Verbundene Rechtssachen C‑317/08 bis C‑320/08

Rosalba Alassini u. a.

gegen

Telecom Italia SpA u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des Giudice di pace di Ischia)

„Vorabentscheidungsersuchen – Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes – Elektronische Kommunikationsnetze und -dienste – Richtlinie 2002/22/EG – Universaldienst – Streitfälle zwischen Endnutzern und Dienstanbietern – Obligatorischer außergerichtlicher Streitbeilegungsversuch“

Leitsätze des Urteils

1.        Rechtsangleichung – Elektronische Kommunikationsnetze und -dienste – Universaldienst und Nutzerrechte – Richtlinie 2002/22 – Außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten

(Richtlinie 2002/22 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 34)

2.        Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz

1.        Art. 34 der Richtlinie 2002/22 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie) ist dahin auszulegen, dass er nicht einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die in Streitfällen zwischen Endnutzern und Dienstanbietern auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikationsdienste, in denen von dieser Richtlinie verliehene Rechte in Frage stehen, als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Klage einen obligatorischen Versuch der außergerichtlichen Streitbeilegung vorschreibt.

Art. 34 Abs. 1 der Universaldienstrichtlinie gibt nämlich den Mitgliedstaaten das Ziel vor, außergerichtliche Verfahren zur Beilegung von Streitfällen zu schaffen, an denen Verbraucher beteiligt sind und die Fragen im Zusammenhang mit der Richtlinie betreffen. Unter diesen Umständen erscheint die Geltung einer nationalen Regelung, mit der nicht nur ein Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung geschaffen worden ist, sondern darüber hinaus dessen Inanspruchnahme vor der Anrufung eines Gerichts obligatorischer Charakter beigelegt worden ist, nicht geeignet, die Verwirklichung des vorgenannten Ziels zu beeinträchtigen. Vielmehr zielt eine solche Regelung, da sie gewährleistet, dass die Inanspruchnahme eines außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens in systematischer Weise erfolgt, darauf ab, die praktische Wirksamkeit der Universaldienstrichtlinie zu stärken.

(vgl. Randnrn. 45, 67, Tenor 1)

2.        Die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sowie der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes stehen einer nationalen Regelung, die für Streitfälle zwischen Endnutzern und Dienstanbietern auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikationsdienste, in denen von der Richtlinie 2002/22 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie) verliehene Rechte in Frage stehen, die vorherige Durchführung eines außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens vorschreibt, nicht entgegen, wenn dieses Verfahren nicht zu einer die Parteien bindenden Entscheidung führt, keine wesentliche Verzögerung für die Erhebung einer Klage bewirkt, die Verjährung der betroffenen Ansprüche hemmt und für die Parteien keine oder nur geringe Kosten mit sich bringt, vorausgesetzt jedoch, dass die elektronische Kommunikation nicht das einzige Mittel des Zugangs zu diesem Streitbeilegungsverfahren bildet und dass Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes in Ausnahmefällen möglich sind, in denen die Dringlichkeit der Lage dies verlangt.

Zwar schaltet eine solche Regelung, indem sie die Zulässigkeit einer Klage auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikationsdienste von der Durchführung eines obligatorischen Schlichtungsversuchs abhängig macht, dem Zugang zum Gericht eine zusätzliche Etappe vor. Diese Bedingung könnte den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes beeinträchtigen, der von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt worden ist.

Indessen sind die Grundrechte nicht schrankenlos gewährleistet, sondern können Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet. Insoweit verfolgen die nationalen Vorschriften, die auf eine zügigere und kostengünstigere Beilegung von Streitfällen auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation sowie auf eine Entlastung der Gerichte abzielen, berechtigte Ziele des Allgemeininteresses. Ferner erscheint angesichts der genauen Modalitäten seiner Funktionsweise die Schaffung eines solchen obligatorischen außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens im Verhältnis zu den verfolgten Zielen nicht unverhältnismäßig, da es zum einen in Anbetracht des Umstands, dass die Einführung eines rein fakultativen außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens kein für die Erreichung dieser Ziele ebenso wirksames Mittel darstellt, keine mildere Alternative zur Schaffung eines obligatorischen Verfahrens gibt und zum anderen zwischen diesen Zielen und den möglichen Nachteilen des obligatorischen Charakters des außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens kein offensichtliches Missverhältnis besteht.

(vgl. Randnrn. 54-59, 61-65, 67, Tenor 2)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

18. März 2010(*)

„Vorabentscheidungsersuchen – Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes – Elektronische Kommunikationsnetze und -dienste – Richtlinie 2002/22/EG – Universaldienst – Streitfälle zwischen Endnutzern und Dienstanbietern – Obligatorischer außergerichtlicher Streitbeilegungsversuch“

In den verbundenen Rechtssachen C‑317/08, C‑318/08, C‑319/08 und C‑320/08

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Giudice di pace di Ischia (Italien) mit Entscheidungen vom 4. April 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juli 2008, in den Verfahren

Rosalba Alassini

gegen

Telecom Italia SpA (C‑317/08)

und

Filomena Califano

gegen

Wind SpA (C‑318/08)

und

Lucia Anna Giorgia Iacono

gegen

Telecom Italia SpA (C‑319/08)

und

Multiservice Srl

gegen

Telecom Italia SpA (C‑320/08)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter G. Arestis, J. Malenovský und T. von Danwitz,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. September 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Wind SpA, vertreten durch D. Cutolo, avvocato,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch P. Gentili, avvocato dello Stato,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Kemper als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch N. Bambara, A. Nijenhuis, I. V. Rogalski und S. La Pergola als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. November 2009

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes im Hinblick auf eine nationale Regelung, die in bestimmten Streitfällen zwischen Dienstanbietern und Endnutzern, die unter die Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie) (ABl. L 108, S. 51) fallen, als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage einen obligatorischen außergerichtlichen Streitbeilegungsversuch vorsieht.

