weniger kausal ist als der Zusammenhang zwischen dem Ziel der öffentlichen Gesundheit und der Tätigkeit des bereits auf dem Markt verfügbaren medizinischen Personals (vgl. Urteile Hartlauer, Randnrn. 51 bis 53, sowie Apothekerkammer des Saarlandes u. a., Randnrn. 34 bis 40). Die Würdigung eines solchen Zusammenhangs hängt nämlich u. a. von einer Untersuchung der voraussichtlichen Entwicklung ab, bei der ausgehend von vielen zufallsabhängigen und ungewissen Elementen extrapoliert und die künftige Entwicklung des betreffenden Gesundheitssektors berücksichtigt werden muss, aber auch von einer Untersuchung der zum Ausgangszeitpunkt, d. h. gegenwärtig, bestehenden Situation.
70 Sodann hat das vorlegende Gericht bei der konkreten Würdigung des Sachverhalts der Ausgangsverfahren den Umstand zu berücksichtigen, dass der Mitgliedstaat, wenn eine Ungewissheit hinsichtlich des Vorliegens oder der Bedeutung der Gefahren für die öffentliche Gesundheit bleibt, Schutzmaßnahmen treffen kann, ohne warten zu müssen, bis es an medizinischem Personal fehlt (vgl. entsprechend Urteil Apothekerkammer des Saarlandes u. a., Randnr. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies hat auch dann zu gelten, wenn die Qualität des Unterrichts in diesem Bereich gefährdet ist.
71 Der Nachweis, dass solche Gefahren tatsächlich bestehen, obliegt daher den zuständigen nationalen Stellen (vgl. entsprechend Urteil Apothekerkammer des Saarlandes u. a., Randnr. 39). Nach ständiger Rechtsprechung ist es nämlich deren Sache, wenn sie eine Maßnahme erlassen, die von einem im Unionsrecht verankerten Grundsatz abweicht, in jedem Einzelfall nachzuweisen, dass diese Maßnahme geeignet ist, die Erreichung des mit ihr angestrebten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinausgeht. Neben den Rechtfertigungsgründen, die ein Mitgliedstaat geltend machen kann, muss dieser daher eine Untersuchung zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von ihm erlassenen Maßnahme vorlegen sowie genaue Angaben zur Stützung seines Vorbringens machen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. März 2004, Leichtle, C‑8/02, Slg. 2004, I‑2641, Randnr. 45, und Kommission/Österreich, Randnr. 63). Anhand einer solchen objektiven, eingehenden und auf Zahlenangaben gestützten Untersuchung muss sich mittels zuverlässiger, übereinstimmender und beweiskräftiger Daten nachweisen lassen, dass die öffentliche Gesundheit tatsächlich gefährdet ist.
72 In den Ausgangsverfahren muss diese Untersuchung u. a. für jeden der neun von dem Dekret vom 16. Juni 2006 erfassten Studiengänge eine Bewertung ermöglichen, wie viele Studierende unter Beachtung der gewünschten Standards für die Ausbildungsqualität höchstens ausgebildet werden können. Zudem muss darin angegeben werden, wie viele Absolventen zur Ausübung eines medizinischen oder paramedizinischen Berufs in das Gebiet der Französischen Gemeinschaft ziehen müssen, damit eine ausreichende öffentliche Gesundheitsversorgung gewährleistet ist.
73 Im Übrigen darf in der genannten Untersuchung nicht lediglich mit Zahlen der Studierenden dieser oder jener Gruppe gearbeitet werden, die insbesondere auf der Extrapolation beruhen, dass sämtliche nichtansässigen Studierenden nach ihrem Studium zur Ausübung eines der in den Ausgangsverfahren fraglichen Berufe in den Staat ziehen, in dem sie vor Aufnahme des Studiums ansässig waren. In der Untersuchung muss folglich in Rechnung gestellt werden, welches Gewicht der Gruppe der nichtansässigen Studierenden bei der Verfolgung des Ziels zukommt, in der Französischen Gemeinschaft eine Verfügbarkeit an Berufsangehörigen zu gewährleisten. Überdies ist die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass ansässige Studierende beschließen, nach ihrem Studium ihrem Beruf in einem anderen Staat als dem Königreich Belgien nachzugehen. Ebenso ist zu berücksichtigen, in welchem Umfang Personen, die nicht in der Französischen Gemeinschaft studiert haben, später dorthin ziehen, um einen der genannten Berufe auszuüben.
74 Die zuständigen Stellen haben dem vorlegenden Gericht eine diesen Anforderungen entsprechende Untersuchung vorzulegen.
75 Als Zweites hat das vorlegende Gericht, sofern es den Schutz der öffentlichen Gesundheit für tatsächlich gefährdet hält, zu prüfen, ob in Anbetracht der Angaben der zuständigen Stellen die in den Ausgangsverfahren streitige Regelung als geeignet angesehen werden kann, die Erreichung des Ziels des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten.
