Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor
In der Rechtssache C‑520/07 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 21. November 2007,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften , vertreten durch K. Gross und B. Martenczuk als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Rechtsmittelführerin,
andere Verfahrensbeteiligte:
MTU Friedrichshafen GmbH , Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt T. Lübbig und Rechtsanwältin M. le Bell,
Klägerin im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. Tizzano (Berichterstatter), A. Borg Barthet, E. Levits und J.‑J. Kasel,
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: R. Grass,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. Februar 2009
folgendes
Urteil
1. Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Kommission die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 12. September 2007, MTU Friedrichshafen/Kommission (T‑196/02, Slg. 2007, II‑2889; im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem dieses Art. 3 Abs. 2 der Entscheidung 2002/898/EG der Kommission vom 9. April 2002 über die staatliche Beihilfe Deutschlands zugunsten der SKL Motoren- und Systembautechnik GmbH (ABl. L 314, S. 75; im Folgenden: streitige Entscheidung) für nichtig erklärt hat, soweit darin angeordnet wird, dass ein Betrag in Höhe von 2,71 Mio. Euro von der MTU Friedrichshafen GmbH (im Folgenden: MTU) als Gesamtschuldnerin zurückzufordern ist.
Rechtlicher Rahmen
2. Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von [Art. 88 EG] (ABl. L 83, S. 1; im Folgenden: Verordnung) lautet:
„(1) Befindet sich die Kommission im Besitz von Informationen gleich welcher Herkunft über angebliche rechtswidrige Beihilfen, so prüft sie diese Informationen unverzüglich.
(2) Gegebenenfalls verlangt die Kommission von dem betreffenden Mitgliedstaat Auskünfte. In diesem Fall gelten Artikel 2 Absatz 2 und Artikel 5 Absätze 1 und 2 entsprechend.
(3) Werden von dem betreffenden Mitgliedstaat trotz eines Erinnerungsschreibens nach Artikel 5 Absatz 2 die verlangten Auskünfte innerhalb der von der Kommission festgesetzten Frist nicht oder nicht vollständig erteilt, so fordert die Kommission die Auskünfte durch Entscheidung an (nachstehend ‚Anordnung zur Auskunftserteilung‘ genannt). Die Entscheidung bezeichnet die angeforderten Auskünfte und legt eine angemessene Frist zur Erteilung dieser Auskünfte fest.“
3. Art. 13 Abs. 1 der Verordnung bestimmt:
„Nach Prüfung einer etwaigen rechtswidrigen Beihilfe ergeht eine Entscheidung nach Artikel 4 Absätze 2, 3 oder 4. Bei Entscheidungen zur Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens wird das Verfahren durch eine Entscheidung nach Artikel 7 abgeschlossen. Bei Nichtbefolgung der Anordnung zur Auskunftserteilung wird die Entscheidung auf der Grundlage der verfügbaren Informationen erlassen.“
4. Art. 14 Abs. 1 der Verordnung sieht vor:
„In Negativentscheidungen hinsichtlich rechtswidriger Beihilfen entscheidet die Kommission, dass der betreffende Mitgliedstaat alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um die Beihilfe vom Empfänger zurückzufordern (nachstehend ‚Rückforderungsentscheidung‘ genannt). Die Kommission verlangt nicht die Rückforderung der Beihilfe, wenn dies gegen einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts verstoßen würde.“
Vorgeschichte des Rechtsstreits
5. Mit Schreiben vom 9. April 1998 meldeten die deutschen Behörden bei der Kommission mehrere Beihilfemaßnahmen an, die über die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben der SKL Motoren- und Systemtechnik GmbH (im Folgenden: SKL-M), einem Hersteller von Schiffsmotoren, gewährt wurden.
6. Ab dem Jahr 1997 standen SKL‑M und MTU, ein Hersteller leistungsstarker Dieselmotoren, im Hinblick auf die geplante Übernahme der SKL‑M durch MTU in vertraglichen Beziehungen.