2        Diese Ersuchen ergehen in vier Rechtsstreitigkeiten zwischen jeweils Frau Alassini, Frau Iacono und der Multiservice Srl einerseits und der Telecom Italia SpA andererseits sowie zwischen Frau Califano und der Wind SpA wegen angeblicher Nichterfüllung von Verträgen zwischen den Parteien der Ausgangsverfahren, die die Erbringung von Telefondiensten an die Klägerinnen dieser Verfahren durch jeweils einen der beiden beklagten Dienstanbieter zum Gegenstand haben.

 Rechtlicher Rahmen

 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

3        Art. 6 („Recht auf ein faires Verfahren“) Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sieht vor:

„Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. …“

 Unionsrecht

4        Art. 47 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“) der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 364, S. 1) in ihrer am 12. Dezember 2007 in Straßburg angepassten Fassung (ABl. C 303, S. 1) lautet:

„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.“

5        Im 47. Erwägungsgrund der Universaldienstrichtlinie heißt es:

„In einem vom Wettbewerb geprägten Umfeld sollten die Ansichten der Betroffenen, einschließlich der Nutzer und Verbraucher, von den nationalen Regulierungsbehörden berücksichtigt werden, wenn sie mit Endnutzerrechten zusammenhängende Angelegenheiten behandeln. Es sollte wirksame Verfahren für die Beilegung von Streitigkeiten sowohl zwischen Verbrauchern einerseits und Unternehmen, die öffentlich zugängliche Kommunikationsdienste erbringen, andererseits geben. Die Mitgliedstaaten sollten der Empfehlung 98/257/EG der Kommission vom 30. März 1998 betreffend die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind [ABl. L 115, S. 31], umfassend Rechnung tragen.“

6        Art. 1 der Universaldienstrichtlinie lautet:

„(1)      Innerhalb des Rahmens der Richtlinie 2002/21/EG (Rahmenrichtlinie) betrifft diese Richtlinie die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste für Endnutzer. Sie zielt ab auf die Gewährleistung der Verfügbarkeit gemeinschaftsweiter hochwertiger, öffentlich zugänglicher Dienste durch wirksamen Wettbewerb und Angebotsvielfalt und regelt gleichzeitig die Fälle, in denen die Bedürfnisse der Endnutzer durch den Markt nicht ausreichend befriedigt werden können.

(2)      Diese Richtlinie begründet die Rechte der Endnutzer und die entsprechenden Pflichten von Unternehmen, die öffentlich zugängliche elektronische Kommunikationsnetze und -dienste bereitstellen. Im Hinblick auf die Gewährleistung eines Universaldienstes in einem Umfeld mit offenen und wettbewerbsorientierten Märkten legt die Richtlinie das Mindestangebot an Diensten mit definierter Qualität fest, zu denen alle Endnutzer unter Berücksichtigung der spezifischen nationalen Gegebenheiten zu einem erschwinglichen Preis und unter Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen Zugang haben. Diese Richtlinie enthält auch Verpflichtungen bezüglich der Bereitstellung bestimmter Pflichtdienste wie der Bereitstellung von Mietleitungen für Endnutzer.“

7        Art. 34 („Außergerichtliche Streitbeilegung“) der Universaldienstrichtlinie lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass transparente, einfache und kostengünstige außergerichtliche Verfahren zur Beilegung von Streitfällen zur Verfügung stehen, an denen Verbraucher beteiligt sind und die Fragen im Zusammenhang mit dieser Richtlinie betreffen. Die Mitgliedstaaten ergreifen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass diese Verfahren eine gerechte und zügige Beilegung von Streitfällen ermöglichen; sie können gegebenenfalls ein Erstattungs- und/oder Entschädigungssystem einführen. Die Mitgliedstaaten können diese Verpflichtungen auf Streitfälle ausweiten, an denen andere Endnutzer beteiligt sind.

(2)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ihre Rechtsvorschriften die Einrichtung von Beschwerdestellen und Online-Diensten auf der geeigneten Gebietsebene nicht beeinträchtigen, um den Zugang zur Streitbeilegung für Verbraucher und Endnutzer zu ermöglichen.

(3)      Bei Streitfällen, die Beteiligte in verschiedenen Mitgliedstaaten betreffen, koordinieren die Mitgliedstaaten ihre Bemühungen im Hinblick auf die Beilegung.

(4)      Dieser Artikel lässt einzelstaatliche gerichtliche Verfahren unberührt.“

8        Art. 1 („Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen“) Abs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. L 171, S. 12) bestimmt:

„(1)      Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter zur Gewährleistung eines einheitlichen Verbraucherschutz-Mindestniveaus im Rahmen des Binnenmarkts.