76 In diesem Zusammenhang hat es u. a. zu bewerten, ob eine Begrenzung der Zahl der nichtansässigen Studierenden tatsächlich geeignet ist, die Zahl der Absolventen zu erhöhen, die für die Gewährleistung der Gesundheitsversorgung in der Französischen Gemeinschaft letztlich zur Verfügung stehen.
77 Als Drittes hat das vorlegende Gericht zu beurteilen, ob die in den Ausgangsverfahren fragliche Regelung nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angeführten Ziels erforderlich ist, ob sich also dieses Ziel nicht mit weniger einschränkenden Maßnahmen erreichen ließe.
78 Insoweit ist festzustellen, dass es Sache dieses Gerichts ist, insbesondere nachzuprüfen, ob das angeführte im Allgemeininteresse liegende Ziel nicht durch weniger einschränkende Maßnahmen erreicht werden könnte, mit denen für Studierende, die ihr Studium in der Französischen Gemeinschaft absolvieren, ein Anreiz geschaffen würde, nach Abschluss des Studiums dort zu bleiben, oder für außerhalb der Französischen Gemeinschaft ausgebildete Berufsangehörige ein Anreiz, sich dort niederzulassen.
79 Ebenso ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die zuständigen Stellen die Erreichung dieses Ziels angemessen mit den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Erfordernissen in Einklang gebracht haben, insbesondere mit dem den Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten zustehenden Recht auf Zugang zum Hochschulunterricht, das zum Kernbereich des Grundsatzes der Freizügigkeit der Studierenden gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Österreich, Randnr. 70). Von einem Mitgliedstaat eingeführte Einschränkungen des Zugangs zu diesem Unterricht müssen daher auf das beschränkt sein, was zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist, und müssen den genannten Studierenden einen ausreichend weiten Zugang zum Hochschulunterricht lassen.
80 Hierzu geht aus den Akten hervor, dass die an dem Hochschulunterricht interessierten nichtansässigen Studierenden, die eingeschrieben werden, durch Auslosung ermittelt werden, bei der als solcher ihre Kenntnisse und Erfahrungen nicht berücksichtigt werden.
81 Daher ist es Sache des vorlegenden Gerichts, nachzuprüfen, ob das Verfahren zur Auswahl der nichtansässigen Studierenden allein in der Auslosung besteht und, falls dem so sein sollte, ob diese Auswahlmethode, bei der nicht die Kapazitäten der betroffenen Kandidaten zugrunde gelegt werden, sondern der Zufall den Ausschlag gibt, zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist.
82 Folglich ist auf die erste und die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 18 und 21 AEUV einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, die die Zahl der nichtansässigen Studierenden, die sich zum ersten Mal für einen medizinischen oder paramedizinischen Studiengang an einer Hochschuleinrichtung einschreiben können, beschränkt, es sei denn, das vorlegende Gericht stellt nach Würdigung aller von den zuständigen Stellen angeführten relevanten Gesichtspunkte fest, dass diese Regelung im Hinblick auf das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt ist.
Zur dritten Frage
83 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Auswirkungen die nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Paktes an die Mitgliedstaaten gestellten Anforderungen auf die in den Ausgangsverfahren streitige Situation haben.
84 Die belgische Regierung macht geltend, der Erlass des Dekrets vom 16. Juni 2006 sei unerlässlich für die Wahrung des Rechts der Bevölkerung der Französischen Gemeinschaft auf Bildung, wie es sich aus Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Paktes ergebe. Diese Bestimmung enthalte nämlich eine Stillhalteverpflichtung, nach der diese Gemeinschaft einen breiten und demokratischen Zugang zu einem Hochschulunterricht von guter Qualität aufrechtzuerhalten habe. Ohne dieses Dekret wäre die Aufrechterhaltung eines solchen Zugangs gefährdet.
85 Hierzu ist jedoch festzustellen, dass es zwischen dem Pakt und den Anforderungen aus den Art. 18 bzw. 21 AEUV keine Unvereinbarkeit gibt.
86 Nach dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Paktes dient dieser nämlich im Wesentlichen demselben Ziel wie die Art. 18 und 21 AEUV, nämlich, den Grundsatz der Nichtdiskriminierung beim Zugang zum Hochschulunterricht zu gewährleisten. Dies wird durch Art. 2 Abs. 2 des Paktes bestätigt, wonach die Vertragsstaaten des Paktes sich verpflichten, zu gewährleisten, dass die in diesem verkündeten Rechte ohne Diskriminierung u. a. hinsichtlich der nationalen Herkunft ausgeübt werden.
87 Dagegen verlangt Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Paktes von einem Vertragsstaat nicht und gestattet es ihm auch nicht, einen breiten Zugang zu einem Hochschulunterricht von guter Qualität nur für seine eigenen Staatsangehörigen zu gewährleisten.
