URTEIL DES GERICHTS (Neunte Kammer)

25. April 2018 ( *1 )

„Staatliche Beihilfen – Nach dem ungarischen Gesetz XCIV von 2014 über den Gesundheitsbeitrag der Unternehmen der Tabakindustrie gewährte Beihilfen – Auf einer 2014 erfolgten Änderung des ungarischen Gesetzes aus dem Jahr 2008 über die Lebensmittelkette und die diesbezügliche amtliche Überwachung beruhende Beihilfen – Steuern auf den Jahresumsatz mit progressiven Steuersätzen – Beschluss, das Verfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten – Gleichzeitiger Erlass einer Aussetzungsanordnung – Nichtigkeitsklage – Abtrennbarkeit der Aussetzungsanordnung – Rechtsschutzinteresse – Zulässigkeit – Begründungspflicht – Verhältnismäßigkeit – Gleichbehandlung – Verteidigungsrechte – Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit – Art. 11 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999“

In den verbundenen Rechtssachen T‑554/15 und T‑555/15

Ungarn, vertreten durch M. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch L. Flynn, P.‑J. Loewenthal und K. Talabér-Ritz als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf teilweise Nichtigerklärung zum einen des Beschlusses C(2015) 4805 final der Kommission vom 15. Juli 2015 über die staatliche Beihilfe SA.41187 (2015/NN) – Ungarn – Gesundheitsbeitrag der Unternehmen der Tabakindustrie (ABl. 2015, C 277, S. 24) und zum anderen des Beschlusses C(2015) 4808 final der Kommission vom 15. Juli 2015 über die staatliche Beihilfe SA.40018 (2015/C) (ex 2014/NN) – 2014 beschlossene Änderung der ungarischen Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette (ABl. 2015, C 277, S. 12)

erlässt

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Gervasoni sowie des Richters L. Madise und der Richterin K. Kowalik-Bańczyk (Berichterstatterin),

Kanzler: N. Schall, Verwaltungsrätin,

auf das schriftliche Verfahren und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Oktober 2017

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1

Im Dezember 2014 verabschiedete das ungarische Parlament zum einen das Gesetz XCIV von 2014 über den Gesundheitsbeitrag der Unternehmen der Tabakindustrie und änderte zum anderen das Gesetz XLVI über die Lebensmittelkette aus dem Jahr 2008 und die diesbezügliche amtliche Überwachung. Diese Rechtsakte traten jeweils am 1. Februar 2015 und am 1. Januar 2015 in Kraft.

2

Mit dem Gesetz XCIV von 2014 über den Gesundheitsbeitrag der Unternehmen der Tabakindustrie wurde eine neue Steuer eingeführt, die für zugelassene Lagerinhaber, Einführer und registrierte Händler von Tabakwaren galt, die mindestens 50 % ihres gesamten Jahresumsatzes mit der Herstellung von bzw. mit dem Handel mit diesen Produkten machten (im Folgenden: Gesundheitsbeitrag). Der Gesundheitsbeitrag musste auf den Jahresumsatz der Steuerpflichtigen gemäß folgendem progressiven Beitragssatz erhoben werden:

0 % auf den Teil des Umsatzes, der 30 Mio. ungarische Forint (HUF) (etwa 96500 Euro) nicht überstieg;

0,2 % auf den Teil des Umsatzes, der 30 Mio. HUF überstieg und 30 Mrd. HUF (etwa 96,5 Mio. Euro) nicht überstieg;

2,5 % auf den Teil des Umsatzes, der 30 Mrd. HUF überstieg und 60 Mrd. HUF (etwa 193 Mio. Euro) nicht überstieg;

4,5 % auf den Teil des Umsatzes, der 60 Mrd. HUF überstieg.

3

Das oben genannte Gesetz sah zudem eine Ermäßigung der Steuerschuld aufgrund des Gesundheitsbeitrags bis zu 80 % des zahlbaren Beitrags vor, wenn das Unternehmen beihilfefähige Investitionen in materielle Vermögenswerte tätigte (im Folgenden: Ermäßigung des Gesundheitsbeitrags im Fall von Investitionen).

4

Die Änderung des Gesetzes XLVI über die Lebensmittelkette und die diesbezügliche amtliche Überwachung zielte ihrerseits darauf ab, die Struktur der Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette zu ändern, die gemäß diesem Gesetz für alle an der Lebensmittelkette beteiligten Marktteilnehmer galt. Vor dieser Änderung mussten die an der Lebensmittelkette beteiligten Wirtschaftsteilnehmer eine Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette entrichten, die nach einem einheitlichen Pauschalsatz von 0,1 % des im Vorjahr erzielten Umsatzes vor Steuern berechnet wurde. Die betreffende Änderung bestand in der Einführung eines progressiven Satzes für diese Gebühr, der speziell für Geschäfte galt, in denen kurzlebige Konsumgüter verkauft wurden (im Folgenden: geänderte Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette). Dieser neue progressive Satz stellte sich wie folgt dar:

0 % auf den Teil des Umsatzes, der 500 Mio. ungarische Forint (HUF) (etwa 1,6 Mio. Euro) nicht überstieg;

0,1 % auf den Teil des Umsatzes, der 500 Mio. HUF überstieg und 50 Mrd. HUF (etwa 160,6 Mio. Euro) nicht überstieg;

1 % auf den Teil des Umsatzes, der 50 Mrd. HUF überstieg und 100 Mrd. HUF (etwa 321,2 Mio. Euro) nicht überstieg;

2 % auf den Teil des Umsatzes, der 100 Mrd. HUF überstieg und 150 Mrd. HUF (etwa 481,8 Mio. Euro) nicht überstieg;

3 % auf den Teil des Umsatzes, der 150 Mrd. HUF überstieg und 200 Mrd. HUF (etwa 642,4 Mio. Euro) nicht überstieg;

4 % auf den Teil des Umsatzes, der 200 Mrd. HUF überstieg und 250 Mrd. HUF (etwa 803 Mio. Euro) nicht überstieg;

5 % auf den Teil des Umsatzes, der 250 Mrd. HUF überstieg und 300 Mrd. HUF (etwa 963,5 Mio. Euro) nicht überstieg;

6 % auf den Teil des Umsatzes, der 300 Mrd. HUF überstieg.

5

Im Dezember 2014 erlangte die Kommission Kenntnis von der Änderung des Gesetzes XLVI über die Lebensmittelkette und die diesbezügliche amtliche Überwachung. Im März 2015 ging bei ihr eine Beschwerde über diese Änderung ein. In demselben Zeitraum ging bei der Kommission eine Beschwerde über die Einführung des Gesundheitsbeitrags ein. Mit Schreiben vom 17. März 2015 bzw. 13. April 2015 (im Folgenden: Mitteilungen vom 17. März und vom 13. April 2015) leitete die Kommission diese Beschwerden an die ungarischen Behörden weiter und ersuchte sie um Äußerung und um Informationen. In diesen Schreiben, die im Wesentlichen ähnlich formuliert waren, teilte die Kommission den ungarischen Behörden mit, dass ihrer Ansicht nach die Differenzierung zwischen Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren Lage befänden, die sich zum einen aus dem progressiven Satz der geänderten Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette und zum anderen aus dem progressiven Satz des Gesundheitsbeitrags sowie aus der Ermäßigung des Gesundheitsbeitrags im Fall von Investitionen ergebe, eine staatliche Beihilfe darstellen könne, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar sei. In beiden Schreiben wies die Kommission auf die Möglichkeit hin, Ungarn gemäß Art. 11 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. 1999, L 83, S. 1) eine Aussetzungsanordnung zu übermitteln, und forderte Ungarn auf, seine Stellungnahme zum möglichen Erlass einer solchen Anordnung innerhalb einer Frist von 20 Arbeitstagen vorzulegen.

6

Die ungarischen Behörden antworteten mit Schreiben vom 16. April bzw. 12. Mai 2015.

7

Am 15. Juli 2015 erließ die Kommission zum einen den Beschluss C(2015) 4805 final über die staatliche Beihilfe SA.41187 (2015/NN) – Ungarn – Gesundheitsbeitrag der Unternehmen der Tabakindustrie (ABl. 2015, C 277, S. 24, im Folgenden: Beschluss über den Gesundheitsbeitrag) und zum anderen den Beschluss C(2015) 4808 final über die staatliche Beihilfe SA.40018 (2015/C) (ex 2014/NN) – 2014 beschlossene Änderung der ungarischen Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette (ABl. 2015, C 277, S. 12, im Folgenden: Beschluss über die Änderung der Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette) (beide Beschlüsse gemeinsam im Folgenden: streitige Beschlüsse).

8

Erstens stellte die Kommission in den streitigen Beschlüssen fest, dass zum einen der progressive Steuersatz für die geänderte Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette und zum anderen der progressive Steuersatz für den Gesundheitsbeitrag sowie die Ermäßigung des Gesundheitsbeitrags im Fall von Investitionen (im Folgenden: betreffende nationale Maßnahmen) ein Beihilfeelement im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV enthielten, und äußerte Zweifel an der Vereinbarkeit dieser staatlichen Beihilfen mit dem Binnenmarkt. Aufgrund dieser Zweifel leitete die Kommission mit den streitigen Beschlüssen zwei förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV ein und ersuchte Ungarn und die Beteiligten, dazu Stellung zu nehmen.

9

Zweitens stellte die Kommission hinsichtlich der Anwendung von Art. 108 Abs. 3 AEUV fest, dass die fraglichen nationalen Maßnahmen rechtswidrige Beihilfen darstellten, da sie nicht bei ihr angemeldet worden seien und zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Beschlüsse nach wie vor angewandt würden. Die Kommission führte aus, die oben genannten Maßnahmen könnten einen wesentlichen Einfluss auf den Wettbewerb auf dem Markt haben, und erließ angesichts ihrer fortgesetzten Anwendung Aussetzungsanordnungen im Sinne von Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999, mit denen Ungarn aufgetragen wurde, zum einen die Anwendung des progressiven Steuersatzes für die geänderte Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette und zum anderen die Anwendung des progressiven Steuersatzes für den Gesundheitsbeitrag und die Ermäßigung des Gesundheitsbeitrags im Fall von Investitionen auszusetzen, bis die Kommission einen Beschluss über die Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit dem Binnenmarkt erlassen habe (im Folgenden: angefochtene Anordnungen).

10

Am 4. Juli 2016 erließ die Kommission zwei Beschlüsse, mit denen sie das förmliche Prüfverfahren, das mit den streitigen Entscheidungen eröffnet worden war, beendete, nämlich den Beschluss (EU) 2016/1846 über die Maßnahme SA.41187 (2015/C) (ex 2015/NN) Ungarns bezüglich des Gesundheitsbeitrags der Unternehmen der Tabakindustrie (ABl. 2016, L 282, S. 43) und den Beschluss (EU) 2016/1848 über die von Ungarn durchgeführte Maßnahme SA.40018 (2015/C) (ex 2015/NN) [betreffend die] 2014 beschlossene Änderung der ungarischen Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette (ABl. 2016, L 282, S. 63) (beide gemeinsam im Folgenden: endgültige Beschlüsse).

Verfahren und Anträge der Beteiligten

11

Mit Klageschriften, die am 25. September 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, hat Ungarn die vorliegenden Klagen erhoben, die gegen den Beschluss über den Gesundheitsbeitrag (T‑554/15) und den Beschluss über die Änderung der Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette (T‑555/15) gerichtet sind.

12

Am 14. bzw. 15. Januar 2016 hat die Kommission die Klagebeantwortungen in den beiden Rechtssachen eingereicht.

