URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

22. Oktober 2024 ( *1 ) ( i )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Vergabe öffentlicher Aufträge in der Europäischen Union – Richtlinie 2014/25/EU – Art. 43 – Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die keine internationale Übereinkunft mit der Union geschlossen haben, die in wechselseitiger und gleicher Weise den Zugang zu den öffentlichen Aufträgen gewährleistet – Kein Recht dieser Wirtschaftsteilnehmer auf eine ‚nicht ungünstigere Behandlung‘ – Teilnahme eines solchen Wirtschaftsteilnehmers an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags – Nichtanwendbarkeit der Richtlinie 2014/25 – Unzulässigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens betreffend die Auslegung der Bestimmungen dieser Richtlinie im Rahmen eines Verfahrens über die von diesem Wirtschaftsteilnehmer erhobene Klage“

In der Rechtssache C‑652/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Visoki upravni sud (Hohes Verwaltungsgericht, Kroatien) mit Entscheidung vom 10. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Oktober 2022, in dem Verfahren

Kolin Inşaat Turizm Sanayi ve Ticaret AȘ

gegen

Državna komisija za kontrolu postupaka javne nabave,

Beteiligte:

HŽ Infrastruktura d.o.o.,

Strabag AG,

Strabag d.o.o.,

Strabag Rail a.s.,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten T. von Danwitz, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos (Berichterstatter), I. Jarukaitis, A. Kumin, N. Jääskinen und M. Gavalec, der Richter A. Arabadjiev, E. Regan, und Z. Csehi sowie der Richterin O. Spineanu-Matei,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. November 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Kolin Inşaat Turizm Sanayi ve Ticaret AȘ, vertreten durch I. Božić und Z. Tomić, Odvjetnici,

der Državna komisija za kontrolu postupaka javne nabave, vertreten durch M. Kuhar als Bevollmächtigte,

der HŽ Infrastruktura d.o.o., vertreten durch I. Kršić als Bevollmächtigten sowie durch I. Mršo Nastić und M. Paulinović, Odvjetnici,

der Strabag AG, Strabag d.o.o. und Strabag Rail a.s., vertreten durch Ž. Potoku, Odvjetnica,

der kroatischen Regierung, vertreten durch G. Vidović Mesarek als Bevollmächtigte,

der tschechischen Regierung, vertreten durch L. Halajová, T. Müller, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

der dänischen Regierung, vertreten durch D. Elkan als Bevollmächtigte,

der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg und M. Kriisa als Bevollmächtigte,

der französischen Regierung, vertreten durch R. Bénard, O. Duprat-Mazaré und J. Illouz als Bevollmächtigte,

der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara, M. Mataija und G. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. März 2024

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 36 und 76 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. 2014, L 94, S. 243).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft türkischen Rechts Kolin Inşaat Turizm Sanayi ve Ticaret AȘ (im Folgenden: Kolin) und der Državna komisija za kontrolu postupaka javne nabave (Staatliche Kontrollkommission für die öffentliche Auftragsvergabe, Kroatien) (im Folgenden: Kontrollkommission) über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags für den Bau einer Eisenbahninfrastruktur in Kroatien.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei und Zusatzprotokoll

3

Das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei wurde am 12. September 1963 in Ankara unterzeichnet und im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 geschlossen, gebilligt und bestätigt (ABl. 1964, 217, S. 3685).

4

Das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnete und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. 1972, L 293, S. 1) im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geschlossene, gebilligte und bestätigte Zusatzprotokoll zu diesem Abkommen (im Folgenden: Zusatzprotokoll) sieht in Art. 41 Abs. 1 vor:

„Die Vertragsparteien werden untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen.“

5

Art. 57 des Zusatzprotokolls lautet:

„Die Vertragsparteien gestalten die Bedingungen für die Beteiligung an Aufträgen der öffentlichen Verwaltungen oder Unternehmen sowie der privaten Unternehmen, denen Sonder- oder Alleinrechte gewährt werden, schrittweise so um, dass am Ende eines Zeitraums von zweiundzwanzig Jahren jede Diskriminierung zwischen Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und Staatsangehörigen der Türkei, die im Gebiet der Vertragsparteien ansässig sind, beseitigt ist.

Der Assoziationsrat legt die Zeitfolge und die Einzelheiten der Umgestaltung fest; er lässt sich dabei von den Lösungen leiten, die die Gemeinschaft auf diesem Gebiet gewählt hat.“

Richtlinie 2014/25

6

In den Erwägungsgründen 2 und 27 der Richtlinie 2014/25 heißt es:

„(2)

Um zu gewährleisten, dass die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste für den Wettbewerb geöffnet wird, sollten Bestimmungen für eine Koordinierung von Aufträgen, die über einen bestimmten Wert hinausgehen, festgelegt werden. Eine solche Koordinierung ist erforderlich, um den im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) niedergelegten Grundsätzen Geltung zu verschaffen, insbesondere den Grundsätzen des freien Warenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit sowie den sich daraus ableitenden Grundsätzen wie Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, gegenseitige Anerkennung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz. …

(27)

Mit dem Beschluss 94/800/EG des Rates [vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. 1994, L 336, S. 1)] wurde insbesondere das Übereinkommen der Welthandelsorganisation über das öffentliche Beschaffungswesen (im Folgenden ‚GPA‘) genehmigt. Ziel des GPA ist es, einen multilateralen Rahmen ausgewogener Rechte und Pflichten in Bezug auf öffentliche Aufträge zu schaffen, um den Welthandel zu liberalisieren und auszuweiten. Bei Aufträgen, die unter die Anhänge 3, 4 und 5 sowie die Allgemeinen Anmerkungen [zu] Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie andere einschlägige, für die Union bindende internationale Übereinkommen fallen, sollten die Auftraggeber die Verpflichtungen aus den betreffenden Übereinkommen erfüllen, indem sie diese Richtlinie auf Wirtschaftsteilnehmer von Drittländern anwenden, die Unterzeichner der Übereinkommen sind.“