7. Insbesondere hatten die Unternehmen am 5. November 1997 zwei Verträge geschlossen. Der erste Vertrag räumte MTU eine Kaufoption für Geschäftsanteile von SKL‑M ein. Der zweite Vertrag, der den Namen „Wechselseitiger Lizenz‑ und Kooperationsvertrag zwischen SKL‑M und MTU“ (im Folgenden: WLKV) trug und auf die Schaffung eines gemeinsamen Unternehmens abzielte, bestimmte die Modalitäten für die gemeinsame Nutzung des bei beiden Unternehmen vorhandenen Know‑how sowie die Entwicklung, Herstellung und den Verkauf zweier neuer Motorentypen.
8. Gemäß Art. 5 WLKV erhielt MTU am 15. Juni 2000 das Recht, das im WLKV angeführte Know-how von SKL-M, einschließlich zu diesem Zeitpunkt vorhandener Schutzrechte und Schutzrechtsanmeldungen, gegenüber Dritten ausschließlich zu nutzen. Als Gegenleistung erhielt SKL-M einen Betrag von 6,71 Mio. DM (3,43 Mio. Euro) zur Deckung der angefallenen Entwicklungskosten.
9. Mit Schreiben vom 8. August 2000 teilte die Kommission den deutschen Behörden ihren Beschluss mit, das förmliche Prüfungsverfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG einzuleiten (ABl. 2001, C 27, S. 5), und forderte die Beteiligten in diesem Zusammenhang zu einer Stellungnahme auf. Bei dieser Gelegenheit stellte die Kommission den deutschen Behörden auch die Frage, ob MTU von den Beihilfen, die SKL-M gewährt worden waren, profitiert hatte oder zukünftig davon profitieren konnte.
10. Am 1. September 2000 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen von SKL‑M eröffnet.
11. Mit verschiedenen Schreiben nahm die Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2000 und 2001 gegenüber der Kommission Stellung zu dem Beschluss, das förmliche Prüfverfahren einzuleiten.
12. Da die Kommission mit diesen Stellungnahmen nicht zufrieden war, forderte sie die deutschen Behörden mit Schreiben vom 19. September 2001 nach Art. 10 der Verordnung auf, ihr die Informationen zu übermitteln, die zur Beurteilung der Vereinbarkeit der SKL‑M gewährten Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt notwendig seien. In diesem Schreiben führte die Kommission insbesondere aus, dass sie aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Informationen weder feststellen könne, ob ein Teil der SKL‑M gewährten Beihilfen eher im Interesse von MTU als von SKL‑M verwendet worden sei, noch, ob MTU ihre im WLKV festgeschriebene Option ausgeübt habe, das Know-how von SKL‑M zu einem Preis zu erwerben, der nicht seinem tatsächlichen oder erwarteten Marktwert entsprochen habe. Am 9. November 2001 teilte die Kommission außerdem mit, dass sie gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung auf der Grundlage der verfügbaren Informationen entscheiden werde, wenn ihr diese Auskünfte nicht erteilt würden.
13. Mit Schreiben vom 23. Januar, 26. Februar und 11. März 2002 kamen die deutschen Behörden diesem Ersuchen nach. Am 5. März 2002 übermittelten sie der Kommission auch verschiedene Erklärungen von MTU vom 1. und 21. Oktober 2001, in denen diese gegenüber der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben zur Verwendung des Know-how von SKL-M und zu dem an diese gemäß dem WLKV gezahlten Preis Stellung genommen hatte.
14. Am 9. April 2002 erließ die Kommission die streitige Entscheidung, in der sie feststellte, dass die SKL-M gewährte Umstrukturierungsbeihilfe nicht den Bedingungen der Leitlinien für die Beurteilung von staatlichen Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten (ABl. 1994, C 368, S. 12) entsprochen habe und sich auf der Grundlage der Informationen der Bundesrepublik Deutschland nicht ausschließen lasse, dass die Beihilfe, die SKL-M während der Umstrukturierungsphase zum Ausgleich ihrer Verluste gewährt worden sei, über den WLKV MTU mittelbar zugutegekommen sei.
15. Insbesondere habe sich herausgestellt, dass der Preis, der von MTU an SKL-M für die Überlassung des Know-how auf der Grundlage der 1997 geschätzten Entwicklungskosten gezahlt worden sei, um 5,30 Mio. DM geringer sei als die von SKL-M aufgewendeten tatsächlichen Entwicklungskosten.