(2)      Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

b)      ‚Verbrauchsgüter‘ bewegliche körperliche Gegenstände, mit Ausnahme von

–        Gütern, die aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder anderen gerichtlichen Maßnahmen verkauft werden,

–        Wasser und Gas, wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge abgefüllt sind,

–        Strom;

…“

 Die Empfehlungen 98/257 und 2001/310/EG

9        Die Erwägungsgründe 5, 6 und 9 der Empfehlung 98/257 lauten:

„Die Erfahrung verschiedener Mitgliedstaaten zeigt, dass sich mit Alternativen für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten, sofern die Wahrung bestimmter wesentlicher Grundsätze gewährleistet ist, sowohl für die Verbraucher als auch für Unternehmen akzeptable Ergebnisse erzielen lassen und die Verfahrenskosten gesenkt und Verfahrensfristen verkürzt werden können.

Die Festschreibung entsprechender Grundsätze auf europäischer Ebene könnte die Durchführung außergerichtlicher Verfahren zur Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten vereinfachen. Damit könnte, mit Blick auf grenzübergreifende Streitfälle, das gegenseitige Vertrauen der außergerichtlichen Einrichtungen der einzelnen Mitgliedstaaten wie auch das Vertrauen der Verbraucher in die auf nationaler Ebene bestehenden Verfahren gestärkt werden. Diese Kriterien würden den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Anbietern außergerichtlicher Dienste erleichtern, ihre Dienste in einem anderen Mitgliedstaat anzubieten.

Diese Empfehlung betrifft ausschließlich Verfahren, die unabhängig von ihrer Bezeichnung durch die aktive Intervention eines Dritten, der eine Lösung vorschlägt oder vorschreibt, zu einer Beilegung der Streitigkeit führen. Sie betrifft keine Verfahren, die auf den einfachen Versuch beschränkt sind, eine Annäherung der Parteien zu erreichen, um sie zu überzeugen, eine einvernehmliche Lösung zu finden.“

10      Abschnitt VI („Grundsatz der Handlungsfreiheit“) der Empfehlung 98/257 lautet:

„Die Entscheidung der Einrichtung kann für die Parteien nur dann bindend sein, wenn diese vorab davon in Kenntnis gesetzt worden sind und die Entscheidung ausdrücklich angenommen haben.

Die Einwilligung des Verbrauchers in ein außergerichtliches Verfahren darf nicht auf eine Verpflichtung vor Entstehung der Streitfrage zurückgehen, wenn diese Verpflichtung dazu führt, dem Verbraucher sein Recht zu entziehen, das für die Beilegung des Streitfalls zuständige Gericht anzurufen.“

11      Abschnitt I („Anwendungsbereich“) der Empfehlung 2001/310/EG der Kommission vom 4. April 2001 über die Grundsätze für an der einvernehmlichen Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten beteiligte außergerichtliche Einrichtungen (ABl. L 109, S. 56) lautet:

„1.      Diese Empfehlung gilt für unabhängige Einrichtungen, die Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten durchführen, bei denen – unabhängig von ihrer Bezeichnung – versucht wird, eine Streitigkeit dadurch zu beenden, dass die Parteien zusammengebracht und dazu veranlasst werden, im gegenseitigen Einvernehmen eine Lösung zu finden.

2.      Sie gilt nicht für Verbraucherbeschwerdeverfahren, die von Unternehmen betrieben werden und bei denen das Unternehmen unmittelbar mit dem Verbraucher verhandelt, oder für Verfahren, die von oder im Auftrag eines Unternehmens durchgeführt werden.“

 Nationales Recht

12      Die Italienische Republik hat die Universaldienstrichtlinie durch das Decreto legislativo Nr. 259 vom 1. August 2003 betreffend das Gesetzbuch über die elektronische Kommunikation (Codice delle comunicazioni elettroniche) (GURI Nr. 214 vom 15. September 2003, S. 3) umgesetzt.

13      Art. 84 des Gesetzbuchs über die elektronische Kommunikation bestimmt:

„(1)      Die Aufsichtsbehörde schafft gemäß Art. 1 Abs. 11, 12 und 13 des Gesetzes Nr. 249 vom 31. Juli 1997 [über die Errichtung der Aufsichtsbehörde für das Kommunikationswesen und zur Regelung der Telekommunikations- und Rundfunksysteme, GURI Nr. 177 vom 31. Juli 1997, Supplemento ordinario] transparente, einfache und kostengünstige außergerichtliche Verfahren zur Beilegung von Streitfällen, an denen Verbraucher und Endbenutzer beteiligt sind und die die Vorschriften dieses Kapitels betreffen, um eine gerechte und zügige Beilegung dieser Streitfälle zu ermöglichen; dabei sieht sie gegebenenfalls ein Erstattungs- oder Entschädigungssystem vor.

(2)      Die Aufsichtsbehörde fördert im Einvernehmen mit der Ständigen Konferenz für die Beziehungen zwischen dem Staat, den Regionen und den Autonomen Provinzen Trient und Bozen ebenfalls gemäß Art. 1 Abs. 13 des Gesetzes Nr. 249 vom 31. Juli 1997 mit dem gegenwärtigen Personalbestand und einer Sachausstattung, die mit Mitteln aus dem ordentlichen Haushalt ohne Ausgabenerhöhung erworben werden kann, die Einrichtung von Beschwerdestellen und Online-Diensten auf der geeigneten Gebietsebene, um den Zugang zur Streitbeilegung für Verbraucher und Endnutzer zu ermöglichen.

