URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

8. Mai 2025 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Richtlinie (EU) 2016/1919 – Prozesskostenhilfe – Richtlinie 2013/48/EU – Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand im Strafverfahren – Verfahrensgarantien für schutzbedürftige Personen – Feststellung der Schutzbedürftigkeit dieser Personen – Keine gesetzliche Vermutung – Unmittelbare Wirkung – Befragung eines Verdächtigen in Abwesenheit eines Rechtsbeistands – Zulässigkeit von Beweisen, die unter Verletzung von Verfahrensrechten erlangt wurden“

In der Rechtssache C‑530/23 [Barało] ( i )

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy we Włocławku (Rayongericht Włocławek, Polen) mit Entscheidung vom 17. August 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 17. August 2023, in dem Strafverfahren gegen

K. P.,

Beteiligter:

Prokurator Rejonowy we Włocławku,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe (Berichterstatterin), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer sowie der Richter M. Gavalec, Z. Csehi und F. Schalin,

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

des Prokurator Rejonowy we Włocławku, vertreten durch T. Rutkowska-Szmydyńska,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, T. Suchá und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Hottiaux und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 14. November 2024

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung

von Art. 6 Abs. 1 bis 3 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV,

der Art. 4 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta),

von Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 Buchst. b, Art. 4 Abs. 5 sowie der Art. 8 und 9 der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (ABl. 2016, L 297, S. 1),

von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a bis c und Abs. 3 Buchst. a und b der Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (ABl. 2013, L 294, S. 1),

der Nrn. 6, 7, 11 und 13 der Empfehlung (2013/C 378/02) der Kommission vom 27. November 2013 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für verdächtige oder beschuldigte schutzbedürftige Personen (ABl. 2013, C 378, S. 8, im Folgenden: Empfehlung der Kommission) sowie

der Grundsätze des Vorrangs, der Effektivität und der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts.

2

Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen K. P. wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen sowie des Fahrens unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

3

Die Nrn. 23 und 32 der Grundsätze und Leitlinien der Vereinten Nationen für den Zugang zu rechtlicher Unterstützung in Strafjustizsystemen, die am 20. Dezember 2012 mit der Resolution 67/187 der Generalversammlung angenommen wurden, lauten:

„23. Es obliegt der Polizei, den Anklägern und den Richtern, zu gewährleisten, dass denjenigen, die vor ihnen erscheinen und sich keinen Rechtsanwalt leisten können und/oder schutzbedürftig sind, Zugang zu rechtlicher Unterstützung gewährt wird.

32. Es sollen besondere Maßnahmen getroffen werden, um zu gewährleisten, dass Frauen, Kinder und Gruppen mit besonderen Bedürfnissen, darunter … Menschen mit psychischen Erkrankungen [und] Drogenkonsumenten …, effektiven Zugang zu rechtlicher Unterstützung haben. Derartige Maßnahmen sollen den besonderen Bedürfnissen dieser Gruppen Rechnung tragen und geschlechtsspezifische und altersgemäße Maßnahmen einschließen.“

Unionsrecht

Richtlinie 2013/48

4

Die Erwägungsgründe 50 und 51 der Richtlinie 2013/48 lauten:

„(50)

Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass bei der Beurteilung von Aussagen von Verdächtigen oder beschuldigten Personen oder von Beweisen, die unter Missachtung ihres Rechts auf einen Rechtsbeistand erhoben wurden, oder in Fällen, in denen eine Abweichung von diesem Recht gemäß dieser Richtlinie genehmigt wurde, die Verteidigungsrechte und der Grundsatz des fairen Verfahrens beachtet werden. Diesbezüglich sollte die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berücksichtigt werden, der zufolge die Verteidigungsrechte grundsätzlich irreparabel verletzt sind, wenn belastende Aussagen, die während einer polizeilichen Vernehmung unter Missachtung des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand gemacht wurden, als Beweis für die Verurteilung verwendet werden. Dies gilt unbeschadet der Verwendung der Aussagen für andere nach nationalem Recht zulässige Zwecke, beispielsweise für dringende Ermittlungshandlungen zur Verhinderung anderer Straftaten oder zur Abwehr schwerwiegender, nachteiliger Auswirkungen für Personen oder im Zusammenhang mit dem dringenden Erfordernis, eine erhebliche Gefährdung eines Strafverfahrens abzuwenden, wenn der Zugang zu einem Rechtsbeistand oder die Verzögerung der Ermittlungsarbeit die laufenden Ermittlungen bezüglich einer schweren Straftat irreparabel beeinträchtigen würde. Ferner sollte dies die nationalen Vorschriften oder Regelungen bezüglich der Zulässigkeit von Beweisen unberührt lassen und die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, eine Regelung beizubehalten, wonach einem Gericht alle vorhandenen Beweismittel vorgelegt werden können, ohne dass die Zulässigkeit dieser Beweismittel Gegenstand einer gesonderten oder vorherigen Beurteilung ist.

(51)

Die Fürsorgepflicht für Verdächtige oder beschuldigte Personen, die sich in einer potenziell schwachen Position befinden, ist Grundlage einer fairen Justiz. Anklage‑, Strafverfolgungs- und Justizbehörden sollten es solchen Personen daher erleichtern, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte wirksam auszuüben, zum Beispiel indem sie etwaige Benachteiligungen, die die Fähigkeit der Personen beeinträchtigen, das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug wahrzunehmen, berücksichtigen und indem sie geeignete Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass diese Rechte gewährleistet sind.“

5

Art. 2 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2013/48 sieht in Abs. 1 vor:

„Diese Richtlinie gilt für Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise davon in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig sind oder beschuldigt werden, und unabhängig davon, ob ihnen die Freiheit entzogen wurde. Die Richtlinie gilt bis zum Abschluss des Verfahrens, worunter die endgültige Klärung der Frage zu verstehen ist, ob der Verdächtige oder die beschuldigte Person die Straftat begangen hat, gegebenenfalls einschließlich der Festlegung des Strafmaßes und der abschließenden Entscheidung in einem Rechtsmittelverfahren.“

6

Art. 3 („Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand im Strafverfahren“) der Richtlinie 2013/48 bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtigen und beschuldigten Personen das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand so rechtzeitig und in einer solchen Art und Weise zukommt, dass die betroffenen Personen ihre Verteidigungsrechte praktisch und wirksam wahrnehmen können.

(2)   Verdächtige oder beschuldigte Personen können unverzüglich Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten. In jedem Fall können Verdächtige oder beschuldigte Personen ab dem zuerst eintretenden der folgenden Zeitpunkte Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten:

a)

vor ihrer Befragung durch die Polizei oder andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörden;

b)

ab der Durchführung von Ermittlungs- oder anderen Beweiserhebungshandlungen durch Ermittlungs- oder andere zuständige Behörden gemäß Absatz 3 Buchstabe c;

c)

unverzüglich nach dem Entzug der Freiheit;

d)

wenn der Verdächtige oder die beschuldigte Person vor ein in Strafsachen zuständiges Gericht geladen wurde, rechtzeitig bevor der Verdächtige oder die beschuldigte Person vor diesem Gericht erscheint.

(3)   Das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand umfasst Folgendes:

a)

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen das Recht haben, mit dem Rechtsbeistand, der sie vertritt, unter vier Augen zusammenzutreffen und mit ihm zu kommunizieren, auch vor der Befragung durch die Polizei oder andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörden.

b)

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen ein Recht darauf haben, dass ihr Rechtsbeistand bei der Befragung zugegen ist und wirksam daran teilnimmt. Diese Teilnahme erfolgt gemäß den Verfahren des nationalen Rechts, sofern diese Verfahren die wirksame Ausübung und den Wesensgehalt des betreffenden Rechts nicht beeinträchtigen. Nimmt ein Rechtsbeistand während der Befragung teil, wird die Tatsache, dass diese Teilnahme stattgefunden hat, unter Verwendung des Verfahrens für Aufzeichnungen nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats schriftlich festgehalten.

…“

7

Art. 12 („Rechtsbehelfe“) der Richtlinie 2013/48 sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Verdächtigen oder beschuldigten Personen in Strafverfahren sowie gesuchten Personen in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls bei Verletzung ihrer Rechte nach dieser Richtlinie ein wirksamer Rechtsbehelf nach nationalem Recht zusteht.

(2)   Unbeschadet der nationalen Vorschriften und Regelungen über die Zulässigkeit von Beweismitteln sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass in Strafverfahren bei der Beurteilung von Aussagen von Verdächtigen oder beschuldigten Personen oder von Beweisen, die unter Missachtung ihres Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand erhoben wurden, oder in Fällen, in denen gemäß Artikel 3 Absatz 6 eine Abweichung von diesem Recht genehmigt wurde, die Verteidigungsrechte und die Einhaltung eines fairen Verfahrens beachtet werden.“

8

Art. 13 der Richtlinie 2013/48 lautet:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass bei der Anwendung dieser Richtlinie die besonderen Bedürfnisse von schutzbedürftigen Verdächtigen und schutzbedürftigen beschuldigten Personen berücksichtigt werden.“

Richtlinie 2016/1919

9

In den Erwägungsgründen 1, 3, 4, 6, 17 bis 19, 23 und 24 der Richtlinie 2016/1919 heißt es:

„(1)

Mit dieser Richtlinie soll die Effektivität des in der [Richtlinie 2013/48] vorgesehenen Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand gewährleistet werden, indem Verdächtigen oder beschuldigte[n] Personen in Strafverfahren die Unterstützung eines durch die Mitgliedstaaten finanzierten Rechtsbeistands zur Verfügung gestellt wird …

(3)

In Artikel 47 Absatz 3 der [Charta] … ist das Recht auf Prozesskostenhilfe in Strafverfahren zu den dort genannten Bedingungen verankert. …

(4)

Am 30. November 2009 hat der Rat [der Europäischen Union] eine Entschließung über einen Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder beschuldigten Personen in Strafverfahren [(ABl. 2009, C 295, S. 1)] (im Folgenden ‚Fahrplan‘) angenommen. In dem Fahrplan, der eine schrittweise Herangehensweise vorsieht, wird dazu aufgerufen, Maßnahmen zu ergreifen, die das Recht auf Übersetzungen und Dolmetscherleistungen (Maßnahme A), das Recht auf Belehrung über die Rechte und Unterrichtung über die Beschuldigung (Maßnahme B), das Recht auf Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe (Maßnahme C), das Recht auf Kommunikation mit Angehörigen, Arbeitgebern und Konsularbehörden (Maßnahme D) und besondere Garantien für schutzbedürftige Verdächtige oder beschuldigte Personen (Maßnahme E) betreffen.

(6)

Bisher wurden fünf Maßnahmen zu Verfahrensrechten in Strafverfahren gemäß dem Fahrplan angenommen, und zwar [die Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. 2010, L 280, S. 1), die Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren (ABl. 2012, L 142, S. 1), die Richtlinie 2013/48, die Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren (ABl. 2016, L 65, S. 1) und die Richtlinie (EU) 2016/800 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind (ABl. 2016, L 132, S. 1)].

(17)

Gemäß Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe c [der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK)] müssen Verdächtige und beschuldigte Personen, denen die ausreichenden Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands fehlen, zum Bezug von Prozesskostenhilfe berechtigt sein, wenn das im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Diese Mindestvorschrift ermöglicht den Mitgliedstaaten, eine Bedürftigkeitsprüfung, eine Prüfung der materiellen Kriterien oder beides vorzunehmen. Der Rückgriff auf solche Prüfungen sollte die Rechte und Verfahrensgarantien, die gemäß der Charta und der EMRK nach der Auslegung des Gerichtshofs und des [Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte] gewährleistet sind, nicht einschränken oder beeinträchtigen.