7

Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 bestimmt:

„Mit dieser Richtlinie werden die Regeln für die Verfahren von Auftraggebern zur Vergabe von Aufträgen und der Durchführung von Wettbewerben festgelegt, deren geschätzter Wert nicht unter den in Artikel 15 festgelegten Schwellenwerten liegt.“

8

In Art. 11 („Verkehrsleistungen“) der Richtlinie 2014/25 heißt es:

„Unter diese Richtlinie fallen die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Eisenbahn, automatischen Systemen, Straßenbahn, Trolleybus, Bus oder Seilbahn.“

9

Art. 15 („Höhe der Schwellenwerte“) der Richtlinie 2014/25 sieht vor:

„… diese Richtlinie [gilt] in Bezug auf die Ausübung der betreffenden Tätigkeit für Aufträge, deren geschätzter Wert ohne Mehrwertsteuer (MwSt.) die folgenden Schwellenwerte nicht unterschreitet:

b) 5186000 [Euro] bei Bauaufträgen.

…“

10

Art. 36 („Grundsätze der Auftragsvergabe“) Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 sieht vor:

„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise und handeln transparent und verhältnismäßig.“

11

In Art. 43 („Bedingungen betreffend das GPA und andere internationale Übereinkommen“) der Richtlinie 2014/25 heißt es:

„Soweit sie durch die Anhänge 3, 4 und 5 sowie die Allgemeinen Anmerkungen [zu] Anlage I der Europäischen Union zum GPA sowie die anderen internationalen für die Union rechtsverbindlichen Übereinkommen erfasst sind, wenden die Auftraggeber im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe a auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus den Unterzeichnerstaaten dieser Übereinkommen keine ungünstigeren Bedingungen an als auf Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus der Europäischen Union.“

12

Art. 45 („Offenes Verfahren“) Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 bestimmt:

„Bei einem offenen Verfahren können alle interessierten Wirtschaftsteilnehmer auf einen Aufruf zum Wettbewerb hin ein Angebot abgeben.

…“

13

Art. 76 („Allgemeine Grundsätze“) Abs. 4 der Richtlinie 2014/25 sieht vor:

„Sind von Wirtschaftsteilnehmern zu übermittelnde Informationen oder Unterlagen unvollständig oder fehlerhaft oder scheinen diese unvollständig oder fehlerhaft zu sein oder sind spezifische Unterlagen nicht vorhanden, so können die Auftraggeber, sofern in den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie nicht anders vorgesehen, die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer auffordern, die jeweiligen Informationen oder Unterlagen innerhalb einer angemessenen Frist zu übermitteln, zu ergänzen, zu erläutern oder zu vervollständigen, sofern diese Aufforderungen unter voller Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung erfolgen.“

14

In Art. 86 („Beziehungen zu Drittländern im Bereich der Bau‑, Liefer- und Dienstleistungsaufträge“) der Richtlinie 2014/25 heißt es:

„(1)   Die Mitgliedstaaten informieren die [Europäische] Kommission über alle allgemeinen Schwierigkeiten rechtlicher oder faktischer Art, auf die ihre Unternehmen bei der Bewerbung um Dienstleistungsaufträge in Drittländern stoßen und die ihnen von ihren Unternehmen gemeldet werden.

(2)   Die Kommission legt dem Rat [der Europäischen Union] bis zum 18. April 2019 und anschließend in regelmäßigen Abständen einen Bericht über den Zugang zu Dienstleistungsaufträgen in Drittländern vor; dieser Bericht umfasst auch den Stand der Verhandlungen mit den betreffenden Drittländern, insbesondere im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO).

(3)   Die Kommission versucht Probleme durch Intervention in einem Drittland zu bereinigen, wenn sie aufgrund der in Absatz 2 genannten Berichte oder aufgrund anderer Informationen feststellt, dass das betreffende Drittland bei der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen

a)

Unternehmen aus der Union keinen effektiven Zugang bietet, der mit dem in der Union gewährten Zugang für Unternehmen aus dem betreffenden Drittland vergleichbar ist,

b)

Unternehmen aus der Union keine Inländerbehandlung oder nicht die gleichen Wettbewerbsmöglichkeiten wie inländischen Unternehmen bietet oder

c)

Unternehmen aus anderen Drittländern gegenüber Unternehmen aus der Union bevorzugt.

(4)   Die Mitgliedstaaten informieren die Kommission über alle Schwierigkeiten rechtlicher oder faktischer Art, auf die ihre Unternehmen stoßen beziehungsweise die ihre Unternehmen ihnen melden und die auf die Nichteinhaltung der … Vorschriften des internationalen Arbeitsrechts zurückzuführen sind, wenn diese Unternehmen sich um Aufträge in Drittländern beworben haben.

(5)   Die Kommission kann unter den in den Absätzen 3 und 4 genannten Bedingungen dem Rat jederzeit vorschlagen, einen Durchführungsrechtsakt zu erlassen, um für einen in diesem Durchführungsrechtsakt festzulegenden Zeitraum die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen an folgende Unternehmen einzuschränken oder auszusetzen:

a)

Unternehmen, die dem Recht des betreffenden Drittlandes unterliegen;

b)

mit den unter Buchstabe a genannten Unternehmen verbundene Unternehmen, die ihren Sitz in der Union haben, die jedoch nicht in unmittelbarer und tatsächlicher Verbindung mit der Wirtschaft eines Mitgliedstaats stehen;

c)

Unternehmen, die Angebote für Dienstleistungen mit Ursprung in dem betreffenden Drittland einreichen.

Der Rat entscheidet so bald wie möglich mit qualifizierter Mehrheit.

Die Kommission kann diese Maßnahmen entweder aus eigener Veranlassung oder auf Antrag eines Mitgliedstaats vorschlagen.

(6)   Dieser Artikel lässt die Verpflichtungen der Union gegenüber Drittländern unberührt, die sich aus internationalen Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen – insbesondere aus von im Rahmen der WTO geschlossenen Übereinkommen – ergeben.“

IPI‑Verordnung

15

Die Verordnung (EU) 2022/1031 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juni 2022 über den Zugang von Wirtschaftsteilnehmern, Waren und Dienstleistungen aus Drittländern zum Unionsmarkt für öffentliche Aufträge und Konzessionen und über die Verfahren zur Unterstützung von Verhandlungen über den Zugang von Wirtschaftsteilnehmern, Waren und Dienstleistungen aus der Union zu den Märkten für öffentliche Aufträge und Konzessionen von Drittländern (Instrument betreffend das internationale Beschaffungswesen – IPI) (ABl. 2022, L 173, S. 1) (im Folgenden: IPI‑Verordnung) ist gemäß ihrem Art. 15 am 29. August 2022 in Kraft getreten.

16

In den Erwägungsgründen 3 und 10 dieser Verordnung heißt es:

„(3)

Gemäß Artikel 26 AEUV erlässt die Union die erforderlichen Maßnahmen, um den Binnenmarkt zu verwirklichen beziehungsweise dessen Funktionieren zu gewährleisten, der einen Raum ohne Binnengrenzen umfasst, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Verträgen gewährleistet ist. Der Zugang von Wirtschaftsteilnehmern, Waren und Dienstleistungen aus Drittländern zum Unionsmarkt für öffentliche Aufträge und Konzessionen fällt in den Anwendungsbereich der gemeinsamen Handelspolitik.

(10)

Die internationalen Verpflichtungen hinsichtlich des Marktzugangs, die die Union gegenüber Drittländern im Bereich der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen eingegangen ist, machen u. a. die Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer aus diesen Drittländern erforderlich. Dementsprechend können Maßnahmen, die im Rahmen dieser Verordnung erlassen werden, nur für Wirtschaftsteilnehmer, Waren oder Dienstleistungen aus Drittländern, die nicht Vertragspartei des mit der Union abgeschlossenen plurilateralen WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen oder mit der Union abgeschlossener bilateraler oder multilateraler Handelsabkommen – die Verpflichtungen hinsichtlich des Marktzugangs im Bereich der Vergabe von öffentlichen Aufträgen oder Konzessionen enthalten – sind, oder für Wirtschaftsteilnehmer, Waren oder Dienstleistungen aus Ländern, die Vertragspartei solcher Abkommen sind, gelten, allerdings nur in Bezug auf Beschaffungsverfahren für Waren, Dienstleistungen oder Konzessionen, die nicht unter diese Abkommen fallen. Im Einklang mit den Richtlinien 2014/23/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1)], 2014/24/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65)] und [2014/25] … und wie in der Mitteilung der Kommission vom 24. Juli 2019 mit dem Titel ‚Leitlinien zur Teilnahme von Bietern und Waren aus Drittländern am EU-Beschaffungsmarkt‘ präzisiert, haben Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die über keine Vereinbarung über die Öffnung des Beschaffungsmarkts der Union verfügen oder deren Waren, Dienstleistungen und Bauleistungen nicht unter ein solches Abkommen fallen, keinen gesicherten Zugang zu den Beschaffungsverfahren in der Union und können ausgeschlossen werden.“

17

Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) der IPI‑Verordnung sieht vor:

„(1)   In dieser Verordnung sind Maßnahmen in Bezug auf nicht erfasste Beschaffungen festgelegt, die den Zugang von Wirtschaftsteilnehmern, Waren und Dienstleistungen aus der Union zu den Märkten für öffentliche Aufträge und Konzessionen in Drittländern verbessern sollen. Sie enthält die von der Kommission zu befolgenden Verfahren, wenn sie Untersuchungen über gegen Wirtschaftsteilnehmer, Waren und Dienstleistungen aus der Union gerichtete, mutmaßliche Maßnahmen oder Praktiken von Drittländern einleitet und mit den betreffenden Drittländern Konsultationen aufnimmt.

In dieser Verordnung ist vorgesehen, dass die Kommission im Zusammenhang mit derartigen Maßnahmen oder Praktiken von Drittländern IPI‑Maßnahmen vorschreiben kann, um den Zugang von Wirtschaftsteilnehmern, Waren oder Dienstleistungen aus Drittländern zu öffentlichen Vergabeverfahren der Union zu beschränken.

(2)   Diese Verordnung gilt für öffentliche Vergabeverfahren, die folgenden Rechtsakten unterliegen:

a)

der Richtlinie [2014/23];

b)

der Richtlinie [2014/24];

c)

der Richtlinie [2014/25].

(3)   Diese Verordnung berührt nicht die internationalen Verpflichtungen der Union oder die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten oder ihre öffentlichen Auftraggeber oder Auftraggeber im Einklang mit den in Absatz 2 genannten Rechtsakten treffen können.

…“

18

Art. 6 („IPI‑Maßnahmen“) der IPI‑Verordnung bestimmt:

„(1)   Gelangt die Kommission im Anschluss an eine Untersuchung und an Konsultationen gemäß Artikel 5 zu dem Schluss, dass eine Maßnahme oder Praxis eines Drittlands besteht, erlässt sie – wenn dies ihrer Ansicht nach im Interesse der Union liegt – im Wege eines Durchführungsrechtsakts eine IPI‑Maßnahme. …

(6)   Im Rahmen der in Absatz 1 genannten IPI‑Maßnahme kann die Kommission … beschließen, den Zugang von Wirtschaftsteilnehmern, Waren oder Dienstleistungen aus einem Drittland zu öffentlichen Vergabeverfahren zu beschränken, indem sie öffentliche Auftraggeber oder Auftraggeber verpflichtet,

a)

bei Angeboten von Wirtschaftsteilnehmern aus dem betreffenden Drittland eine Bewertungsanpassung vorzunehmen, oder

b)

Angebote von Wirtschaftsteilnehmern aus dem betreffenden Drittland auszuschließen.

…“

Kroatisches Recht

19

Das Zakon o javnoj nabavi (Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen) bestimmt in Art. 262:

„Ein öffentlicher Auftraggeber kann zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens, wenn dies für den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens erforderlich ist, die Informationen, die in der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung enthalten sind, bei der Behörde, die für die Führung der amtlichen Register über diese Daten zuständig ist, … überprüfen und zu diesem Zweck die Ausstellung einer Bestätigung beantragen, indem er Einblick in die bereits in seinem Besitz befindlichen Belege oder Nachweise nimmt …

…“

20

Art. 263 dieses Gesetzes sieht vor:

„(1)   Der öffentliche Auftraggeber ist vor einer Entscheidung im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge mit hohem Auftragswert verpflichtet – und in den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge mit geringem Auftragswert steht es ihm frei –, den Bieter, der das wirtschaftlich günstigste Angebot abgegeben hat, aufzufordern, innerhalb einer angemessenen Frist von mindestens fünf Tagen aktualisierte Belege … vorzulegen, es sei denn, diese liegen ihm bereits vor.

(2)   Der öffentliche Auftraggeber kann die Wirtschaftsteilnehmer auffordern, die eingegangenen Unterlagen … zu vervollständigen oder zu erläutern.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

21

Am 7. September 2020 eröffnete die HŽ Infrastruktura d.o.o., eine Gesellschaft kroatischen Rechts, die mit der Verwaltung, der Instandhaltung und dem Bau von Eisenbahninfrastruktur in Kroatien betraut ist, ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags mit einem geschätzten Wert von 2042900000 kroatischen Kunas (HRK) (etwa 271 Mio. Euro) ohne Mehrwertsteuer für den Bau einer Eisenbahninfrastruktur, die die Ortschaften Hrvatski Leskovac (Kroatien) und Karlovac (Kroatien) verbindet, wobei der Auftrag nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots vergeben werden sollte.

22

Nach den Vorgaben von HŽ Infrastruktura für die Bieter mussten diese ihre technische und berufliche Leistungsfähigkeit durch Vorlage eines Dokuments nachweisen, aus dem hervorgeht, dass in den letzten zehn Jahren vor Eröffnung dieses Verfahrens von diesen Bietern Arbeiten zum Bau von Schienen- oder Straßeninfrastrukturen einschließlich von Brücken, Viadukten oder Über- bzw. Unterführungen in einem Gesamtwert von mindestens 30000000 HRK (etwa 4 Mio. Euro) ohne Mehrwertsteuer durchgeführt worden waren.

23

Am 25. Januar 2022 erließ HŽ Infrastruktura eine Entscheidung über die Vergabe des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrags und wählte als wirtschaftlich günstigstes Angebot das Angebot der Strabag AG, einer Gesellschaft österreichischen Rechts, der Strabag d.o.o., einer Gesellschaft kroatischen Rechts, und der Strabag Rail a.s., einer Gesellschaft tschechischen Rechts (im Folgenden zusammen: Bietergemeinschaft Strabag), aus.

24

Kolin, die zu den Bietern gehörte, legte gegen diese Entscheidung Widerspruch bei der Kontrollkommission ein.

25

Mit Bescheid vom 10. März 2022 hob die Kontrollkommission die in Rn. 23 des vorliegenden Urteils erwähnte Entscheidung von HŽ Infrastruktura mit der Begründung auf, es sei nicht ordnungsgemäß nachgewiesen worden, dass die Bietergemeinschaft Strabag über die erforderliche technische und berufliche Leistungsfähigkeit verfüge.

26

Am 6. April 2022 forderte HŽ Infrastruktura im Rahmen des Verfahrens nach der Aufhebung ihrer Vergabeentscheidung die Bietergemeinschaft Strabag gemäß Art. 263 Abs. 2 des Gesetzes über das Beschaffungswesen auf, gegebenenfalls eine ergänzte Aufstellung der erbrachten Bauleistungen zusammen mit einer Bestätigung über die ordnungsgemäße Ausführung und den Abschluss dieser Arbeiten vorzulegen.

27

Am 7. April 2022 reichte die Bietergemeinschaft Strabag eine solche Aufstellung zusammen mit der Bestätigung vom 21. März 2016 ein. Die ergänzte Aufstellung enthielt eine neue Referenz mit der Bezeichnung „A9 Pyhrn-Autobahn Tunnelkette Klaus Vollausbau Baulos 1, Talübergang Steyr und Rampenbrücke“.

28

Am 13. April 2022 forderte HŽ Infrastruktura die Bietergemeinschaft Strabag gemäß Art. 263 Abs. 2 des Gesetzes über das Beschaffungswesen auf, Klarstellungen der Bestätigung vom 21. März 2016 vorzunehmen.

29

Am 21. April 2022 ergänzte die Bietergemeinschaft Strabag diese Bestätigung durch die Übermittlung von Unterlagen, aus denen der genaue Wert der Bauarbeiten an der fraglichen Infrastruktur sowie eine ergänzte Aufstellung über die erbrachten Bauleistungen hervorgingen.

30

Nach einer Überprüfung und Neubewertung der Angebote erließ HŽ Infrastruktura am 28. April 2022 eine neue Entscheidung über die Vergabe des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrags an die Bietergemeinschaft Strabag. Sie war nämlich der Ansicht, dass die in Rn. 27 des vorliegenden Urteils erwähnte neue Referenz allein als Nachweis dafür ausreiche, dass diese Bietergemeinschaft über die erforderliche technische und berufliche Leistungsfähigkeit verfüge.

31

Kolin legte gegen diese neue Vergabeentscheidung Widerspruch bei der Kontrollkommission ein und machte geltend, dass die Initiative von HŽ Infrastruktura, die Bietergemeinschaft Strabag aufzufordern, die Aufstellung ihrer Bauleistungen zu ergänzen, rechtswidrig sei.

32

Mit Bescheid vom 15. Juni 2022 wies die Kontrollkommission den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass es keine nationale Bestimmung gebe, die die Bietergemeinschaft Strabag daran hindere, die Aufstellung der Bauleistungen durch Angabe der Fertigstellung anderer als der ursprünglich darin aufgeführten Bauleistungen zu ergänzen, denn Art. 263 Abs. 2 des Gesetzes über das Beschaffungswesen ermögliche es dem öffentlichen Auftraggeber, einen Bieter aufzufordern, die vorgelegten Nachweise zu vervollständigen oder zu erläutern.

33

Kolin erhob beim Visoki upravni sud (Hohes Verwaltungsgericht, Kroatien), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Aufhebung dieses Bescheids und machte geltend, dass nicht nur die Tatsache, dass HŽ Infrastruktura die Bietergemeinschaft Strabag aufgefordert habe, die ihrem Angebot ursprünglich beigefügte Aufstellung von Bauleistungen zu ergänzen, sondern auch die Berücksichtigung der ergänzten Aufstellung von Bauleistungen rechtswidrig seien, da die Einbeziehung der in Rn. 27 des vorliegenden Urteils genannten Referenz das Angebot dieser Bietergemeinschaft wesentlich ändere und u. a. gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoße.

34

Im Hinblick auf die Art. 36 und 76 der Richtlinie 2014/25 hegt das vorlegende Gericht Zweifel, ob ein Auftraggeber wie HŽ Infrastruktura, nachdem die Kontrollkommission seine erste Entscheidung über die Vergabe des betreffenden Auftrags für ungültig erklärt habe, befugt sei, ergänzende Unterlagen über die technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Bietergemeinschaft Strabag zu berücksichtigen, die nicht in dem von dieser Bietergemeinschaft ursprünglich eingereichten Angebot enthalten gewesen seien und von Letzterer auf Aufforderung dieses Auftraggebers eingereicht worden seien.

35

Unter diesen Umständen hat der Visoki upravni sud (Hohes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Erlaubt es Art. 76 der Richtlinie 2014/25 in Verbindung mit Art. 36 dieser Richtlinie, dass der Auftraggeber Unterlagen einbezieht, die der Bieter zum ersten Mal nach dem Ablauf der Angebotsfrist vorgelegt hat, wobei diese Unterlagen im ursprünglichen Angebot nicht enthalten waren und Tatsachen belegen, die der Bieter im ursprünglichen Angebot nicht angeführt hatte?

2.

Falls die erste Frage bejaht wird: Ist Art. 76 der Richtlinie 2014/25 in Verbindung mit Art. 36 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass es im Widerspruch zu diesen Bestimmungen steht, wenn der öffentliche Auftraggeber, nachdem die erste Entscheidung über die Auftragsvergabe für ungültig erklärt wurde und das Verfahren an den Auftraggeber zur erneuten Prüfung und Bewertung der Angebote zurückverwiesen wurde, vom Wirtschaftsteilnehmer zusätzliche Unterlagen anfordert, die die Erfüllung der Bedingungen für die Teilnahme am öffentlichen Vergabeverfahren belegen sollen, wobei es sich bei diesen Unterlagen, die im ursprünglichen Angebot nicht enthalten waren, um eine Aufstellung der ausgeführten Arbeiten handelt, die durch eine Referenz ergänzt wird, die die ursprüngliche Aufstellung der Arbeiten nicht enthalten hatte und die daher nicht Teil des ursprünglich abgegebenen Angebots gewesen war?

3.

Ist Art. 76 der Richtlinie 2014/25 in Verbindung mit Art. 36 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass es im Widerspruch zu diesen Bestimmungen steht, wenn der Wirtschaftsteilnehmer, nachdem die erste Entscheidung über die Auftragsvergabe für ungültig erklärt wurde und das Verfahren zur erneuten Prüfung und Bewertung der Angebote an den Auftraggeber zurückverwiesen wurde, dem öffentlichen Auftraggeber Unterlagen zur Verfügung stellt, die die Erfüllung der Bedingungen für die Teilnahme am öffentlichen Vergabeverfahren belegen sollen, die im ursprünglichen Angebot nicht enthalten waren, wie eine Aufstellung der ausgeführten Arbeiten, die durch eine Referenz ergänzt wird, die die ursprüngliche Aufstellung der Arbeiten nicht enthalten hatte und die daher nicht Teil des ursprünglich abgegebenen Angebots gewesen war?

Zur Zulässigkeit der Vorlagefragen

36

Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV allein Sache des nationalen Gerichts, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 24. Juli 2023, Lin,C‑107/23 PPU, EU:C:2023:606, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37

Gleichwohl obliegt es dem Gerichtshof, die Umstände, unter denen er von dem nationalen Gericht angerufen wurde, zu untersuchen, um seine eigene Zuständigkeit oder die Zulässigkeit des ihm vorgelegten Ersuchens zu überprüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. März 2022, Prokurator Generalny [Disziplinarkammer des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑508/19, EU:C:2022:201, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Der Gerichtshof kann sich insbesondere veranlasst sehen, zu prüfen, ob die Bestimmungen des Unionsrechts, auf die sich die Vorlagefragen beziehen, auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar sind. Ist dies nicht der Fall, sind diese Bestimmungen für die Entscheidung dieses Rechtsstreits unerheblich, und die erbetene Vorabentscheidung ist nicht erforderlich, um dem vorlegenden Gericht zu ermöglichen, sein Urteil zu erlassen, so dass diese Fragen für unzulässig zu erklären sind.

39

In der vorliegenden Rechtssache ist zu prüfen, ob eine Klage, die ein Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands, im vorliegenden Fall der Republik Türkei, bei einem Gericht eines Mitgliedstaats erhebt, um die in diesem Mitgliedstaat getroffene Entscheidung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags anzufechten, anhand der vom Unionsgesetzgeber eingeführten Vergabevorschriften wie der Art. 36 und 76 der Richtlinie 2014/25 geprüft werden kann, auf die sich Kolin im vorliegenden Fall beruft und die Gegenstand der Vorlagefragen sind.

40

Zu diesem Zweck hat der Gerichtshof die Parteien des Ausgangsverfahrens und die anderen in Art. 23 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten aufgefordert, zu der Frage Stellung zu nehmen, welche Vorschriften auf die Teilnahme eines Wirtschaftsteilnehmers eines Drittlands wie Kolin an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags in der Union anwendbar sind. Dem sind diese Parteien und anderen Beteiligten sowohl schriftlich als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof nachgekommen.

41

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Union gegenüber bestimmten Drittländern durch internationale Übereinkünfte, u. a. das GPA, gebunden ist, die den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer der Union zu öffentlichen Aufträgen in diesen Drittländern und den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer dieser Drittländer zu öffentlichen Aufträgen in der Union in wechselseitiger und gleicher Weise gewährleisten.

42

Art. 43 der Richtlinie 2014/25 spiegelt diese internationalen Verpflichtungen der Union wider, indem er bestimmt, dass die Auftraggeber der Mitgliedstaaten, soweit sie durch das GPA oder andere internationale für die Union rechtsverbindliche Übereinkommen erfasst sind, auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die ein solches Übereinkommen unterzeichnet haben, keine ungünstigeren Bedingungen anwenden als auf Wirtschaftsteilnehmer aus der Europäischen Union.

43

Wie sich aus dem 27. Erwägungsgrund dieser Richtlinie ergibt, bedeutet dieses Wirtschaftsteilnehmern aus diesen Drittländern zustehende Recht auf eine nicht ungünstigere Behandlung, dass sich diese Wirtschaftsteilnehmer auf die Bestimmungen dieser Richtlinie berufen können.

44

Andere Drittländer haben mit der Union bislang keine internationale Übereinkunft wie jene im Sinne von Rn. 41 des vorliegenden Urteils geschlossen.

45

Zu den Wirtschaftsteilnehmern aus diesen Drittländern ist festzustellen, dass das Unionsrecht es zwar nicht verbietet, diese Wirtschaftsteilnehmer mangels von der Union erlassener Ausschlussmaßnahmen zur Teilnahme an einem unter die Richtlinie 2014/25 fallenden Verfahren für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags zuzulassen, dass es diese Wirtschaftsteilnehmer jedoch daran hindert, sich im Rahmen ihrer Teilnahme an einem solchen Verfahren auf diese Richtlinie zu berufen und somit eine Gleichbehandlung ihres Angebots mit den Angeboten zu fordern, die Bieter aus den Mitgliedstaaten und Bieter aus Drittländern im Sinne von Art. 43 dieser Richtlinie abgegeben haben.

46

Die Einbeziehung von Wirtschaftsteilnehmern aus Drittländern im Sinne von Rn. 44 des vorliegenden Urteils in den Anwendungsbereich der Vorschriften über das öffentliche Auftragswesen, die der Unionsgesetzgeber, wie sich aus dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/25 ergibt, eingeführt hat, um einen unverfälschten Wettbewerb zu gewährleisten, und zu deren Wesen schlechthin der Grundsatz der Gleichbehandlung gehört (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. September 2002, Concordia Bus Finland,C‑513/99, EU:C:2002:495, Rn. 81, vom 3. Juni 2021, Rad Service u. a.,C‑210/20, EU:C:2021:445, Rn. 43, sowie vom 13. Juni 2024, BibMedia,C‑737/22, EU:C:2024:495, Rn. 30), würde bewirken, dass ihnen unter Verstoß gegen Art. 43 dieser Richtlinie, der die Inanspruchnahme dieses Rechts auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die mit der Union eine internationale Übereinkunft wie jene im Sinne dieses Artikels geschlossen haben, beschränkt, ein Recht auf eine nicht ungünstigere Behandlung verliehen würde.

47

Folglich erstreckt sich das durch Art. 45 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 „alle[n] interessierten Wirtschaftsteilnehmer[n]“ eingeräumte Recht, bei einem offenen Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags in der Union auf einen Aufruf zum Wettbewerb hin ein Angebot abzugeben, nicht auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die keine derartige internationale Übereinkunft mit der Union geschlossen haben. Es bedeutet auch nicht, dass sich diese Wirtschaftsteilnehmer, wenn sie zur Teilnahme an einem solchen Verfahren zugelassen werden, berechtigt wären, sich auf diese Richtlinie zu berufen. Würde diese Bestimmung anders ausgelegt und damit der persönliche Anwendungsbereich dieser Richtlinie unbegrenzt ausgeweitet, liefe dies darauf hinaus, Wirtschaftsteilnehmern aus diesen Drittländern einen gleichen Zugang zu den Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der Union zu gewährleisten. Aus dem in Rn. 46 des vorliegenden Urteils dargelegten Grund und wie nunmehr auch im zehnten Erwägungsgrund der IPI‑Verordnung niedergelegt, ist die Richtlinie 2014/25 aber dahin zu verstehen, dass der Zugang von Wirtschaftsteilnehmern aus diesen Drittländern zu Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der Union nicht gewährleistet ist und diese Wirtschaftsteilnehmer davon ausgeschlossen werden können.

48

Zu den in Rn. 44 des vorliegenden Urteils genannten Drittländern gehört die Republik Türkei, die weder das GAP noch eine andere Übereinkunft unterzeichnet hat, die türkischen Wirtschaftsteilnehmern auf der Grundlage der Wechselseitigkeit das Recht einräumen würde, an den Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der Union gleichberechtigt mit den Wirtschaftsteilnehmern der Union teilzunehmen.

49

Zwar sieht Art. 57 des Zusatzprotokolls vor, dass die Bedingungen für die Beteiligung an den jeweiligen öffentlichen Aufträgen der Union und der Türkei nach der vom Assoziationsrat festgelegten Zeitfolge und den von ihm festgelegten Einzelheiten schrittweise umgestaltet werden, um in absehbarer Zeit jede Diskriminierung zwischen Wirtschaftsteilnehmern der Union und türkischen Wirtschaftsteilnehmern zu beseitigen. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 9 und 10 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hat die in Art. 57 vorgesehene Umgestaltung jedoch bisher nicht stattgefunden, so dass die gegenseitige Öffnung der Märkte im öffentlichen Beschaffungswesen zwischen der Union und der Republik Türkei bislang nicht erfolgt ist.

50

Im Übrigen enthalten die dem Gerichtshof vorliegenden Akten keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Union oder die Republik Kroatien seit ihrem Beitritt zur Union eine neue Beschränkung im Sinne von Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls eingeführt hätte, die eine Beschränkung der Möglichkeiten des Zugangs türkischer Wirtschaftsteilnehmer zu öffentlichen Aufträgen in der Union oder speziell in diesem Mitgliedstaat im Vergleich zu der Situation zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Protokolls oder, was die Republik Kroatien betrifft, zum Zeitpunkt ihres Beitritts bezweckt oder bewirkt hätte. Unter diesen Umständen können sich türkische Wirtschaftsteilnehmer jedenfalls weder auf diese Bestimmung berufen, um das Recht auf eine nicht ungünstigere Behandlung im Sinne von Art. 43 der Richtlinie 2014/25 zu beanspruchen, noch – im weiteren Sinne – auf die Anwendung dieser Richtlinie ihnen gegenüber.

51

Daher kann sich ein türkischer Wirtschaftsteilnehmer in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Auftraggeber die Teilnahme eines türkischen Wirtschaftsteilnehmers an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags nach der Richtlinie 2014/25 akzeptiert hat, nicht auf die Art. 36 und 76 dieser Richtlinie berufen, um die Entscheidung über die Vergabe des betreffenden Auftrags anzufechten.

52

Es ist allerdings zu prüfen, ob die Vorlagefragen, die die Auslegung dieser Artikel der Richtlinie 2014/25 betreffen, dennoch im Hinblick auf den Umstand zulässig sind, dass, wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen und der Antwort der Kontrollkommission auf eine Frage des Gerichtshofs ergibt, die kroatischen Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieser Artikel dahin ausgelegt werden, dass sie unterschiedslos für alle Bieter aus der Union und Drittländern gelten und daher von Kolin geltend gemacht werden können.

53

Insoweit ist daran zu erinnern, dass Vorabentscheidungsersuchen, die sich auf die Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften beziehen, in Fällen zulässig sind, die zwar außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts liegen, auf die diese Vorschriften aber – ohne Änderung ihres Gegenstands oder ihrer Tragweite – mittels eines unmittelbaren und unbedingten Verweises durch das nationale Recht für anwendbar erklärt wurden. In diesen Fällen besteht für die Unionsrechtsordnung ein offensichtliches Interesse daran, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu vermeiden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Oktober 1990, Dzodzi,C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 36 und 37, sowie vom 13. Oktober 2022, Baltijas Starptautiskā Akadēmija und Stockholm School of Economics in Riga, C‑164/21 und C‑318/21, EU:C:2022:785, Rn. 35).

54

Diese Rechtsprechung kann jedoch keine Anwendung finden, wenn die nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung einer Richtlinie von den Behörden eines Mitgliedstaats unter Verstoß gegen eine ausschließliche Zuständigkeit der Union für anwendbar erklärt werden.

55

Dies trifft vorliegend auf die Teilnahme an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge durch Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern zu, die keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu diesen Aufträgen geschlossen haben.

56

Nach ständiger Rechtsprechung betrifft nämlich die gemeinsame Handelspolitik im Sinne von Art. 207 AEUV, für die die Union nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV über eine ausschließliche Zuständigkeit verfügt, den Handelsverkehr mit Drittländern und umfasst jede Handlung der Union, die im Wesentlichen den Handelsverkehr fördern, erleichtern oder regeln soll und sich direkt und sofort auf ihn auswirkt (vgl. u. a. Urteil vom 18. Juli 2013, Daiichi Sankyo und Sanofi-Aventis Deutschland, C‑414/11, EU:C:2013:520, Rn. 50 und 51, sowie Gutachten 2/15 [Freihandelsabkommen EU-Singapur] vom 16. Mai 2017, EU:C:2017:376, Rn. 36).

57

Jeder Rechtsakt mit allgemeiner Geltung, der speziell den Zweck hat, die Modalitäten festzulegen, unter denen die Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge in der Union teilnehmen können, kann sich auf den Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen diesem Drittland und der Union direkt und sofort auswirken, so dass er nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fällt (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/15 [Freihandelsabkommen EU-Singapur] vom 16. Mai 2017, EU:C:2017:376, Rn. 76 und 77). Dies ist bei Rechtsakten der Fall, die in Ermangelung einer Übereinkunft zwischen der Union und einem Drittland einseitig festlegen, ob und gegebenenfalls nach welchen Modalitäten die Wirtschaftsteilnehmer aus diesem Drittland an den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge in der Union teilnehmen können. Wie die Übereinkünfte wirken sich diese einseitigen Rechtsakte nämlich direkt und sofort auf den Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen diesem Drittland und der Union aus.

58

Diese ausschließliche Zuständigkeit wird durch Art. 86 der Richtlinie 2014/25 veranschaulicht, der im Fall allgemeiner Schwierigkeiten, auf welche die Unternehmen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten bei der Bewerbung um öffentliche Aufträge in Drittländern stoßen und die ihnen von ihren Unternehmen gemeldet werden, der Union und nicht den Mitgliedstaaten die Zuständigkeit dafür überträgt, die Teilnahme der Unternehmen aus diesem Drittland an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge der Union auszusetzen oder einzuschränken.

59

Der ausschließliche Charakter dieser Zuständigkeit der Union wird auch durch die IPI‑Verordnung bestätigt, die Maßnahmen von allgemeiner Geltung betrifft, die gegenüber Wirtschaftsteilnehmern aus einem Drittland, das keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, im Hinblick auf den Ausschluss oder die Beschränkung des Zugangs dieser Wirtschaftsteilnehmer zu Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge getroffen werden können. Diese Verordnung, die zu dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt allerdings noch nicht anwendbar war, wurde auf der Grundlage von Art. 207 AEUV erlassen und bestimmt im dritten Erwägungsgrund, dass der Zugang von Wirtschaftsteilnehmern aus Drittländern zum Unionsmarkt für öffentliche Aufträge in den Anwendungsbereich der gemeinsamen Handelspolitik fällt.

60

Die gemeinsame Handelspolitik umfasst zwar, wie sich aus Art. 207 Abs. 5 AEUV ergibt, nicht die Aushandlung und den Abschluss von internationalen Abkommen im Bereich des Verkehrs und kann daher die Frage des Zugangs von Wirtschaftsteilnehmern aus Drittländern zu den in der Richtlinie 2014/25 genannten Sektorenaufträgen nicht vollständig erfassen, doch fällt der Abschluss einer Übereinkunft über die Gewährleistung des Zugangs der Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlands zu diesen Sektorenaufträgen ebenfalls in die ausschließliche Zuständigkeit der Union, nämlich in die Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 2 AEUV (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/15 [Freihandelsabkommen EU-Singapur] vom 16. Mai 2017, EU:C:2017:376, Rn. 219 bis 224). Was den Erlass von Rechtsakten betrifft, die in Ermangelung einer solchen Übereinkunft festlegen, ob und gegebenenfalls nach welchen Modalitäten die Wirtschaftsteilnehmer des betreffenden Drittlands an den Verfahren zur Vergabe solcher Sektorenaufträge in der Union teilnehmen können, ist festzustellen, dass er nicht von Art. 207 Abs. 5 AEUV erfasst wird und daher in den Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik fällt.

61

Aus den Erwägungen in den Rn. 55 bis 60 des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass ausschließlich die Union zuständig ist, einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung zu erlassen, der den Zugang von Wirtschaftsteilnehmern eines Drittlands, das keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, zu den Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge betrifft, indem sie entweder eine Regelung einführt, die diesen Wirtschaftsteilnehmern den Zugang zu den betreffenden Verfahren gewährt, oder eine Regelung, die diese Wirtschaftsteilnehmer ausschließt oder die eine Bewertungsanpassung bei ihren Angeboten im Vergleich zu jenen, die andere Wirtschaftsteilnehmer abgegeben haben, vorsieht.

62

Denn gemäß Art. 2 Abs. 1 AEUV kann in den Bereichen ihrer ausschließlichen Zuständigkeit nur die Union gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen; die Mitgliedstaaten dürfen in einem solchen Fall nur tätig werden, wenn sie von der Union hierzu ermächtigt werden, oder um Rechtsakte der Union durchzuführen. Die Union hat die Mitgliedstaaten jedoch nicht ermächtigt, gesetzgeberisch tätig zu werden oder verbindliche Rechtsakte über den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das keine internationale Übereinkunft mit der Union geschlossen hat, zu den Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge zu erlassen. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 50 bis 52 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hat die Union bisher auch keine derartigen Rechtsakte erlassen, die die Mitgliedstaaten durchführen könnten.

63

In Ermangelung von Rechtsakten der Union ist es Sache des Auftraggebers, zu beurteilen, ob Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, zu einem Verfahren für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags zuzulassen sind, und, falls er dies bejaht, ob eine Bewertungsanpassung bei den Angeboten dieser Wirtschaftsteilnehmer im Vergleich zu jenen, die andere Wirtschaftsteilnehmer abgegeben haben, vorzusehen ist.

64

Da Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen haben, kein Recht auf eine nicht ungünstigere Behandlung nach Art. 43 der Richtlinie 2014/25 genießen, steht es dem Auftraggeber frei, in den Auftragsunterlagen Behandlungsmodalitäten aufzuführen, die den objektiven Unterschied zwischen der Rechtsstellung dieser Wirtschaftsteilnehmer einerseits und der Rechtsstellung der Wirtschaftsteilnehmer aus der Union und aus den Drittländern, die eine solche Übereinkunft im Sinne von Art. 43 der Richtlinie 2014/25 geschlossen haben, andererseits widerspiegeln sollen.

65

Jedenfalls dürfen nationale Behörden die nationalen Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 2014/25 nicht dahin auslegen, dass sie auch auf von einem Auftraggeber zur Teilnahme an einem Verfahren für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags in dem betreffenden Mitgliedstaat möglicherweise zugelassene Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern anwendbar sind, die mit der Union keine derartige Übereinkunft geschlossen haben, da sonst der ausschließliche Charakter der Zuständigkeit der Union in diesem Bereich missachtet würde.

66

Zwar ist denkbar, dass die Modalitäten der Behandlung dieser Wirtschaftsteilnehmer bestimmten Anforderungen, wie denen der Transparenz oder der Verhältnismäßigkeit, entsprechen müssen, doch kann ein Rechtsbehelf eines dieser Wirtschaftsteilnehmer, mit dem gerügt wird, dass der Auftraggeber solche Anforderungen nicht beachtet habe, nur anhand des nationalen Rechts und nicht anhand des Unionsrechts geprüft werden.

67

Nach alledem sind die nationalen Behörden nicht dafür zuständig, die nationalen Bestimmungen, mit denen die in der Richtlinie 2014/25 enthaltenen Vorschriften umgesetzt werden, auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen haben, für anwendbar zu erklären. Unter diesen Umständen kann die in Rn. 53 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung nicht dazu führen, dass Vorlagefragen, die im Rahmen des Rechtsstreits zwischen Kolin und der Kontrollkommission die Auslegung dieser Vorschriften betreffen, für zulässig erklärt werden.

68

Folglich kann die Auslegung der Art. 36 und 76 der Richtlinie 2014/25 in keiner Weise für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erheblich sein.

69

Somit ist das Vorabentscheidungsersuchen unzulässig.

Kosten

70

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

Das mit Entscheidung des Visoki upravni sud (Hohes Verwaltungsgericht, Kroatien) vom 10. Oktober 2022 vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen ist unzulässig.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Kroatisch.

( i ) Die vorliegende Sprachfassung ist in Rn. 36 gegenüber der ursprünglich online gestellten Fassung geändert worden.