88 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass sich die zuständigen Stellen nicht auf Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Paktes berufen können, wenn das vorlegende Gericht feststellt, dass das Dekret vom 16. Juni 2006 nicht mit den Art. 18 und 21 AEUV vereinbar ist.
Zu den zeitlichen Wirkungen des Urteils
89 Die belgische Regierung beantragt für den Fall, dass das Unionsrecht nach Auffassung des Gerichtshofs der in den Ausgangsverfahren streitigen Regelung entgegensteht, die Wirkungen des verkündeten Urteils zeitlich zu beschränken. Diese Beschränkung sei notwendig, weil in großer Zahl gutgläubig Rechtsverhältnisse eingegangen worden seien, denn viele nichtansässige Studierende hätten für das akademische Jahr 2006/2007 ihre Einschreibung für einen der von dem Dekret vom 16. Juni 2006 erfassten Studiengänge beantragt. Würden diese Rechtsverhältnisse in Frage gestellt, könne dies daher schwerwiegende wirtschaftliche Auswirkungen haben, die den Haushalt für Bildung der Französischen Gemeinschaft aus dem Gleichgewicht bringen könnten.
90 Nach ständiger Rechtsprechung wird durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV vornimmt, erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen (vgl. Urteile vom 2. Februar 1988, Blaizot, 24/86, Slg. 1988, 379, Randnr. 27, und vom 15. Dezember 1995, Bosman, C‑415/93, Slg. 1995, I‑4921, Randnr. 141).
91 Der Gerichtshof kann die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, nur ausnahmsweise aufgrund des allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit beschränken. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen (vgl. u. a. Urteile vom 28. September 1994, Vroege, C‑57/93, Slg. 1994, I‑4541, Randnr. 21, sowie vom 10. Januar 2006, Skov und Bilka, C‑402/03, Slg. 2006, I‑199, Randnr. 51).
92 Ferner können nach ständiger Rechtsprechung die finanziellen Konsequenzen, die sich aus einem im Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Urteil für einen Mitgliedstaat ergeben können, für sich allein nicht die zeitliche Begrenzung der Wirkungen dieses Urteils rechtfertigen (Urteile vom 20. September 2001, Grzelczyk, C‑184/99, Slg. 2001, I‑6193, Randnr. 52).
93 Der Gerichtshof hat nämlich auf diese Lösung nur unter ganz bestimmten Umständen zurückgegriffen, wenn zum einen die Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen bestand, die insbesondere mit der großen Zahl von Rechtsverhältnissen zusammenhingen, die gutgläubig auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen worden waren, und sich zum anderen herausstellte, dass die Einzelnen und die nationalen Behörden zu einem mit der Unionsregelung unvereinbaren Verhalten veranlasst worden waren, weil eine objektive, bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite der Unionsbestimmungen bestand, zu der eventuell auch das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission beigetragen hatte (vgl. Urteil Grzelczyk, Randnr. 53).
94 In Bezug auf die Ausgangsverfahren ist festzustellen, dass die belgische Regierung dem Gerichtshof keinen konkreten Anhaltspunkt dafür vorgetragen hat, dass die Verfasser des Dekrets vom 16. Juni 2006 etwa zu einem mit der Unionsregelung unvereinbaren Verhalten veranlasst wurden, weil eine objektive, bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite der Unionsbestimmungen bestand.
95 Ebenso wenig hat diese Regierung ihr Vorbringen durch konkrete Angaben untermauert, dass das vorliegende Urteil ohne zeitliche Beschränkung seiner Wirkungen schwerwiegende finanzielle Folgen haben könnte.
96 Daher sind die Wirkungen des vorliegenden Urteils nicht zeitlich zu beschränken.
Kosten
97 Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
1. Die Art. 18 und 21 AEUV stehen einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren streitigen entgegen, die die Zahl der als nicht in Belgien ansässig angesehenen Studierenden, die sich zum ersten Mal für einen medizinischen oder paramedizinischen Studiengang an einer Hochschuleinrichtung einschreiben können, beschränkt, es sei denn, das vorlegende Gericht stellt nach Würdigung aller von den zuständigen Stellen angeführten relevanten Gesichtspunkte fest, dass diese Regelung im Hinblick auf das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt ist.
2. Die zuständigen Stellen können sich nicht auf Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 16. Dezember 1966 angenommenen und am 3. Januar 1976 in Kraft getretenen Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte berufen, wenn das vorlegende Gericht feststellt, dass das Dekret der Französischen Gemeinschaft vom 16. Juni 2006 zur Regelung der Studierendenzahl in bestimmten Studiengängen des ersten Zyklus des Hochschulunterrichts nicht mit den Art. 18 und 21 AEUV vereinbar ist.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Französisch.