(18)

Die Mitgliedstaaten sollten praktische Regelungen für die Bereitstellung der Prozesskostenhilfe einführen. In diesen Regelungen könnte festgelegt werden, dass Prozesskostenhilfe auf Antrag eines Verdächtigen, einer beschuldigten Person oder einer gesuchten Person bewilligt wird. Insbesondere angesichts der Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen sollte ein solcher Antrag jedoch keine materiellrechtliche Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sein.

(19)

Die zuständigen Behörden sollten die Prozesskostenhilfe unverzüglich und spätestens vor der Befragung der betroffenen Person durch die Polizei, eine andere Strafverfolgungsbehörde oder eine Justizbehörde oder vor der Durchführung der in dieser Richtlinie genannten konkreten Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen bewilligen. Sind die zuständigen Behörden dazu nicht in der Lage, sollten sie vor einer solchen Befragung oder vor der Durchführung solcher Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen zumindest eine Dringlichkeits-Prozesskostenhilfe oder eine vorläufige Prozesskostenhilfe gewähren.

(23)

Bei der Umsetzung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass das Grundrecht auf Prozesskostenhilfe gemäß der Charta und der EMRK geachtet wird. Hierbei sollten sie die Grundsätze und Leitlinien der Vereinten Nationen für den Zugang zu Prozesskostenhilfe in Strafjustizsystemen beachten.

(24)

Unbeschadet der Bestimmungen des nationalen Rechts über die zwingende Anwesenheit eines Rechtsbeistands sollten Entscheidungen über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unverzüglich von einer zuständigen Behörde getroffen werden. Bei der zuständigen Behörde sollte es sich um eine unabhängige Behörde handeln, die für Entscheidungen über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zuständig ist, oder um ein Gericht, einschließlich eines Einzelrichters. In dringenden Fällen sollte jedoch auch eine vorübergehende Einbeziehung der Polizei und der Staatsanwaltschaft möglich sein, sofern es für die rechtzeitige Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlich ist.“

10

Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2016/1919 bestimmt:

„(1)   Diese Richtlinie enthält gemeinsame Mindestvorschriften über das Recht auf Prozesskostenhilfe für

a)

Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren …

(2)   Die vorliegende Richtlinie ergänzt die Richtlinien [2013/48] und [2016/800]. Keine Bestimmung der vorliegenden Richtlinie ist so auszulegen, dass dadurch die in jenen Richtlinien vorgesehenen Rechte beschränkt würden.“

11

Art. 2 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2016/1919 bestimmt in den Abs. 1 und 2:

„(1)   Die vorliegende Richtlinie findet Anwendung auf Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren, die ein Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand nach Maßgabe der [Richtlinie 2013/48] haben und

a)

denen die Freiheit entzogen ist,

b)

die nach Maßgabe des Unionsrechts oder des nationalen Rechts die Unterstützung eines Rechtsbeistands erhalten müssen oder

c)

deren Anwesenheit bei einer Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlung vorgeschrieben oder zulässig ist, einschließlich mindestens die folgenden Handlungen:

i)

Identifizierungsgegenüberstellungen;

ii)

Vernehmungsgegenüberstellungen;

iii)

Tatortrekonstruktionen.

(2)   Die vorliegende Richtlinie gilt außerdem für gesuchte Personen ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme im Vollstreckungsmitgliedstaat, die nach Maßgabe der [Richtlinie 2013/48] Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand haben.“

12

In Art. 4 („Prozesskostenhilfe in Strafverfahren“) der Richtlinie 2016/1919 heißt es:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtige und beschuldigte Personen, die nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügen, Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, wenn es im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist.

(2)   Die Mitgliedstaaten können eine Bedürftigkeitsprüfung, eine Prüfung der materiellen Kriterien oder beides vornehmen, um festzustellen, ob Prozesskostenhilfe nach Absatz 1 zu bewilligen ist.

(5)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Prozesskostenhilfe unverzüglich und spätestens vor einer Befragung durch die Polizei, eine andere Strafverfolgungsbehörde oder eine Justizbehörde oder vor der Durchführung einer der in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c genannten Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen bewilligt wird.

…“

13

Art. 8 („Rechtsbehelfe“) der Richtlinie 2016/1919 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Verdächtigen, beschuldigten Personen und gesuchten Personen bei Verletzung ihrer Rechte nach dieser Richtlinie ein wirksamer Rechtsbehelf nach nationalem Recht zusteht.“

14

Art. 9 („Schutzbedürftige Personen“) der Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass bei der Umsetzung dieser Richtlinie die besonderen Bedürfnisse von schutzbedürftigen Verdächtigen, beschuldigten Personen und gesuchten Personen berücksichtigt werden.“

15

Art. 11 („Regressionsverbot“) der Richtlinie 2016/1919 sieht vor:

„Diese Richtlinie ist nicht so auszulegen, dass dadurch die Rechte und Verfahrensgarantien, die durch die Charta, die EMRK oder andere einschlägige Bestimmungen des Völkerrechts oder des Rechts der Mitgliedstaaten, die ein höheres Schutzniveau vorsehen, gewährleistet sind, beschränkt oder beeinträchtigt würden.“

Empfehlung der Kommission

16

Die Erwägungsgründe 1, 6, 7, 11 und 13 der Empfehlung der Kommission lauten:

„(1)

Ziel dieser Empfehlung ist es, die Mitgliedstaaten aufzurufen, die Verfahrensrechte aller Verdächtigen oder Beschuldigten zu stärken, die aufgrund ihres Alters, ihrer geistigen oder körperlichen Verfassung oder aufgrund von Behinderungen nicht in der Lage sind, einem Strafverfahren zu folgen oder tatsächlich daran teilzunehmen (‚schutzbedürftige Personen‘).

(6)

Es ist unerlässlich, dass die Schutzbedürftigkeit einer verdächtigten oder beschuldigten Person in einem Strafverfahren umgehend festgestellt und anerkannt wird. Zu diesem Zweck sollten Polizeibeamte, Strafverfolgungs- oder Justizbehörden eine Erstbegutachtung durchführen. Die zuständigen Behörden sollten auch einen unabhängigen Sachverständigen zur Untersuchung des Grades der Schutzbedürftigkeit und zur Feststellung der Bedürfnisse der schutzbedürftigen Person sowie der Angemessenheit von zulasten der schutzbedürftigen Person getroffenen oder geplanten Maßnahmen hinzuziehen können.

(7)

Verdächtige oder Beschuldigte oder deren Rechtsbeistand sollten das Recht haben, gemäß dem nationalen Recht die Begutachtung ihrer etwaigen Schutzbedürftigkeit in Strafverfahren anzufechten, insbesondere, wenn dies die Ausübung ihrer Grundrechte wesentlich behindern oder einschränken würde. Dieses Recht zieht nicht die Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach sich, ein besonderes Rechtsbehelfsverfahren, einen gesonderten Mechanismus oder ein Beschwerdeverfahren vorzusehen, in dessen Rahmen das Versäumnis oder die Verweigerung angefochten werden kann.

(11)

Personen, die als besonders schutzbedürftig anerkannt werden, sind nicht in der Lage, ein Strafverfahren zu verstehen und ihm zu folgen. Damit ihr Recht auf ein faires Verfahren gewahrt bleibt, sollten sie nicht auf ihr Recht auf einen Rechtsbeistand verzichten können.

(13)

Schutzbedürftige Personen sind nicht immer in der Lage, den Inhalt von polizeilichen Befragungen, denen sie unterzogen werden, zu verstehen. Um eine Anfechtung des Inhalts einer Befragung und damit eine unnötige Wiederholung einer Befragung zu vermeiden, sollten diese Befragungen audiovisuell aufgezeichnet werden.“

17

Nr. 4 dieser Empfehlung, die sich in deren Abschnitt 2 („Identifizierung schutzbedürftiger Personen“) befindet, bestimmt:

„Schutzbedürftige Personen sollten umgehend als solche identifiziert und anerkannt werden. Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass alle zuständigen Behörden auf eine medizinische Untersuchung durch einen unabhängigen Sachverständigen zurückgreifen können, um schutzbedürftige Personen zu identifizieren und den Grad ihrer Schutzbedürftigkeit und ihrer besonderen Bedürfnisse festzustellen. Dieser Sachverständige kann eine begründete Stellungnahme zur Angemessenheit der gegen die schutzbedürftige Person getroffenen oder geplanten Maßnahmen abgeben.“

18

Abschnitt 3 („Rechte schutzbedürftiger Personen“) der Empfehlung umfasst zehn Teile, von denen vier mit „Nichtdiskriminierung“, „Vermutung der Schutzbedürftigkeit“, „Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand“ und „Aufzeichnung von Befragungen“ überschrieben sind. Nr. 6 der Empfehlung, die im ersten dieser vier Teile enthalten ist, lautet:

„Die schutzbedürftigen Personen gewährten Verfahrensrechte sollten unter Berücksichtigung der Art und des Grades ihrer Schutzbedürftigkeit während des gesamten Strafverfahrens gewahrt werden.“

19

Nr. 7 der Empfehlung der Kommission im Teil „Vermutung der Schutzbedürftigkeit“ bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sollten insbesondere für Personen mit schwerwiegenden psychologischen, geistigen, körperlichen oder sensorischen Beeinträchtigungen oder einer Geisteskrankheit oder kognitiven Störungen, die sie daran hindern, das Verfahren zu verstehen und tatsächlich daran teilzunehmen, eine Vermutung der Schutzbedürftigkeit vorsehen.“

20

Nr. 11 dieser Empfehlung im Teil „Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand“ sieht vor:

„Ist eine schutzbedürftige Person nicht in der Lage, das Verfahren zu verstehen und ihm zu folgen, sollte auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand gemäß den Bestimmungen der [Richtlinie 2013/48] nicht verzichtet werden können.“

21

Nr. 13 dieser Empfehlung im Teil „Aufzeichnung von Befragungen“ sieht vor:

„Jede Befragung einer schutzbedürftigen Person in der vorgerichtlichen Ermittlungsphase sollte audiovisuell aufgezeichnet werden.“

Polnisches Recht

22

Nach Art. 6 der Ustawa – Kodeks postępowania karnego (Gesetz über die Strafprozessordnung) vom 6. Juni 1997 (Dz. U. 2022, Pos. 1375) in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Strafprozessordnung) steht einem Beschuldigten das Recht auf Verteidigung zu, insbesondere das Recht auf Inanspruchnahme des Beistands eines Verteidigers. Über dieses Recht ist er zu belehren.

23

Art. 79 der Strafprozessordnung sieht in § 1 vor, dass der Beschuldigte in einem Strafverfahren einen Verteidiger haben muss, wenn ein begründeter Zweifel am Vorliegen der Voraussetzung besteht, dass seine Fähigkeit, die Bedeutung der Tat zu erkennen oder sein Verhalten zu steuern, zum Zeitpunkt der Begehung der Tat weder ausgeschlossen noch erheblich beeinträchtigt war (Nr. 3), oder wenn ein begründeter Zweifel daran besteht, dass sein psychischer Gesundheitszustand es ihm erlaubt, am Verfahren teilzunehmen oder seine Verteidigung selbst sachgerecht wahrzunehmen (Nr. 4). Nach Art. 79 § 3 der Strafprozessordnung ist überdies u. a. in den in § 1 dieses Artikels genannten Fällen die Anwesenheit des Verteidigers bei der Verhandlung und bei den Sitzungen, an denen der Beschuldigte teilnehmen muss, zwingend vorgeschrieben.

24

Nach Art. 168a der Strafprozessordnung dürfen Beweise nicht allein deshalb für unzulässig erklärt werden, weil sie unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften oder durch eine verbotene Handlung im Sinne von Art. 1 § 1 des Strafgesetzbuchs erlangt wurden, es sei denn, die Beweise wurden von einem Amtsträger im Zusammenhang mit der Ausübung seines Amtes infolge einer Tötung, einer vorsätzlichen Körperverletzung oder einer Freiheitsberaubung erlangt.