13

Mit Schreiben vom 11. November 2016 hat das Gericht auf der Grundlage von Art. 131 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts die Parteien aufgefordert, schriftliche Fragen zum Fortbestehen des Gegenstands der vorliegenden Klagen zu beantworten. Die Beteiligten haben diese Fragen innerhalb der gesetzten Frist beantwortet.

14

Mit Beschluss des Präsidenten der Neunten Kammer des Gerichts vom 24. Mai 2017 sind nach Anhörung der Parteien die Rechtssachen T‑554/15 und T‑555/15 gemäß Art. 68 Abs. 2 der Verfahrensordnung zu gemeinsamem mündlichen Verfahren verbunden worden.

15

In der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2017 hat der Präsident der Neunten Kammer des Gerichts nach Anhörung der Parteien beschlossen, die Rechtssachen T‑554/15 und T‑555/15 auch zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden.

16

In der Rechtssache T‑554/15 beantragt Ungarn,

den Beschluss über den Gesundheitsbeitrag teilweise für nichtig zu erklären, soweit darin angeordnet wird, die Anwendung des progressiven Steuersatzes für den Gesundheitsbeitrag und der Ermäßigung des Gesundheitsbeitrags im Fall von Investitionen auszusetzen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

17

In der Rechtssache T‑555/15 beantragt Ungarn,

den Beschluss über die Änderung der Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette teilweise für nichtig zu erklären, soweit darin angeordnet wird, die Anwendung des progressiven Steuersatzes für die geänderte Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette auszusetzen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

18

In beiden Rechtssachen beantragt die Kommission:

die Klage abzuweisen;

Ungarn die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

Vorbemerkungen

19

Gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV sind, soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

20

Art. 108 AEUV regelt das Verfahren zur Kontrolle der von den Mitgliedstaaten gewährten Beihilfen, um Wettbewerbsverzerrungen aufgrund von mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfen zu vermeiden.

21

So bestimmt zum einen Art. 108 Abs. 2 AEUV, dass die Kommission beschließt, dass der betreffende Staat eine Beihilfe binnen einer von ihr bestimmten Frist aufzuheben oder umzugestalten hat, wenn sie feststellt, nachdem sie den Beteiligten eine Frist zur Äußerung gesetzt hat, dass eine von einem Staat oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe mit dem Binnenmarkt nach Art. 107 AEUV unvereinbar ist.

22

Zum anderen sieht Art. 108 Abs. 3 AEUV vor, dass die Mitgliedstaaten die Kommission von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichten, dass sie sich dazu äußern kann. Ist sie der Auffassung, dass ein derartiges Vorhaben nach Art. 107 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist, so leitet sie unverzüglich das in Art. 108 Abs. 2 AEUV vorgesehene Verfahren ein. Der betreffende Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat.

23

Die umfangreiche Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts zu den Vorschriften von Art. 108 AEUV wurde größtenteils in die Verordnung Nr. 659/1999, die mit Wirkung vom 14. Oktober 2015 aufgehoben und durch die Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 108 [AEUV] (ABl. 2015, L 248, S. 9) ersetzt worden ist, übernommen.

24

Nach Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 659/1999 eröffnet die Kommission das Verfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV, wenn sie nach einer vorläufigen Prüfung feststellt, dass die angemeldete Maßnahme Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt. Die auf der Grundlage dieses Artikels getroffene Entscheidung wird Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens genannt.

25

Die Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens ist nicht nur möglich, wenn die Kommission eine angemeldete Maßnahme prüft, sondern gemäß Art. 13 der Verordnung Nr. 659/1999 auch, wenn sie eine möglicherweise rechtswidrige Beihilfe prüft, d. h. nach Art. 1 Buchst. f dieser Verordnung eine Maßnahme, die die Kommission in diesem Stadium des Verfahrens als neue Beihilfe einstuft, die unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV eingeführt wurde.

26

Der Erlass einer Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens in Bezug auf eine nationale Maßnahme nach Art. 13 der Verordnung Nr. 659/1999 verändert die rechtliche Situation dieser Maßnahme durch die vorläufige Schlussfolgerung der Kommission, dass sie als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV und aufgrund des möglichen Verstoßes gegen die Pflicht der Anmeldung sämtlicher neuer Beihilfevorhaben gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV als rechtswidrig einzustufen sei. Bis zum Erlass einer solchen Entscheidung können der Mitgliedstaat, der die Maßnahme ergriffen hat, die begünstigten Unternehmen und die anderen Wirtschaftsbeteiligten davon ausgehen, dass die Maßnahme beispielsweise als allgemeine Maßnahme, die nicht unter Art. 107 Abs. 1 AEUV fällt, oder als bestehende Beihilfe im Sinne von Art. 108 Abs. 1 AEUV und im Sinne von Art. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 659/1999, deren weitere Durchführung in diesem Stadium noch rechtmäßig ist, durchgeführt werden darf. Dagegen bestehen nach Erlass einer solchen Entscheidung zumindest erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme, die unbeschadet der Möglichkeit, eine gerichtliche einstweilige Anordnung zu beantragen, den Mitgliedstaat veranlassen muss, die Maßnahme auszusetzen, da die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens eine sofortige Entscheidung, mit der die Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt festgestellt würde und die es erlauben würde, die Durchführung der Maßnahme fortzusetzen, ausschließt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Oktober 2014, Alro/Kommission, T‑517/12, EU:T:2014:890, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Aufgrund der Einstufung der nationalen Maßnahme, die Gegenstand einer Entscheidung über die Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens ist, als rechtswidrige staatliche Beihilfe ist der Mitgliedstaat, an den diese Entscheidung gerichtet ist, daher verpflichtet, die Durchführung dieser Maßnahme sofort auszusetzen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Mai 2005, Italien/Kommission, C‑400/99, EU:C:2005:275, Rn. 39, und vom 16. Oktober 2014, Alro/Kommission, T‑517/12, EU:T:2014:890, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28

Die Verpflichtung, die Durchführung der nicht angemeldeten und als rechtswidrige staatliche Beihilfe eingestuften Maßnahme auszusetzen, beruht auf Art. 108 Abs. 3 AEUV, der die beabsichtigte Einführung neuer Beihilfen einer Vorprüfung unterwirft, deren Ziel es ist, zu gewährleisten, dass nur mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen durchgeführt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Durchführung eines solchen Beihilfevorhabens daher ausgesetzt werden, bis die Zweifel an seiner Vereinbarkeit durch die abschließende Entscheidung der Kommission beseitigt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. November 2013, Deutsche Lufthansa, C‑284/12, EU:C:2013:755, Rn. 25 und 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29

Die Verpflichtung, die Durchführung einer nationalen Maßnahme auszusetzen, die durch eine Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens als rechtswidrige staatliche Beihilfe eingestuft wurde, ergibt sich automatisch aus dieser Entscheidung, da der Mitgliedstaat selbst verpflichtet ist, alle Konsequenzen aus dieser Entscheidung zu ziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Oktober 2001, Italien/Kommission, C‑400/99, EU:C:2001:528, Rn. 60).

30

Um die Kommission in die Lage zu versetzen, jede Nichtbeachtung der Vorschriften des Art. 108 Abs. 3 AEUV zu verhindern, hat der Gerichtshof ihr auch die Befugnis zugestanden, dem betreffenden Mitgliedstaat, nachdem ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich dazu zu äußern, aufzugeben, die Zahlung einer von ihr als rechtswidrig erachteten Beihilfe unverzüglich einzustellen (Urteile vom 14. Februar 1990, Frankreich/Kommission, C‑301/87, EU:C:1990:67, Rn. 18 bis 20, vom 21. März 1990, Belgien/Kommission, C‑142/87, EU:C:1990:125, Rn. 14 bis 16 und 19, und vom 21. März 1991, Italien/Kommission, C‑303/88, EU:C:1991:136, Rn. 46 bis 48).

31

Weder aus dieser Rechtsprechung noch aus Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999, die sie übernommen hat, ergibt sich, dass die Kommission verpflichtet ist, dem betreffenden Mitgliedstaat automatisch aufzugeben, die Zahlung einer Beihilfe, die nicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV angezeigt wurde, auszusetzen. Andernfalls würde die gesetzliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 108 Abs. 3 AEUV, beabsichtigte Beihilfemaßnahmen nicht durchzuführen, bevor die Kommission einen endgültigen Beschluss erlassen hat, ihre Bedeutung verlieren, und es käme zu einer Vertauschung der Rollen der Mitgliedstaaten und der Kommission (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juni 1999, Belgien/Kommission, C‑75/97, EU:C:1999:311, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Es gibt verfahrensrechtliche Unterschiede zwischen der Aussetzung einer in Durchführung begriffenen Maßnahme aufgrund der Entscheidung, das formelle Prüfverfahren einzuleiten, das diese Maßnahme als rechtswidrige staatliche Beihilfe einstuft, und einer Aussetzungsanordnung in Bezug auf diese Maßnahme. Insbesondere kann die Kommission im Fall der Nichtbefolgung der Aussetzungsanordnung nach Art. 12 der Verordnung Nr. 659/1999 ohne vorherige Mahnung den Gerichtshof der Europäischen Union unmittelbar mit der Angelegenheit befassen und um die Feststellung ersuchen, dass diese Nichtbefolgung einen Verstoß gegen den AEU-Vertrag darstellt.

33

Diese verfahrensrechtlichen Unterschiede berühren jedoch die wichtigste Rechtsfolge nicht, die sowohl die Entscheidung über die Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens als auch die Aussetzungsanordnung nach sich zieht, nämlich die Verpflichtung des Mitgliedstaats, die Durchführung der Maßnahme, die Gegenstand dieser auf Art. 108 Abs. 3 AEUV beruhenden Entscheidungen ist, auszusetzen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Oktober 2001, Italien/Kommission, C‑400/99, EU:C:2001:528, Rn. 60).

Zur Zulässigkeit der Klage

34

Mit seinen Klagen beantragt Ungarn nur die Nichtigerklärung der Aussetzungsanordnungen in den streitigen Beschlüssen. Die von Ungarn eingebrachten Klagen zielen somit nicht auf die Nichtigerklärung der streitigen Beschlüsse ab, soweit die Kommission darin das förmliche Prüfverfahren eingeleitet hat. Ungarn vertritt die Ansicht, dass eine solche teilweise Nichtigerklärung im vorliegenden Fall möglich sei, weil die angefochtenen Anordnungen im Hinblick auf das von der Rechtsprechung aufgestellte Kriterium der Abtrennbarkeit von den streitigen Beschlüssen abtrennbar seien.

35

Die teilweise Nichtigerklärung eines Rechtsakts der Europäischen Union ist nur möglich, soweit sich die Teile, deren Nichtigerklärung beantragt wird, vom Rest des Rechtsakts trennen lassen. Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass dieses Erfordernis der Abtrennbarkeit nicht erfüllt ist, wenn die teilweise Nichtigerklärung eines Rechtsakts zur Folge hätte, dass der Wesensgehalt dieses Aktes verändert würde (Urteil vom 18. März 2014, Kommission/Parlament und Rat, C‑427/12, EU:C:2014:170, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Die in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehene Anordnung, mit der die Aussetzung einer Maßnahme verfügt wird, die möglicherweise eine staatliche Beihilfe darstellt, kann zur gleichen Zeit erfolgen wie die Entscheidung, das Verfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten, oder danach erlassen werden (Urteil vom 9. Oktober 2001, Italien/Kommission, C‑400/99, EU:C:2001:528, Rn. 47).