(3)      Bei Streitfällen, die Beteiligte in anderen Mitgliedstaaten betreffen, koordiniert die Aufsichtsbehörde ihre Bemühungen im Hinblick auf die Beilegung mit den anderen betroffenen Aufsichtsbehörden.

(4)      Hiervon unberührt bleiben die Vorschriften über gerichtliche Verfahren und bis zur Durchführung der Abs. 1 und 2 die am Tag der Veröffentlichung dieses Gesetzbuchs im Amtsblatt der Italienischen Republik geltenden Vorschriften über außergerichtliche Streitbeilegung.“

14      Nach dem Gesetz Nr. 249 vom 31. Juli 1997 umfasst die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde die auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation entstehenden Streitfälle zwischen Endnutzern und Dienstanbietern wegen Verletzungen der Vorschriften über den Universaldienst und die Rechte der Endnutzer.

15      Mit dem Beschluss Nr. 173/07/CONS (GURI Nr. 120 vom 25. Mai 2007, S. 19) erließ die Aufsichtsbehörde die Verordnung über die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Kommunikationsdienstanbietern und Endnutzern (im Folgenden: Schlichtungsverordnung).

16      Art. 3 der Schlichtungsverordnung sieht vor:

„(1)      Bei Streitfällen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 ist die gerichtliche Klage unzulässig, solange nicht vor dem örtlich zuständigen Regionalbeirat für das Kommunikationswesen, dem die Aufgabe der Schlichtung übertragen worden ist, oder vor den Einrichtungen für die außergerichtliche Streitbeilegung nach Art. 13 der obligatorische Schlichtungsversuch unternommen worden ist.

(2)      Ist dem örtlich zuständigen Regionalbeirat für das Kommunikationswesen nicht die Aufgabe nach Abs. 1 übertragen worden, muss der obligatorische Schlichtungsversuch vor den Einrichtungen nach Art. 13 unternommen werden.

(3)      Die Frist für den Abschluss des Schlichtungsverfahrens beträgt dreißig Tage ab dem Tag, an dem die Schlichtung beantragt wurde; nach Ablauf dieser Frist können die Parteien vor Gericht Klage erheben, auch wenn das Verfahren nicht abgeschlossen ist.“

17      Art. 13 der Schlichtungsverordnung bestimmt:

„(1)      Alternativ zum Schlichtungsverfahren vor dem Regionalbeirat für das Kommunikationswesen können die Beteiligten den obligatorischen Schlichtungsversuch, auch mittels elektronischer Kommunikation, vor den Einrichtungen für die außergerichtliche Beilegung von verbraucherrechtlichen Streitigkeiten nach Art. 1 Buchst. o der vorliegenden Regelung unternehmen.

(2)      Zu diesem Zweck kann sich der Nutzer auch an die Einrichtungen wenden, die durch Vertrag zwischen den Betreibern und den Verbraucherverbänden auf nationaler Ebene geschaffen wurden, sofern diese Einrichtungen unentgeltlich tätig sind und die Grundsätze der Transparenz, der Fairness und der Effizienz im Sinne der Empfehlung 2001/310/EG einhalten.

(3)      Die aktualisierte Liste der in den vorstehenden Absätzen genannten Einrichtungen wird auf der Internetseite der Aufsichtsbehörde zur Verfügung gestellt.

(4)      Die Einrichtungen gemäß Abs. 2 werden in die in Abs. 3 genannte Liste nach Prüfung der Einhaltung der in Abs. 2 bezeichneten Grundsätze auf einen von den Beteiligten unterzeichneten Antrag hin aufgenommen, dem die vom Betreiber erwirkte Erklärung des Einvernehmens von mindestens zwei Dritteln der auf nationaler Ebene repräsentativen Verbraucherschutzvereinigungen sowie eine Kopie der Verfahrensordnung beizufügen sind.

(5)      Der Antrag ist unter Einhaltung der gleichen Förmlichkeiten alle zwei Jahre zu erneuern. Wird der Antrag nicht erneuert, streicht die Aufsichtsbehörde die Einrichtung von Amts wegen aus der in Abs. 3 genannten Liste.

(6)      Auf Eingabe jedes Dritten hin kann die Aufsichtsbehörde aus der Liste Einrichtungen streichen, hinsichtlich deren festgestellt worden ist, dass sie die in Abs. 2 bezeichneten Grundsätze nicht einhalten.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

18      Den Vorlageentscheidungen ist zu entnehmen, dass die Beklagten der Ausgangsverfahren allen in diesen Verfahren erhobenen Klagen entgegenhalten, sie seien nach den Art. 3 und 13 der Schlichtungsverordnung unzulässig, weil die Klägerinnen vorher nicht den in diesen Bestimmungen vorgesehenen obligatorischen Schlichtungsversuch vor dem Regionalbeirat eingeleitet hätten.