25

Art. 300 der Strafprozessordnung betrifft das Recht eines Verdächtigen auf Belehrung und Unterrichtung. Insoweit muss der Verdächtige vor seiner ersten Befragung über Folgendes informiert werden: sein Recht, gehört zu werden, zu schweigen oder die Beantwortung von Fragen zu verweigern, den Inhalt der Anklage und deren Änderungen, die Möglichkeit, die Durchführung von Vorermittlungen oder Ermittlungen zu beantragen, das Recht auf einen Verteidiger, dessen Bestellung von Amts wegen er in bestimmten Fällen, über die er unterrichtet werden muss, beantragen kann, den Inhalt der endgültigen strafrechtlichen Ermittlungsakte und die in Art. 301 der Strafprozessordnung genannten Rechte sowie die Pflichten und Konsequenzen nach ihrem Art. 74. Der Verdächtige muss diese Informationen schriftlich erhalten und eine Empfangsbestätigung für das Informationsdokument unterzeichnen.

26

Gemäß Art. 301 der Strafprozessordnung wird der Verdächtige auf seinen Antrag in Gegenwart des bestellten Verteidigers befragt. Dessen Abwesenheit steht einer Befragung nicht entgegen.

27

Nach Art. 344a der Strafprozessordnung verweist das angerufene Gericht die Sache zur Vervollständigung der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft zurück, wenn die Akte erhebliche Verfahrensmängel, insbesondere in Bezug auf die Notwendigkeit der Beweiserhebung, erkennen lässt und das Gericht bei der Vornahme der erforderlichen Handlungen auf beträchtliche Schwierigkeiten stößt. Bei der Zurückverweisung an den Staatsanwalt gibt das Gericht an, in welche Richtung die ergänzende Untersuchung gehen soll und, wenn nötig, welche Maßnahmen angebracht sind. Dieser Beschluss kann von den Parteien angefochten werden.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

28

Der Sąd Rejonowy we Włocławku (Rayongericht Włocławek, Polen), das vorlegende Gericht in dieser Rechtssache, ist mit einem Strafverfahren gegen K. P. befasst.

29

Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts begann die Strafverfolgung im folgenden Kontext. Am 22. Juli 2022 stoppten Polizeibeamte, die Informationen über eine Kollision von zwei Fahrzeugen erhalten hatten, K. P. Er befand sich außerhalb seines Fahrzeugs, wirkte nervös und redete wirr und unzusammenhängend.

30

Die Polizeibeamten forderten K. P. auf, ihnen etwaige verbotene Gegenstände auszuhändigen. K. P. übergab ihnen Plastiktüten, die weißes Pulver und eine grüne, getrocknete Substanz enthielten. Diese Substanzen wurden beschlagnahmt; in der Folge zeigte sich, dass es sich um Amphetamin und Marihuana handelte.

31

Daraufhin wurde K. P. festgenommen und in ein Krankenhaus gebracht, in dem ihm Blut abgenommen wurde, um festzustellen, ob er Betäubungsmittel konsumiert hatte. Ihm wurde der Besitz eines Betäubungsmittels und eines psychotropen Stoffes zur Last gelegt.

32

K. P. wurde über sein Recht auf einen Rechtsbeistand seiner Wahl informiert sowie darüber, dass ein Pflichtverteidiger bestellt werden kann, falls er die Mittel für einen Wahlverteidiger nicht aufbringen kann. Er wurde außerdem über sein Recht informiert, gehört zu werden, zu schweigen und die Beantwortung von Fragen zu verweigern. Das Protokoll der Befragung enthält den Vermerk eines Polizeibeamten, wonach K. P. „nach eigenen Angaben geistig gesund ist und sich nicht in psychiatrischer, medikamentöser oder neurologischer Behandlung befindet oder befunden hat“.

33

K. P. verzichtete nicht auf einen Rechtsbeistand, äußerte aber auch nicht den Wunsch nach dessen Hinzuziehung. Es gibt keinen Beweis dafür, dass der Polizeibeamte K. P. untersuchte, um zu klären, ob er während seiner Befragung unter dem Einfluss von Produkten oder Substanzen, die seine Urteilskraft oder sein Erinnerungsvermögen beeinflussten, oder unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand.

34

Die beschlagnahmten Stoffe, die sich im Besitz von K. P. befunden hatten, sowie die im Krankenhaus entnommene Blutprobe waren Gegenstand eines wissenschaftlichen Gutachtens. Es ergab, dass K. P. bei der Blutentnahme in Anbetracht der vorhandenen Amphetaminkonzentration „unter dem Einfluss eines Mittels mit ähnlicher Wirkung wie Alkohol“ gestanden habe. Am 7. August 2022 wurde er daher beschuldigt, unter dem Einfluss eines Mittels mit ähnlicher Wirkung wie Alkohol ein Fahrzeug geführt zu haben.

35

Die Anklageschrift wurde ihm am 14. Oktober 2022 in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses übergeben, in dem er sich aufhielt. Er wurde ohne Anwesenheit eines Verteidigers befragt und ohne dass der Staatsanwalt beantragt hatte, zu seiner Unterstützung einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Seine Befragung wurde auch nicht audiovisuell aufgezeichnet.

36

Vor dieser Befragung gab eine Psychiaterin, die K. P. zuvor behandelt hatte, am 22. August 2022 bei ihrer eigenen Befragung an, dass der psychische Zustand des Betroffenen, d. h. die Schwere der Symptome seiner psychischen Erkrankung, es ihm nicht ermögliche, an Verfahrenshandlungen teilzunehmen, und dass dieser Zustand mindestens noch mehrere Wochen anhalten dürfte. Überdies geht aus der Krankenakte von K. P., die dem Staatsanwalt auf dessen Antrag am 23. September 2022 übermittelt wurde, hervor, dass er sich zwischen dem 30. Juni 2021 und dem 22. Juli 2022 zur Behandlung von Schizophrenie und schizoaffektiven Störungen mehrfach in einem psychiatrischen Krankenhaus befunden habe. Aus ihr geht ferner hervor, dass bei ihm ursprünglich eine psychische Erkrankung und eine durch den abwechselnden Konsum von Betäubungsmitteln und psychoaktiven Substanzen verursachte Störung sowie eine psychotische Störung diagnostiziert worden seien.

37

Am 15. Dezember 2022 wurde das vorlegende Gericht mit der Anklageschrift befasst.

38

Am 28. Februar 2023 beschloss dieses Gericht auf der Grundlage von Art. 344a § 1 der Strafprozessordnung, die Sache zur Ergänzung der Ermittlungen durch eine Befragung von K. P. in Anwesenheit eines Verteidigers und die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zum psychischen Gesundheitszustand von K. P. zum Zeitpunkt der Straftat und während des gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens an die Staatsanwaltschaft zurückzuverweisen.

39

Dieser Beschluss wurde jedoch vom Sąd Okręgowy we Włocławku (Regionalgericht Włocławek, Polen) auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufgehoben. Die Sache wurde zur Fortsetzung des Verfahrens an das vorlegende Gericht zurückverwiesen.

40

Im Rahmen dieses Verfahrens hat das vorlegende Gericht nach seinen Angaben u. a. festgestellt, dass im Ermittlungsverfahren die Schutzbedürftigkeit von K. P., bei deren Vorliegen ein Pflichtverteidiger hätte bestellt werden müssen, nicht individuell geprüft worden sei. Es sei auch nicht dargetan worden, ob sein psychischer Gesundheitszustand es ihm ermöglicht habe, am Verfahren teilzunehmen oder seine Verteidigung selbst sachgerecht wahrzunehmen.

41

Das vorlegende Gericht schließt aus diesen Feststellungen, dass K. P. dadurch zum einen der Mindestschutz, auf den er nach der Richtlinie 2016/1919 als Verdächtiger und potenziell schutzbedürftige Person Anspruch habe, und zum anderen die Rechte, die allen Verdächtigen nach den Richtlinien 2012/13 und 2013/48 zustünden, vorenthalten worden seien. Es handele sich in erster Linie um die Garantie des Rechts mutmaßlich schutzbedürftiger Personen auf Unterstützung durch einen Rechtsbeistand sowie auf Gewährung von Prozesskostenhilfe, wenn sie verdächtigt würden, eine Straftat begangen zu haben.

42

Diese Situation hänge damit zusammen, dass die genannten Richtlinien nicht ordnungsgemäß und vollständig umgesetzt worden seien und dass die Empfehlung der Kommission nicht in die polnische Rechtsordnung übernommen worden sei. Daher sei erstens zu klären, ob die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinien die Kriterien für eine unmittelbare Wirkung erfüllten.

43

Überdies biete das geltende polnische Strafverfahrensrecht keine hinreichend präzisen Lösungen, die für jede in den Anwendungsbereich der Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 fallende Person die vollen ihr nach diesen Richtlinien zustehenden Rechte gewährleisteten, wie das Recht auf sofortigen Zugang zu einem Rechtsbeistand, das Recht auf Beistand durch einen Rechtsbeistand im frühestmöglichen Stadium des vorgerichtlichen Verfahrens oder das Recht, dass ihre Bedürfnisse unverzüglich, vor ihrer Befragung als Verdächtiger ermittelt würden. Falls diese Vorschriften nicht in einer mit dem Unionsrecht konformen Weise ausgelegt werden könnten, sei zweitens zu klären, ob nicht nur die nationalen Gerichte, sondern darüber hinaus alle nationalen Strafverfolgungsbehörden verpflichtet seien, sie unangewendet zu lassen.

44

Drittens sei das vorlegende Gericht bestrebt, „einen wirksamen Rechtsbehelf zu schaffen“, der geeignet sei, die Wirkungen von Verletzungen der Rechte zu beseitigen, die dem Verdächtigen in den früheren Stadien des Verfahrens nach der Richtlinie 2016/1919 zugestanden hätten. Hierzu sei auf Art. 8 dieser Richtlinie und auf Art. 12 der Richtlinie 2013/48 sowie auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verweisen.

45

Viertens stellten sich Fragen nach der Situation eines Verdächtigen oder Beschuldigten, der als schutzbedürftige Person identifiziert worden sei, die nach der Richtlinie 2016/1919 unverzüglich Prozesskostenhilfe erhalten müsse. Zu klären sei, ob nationale Behörden wie der Staatsanwalt, die an der vorgerichtlichen Phase des Strafverfahrens teilnähmen und sie leiteten, verpflichtet seien, für wirksamen Rechtsschutz gemäß dieser Richtlinie zu sorgen, wenn die in Rede stehende Straftat mit Freiheitsstrafe bedroht sei. Die effektive Anwendung des Unionsrechts gebiete außerdem, dass die Gerichte, aber auch die Strafverfolgungsbehörden in Rechtssachen, die einen Anknüpfungspunkt an das Unionsrecht aufwiesen, unabhängig und unparteiisch seien.

46

Unter diesen Umständen hat der Sąd Rejonowy we Włocławku (Rayongericht Włocławek) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Abs. 5 sowie Art. 9 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 18, 19, 24 und 27 der Richtlinie 2016/1919 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und b und Art. 3 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2013/48 in der Auslegung anhand der Nrn. 6, 7, 11 und 13 der Empfehlung der Kommission dahin auszulegen, dass sie eine unmittelbar wirksame und zwingende Regelung einführen, aufgrund deren es unzulässig ist, die Befragung einer schutzbedürftigen Person ohne die Anwesenheit eines Verteidigers durchzuführen, wenn die sachlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegen, die Ermittlungsbehörde aber nicht unverzüglich von Amts wegen Prozesskostenhilfe (auch keine Dringlichkeits- oder vorläufige Prozesskostenhilfe) bewilligt, bevor die betreffende Person (in concreto eine schutzbedürftige Person) von der Polizei, einer anderen Strafverfolgungsbehörde oder einer Justizbehörde vernommen wird oder bevor konkrete Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen vorgenommen werden?

2.

Sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Abs. 5 sowie Art. 9 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 18, 19, 24 und 27 und Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2016/1919 in der Auslegung anhand der Nrn. 6, 7, 11 und 13 der Empfehlung der Kommission dahin auszulegen, dass es bei Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe bedroht sind, in jedem Fall unzulässig ist, wenn im Rahmen des Verfahrens keine Feststellungen dazu getroffen werden, ob eine Person potenziell schutzbedürftig und als solche anzuerkennen ist, obwohl die tatsächlichen Umstände gebieten, dies unverzüglich zu tun, und wenn es unmöglich ist, die Beurteilung ihrer potenziellen Schutzbedürftigkeit anzufechten und einer solchen Person unverzüglich einen Pflichtverteidiger zu bestellen, und dass die Gründe, aus denen von diesen Feststellungen abgesehen und kein Pflichtverteidiger bestellt wurde, in der – grundsätzlich anfechtbaren – Entscheidung, die Befragung in Abwesenheit eines Rechtsbeistands durchzuführen, ausdrücklich genannt werden müssen?

3.

Sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Abs. 5 sowie Art. 9 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 18, 19, 24 und 27 und Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2016/1919 in der Auslegung anhand der Nrn. 6, 7, 11 und 13 der Empfehlung der Kommission dahin auszulegen, dass in dem Versäumnis eines Mitgliedstaats, in Strafverfahren eine Vermutung der Schutzbedürftigkeit einzuführen, ein Umstand zu sehen ist, der den Verdächtigen daran hindert, die Garantie in Anspruch zu nehmen, die Art. 9 der Richtlinie 2016/1919 in der Auslegung gemäß Nr. 11 der Empfehlung der Kommission vorsieht, und dass die Organe der Rechtspflege infolgedessen verpflichtet sind, in einer solchen Situation die Bestimmungen der Richtlinie unmittelbar anzuwenden?

4.

Für den Fall, dass eine oder mehrere der Fragen 1, 2 und 3 bejaht werden: Sind die Bestimmungen der beiden in diesen Fragen genannten Richtlinien dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wie

a)

Art. 301 Satz 2 der Strafprozessordnung, nach dem die Befragung eines Verdächtigen nur auf dessen Antrag unter Beteiligung eines bestellten Verteidigers erfolgt und das Nichterscheinen des Verteidigers kein Hindernis für die Befragung bildet;

b)

Art. 79 § 1 Nrn. 3 und 4 der Strafprozessordnung, wonach in einem Strafverfahren ein Beschuldigter (Verdächtiger) einen Verteidiger haben muss, wenn ein begründeter Zweifel am Vorliegen der Voraussetzung besteht, dass seine Fähigkeit, die Bedeutung der Tat zu erkennen oder sein Verhalten zu steuern, zum Zeitpunkt der Begehung der Tat weder ausgeschlossen noch erheblich beeinträchtigt war, oder daran, dass sein psychischer Gesundheitszustand es ihm erlaubt, am Verfahren teilzunehmen oder seine Verteidigung selbst sachgerecht wahrzunehmen?

5.

Verpflichten Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2013/48 in Verbindung mit dem Grundsatz des Vorrangs und der unmittelbaren Wirkung der Richtlinien die Ermittlungsbehörden, die Gerichte und alle staatlichen Stellen, mit der Richtlinie unvereinbare Bestimmungen des nationalen Rechts wie die in Frage 4 genannten unangewendet zu lassen und folglich nach Ablauf der Umsetzungsfrist die genannte nationale Norm durch die oben genannten Vorschriften mit unmittelbarer Wirkung zu ersetzen?

6.

Sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Abs. 5 sowie Art. 9 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 19, 24 und 27 der Richtlinie 2016/1919 dahin auszulegen, dass, wenn keine Entscheidung darüber getroffen wird, ob einer schutzbedürftigen Person oder einer Person, auf die die Vermutung der Schutzbedürftigkeit gemäß Nr. 7 der Empfehlung der Kommission zutrifft, von Amts wegen Prozesskostenhilfe gewährt wird, oder wenn ihr Prozesskostenhilfe versagt wird, das nationale Gericht, das in einem Strafverfahren über die Sache entscheidet, wie auch alle anderen staatlichen Organe der Strafrechtspflege (also auch die Ermittlungsbehörden) anschließend im Hinblick auf die Durchführung von Ermittlungshandlungen unter Beteiligung einer solchen Person durch die Polizeibehörde oder andere Strafverfolgungsbehörden, darunter auch Handlungen, die vor Gericht nicht wiederholt werden können, verpflichtet sind, die mit der Richtlinie unvereinbaren Bestimmungen des nationalen Rechts wie die in Frage 4 genannten unangewendet zu lassen und folglich nach Ablauf der Umsetzungsfrist die genannte nationale Norm durch die oben genannten Vorschriften mit unmittelbarer Wirkung zu ersetzen, auch wenn die Person nach Abschluss der Ermittlungs- (oder Verfolgungs‑)handlungen und Erhebung der Anklage bei Gericht einen Wahlverteidiger benannt hat?

7.

Sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Abs. 5 sowie Art. 9 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 19, 24 und 27 und Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2016/1919 in der Auslegung anhand der Nrn. 6, 7, 11 und 13 der Empfehlung der Kommission dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, sicherzustellen, dass schutzbedürftige Verdächtige unverzüglich identifiziert und als solche anerkannt werden und Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren, auf die eine Vermutung der Schutzbedürftigkeit zutrifft oder die schutzbedürftig sind, von Amts wegen Prozesskostenhilfe gewährt wird, und dass diese Hilfe auch dann verpflichtend ist, wenn die zuständige Behörde keinen unabhängigen Sachverständigen darum ersucht hat, den Grad der Schutzbedürftigkeit, die Bedürfnisse der schutzbedürftigen Person und die Angemessenheit sämtlicher in Bezug auf die schutzbedürftige Person getroffenen oder geplanten Maßnahmen zu beurteilen, bis ein unabhängiger Sachverständiger eine ordnungsgemäße Beurteilung vorgenommen hat?

8.

Falls Frage 7 bejaht wird: Sind die genannten Bestimmungen der Richtlinie und die Empfehlung der Kommission dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie Art. 79 § 1 Nrn. 3 und 4 der Strafprozessordnung entgegenstehen, wonach der Beschuldigte in einem Strafverfahren nur dann einen Rechtsbeistand haben muss, wenn ein begründeter Zweifel am Vorliegen der Voraussetzung besteht, dass seine Fähigkeit, die Bedeutung der Tat zu erkennen oder sein Verhalten zu steuern, zum Zeitpunkt der Begehung der Tat weder ausgeschlossen noch erheblich beeinträchtigt war, oder daran, dass sein psychischer Gesundheitszustand es ihm erlaubt, am Verfahren teilzunehmen oder seine Verteidigung selbst sachgerecht wahrzunehmen?

9.

Sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Abs. 5 sowie Art. 9 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 19, 24 und 27 und Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2016/1919 in der Auslegung anhand der Nrn. 6, 7, 11 und 13 der Empfehlung der Kommission sowie der Grundsatz der Vermutung der Schutzbedürftigkeit dahin auszulegen, dass die zuständigen Behörden (Staatsanwaltschaft, Polizei) spätestens vor der ersten Befragung eines Verdächtigen durch die Polizei oder eine andere zuständige Behörde dafür zu sorgen haben, dass schutzbedürftige Verdächtige in Strafverfahren umgehend als solche identifiziert und anerkannt werden und dass ihnen Prozesskostenhilfe oder Dringlichkeits- bzw. vorläufige Prozesskostenhilfe gewährt wird, und von der Befragung des Verdächtigen Abstand nehmen müssen, bis ihm von Amts wegen Prozesskostenhilfe, Dringlichkeits- bzw. vorläufige Prozesskostenhilfe gewährt wird?

10.

Falls Frage 9 bejaht wird: Sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Abs. 5 sowie Art. 9 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 19, 24 und 27 und Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2016/1919 in der Auslegung anhand der Nrn. 6, 7, 11 und 13 der Empfehlung der Kommission dahin auszulegen, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichten, in ihrem nationalen Recht ausdrücklich die Gründe und Kriterien für Ausnahmen von der umgehenden Feststellung und Anerkennung der Schutzbedürftigkeit eines Verdächtigen in einem Strafverfahren zu bestimmen und sicherzustellen, dass ihm Prozesskostenhilfe oder Dringlichkeits- (bzw. vorläufige) Prozesskostenhilfe gewährt wird, und dass etwaige Ausnahmen verhältnismäßig und zeitlich begrenzt sein und den Grundsatz des fairen Verfahrens wahren müssen und zudem verfahrensrechtlich in Form eines Beschlusses erfolgen müssen, der eine vorübergehende Abweichung zulässt und der die betroffene Partei grundsätzlich dazu berechtigen muss, die Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen?

11.

Sind Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 3 Buchst. a und b der Richtlinie 2013/48 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 und dem 27. Erwägungsgrund sowie mit Art. 8 der Richtlinie 2016/1919 dahin auszulegen, dass dann, wenn die für das Verfahren zuständige Behörde einer Person, für die eine Vermutung der Schutzbedürftigkeit gilt und/oder die schutzbedürftig ist (Nrn. 7 und 11 der Empfehlung der Kommission), keine Prozesskostenhilfe von Amts wegen gewährt und keine Gründe für ihre Entscheidung angibt, keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen, eine solche Person das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf hat und dass als solcher das Institut des nationalen Verfahrensrechts in Art. 344a der Strafprozessordnung anzusehen ist, der bestimmt, dass die Sache an den Staatsanwalt zurückverwiesen wird, damit

a)

die Ermittlungsbehörde den Verdächtigen im Strafverfahren als schutzbedürftig identifiziert und anerkennt;

b)

dem Verdächtigen ermöglicht wird, vor der Befragung einen Verteidiger zu konsultieren;

c)

die Befragung des Verdächtigen in Anwesenheit eines Verteidigers durchgeführt und audiovisuell aufgezeichnet wird;

d)

dem Verteidiger ermöglicht wird, sich mit den Verfahrensakten vertraut zu machen, und etwaige Beweisanträge der schutzbedürftigen Person und des Pflichtverteidigers oder eines von der beschuldigten Person benannten Verteidigers gestellt werden können?

12.

Ist Art. 4 der Charta in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 bis 3 EUV und mit Art. 3 EMRK in Bezug auf die Vermutung der Schutzbedürftigkeit gemäß Nr. 7 der Empfehlung der Kommission dahin auszulegen, dass die Befragung eines Verdächtigen durch einen Polizeibeamten oder eine andere zur Durchführung einer Ermittlungsmaßnahme befugte Person in einem psychiatrischen Krankenhaus ohne Rücksicht auf den Zustand der Ungewissheit und unter Bedingungen, unter denen sich der Betroffene nur sehr eingeschränkt äußern kann und psychisch besonders wehrlos ist, sowie in Abwesenheit eines Rechtsbeistands eine unmenschliche Behandlung darstellt und eine solche Befragung deshalb als mit den Grundrechten der Union unvereinbare Verfahrenshandlung unverwertbar ist?

13.

Falls Frage 12 bejaht wird: Sind die in Frage 12 angeführten Bestimmungen dahin auszulegen, dass sie ein nationales Gericht, das in einer Strafsache entscheidet, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2016/1919 in Verbindung mit Nr. 7 der Empfehlung der Kommission sowie in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2013/48 fällt, wie auch alle anderen Strafverfolgungsbehörden, die Verfahrenshandlungen in der Sache vornehmen, dazu berechtigen (bzw. verpflichten), Bestimmungen des nationalen Rechts, die der Richtlinie 2016/1919 widersprechen, darunter insbesondere Art. 168a der Strafprozessordnung, unangewendet zu lassen und folglich nach Ablauf der Umsetzungsfrist die nationale Norm durch die oben genannten Vorschriften der Richtlinie mit unmittelbarer Wirkung zu ersetzen, auch wenn eine solche Person nach Abschluss der Ermittlungs- (oder Verfolgungs‑)handlungen und Erhebung der Anklage bei Gericht einen Wahlverteidiger benannt hat?