37

Auch wenn sie, wie im vorliegenden Fall, gleichzeitig erlassen werden, stellen die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens und die Aussetzungsanordnung zwei verschiedene Rechtsakte dar, die unterschiedlichen Vorschriften der Verordnung Nr. 659/1999 unterliegen, und zwar zum einen ihrem Art. 4 Abs. 4 und zum anderen ihrem Art. 11 Abs. 1 und ihrem Art. 12.

38

Zudem ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999, dass der Unionsgesetzgeber der Aussetzungsanordnung die Form eines „Beschlusses“ in Sinne von Art. 288 AEUV geben wollte. Nach der Rechtsprechung ist ein solcher Rechtsakt als Handlung, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugt, anzusehen und kann folglich Gegenstand einer Klage sein (Urteil vom 13. Oktober 2011, Deutsche Post und Deutschland/Kommission, C‑463/10 P und C‑475/10 P, EU:C:2011:656, Rn. 43 bis 46).

39

Daraus folgt, dass dann, wenn die Kommission, wie dies hier der Fall ist, mit einem einzigen Rechtsakt entscheidet, das förmliche Prüfverfahren einzuleiten und eine Aussetzungsanordnung zu erlassen, diese Anordnung vom übrigen Rechtsakt abtrennbar ist und daher für sich Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein kann.

40

Im Übrigen überschneiden sich die Rechtswirkungen der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens und jene des Erlasses einer Aussetzungsanordnung zum Teil, wie aus den Vorbemerkungen oben in den Rn. 26 bis 33 hervorgeht.

41

Im Rahmen der vorliegenden Klage beantragt Ungarn die Nichtigerklärung der streitigen Beschlüsse insoweit nicht, als die Kommission dadurch die förmlichen Prüfverfahren eingeleitet hat. Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass die von Ungarn eingereichten Klageschriften keine Klagegründe enthalten, die eine etwaige falsche Einstufung der betreffenden nationalen Maßnahmen als staatliche Beihilfen oder neue Beihilfen, die rechtswidrig durchgeführt werden, betreffen. Selbst wenn man davon ausginge, dass diese Klagegründe zur Stützung der vorliegenden Klage begründet wären, hätte dies somit nicht zur Folge, dass Ungarn von seiner Verpflichtung befreit wäre, die Durchführung der betreffenden nationalen Maßnahmen auszusetzen.

42

Insoweit genügt es, darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten ihr Rechtsschutzinteresse nicht dartun müssen, wenn sie eine auf Art. 263 AEUV gestützte Klage erheben (vgl. Urteile vom 13. Oktober 2011, Deutsche Post und Deutschland/Kommission, C‑463/10 P und C‑475/10 P, EU:C:2011:656, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Nach alledem sind die Klagen für zulässig zu erklären.

Zum Fortbestehen des Gegenstands der Klage

44

Am 4. Juli 2016 schloss die Kommission das durch die streitigen Beschlüsse eröffnete förmliche Prüfverfahren mit dem Erlass der endgültigen Beschlüsse ab. In diesen Beschlüssen bestätigte sie die in den streitigen Beschlüssen enthaltenden Beurteilungen und stellte fest, dass die betreffenden nationalen Maßnahmen rechtswidrige staatliche Beihilfen und mit dem Binnenmarkt unvereinbar seien. Ungarn focht die endgültigen Beschlüsse nicht innerhalb der Klagefrist an. Da diese Beschlüsse nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union am 19. Oktober 2016 (ABl. 2016, L 282, S. 43 und 63) auch nicht Gegenstand einer von einem Dritten eingebrachten Klage waren, sind sie nunmehr rechtskräftig.

45

Unter diesen Umständen hat das Gericht unter Berücksichtigung der Klagegründe zur Stützung der vorliegenden Klage beschlossen, die Beteiligten zur Frage anzuhören, ob diese Klagen nach wie vor einen Gegenstand haben.

46

Die Beteiligten haben die Fragen des Gerichts bejaht. Sie machten insbesondere Gründe der Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen die Kommission die Aussetzungsanordnung anwenden könne, hinsichtlich der Unterschiede zwischen den Rechtswirkungen der streitigen Beschlüsse und der endgültigen Beschlüsse und der Notwendigkeit, die gerichtliche Kontrolle der Rechtsverstöße zu gewährleisten, die die angefochtenen Anordnungen enthalten könnten, sowie hinsichtlich der bevorrechteten Stellung der Mitgliedstaaten im Rahmen der auf der Grundlage von Art. 263 AEUV erhobenen Klagen geltend.

47

Aus der Rechtsprechung des Gerichts ergibt sich, dass dann, wenn Klagen zum einem gegen eine Entscheidung über die Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens in Bezug auf eine nationale Maßnahme und zum anderen gegen einen endgültigen Beschluss erhoben werden, mit dem dieses Verfahren abgeschlossen und erklärt wird, dass die geprüfte nationale Maßnahme eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellt, die Abweisung der Klage gegen letzteren Beschluss zum Wegfall des Gegenstands der gegen die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens gerichteten Klage führt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juni 2000, EPAC/Kommission, T‑204/97 und T‑270/97, EU:T:2000:148, Rn. 153 bis 159, vom 6. März 2002, Diputación Foral de Álava/Kommission, T‑168/99, EU:T:2002:60, Rn. 22 bis 26, und vom 9. September 2009, Diputación Foral de Álava u. a./Kommission, T‑30/01 bis T‑32/01 und T‑86/02 bis T‑88/02, EU:T:2009:314, Rn. 345 bis 363). Nachdem das Unionsgericht die in einem endgültigen Beschluss enthaltene Beurteilung der Kommission einschließlich der Qualifizierung, dass es sich bei der geprüften nationalen Maßnahme um eine neue Beihilferegelung handelt, bestätigt hat, muss diese Maßnahme nach der Rechtsprechung aufgehoben werden und müssen die Beihilfen von Anfang an zurückgefordert werden. Folglich ist in einem solchen Fall nicht mehr über die Frage zu entscheiden, ob dieselbe Maßnahme, die infolge der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens ausgesetzt werden musste, zu Recht ausgesetzt werden musste (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2009, Diputación Foral de Álava u. a./Kommission, T‑30/01 bis T‑32/01 und T‑86/02 bis T‑88/02, EU:T:2009:314, Rn. 358).

48

Diese Rechtsprechung kann im Rahmen der vorliegenden Klage nicht übertragen werden.

49

Zum einen ergibt sich aus den oben in Rn. 47 angeführten Urteilen (vgl. insbesondere Urteile vom 13. Juni 2000, EPAC/Kommission, T‑204/97 und T‑270/97, EU:T:2000:148, Rn. 154 bis 158, und vom 9. September 2009, Diputación Foral de Álava u. a./Kommission, T‑30/01 bis T‑32/01 und T‑86/02 bis T‑88/02, EU:T:2009:314, Rn. 345, 348 und 355), dass sich in einem Fall wie dem in Rn. 47 oben beschriebenen die Frage des Wegfalls des Gegenstands der Klage in Wirklichkeit mit jener des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses der klagenden Partei überschneidet. Wie oben in Rn. 42 ausgeführt, müssen die Mitgliedstaaten ihr Rechtsschutzinteresse nicht dartun, wenn sie eine auf Art. 263 AEUV gestützte Klage erheben.

50

Zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Aussetzungsanordnung mit Rechtsverstößen behaftet sein kann, die nicht im Zusammenhang mit der falschen Einstufung der von der Kommission geprüften Maßnahme als rechtswidrige staatliche Beihilfe stehen. Wenn der Erlass eines Beschlusses, der das förmliche Prüfverfahren abschließt, dazu führen müsste, dass die gegen die Aussetzungsanordnung erhobene Klage gegenstandslos würde, würde die gerichtliche Kontrolle solcher Rechtsverstöße behindert. In einer Rechtsgemeinschaft wie der Union sind aber weder die Mitgliedstaaten noch die Unionsorgane der Kontrolle darüber entzogen, ob ihre Handlungen im Einklang mit der Verfassungsurkunde der Union, dem AEU-Vertrag, stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 1986, Les Verts/Parlament, 294/83, EU:C:1986:166, Rn. 23).

51

Nach alledem ist die vorliegende Klage inhaltlich zu prüfen.

Zur Begründetheit

52

Zur Stützung seiner beiden Klagen macht Ungarn vier im Wesentlichen gleiche Klagegründe geltend, erstens einen „Ermessensmissbrauch“ und einen offensichtlichen Beurteilungsfehler bei der Anwendung von Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 sowie einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, zweitens einen Verstoß gegen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung, drittens einen Verstoß gegen die Begründungspflicht sowie gegen die Verteidigungsrechte Ungarns und viertens einen Verstoß gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit, gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung und gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf.

53

Im Übrigen hat Ungarn in der mündlichen Verhandlung einen wesentlichen Teil seines Vortrags der Darstellung einer Argumentation gewidmet, wonach die Kommission den Bezugsrahmen falsch festgelegt habe, von dem die fraglichen nationalen Maßnahmen abwichen. Aufgrund dieses Fehlers der Kommission sei nicht davon auszugehen, dass diese Maßnahmen selektiv und folglich als staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV einzustufen seien.

54

Es ist festzustellen, dass Ungarn mit dieser Argumentation seine Klage im Wesentlichen auf einen Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV durch eine falsche Einstufung der betreffenden nationalen Maßnahmen als staatliche Beihilfe stützt.

55

Insoweit ist erstens festzustellen, dass die von Ungarn eingereichten Klageschriften keinen solchen Klagegrund enthalten. Zudem richtet sich das in diesen Klageschriften enthaltene Vorbringen Ungarns nur gegen die angefochtenen Anordnungen und stellt die Gründe nicht in Frage, aus denen die Kommission im vorliegenden Fall die förmlichen Prüfverfahren eingeleitet hat. Zwar macht Ungarn im Rahmen des ersten Klagegrundes seiner Klagen geltend, die Kommission habe in den streitigen Beschlüssen den Kreis der ausschließlich Begünstigten der betreffenden nationalen Maßnahmen nicht festgelegt, während nach der Rechtsprechung die Bestimmung einer solchen Gruppe von Unternehmen eine notwendige Voraussetzung für die Anerkennung des selektiven Charakters dieser Maßnahmen sei. Dieses Vorbringen muss jedoch im Zusammenhang mit diesem Klagegrund gesehen werden, mit dem Ungarn nicht die Einstufung der betreffenden nationalen Maßnahmen als staatliche Beihilfe bestreitet, sondern im Wesentlichen geltend macht, dass diese Einstufung für die Zwecke des Erlasses einer Aussetzungsanordnung einen höheren Gewissheitsgrad aufweisen müsse als im Fall der Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens, das nicht mit einer solchen Anordnung einhergehe, und dass sie sich auf eine gängige Praxis der Kommission und auf die Rechtsprechung stützen müsse. Unter diesen Umständen kann das in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Argument nicht als Erweiterung des ersten Klagegrundes angesehen werden.

56

Zweitens stützt sich die Stellungnahme Ungarns in der mündlichen Verhandlung nicht auf rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte, die während des Verfahrens zutage getreten sind.

57

Folglich ist das in der mündlichen Verhandlung geltend gemachte Vorbringen Ungarns gemäß Art. 84 der Verfahrensordnung, der das Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Laufe des Verfahrens untersagt, als unzulässig anzusehen.

Erster Klagegrund

58

Der erste Klagegrund ist in zwei Teile geteilt, wobei mit dem ersten ein Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 aufgrund eines „Ermessensmissbrauchs“ und eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers bei der Anwendung dieser Vorschrift und mit dem zweiten ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geltend gemacht wird.