19      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der in der nationalen Regelung vorgesehene Regionalbeirat in der Region Kampanien jedoch noch nicht errichtet worden sei, was zu der Verpflichtung führe, die obligatorische Streitbeilegung vor anderen Einrichtungen einzuleiten, nämlich den in Art. 13 vorgesehenen. Es habe aber keine Überprüfung stattgefunden, ob diese Einrichtungen den in der Empfehlung 2001/310 bezeichneten Grundsätzen entsprächen, insbesondere hinsichtlich der Unentgeltlichkeit oder angemessenen Kosten des vor ihnen unternommenen Versuchs einer Streitbeilegung sowie hinsichtlich der Bekanntheit und Einfachheit der Streitbeilegungsverfahren.

20      Doch selbst für den Fall, dass in der Region Kampanien der Regionalbeirat errichtet worden wäre, ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass der obligatorische Charakter der Streitbeilegung, den die in den Ausgangsverfahren fragliche Regelung vorsehe, die Ausübung der Rechte der Endnutzer beeinträchtigen könne, und zwar insbesondere deshalb, weil die Streitbeilegung zwingend im Wege der elektronischen Kommunikation durchzuführen sei. Das vorlegende Gericht weist weiter darauf hin, dass bereits im ordentlichen gerichtlichen Verfahren im ersten Termin ein Streitbeilegungsversuch unternommen werde.

21      Vor diesem Hintergrund hat der Giudice di pace di Ischia die Ausgangsverfahren ausgesetzt und in jedem von ihnen dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Haben die oben genannten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts (Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Richtlinien 2002/22 und 1999/44 sowie die Empfehlungen 2001/310 und 98/257 der Kommission) unmittelbar bindende Wirkung und sind sie dahin auszulegen, dass bei Streitfällen „auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation zwischen Endnutzern und Betreibern aufgrund von Verstößen gegen Vorschriften über den Universaldienst und gegen die Rechte der Endnutzer, die in gesetzlichen Vorschriften, in Beschlüssen der Aufsichtsbehörde, in Vertragsbedingungen und in Dienstleistungschartas vorgesehen sind“ (die in Art. 2 des Anhangs A des Beschlusses Nr. 173/07/CONS der Aufsichtsbehörde für das Kommunikationswesen angeführten Streitfälle), nicht der obligatorische Schlichtungsversuch zur Vermeidung der Unzulässigkeit der gerichtlichen Klage unternommen werden muss, da diese Vorschriften der Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 des Anhangs A des genannten Beschlusses Nr. 173/07/CONS vorgehen?

22      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 16. September 2008 sind die Rechtssachen C‑317/08 bis C‑320/08 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

 Zur Vorlagefrage

 Zur Zulässigkeit

23      In der mündlichen Verhandlung hat die italienische Regierung die Unzulässigkeit der Vorlagefrage geltend gemacht. Sie ist der Auffassung, dass das vorlegende Gericht nicht die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte benannt habe, die Gegenstand der Ausgangsverfahren seien, und dass darum die Vorlagefrage rein hypothetischer Art sei.

24      Ohne die Vorlagefrage als unzulässig zu bezeichnen, weist auch die Kommission auf die Notwendigkeit hin, die Ausgangsverfahren in einen bestimmten Bezug zum Unionsrecht zu setzen, der sich aus den Vorlagefragen nicht ohne Weiteres herleiten lasse.

25      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in einem Verfahren nach Art. 234 EG nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen hat. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (vgl. u. a. Urteile vom 18. Juli 2007, Lucchini, C‑119/05, Slg. 2007, I‑6199, Randnr. 43, vom 22. Dezember 2008, Magoora, C‑414/07, Slg. 2008, I‑10921, Randnr. 22, und vom 16. Juli 2009, Mono Car Styling, C‑12/08, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 27).

26      Damit kann der Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts nur dann zurückweisen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile vom 13. März 2001, PreussenElektra, C‑379/98, Slg. 2001, I‑2099, Randnr. 39, vom 5. Dezember 2006, Cipolla u. a., C‑94/04 und C‑202/04, Slg. 2006, I‑11421, Randnr. 25, Magoora, Randnr. 23, und Mono Car Styling, Randnr. 28).

27      Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren ist festzustellen, dass in den Vorlageentscheidungen der rechtliche und tatsächliche Rahmen der Ausgangsrechtsstreitigkeiten sowie die Gründe erläutert werden, aus denen das vorlegende Gericht die Beantwortung der vorgelegten Frage in jedem der Ausgangsverfahren für entscheidungserheblich hält.

28      Auch wenn in den Vorlageentscheidungen die Ausgangsrechtsstreitigkeiten und insbesondere die genauen Rechte und Pflichten, die in diesen Verfahren streitig sind, nicht im Einzelnen beschrieben sind, ändert dies zudem nichts daran, dass diese Rechtsstreitigkeiten elektronische Kommunikationsdienste zwischen Endnutzern und Betreibern sowie Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung betreffen, wobei sich das vorlegende Gericht im Übrigen ausdrücklich auf den 47. Erwägungsgrund der Universaldienstrichtlinie sowie deren Art. 34 bezieht.

29      Es ist daher festzustellen, dass die Vorlagefrage die Auslegung des Unionsrechts betrifft und dass diese Auslegung für die Entscheidung über die Ausgangsrechtsstreitigkeiten erforderlich ist.