14.

Sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Abs. 5 sowie Art. 9 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 19, 24 und 27 der Richtlinie 2016/1919 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Buchst. a, b und c sowie Art. 3 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2013/48 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und dem Effektivitätsgrundsatz im Unionsrecht dahin auszulegen, dass ein Staatsanwalt, der in einem Strafverfahren im Stadium des Ermittlungsverfahrens tätig ist, verpflichtet ist, alle Anforderungen der Richtlinie 2016/1919, die unmittelbare Wirkung entfalten, einzuhalten und dementsprechend dafür zu sorgen, dass für die verdächtige oder beschuldigte Person, die unter dem Schutz der oben genannten Richtlinien steht, im Verfahren ein wirksamer Rechtsschutz beginnend ab dem frühesten der folgenden Zeitpunkte sichergestellt wird:

a)

vor ihrer Befragung durch die Polizei oder andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörden;

b)

ab der Durchführung von Ermittlungs- oder anderen Beweiserhebungshandlungen durch Ermittlungs- oder andere zuständige Behörden gemäß Art. 3 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2013/48;

c)

unverzüglich nach dem Freiheitsentzug (worunter auch der Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus zu verstehen ist), wobei er erforderlichenfalls verpflichtet ist, etwaige Anordnungen der übergeordneten Staatsanwälte nicht zu beachten, wenn er davon überzeugt ist, dass die Befolgung dieser Anordnungen den wirksamen Schutz des Verdächtigen, für den die Vermutung der Schutzbedürftigkeit gilt bzw. der schutzbedürftig ist, beeinträchtigen würde, einschließlich seines Rechts auf ein faires Verfahren oder eines anderen Rechts, das ihm gemäß der Richtlinie 2016/1919 in Verbindung mit der Richtlinie 2013/48 zusteht?

15.

Für den Fall, dass Frage 14 bejaht wird: Sind Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, der den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes festschreibt, in Verbindung mit Art. 2 EUV sowie in Verbindung mit dem Grundsatz der Achtung der Rechtsstaatlichkeit, wie er in der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgelegt wird (Urteil vom 27. Mai 2019, OG und PI [Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau], C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456), und der in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta verankerte Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses,C‑64/16, EU:C:2018:117) dahin auszulegen, dass diese Grundsätze wegen der Befugnis des Generalstaatsanwalts oder übergeordneter Staatsanwaltschaften, den Staatsanwälten der untergeordneten Ebenen verbindliche Weisungen zu erteilen, die Letztere verpflichten, unmittelbar wirksame Unionsvorschriften unangewendet zu lassen, oder die Anwendung dieser Vorschriften erschweren, sowohl einer nationalen Regelung entgegenstehen, die auf eine unmittelbare Abhängigkeit der Staatsanwaltschaft vom Exekutivorgan, d. h. vom Justizminister, hindeutet, als auch nationalen Rechtsvorschriften, die die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft bei der Anwendung des Unionsrechts einschränken, insbesondere Art. 1 § 2, Art. 3 § 1 Nrn. 1 und 3 und Art. 7 §§ 1 bis 6 und § 8 sowie Art. 13 §§ 1 und 2 der Ustawa – Prawo o prokuraturze (Gesetz über die Staatsanwaltschaft) vom 28. Januar 2016 (Dz. U. 2016, Pos. 176, in geänderter Fassung), wonach der Justizminister, der gleichzeitig Generalstaatsanwalt und die höchste Anklagebehörde ist, berechtigt ist, Staatsanwälten der untergeordneten Ebenen verbindliche Weisungen zu erteilen, auch soweit dadurch die unmittelbare Anwendung des Unionsrechts eingeschränkt oder erschwert wird?

Verfahren vor dem Gerichtshof

47

Das vorlegende Gericht hat ferner beantragt, die vorliegende Rechtssache im beschleunigten Verfahren (Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs) zu behandeln. Mit Beschluss vom 8. November 2023, Barało (C‑530/23, EU:C:2023:927), hat der Präsident des Gerichtshofs nach Anhörung der Berichterstatterin und der Generalanwältin diesen Antrag abgelehnt.

Zu den Vorlagefragen

48

Die Fragen des vorlegenden Gerichts betreffen im Wesentlichen die Auslegung mehrerer Bestimmungen der Richtlinien 2013/48 und 2016/1919. Mit ihnen möchte das vorlegende Gericht in erster Linie wissen, welche Tragweite das Recht einer schutzbedürftigen Person auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und auf Prozesskostenhilfe hat.

49

Zum Hauptgegenstand des Vorabentscheidungsersuchens kommen jedoch Fragen zu mehreren Begriffen des Unionsrechts sowie zu verschiedenen verfahrensrechtlichen Aspekten wie der unmittelbaren Wirkung bestimmter Vorschriften der Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 oder einer etwaigen nach diesen Richtlinien bestehenden Verpflichtung, Rechtsbehelfe zu schaffen, hinzu und überschneiden sich im Wortlaut der verschiedenen Vorlagefragen.

50

In Anbetracht der Verknüpfungen zwischen all diesen Fragen sind an erster Stelle die Fragen 1 bis 10, 13 und 14 zusammen zu prüfen, soweit sie die Tragweite des Rechts einer schutzbedürftigen Person auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und auf Prozesskostenhilfe sowie die Folgen einer etwaigen Unvereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit den Verpflichtungen aus den Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 betreffen, an zweiter Stelle die Fragen 2, 10 und 11, soweit sie das Erfordernis eines wirksamen Rechtsbehelfs im Fall der Verletzung der in diesen Richtlinien vorgesehenen Rechte und die Zulässigkeit von Beweisen betreffen, an dritter Stelle die zwölfte Frage und schließlich an vierter Stelle die fünfzehnte Frage.

Zu den Fragen 1 bis 10, 13 und 14, soweit sie die Tragweite des Rechts einer schutzbedürftigen Person auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und auf Prozesskostenhilfe sowie die Folgen einer etwaigen Unvereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit den Verpflichtungen aus den Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 betreffen

51

Mit seinen Fragen 1 bis 10, 13 und 14 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 Buchst. b, Art. 4 Abs. 5 und Art. 9 der Richtlinie 2016/1919 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Buchst. a bis c sowie Art. 3 Abs. 3 Buchst. a und b der Richtlinie 2013/48 dahin auszulegen sind, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, zum einen dafür zu sorgen, dass die Schutzbedürftigkeit beschuldigter Personen oder Verdächtiger festgestellt und anerkannt wird, bevor sie in einem Strafverfahren befragt werden oder bevor in Bezug auf sie konkrete Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen vorgenommen werden, und zum anderen zu gewährleisten, dass sie für dieses Verfahren Zugang zu einem durch Prozesskostenhilfe finanzierten Rechtsbeistand erhalten.

52

Mit diesen Fragen spricht das vorlegende Gericht mehrere Problemkreise an, die nacheinander zu prüfen sind. Zunächst ist zu klären, welchen Anwendungsbereich die Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 jeweils haben und wie sie miteinander verknüpft sind. Sodann ist der Umfang des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und des Rechts auf Prozesskostenhilfe einer schutzbedürftigen Person zu beurteilen. Um dem vorlegenden Gericht eine vollständige Antwort zu geben, ist schließlich darauf einzugehen, welche Folgen eine etwaige Unvereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit den Verpflichtungen aus den Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 hat.

Zum jeweiligen Anwendungsbereich der Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 sowie zu ihrer Verknüpfung

53

Aus Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2016/1919 geht ausdrücklich hervor, dass sie die Richtlinie 2013/48 ergänzt, wobei das Recht auf Prozesskostenhilfe an die Ausübung des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand geknüpft ist. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie 2016/1919 sieht außerdem vor, dass sie auf Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren Anwendung findet, die ein Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand nach Maßgabe der Richtlinie 2013/48 haben und denen die Freiheit entzogen ist, die nach Maßgabe des Unionsrechts oder des nationalen Rechts die Unterstützung eines Rechtsbeistands erhalten müssen oder deren Anwesenheit bei bestimmten Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen vorgeschrieben oder zulässig ist.

54

Nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a bis d der Richtlinie 2013/48 müssen Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren ab dem zuerst eintretenden von vier Zeitpunkten in jedem Fall Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten können. Dieses Recht muss ihnen erstens vor ihrer Befragung durch die Polizei oder andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörden, zweitens ab der Durchführung bestimmter Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen, drittens unverzüglich nach dem Entzug der Freiheit oder viertens rechtzeitig, bevor sie vor einem zuständigen Gericht erscheinen, gewährt werden.

55

Aus diesen verschiedenen Bestimmungen ergibt sich somit, dass der Eintritt der in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a bis d der Richtlinie 2013/48 aufgeführten Zeitpunkte Voraussetzung nicht nur für die Entstehung des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand ist, sondern zugleich für die Anwendbarkeit der Richtlinie 2016/1919 und des durch sie geschaffenen Anspruchs auf Prozesskostenhilfe.

56

Diese Gleichzeitigkeit des mit den beiden Richtlinien gewährten Schutzes ergibt sich auch aus Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2016/1919, der den Mitgliedstaaten ausdrücklich vorschreibt, sicherzustellen, dass Prozesskostenhilfe unverzüglich und spätestens vor einer Befragung durch die Polizei, eine andere Strafverfolgungsbehörde oder eine Justizbehörde oder vor der Durchführung einer der in ihrem Art. 2 Abs. 1 Buchst. c genannten Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen bewilligt wird.

57

Die Bedeutung einer frühzeitigen Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird durch den 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/1919 bestätigt. Aus ihm geht hervor, dass eine vorübergehende Einbeziehung der Polizei und der Staatsanwaltschaft in das Bewilligungsverfahren möglich sein sollte, sofern dies in dringenden Fällen für ihre rechtzeitige Bewilligung erforderlich ist.

58

Durch Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2016/1919 wird daher das mit ihr verfolgte Ziel umgesetzt, das nach ihrem ersten Erwägungsgrund darin besteht, die Effektivität des in der Richtlinie 2013/48 vorgesehenen Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand zu gewährleisten, indem Verdächtigen oder beschuldigten Personen in Strafverfahren die Unterstützung eines durch Prozesskostenhilfe finanzierten Rechtsbeistands zur Verfügung gestellt wird.

59

Das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand ist nämlich ein Grundprinzip, das Verdächtigen und beschuldigten Personen die konkrete und wirksame Ausübung ihrer Verteidigungsrechte ermöglichen soll. Daher müssen Verdächtige und beschuldigte Personen unverzüglich und in jedem Fall ab dem zuerst eintretenden der vier spezifischen in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a bis d der Richtlinie 2013/48 aufgeführten Zeitpunkte, zu denen der Zeitpunkt ihrer Befragung durch die Polizei gehört, Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Mai 2024, Stachev, C‑15/24 PPU, EU:C:2024:399, Rn. 47 und 48). Folglich muss die Prozesskostenhilfe selbst, um ihre Wirkung zu entfalten, in einem frühen Verfahrensstadium eingreifen (vgl. entsprechend Urteil vom 19. September 2019, Rayonna prokuratura Lom, C‑467/18, EU:C:2019:765, Rn. 50).

Zur Tragweite des Anspruchs einer schutzbedürftigen Person auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und auf Prozesskostenhilfe

60

In Bezug auf die Situation schutzbedürftiger Personen verpflichten Art. 13 der Richtlinie 2013/48 und Art. 9 der Richtlinie 2016/1919 die Mitgliedstaaten mit ähnlichem Wortlaut, dafür zu sorgen, dass bei der Umsetzung dieser Richtlinien die besonderen Bedürfnisse schutzbedürftiger Verdächtiger und schutzbedürftiger beschuldigter Personen berücksichtigt werden.