– Erster Teil

59

Mit dem ersten Teil dieses Klagegrundes macht Ungarn im Wesentlichen geltend, die Kommission müsse abgesehen von den in dieser Vorschrift enthaltenen Voraussetzungen nachweisen, dass zusätzliche Voraussetzungen erfüllt seien, um eine Aussetzungsanordnung nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 erlassen zu können.

60

Insoweit macht Ungarn geltend, im Unionsrecht unterliege die Anwendung vorläufiger Maßnahmen drei allgemeinen Voraussetzungen, und zwar der Dringlichkeit, der ernsthaften Gefahr eines erheblichen und nicht wiedergutzumachenden Schadens und dem Bestehen eines fumus boni iuris, d. h. der wahrscheinlichen Rechtswidrigkeit der Maßnahme, deren Aussetzung beantragt wird. Diese drei Voraussetzungen seien insbesondere auf die Aussetzung und sonstige einstweilige Maßnahmen, die die Gerichte der Union nach den Art. 278 und 279 AEUV anordnen könnten, auf einstweilige Maßnahmen auf dem Gebiet des Wettbewerbs auf der Grundlage der Art. 101 und 102 AEUV, auf Maßnahmen, die die nationalen Gerichte auf der Grundlage von Art. 108 Abs. 3 AEUV anwenden könnten, und schließlich auf Rückforderungsanordnungen, die die Kommission nach Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 659/1999 erlassen könne, anwendbar.

61

Nach Ansicht Ungarns ist es für den Erlass einer Aussetzungsanordnung nötig, dass diese drei Voraussetzungen erfüllt sind, obwohl Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 sie nicht vorsehe, weil andernfalls das Ermessen der Kommission beim Erlass dieser Anordnungen keiner Begrenzung unterläge. Zudem sei nicht anzunehmen, dass es der Unionsgesetzgeber absichtlich unterlassen habe, den Erlass der Aussetzungsanordnungen an diese drei Voraussetzungen zu knüpfen, und auch nicht, dass der Unionsrichter aufgrund dieser Unterlassung keine Grenzen für das Ermessen der Kommission festsetzen könne, indem er die Voraussetzungen für die Anwendung der Aussetzungsanordnungen festlege. Insoweit weist Ungarn darauf hin, dass mit diesem Teil des ersten Klagegrundes nicht beabsichtigt werde, gemäß Art. 277 AEUV die Unanwendbarkeit von Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 geltend zu machen.

62

Ungarn trägt in Bezug auf die Voraussetzung des fumus boni iuris vor, damit eine Aussetzungsordnung erlassen werden könne, müsse der Beihilfecharakter der betreffenden nationalen Maßnahme im Hinblick auf die gängige Praxis der Kommission oder die Rechtsprechung der Unionsgerichte feststehen. Im vorliegenden Fall gebe es jedoch weder eine Praxis der Kommission noch eine Rechtsprechung, die die Einstufung eines progressiven Steuersatzes, wie den des Gesundheitsbeitrags oder den der geänderten Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette, als staatliche Beihilfe eindeutig bestätigen könnte. Zudem gehe aus der Rechtsprechung hervor, dass die Kommission, um eine steuerliche Maßnahme als staatliche Beihilfe einstufen zu können, eine Gruppe von Unternehmen festlegen müsse, die die einzigen Begünstigten durch eine solche Maßnahme seien. In den streitigen Beschlüssen seien jedoch weder die begünstigten Unternehmen noch die durch die betreffenden nationalen Maßnahmen benachteiligten Unternehmen aufgeführt.

63

Was die beiden anderen Voraussetzungen angeht, macht Ungarn geltend, der Erlass der angefochtenen Anordnungen sei nicht notwendig, da die betreffenden nationalen Maßnahmen ohne sie nicht unmittelbar einen schweren und nicht wiedergutzumachenden finanziellen Schaden verursachen könnten, worin sich die streitigen Beschlüsse vom Beschluss (2007) 4313 der Kommission vom 27. September 2007 über die staatliche Beihilfe C 41/2007 (ex NN 49/2007) – Rumänien – Privatisierung von Tractorul (ABl. 2007, C 249, S. 21) unterschieden, in dem die Kommission eine solche Gefahr angeführt habe, um eine an Rumänien gerichtete Aussetzungsanordnung zu begründen. Ungarn führt weiter aus, um im vorliegenden Fall die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden finanziellen Schadens festzustellen, hätte die Kommission nachweisen müssen, dass sich die durch die betreffenden nationalen Maßnahmen benachteiligten Unternehmen ohne die angefochtenen Anordnungen vor Ende des förmlichen Prüfverfahrens in einer Lage hätten befinden können, die ihre finanzielle Lebensfähigkeit hätte gefährden können. Die Kommission habe nicht nur diesen Nachweis nicht erbracht, sondern es gehe aus den streitigen Beschlüssen hervor, dass ein etwaiger Schaden durch eine Verpflichtung zur Rückerstattung der rechtswidrig gewährten Beihilfen in den endgültigen Beschlüssen beseitigt werden könne.

64

Könnte die Kommission die Aussetzung einer nationalen steuerlichen Maßnahme aus dem einzigen Grund anordnen, dass diese Maßnahme eine staatliche Beihilfe darstelle, ohne dass sie nachweisen müsste, dass die drei Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen erfüllt sind, würde dies nach Ansicht Ungarns die von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zwischen den nationalen Gerichten und der Kommission festgelegte Rollenverteilung stören. Es sei allein Sache der nationalen Gerichte, allfällige Konsequenzen aus einem Verstoß gegen die Aussetzungsverpflichtung nach Art. 108 Abs. 3 AEUV zu ziehen. Die klare Verteilung der Rollen zwischen der Kommission und den nationalen Gerichten bestätige den Ausnahmecharakter der Aussetzungsanordnungen und hindere die Kommission daran, solche Anordnungen nur aus dem Grund zu erlassen, dass eine Beihilfe im Laufe des förmlichen Prüfverfahrens weiterhin gewährt werde. Dies bedeute auch, dass die Kommission die Aussetzung einer nationalen Maßnahme nur anordnen könne, wenn sich die von den nationalen Gerichten nach Art. 108 Abs. 3 AEUV erlassenen einstweiligen Maßnahmen als unzureichend herausstellten.

65

Die Kommission widerspricht diesem Vorbringen.

66

Aus der oben in den Rn. 24 bis 29 aufgeführten Darstellung der Verfahrensregeln ergibt sich, dass der Mitgliedstaat die Durchführung einer nationalen Maßnahme, die der Kommission nicht gemeldet wurde, sofort aussetzen muss, wenn die Kommission beschließt, ein förmliches Prüfverfahren in Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 659/1999 gegen diese Maßnahme einzuleiten. Die Tatsache, dass die Einstufung der betreffenden nationalen Maßnahme als rechtswidrige staatliche Beihilfe vorläufig ist, berührt diese Aussetzungspflicht in keiner Weise.

67

Entgegen dem Vorbringen Ungarns weist die Rechtsprechung des Gerichtshofs, die sehr früh die unmittelbare Wirkung der Verpflichtung anerkannt hat, die Zahlung staatlicher Beihilfen auszusetzen, bevor ihre Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt von der Kommission geprüft wird (Urteile vom 15. Juli 1964, Costa, 6/64, EU:C:1964:66, S. 1272, und vom 11. Dezember 1973, Lorenz, 120/73, EU:C:1973:152, Rn. 8), nicht nur den nationalen Gerichten die Aufgabe zu, allfällige Konsequenzen aus einem Verstoß gegen die Aussetzungspflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV zu ziehen.

68

Nach der Rechtsprechung weisen die Art. 107 und 108 AEUV der Kommission eine zentrale und exklusive Rolle bei der Feststellung der möglichen Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Binnenmarkt zu, wobei die Rolle der nationalen Gerichte darin besteht, die Rechte zu wahren, die den Rechtsunterworfenen aufgrund der unmittelbaren Wirkung des Verbots erwachsen, das im letzten Satz von Art. 108 Abs. 3 AEUV aufgestellt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. November 1991, Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires und Syndicat national des négociants et transformateurs de saumon, C‑354/90, EU:C:1991:440, Rn. 14). Die den nationalen Gerichten auf dem Gebiet der Kontrolle staatlicher Beihilfen zugestandenen Befugnisse können daher die Befugnisse nicht einschränken, über die die Kommission auf diesem Gebiet verfügt. Vielmehr werden nach der Rechtsprechung die Befugnisse der nationalen Gerichte eingeschränkt, wenn die Kommission einen Beschluss auf Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens erlässt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. November 2013, Deutsche Lufthansa, C‑284/12, EU:C:2013:755, Rn. 41 und 42).

69

Wie oben in Rn. 30 ausgeführt, wurde der Kommission, um es ihr zu ermöglichen, die Einhaltung der Vorschriften von Art. 108 Abs. 3 AEUV zu gewährleisten, die Befugnis zugestanden, dem betreffenden Mitgliedstaat aufzugeben, die Zahlung einer von ihr als rechtswidrig erachteten Beihilfe unverzüglich einzustellen, nachdem diesem Mitgliedstaat Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde.

70

Die in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 festgelegten Voraussetzungen für den Erlass einer solchen Anordnung beschränken sich auf eine materielle Voraussetzung, nämlich die Einstufung der betreffenden nationalen Maßnahme in diesem Stadium des Verfahrens als rechtswidrige staatliche Beihilfe durch die Kommission, und eine prozessrechtliche Voraussetzung, die darin besteht, dem betreffenden Mitgliedstaat Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

71

Es muss keine andere Voraussetzung erfüllt sein, damit die Kommission eine Anordnung nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 erlassen kann, und es ist darauf hinzuweisen, dass diese Situation die Folge einer Willensentscheidung und nicht, wie Ungarn vorträgt, einer Unterlassung des Gesetzgebers ist. Der Wortlaut dieses Artikels, der die Rechtslage widerspiegelt, die sich aus der oben in Rn. 30 angeführten Rechtsprechung ergibt, wurde durch die Änderungen der Verordnung Nr. 659/1999 nicht geändert und in der ursprünglichen Formulierung in die neue Verordnung 2015/1589 aufgenommen.

72

Insbesondere kann der Erlass einer Aussetzungsanordnung entgegen dem Vorbringen Ungarns nicht den Voraussetzungen, die für den Erlass einer Rückforderungsanordnung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 659/1999 gelten, oder Voraussetzungen, die sich auf andere Weise an dieser Vorschrift orientieren, unterworfen werden.

73

Erstens stellt die Aussetzungsanordnung ein Instrument zur Verhinderung einer fortgesetzten Verletzung der Pflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV dar, die beabsichtigte Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen nicht durchzuführen. Da sich diese Pflicht im Falle nicht angemeldeter Beihilfen zum Zeitpunkt der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens und der vorläufigen Einstufung der betreffenden nationalen Maßnahme als rechtswidrige staatliche Beihilfe konkretisiert, würde dadurch, dass der Erlass einer Aussetzungsanordnung zusätzlichen inhaltlichen Voraussetzungen unterworfen würde, die Wirksamkeit dieses Mechanismus geschwächt, der konzipiert wurde, um die volle Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtung, die dem Mitgliedstaat nach Art. 108 Abs. 3 AEUV auferlegt ist, zu gewährleisten.

74

Zweitens sind die für den Erlass einer Rückforderungsanordnung vorgesehenen Voraussetzungen aufgrund der Natur dieser Anordnung und ihrer Stellung im System der Vorprüfung der beabsichtigten Einführung neuer Beihilfen gemäß Art. 108 AEUV gerechtfertigt.