16. Da die deutschen Behörden keine objektiven Informationen über den tatsächlichen oder voraussichtlichen Marktwert dieses Know-how geliefert hätten, sei davon auszugehen, dass die SKL-M gewährte Umstrukturierungshilfe, die wenigstens teilweise zum Ausgleich der durch die Entwicklung des Know-how bedingten Verluste gedient haben könnte, möglicherweise eher im Interesse von MTU statt im Interesse von SKL‑M genutzt worden sei. Die staatlich kontrollierte SKL‑M habe daher ein Kostenrisiko getragen, das nicht mit dem Prinzip eines marktwirtschaftlich orientierten Investors in Einklang stehe. Nach dem 86. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung könne der Know-how-Transfer somit einem Transfer staatlicher Mittel an MTU in Höhe von bis zu 5,30 Mio. DM gleichkommen.
17. Die Kommission gelangte daher zu dem Ergebnis, dass die staatlichen Beihilfen in Höhe von 67,017 Mio. DM (34,26 Mio. Euro), die die deutschen Behörden SKL-M gewährt hätten, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar seien und von dem zu erstattenden Gesamtbetrag 5,30 Mio. DM (2,71 Mio. Euro) von SKL-M und MTU als Gesamtschuldnerinnen zurückzufordern seien (Art. 3 Abs. 2 der streitigen Entscheidung).
18. Am 28. Juni 2002 erhob MTU beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung.
Das angefochtene Urteil
19. MTU stützte ihre Nichtigkeitsklage auf zwei Klagegründe. Mit dem ersten rügte sie Begründungsmängel und Rechtsfehler bezüglich der Tatbestandsvoraussetzungen einer Beihilfe zu ihren Gunsten und mit der zweiten die fehlerhafte Anwendung von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung und die Verletzung der Verfahrensgarantie, wonach der Sachverhalt ordnungsgemäß und unparteiisch zu ermitteln ist.
20. Das Gericht hat zunächst den zweiten Klagegrund geprüft und dabei in den Randnrn. 39 bis 45 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Kommission die in Art. 10 Abs. 3 und Art. 13 Abs. 1 der Verordnung festgelegten Verfahrenserfordernisse beachtet habe, um die angefochtene Entscheidung auf der Grundlage der verfügbaren Informationen erlassen zu können.
21. In Randnr. 46 des angefochtenen Urteils hat das Gericht jedoch ausgeführt, dass der genannte Art. 13 Abs. 1 der Kommission nicht erlaube, ein bestimmtes Unternehmen, und sei es als Gesamtschuldner, zu verpflichten, einen bestimmten Teil einer für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärten Beihilfe zurückzuerstatten, wenn es sich bei dem Transfer staatlicher Mittel an dieses Unternehmen um eine Vermutung handele.
22. Das Gericht hat in Randnr. 48 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass sich die in Art. 3 Abs. 2 der streitigen Entscheidung ausgesprochene Verpflichtung zur gesamtschuldnerischen Rückerstattung auf Vermutungen gegründet habe, die durch die der Kommission zur Verfügung stehenden Informationen weder bestätigt noch widerlegt werden könnten. In Randnr. 47 dieses Urteils hat es insbesondere darauf hingewiesen, dass sich die Kommission im 88. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung auf die Feststellung beschränkt habe, dass „sich auf der Grundlage der verfügbaren Informationen nicht ausschließen [lasse]“, dass MTU beim Erwerb eines Know-how zu als vorteilhaft anzusehenden Bedingungen von einem Transfer von Mitteln von Seiten der SKL‑M profitiert habe.
23. Das Gericht hat außerdem in Randnr. 50 des angefochtenen Urteils angenommen, dass sich aus der Anwendung des durch den EG-Vertrag festgelegten Verfahrens im Bereich staatlicher Beihilfen keinesfalls zwingend ergebe, dass einem bestimmten Unternehmen auf der Grundlage von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung eine gesamtschuldnerische Verpflichtung zur Rückerstattung eines Teils einer Beihilfe aufzuerlegen sei, „da der Mitgliedstaat, der die zurückzufordernde Beihilfe gewährt hat, auf jeden Fall verpflichtet ist, diese unter Aufsicht der Kommission von den tatsächlichen Empfängern zurückzufordern; dafür ist es nicht unerlässlich, diese Empfänger in der Rückforderungsentscheidung ausdrücklich zu benennen oder gar den Betrag genau anzugeben, den der jeweilige Empfänger zurückzuerstatten hat“.