61

Hierzu hat der Gerichtshof erstens entschieden, dass Personen mit psychischen Erkrankungen zu den von Art. 13 der Richtlinie 2013/48 erfassten schutzbedürftigen Personen gehören (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2019, Rayonna prokuratura Lom, C‑467/18, EU:C:2019:765, Rn. 48). Da, wie oben in Rn. 53 ausgeführt, die Richtlinie 2016/1919 die Richtlinie 2013/48 ergänzt und da mit beiden Richtlinien das gemeinsame Ziel verfolgt wird, den Schutz der Rechte von Verdächtigen oder beschuldigten Personen im Strafverfahren zu gewährleisten, können ihre jeweiligen persönlichen Anwendungsbereiche nicht voneinander abweichen. Folglich gehören Personen mit psychischen Erkrankungen auch zur Kategorie der schutzbedürftigen Personen im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2016/1919.

62

Was zweitens die vom vorlegenden Gericht in seiner dritten Frage angesprochene etwaige Verpflichtung der Mitgliedstaaten betrifft, in Strafverfahren eine Vermutung der Schutzbedürftigkeit zu schaffen, ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber keine näheren Angaben zum Umfang der den Mitgliedstaaten durch Art. 13 der Richtlinie 2013/48 oder Art. 9 der Richtlinie 2016/1919 auferlegten Verpflichtung gemacht hat. Daher kann aus diesen beiden Bestimmungen nicht abgeleitet werden, dass die Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen verpflichtet sind, eine Vermutung der Schutzbedürftigkeit des Verdächtigen oder der beschuldigten Person aufzustellen.

63

Es trifft zwar zu, dass nach der Empfehlung der Kommission, die das vorlegende Gericht zur Stützung seines Vorabentscheidungsersuchens anführt, die Mitgliedstaaten eine solche Vermutung u. a. für Personen vorsehen sollten, die durch eine Geisteskrankheit daran gehindert sind, das Verfahren zu verstehen und tatsächlich daran teilzunehmen.

64

Diese Empfehlung ist jedoch ein nicht bindender Rechtsakt, der keine Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten begründen kann. Dies gilt umso mehr im Kontext einer Mindestharmonisierung, die nicht zur Konkretisierung des im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/48 und im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/1919 angeführten Projekts eines verbindlichen Rechtstextes in Bezug auf besondere Garantien für schutzbedürftige Verdächtige oder beschuldigte Personen durch den Unionsgesetzgeber geführt hat.

65

Im 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/1919 heißt es allerdings, dass die Mitgliedstaaten die Grundsätze und Leitlinien der Vereinten Nationen für den Zugang zu Prozesskostenhilfe in Strafjustizsystemen beachten sollten.

66

Nach Rn. 23 dieser Grundsätze und Leitlinien obliegt es der Polizei, den Anklägern und den Richtern, zu gewährleisten, dass denjenigen, die vor ihnen erscheinen und sich keinen Rechtsanwalt leisten können und/oder schutzbedürftig sind, Zugang zu rechtlicher Unterstützung gewährt wird. Ferner sollten nach Nr. 32 dieser Grundsätze und Leitlinien besondere Maßnahmen getroffen werden, um zu gewährleisten, dass Gruppen mit besonderen Bedürfnissen, darunter Menschen mit psychischen Erkrankungen und Drogenkonsumenten, effektiven Zugang zu rechtlicher Unterstützung haben.

67

Außerdem sollten Anklage‑, Strafverfolgungs- und Justizbehörden nach dem 51. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/48 Personen, die sich in einer potenziell schwachen Position befinden, die wirksame Ausübung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte erleichtern. Zu diesem Zweck sollten sie, wie es dort weiter heißt, u. a. etwaige Benachteiligungen, die die Fähigkeit dieser Personen beeinträchtigen, das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand wahrzunehmen, berücksichtigen und geeignete Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass dieses Recht gewährleistet ist.

68

Daraus folgt, dass die Ermittlungsbehörden oder jede andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörde wie die Staatsanwälte sicherstellen müssen, dass die Schutzbedürftigkeit eines Verdächtigen oder einer beschuldigten Person festgestellt und anerkannt wird, bevor dieser Verdächtige oder diese Person in einem Strafverfahren befragt wird oder bevor in Bezug auf sie konkrete Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen vorgenommen werden, damit solche Personen, wie oben in Rn. 59 ausgeführt, ihre Verteidigungsrechte konkret und wirksam ausüben können.

69

Überdies geht aus dem 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/1919 hervor, dass angesichts der besonderen Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen die Stellung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe durch den Verdächtigen oder die beschuldigte Person keine materiell-rechtliche Voraussetzung für ihre Bewilligung sein sollte.

70

Somit wollte der Unionsgesetzgeber zwar keine Vermutung der Schutzbedürftigkeit von Verdächtigen oder beschuldigten Personen aufstellen, aber die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auch nicht von einem Antrag der schutzbedürftigen Person abhängig machen.

71

Drittens darf die Entscheidung eines Mitgliedstaats, im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2016/1919 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig zu machen, ihre Bewilligung im Fall einer schutzbedürftigen Person nicht verzögern. Wie es im 19. Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt, sollten die zuständigen Behörden, falls sie nicht in der Lage sind, der betroffenen Person vor ihrer Befragung durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörde oder vor der Durchführung konkreter Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen Prozesskostenhilfe zu bewilligen, nämlich vor einer solchen Befragung oder vor der Durchführung solcher konkreter Handlungen eine Dringlichkeits-Prozesskostenhilfe oder eine vorläufige Prozesskostenhilfe gewähren.

72

Daraus folgt, dass eine schutzbedürftige Person, etwa eine Person mit psychischen Erkrankungen, unverzüglich und spätestens vor ihrer Befragung durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörde oder vor der Durchführung von Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen, bei denen ihre Teilnahme vorgeschrieben oder zulässig ist, Zugang zu einem durch Prozesskostenhilfe finanzierten Rechtsbeistand erhalten muss.

Zu den Folgen einer etwaigen Unvereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit den Verpflichtungen aus den Richtlinien 2013/48 und 2016/1919

73

Im vorliegenden Fall geht aus den Angaben des vorlegenden Gerichts hervor, dass die einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts, insbesondere Art. 79 § 1 Nrn. 3 und 4 der Strafprozessordnung, die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zwingend vorschreiben, wenn ein begründeter Zweifel am Vorliegen der Voraussetzung besteht, dass die Fähigkeit der beschuldigten Person, die Bedeutung der Tat zu erkennen oder ihr Verhalten zu steuern, zum Zeitpunkt der Begehung der Tat weder ausgeschlossen noch erheblich beeinträchtigt war, oder wenn ein begründeter Zweifel daran besteht, dass ihr psychischer Gesundheitszustand es ihr erlaubt, am Verfahren teilzunehmen oder ihre Verteidigung selbst sachgerecht wahrzunehmen. Gemäß Art. 301 der Strafprozessordnung wird der Verdächtige auf seinen Antrag in Gegenwart des bestellten Verteidigers befragt, wobei dessen Abwesenheit einer Befragung nicht entgegensteht.

74

Das vorlegende Gericht fragt den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit solcher Bestimmungen mit Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/48 sowie mit Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 Buchst. b, Art. 4 Abs. 5 und Art. 9 der Richtlinie 2016/1919. Es möchte ferner wissen, ob die Ermittlungsbehörden, die Gerichte oder sonstige staatliche Stellen verpflichtet sind, mit dem Unionsrecht unvereinbare nationale Bestimmungen unangewendet zu lassen und sie durch die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen der Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 zu ersetzen.

75

Insoweit ist es im Rahmen der Aufgabenverteilung zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, die Art. 267 AEUV zugrunde liegt, nicht Sache des Gerichtshofs, die Bestimmungen des nationalen Rechts auszulegen oder über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Unionsrecht zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Februar 1977, Benedetti, 52/76, EU:C:1977:16, Rn. 25, vom 21. Januar 1993, Deutsche Shell, C‑188/91, EU:C:1993:24, Rn. 27, und vom 15. Oktober 2024, KUBERA, C‑144/23, EU:C:2024:881, Rn. 53).

76

Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die genannten Bestimmungen des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Allerdings ist es Sache des Gerichtshofs, dem vorlegenden Gericht im Licht der Angaben in der Vorlageentscheidung sachdienliche Hinweise zu geben (Urteile vom 9. April 2024, Profi Credit Polska [Wiederaufnahme eines durch rechtskräftige Entscheidung beendeten Verfahrens], C‑582/21, EU:C:2024:282, Rn. 64, und vom 15. Oktober 2024, KUBERA, C‑144/23, EU:C:2024:881, Rn. 53).

77

In diesem Rahmen ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts die nationalen Gerichte, um die Wirksamkeit sämtlicher Bestimmungen des Unionsrechts zu gewährleisten, u. a. verpflichtet, ihr innerstaatliches Recht so weit wie möglich im Licht des Wortlauts und des Zwecks des betreffenden Unionsrechtsakts auszulegen, um ein Ergebnis zu erzielen, das mit dem von ihm verfolgten Ziel im Einklang steht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a., C‑397/01 bis C‑403/01, EU:C:2004:584, Rn. 119, vom 29. Juni 2017, Popławski, C‑579/15, EU:C:2017:503, Rn. 31, und vom 5. September 2024, M. S. u. a. [Verfahrensrechte einer minderjährigen Person], C‑603/22, EU:C:2024:685, Rn. 116).

78

Die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts hat jedoch bestimmte Grenzen und darf insbesondere nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. Juni 2017, Popławski, C‑579/15, EU:C:2017:503, Rn. 33, und vom 5. September 2024, M. S. u. a. [Verfahrensrechte einer minderjährigen Person], C‑603/22, EU:C:2024:685, Rn. 117).

79

Kann das nationale Recht nicht im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts ausgelegt werden, ist das nationale Gericht nach dem Vorrangsgrundsatz verpflichtet, in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit für die volle Wirksamkeit der Anforderungen des Unionsrechts Sorge zu tragen. Hierzu muss das Gericht erforderlichenfalls jede – auch spätere – nationale Regelung oder Praxis, die gegen eine Bestimmung des Unionsrechts mit unmittelbarer Wirkung verstößt, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser nationalen Regelung oder Praxis auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. September 2024, M. S. u. a. [Verfahrensrechte einer minderjährigen Person], C‑603/22, EU:C:2024:685, Rn. 118).

80

Die zuständigen nationalen Behörden sind nämlich verpflichtet, für die Wahrung der den unmittelbar betroffenen natürlichen oder juristischen Personen aus einer Bestimmung des Unionsrechts, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheint, erwachsenden Rechte zu sorgen (vgl. entsprechend Urteile vom 3. Oktober 2019, Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland u. a., C‑197/18, EU:C:2019:824, Rn. 32, und vom 19. Mai 2022, Spetsializirana prokuratura [Verhandlung gegen einen flüchtigen Angeklagten], C‑569/20, EU:C:2022:401, Rn. 28).

81

Aus diesem Blickwinkel obliegt es in Ermangelung fristgemäß erlassener Durchführungsmaßnahmen oder bei nicht ordnungsgemäßer Umsetzung einer Richtlinie den nationalen Gerichten und allen staatlichen Organen, für die Wahrung der genannten Rechte zu sorgen. Diese Organe, zu denen Strafverfolgungs- und Justizbehörden wie Polizei und Staatsanwaltschaft gehören, sind nämlich ebenso wie das nationale Gericht verpflichtet, jede Vorschrift des nationalen Rechts, die nicht mit den unbedingten und hinreichend genauen Bestimmungen einer Richtlinie im Einklang steht, unangewendet zu lassen und deren Bestimmungen anzuwenden, soweit sie so geartet sind, dass sie Rechte festlegen, die der Einzelne dem Staat gegenüber geltend machen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Januar 1982, Becker, 8/81, EU:C:1982:7, Rn. 25, vom 22. Juni 1989, Costanzo, 103/88, EU:C:1989:256, Rn. 30 und 31, vom 19. November 1991, Francovich u. a., C‑6/90 und C‑9/90, EU:C:1991:428, Rn. 11, und vom 20. April 2023, Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato [Gemeinde Ginosa], C‑348/22, EU:C:2023:301, Rn. 77).

82

Was zweitens die unmittelbare Wirkung der oben in Rn. 74 genannten Bestimmungen des Unionsrechts betrifft, ist nach ständiger Rechtsprechung eine Bestimmung des Unionsrechts zum einen unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahme der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf als des Rechtsakts, mit dem sie in nationales Recht umgesetzt wird, und zum anderen hinreichend genau, um von einem Einzelnen geltend gemacht und vom Gericht angewandt zu werden, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung aufstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. April 1968, Molkerei-Zentrale Westfalen/Lippe,28/67, EU:C:1968:17, S. 230 f., vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Unmittelbare Wirkung], C‑205/20, EU:C:2022:168, Rn. 18, und vom 1. August 2022, TL [Keine Dolmetschleistungen und Übersetzungen], C‑242/22 PPU, EU:C:2022:611, Rn. 50).

83

Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass eine Richtlinienbestimmung auch dann, wenn die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen gewissen Gestaltungsspielraum beim Erlass ihrer Durchführungsvorschriften lässt, als unbedingt und genau angesehen werden kann, sofern sie den Mitgliedstaaten unmissverständlich eine Verpflichtung zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses auferlegt, die im Hinblick auf die Anwendung der dort aufgestellten Regel durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Unmittelbare Wirkung], C‑205/20, EU:C:2022:168, Rn. 19, und vom 1. August 2022, TL [Keine Dolmetschleistungen und Übersetzungen], C‑242/22 PPU, EU:C:2022:611, Rn. 51). Entscheidend ist insoweit, dass der den Mitgliedstaaten durch die betreffende Richtlinie eingeräumte Gestaltungsspielraum der Ermittlung des Inhalts des Mindestschutzes oder der Mindestgarantie nicht entgegensteht, in dessen oder deren Genuss die von ihr erfassten Personen kommen müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juli 1994, Faccini Dori, C‑91/92, EU:C:1994:292, Rn. 17, und vom 20. April 2023, Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato [Gemeinde Ginosa], C‑348/22, EU:C:2023:301, Rn. 65).

84

Was erstens Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/48 betrifft, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut ihres Art. 3 Abs. 2, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen unverzüglich und in jedem Fall spätestens ab dem zuerst eintretenden der vier in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a bis d nacheinander aufgeführten Zeitpunkte Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten können. Diese Bestimmung hat somit unmittelbare Wirkung, da sie den Mitgliedstaaten unmissverständlich vorschreibt, ab dem Eintritt bestimmter Zeitpunkte den Zugang zu einem Rechtsbeistand zu gewährleisten, ohne dass die Mitgliedstaaten über einen Gestaltungsspielraum verfügen oder diese Verpflichtung an eine Bedingung knüpfen können und ohne dass es einer Maßnahme der Union oder der Mitgliedstaaten bedarf.

85

Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2013/48, der regelt, welche Bestandteile das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand hat, kommt ebenfalls unmittelbare Wirkung zu, da er in nicht an Bedingungen geknüpfter und hinreichend genauer Weise einen Mindestschutz für Verdächtige oder beschuldigte Personen vorschreibt.

86

Zweitens enthält auch Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2016/1919 eine klar festgelegte Verpflichtung, deren Erfüllung nicht an Bedingungen geknüpft ist.

87

Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung muss Verdächtigen und beschuldigten Personen nämlich unverzüglich und spätestens vor einer Befragung durch die Polizei, eine andere Strafverfolgungsbehörde oder eine Justizbehörde oder vor der Durchführung einer der in Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2016/1919 genannten Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen Prozesskostenhilfe bewilligt werden.

88

Daraus folgt, dass der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten, auch wenn sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe von einer Bedürftigkeitsprüfung, einer Prüfung der materiellen Kriterien oder beidem abhängig machen können (Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2016/1919), keinen Einfluss darauf haben kann, zu welchem Zeitpunkt sie zu bewilligen ist, denn er wird durch die Angabe einer genauen zeitlichen Grenze in Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie umschrieben.

89

Drittens enthält Art. 9 der Richtlinie 2016/1919, der den Mitgliedstaaten vorschreibt, dafür zu sorgen, dass die besonderen Bedürfnisse schutzbedürftiger Verdächtiger oder beschuldigter Personen berücksichtigt werden, eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses, die im Hinblick auf die Anwendung der dort aufgestellten Regel durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt ist.

90

Der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Art und Weise, in der die besonderen Bedürfnisse von Verdächtigen oder beschuldigten Personen in besonders schutzbedürftiger Lage zu berücksichtigen sind, wird nämlich durch ihre in der genannten Bestimmung allgemein und unmissverständlich aufgestellte Verpflichtung begrenzt, bei der Umsetzung der Richtlinie dafür zu sorgen, dass diese Personen besonders berücksichtigt werden.

91

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, die u. a. oben in Rn. 73 angeführten nationalen Bestimmungen so weit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten. Kann es eine solche Auslegung nicht vornehmen, muss es die mit Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/48 sowie mit Art. 4 Abs. 5 und Art. 9 der Richtlinie 2016/1919 unvereinbaren nationalen Bestimmungen aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen und die genannten Richtlinienbestimmungen anwenden, da die darin aufgestellten Verpflichtungen für alle Einrichtungen der Mitgliedstaaten gelten, zu denen auch die Strafverfolgungsbehörden wie Polizei und Staatsanwaltschaft gehören.

Ergebnis in Bezug auf die Fragen 1 bis 10, 13 und 14

92

Nach alledem ist auf die Fragen 1 bis 10, 13 und 14 zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. b, Art. 4 Abs. 5 und Art. 9 der Richtlinie 2016/1919 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Buchst. a bis c und Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2013/48 dahin auszulegen sind, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, zum einen dafür zu sorgen, dass die Schutzbedürftigkeit beschuldigter Personen oder Verdächtiger festgestellt und anerkannt wird, bevor sie in einem Strafverfahren befragt werden oder bevor in Bezug auf sie konkrete Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen vorgenommen werden, und zum anderen zu gewährleisten, dass sie für dieses Verfahren unverzüglich und spätestens vor ihrer Befragung durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörde oder vor der Durchführung von Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen, bei denen ihre Teilnahme vorgeschrieben oder zulässig ist, Zugang zu einem durch Prozesskostenhilfe finanzierten Rechtsbeistand erhalten.

Zu den Fragen 2, 10, 11 und 13, soweit sie das Erfordernis eines wirksamen Rechtsbehelfs und die Zulässigkeit von Beweisen betreffen

93

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht in seiner elften Frage Art. 8 der Richtlinie 2016/1919 und nicht Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2013/48 anführt. In der Begründung seines Vorabentscheidungsersuchens nimmt es jedoch auf die letztgenannte Bestimmung Bezug, wobei beide Artikel Rechtsbehelfe betreffen und ähnlich formuliert sind.

94

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen 2, 10, 11 und 13 im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 12 der Richtlinie 2013/48 und Art. 8 der Richtlinie 2016/1919 dahin auszulegen sind, dass sie vorschreiben, dass Entscheidungen, mit denen geprüft wird, ob ein Verdächtiger oder eine beschuldigte Person schutzbedürftig ist, und Entscheidungen, einer schutzbedürftigen Person Prozesskostenhilfe zu versagen und sie in Abwesenheit eines Rechtsbeistands zu befragen, mit Gründen zu versehen sind und Gegenstand eines wirksamen Rechtsbehelfs sein können. Überdies möchte das vorlegende Gericht wissen, ob diese Bestimmungen dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es einem Richter in einem Strafverfahren nicht erlaubt, belastende Beweise, die auf Aussagen einer schutzbedürftigen Person während einer durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungsbehörde unter Verletzung der in den Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 vorgesehenen Rechte durchgeführten Befragung beruhen, für unzulässig zu erklären.

95

Insoweit ergibt sich zunächst bereits aus dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2013/48 und Art. 8 der Richtlinie 2016/1919, dass Verdächtigen oder beschuldigten Personen bei Verletzung ihrer in diesen Richtlinien vorgesehenen Rechte ein wirksamer Rechtsbehelf nach nationalem Recht zustehen muss.

96

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die erstgenannte Bestimmung die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Wahrung des Rechts auf ein faires Verfahren und der Verteidigungsrechte, die in Art. 47 bzw. in Art. 48 Abs. 2 der Charta verankert sind, zu gewährleisten, indem sie einen wirksamen Rechtsbehelf vorsehen, der es jedem Verdächtigen und jeder beschuldigten Person ermöglicht, ein Gericht anzurufen, das zu prüfen hat, ob seine bzw. ihre Rechte aus der Richtlinie 2013/48 verletzt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2023, Rayonna prokuratura Lovech, teritorialno otdelenie Lukovit [Leibesvisitation], C‑209/22, EU:C:2023:634, Rn. 51).

97

Art. 8 der Richtlinie 2016/1919 ist in gleicher Weise auszulegen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nämlich ein Aspekt des in Art. 47 Abs. 3 der Charta ausdrücklich garantierten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, da das Ziel dieser Richtlinie darin besteht, die Wirksamkeit des in der Richtlinie 2013/48 vorgesehenen Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand zu gewährleisten. In ihrem Zusammenwirken tragen diese beiden Richtlinien somit zur Verwirklichung des in Art. 47 Abs. 1 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei, da die Bewilligung von Prozesskostenhilfe den Zugang zu einem Rechtsbeistand erleichtert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2023, K. B. und F. S. [Prüfung von Amts wegen im Strafverfahren], C‑660/21, EU:C:2023:498, Rn. 44).

98

Folglich sind Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2013/48 und Art. 8 der Richtlinie 2016/1919 dahin auszulegen, dass sie jeder nationalen Maßnahme entgegenstehen, die ein Hindernis für die Ausübung wirksamer Rechtsbehelfe im Fall der Verletzung der durch diese Richtlinien umgesetzten Rechte darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. September 2019, Rayonna prokuratura Lom, C‑467/18, EU:C:2019:765, Rn. 57 und 58, sowie vom 22. Juni 2023, K. B. und F. S. [Prüfung von Amts wegen im Strafverfahren], C‑660/21, EU:C:2023:498, Rn. 37).

99

Ferner schreiben die Art. 47 und 48 der Charta den Mitgliedstaaten nicht vor, eigenständige Rechtsbehelfe für Verdächtige oder beschuldigte Personen zu schaffen, damit sie die ihnen durch diese Richtlinien verliehenen Rechte verteidigen können. Nach ständiger Rechtsprechung zwingt das Unionsrecht, einschließlich der Bestimmungen der Charta, die Mitgliedstaaten nämlich nicht dazu, neben den nach innerstaatlichem Recht bereits bestehenden Rechtsbehelfen neue zu schaffen, es sei denn, es gibt nach dem System der betreffenden nationalen Rechtsordnung keinen Rechtsbehelf, mit dem wenigstens inzident die Wahrung der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleistet werden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. März 2007, Unibet, C‑432/05, EU:C:2007:163, Rn. 71, vom 21. Dezember 2021, Randstad Italia, C‑497/20, EU:C:2021:1037, Rn. 62, und vom 7. September 2023, Rayonna prokuratura Lovech, teritorialno otdelenie Lukovit [Leibesvisitation], C‑209/22, EU:C:2023:634, Rn. 54).

100

Insoweit ist hinzuzufügen, dass nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2013/48 und Art. 8 der Richtlinie 2016/1919 die Möglichkeit, etwaige Verletzungen der durch diese Richtlinien verliehenen Rechte feststellen zu lassen, „nach nationalem Recht“ gewährt wird, wobei nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 für die Zulässigkeit von Beweismitteln die nationalen Vorschriften und Regelungen maßgebend sind.

101

Die genannten Bestimmungen legen somit nicht fest, anhand welcher Modalitäten Verletzungen dieser Rechte geltend gemacht werden müssen, und lassen damit den Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum für die Festlegung der spezifischen Verfahren, die insoweit Anwendung finden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2023, Rayonna prokuratura Lovech, teritorialno otdelenie Lukovit [Leibesvisitation], C‑209/22, EU:C:2023:634, Rn. 52), vorbehaltlich, wie sich aus Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 ergibt, der Beachtung der Verteidigungsrechte und der Einhaltung eines fairen Verfahrens bei der Beurteilung von Aussagen von Verdächtigen oder beschuldigten Personen oder von Beweisen, die unter Missachtung ihres Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand erlangt wurden.

102

Mithin verpflichten diese Richtlinien das nationale Gericht nicht, alle Beweise, die unter Verletzung der durch die Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 verliehenen Rechte erlangt wurden, automatisch auszuschließen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die nach den Erwägungsgründen 50 und 53 der Richtlinie 2013/48 sowie den Erwägungsgründen 17 und 30 der Richtlinie 2016/1919 zu berücksichtigen ist, ist es jedoch Sache der innerstaatlichen Gerichte, zu prüfen, ob ein festgestellter Verfahrensfehler im Lauf des weiteren Verfahrens geheilt wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Mai 2024, Stachev, C‑15/24 PPU, EU:C:2024:399, Rn. 96).

103

Folglich ist, falls Beweise unter Missachtung der Vorgaben dieser Richtlinien erlangt wurden, zu ermitteln, ob das Strafverfahren zum Zeitpunkt der Entscheidung des angerufenen Gerichts unter Berücksichtigung einer Reihe von Faktoren – u. a. der Fragen, ob die ohne Anwesenheit eines Verteidigers erfolgte Einlassung einen integralen oder maßgeblichen Bestandteil des belastenden Beweismaterials darstellt sowie welcher Beweiswert den anderen vorhandenen Beweisen zukommt – in der Gesamtschau trotz dieses Defizits als fair angesehen werden kann (Urteil vom 14. Mai 2024, Stachev, C‑15/24 PPU, EU:C:2024:399, Rn. 97).

104

Daraus folgt, dass das Unionsrecht den Mitgliedstaaten nicht auferlegt, vorzusehen, dass ein Gericht belastende Beweise, die aus Aussagen einer schutzbedürftigen Person während einer von der Polizei oder einer anderen Strafverfolgungsbehörde unter Verletzung der in den Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 vorgesehenen Rechte durchgeführten Befragung gewonnen wurden, für unzulässig erklären kann, allerdings unter der Voraussetzung, dass das Gericht im Strafverfahren in der Lage ist, zu überprüfen, dass diese Rechte im Licht von Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 der Charta gewahrt wurden, und alle Konsequenzen zu ziehen, die sich aus der Rechtsverletzung ergeben, insbesondere in Bezug auf den Beweiswert der unter diesen Umständen erlangten Beweise (vgl. entsprechend Urteil vom 5. September 2024, M. S. u. a. [Verfahrensrechte einer minderjährigen Person], C‑603/22, EU:C:2024:685, Rn. 174).

105

Schließlich ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 verpflichtet sind, die Einhaltung der Anforderungen zu gewährleisten, die sich sowohl aus dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und dem Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta als auch aus den in Art. 48 Abs. 2 der Charta verankerten Verteidigungsrechten ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2023, K. B. und F. S. [Prüfung von Amts wegen im Strafverfahren], C‑660/21, EU:C:2023:498, Rn. 40).

106

Nach ständiger Rechtsprechung ist die Übermittlung der Gründe ein Aspekt des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, da sie es ermöglicht, eine wirksame gerichtliche Kontrolle sicherzustellen. Damit ein Verdächtiger oder eine beschuldigte Person die durch diese Richtlinien verliehenen Rechte unter bestmöglichen Bedingungen verteidigen und in vollständiger Kenntnis der Sachlage entscheiden kann, ob es tunlich ist, den Rechtsweg zu beschreiten, ist die zuständige nationale Behörde zudem verpflichtet, die Gründe mitzuteilen, auf denen ihre Ablehnung beruht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 1987, Heylens u. a., 222/86, EU:C:1987:442, Rn. 15, und vom 17. März 2011, Peñarroja Fa, C‑372/09 und C‑373/09, EU:C:2011:156, Rn. 63).

107

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen sind Art. 12 der Richtlinie 2013/48 und Art. 8 der Richtlinie 2016/1919 dahin auszulegen, dass sie vorschreiben, dass Entscheidungen, mit denen geprüft wird, ob ein Verdächtiger oder eine beschuldigte Person schutzbedürftig ist, und Entscheidungen, einer schutzbedürftigen Person Prozesskostenhilfe zu versagen und sie in Abwesenheit eines Rechtsbeistands zu befragen, mit Gründen zu versehen sind und Gegenstand eines wirksamen Rechtsbehelfs sein können.

108

Dagegen stehen diese Bestimmungen einer nationalen Regelung nicht entgegen, die es einem Richter in einem Strafverfahren nicht erlaubt, belastende Beweise, die auf Aussagen einer schutzbedürftigen Person während einer durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungsbehörde unter Verletzung der in den Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 vorgesehenen Rechte durchgeführten Befragung beruhen, für unzulässig zu erklären, allerdings unter der Voraussetzung, dass das Gericht im Strafverfahren in der Lage ist, zum einen zu überprüfen, dass diese Rechte im Licht von Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 der Charta gewahrt wurden, und zum anderen alle Konsequenzen zu ziehen, die sich aus der Rechtsverletzung ergeben, insbesondere in Bezug auf den Beweiswert der unter diesen Umständen erlangten Beweise.

Zur zwölften Frage

109

Mit seiner zwölften Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Befragung eines Verdächtigen, die in dem psychiatrischen Krankenhaus, in dem er sich aufhält, ohne Hinzuziehung eines Rechtsbeistands und ohne Rücksicht auf den Zustand der Ungewissheit, in dem er sich befindet, unter Bedingungen durchgeführt wird, unter denen er sich nur sehr eingeschränkt äußern kann und psychisch besonders wehrlos ist, eine unmenschliche Behandlung im Sinne u. a. von Art. 4 der Charta darstellt.

110

Insoweit ist nach ständiger Rechtsprechung eine Auslegung des Unionsrechts, die für das vorlegende Gericht von Nutzen ist, nur dann möglich, wenn es den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen, auf denen die Fragen beruhen, erläutert. Außerdem muss es im Einzelnen angeben, aus welchen Gründen ihm die Auslegung des Unionsrechts fraglich und ein Ersuchen um Vorabentscheidung an den Gerichtshof erforderlich erscheint (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Januar 1993, Telemarsicabruzzo u. a., C‑320/90 bis C‑322/90, EU:C:1993:26, Rn. 6, vom 8. September 2009, Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, C‑42/07, EU:C:2009:519, Rn. 40, und vom 29. Juli 2024, LivaNova, C‑713/22, EU:C:2024:642, Rn. 54).

111

Gemäß Art. 94 Buchst. a und c der Verfahrensordnung muss ein Vorabentscheidungsersuchen u. a. eine kurze Darstellung des maßgeblichen Sachverhalts oder zumindest eine Darstellung der tatsächlichen Umstände, auf denen die Fragen beruhen, sowie eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang enthalten, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt.

112

Im vorliegenden Fall enthält das Vorabentscheidungsersuchen keine Informationen zu den Bedingungen, unter denen die Befragung von K. P. im Krankenhaus durchgeführt wurde. Ihm lässt sich auch nicht entnehmen, inwiefern eine Antwort auf die zwölfte Frage erforderlich sein soll, um dem vorlegenden Gericht die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits zu ermöglichen.

113

Unter diesen Umständen ist die zwölfte Frage unzulässig.

Zur fünfzehnten Frage

114

Mit seiner fünfzehnten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Staatsanwaltschaft unmittelbar von einem Exekutivorgan abhängig ist, und, wenn ja, ob der Staatsanwalt in der vorgerichtlichen Phase des Strafverfahrens die Bestimmungen einer solchen Regelung unangewendet lassen muss.

115

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Angaben des vorlegenden Gerichts, dass im Rahmen des Ausgangsverfahrens die vorgerichtliche Phase des Strafverfahrens abgeschlossen ist. Unter diesen Umständen zielt die Frage, ob der Staatsanwalt in dieser Phase verpflichtet ist, gegen das Unionsrecht verstoßende nationale Bestimmungen unangewendet zu lassen, um die Wirksamkeit der Rechte schutzbedürftiger Personen zu gewährleisten, nicht darauf ab, das Unionsrecht für die objektiven Zwecke der Entscheidung des Ausgangsverfahrens auszulegen, sondern hat allgemeinen und hypothetischen Charakter.

116

Nach ständiger Rechtsprechung ist das durch Art. 267 AEUV geschaffene Verfahren aber ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten benötigen, und die Rechtfertigung des Vorabentscheidungsersuchens liegt nicht in der Erstattung von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern darin, dass es für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Dezember 1981, Foglia, 244/80, EU:C:1981:302, Rn. 18, vom 18. Oktober 1990, Dzodzi, C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 33, vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 44, und vom 5. September 2024, M. S. u. a. [Verfahrensrechte einer minderjährigen Person], C‑603/22, EU:C:2024:685, Rn. 75).

117

Unter diesen Umständen ist die fünfzehnte Frage unzulässig.

Kosten

118

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 2 Abs. 1 Buchst. b, Art. 4 Abs. 5 und Art. 9 der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls sind in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Buchst. a bis c und Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs

dahin auszulegen, dass

die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, zum einen dafür zu sorgen, dass die Schutzbedürftigkeit beschuldigter Personen oder Verdächtiger festgestellt und anerkannt wird, bevor sie in einem Strafverfahren befragt werden oder bevor in Bezug auf sie konkrete Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen vorgenommen werden, und zum anderen zu gewährleisten, dass sie für dieses Verfahren unverzüglich und spätestens vor ihrer Befragung durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörde oder vor der Durchführung von Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen, bei denen ihre Teilnahme vorgeschrieben oder zulässig ist, Zugang zu einem durch Prozesskostenhilfe finanzierten Rechtsbeistand erhalten.

 

2.

Art. 12 der Richtlinie 2013/48 und Art. 8 der Richtlinie 2016/1919

sind dahin auszulegen, dass

sie vorschreiben, dass Entscheidungen, mit denen geprüft wird, ob ein Verdächtiger oder eine beschuldigte Person schutzbedürftig ist, und Entscheidungen, einer schutzbedürftigen Person Prozesskostenhilfe zu versagen und sie in Abwesenheit eines Rechtsbeistands zu befragen, mit Gründen zu versehen sind und Gegenstand eines wirksamen Rechtsbehelfs sein können.

Dagegen stehen diese Bestimmungen einer nationalen Regelung nicht entgegen, die es einem Richter in einem Strafverfahren nicht erlaubt, belastende Beweise, die auf Aussagen einer schutzbedürftigen Person während einer durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungsbehörde unter Verletzung der in den Richtlinien 2013/48 und 2016/1919 vorgesehenen Rechte durchgeführten Befragung beruhen, für unzulässig zu erklären, allerdings unter der Voraussetzung, dass das Gericht im Strafverfahren in der Lage ist, zum einen zu überprüfen, dass diese Rechte im Licht von Art. 47 und Art. 48 Abs. 2 der Charta gewahrt wurden, und zum anderen alle Konsequenzen zu ziehen, die sich aus der Rechtsverletzung ergeben, insbesondere in Bezug auf den Beweiswert der unter diesen Umständen erlangten Beweise.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.

( i ) Die vorliegende Rechtssache ist mit einem fiktiven Namen bezeichnet, der nicht dem echten Namen eines Verfahrensbeteiligten entspricht.