75

Nach Art. 108 Abs. 2 AEUV müssen nur unvereinbare Beihilfen von den Mitgliedstaaten aufgehoben werden, was die Verpflichtung nach sich zieht, die bereits ausgezahlten unvereinbaren Beihilfen zurückzufordern. Hingegen verlangt das Unionsrecht nach der Rechtsprechung nicht, die Rückzahlung der gesamten rechtswidrigen Beihilfe anzuordnen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Februar 2008, CELF und Ministre de la Culture et de la Communication, C‑199/06, EU:C:2008:79, Rn. 46 und 52).

76

Nach der Rechtsprechung können die von den Mitgliedstaaten gewährten Beihilfen nicht schon deshalb als unvereinbar betrachtet werden, weil sie unter Verletzung der Verpflichtungen zur Anmeldung und Aussetzung nach Art. 108 Abs. 3 AEUV durchgeführt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 1990, Frankreich/Kommission, C‑301/87, EU:C:1990:67, Rn. 9 bis 11, 16 und 17). Auch wenn daher die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens in Bezug auf eine nationale Maßnahme gemäß Art. 13 der Verordnung Nr. 659/1999 den betreffenden Mitgliedstaat verpflichtet, die Zahlung der Beihilfe unverzüglich einzustellen, verpflichtet sie ihn trotzdem nicht, sie zurückzufordern.

77

Dies ändert jedoch nichts daran, dass das Unionsrecht die Möglichkeit nicht ausschließt, rechtswidrig gewährte Beihilfen zurückzufordern, bevor die Kommission über deren Vereinbarkeit entschieden hat.

78

Um den Vorschriften von Art. 108 Abs. 3 AEUV die volle Wirkung zu verleihen, ist es zum einen Sache der nationalen Gerichte, bei Missachtung dieser Bestimmung daraus die Schlussfolgerungen nach nationalem Recht zu ziehen, und zwar sowohl für die Gültigkeit von Handlungen zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch für die Einziehung der unter Verstoß gegen diese Bestimmung gewährten finanziellen Unterstützungen (vgl. Urteil vom 21. Juli 2005, Xunta de Galicia, C‑71/04, EU:C:2005:493, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insbesondere kann die Feststellung, dass eine Beihilfe unter Verstoß gegen den letzten Satz von Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährt worden ist, je nach den Umständen die Erstattung der Beihilfe unter Beachtung der innerstaatlichen Verfahrensvorschriften zur Folge haben, auch wenn diese Beihilfe später als mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Februar 2008, CELF und Ministre de la Culture et de la Communication, C‑199/06, EU:C:2008:79, Rn. 52 und 53).

79

Zum anderen hat der Unionsgesetzgeber vorgesehen, dass die Kommission Anordnungen erlassen kann, mit denen die rechtswidrig gewähren Beihilfen vor Ende des förmlichen Prüfverfahrens zurückgefordert werden. Er hat jedoch wegen der Beeinträchtigung der Situation des Begünstigten durch eine solche Anordnung deren Anwendung an strenge Voraussetzungen geknüpft, die in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 659/1999 festgelegt sind.

80

Aus dem Vorstehenden ergibt sich erstens, dass die Kommission nicht verpflichtet war, sich in den streitigen Beschlüssen auf eine gängige Praxis oder auf eine Rechtsprechung zu berufen, im Hinblick auf die am Beihilfecharakter der betreffenden nationalen Maßnahmen kein Zweifel bestand.

81

Aus den Akten geht jedoch hervor, dass die Kommission mehrere Monate vor Erlass der streitigen Beschlüsse mit dem Beschluss C(2015) 1520 vom 12. März 2015 über die Maßnahme SA.39235 (2015/C) (ex 2015/NN) – Ungarn – Werbesteuer (ABl. 2015, C 136, S. 7) ein förmliches Prüfverfahren in Bezug auf eine von Ungarn im Bereich der Werbung eingeführte Steuer eröffnet hat, die durch einen progressiven Steuersatz auf den Umsatz mit Werbeleistungen von Medienunternehmen gekennzeichnet war und daher dem Gesundheitsbeitrag und der geänderten Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette ähnelte. Vor und nach Erlass dieses Beschlusses fand zwischen der Kommission und den ungarischen Behörden ein Meinungsaustausch statt, in dessen Rahmen Ungarn nicht stichhaltig behaupten konnte, dass ihm keine Praxis der Kommission bekannt war, die darin bestand, nationale steuerliche Maßnahmen mit einem solch progressiven Steuersatz als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV einzustufen.

82

Im Übrigen kann Ungarn der Kommission nicht vorwerfen, in den streitigen Beschlüssen keine Gruppe von Unternehmen bestimmt zu haben, die als einzige von den in Rede stehenden nationalen Maßnahmen begünstigt würden. Es ist nicht erforderlich, dass die Kommission eine Gruppe von Unternehmen bestimmt, die als einzige von einer steuerlichen Maßnahme begünstigt sind, um diese Maßnahme als staatliche Beihilfe einstufen zu können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group SA u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 93).

83

Zweitens war die Kommission auch nicht verpflichtet, in den streitigen Beschlüssen nachzuweisen, dass ohne die angefochtenen Anordnungen zu befürchten war, dass die betreffenden nationalen Maßnahmen einen schweren und nicht wiedergutzumachenden finanziellen Schaden zur Folge haben könnten oder dass sich die durch diese Maßnahmen benachteiligten Unternehmen in einer Lage befinden könnten, die ihre finanzielle Lebensfähigkeit gefährden konnte.

84

Insoweit genügt es, in Bezug auf das Vorbringen im Zusammenhang mit dem Beschluss (2007) 4313 der Kommission (siehe oben, Rn. 63) festzustellen, dass die Gültigkeit der angefochtenen Anordnungen nur in Bezug auf Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 zu prüfen ist und nicht in Bezug auf die frühere Praxis der Kommission (vgl. entsprechend Urteil vom 21. Juli 2011, Freistaat Sachsen und Land Sachsen-Anhalt/Kommission, C‑459/10 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:515, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

85

Drittens bedeutet entgegen dem Vorbringen Ungarns die Tatsache, dass die drei Voraussetzungen, die es in seinem Vorbringen anführt, von Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 nicht verlangt werden, nicht, dass das Ermessen, das der Kommission beim Erlass von Aussetzungsanordnungen von der Rechtsprechung und vom Unionsgesetzgeber zugestanden wird, unbegrenzt ist oder keiner Kontrolle unterliegt.

86

Zum einen sind die Grenzen, innerhalb deren die Kommission Aussetzungsanordnungen erlassen kann, in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 festgelegt, woraus sich ergibt, dass die Kommission die Gründe angeben muss, weshalb sie zur Ansicht gelangt ist, dass eine durchgeführte nationale Maßnahme eine neue staatliche Beihilfe darstellt, und den betreffenden Mitgliedstaat zur beabsichtigten Anordnung konsultieren muss. Die Einhaltung dieser prozessrechtlichen und materiell-rechtlichen Voraussetzungen durch die Kommission beim Erlass einer Aussetzungsanordnung kann auf Verlangen des betreffenden Mitgliedstaats der Kontrolle durch den Unionsrichter unterzogen werden. Zum anderen beschränkt sich die Kontrolle durch den Unionsrichter, wie oben in Rn. 50 erläutert, nicht auf die in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehenen Voraussetzungen und kann sich insbesondere auf die Vereinbarkeit der Aussetzungsanordnung mit dem AEU-Vertrag und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen erstrecken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juni 2010, E und F, C‑550/09, EU:C:2010:382, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

87

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Kommission mit dem Erlass der angefochtenen Anordnungen nicht gegen Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 verstoßen hat. Der erste Teil des ersten Klagegrundes ist somit zurückzuweisen.

– Zweiter Teil

88

Mit dem zweiten Teil des ersten Klagegrundes macht Ungarn im Wesentlich geltend, die Hinzufügung von Voraussetzungen zusätzlich zu jenen, die bereits in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 enthalten seien, sei aufgrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit notwendig.

89

Nach Ansicht Ungarns ist die Aussetzungsanordnung nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 nicht das einzige Mittel, um die Auswirkungen einer nationalen steuerlichen Maßnahme, die nach einem förmlichen Prüfverfahren als staatliche Beihilfe eingestuft werden kann, zu korrigieren. Zudem stelle eine solche Anordnung einen so weitreichenden Eingriff in das innerstaatliche Rechtsgefüge dar, dass sie nur verwendet werden dürfe, wenn keine weniger einschneidenden Instrumente zur Verfügung stünden.

90

Im vorliegenden Fall komme der Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zunächst dadurch zum Ausdruck, dass die Kommission in den streitigen Entscheidungen zuzugestehen scheine, dass die einzigen Kriterien für den Erlass der angefochtenen Anordnungen das Vorliegen einer Wettbewerbsverzerrung aufgrund der betreffenden nationalen Maßnahmen und die Tatsache, dass sie zum Zeitpunkt des Erlasses der Aussetzungsanordnung weiterhin angewandt würden, seien. Die Kommission müsse jedoch auch die Frage prüfen, ob die Wettbewerbsverzerrung aufgrund der betreffenden nationalen Maßnahmen dauerhaft und unumkehrbar sei. Insoweit trägt Ungarn vor, die Kommission habe in vielen im Laufe der letzten Jahre erlassenen Beschlüssen nicht auf Aussetzungsanordnungen zurückgegriffen, obwohl es von Beginn des Verfahrens an offensichtlich erschienen sei, dass sich die betreffende nationale Maßnahme als mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe herausstellen werde.

91

Sodann komme der Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch zum Ausdruck, dass sich die Kommission in den vor Erlass der angefochtenen Anordnungen an die ungarischen Behörden gerichteten Mitteilungen vom 17. März und vom 13. April 2015 (siehe oben, Rn. 5) darauf beschränkt habe, ihnen auf sehr vage und knappe Weise mitzuteilen, dass sie beabsichtige, eine Anordnung zu erlassen, wenn sich die von diesen Behörden im Rahmen des förmlichen Prüfverfahrens gelieferten Informationen als unzureichend herausstellen sollten, um ihre Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der betreffenden nationalen Maßnahmen mit dem Binnenmarkt auszuräumen. Diese Formulierung bedeute, dass schon die Zweifel der Kommission hinsichtlich der Vereinbarkeit einer Maßnahme Grundlage einer Aussetzungsanordnung sein könnten.

92

Schließlich komme der Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch zum Ausdruck, dass die Kommission in den streitigen Beschlüssen angeführt habe, dass nur der stark progressive Charakter der betreffenden nationalen Maßnahmen eine negative Auswirkung auf den Wettbewerb haben könne. Die angefochtenen Anordnungen richteten sich jedoch nicht nur gegen den stark progressiven Steuersatz, sondern gegen das „progressive System“ an sich, was eindeutig unverhältnismäßig sei.

93

Die Kommission widerspricht diesem Vorbringen.

94

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, dürfen die Handlungen der Unionsorgane die Grenzen dessen nicht überschreiten, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten berechtigten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei zu beachten ist, dass dann, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist, und dass die verursachten Nachteile nicht gegenüber den angestrebten Zielen unangemessen sein dürfen (Urteil vom 24. Mai 2007, Maatschap Schonewille-Prins, C‑45/05, EU:C:2007:296, Rn. 45).

95

Insoweit ist erstens festzustellen, dass die Argumentation Ungarns im Rahmen dieses Teils auf der gleichen Vorstellung beruht wie jene, auf die der erste Teil gestützt ist, wonach die Kommission beim Erlass einer Aussetzungsanordnung das Vorliegen von nicht ausdrücklich in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 enthaltenen Voraussetzungen nachweisen müsse. Diese Argumentation kann aus den in den Rn. 70 bis 86 oben angeführten Gründen nicht durchgreifen.

96

Zweitens scheint Ungarn, obwohl die in seinen Schriftsätzen vorgebrachte Argumentation diesbezüglich zweideutig ist, geltend zu machen, dass die ungarischen Behörden trotz der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens weiterhin berechtigt seien, die in Rede stehenden nationalen Maßnahmen anzuwenden, und dass sie daran durch die angefochtenen Anordnungen gehindert würden. So geht aus den Schriftsätzen Ungarns hervor, dass nicht die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens, sondern erst die angefochtenen Anordnungen bewirkten, dass die in Rede stehenden nationalen Anordnungen auszusetzen seien. Diese Argumentation, die auf einem falschen Verständnis der Wirkungen der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens und, grundsätzlicher, der Pflichten, die den Mitgliedstaaten nach Art. 108 Abs. 3 AEUV auferlegt sind, beruht, ist zurückzuweisen.

97

Ungarn hat allerdings in der mündlichen Verhandlung in Beantwortung einer Frage des Gerichts ausgeführt, dass die Eröffnung der förmlichen Prüfverfahren im vorliegenden Fall eine Verpflichtung nach sich ziehe, die in Rede stehenden nationalen Maßnahmen auszusetzen, die sie habe beachten müssen. Dennoch stellte Ungarn fest, dass dieser Umstand für die Beurteilung der Begründetheit dieses Teils des ersten Klagegrundes nicht relevant sei.

98

Aus den streitigen Beschlüssen (45. Erwägungsgrund des Beschlusses über den Gesundheitsbeitrag und 54. Erwägungsgrund des Beschlusses über die Änderung der Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette), die diesbezüglich von Ungarn nicht beanstandet werden, ergibt sich, dass die ungarischen Behörden in Beantwortung der Mitteilungen vom 17. März und vom 13. April 2015, in denen die Kommission Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der in Rede stehenden nationalen Maßnahmen mit dem Binnenmarkt ausdrückte und die Möglichkeit andeutete, Aussetzungsanordnungen anzuwenden, keine Stellungnahmen zu den genannten Anordnungen eingereicht haben. Zudem ergibt sich aus dem Beschluss über die Änderung der Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette (54. Erwägungsgrund), dass sich die ungarischen Behörden darauf beschränkten, zu erklären, dass ihrer Ansicht nach der progressive Steuersatz für die geänderte Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette keine staatliche Beihilfe darstelle. Angesichts dieser Umstände, die die Kommission zu Recht als Weigerung, sich der Aussetzungspflicht zu unterwerfen, ausgelegt hat, ist der Erlass der angefochtenen Anordnungen als geeignet und erforderlich anzusehen, zur Verwirklichung der legitimen Ziele beizutragen, die mit der betreffenden Regelung, nämlich im vorliegenden Fall mit den Art. 107 und 108 AEUV, verfolgt werden.

99

Zudem ist die Aussetzungsanordnung zwar eine einschneidendere Maßnahme als die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens (siehe oben, Rn. 32), jedoch entfalten diese beiden Rechtsakte im Wesentlichen die gleiche Rechtswirkung, nämlich die Pflicht, die Gewährung der betreffenden staatlichen Beihilfe unverzüglich einzustellen. Somit stehen die Nachteile, die dem Mitgliedstaat durch eine Aussetzungsanordnung entstehen, nicht außer Verhältnis zu den Zielen, die mit den Art. 107 und 108 AEUV verfolgt werden.

100

Drittens ist das Vorbringen Ungarns, wonach die Kommission Ungarn aufgegeben habe, das „progressive System“ in seiner Gesamtheit auszusetzen, sachlich unzutreffend. Im 53. Erwägungsgrund des Beschlusses über den Gesundheitsbeitrag und im 62. Erwägungsgrund des Beschlusses über die Änderung der Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette gab die Kommission, abgesehen von den Maßnahmen, die aufgrund ihrer vorläufigen Analyse als staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft wurden, keine Aussetzungen auf, was in den Erwägungsgründen 46 und 48 des ersten Beschlusses und in den Erwägungsgründen 55 und 57 des zweiten Beschlusses eindeutig bestätigt wird, die sich in den Abschnitten befinden, in denen die angefochtenen Anordnungen begründet werden.

101

Schließlich kann das Vorbringen betreffend die frühere Praxis der Kommission aus den bereits oben in Rn. 84 dargelegten Gründen nicht durchgreifen. Jedenfalls ist darauf hinzuweisen, dass die betreffenden Mitgliedstaaten in jeder der von Ungarn angeführten Rechtssachen verpflichtet waren, die Durchführung der betreffenden steuerlichen Maßnahmen auszusetzen, sobald die Kommission die förmlichen Prüfverfahren in Bezug auf diese Maßnahmen eröffnet hatte.

102

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Kommission mit dem Erlass der angefochtenen Anordnungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt hat. Der zweite Teil dieses Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

103

Der erste Klagegrund ist deshalb zurückzuweisen.

Zweiter Klagegrund

104

Mit dem zweiten Klagegrund wird ein Verstoß gegen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung geltend gemacht.

105

Zum einen ergebe sich der Verstoß gegen diese Grundsätze daraus, dass die Kommission beschlossen habe, von den Aussetzungsanordnungen gegenüber Ungarn Gebrauch zu machen, während sie diese Maßnahme gegenüber anderen Mitgliedstaaten nicht angewandt habe, u. a. in Beschlüssen über steuerliche Maßnahmen, wie die Flughafengebühren oder die Maßnahmen, die als tax rulings bekannt seien. Hinzukomme, dass die Kommission Aussetzungsmaßnahmen in der Vergangenheit nur sporadisch erlassen habe, in Bezug auf Ungarn aber drei Anordnungen, darunter die beiden angefochtenen Anordnungen, allein im Laufe des Jahres 2015 erlassen habe.

106

Ungarn macht in diesem Zusammenhang geltend, die Kommission habe bereits im Rahmen von Verfahren nach Art. 258 AEUV in Ungarn erlassene steuerliche Maßnahmen geprüft, die auf dem gleichen Schema einer progressiven Steuer auf den Umsatz beruhten. Die in Bezug auf Ungarn erlassenen Aussetzungsanordnungen ließen die Absicht der Kommission erkennen, diese Verfahren zu umgehen und sofortige Auswirkungen in der nationalen Rechtsordnung zu erzielen.

107

Zum anderen ergebe sich der Verstoß gegen die oben genannten Grundsätze sowie ein Verstoß gegen die Begründungspflicht daraus, dass sich die Kommission in den seltenen Fällen, in denen sie Aussetzungsanordnungen erlassen habe, auf andere rechtliche Kriterien gestützt habe als die im vorliegenden Fall angewandten. Insbesondere habe sie in den früheren Entscheidungen geprüft, ob es aufgrund der betreffenden nationalen Maßnahme ohne eine Aussetzungsanordnung zu einem nicht wiedergutzumachenden Schaden kommen könne.

108

Die Kommission widerspricht diesem Vorbringen.

109

Erstens ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Nichtdiskriminierung bzw. Gleichbehandlung nach ständiger Rechtsprechung verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. Urteil vom 26. September 2013, IBV & Cie, C‑195/12, EU:C:2013:598, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

110

Im vorliegenden Fall macht Ungarn den ersten Teil dieses Grundsatzes geltend, wonach vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen. Um eine mögliche Diskriminierung feststellen zu können, ist daher vorab zu prüfen, ob die Sachverhalte, auf die sich Ungarn beruft, tatsächlich vergleichbar sind.

111

Insoweit ist festzustellen, dass sich Ungarn in seinen Schriftsätzen darauf beschränkt, auf eine Reihe von Beschlüssen hinzuweisen, die die Kommission in den letzten Jahren erlassen hat, die nur durch ihre Überschrift gekennzeichnet werden. Bei einem Teil dieser Beschlüsse wird nicht einmal angeführt, ob es sich um Beschlüsse zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens oder um endgültige Beschlüsse handelt, die diese Verfahren abschließen. Das einzige Kriterium, das diese Beschlüsse abgesehen von der Tatsache gemeinsam haben, dass es dabei um staatliche Beihilfen geht, ist die Tatsache, dass sie alle steuerlichen Maßnahmen betreffen. Ungarn macht hingegen nicht deutlich, ob und falls dies zutrifft, inwiefern diese steuerlichen Maßnahmen den in Rede stehenden nationalen Maßnahmen ähnlich waren. Ungarn macht auch nicht deutlich, ob die Beschlüsse, die es anführt, Maßnahmen betreffen, die bei der Kommission angemeldet wurden, und ob die Mitgliedstaaten, an die diese Beschlüsse gerichtet waren, der Aussetzungspflicht nachgekommen sind. Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass es Ungarn nicht gelungen ist, nachzuweisen, dass die von ihm geltend gemachten Sachverhalte tatsächlich mit seiner Lage vergleichbar waren.

112

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Befugnis der Kommission, Aussetzungsanordnungen zu erlassen, nicht bedeutet, dass die Kommission verpflichtet ist, dem betreffenden Mitgliedstaat automatisch aufzugeben, die Zahlung einer Beihilfe auszusetzen, die nicht gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV angemeldet worden ist (vgl. Urteil vom 17. Juni 1999, Belgien/Kommission, C‑75/97, EU:C:1999:311, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung). Entgegen dem Vorbringen Ungarns zieht die Kommission zu Recht auf der Grundlage dieser Rechtsprechung den Schluss, dass sie nicht verpflichtet ist, ihre Entscheidung, in einem bestimmten Fall keine Aussetzungsanordnung zu erlassen, zu begründen.

113

Daher reicht die bloße Tatsache, dass die Kommission in bestimmten Mitgliedstaaten förmliche Prüfverfahren zum Thema steuerliche Maßnahmen eröffnet hat, ohne eine Aussetzungsanordnung zu erlassen, während sie in anderen Mitgliedstaaten bei der Eröffnung von förmlichen Prüfverfahren zum Thema steuerliche Maßnahmen solche Anordnungen erlassen hat, nicht aus, um einen Verstoß gegen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung nachzuweisen.

114

Zweitens ist hinsichtlich der von der Kommission in Bezug auf Ungarn eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren, bei denen es um öffentliche Lasten geht, die auf einem Schema einer progressiven Steuer auf den Umsatz beruhen, darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits mit Sachverhalten befasst worden ist, bei denen die von einem Mitgliedstaat ergriffenen Maßnahmen zugleich unter die Vorschriften des AEU-Vertrags über die Kontrolle der staatlichen Beihilfen und unter die Vorschriften des AEU-Vertrags über andere Aspekte des Funktionierens des Binnenmarktes fielen.

115

Der Gerichtshof hat sodann festgestellt, dass die Unterschiede zwischen zum einen den Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschriften und zum anderen dem Umfang der Befugnisse, über die die Kommission bei ihrer Durchführung verfügt, nicht verhindern, dass eine nationale Maßnahme kumulativ den Vorschriften von Art. 110 Abs. 1 AEUV und jenen über die staatliche Beihilfe unterworfen ist und dass sie somit Gegenstand von zwei verschiedenen Verfahren ist, wobei eines gemäß Art. 258 AEUV und das andere gemäß Art. 108 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV eingeleitet wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Mai 1980, Kommission/Italien, 73/79, EU:C:1980:129, Rn. 6 bis 10).

116

Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass der Kommission nicht vorgeworfen werden kann, ein förmliches Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV in Bezug auf eine Maßnahme eingeleitet zu haben, die sie zur gleichen Zeit im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 258 AEUV prüft.

117

Was drittens das Vorbringen Ungarns angeht, mit dem es einen Vergleich der angefochtenen Anordnungen mit einem früheren Beschluss anstellt, in dem die Kommission vor Erlass der Aussetzungsanordnung geprüft habe, ob es aufgrund der betreffenden nationalen Maßnahme zu einem nicht wiedergutzumachenden Schaden kommen könne, genügt es, darauf hinzuweisen, wie dies oben in Rn. 84 geschehen ist, dass die Gültigkeit der angefochtenen Anordnungen nur in Bezug auf Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 zu prüfen ist und nicht in Bezug auf die frühere Praxis der Kommission.

118

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Kommission mit dem Erlass der angefochtenen Anordnungen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung nicht verletzt hat.

119

Daher ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.

Dritter Klagegrund

120

Mit dem dritten Klagegrund wird ein Verstoß gegen Art. 296 Abs. 2 AEUV, gegen Art. 41 Abs. 2 Buchst. c der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie eine Verletzung der Verteidigungsrechte geltend gemacht.

121

Nach Ansicht Ungarns sind die streitigen Beschlüsse zunächst mit einem Begründungsmangel behaftet, da die Kommission nicht erklärt habe, warum der Erlass der angefochtenen Anordnungen im vorliegenden Fall notwendig sei. Ungarn macht geltend, die Anforderungen an die Begründung müssten im Rahmen des Erlasses einer Aussetzungsanordnung strenger sein als im Fall der Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens. In den streitigen Beschlüssen habe sich die Kommission jedoch damit begnügt, anzumerken, dass die in Rede stehenden nationalen Maßnahmen eine staatliche Beihilfe darstellten, dass sie gerade durchgeführt würden und dass der stark progressive Charakter des Steuersatzes des Gesundheitsbeitrags und der geänderten Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben könnten.

122

Sodann seien die streitigen Beschlüsse mit einem Begründungsmangel behaftet, da die Kommission nicht die Gründe angegeben habe, weshalb sie im vorliegenden Fall die Aussetzungsanordnungen auf andere Kriterien gestützt habe als in anderen Rechtssachen, in denen sie solche Anordnungen erlassen habe. Darüber hinaus habe die Kommission entgegen ihrer früheren Praxis und Vorgehensweise in anderen Rechtssachen den ungarischen Behörden nicht die Möglichkeit gegeben, ihren Standpunkt zu den angefochtenen Anordnungen darzulegen.

123

Zudem habe sich die Kommission darauf beschränkt, Kategorien von Unternehmen mit einem mehr oder weniger großen Umsatz festzulegen und unter Missachtung der Anforderungen der Rechtsprechung den Kreis der von den in Rede stehenden nationalen Maßnahmen ausschließlich Begünstigten nicht definiert.

124

Schließlich habe sich die Kommission mit der Behauptung begnügt, dass die in Rede stehenden nationalen Maßnahmen erhebliche Auswirkungen auf den Wettbewerb auf dem Markt haben könnten, ohne genauer darauf einzugehen, um welchen Markt es sich handle, welche Unternehmen auf diesem Markt tätig seien und wie die in Rede stehenden Maßnahmen ihn beeinflussen könnten.

125

Zudem macht Ungarn im Rahmen der Klage in der Rechtssache T‑554/15 geltend, die Kommission habe ihre Begründungspflicht verletzt, da die Begründung des Beschlusses über den Gesundheitsbeitrag, insbesondere in den Erwägungsgründen 48 und 53, widersprüchlich und nicht hinreichend genau sei. Es sei nicht möglich, auf der Grundlage dieses Beschlusses festzustellen, welche Vorschriften des Gesetzes, mit dem der Gesundheitsbeitrag eingeführt worden sei, ausgesetzt werden müssten.

126

Die Kommission widerspricht diesem Vorbringen.

127

Ohne dass es erforderlich wäre, auf die von der Kommission aufgeworfene Frage einzugehen, ob für einen Mitgliedstaat die Vorschriften der Charta der Grundrechte gelten, ist vorab darauf hinzuweisen, dass die Pflicht zur Begründung von Rechtsakten der Organe vom AEU-Vertrag vorgesehen ist und dass die Gewährung rechtlichen Gehörs in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ein fundamentaler Grundsatz des Unionsrechts ist und auch dann sichergestellt werden muss, wenn eine besondere Regelung fehlt. Die Wahrung der Verteidigungsrechte der Mitgliedstaaten muss auch im Rahmen von Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen sichergestellt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. November 1987, Frankreich/Kommission, 259/85, EU:C:1987:478, Rn. 12, und vom 14. Februar 1990, Frankreich/Kommission, C‑301/87, EU:C:1990:67, Rn. 29 bis 31).

128

Nach ständiger Rechtsprechung muss die durch Art. 296 Abs. 2 AEUV vorgeschriebene Begründung zwar die Überlegungen der Behörde, die den fraglichen Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die getroffene Maßnahme entnehmen können und das Gericht seine Kontrolle ausüben kann, doch braucht sie nicht sämtliche rechtlich oder tatsächlich erheblichen Gesichtspunkte zu enthalten. Die Beachtung der Begründungspflicht ist im Übrigen nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen, sondern auch anhand seines Kontexts und sämtlicher Rechtsvorschriften, die das betreffende Gebiet regeln. Insbesondere ist ein Rechtsakt hinreichend begründet, wenn er in einem dem betroffenen Mitgliedstaat bekannten Kontext ergangen ist und ihm gestattet, die Tragweite der getroffenen Maßnahme zu verstehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. November 2013, Kommission/Rat, C‑63/12, EU:C:2013:752, Rn. 98 und 99 und die dort angeführte Rechtsprechung).

129

Was die Anforderungen an die Begründung einer Aussetzungsanordnung betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Anordnung erlassen wird, bevor die Kommission abschließend über die Vereinbarkeit der betreffenden Maßnahme mit dem Binnenmarkt entscheidet, und dies unabhängig davon, ob diese Anordnung zur gleichen Zeit erfolgt wie die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens oder später. Unter diesen Umständen ist angesichts des Ziels der Aussetzungsanordnungen (siehe oben, Rn. 30 und 69) festzustellen, dass, was die Einstufung der betreffenden Maßnahme als rechtswidrige staatliche Beihilfe angeht, die Anforderungen an die Begründung der Aussetzungsanordnung jenen entsprechen müssen, die von der Rechtsprechung für die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens gefordert werden. Bei dieser Art von Entscheidungen kann sich die Kommission auf eine Zusammenfassung der wesentlichen Sach- und Rechtsfragen, eine vorläufige Würdigung des Beihilfecharakters der Maßnahme und Ausführungen zu den Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt beschränken (Urteil vom 21. Juli 2011, Alcoa Trasformazioni/Kommission, C‑194/09 P, EU:C:2011:497, Rn. 102 und 103).

130

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission, wenn sie eine Aussetzungsanordnung erlässt, nur nachweisen muss, dass die Voraussetzungen gemäß Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 erfüllt sind (siehe oben, Rn. 71 und 80 bis 84), und dass sie nicht verpflichtet ist, ihre Entscheidung, in einem bestimmten Fall keine Aussetzungsanordnung zu erlassen, zu begründen (siehe oben, Rn. 112).

131

Im vorliegenden Fall ist erstens im Hinblick auf die Begründung in Bezug auf die inhaltlichen Voraussetzungen für den Erlass der angefochtenen Anordnungen festzustellen, dass die Kommission in den Erwägungsgründen 10 bis 37 des Beschlusses über den Gesundheitsbeitrag und in den Erwägungsgründen 20 bis 42 des Beschlusses über die Änderung der Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette die Gründe dargelegt hat, die ihre vorläufige Feststellung rechtfertigten, wonach die betreffenden nationalen Maßnahmen staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellten. Im 42. bzw. 51. Erwägungsgrund dieser Beschlüsse gab sie an, dass diese Maßnahmen neue Beihilfen darstellten, die unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV nicht bei ihr angemeldet worden seien, und dass sie daher als rechtswidrige Beihilfen einzustufen seien. Diese Bestandteile der Begründung wurden kurz im 46. bzw. 55. Erwägungsgrund der oben genannten Beschlüsse wiederholt, die sich in den Teilen dieser Beschlüsse über die angefochtenen Anordnungen befinden.

132

Diese Begründungen sind in Bezug auf die oben in den Rn. 128 und 129 angeführten von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen ausreichend. Insoweit kann zum einen der Vorwurf Ungarns betreffend die Definition der Kategorie von Unternehmen, die die einzigen Begünstigten durch die in Rede stehenden nationalen Maßnahmen waren, aus den oben in Rn. 82 angeführten Gründen nicht durchgreifen. Zum anderen ist hinsichtlich der unzureichenden Begründung der streitigen Beschlüsse in Bezug auf die Definition des betreffenden Marktes festzustellen, dass die Kommission entgegen dem Vorbringen Ungarns im Zusammenhang mit einer Entscheidung über die Eröffnung des nach Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Verfahrens im 36. Erwägungsgrund des Beschlusses über den Gesundheitsbeitrag und im 41. Erwägungsgrund des Beschlusses über die Änderung der Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette hinreichend dargelegt hat, welche Auswirkungen die betreffenden nationalen Maßnahmen auf den Markt für die Herstellung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und auf den Einzelhandelsmarkt für kurzlebige Konsumgüter haben konnten.

133

Zweitens ist hinsichtlich der Begründung der prozessrechtlichen Voraussetzung für den Erlass der angefochtenen Anordnungen festzustellen, dass die Kommission Ungarn entgegen seinem Vorbringen die Möglichkeit gegeben hat, seine Stellungnahme zu den angefochtenen Anordnungen vor deren Erlass abzugeben. Die Mitteilungen vom 17. März und vom 13. April 2015, die Ungarn seinen Klageschriften beigelegt hat, beziehen sich klar auf die Tatsache, dass die Kommission die Möglichkeit berücksichtigt, die gemäß Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehenen Anordnungen anzuwenden, und dass sie Ungarn im Einklang mit dieser Vorschrift ersucht, seine Stellungnahmen innerhalb einer Frist von 20 Arbeitstagen vorzulegen. Aus den streitigen Beschlüssen geht außerdem hervor, ohne dass Ungarn dies bestreitet, dass die ungarischen Behörden ihre Stellungnahmen zu den geplanten Anordnungen nicht rechtzeitig eingereicht haben.

134

Drittens ist hinsichtlich der Begründung der Notwendigkeit, die angefochtenen Anordnungen zu erlassen, festzustellen, dass zwar aus Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 hervorgeht, dass die Kommission die Gründe, weshalb sie zu dem Schluss gekommen ist, dass die in Durchführung befindliche nationale Maßnahme eine neue staatliche Beihilfe darstelle, darlegen muss, dass diese Vorschrift jedoch der Kommission nicht auferlegt, speziell die Möglichkeit des Erlasses einer Anordnung in einem bestimmten Fall zu rechtfertigen. Die Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme ergibt sich nämlich aus dem Vorliegen eines erwiesenen Verstoßes eines Mitgliedstaats gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV.

135

Dennoch ist in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Aussetzungsanordnung in einer Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens enthalten ist, unter Berücksichtigung des Ermessens, über das die Kommission nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 verfügt, sowie der spezifischen Rechtswirkungen, die eine Aussetzungsanordnung nach Art. 12 dieser Verordnung erzeugt, festzustellen, dass die Entscheidung über den Erlass einer solchen Anordnung so gestaltet sein muss, dass man verstehen kann, warum der betreffende Mitgliedstaat nach Ansicht der Kommission der Verpflichtung nach Art. 108 Abs. 3 AEUV nicht nachkommen und die Durchführung der nach der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens geprüften Maßnahmen nicht aussetzen wird.

136

Im vorliegenden Fall geht aus den streitigen Beschlüssen hervor, dass die ungarischen Behörden in Beantwortung der Mitteilungen vom 17. März und vom 13. April 2015 geltend machten, dass die betreffenden nationalen Maßnahmen keine staatlichen Beihilfen darstellten. Zudem geht, wie oben in Rn. 133 aufgeführt, aus den streitigen Beschlüssen auch hervor, dass diese Behörden der Aufforderung der Kommission, Stellungnahmen zu den Aussetzungsanordnungen, deren Erlass geplant war, abzugeben, nicht nachkamen. Diese Elemente sind als Erklärung ausreichend, warum die Kommission angesichts der Umstände die Ansicht vertrat, dass zu befürchten gewesen sei, dass die betreffenden nationalen Maßnahmen trotz der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens durchgeführt würden.

137

Schließlich geht aus den Akten hervor, dass die Kommission einige Monate vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidungen ein förmliches Prüfverfahren gegen ungarische Steuermaßnahmen eröffnet hatte, die auf demselben Schema beruhten, wie die betreffenden nationalen Maßnahmen (siehe oben, Rn. 81) und dass diese Maßnahmen trotz der Eröffnung dieses Verfahrens nicht ausgesetzt wurden. Obwohl dies in den streitigen Beschlüssen nicht erwähnt wird, ist dies Teil des Kontexts, in dem die angefochtenen Anordnungen erlassen wurden, und die ungarischen Behörden konnten das nicht ignorieren.

138

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die ungarischen Behörden in der Lage waren, zu verstehen, warum die Kommission in den streitigen Beschlüssen entschieden hat, tatsächlich Aussetzungsanordnungen anzuwenden, zumal die Kommission in diesen Beschlüssen auf keine spezifischen Argumente eingehen musste, da es keine spezifischen Stellungnahmen Ungarns zum möglichen Erlass dieser Anordnungen gab.

139

Viertens genügt es, in Bezug auf das Vorbringen Ungarns im Rahmen der Rechtssache T‑554/15 festzustellen, dass der Beschluss über den Gesundheitsbeitrag keinen Zweifel hinsichtlich des Umfangs der Aussetzungsanordnung lässt. Dieser wird schließlich im 53. Erwägungsgrund dieses Beschlusses präzisiert, in dem die Kommission Ungarn auffordert, die Anwendung des progressiven Steuersatzes für den Gesundheitsbeitrag sowie die Verringerung dieser Steuer im Fall von Investitionen auszusetzen.

140

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Kommission die streitigen Beschlüsse nach Maßgabe der oben in Rn. 128 angeführten Anforderungen der Rechtsprechung zur Wahrung der Begründungspflicht hinreichend begründet hat.

141

Im Übrigen ist die Rüge eines Verstoßes gegen die Verteidigungsrechte zurückzuweisen, da Ungarn keine Beweise zu deren Untermauerung vorlegt. Jedenfalls hat die Kommission, wie oben in Rn. 133 ausgeführt, Ungarn entgegen seinem Vorbringen die Möglichkeit gegeben, vor deren Erlass Stellungnahmen zu den angefochtenen Anordnungen einzureichen.

142

Daher ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen.

Vierter Klagegrund

143

Mit dem vierten Klagegrund wird ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV, gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung und gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf geltend gemacht.

144

Ungarn trägt vor, die Kommission habe sich in den Mitteilungen vom 17. März und vom 13. April 2015 darauf beschränkt, die Möglichkeit des Erlasses einer Aussetzungsanordnung zu erwähnen, ohne letztlich anzugeben, aus welchen Gründen der Erlass dieser Anordnung gerechtfertigt und nötig sei. Um der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit nachzukommen, hätten die Kommission und Ungarn gemeinsam eine Lösung finden müssen, die es erlaubt hätte, die wettbewerbswidrigen Auswirkungen der in Rede stehenden nationalen Maßnahmen zu beseitigen. Ungarn fügt insoweit hinzu, die Kommission habe im vorliegenden Fall die angefochtenen Anordnungen nach einem äußerst kurzen Verfahren erlassen, das auf einen bloßen Schriftwechsel reduziert gewesen sei.

145

Die oben genannten Umstände offenbarten auch einen Verstoß gegen die Verteidigungsrechte, insbesondere den Anspruch auf rechtliches Gehör, sowie gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung nach den Art. 41, 47 und 48 der Charta der Grundrechte. Da die Kommission den ungarischen Behörden nicht dargelegt habe, aus welchen inhaltlichen Gründen eine Anordnung notwendig sei, hätten diese Behörden keine Gelegenheit gehabt, ihre Argumente vor Erlass der streitigen Beschlüsse geltend zu machen.

146

Zudem macht Ungarn geltend, die angefochtenen Anordnungen hätten Ungarn gezwungen, seine Regelungen sogar vor der Prüfung der Einstufung der betreffenden nationalen Maßnahmen als rechtswidrige staatliche Beihilfen zu ändern. Wenn Ungarn diese Maßnahmen ausgesetzt hätte, um den angefochtenen Anordnungen nachzukommen, hätte die Kommission das förmliche Prüfverfahren abgeschlossen und Ungarn somit der Möglichkeit beraubt, die Einstufung dieser Maßnahmen als rechtswidrige staatliche Beihilfen vor den Unionsgerichten anzufechten.

147

Die Kommission widerspricht diesem Vorbringen.

148

Nach dem in Art. 4 Abs. 3 EUV festgelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben. Derselbe Grundsatz verpflichtet die Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen zu ergreifen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Die Mitgliedstaaten sind auch verpflichtet, die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zu unterstützen und alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.

149

Art. 108 Abs. 3 AEUV sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Kommission von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichten, dass sie sich dazu äußern kann. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die angemeldeten Beihilfen auch während des Vorverfahrens, das der möglichen Eröffnung eines Verfahrens nach Art. 108 Abs. 2 AEUV vorangeht, nicht durchzuführen, bis sich die Kommission zu ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt äußert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Dezember 1973, Lorenz, 120/73, EU:C:1973:152, Rn. 8).

150

Zum einen ist auch darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 659/1999 eine kurze Frist von zwei Monaten vorsieht, innerhalb der die Kommission die vorläufige Prüfung der Anmeldung abschließen muss, um die legislativen Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht zu blockieren. Zudem sieht Art. 4 Abs. 6 dieser Verordnung vor, dass die Beihilfe als genehmigt gilt und der betreffende Mitgliedstaat sie durchführen kann, wenn die Kommission nicht innerhalb von zwei Monaten die Entscheidung erlässt, die vorläufige Phase des Verfahrens zu beenden. Zum anderen hat die Kommission Verordnungen erlassen, mit denen bestimmte Gruppen von Beihilfen in Anwendung der Art. 107 und 108 AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden, die die Voraussetzungen festlegen, unter denen bestimmte Gruppen von Beihilfen nicht angemeldet werden müssen, und die somit die Mitgliedstaaten in die Lage versetzen, die Notwendigkeit der Anmeldung zu beurteilen. Die im vorliegenden Fall ratione temporis anwendbare Verordnung ist die Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] (ABl. 2014, L 187, S. 1).

151

Wie bereits oben in den Rn. 25 bis 29 angeführt, kann die Prüfung der unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV nicht angemeldeten Beihilfen nach Art. 13 der Verordnung Nr. 659/1999 zu einer Entscheidung zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens führen, die den Mitgliedstaat verpflichtet, die Durchführung der in Rede stehenden Beihilfe unverzüglich auszusetzen. Wenn ein Mitgliedstaat eine nicht angemeldete staatliche Beihilfe weiterhin durchführt, ist die Kommission befugt, gegen ihn eine Aussetzungsanordnung nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 zu erlassen. Diese Anordnung kann auch in der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens enthalten sein, vorausgesetzt, dass dem betreffenden Mitgliedstaat vor Erlass dieser Entscheidung die Gelegenheit gegeben wurde, sich dazu zu äußern (vgl. in diesem Sinne Urteil von 9. Oktober 2001, Italien/Kommission, C‑400/99, EU:C:2001:528, Rn. 47).

152

Im vorliegenden Fall beschränkten sich die ungarischen Behörden, wie aus den streitigen Beschlüssen hervorgeht, die diesbezüglich von Ungarn nicht beanstandet werden, bei der Beantwortung der Mitteilungen vom 17. März und vom 13. April 2015 darauf, zu erklären, dass die betreffenden nationalen Maßnahmen ihrer Ansicht nach keine staatlichen Beihilfen darstellten. Sie reichten keine Stellungnahmen zu den Aussetzungsanordnungen ein, deren Erlass von der Kommission in ihren Schreiben angekündigt wurde. Angesichts dieser Fakten, die von der Kommission dahin ausgelegt werden konnten, dass zu befürchten war, dass sich die ungarischen Behörden weigern würden, im Rahmen des Verfahrens nach Art. 108 AEUV zusammenzuarbeiten und der Aussetzungspflicht nachzukommen, durfte die Kommission die Mittel anwenden, die der Unionsgesetzgeber vorgesehen hat, um die Einhaltung der Art. 107 und 108 AEUV sicherzustellen.

153

Entgegen dem Vorbringen Ungarns führt die Anwendung dieser Mittel durch die Kommission nicht zu einem Verstoß gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Nach der Rechtsprechung steht den Mitgliedstaaten sowohl gegen die Entscheidungen über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens als auch gegen die Aussetzungsanordnungen ein Rechtsbehelf vor dem Gericht zur Verfügung (siehe oben, Rn. 39 und 50).

154

Im Rahmen eines solchen Rechtsbehelfs können sich die Mitgliedstaaten sowohl gegen die Einstufung der betreffenden nationalen Maßnahme als staatliche Beihilfe als auch gegen ihre Einstufung als neue Beihilfe, die der Aussetzungspflicht unterliegt, wenden, was ihnen erlaubt, nachzuweisen, dass diese Maßnahme weder der Anmeldungs- noch der Aussetzungspflicht unterworfen war.

155

Die Mitgliedstaaten können auch, wie dies Ungarn im vorliegenden Fall macht, davon absehen, die Einstufung der betreffenden Maßnahme als rechtswidrige staatliche Beihilfe zu beanstanden, und sich darauf beschränken, die Mängel der Aussetzungsanordnung zu rügen. Jedoch kann eine Klage in einem solchen Fall, selbst wenn ihr stattgegeben wird, nicht zur Folge haben, dass die Aussetzungspflicht wegfällt, da diese auch mit der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens verknüpft ist.

156

Im Übrigen genügt es hinsichtlich der Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung, darauf hinzuweisen, dass Ungarn kein Argument zu ihrer Stützung anführt. Diese Rüge ist daher zurückzuweisen.

157

Nach alledem ist der vierte Klagegrund zurückzuweisen und daher die Klage insgesamt abzuweisen.

Kosten

158

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

159

Da im vorliegenden Fall Ungarn mit seinen Anträgen sowohl in der Rechtssache T‑554/15 als auch in der Rechtssache T‑555/15 unterlegen ist, sind Ungarn entsprechend den Anträgen der Kommission in jeder dieser beiden Rechtssachen die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klagen werden abgewiesen.

 

2.

Ungarn trägt die Kosten.

 

Gervasoni

Madise

Kowalik-Bańczyk

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 25. April 2018.

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.