24. Aufgrund dieser Erwägungen hat das Gericht, ohne noch den ersten Klagegrund zu prüfen, Art. 3 Abs. 2 der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt, soweit darin angeordnet wird, dass ein Teil der SKL-M gewährten Beihilfe von MTU als Gesamtschuldnerin zurückzufordern ist.
Anträge der Beteiligten
25. Mit ihrer Rechtsmittelschrift beantragt die Kommission,
– das angefochtene Urteil aufzuheben,
– abschließend in der Sache zu entscheiden und die Klage als unbegründet abzuweisen und
– MTU sowohl die Kosten des Rechtsmittelverfahrens als auch die des erstinstanzlichen Verfahrens aufzuerlegen.
26. MTU beantragt,
– das Rechtsmittel für unzulässig zu erklären,
– hilfsweise, das Rechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen und
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Zum Rechtsmittel
27. Die Kommission stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe, mit denen Rechtsfehler des Gerichts bei der Auslegung von Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 der Verordnung gerügt werden.
Zum ersten Rechtsmittelgrund
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
28. Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund macht die Kommission geltend, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen habe, indem es in den Randnrn. 46 bis 51 des angefochtenen Urteils davon ausgegangen sei, dass sich eine Entscheidung, die allein auf der Grundlage der verfügbaren Informationen im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung erlassen worden sei, nicht auf die Identifikation des tatsächlichen Empfängers der Beihilfe, von dem deren Erstattung verlangt werden müsse, beziehen könne.
29. Eine solche Auslegung habe in der Verordnung und insbesondere im Wortlaut ihres Art. 13 Abs. 1 und ihres Art. 14 Abs. 1 keine Grundlage.
30. Die Rückforderungsentscheidung gemäß Art. 14 sei nämlich integraler Bestandteil der Negativentscheidung, die im Fall rechtswidriger Beihilfen auf der Grundlage der verfügbaren Informationen erlassen werden könne.
31. Die gegenteilige Auslegung, die das Gericht vorgenommen habe, hätte im Übrigen nachteilige Auswirkungen. Zum einen erlaube sie nicht, die Effektivität der gemeinschaftlichen Kontrolle staatlicher Beihilfen zu gewährleisten, deren Hauptziel, wie der 13. Erwägungsgrund bestätige, gerade sei, die durch die rechtswidrige Beihilfe verursachte Wettbewerbsverzerrung durch eine unverzügliche Rückforderung der zu Unrecht erhaltenen Beträge zu beseitigen. Zum anderen hätte eine solche Auslegung zur Folge, dass der Kommission ein Großteil ihrer „Druckmittel“ in diesem Bereich genommen würde, und es bestünde infolgedessen die Gefahr, dass die Verfahren zur Rückforderung rechtswidriger Beihilfen erheblich an Effektivität verlieren würden, da die wenig kooperationswilligen Mitgliedstaaten begünstigt würden.
32. Nach Auffassung von MTU ist der vorliegende Rechtsmittelgrund unzulässig, da die Kommission eine Aussage angreife, die das Gericht in Wirklichkeit gar nicht getroffen habe.
33. Jedenfalls hätten die deutschen Behörden alle angeforderten Informationen übermittelt. Die Kommission habe daher die Verfahrensgrundsätze missachtet, die bei einer Entscheidung nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung einzuhalten seien. Die weitere Frage, ob die Kommission ihre Entscheidung im Hinblick auf die Identifikation des Beihilfeempfängers grundsätzlich auf der Grundlage der verfügbaren Informationen treffen dürfe, brauche daher nicht entschieden zu werden.
– Würdigung durch den Gerichtshof
34. Zunächst ist festzustellen, dass der vorliegende Rechtsmittelgrund auf einem falschen Verständnis der einschlägigen Randnummern des angefochtenen Urteils beruht.
35. Entgegen dem Vorbringen der Kommission geht nämlich aus diesen Randnummern nicht hervor, dass das Gericht generell ausgeschlossen hat, dass eine auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung gestützte Entscheidung den oder die tatsächlichen Empfänger der in Rede stehenden Beihilfemaßnahme benennen und sie folglich der Erstattungspflicht unterwerfen kann.