30      Folglich ist die Vorlagefrage für zulässig zu erklären.

 Zur Sache

31      Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich die Frage des vorlegenden Gerichts nicht nur auf die Universaldienstrichtlinie, die Empfehlung 98/257 und den in Art. 6 EMRK niedergelegten Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz bezieht, sondern auch auf die Richtlinie 1999/44 und die Empfehlung 2001/310.

32      Hinsichtlich der Richtlinie 1999/44 ist festzustellen, dass sie auf die Ausgangsverfahren nicht anwendbar ist, da nach ihrem Art. 1 Kommunikationsdienste nicht in ihren Anwendungsbereich fallen.

33      Hinsichtlich der Empfehlung 2001/310 ist daran zu erinnern, dass die Mitgliedstaaten nach dem 47. Erwägungsgrund der Universaldienstrichtlinie bei der Schaffung der in der Richtlinie vorgesehenen Streitbeilegungsverfahren der Empfehlung 98/257 umfassend Rechnung tragen.

34      Der Anwendungsbereich der Empfehlung 98/257 ist jedoch nach ihrem neunten Erwägungsgrund auf Verfahren beschränkt, die unabhängig von ihrer Bezeichnung durch die aktive Intervention eines Dritten, der eine Lösung vorschlägt oder vorschreibt, zu einer Beilegung der Streitigkeit führen, ohne indessen Verfahren zu erfassen, die wie die in der Empfehlung 2001/310 vorgesehenen auf den Versuch beschränkt sind, eine Annäherung der Parteien zu erreichen, um sie zu überzeugen, eine einvernehmliche Lösung zu finden.

35      Es ist daher festzustellen, dass die unter die Universaldienstrichtlinie fallenden Streitbeilegungsverfahren nicht auf den Versuch beschränkt sein dürfen, eine Annäherung der Parteien zu erreichen, um sie zu überzeugen, eine einvernehmliche Lösung zu finden, sondern durch die aktive Intervention eines Dritten, der eine Lösung vorschlägt oder vorschreibt, zu einer Beilegung der Streitigkeit führen müssen.

36      In den Ausgangsverfahren ist das von der fraglichen nationalen Regelung vorgesehene obligatorische Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung nicht darauf beschränkt, eine Annäherung der Parteien zu erreichen, sondern in diesem Verfahren soll ihnen im Wege der aktiven Intervention einer Schlichtungsstelle eine Lösung vorgeschlagen werden. Daher ist festzustellen, dass auch die Empfehlung 2001/310 auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten nicht anwendbar ist.

37      Die Vorlagefrage ist folglich dahin zu verstehen, dass das vorlegende Gericht mit ihr wissen möchte, ob Art. 34 der Universaldienstrichtlinie und der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die in Streitfällen zwischen Endnutzern und Dienstanbietern auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikationsdienste, in denen von der Universaldienstrichtlinie verliehene Rechte in Frage stehen, als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Klage einen obligatorischen Versuch der außergerichtlichen Streitbeilegung vorschreibt.

 Zu Art. 34 der Universaldienstrichtlinie

38      Gemäß Art. 34 der Universaldienstrichtlinie stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass transparente, einfache und kostengünstige außergerichtliche Verfahren zur Beilegung von Streitfällen zur Verfügung stehen, an denen Verbraucher beteiligt sind und die Fragen im Zusammenhang mit dieser Richtlinie betreffen. Diese Verfahren lassen die einzelstaatlichen gerichtlichen Verfahren stets unberührt.

39      Wie in Randnr. 33 des vorliegenden Urteils erwähnt, berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Schaffung dieser außergerichtlichen Verfahren umfassend die Empfehlung 98/257.

40      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Empfehlungen zwar keine bindenden Wirkungen entfalten sollen und keine Rechte begründen können, auf die sich die Einzelnen vor einem nationalen Gericht berufen können, dass sie aber rechtlich nicht völlig wirkungslos sind. Die nationalen Gerichte sind nämlich verpflichtet, bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten die Empfehlungen zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn sie Aufschluss über die Auslegung zu ihrer Durchführung erlassener nationaler Vorschriften geben oder wenn sie verbindliche Vorschriften der Europäischen Union ergänzen sollen (vgl. Urteile vom 13. Dezember 1989, Grimaldi, 322/88, Slg. 1989, 4407, Randnrn. 7, 16 und 18, und vom 11. September 2003, Altair Chimica, C‑207/01, Slg. 2003, I‑8875, Randnr. 41).

41      Es ist jedoch festzustellen, dass außer den in Art. 34 der Universaldienstrichtlinie genannten Gesichtspunkten, die in Randnr. 38 des vorliegenden Urteils wiedergegeben worden sind, sowie den in der Empfehlung 98/257 formulierten Grundsätzen der Unabhängigkeit, der Transparenz, der kontradiktorischen Verfahrensweise, der Effizienz, der Rechtmäßigkeit, der Handlungsfreiheit und der Vertretung weder die Universaldienstrichtlinie noch die Empfehlung 98/257 bestimmte Modalitäten oder Merkmale der zu schaffenden außergerichtlichen Verfahren festlegen.

42      Was die vorgenannten Gesichtspunkte und Grundsätze anbelangt, lässt keiner von ihnen den Schluss zu, dass die Befugnisse der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Möglichkeit, den außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren obligatorischen Charakter beizulegen, einer Beschränkung unterlägen.