36. Das Gericht hat im Gegenteil in Randnr. 45 des angefochtenen Urteils eindeutig den Grundsatz bestätigt, dass die Kommission, „wenn der betroffene Mitgliedstaat der Kommission die angeforderten Auskünfte nicht erteilt hat, … eine Entscheidung erlassen [kann], mit der die Unvereinbarkeit der Beihilfe auf der Grundlage der verfügbaren Informationen festgestellt wird, und gegebenenfalls anordnen [kann], dass der betroffene Mitgliedstaat die Beihilfe von den Empfängern gemäß Art. 14 der Verordnung … zurückfordert“.
37. In Wirklichkeit ist das Gericht, wie sich aus den Randnrn. 46 bis 51 des angefochtenen Urteils ergibt, nur wegen der Besonderheiten des vorliegenden Falls und insbesondere der Tatsache, dass der Teil der Entscheidung der Kommission, gegen den sich die Nichtigkeitsklage richtet, nach seiner Auffassung auf bloßen Vermutungen beruht, zu dem Ergebnis gelangt, dass „sich die Kommission nicht auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung … stützen konnte, um MTU mit der angefochtenen Entscheidung zu verpflichten, einen Teil der SKL-M gewährten Beihilfe als Gesamtschuldnerin zurückzuerstatten“.
38. Unter diesen Umständen ist der erste Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.
Zum zweiten Rechtsmittelgrund
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
39. Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund rügt die Kommission, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen habe, indem es zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass der Teil der streitigen Entscheidung, gegen den sich die Nichtigkeitsklage richte, auf einer bloßen Vermutung beruhe, die nicht den Anforderungen an Entscheidungen entspreche, die auf der Grundlage der verfügbaren Informationen im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung erlassen würden.
40. Zum einen könne im Rahmen einer Entscheidung auf der Grundlage der verfügbaren Informationen – entgegen der Auffassung des Gerichts erster Instanz – keine völlige Gewissheit verlangt werden.
41. Art. 13 Abs. 1 der Verordnung ermächtige die Kommission nämlich ausdrücklich, eine solche Entscheidung zu erlassen, wenn sie trotz einer ordnungsgemäßen Anordnung zur Auskunftserteilung die relevanten Informationen von den nationalen Behörden nicht erhalten habe. In diesem Fall könnten die verfügbaren Informationen unvollständig und fragmentarisch bleiben, sofern sie zumindest eine hinreichende Grundlage für die Annahme der Kommission bildeten. Dies ergebe sich im Übrigen im Umkehrschluss aus der Rechtsprechung, nach der sich die Kommission nicht auf den fragmentarischen oder unvollständigen Charakter der ihr zur Verfügung stehenden Informationen berufen könne, wenn sie kein Auskunftsersuchen an den betreffenden Mitgliedstaat gerichtet habe; insoweit verweist die Kommission auf das Urteil vom 13. April 1994, Deutschland und Pleuger Worthington/Kommission (C‑324/90 und C‑342/90, Slg. 1994, I‑1173, Randnr. 29).
42. Zum anderen wirft die Kommission dem Gericht vor, die ihr zur Verfügung stehenden Informationen als „bloße Vermutung“ eingeordnet zu haben, obwohl sie, wie aus den Erwägungsgründen 79 bis 86 der streitigen Entscheidung hervorgehe, u. a. aufgrund einer Stellungnahme des Insolvenzverwalters von SKL-M über tragfähige Informationen verfügt habe, die es ihr erlaubt hätten, davon auszugehen, dass ein Teil der Beihilfe an MTU weitergeleitet worden sei.
43. Nach Auffassung von MTU ist der zweite Rechtsmittelgrund unzulässig, weil er einesteils nur die Tatsachenwürdigung des Gerichts angreife und anderenteils lediglich allgemeine Rechtsausführungen ohne unmittelbaren Bezug zu der vorliegenden Rechtssache enthalte.
44. In der Sache habe das Gericht zu Recht angenommen, dass bloße Vermutungen für eine Rückforderungsanordnung nicht ausreichten und sich die Kommission sowohl hinsichtlich des Vorliegens einer Begünstigung von MTU als auch hinsichtlich der Höhe dieser Begünstigung tatsächlich auf solche Vermutungen gestützt habe.
45. Die Kommission habe nämlich keine tragfähigen Informationen gehabt, auf die sie eine Rückforderungsanordnung gegenüber MTU hätte stützen können. Sie habe sich in Wirklichkeit auf eine Vermutung gestützt, die das Ergebnis einer unsorgfältigen und einseitigen Prüfung der ihr vorliegenden Informationen gewesen sei, unter denen sich im Übrigen eine umfangreiche Stellungnahme von MTU befunden habe, aus der hervorgegangen sei, dass MTU nicht begünstigt worden sei, da alle vertraglichen Regelungen zwischen MTU und SKL-M zu Marktbedingungen geschlossen worden seien.
– Würdigung durch den Gerichtshof
46. Was erstens die Zulässigkeit des vorliegenden Rechtsmittelgrundes betrifft, so ergibt sich aus Art. 225 Abs. 1 EG und Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs, dass ein Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt ist und auf die Unzuständigkeit des Gerichts, auf einen Verfahrensfehler, durch den die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden, oder auf eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch das Gericht gestützt werden muss (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 16. März 2000, Parlament/Bieber, C‑284/98 P, Slg. 2000, I‑1527, Randnr. 30, sowie Beschlüsse vom 14. Juli 2005, Gouvras/Kommission, C‑420/04 P, Slg. 2005, I‑7251, Randnr. 48, und vom 20. März 2007, Kallianos/Kommission, C‑323/06 P, Slg. 2007, I‑43, Randnr. 10).
47. Entgegen der Auffassung von MTU beschränkt sich der vorliegende Rechtsmittelgrund nicht darauf, die in der ersten Instanz vorgenommene Tatsachenwürdigung in Frage zu stellen, sondern es wird auch die vom Gericht vorgenommene Auslegung von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung in Bezug auf die Voraussetzungen für den Erlass einer Entscheidung auf der Grundlage der verfügbaren Informationen im Sinne dieser Vorschrift gerügt, wonach eine Entscheidung der Kommission, die sich auf eine Vermutung der vom Gericht festgestellten Art gründet, diesen Voraussetzungen nicht genügt. Diese Rüge wirft somit eine Rechtsfrage auf.
48. Demzufolge ist der Rechtsmittelgrund zulässig, soweit er sich gegen die vom Gericht vorgenommene Auslegung der Erfordernisse für den Erlass einer Entscheidung auf der Grundlage von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung richtet.
49. Unzulässig ist hingegen das Vorbringen der Kommission im Rahmen dieses Rechtsmittelgrundes, mit dem sie die Beweiswürdigung des Gerichts angreift, indem sie ihm vorwirft, einige in der streitigen Entscheidung erwähnte Informationen nicht berücksichtigt zu haben.
50. Eine solche Würdigung unterliegt nämlich nicht der Kontrolle des Gerichtshofs, sofern die dem Gericht erster Instanz vorgelegten Tatsachen und Beweise nicht verfälscht worden sind (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 2. März 1994, Hilti/Kommission, C‑53/92 P, Slg. 1994, I‑667, Randnr. 42, vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 49, sowie vom 23. März 2006, Mülhens/HABM, C‑206/04 P, Slg. 2006, I‑2717, Randnr. 28); eine derartige Verfälschung ist hier von der Kommission jedoch weder nachgewiesen noch auch nur behauptet worden.
51. Was zweitens die Begründetheit des vorliegenden Rechtsmittelgrundes betrifft, ist zunächst festzustellen, dass das Gericht entgegen der Behauptung der Kommission keineswegs verlangt hat, dass diese für den Erlass einer Entscheidung auf der Grundlage von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung über völlige Gewissheit verfügt.
52. Den Randnrn. 46 bis 48 des angefochtenen Urteils ist nämlich zu entnehmen, dass das Gericht nicht nur einen solchen Grad der Gewissheit keineswegs verlangt, sondern nur darauf hingewiesen hat, dass die streitige Entscheidung auf der Grundlage bloßer Vermutungen erlassen worden sei, die durch die der Kommission zur Verfügung stehenden Informationen weder bestätigt noch widerlegt würden, und sich die Kommission auf die Feststellung beschränkt habe, dass es keine Hinweise gebe, anhand deren sich ausschließen lasse, dass MTU von einem Transfer staatlicher Mittel profitiert habe.