43      Im gleichen Sinne ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 34 Abs. 4 der Universaldienstrichtlinie sowie dem in Abschnitt VI der Empfehlung 98/257 festgelegten Grundsatz der Handlungsfreiheit die einzige insoweit vorgeschriebene Bedingung in der Wahrung des Rechts besteht, das für die Beilegung des Streitfalls zuständige Gericht anzurufen.

44      Folglich ist es, da die Universaldienstrichtlinie die Modalitäten oder Merkmale der in ihrem Art. 34 vorgesehenen Verfahren nicht näher festlegt, Sache der Mitgliedstaaten, die Modalitäten dieser Verfahren einschließlich ihres obligatorischen Charakters zu regeln; dabei haben sie die praktische Wirksamkeit der Richtlinie zu gewährleisten.

45      Insoweit ist festzustellen, dass Art. 34 Abs. 1 der Universaldienstrichtlinie den Mitgliedstaaten das Ziel vorgibt, außergerichtliche Verfahren zur Beilegung von Streitfällen zu schaffen, an denen Verbraucher beteiligt sind und die Fragen im Zusammenhang mit dieser Richtlinie betreffen. Unter diesen Umständen erscheint die Geltung einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen, mit der nicht nur ein Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung geschaffen wurde, sondern darüber hinaus dessen Inanspruchnahme vor der Anrufung eines Gerichts obligatorischer Charakter beigelegt wurde, nicht geeignet, die Verwirklichung des vorgenannten Ziels zu beeinträchtigen. Vielmehr zielt eine solche Regelung, da sie gewährleistet, dass die Inanspruchnahme eines außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens in systematischer Weise erfolgt, darauf ab, die praktische Wirksamkeit der Universaldienstrichtlinie zu stärken.

46      Indessen ist, soweit mit der Einführung eines obligatorischen Streitbeilegungsverfahrens eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Klage vor Gericht geschaffen wird, zu prüfen, ob sie mit dem Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz vereinbar ist.

 Zu den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität sowie zum Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes

47      Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung mangels einer einschlägigen Regelung der Union Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, wobei die Mitgliedstaaten allerdings für den wirksamen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall verantwortlich sind (vgl. Urteil vom 15. April 2008, Impact, C‑268/06, Slg. 2008, I‑2483, Randnrn. 44 und 45, und Urteil Mono Car Styling, Randnr. 48).

48      Dabei dürfen nach gefestigter Rechtsprechung die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl. Urteil Impact, Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Diese Erfordernisse in Bezug auf die Äquivalenz und Effektivität sind Ausdruck der allgemeinen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den gerichtlichen Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten. Sie gelten sowohl für die Bestimmung der Gerichte, die für die Entscheidung über auf dieses Recht gestützte Klagen zuständig sind, als auch für die Bestimmung der Verfahrensmodalitäten (vgl. Urteil Impact, Randnrn. 47 und 48, und Urteil vom 29. Oktober 2009, Pontin, C-63/08, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 44).

50      In den Ausgangsverfahren erscheint der Grundsatz der Äquivalenz gewahrt.

51      Zum einen nämlich hat das vorlegende Gericht nichts mitgeteilt, woraus sich ergäbe, dass der Grundsatz der Äquivalenz möglicherweise verkannt würde. Zum anderen hat die italienische Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass die in den Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung unterschiedslos für alle Klagen gilt, mit denen ein Rechtsverstoß auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation, sei es gegen das Unionsrecht oder sei es gegen das innerstaatliche Recht, geltend gemacht wird.

52      Was den Grundsatz der Effektivität anbelangt, wird dadurch, dass als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage die vorherige Durchführung eines außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens vorgeschrieben wird, zwar die Ausübung der Rechte berührt, die die Universaldienstrichtlinie den Einzelnen verleiht.

53      Aus verschiedenen Gesichtspunkten ergibt sich jedoch, dass ein obligatorisches Streitbeilegungsverfahren, wie es in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten in Frage steht, nicht geeignet ist, die Ausübung der Rechte, die die Universaldienstrichtlinie den Einzelnen verleiht, praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren.

54      Erstens nämlich ist das Ergebnis des Streitbeilegungsverfahrens für die Parteien nicht bindend und beeinträchtigt daher nicht ihr Recht zur Klageerhebung.

55      Zweitens wird durch das Streitbeilegungsverfahren unter normalen Umständen eine Klageerhebung nicht wesentlich verzögert. Das Streitbeilegungsverfahren muss nämlich innerhalb von 30 Tagen nach seiner Beantragung abgeschlossen sein, und auch wenn dies nicht der Fall ist, können die Parteien nach Ablauf dieser Frist Klage erheben.

56      Drittens ist die Verjährung der Ansprüche für die Dauer des Streitbeilegungsverfahrens gehemmt.

57      Viertens entstehen durch das Streitbeilegungsverfahren vor dem Regionalbeirat keine Kosten. Was die Streitbeilegungsverfahren vor anderen Einrichtungen angeht, ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten kein Hinweis darauf, dass diese Kosten erheblich wären.

58      Jedoch könnte die Ausübung der durch die Universaldienstrichtlinie verliehenen Rechte für bestimmte Bürger, insbesondere solche ohne Zugang zum Internet, praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden, wenn der Zugang zum Streitbeilegungsverfahren nur auf elektronischem Wege möglich wäre. Ob es sich so verhält, ist, insbesondere im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 der Schlichtungsverordnung, vom vorlegenden Gericht zu ermitteln.

59      Dieses Gericht hat ebenfalls zu prüfen, ob in Ausnahmefällen, in denen Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich sind, das Streitbeilegungsverfahren den Erlass solcher Maßnahmen gestattet oder nicht verhindert.

60      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die in den Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung den Grundsatz der Effektivität wahrt, sofern die elektronische Kommunikation nicht das einzige Mittel des Zugangs zu dem Streitbeilegungsverfahren ist und Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes in Ausnahmefällen möglich sind, in denen die Dringlichkeit der Lage dies verlangt.

61      Als Zweites ist zu beachten, dass der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, in den Art. 6 und 13 EMRK verankert ist und im Übrigen von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt worden ist (vgl. Urteil Mono Car Styling, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62      Insoweit ist in den Ausgangsverfahren unstreitig, dass die fragliche nationale Regelung, indem sie die Zulässigkeit einer Klage auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikationsdienste von der Durchführung eines obligatorischen Schlichtungsversuchs abhängig macht, dem Zugang zum Gericht eine zusätzliche Etappe vorschaltet. Diese Bedingung könnte den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes beeinträchtigen.

63      Indessen sind nach ständiger Rechtsprechung die Grundrechte nicht schrankenlos gewährleistet, sondern können Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 2006, Dokter u. a., C‑28/05, Slg. 2006, I‑5431, Randnr. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung, und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil Fogarty/Vereinigtes Königreich vom 21. November 2001, Recueil des arrêts et décisions 2001-XI, § 33).

64      Wie die italienische Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ist insoweit zunächst festzustellen, dass die fraglichen nationalen Vorschriften auf eine zügigere und kostengünstigere Beilegung von Streitfällen auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation sowie auf eine Entlastung der Gerichte abzielen und daher berechtigte Ziele des Allgemeininteresses verfolgen.

65      Ferner erscheint die Schaffung eines obligatorischen außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens, wie es die in den Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung vorsieht, angesichts der in den Randnrn. 54 bis 57 des vorliegenden Urteils beschriebenen genauen Modalitäten seiner Funktionsweise im Verhältnis zu den verfolgten Zielen nicht unverhältnismäßig. Zum einen nämlich gibt es, wie die Generalanwältin in Nr. 47 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, zur Schaffung eines obligatorischen Verfahrens keine mildere Alternative, da die Einführung eines rein fakultativen außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens kein für die Erreichung dieser Ziele ebenso wirksames Mittel darstellt. Zum anderen besteht zwischen diesen Zielen und den möglichen Nachteilen des obligatorischen Charakters des außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens kein offensichtliches Missverhältnis.

66      Nach alledem ist festzustellen, dass das in den Ausgangsverfahren fragliche nationale Verfahren vorbehaltlich der in den Randnrn. 58 und 59 des vorliegenden Urteils formulierten Bedingungen auch den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes wahrt.

67      Die Vorlagefrage ist daher wie folgt zu beantworten:

–        Art. 34 der Universaldienstrichtlinie ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die in Streitfällen zwischen Endnutzern und Dienstanbietern auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikationsdienste, in denen von der Universaldienstrichtlinie verliehene Rechte in Frage stehen, als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Klage einen obligatorischen Versuch der außergerichtlichen Streitbeilegung vorschreibt.

–        Die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sowie der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes stehen einer nationalen Regelung, die für solche Streitfälle die vorherige Durchführung eines außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens vorschreibt, gleichfalls nicht entgegen, wenn dieses Verfahren nicht zu einer die Parteien bindenden Entscheidung führt, keine wesentliche Verzögerung für die Erhebung einer Klage bewirkt, die Verjährung der betroffenen Ansprüche hemmt und für die Parteien keine oder nur geringe Kosten mit sich bringt, vorausgesetzt jedoch, dass die elektronische Kommunikation nicht das einzige Mittel des Zugangs zu diesem Streitbeilegungsverfahren bildet und dass Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes in Ausnahmefällen möglich sind, in denen die Dringlichkeit der Lage dies verlangt.

 Kosten

68      Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 34 der Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie) ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die in Streitfällen zwischen Endnutzern und Dienstanbietern auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikationsdienste, in denen von dieser Richtlinie verliehene Rechte in Frage stehen, als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Klage einen obligatorischen Versuch der außergerichtlichen Streitbeilegung vorschreibt.

Die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sowie der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes stehen einer nationalen Regelung, die für solche Streitfälle die vorherige Durchführung eines außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens vorschreibt, gleichfalls nicht entgegen, wenn dieses Verfahren nicht zu einer die Parteien bindenden Entscheidung führt, keine wesentliche Verzögerung für die Erhebung einer Klage bewirkt, die Verjährung der betroffenen Ansprüche hemmt und für die Parteien keine oder nur geringe Kosten mit sich bringt, vorausgesetzt jedoch, dass die elektronische Kommunikation nicht das einzige Mittel des Zugangs zu diesem Streitbeilegungsverfahren bildet und dass Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes in Ausnahmefällen möglich sind, in denen die Dringlichkeit der Lage dies verlangt.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Italienisch.