53. Mit diesen Ausführungen hat das Gericht keinen Rechtsfehler begangen.
54. Art. 13 Abs. 1 der Verordnung, der eine gefestigte Rechtsprechung kodifiziert (vgl. insbesondere Urteile vom 14. Februar 1990, Frankreich/Kommission, „Boussac Saint-Frères“, C‑301/87, Slg. 1990, I‑307, Randnr. 22, vom 21. März 1990, Belgien/Kommission, C‑142/87, Slg. 1990, I‑959, Randnr. 18, und vom 13. April 1994, Deutschland und Pleuger Worthington/Kommission, Randnr. 26), ermächtigt die Kommission, wenn sie feststellt, dass Beihilfen ohne vorherige Anmeldung eingeführt oder umgestaltet wurden, in der Tat dazu, eine Entscheidung über deren Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt auf der Grundlage der verfügbaren Informationen zu erlassen, sofern sie es mit einem Mitgliedstaat zu tun hat, der ihr unter Verletzung seiner Pflicht zur Zusammenarbeit die angeforderten Auskünfte nicht erteilt. Darüber hinaus kann in dieser Entscheidung gegebenenfalls unter den in Art. 14 der Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen verlangt werden, dass der bereits gezahlte Beihilfebetrag zurückgefordert wird.
55. Jedoch darf diese der Kommission eingeräumte Möglichkeit, wie auch die Generalanwältin in Nr. 50 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, nicht so verstanden werden, dass sie die Kommission vollständig von der Verpflichtung entbindet, ihre Entscheidungen auf einigermaßen tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte zu stützen, die geeignet sind, die Schlussfolgerungen, zu denen sie gelangt, zu untermauern.
56. Somit muss sich die Kommission in einem Fall wie dem vorliegenden zumindest vergewissern, dass die Informationen, über die sie verfügt, auch wenn sie unvollständig und fragmentarisch sind – was sie im Übrigen in ihrer Rechtsmittelschrift einräumt –, eine hinreichende Grundlage für die Annahme bilden, dass einem Unternehmen ein Vorteil zugeflossen ist, der eine staatliche Beihilfe darstellt.
57. Dies gilt erst recht, wenn die Kommission – wie in der vorliegenden Rechtssache – anordnet, dass die Beihilfe vom Nutznießer zurückgefordert wird, da eine solche Rückerstattung gerade die von einem bestimmten Wettbewerbsvorteil verursachte Wettbewerbsverzerrung beseitigen und auf diese Weise den Zustand vor der Gewährung der Beihilfe wiederherstellen soll (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 8. Mai 2003, Italien und SIM 2 Multimedia/Kommission, C‑328/99 und C‑399/00, Slg. 2003, I‑4035, Randnr. 66, und vom 29. April 2004, Deutschland/Kommission, C‑277/00, Slg. 2004, I‑3925, Randnrn. 74 bis 76).
58. Aus den in den vorstehenden Randnummern wiedergegebenen Grundsätzen ergibt sich, dass die Kommission nicht einfach von der Annahme, dass einem Unternehmen ein Vorteil zugeflossen ist, der eine staatliche Beihilfe darstellt, ausgehen darf, indem sie sich, weil sie nicht über Informationen für eine mögliche gegenteilige Schlussfolgerung verfügt, in Ermangelung anderer Anhaltspunkte für die positive Feststellung eines solchen Vorteils auf eine negative Vermutung stützt.
59. Wie in Randnr. 52 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat das Gericht aber gerade wegen der Tatsache, dass die streitige Entscheidung auf einer solchen Vermutung beruht, die Auffassung vertreten, dass diese Entscheidung nicht auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung gestützt werden könne.
60. Der zweite Rechtsmittelgrund ist infolgedessen als teils unzulässig, teils unbegründet zurückzuweisen.
61. Da keinem der von der Kommission zur Stützung ihres Rechtsmittels vorgetragenen Gründe gefolgt werden kann, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.
Kosten
62. Nach Art. 122 Abs. 1 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel zurückgewiesen wird.
63. Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß Art. 118 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
64. Da MTU die Verurteilung der Kommission beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten des vorliegenden Rechtszugs aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten.