URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

17. Oktober 2024 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Dienstleistungen im Binnenmarkt – Richtlinie 2006/123/EG – Genehmigungsregelung – Art. 10 – Bedingungen für die Erteilung einer Genehmigung – Verkauf von Tabakwaren – Nationale Regelung, die die Erteilung einer Genehmigung für die Einrichtung einer Verkaufsstelle für Tabakwaren an Bedingungen knüpft – Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl – Schutz der öffentlichen Gesundheit vor der Nikotinsucht“

In der Rechtssache C‑16/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Liguria (Regionales Verwaltungsgericht Ligurien, Italien) mit Entscheidung vom 22. Dezember 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Januar 2023, in dem Verfahren

FA.RO. di YK & C. Sas

gegen

Agenzia delle Dogane e dei Monopoli,

Beteiligter:

JS,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, des Richters A. Arabadjiev sowie der Richterin I. Ziemele (Berichterstatterin),

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: C. Di Bella, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2024,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der FA.RO. di YK & C. Sas, vertreten durch G. Briozzo, Avvocato,

von JS, vertreten durch A. Celotto und L. Grazzini, Avvocati,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von D. Del Gaizo und F. Meloncelli, Avvocati dello Stato,

der spanischen Regierung, vertreten durch M. Morales Puerta als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati, L. Malferrari und M. Mataija als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. März 2024

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 und 56 sowie von Art. 106 Abs. 2 AEUV und von Art. 15 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einer Gesellschaft italienischen Rechts, der FA.RO. di YK & C. Sas (im Folgenden: FA.RO.), und der Agenzia delle Dogane e dei Monopoli (Agentur für Zölle und Monopole, Italien) (im Folgenden: ADM) über die Ablehnung eines Antrags auf Einrichtung einer neuen Verkaufsstelle für Tabakwaren.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

3

In der Präambel des Rahmenübereinkommens der Weltgesundheitsorganisation zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (Framework Convention on Tobacco Control, im Folgenden: FCTC), das am 21. Mai 2003 in Genf von der Weltgesundheitsversammlung angenommen wurde und dem die Europäische Union wie auch ihre Mitgliedstaaten beigetreten sind, wird anerkannt, „dass wissenschaftliche Untersuchungen eindeutig bewiesen haben, dass Tabakkonsum und Passivrauchen zu Tod, Krankheit und Invalidität führen“ und „dass Zigaretten und bestimmte andere tabakhaltige Erzeugnisse technisch so konzipiert sind, dass sie Abhängigkeit schaffen und aufrechterhalten, dass viele der darin enthaltenen Verbindungen und der von ihnen erzeugte Rauch pharmakologisch wirksam, toxisch, mutagen und karzinogen sind, und dass Tabakabhängigkeit in den wichtigsten internationalen Krankheitsklassifikationen als Erkrankung separat eingestuft ist“.

4

Die Art. 8 bis 13 FCTC beziehen sich auf Maßnahmen zur Verminderung der Nachfrage nach Tabak. Sie betreffen den Schutz vor Passivrauchen, die Regelung bezüglich der Inhaltsstoffe von Tabakerzeugnissen, die Regelung bezüglich der Bekanntgabe von Angaben über Tabakerzeugnisse, die Verpackung und Etikettierung von Tabakerzeugnissen, die Aufklärung und Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit in Fragen der Eindämmung des Tabakgebrauchs bzw. das umfassende Verbot der Tabakwerbung, der Förderung des Tabakverkaufs und des Tabaksponsorings. Art. 14 des Übereinkommens sieht Maßnahmen zur Verminderung der Nachfrage im Zusammenhang mit Tabakabhängigkeit und der Aufgabe des Tabakkonsums vor, während sich die Art. 15 bis 17 des Übereinkommens auf Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verminderung des Tabakangebots beziehen und den unerlaubten Handel mit Tabakerzeugnissen, den Verkauf an und durch Minderjährige sowie die Unterstützung wirtschaftlich realisierbarer alternativer Tätigkeiten betreffen.

Unionsrecht

5

In den Erwägungsgründen 2, 5, 7, 8 und 66 der Richtlinie 2006/123 heißt es:

„(2)

Ein wettbewerbsfähiger Dienstleistungsmarkt ist für die Förderung des Wirtschaftswachstums und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Europäischen Union wesentlich. … Ein freier Markt, der die Mitgliedstaaten zwingt, Beschränkungen im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr abzubauen, bei gleichzeitiger größerer Transparenz und besserer Information der Verbraucher, würde für die Verbraucher größere Auswahl und bessere Dienstleistungen zu niedrigeren Preisen bedeuten.

(5)

Es ist deshalb erforderlich, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern in den Mitgliedstaaten und des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten zu beseitigen und den Dienstleistungsempfängern und ‑erbringern die Rechtssicherheit zu garantieren, die sie für die wirksame Wahrnehmung dieser beiden Grundfreiheiten des Vertrags benötigen. …

(7)

Mit dieser Richtlinie wird ein allgemeiner Rechtsrahmen geschaffen, der einem breiten Spektrum von Dienstleistungen zugutekommt und gleichzeitig die Besonderheiten einzelner Tätigkeiten und Berufe und ihre Reglementierung berücksichtigt. … Die Richtlinie berücksichtigt auch andere Gemeinwohlinteressen, einschließlich des Schutzes der Umwelt, der öffentlichen Sicherheit und der öffentlichen Gesundheit sowie der Einhaltung des Arbeitsrechts.

(8)

Die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit sollten nur insoweit Anwendung finden, als die betreffenden Tätigkeiten dem Wettbewerb offenstehen, so dass sie die Mitgliedstaaten weder verpflichten, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu liberalisieren, noch[,] öffentliche Einrichtungen, die solche Dienstleistungen anbieten, zu privatisieren, noch[,] bestehende Monopole für andere Tätigkeiten oder bestimmte Vertriebsdienste abzuschaffen.

(66)

Die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaat[s] sollte nicht von einer Überprüfung eines wirtschaftlichen Bedarfs abhängen. Das Verbot von Überprüfungen eines wirtschaftlichen Bedarfs als Vorbedingung für die Erteilung einer Genehmigung sollte sich auf wirtschaftliche Erwägungen als solche beziehen und nicht auf andere Anforderungen, die objektiv durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, wie etwa den Schutz der städtischen Umwelt, die Sozialpolitik und Ziele der öffentlichen Gesundheit. Das Verbot sollte nicht die Ausübung der Befugnisse der für das Wettbewerbsrecht zuständigen Behörden betreffen.“

6

Art. 1 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2006/123 bestimmt:

„(1)   Diese Richtlinie enthält allgemeine Bestimmungen, die bei gleichzeitiger Gewährleistung einer hohen Qualität der Dienstleistungen die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit durch Dienstleistungserbringer sowie den freien Dienstleistungsverkehr erleichtern sollen.

(2)   Diese Richtlinie betrifft weder die Liberalisierung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, die öffentlichen oder privaten Einrichtungen vorbehalten sind, noch die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, die Dienstleistungen erbringen.

(3)   Diese Richtlinie betrifft weder die Abschaffung von Dienstleistungsmonopolen noch von den Mitgliedstaaten gewährte Beihilfen, die unter die gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften fallen.

Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht festzulegen, welche Leistungen sie als von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erachten, wie diese Dienstleistungen unter Beachtung der Vorschriften über staatliche Beihilfen organisiert und finanziert werden sollten und welchen spezifischen Verpflichtungen sie unterliegen sollten.“

7

In Art. 2 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123 heißt es:

„(1)   Diese Richtlinie gilt für Dienstleistungen, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden.

(2)   Diese Richtlinie findet auf folgende Tätigkeiten keine Anwendung:

a)

nicht-wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse;

…“

8

Art. 4 der Richtlinie 2006/123 sieht vor:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

6.

‚Genehmigungsregelung‘ jedes Verfahren, das einen Dienstleistungserbringer oder ‑empfänger verpflichtet, bei einer zuständigen Behörde eine förmliche oder stillschweigende Entscheidung über die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit zu erwirken;

7.

‚Anforderungen‘ alle Auflagen, Verbote, Bedingungen oder Beschränkungen, die in den Rechts- oder Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten festgelegt sind oder sich aus der Rechtsprechung, der Verwaltungspraxis, den Regeln von Berufsverbänden oder den kollektiven Regeln, die von Berufsvereinigungen oder sonstigen Berufsorganisationen in Ausübung ihrer Rechtsautonomie erlassen wurden, ergeben; Regeln, die in von den Sozialpartnern ausgehandelten Tarifverträgen festgelegt wurden, sind als solche keine Anforderungen im Sinne dieser Richtlinie;

8.

‚zwingende Gründe des Allgemeininteresses‘ Gründe, die der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung als solche anerkannt hat, einschließlich folgender Gründe: öffentliche Ordnung; öffentliche Sicherheit; Sicherheit der Bevölkerung; öffentliche Gesundheit; Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts der Systeme der sozialen Sicherung; Schutz der Verbraucher, der Dienstleistungsempfänger und der Arbeitnehmer; Lauterkeit des Handelsverkehrs; Betrugsbekämpfung; Schutz der Umwelt und der städtischen Umwelt; Tierschutz; geistiges Eigentum; Erhaltung des nationalen historischen und künstlerischen Erbes; Ziele der Sozialpolitik und Ziele der Kulturpolitik;

…“

9

Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit nur dann Genehmigungsregelungen unterwerfen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

a)

[D]ie Genehmigungsregelungen sind für den betreffenden Dienstleistungserbringer nicht diskriminierend;

b)

die Genehmigungsregelungen sind durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt;

c)

das angestrebte Ziel kann nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden, insbesondere weil eine nachträgliche Kontrolle zu spät erfolgen würde, um wirksam zu sein.“

10

Art. 10 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123 lautet:

„(1)   Die Genehmigungsregelungen müssen auf Kriterien beruhen, die eine willkürliche Ausübung des Ermessens der zuständigen Behörden verhindern.

(2)   Die in Absatz 1 genannten Kriterien müssen:

a)

nicht diskriminierend sein;

b)

durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein;

c)

in Bezug auf diesen Grund des Allgemeininteresses verhältnismäßig sein;

d)

klar und unzweideutig sein;

e)

objektiv sein;

f)

im Voraus bekannt gemacht werden;

g)

transparent und zugänglich sein.“

11

Art. 14 der Richtlinie 2006/123 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht von einer der folgenden Anforderungen abhängig machen:

5.

einer wirtschaftlichen Überprüfung im Einzelfall, bei der die Erteilung der Genehmigung vom Nachweis eines wirtschaftlichen Bedarfs oder einer Marktnachfrage abhängig gemacht wird, oder der Beurteilung der tatsächlichen oder möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Tätigkeit oder der Bewertung ihrer Eignung für die Verwirklichung wirtschaftlicher, von der zuständigen Behörde festgelegter Programmziele; dieses Verbot betrifft nicht Planungserfordernisse, die keine wirtschaftlichen Ziele verfolgen, sondern zwingenden Gründen des Allgemeininteresses dienen;

…“

12

Art. 15 Abs. 1 bis 4 der Richtlinie 2006/123 bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnungen die in Absatz 2 aufgeführten Anforderungen vorsehen, und stellen sicher, dass diese Anforderungen die Bedingungen des Absatzes 3 erfüllen. Die Mitgliedstaaten ändern ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um sie diesen Bedingungen anzupassen.

(2)   Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnung die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von folgenden nicht diskriminierenden Anforderungen abhängig macht:

a)

mengenmäßigen oder territorialen Beschränkungen, insbesondere in Form von Beschränkungen aufgrund der Bevölkerungszahl oder bestimmter Mindestentfernungen zwischen Dienstleistungserbringern;

(3)   Die Mitgliedstaaten prüfen, ob die in Absatz 2 genannten Anforderungen folgende Bedingungen erfüllen:

a)

Nicht-Diskriminierung: [D]ie Anforderungen dürfen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen;

b)

Erforderlichkeit: [D]ie Anforderungen müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein;

c)

Verhältnismäßigkeit: [D]ie Anforderungen müssen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein; sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; diese Anforderungen können nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zum selben Ergebnis führen.

(4)   Die Absätze 1, 2 und 3 gelten für Rechtsvorschriften im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nur insoweit, als die Anwendung dieser Absätze die Erfüllung der anvertrauten besonderen Aufgabe nicht rechtlich oder tatsächlich verhindert.“

Italienisches Recht

Gesetz Nr. 1293/1957

13

Art. 16 der Legge no 1293 – Organizzazione dei servizi di distribuzione e vendita dei generi di monopolio (Gesetz Nr. 1293/1957 – Organisation der Vertriebs- und Verkaufsdienste für Monopolwaren) vom 22. Dezember 1957 (GURI Nr. 9 vom 13. Januar 1958) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 1293/1957) sieht vor:

„Der öffentliche Verkauf von Monopolwaren erfolgt über Verkaufsstellen und Lizenzen.

Die in Abs. 1 genannten Verkaufsstellen werden durch das Regionalbüro nach den durch Beschluss des Generaldirektors der autonomen Verwaltung der staatlichen Monopole festgelegten Kriterien und Modalitäten eingerichtet.“

14

Art. 19 des Gesetzes bestimmt:

„Verkaufsstellen für Monopolwaren werden unterteilt in:

b)

gewöhnliche Verkaufsstellen;

c)

besondere Verkaufsstellen.

Letztere werden an Privatpersonen für eine Dauer von höchstens neun Jahren in Konzession oder zur Pacht vergeben.

…“

15

In Art. 21 Abs. 1 des Gesetzes heißt es:

„Gewöhnliche Verkaufsstellen werden eingerichtet, wo und soweit es der Verwaltung nach Maßgabe des Dienstleistungsbedarfs sachdienlich und sinnvoll erscheint.

In Gemeinden, deren Bevölkerung 30000 Einwohner nicht übersteigt, werden die neu eingerichteten gewöhnlichen Verkaufsstellen versuchsweise durch Auswahlverfahren vergeben, die Kriegsinvaliden und ‑witwen sowie gesetzlich gleichgestellten Personengruppen und Personen vorbehalten sind, die für militärische Verdienste ausgezeichnet wurden.

In den übrigen Gemeinden und den Provinzhauptstädten werden gewöhnliche Verkaufsstellen versuchsweise durch öffentliche Versteigerung vergeben.

Die Verkaufsstelle wird an den Wettbewerber vergeben, der die Vergabekriterien erfüllt und die höchste Abgabe anbietet.

Der in den vorstehenden Absätzen genannte Versuchszeitraum dauert drei Jahre. Nach dessen Ablauf wird die Verkaufsstelle, falls sie nicht geschlossen wurde, gemäß Art. 25 klassifiziert und kann freihändig oder unmittelbar an den gleichen Inhaber vergeben werden.“

16

Aus dem Gesetz Nr. 1293/1957 ergibt sich zum einen auch, dass besondere Verkaufsstellen eingerichtet werden, um besonderen Dienstleistungsbedürfnissen an bestimmten Orten zu entsprechen, und zum anderen, dass die Verwaltung den Verkauf von Monopolwaren u. a. in Gasthäusern über eine Lizenz gestatten kann. In letzterem Fall bezieht der Inhaber seine Waren von der nächstgelegenen gewöhnlichen Verkaufsstelle.

Decreto-legge Nr. 98/2011

17

Art. 24 Abs. 42 des Decreto-legge n. 98 – Disposizioni urgenti per la stabilizzazione finanziaria (Decreto-legge Nr. 98/2011 – Dringlichkeitsbestimmungen zur finanziellen Konsolidierung) vom 6. Juli 2011 (GURI Nr. 155 vom 6. Juli 2011), mit Änderungen, umgewandelt in das Gesetz Nr. 111/2011 vom 15. Juli 2011 (GURI Nr. 164 vom 16. Juli 2011), in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Decreto-legge Nr. 98/2011) bestimmt:

„Das Ministerium für Wirtschaft und Finanzen bestimmt unter Beachtung der folgenden Grundsätze über einen bis zum 31. März 2013 ergangenen Erlass … Regeln für die Einrichtung von gewöhnlichen und von besonderen Verkaufsstellen für Monopolwaren sowie für die Erteilung und die Verlängerung von Lizenzen:

a)

Optimierung und Rationalisierung des Verkaufsnetzes auch über die Festlegung von Kriterien, mit denen die Standorte von Verkaufsstellen geregelt werden, um unter Beachtung des Wettbewerbsschutzes das Erfordernis, den Verbrauchern ein flächendeckendes Verkaufsnetz zu garantieren, mit dem vorrangigen öffentlichen Interesse des Gesundheitsschutzes in Einklang zu bringen, das darin besteht, jede Abgabe von Tabak an die Öffentlichkeit zu verhindern und zu kontrollieren, die nicht durch die tatsächliche Nachfrage nach Tabak gerechtfertigt ist;

b)

gewöhnliche Verkaufsstellen dürfen nur bei Vorliegen bestimmter Anforderungen an die Entfernung, mindestens 200 Meter, und die Einwohnerzahl, unter Beachtung des Verhältnisses von einer Verkaufsstelle pro 1500 Einwohner eingerichtet werden;

c)

…;

d)

Übertragungen von gewöhnlichen Verkaufsstellen sind nur unter Geltung der in Buchst. b genannten Anforderungen an die Entfernung und gegebenenfalls an die Einwohnerzahl möglich;

e)

die Einrichtung besonderer Verkaufsstellen ist nur dann möglich, wenn ein objektiver und tatsächlicher Dienstleistungsbedarf vorliegt, was anhand der tatsächlichen Standorte der anderen, im gleichen Referenzgebiet bereits vorhandenen Verkaufsstellen sowie anhand der in Buchst. b genannten Anforderungen zu prüfen ist;

f)

die Erteilung und die Verlängerung von Lizenzen ist in Abhängigkeit des Umstands, dass sie Verkaufsstellen für Monopolwaren ergänzen und sich nicht mit ihnen überschneiden, zu prüfen, und zwar auch durch Bestimmung und Anwendung des Abstandskriteriums.“

Ministerialdekret Nr. 38/2013

18

In Art. 2 Abs. 1 bis 3 des in Anwendung von Art. 24 Abs. 42 des Decreto-legge Nr. 98/2011 erlassenen Decreto ministeriale n. 38 – Regolamento recante disciplina della distribuzione e vendita dei prodotti da fumo (Ministerialdekret Nr. 38 – Verordnung zur Regelung des Vertriebs und des Verkaufs von Rauchwaren) vom 21. Februar 2013 (GURI Nr. 89 vom 16. April 2013) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Ministerialdekret Nr. 38/2013) heißt es:

„(1)   Die Einrichtung von gewöhnlichen Verkaufsstellen ist zulässig, soweit die im vorliegenden Artikel genannten Parameter erfüllt sind.

(2)   Der Mindestabstand zur nächstgelegenen, in Betrieb befindlichen Verkaufsstelle beträgt mindestens:

a)

300 Meter (m) in Gemeinden mit bis zu 30000 Einwohnern;

b)

250 m in Gemeinden zwischen 30001 und 100000 Einwohnern;

c)

200 m in Gemeinden mit mehr als 100000 Einwohnern.

(3)   Die Einrichtung einer neuen Verkaufsstelle ist unzulässig, wenn das Verhältnis von einer Verkaufsstelle pro 1500 Einwohner in den betreffenden Gemeinden bereits erreicht ist, ausgenommen Gemeinden mit weniger als 1500 Einwohnern ohne Verkaufsstelle, soweit ein tatsächlicher und konkreter Dienstleistungsbedarf besteht und die nächstgelegene gewöhnliche Verkaufsstelle mehr als 600 m entfernt ist.“

19

Art. 3 Abs. 1 bis 6 des Ministerialdekrets Nr. 38/2013 bestimmt:

„(1)   Nach Art. 21 des Gesetzes [Nr. 1293/1957] werden gewöhnliche Verkaufsstellen durch Beschluss der zuständigen Büros der [ADM] innerhalb der Zeiten und Orte eingerichtet, die anhand des Dienstleistungsbedarfs bestimmt wurden, wobei insbesondere neue Wohn- oder Gewerbegebiete, die besondere Bedeutung von Verkehrsknotenpunkten und wichtigen städtischen Treffpunkten, die Wohnbevölkerung sowie das Vorhandensein von Büros oder Produktionsstätten mit besonderer Bedeutung und Nutzungsfrequenz, die ein Interesse an der Dienstleistung belegen, sowie bei den Büros eingegangene Anträge auf Übertragung berücksichtigt werden.

(2)   Die zuständigen Büros erstellen für die Zwecke von Abs. 1 für jedes Geschäftsjahr zwei Halbjahrespläne für die Einrichtung von gewöhnlichen Verkaufsstellen, indem angesichts der bereits bestehenden Verkaufsstellen sowie der zwischenzeitlich eingegangenen Anträge auf Übertragung der Notwendigkeit Rechnung getragen wird, dass das Verkaufsnetz für Tabakwaren

a)

dem Dienstleistungsbedarf angemessen ist;

b)

so organisiert ist, dass die Effizienz und Wirksamkeit der Kontrollen durch die Verwaltung zum Schutz von Minderjährigen, der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit sowie der Steuereinnahmen gewährleistet ist.

(3)   Bei der Vorbereitung jedes Plans werden die Anträge auf Übertragung und die Vorschläge für die Einrichtung neuer Verkaufsstellen, die die Verwaltung im unmittelbar vorhergehenden Halbjahr erhalten hat, geprüft. Vorschläge für die Einrichtung neuer Verkaufsstellen begründen weder Rechte zugunsten der Antragsteller noch Pflichten zulasten der Verwaltung.

(4)   Zwischen dem 31. März und dem 30. September erstellt das zuständige Büro den Entwurf für einen Plan zur Einrichtung neuer gewöhnlicher Verkaufsstellen, wobei es sicherstellt, dass lediglich die Vorschläge für neue Verkaufsstellen einbezogen werden, für die unter Beachtung der in Art. 2 genannten Parameter sowie aller sonstigen sachdienlichen Untersuchungsergebnisse ein Dienstleistungsbedarf besteht.

(5)   Für jeden Entwurf eines Halbjahresplans wird ab dem 30. April und bis spätestens zum 31. Oktober vom zuständigen Büro … der Planentwurf in einem spezifischen Bereich der offiziellen Website der [ADM] veröffentlicht. …

(6)   Sobald der Planentwurf unter Berücksichtigung aller ermittelten Untersuchungsergebnisse erstellt wurde, wird die Einleitung des Verfahrens zur Einrichtung neuer Verkaufsstellen vom zuständigen Büro den Eigentümern der drei nächstgelegenen Verkaufsstellen mitgeteilt, die sich weniger als 600 m von der neuen Verkaufsstelle entfernt befinden, und ihnen eine Frist von 15 Tagen eingeräumt, um etwaige Stellungnahmen einzureichen. Das zuständige Büro genehmigt den endgültigen Plan für die Einrichtung neuer Verkaufsstellen nach Ablauf dieser Frist und unter Berücksichtigung aller ermittelten Untersuchungsergebnisse und veröffentlicht für alle Gebiete, die von ihm für geeignet befunden wurden, die Vergabebekanntmachung nach Art. 21 des Gesetzes [Nr. 1293/1957] …“

20

Gemäß Art. 7 des Ministerialdekrets müssen Lizenzen durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein, die Dienstleistung an Orten und zu Zeiten anzubieten, an bzw. zu denen sie von gewöhnlichen Verkaufsstellen nicht erbracht werden kann. Die Vergabe einer Lizenz ist ausgeschlossen, wenn in der nächstgelegenen Verkaufsstelle, die in einer Entfernung unterhalb der vorab festgesetzten Grenzen liegt, ein Verkaufsautomat für Tabakwaren installiert ist.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

21

FA.RO. betreibt in der Gemeinde Finale Ligure (Italien) eine Speise- und Schankwirtschaft. Sie war Inhaberin einer Lizenz, die ihr den Einzelhandelsverkauf von dem staatlichen Monopol unterliegenden Waren in ihren Geschäftsräumen erlaubte. Mit Verfügung vom 19. November 2021 leitete die ADM mit der Begründung ein Verfahren zum Widerruf dieser Lizenz ein, dass die weniger als 300 m entfernt gelegene Hauptverkaufsstelle, der sie für die Belieferung angegliedert sei, einen Zigarettenautomaten aufgestellt habe, was nach Art. 7 des Ministerialdekrets Nr. 38/2013 einer Aufrechterhaltung der Lizenz entgegenstehe.

22

FA.RO. stellte daher einen Antrag auf Einrichtung einer neuen gewöhnlichen Verkaufsstelle in ihren Geschäftsräumen und erläuterte, dass sich die Notwendigkeit dieser Verkaufsstelle aus einem großen Zustrom von Verbrauchern ergebe.

23

Am 31. März 2022 erließ die ADM den Vermerk Nr. 6401/RU betreffend den Entwurf eines Halbjahresplans für die Einrichtung neuer gewöhnlicher Verkaufsstellen in Ligurien, der am 6. April 2022 veröffentlicht wurde. Die Verkaufsstelle, deren Einrichtung von FA.RO. beantragt worden war, war nicht in diesen Entwurf eines Halbjahresplans aufgenommen worden, weil die in Art. 2 des Ministerialdekrets Nr. 38/2013 festgelegten Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl nicht erfüllt seien. Zum einen lägen die vorgeschlagenen Räumlichkeiten nämlich 176 m bzw. 220 m von zwei anderen Verkaufsstellen entfernt. Zum anderen gebe es in der Gemeinde Finale Ligure bereits 13 aktive gewöhnliche und besondere Verkaufsstellen für 11358 Einwohner.

24

FA.RO. erhob beim Tribunale amministrativo regionale per la Liguria (Regionales Verwaltungsgericht Ligurien, Italien), dem vorlegenden Gericht, Klage gegen den Entwurf des Halbjahresplans und den endgültigen Plan, soweit darin die Einrichtung der von ihr beantragten Verkaufsstelle nicht vorgesehen war. Sie machte u. a. geltend, dass die Einrichtung einer neuen Verkaufsstelle in ihren Geschäftsräumen keinen Angebotsüberschuss im Verhältnis zur Nachfrage bewirke, da die Zahl der tatsächlichen Nutzer der Dienstleistung die der Wohnbevölkerung wegen des massiven Zustroms an Besuchern und Feriengästen während der Wochenenden und der Urlaubssaison um das Hundertfache übersteige. Unter diesen Umständen hätte die ADM die in den maßgeblichen nationalen Rechtsvorschriften definierten Parameter nicht schematisch anwenden dürfen, sondern sie hätte die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit der Beschränkungen des freien Zugangs zum Dienstleistungsmarkt prüfen müssen und Art. 24 Abs. 42 des Decreto-legge Nr. 98/2011 sowie Art. 2 des Ministerialdekrets Nr. 38/2013 unangewendet lassen müssen, da sie gegen Art. 15 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123 verstießen.

25

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der (in Rn. 22 des vorliegenden Urteils) erwähnte Antrag aufgrund der von den maßgeblichen nationalen Rechtsvorschriften abstrakt festgelegten Kriterien abgelehnt worden sei, ohne die von FA.RO. vorgelegten Beweise zu würdigen, wonach der Handel mit Tabakwaren in der von ihr beantragten Verkaufsstelle keiner Erhöhung der Nachfrage Vorschub leiste, sondern vielmehr einen bestehenden und erheblichen Dienstleistungsbedarf befriedige.

26

Die in diesen nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Voraussetzungen zu Entfernung und Bevölkerungszahl stellten territoriale und mengenmäßige Beschränkungen im Sinne von Art. 15 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/123 dar und seien möglicherweise mit den in Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehenen Kriterien unvereinbar.

27

Der zwingende Grund, der den nationalen Gesetzgeber dazu veranlasst habe, solche beschränkenden Maßnahmen zu ergreifen, sei der Schutz der menschlichen Gesundheit vor den von Tabakwaren ausgehenden Gefahren. Diese Beschränkungen schienen allerdings nicht wirklich geeignet, vom Konsum von Tabakwaren abzuschrecken oder ihn zumindest nicht zu fördern, u. a. aufgrund der immer weiter zunehmenden Verbreitung von Verkaufsautomaten, die von den Inhabern genehmigter Verkaufsstellen aufgestellt werden könnten, was zur Folge habe, dass Zigaretten für Verbraucher ständig verfügbar seien. Damit die Verringerung der Anzahl von Verkaufsstellen eine abschreckende Wirkung haben könne, wäre es erforderlich, die Mindestentfernungen zwischen den Tabakläden in Kilometern und nicht in Metern festzulegen.

28

Die Erforderlichkeit von auf Entfernung und Bevölkerungszahl gestützten Kriterien ergebe sich auch nicht aus dem FCTC. Außerdem lasse sich einem Bericht der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde, Italien) zum einen entnehmen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden beschränkenden Maßnahmen nicht so sehr auf den Schutz der Gesundheit der Bürger abzielten, sondern eher auf die Sicherstellung der Rentabilität der Tätigkeit, und zum anderen, dass die Mindestabstände sowie jegliche Form der Planung der Angebotsstruktur abgeschafft werden müssten.

29

In jedem Fall könnten sich diese Beschränkungen im Hinblick auf das Ziel des Gesundheitsschutzes durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage wegen ihrer Starrheit und ihrer Bindung rein an Meldedaten als unverhältnismäßig erweisen.

30

Die ADM müsse etwaige objektive Umstände berücksichtigen dürfen, die darauf hindeuteten, dass die Einrichtung einer neuen gewöhnlichen Verkaufsstelle auch dann, wenn die Entfernungs- und Bevölkerungsgrenzen des Gebiets nicht eingehalten würden, einen Dienstleistungsbedarf befriedigen und daher nicht zu einer Überkapazität des Angebots führen würde, u. a. wenn – wie vorliegend – der Kreis der Verbraucher aufgrund des hohen Fremdenverkehrsaufkommens viel größer als die Wohnbevölkerung sei.

31

Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per la Liguria (Regionales Verwaltungsgericht Ligurien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind Art. 15 der Richtlinie 2006/123 und die Art. 49 und 56 sowie Art. 106 Abs. 2 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die Beschränkungen für die Zulassung von Verkaufsstellen für Tabakerzeugnisse auf der Grundlage einer geografischen Mindestentfernung zwischen Dienstleistungserbringern und auf der Grundlage der Wohnbevölkerung vorsieht?

2.

Sind Art. 15 der Richtlinie 2006/123 und die Art. 49 und 56 sowie Art. 106 Abs. 2 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die die Zulassung von Verkaufsstellen für Tabakerzeugnisse von der Einhaltung vorgegebener Parameter für die geografische Mindestentfernung zwischen Dienstleistungserbringern und die Wohnbevölkerung abhängig macht, ohne der zuständigen Behörde die Möglichkeit zu geben, andere objektive tatsächliche Umstände zu beurteilen, die auch ohne diese Anforderungen im Einzelfall das Bestehen eines Dienstleistungsbedarfs belegen?

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

32

Die spanische Regierung macht im Wesentlichen geltend, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, da keine der Bestimmungen, um deren Auslegung ersucht werde, auf den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalt anwendbar sei. Ohne förmlich eine Unzulässigkeitseinrede zu erheben, beanstandet die italienische Regierung unter Berufung auf Art. 2 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123 die Anwendbarkeit dieser Richtlinie auf den Sachverhalt.

33

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen hat. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 8. Mai 2024, Instituto da Segurança Social u. a.,C‑20/23, EU:C:2024:389, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Folglich spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 8. Mai 2024, Instituto da Segurança Social u. a.,C‑20/23, EU:C:2024:389, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35

Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung macht es im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, erforderlich, dass dieses Gericht die Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens, die ausdrücklich in Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs aufgeführt sind, sorgfältig beachtet (Urteil vom 28. November 2023, Commune d’Ans,C‑148/22, EU:C:2023:924, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

So ist es nach Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung insbesondere unerlässlich, dass das Vorabentscheidungsersuchen eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang enthält, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf das Ausgangsverfahren anwendbaren nationalen Recht herstellt (Urteil vom 28. November 2023, Commune d’Ans,C‑148/22, EU:C:2023:924, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37

Im vorliegenden Fall ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um die Auslegung der Art. 49 und 56 sowie Art. 106 Abs. 2 AEUV und von Art. 15 der Richtlinie 2006/123.

38

Was erstens die Art. 49 und 56 AEUV betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Kapitalverkehr auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, grundsätzlich keine Anwendung finden (Urteile vom 15. November 2016, Ullens de Schooten,C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 18. Januar 2022, Thelen Technopark Berlin,C‑261/20, EU:C:2022:33, Rn. 50).

39

Der Gerichtshof kann, wenn er von einem nationalen Gericht im Zusammenhang mit einem Sachverhalt angerufen wird, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, ohne eine entsprechende Angabe dieses Gerichts nicht davon ausgehen, dass das Ersuchen um Auslegung im Wege der Vorabentscheidung bezüglich der die Grundfreiheiten betreffenden Vorschriften des AEU-Vertrags für die Entscheidung des bei diesem Gericht anhängigen Rechtsstreits erforderlich ist. Die konkreten Merkmale, die es ermöglichen, einen Zusammenhang zwischen dem Gegenstand oder den Umständen eines Rechtsstreits, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen des betreffenden Mitgliedstaats hinausweisen, und den Art. 49 und 56 AEUV herzustellen, müssen sich nämlich aus der Vorlageentscheidung ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. November 2016, Ullens de Schooten,C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 54, und vom 18. Januar 2022, Thelen Technopark Berlin,C‑261/20, EU:C:2022:33, Rn. 52).

40

Folglich ist es bei einem Sachverhalt, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, Sache des vorlegenden Gerichts, dem Gerichtshof den Anforderungen von Art. 94 seiner Verfahrensordnung entsprechend anzugeben, inwieweit der bei ihm anhängige Rechtsstreit trotz seines rein innerstaatlichen Charakters einen Anknüpfungspunkt bezüglich der Vorschriften des Unionsrechts betreffend die Grundfreiheiten aufweist, der die Auslegung im Wege der Vorabentscheidung, um die ersucht wird, für die Entscheidung dieses Rechtsstreits erforderlich macht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. November 2016, Ullens de Schooten,C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 55, und vom 18. Januar 2022, Thelen Technopark Berlin,C‑261/20, EU:C:2022:33, Rn. 53).

41

Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich aber zum einen, dass die Merkmale des Ausgangsrechtsstreits sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats, hier der Italienischen Republik, hinausweisen. Zum anderen lässt sich der Vorlageentscheidung kein Hinweis darauf entnehmen, dass der Gegenstand dieses Rechtsstreits trotz seines rein innerstaatlichen Charakters einen Anknüpfungspunkt bezüglich der Art. 49 und 56 AEUV aufwiese, der die Auslegung, um die ersucht wird, für die Entscheidung dieses Rechtsstreits erforderlich machen würde.

42

Folglich sind die Vorlagefragen unzulässig, soweit sie die Auslegung der Art. 49 und 56 AEUV betreffen.

43

Was zweitens die Auslegung von Art. 106 Abs. 2 AEUV betrifft, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass nach dieser Bestimmung für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, die Wettbewerbsregeln gelten, soweit die Anwendung dieser Regeln nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. Zum anderen soll diese Bestimmung das Interesse der Mitgliedstaaten am Einsatz bestimmter Unternehmen als Instrument der Wirtschafts- oder Sozialpolitik mit dem Interesse der Union an der Einhaltung der Wettbewerbsregeln und der Wahrung der Einheit des Binnenmarkts in Einklang bringen (Urteil vom 24. November 2020, Viasat Broadcasting UK,C‑445/19, EU:C:2020:952, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Mit der Beschränkung auf die Angabe, dass die Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl Beschränkungen der in Art. 106 Abs. 2 AEUV garantierten Grundrechte und ‑freiheiten darstellten, lässt das vorlegende Gericht aber eine Darlegung vermissen, welchen Zusammenhang es zwischen dieser Bestimmung und der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung herstellt.

45

Daher sind die Vorlagefragen auch insoweit unzulässig, als sie sich auf die Auslegung von Art. 106 Abs. 2 AEUV beziehen.

46

Was drittens die Auslegung der Richtlinie 2006/123 betrifft, weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die in der nationalen Regelung vorgesehenen Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl mengenmäßige oder territoriale Beschränkungen im Sinne von Art. 15 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie darstellen könnten. Sollte dies der Fall sein, wirft das Gericht die Frage nach der Vereinbarkeit dieser Bedingungen mit Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie auf und unterzieht sie einer Würdigung anhand dieser Bestimmung. Damit legt es den Zusammenhang dar, den es zwischen den Bestimmungen der Richtlinie 2006/123 und der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung herstellt, sowie die Gründe, die es dazu veranlasst haben, die Frage nach der Auslegung dieser Richtlinie aufzuwerfen.

47

Im Übrigen hat der Gerichtshof nach einer grammatikalischen, historischen, systematischen und teleologischen Auslegung der Richtlinie 2006/123 bereits mehrfach entschieden, dass die Bestimmungen ihres Kapitels III – zu dem Art. 15 der Richtlinie gehört – zur Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer dahin auszulegen sind, dass sie u. a. auf einen Sachverhalt anwendbar sind, bei dem sämtliche erheblichen Merkmale nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (Urteil vom 20. April 2023, Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato [Comune di Ginosa], C‑348/22, EU:C:2023:301, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48

Wenn die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, kann der Einwand der Unanwendbarkeit dieser Bestimmung auf das Ausgangsverfahren die Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen nicht widerlegen und ist im Rahmen der materiell-rechtlichen Prüfung der Fragen zu behandeln (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. März 2024, Roheline Kogukond u. a.,C‑234/22, EU:C:2024:211, Rn. 27 und 29 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

49

Daraus folgt, dass das Vorabentscheidungsersuchen zulässig ist, soweit es die Auslegung der Richtlinie 2006/123 betrifft.

Zu den Vorlagefragen

50

Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 15 der Richtlinie 2006/123 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Erteilung einer Genehmigung für Verkaufsstellen von Tabakwaren an die Einhaltung von Bedingungen hinsichtlich der geografischen Mindestentfernung zwischen Dienstleistungserbringern und hinsichtlich der Bevölkerungszahl knüpft, ohne dass für die zuständige Behörde die Möglichkeit bestünde, anstelle dieser Bedingungen periodische Anstiege der Anzahl der Verbraucher zu berücksichtigen.

Zum Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/123

51

Da die spanische und die italienische Regierung angesichts von Art. 1 Abs. 3 bzw. Art. 2 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123 zu dem Schluss gekommen sind, dass diese Richtlinie nicht anwendbar sei, ist zunächst zu prüfen, ob die Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sachverhalt in ihren Anwendungsbereich fällt.

52

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Bestimmungen der Richtlinie 2006/123 unter Berücksichtigung nicht nur ihres Wortlauts, sondern auch ihres Zusammenhangs und der Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden, auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Juli 2021, BEMH und CNCC, C‑325/20, EU:C:2021:611, Rn. 18, und vom 12. Oktober 2023, INTER CONSULTING,C‑726/21, EU:C:2023:764, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53

Gemäß ihrem Art. 1 Abs. 3 betrifft die Richtlinie 2006/123 nicht die Abschaffung von Dienstleistungsmonopolen.

54

Nach ihrem achten Erwägungsgrund sollten die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit nur insoweit Anwendung finden, als die betreffenden Tätigkeiten dem Wettbewerb offenstehen, so dass sie die Mitgliedstaaten u. a. nicht verpflichten, bestehende Monopole für andere Tätigkeiten oder bestimmte Vertriebsdienste abzuschaffen.

55

Aus Art. 1 Abs. 3 in Verbindung mit dem achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 ergibt sich somit, dass vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie Sachverhalte ausgenommen sind, in denen die Erbringung einer Dienstleistung dem Wettbewerb entzogen ist, weil eine nationale Regelung einem Wirtschaftsteilnehmer ein Monopol für bestimmte Dienstleistungen eingeräumt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. November 2018, Memoria und Dall’Antonia, C‑342/17, EU:C:2018:906, Rn. 41), und in denen die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie zur Folge hätte, dass das Bestehen dieses Monopols in Frage gestellt würde.

56

Eine solche Auslegung von Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 ermöglicht es, die praktische Wirksamkeit der damit eingeführten Ausnahme unter gleichzeitiger Beachtung des Ziels der Richtlinie sicherzustellen, das – wie sich aus ihrem Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit u. a. den Erwägungsgründen 2 und 5 ergibt – darin besteht, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern in den Mitgliedstaaten und des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten zu beseitigen, um zur Schaffung eines freien und wettbewerbsfähigen Binnenmarkts beizutragen (Urteil vom 30. Januar 2018, X und Visser, C‑360/15 und C‑31/16, EU:C:2018:44, Rn. 104 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57

Im vorliegenden Fall lässt sich dem Vorabentscheidungsersuchen entnehmen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung den Einzelhandel mit Tabakwaren Vertriebshändlern vorbehält, die über gewöhnliche und besondere Verkaufsstellen sowie Lizenzen staatlich zugelassen werden.

58

Daraus ergibt sich, dass die Tätigkeit des Einzelhandels mit Tabakwaren, die unter den Begriff „Dienstleistung“ im Sinne von Art. 4 Nr. 1 der Richtlinie 2006/123 fällt (vgl. entsprechend Urteile vom 30. Januar 2018, X und Visser, C‑360/15 und C‑31/16, EU:C:2018:44, Rn. 91, und vom 26. September 2018, Van Gennip u. a.,C‑137/17, EU:C:2018:771, Rn. 76), nicht dem Wettbewerb entzogen oder einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer übertragen wurde, sondern von unabhängigen Privatpersonen ausgeübt wird. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung betrifft überdies den Zugang verschiedener Wirtschaftsteilnehmer zum Markt für den Einzelhandel mit Tabakwaren.

59

Wie der Generalanwalt in Nr. 47 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, setzt die Erteilung von Genehmigungen für Verkaufsstellen und von Lizenzen zwar die Ausübung öffentlicher Gewalt durch die italienische Verwaltung voraus, die die Verkaufsstellen genehmigt und Lizenzen vergibt. Dieser Umstand bedeutet allerdings weder, dass die Verwaltung selbst den Einzelhandel mit Tabakwaren betreibt, noch, dass sie in geschäftliche Entscheidungen der Inhaber solcher Verkaufsstellen und Lizenzen eingreifen darf.

60

Folglich kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Regelung, die den Einzelhandel mit Tabakwaren Vertriebshändlern vorbehält, die über gewöhnliche und besondere Verkaufsstellen sowie Lizenzen staatlich zugelassen werden, unter den Begriff „Dienstleistungsmonopol“ im Sinne von Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 fällt.

61

Zum Vorbringen der italienischen Regierung, die Richtlinie 2006/123 sei aufgrund ihres Art. 2 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit ihrem achten Erwägungsgrund nicht anwendbar, da Tabakhändler eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ausübten, durch die das Funktionieren des Steuermonopols auf Tabak sichergestellt werde, genügt der Hinweis, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass die von dieser Richtlinie aufgestellten Regeln grundsätzlich auf alle Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse anwendbar sind, da von ihrem Anwendungsbereich nur nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ausgenommen sind (Urteil vom 11. April 2019, Repsol Butano und DISA Gas, C‑473/17 und C‑546/17, EU:C:2019:308, Rn. 43).

62

Daher sind Art. 1 Abs. 3 sowie Art. 2 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123 dahin auszulegen, dass eine Regelung, die den Einzelhandel mit Tabakwaren Vertriebshändlern vorbehält, die über gewöhnliche und besondere Verkaufsstellen sowie Lizenzen staatlich zugelassen werden, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.

Zu den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2006/123

63

Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof dessen Aufgabe, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zweckdienliche Antwort zu geben. So gesehen kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (Urteil vom 22. Februar 2024, Direcţia pentru Evidenţa Persoanelor şi Administrarea Bazelor de Date,C‑491/21, EU:C:2024:143, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64

Art. 15 der Richtlinie 2006/123, um dessen Auslegung das vorlegende Gericht ersucht, findet sich, wie auch Art. 14, in Kapitel III Abschnitt 2 („Unzulässige oder zu prüfende Anforderungen“) der Richtlinie. Abschnitt 1 („Genehmigungen“) dieses Kapitels umfasst die Art. 9 bis 13.

65

Insoweit definiert Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2006/123 den Begriff der „Genehmigungsregelung“ als „jedes Verfahren, das einen Dienstleistungserbringer oder ‑empfänger verpflichtet, bei einer zuständigen Behörde eine förmliche oder stillschweigende Entscheidung über die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit zu erwirken“.

66

„Anforderungen“ sind nach Art. 4 Nr. 7 der Richtlinie „alle Auflagen, Verbote, Bedingungen oder Beschränkungen, die in den Rechts- oder Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten festgelegt sind oder sich aus der Rechtsprechung, der Verwaltungspraxis, den Regeln von Berufsverbänden oder den kollektiven Regeln, die von Berufsvereinigungen oder sonstigen Berufsorganisationen in Ausübung ihrer Rechtsautonomie erlassen wurden, ergeben“.

67

Der Gerichtshof hat entschieden, dass sich eine „Genehmigungsregelung“ im Sinne von Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2006/123 von „Anforderungen“ im Sinne von Art. 4 Nr. 7 der Richtlinie darin unterscheidet, dass der Dienstleistungserbringer eine förmliche Entscheidung erwirken muss, mit der die zuständigen Behörden seine Tätigkeit genehmigen (Urteil vom 22. September 2020, Cali Apartments,C‑724/18 und C‑727/18, EU:C:2020:743, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68

Dem Vorabentscheidungsersuchen lässt sich entnehmen, dass es im Ausgangsrechtsstreit um die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der ADM geht, im Halbjahresplan für die Einrichtung neuer gewöhnlicher Verkaufsstellen in Ligurien die Genehmigung für eine neue Verkaufsstelle in den Räumlichkeiten von FA.RO. mit der Begründung zu versagen, dass die in der nationalen Regelung vorgesehenen Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl nicht erfüllt seien.

69

Weiterhin ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass ein Dienstleistungserbringer nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung eine gewöhnliche oder besondere Verkaufsstelle in Konzession oder zur Pacht bzw. eine Lizenz erhalten muss, die gemäß dem von dieser Regelung vorgesehenen Verfahren vergeben werden, damit er Tabakwaren vertreiben darf. Im Einzelnen erfordert die Einrichtung von gewöhnlichen Verkaufsstellen den Erlass einer Entscheidung der ADM in Anwendung eines zuvor erstellten Halbjahresplans. Bei der Vorbereitung dieses Plans berücksichtigt die ADM die Anträge auf Einrichtung neuer gewöhnlicher Verkaufsstellen. Der Plan schließt diejenigen neuen Verkaufsstellen ein, für die ein Dienstleistungsbedarf besteht und die die von der einschlägigen Regelung festgelegten Bedingungen erfüllen.

70

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 59 bis 63 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist ein Dienstleistungserbringer, um Tabakwaren vertreiben zu dürfen, mithin verpflichtet, bei einer zuständigen Behörde einen förmlichen Rechtsakt zu erwirken, der ihm den Zugang zu dieser Tätigkeit ermöglicht.

71

Solche Merkmale entsprechen aber, wie in Rn. 67 des vorliegenden Urteils ausgeführt, denen einer „Genehmigungsregelung“ im Sinne von Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2006/123. Vorbehaltlich der Prüfungen, die das vorlegende Gericht vorzunehmen haben wird, fällt die Organisation des Einzelhandels mit Tabakwaren damit unter den Begriff der „Genehmigungsregelung“ im Sinne dieser Bestimmung.

72

Bei einer Regelung eines Mitgliedstaats, mit der der nationale Gesetzgeber bestimmte Behörden damit betraut, eine Genehmigungsregelung im Sinne von Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2006/123 durchzuführen, indem er die Voraussetzungen festlegt, unter denen die Erteilung der entsprechenden Genehmigungen steht, ist es Sache der nationalen Gerichte, zu beurteilen, ob der Rückgriff des nationalen Gesetzgebers auf eine solche Regelung mit Art. 9 der Richtlinie in Einklang steht und ob die vom nationalen Gesetzgeber festgelegten Kriterien, die für die Erteilung der Genehmigungen maßgeblich sind, und die Anwendung dieser Kriterien durch die Behörden, deren Maßnahmen angegriffen werden, den Anforderungen gemäß Art. 10 der Richtlinie entsprechen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2020, Cali Apartments,C‑724/18 und C‑727/18, EU:C:2020:743, Rn. 59).

73

Das vorlegende Gericht hat in seinem Vorabentscheidungsersuchen allerdings klar zum Ausdruck gebracht, dass es die Rechtmäßigkeit der in der italienischen Regelung vorgesehenen Genehmigungsregelung in Anwendung von Art. 9 der Richtlinie 2006/123 nicht in Frage stellen wolle. Damit hat es seine Fragen nicht auf den Umstand erstreckt, ob der Rückgriff des italienischen Gesetzgebers auf eine solche Regelung mit diesem Artikel vereinbar wäre.

74

Folglich ist eine Auslegung von Art. 10 der Richtlinie 2006/123 angezeigt, um dem vorlegenden Gericht alle sachdienlichen Hinweise zu geben, die ihm die Würdigung ermöglichen, ob die Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl, unter die die nationale Regelung die Einrichtung von neuen gewöhnlichen Verkaufsstellen für Tabakwaren stellt, mit dieser Bestimmung vereinbar sind.

Zu den Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl

75

Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl finden sich zum einen in Art. 24 Abs. 42 Buchst. b des Decreto-legge Nr. 98/2011 und zum anderen in Art. 2 des Ministerialdekrets Nr. 38/2013. Nach der zuerst genannten Bestimmung darf die Entfernung zwischen gewöhnlichen Verkaufsstellen nicht weniger als 200 m betragen, und ein Verhältnis von einer Verkaufsstelle pro 1500 Einwohner muss eingehalten werden. Nach der an zweiter Stelle genannten Bestimmung muss der Mindestabstand der für die neue Verkaufsstelle bestimmten Räumlichkeiten im Verhältnis zur nächstgelegenen, bereits in Betrieb befindlichen Verkaufsstelle mindestens 300 m in Gemeinden mit bis zu 30000 Einwohnern, 250 m in Gemeinden zwischen 30001 und 100000 Einwohnern und 200 m in Gemeinden mit mehr als 100000 Einwohnern betragen. Außerdem wird in dieser Bestimmung ausgeführt, dass das Verhältnis von einer Verkaufsstelle pro 1500 Einwohner in Gemeinden mit weniger als 1500 Einwohnern ohne Verkaufsstelle nicht eingehalten werden muss, soweit ein tatsächlicher und konkreter Dienstleistungsbedarf besteht und die nächstgelegene gewöhnliche Verkaufsstelle mehr als 600 m entfernt ist.

76

Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 sieht vor, dass die Genehmigungsregelungen gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie auf Kriterien beruhen müssen, die eine willkürliche Ausübung des Ermessens der zuständigen Behörden verhindern. Gemäß Art. 10 Abs. 2 Buchst. a bis g der Richtlinie dürfen diese Kriterien nicht diskriminierend sein und müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, in Bezug auf diesen Grund des Allgemeininteresses verhältnismäßig, klar und unzweideutig sowie objektiv sein, im Voraus bekannt gemacht werden sowie schließlich transparent und zugänglich sein.

77

Was erstens den in Art. 10 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/123 geforderten nicht diskriminierenden Charakter solcher Kriterien betrifft, ist festzustellen, dass mit den auf einen Mindestabstand zwischen den Dienstleistungserbringern und die Bevölkerungszahl gestützten Bedingungen keine Unterscheidung anhand der Staatsangehörigkeit des Dienstleistungserbringers eingeführt wird.

78

Zweitens ist zu prüfen, ob die Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl – wie von Art. 10 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie verlangt – durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind.

79

Aus den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts und der italienischen Regierung geht hervor, dass die Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl, die im Ausgangsverfahren in Rede stehen, mit dem Ziel des Schutzes der menschlichen Gesundheit vor den von Tabakwaren ausgehenden Gefahren eingeführt wurden.

80

Insoweit ergibt sich aus Art. 24 Abs. 42 Buchst. a des Decreto-legge Nr. 98/2011, dass die Festlegung von Kriterien, mit denen die Standorte von Verkaufsstellen für Tabakwaren geregelt werden, unter Beachtung des Wettbewerbsschutzes das Erfordernis, den Verbrauchern ein flächendeckendes Verkaufsnetz zu garantieren, mit dem vorrangigen öffentlichen Interesse des Gesundheitsschutzes in Einklang bringen soll, das darin besteht, jede Abgabe von Tabak an die Öffentlichkeit zu verhindern und zu kontrollieren, die nicht durch die tatsächliche Nachfrage nach Tabakwaren gerechtfertigt ist. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und b des Ministerialdekrets Nr. 38/2013 sieht außerdem vor, dass das Verkaufsnetz für Tabakwaren dem Interesse an der Dienstleistung angemessen und so organisiert zu sein hat, dass die Effizienz und Wirksamkeit der Kontrollen durch die Verwaltung zum Schutz von Minderjährigen, der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit sowie der Steuereinnahmen gewährleistet ist.

81

Wie sich aus Art. 4 Nr. 8 der Richtlinie 2006/123 und deren siebten Erwägungsgrund ergibt, zählt der Schutz der öffentlichen Gesundheit zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die Beschränkungen der Verkehrsfreiheiten rechtfertigen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Dezember 2015, Hiebler,C‑293/14, EU:C:2015:843, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

82

Folglich ist davon auszugehen, dass der Schutz der menschlichen Gesundheit vor den von Tabakwaren ausgehenden Gefahren Beschränkungen hinsichtlich der Eröffnung neuer Einzelhandelsverkaufsstellen für diese Waren rechtfertigen kann.

83

Erwägungen rein wirtschaftlicher Natur können nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs hingegen keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. April 2010, CIBA,C‑96/08, EU:C:2010:185, Rn. 48, und vom 19. September 2017, Kommission/Irland [Zulassungssteuer], C‑552/15, EU:C:2017:698, Rn. 89 und die dort angeführte Rechtsprechung).

84

Wie der Generalanwalt in Nr. 67 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, entspricht Art. 14 Nr. 5 der Richtlinie 2006/123, wie auch ihr 66. Erwägungsgrund, dieser ständigen Rechtsprechung. Nach Art. 14 Nr. 5 der Richtlinie ist es zum einen verboten, eine wirtschaftliche Überprüfung im Einzelfall durchzuführen, bei der die Erteilung der Genehmigung vom Nachweis eines wirtschaftlichen Bedarfs oder einer Marktnachfrage abhängig gemacht wird, oder eine Beurteilung der tatsächlichen oder möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Tätigkeit oder eine Bewertung ihrer Eignung für die Verwirklichung wirtschaftlicher, von der zuständigen Behörde festgelegter Programmziele. Zum anderen bezieht sich dieses Verbot nicht auf Planungserfordernisse, die keine wirtschaftlichen Ziele verfolgen, sondern zwingenden Gründen des Allgemeininteresses dienen.

85

Obgleich Art. 14 Nr. 5 der Richtlinie 2006/123 in deren Kapitel III Abschnitt 2 („Unzulässige oder zu prüfende Anforderungen“) aufgeführt ist, während sich Art. 10 im Abschnitt 1 („Genehmigungen“) dieses Kapitels findet, darf eine Genehmigungsregelung, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in Nr. 64 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, keine unzulässigen Anforderungen wie die in der zuerst genannten Bestimmung aufgezählten enthalten.

86

Diese Feststellung ergibt sich im Übrigen bereits aus dem Wortlaut von Art. 14 Nr. 5 der Richtlinie 2006/123, der das Verbot aufstellt, „die Erteilung der Genehmigung“ vom Nachweis eines wirtschaftlichen Bedarfs oder einer Marktnachfrage abhängig zu machen.

87

Da sowohl Art. 21 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 1293/1957 als auch Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und b des Ministerialdekrets Nr. 38/2013 auf die Notwendigkeit verweisen, das Verkaufsnetz an den Dienstleistungsbedarf anzupassen und die Steuereinnahmen zu gewährleisten, wird das vorlegende Gericht zu prüfen haben, ob die von dieser nationalen Regelung eingeführten Kriterien nicht zu einer wirtschaftlichen Überprüfung im Einzelfall führen, bei der die Einrichtung einer neuen gewöhnlichen Verkaufsstelle vom Nachweis eines wirtschaftlichen Bedarfs oder einer Marktnachfrage im Sinne von Art. 14 Nr. 5 der Richtlinie 2006/123 abhängig gemacht wird.

88

Insoweit zielen die Bedingungen betreffend die Entfernung und die Wohnbevölkerung nach den Erklärungen der italienischen Regierung darauf ab, das Angebot auf die tatsächliche Nachfrage zu begrenzen, um einerseits eine Ballung von Verkaufsstellen in Gebieten zu verhindern, in denen die Nachfrage bereits durch die bestehenden Verkaufsstellen befriedigt wird, aber andererseits zu verhindern, dass eine unzureichende Anzahl von Verkaufsstellen dazu führen könnte, dass ein Teil der Nachfrage unbefriedigt bliebe und in der Folge Schmuggelaktivitäten begünstigt würden.

89

Da die mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung festgelegten Kriterien somit auf eine gewisse Abstimmung zwischen Angebot und Nachfrage angelegt zu sein scheinen, könnten sie als verbotene wirtschaftliche Überprüfung nach Art. 14 Nr. 5 der Richtlinie 2006/123 eingestuft werden, falls ihr Ziel darin bestünde, den Verkäufern von Tabakwaren ausreichende Einnahmen zu gewährleisten oder die Erhebung der Steuereinnahmen bei den Verbrauchern dieser Waren zu maximieren. Dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

90

Diese Kriterien fielen hingegen nicht unter dieses Verbot, falls sie kein Ziel wirtschaftlicher Art verfolgten und durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie den Schutz der öffentlichen Gesundheit objektiv gerechtfertigt wären, indem mit ihnen eine Förderung des Verbrauchs durch einen Ausbau des Angebots vermieden und eine abschreckende Wirkung auf die Nachfrage erzeugt würde.

91

Drittens ist darauf hinzuweisen, dass die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, auf den in Art. 10 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/123 Bezug genommen wird, bedeutet, dass eine Maßnahme geeignet sein muss, die Erreichung der verfolgten Zielsetzung in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen darf, was hierzu erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2022, Cilevičs u. a.,C‑391/20, EU:C:2022:638, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

92

Für die Feststellung, ob und inwieweit die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung diesen Anforderungen genügt, muss das vorlegende Gericht mit Hilfe statistischer Daten oder anderer Mittel objektiv prüfen, ob die von den Behörden des betreffenden Mitgliedstaats vorgelegten Beweise bei verständiger Würdigung die Einschätzung erlauben, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung der verfolgten Ziele geeignet sind, und ob es möglich wäre, diese Ziele durch Maßnahmen zu erreichen, die den freien Warenverkehr weniger einschränken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2023, CDIL,C‑96/22, EU:C:2023:1025, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

93

Der Gerichtshof, der dazu aufgerufen ist, dem nationalen Gericht zweckdienliche Antworten zu geben, ist jedoch befugt, dem vorlegenden Gericht auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen Erklärungen Hinweise zu geben, die diesem Gericht eine Entscheidung ermöglichen (Urteil vom 21. Dezember 2023, CDIL,C‑96/22, EU:C:2023:1025, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

94

Insoweit ist festzustellen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 90 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Kombination der Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl offensichtlich geeignet ist, die Versorgung mit Tabakwaren im gesamten Hoheitsgebiet sicherzustellen und zugleich zu verhindern, das Angebot unkontrolliert wächst und zu einem höheren Tabakkonsum führt.

95

Das kontrollierte Angebot legaler Tabakwaren kann zudem dazu beitragen, dass weniger auf Schmuggelware zurückgegriffen wird, die aufgrund der niedrigeren Preise, zu denen sie angeboten wird, zum Konsum anregen könnte oder – für den Fall, dass sie nicht den Normen entspricht, die für Tabakwaren, die in den Mitgliedstaaten hergestellt oder dort in Verkehr gebracht werden, insbesondere in Bezug auf Inhaltsstoffe und Emissionen von Tabakwaren, gelten – zusätzliche Gefahren für die Gesundheit der Verbraucher bergen könnte.

96

Um das geltend gemachte Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen, dürfte der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Mechanismus allerdings nicht lediglich bewirken, dass Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Tabakwaren ohne einen Abschreckungseffekt auf die Nachfrage nach eben diesen Waren gewährleistet werden. Die praktische Wirksamkeit der Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl dürfte außerdem nicht durch andere Maßnahmen in Frage gestellt werden.

97

Insoweit wird das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung der in Rn. 92 des vorliegenden Urteils bezeichneten Anforderungen zu würdigen haben, ob die Bedingung des Mindestabstands zwischen den Verkaufsstellen, so wie sie in der nationalen Regelung vorgesehen ist, in Verbindung mit der Bedingung der Bevölkerungszahl in Anbetracht der geografischen und demografischen Besonderheiten des betreffenden Mitgliedstaats ausreicht, um den Konsum von Tabakwaren zurückzudrängen, ohne zu einer Zunahme des illegalen Angebots dieser Waren zu führen.

98

Es wird auch zu beurteilen haben, ob die zunehmende Anzahl von Verkaufsautomaten nicht die praktische Wirksamkeit dieser Bedingungen sowie den kohärenten und systematischen Charakter der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung im Sinne der in Rn. 91 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung in Frage stellt.

99

Hierzu ist darauf zu verweisen, dass die italienische Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof geltend gemacht hat, dass die Aufstellung von Verkaufsautomaten den gleichen Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl wie die Einrichtung von Verkaufsstellen unterliege und nur von Wirtschaftsteilnehmern vorgenommen werden dürfe, die im Besitz einer Konzession für eine gewöhnliche Verkaufsstelle oder einer Lizenz seien. Ein Wirtschaftsteilnehmer dürfe innerhalb oder außerhalb seiner Räumlichkeiten nicht mehr als einen Verkaufsautomaten aufstellen, und Wirtschaftsteilnehmer, die für eine Lizenz in Betracht kämen, hätten die Wahl, alternativ zu dieser Lizenz nach behördlicher Genehmigung einen Verkaufsautomaten aufzustellen.

100

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die dergestalt eingegrenzte Aufstellung von Verkaufsautomaten eine alternative Art des Verkaufs von Tabakwaren gegenüber dem Verkauf über gewöhnliche oder besondere Verkaufsstellen oder über Lizenzen darstellt, die die gleichen Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl zu erfüllen hat, und nicht zu einer Ausweitung des Angebots dieser Waren führt.

101

Hinsichtlich der Beurteilung der Erforderlichkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahme, die eine Prüfung des Verhältnismäßigkeitskriteriums nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/123 mit sich bringt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die öffentliche Gesundheit unter den vom AEU-Vertrag geschützten Gütern und Interessen den höchsten Rang einnimmt und dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, zu bestimmen, auf welchem Niveau sie diesen Schutz gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll, so dass sie insoweit über einen Wertungsspielraum verfügen (Urteil vom 21. Dezember 2023, CDIL,C‑96/22, EU:C:2023:1025, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

102

Sodann ist die erwiesenermaßen hohe Schädlichkeit des Konsums von Tabakerzeugnissen aufgrund von deren Abhängigkeit erzeugender Wirkung und des Auftretens schwerer Krankheiten zu berücksichtigen, die durch die pharmakologisch wirksamen, toxischen, mutagenen und karzinogenen Bestandteile dieser Waren hervorgerufen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2016, Philip Morris Brands u. a.,C‑547/14, EU:C:2016:325, Rn. 156).

103

Schließlich ist es nicht unerlässlich, dass die von den Behörden eines Mitgliedstaats erlassene beschränkende Maßnahme einer allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Auffassung darüber entspricht, wie das betreffende Grundrecht oder berechtigte Interesse zu schützen ist. Vielmehr sind die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit der einschlägigen Bestimmungen nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil ein Mitgliedstaat andere Schutzregelungen als ein anderer Mitgliedstaat erlassen hat (Urteil vom 7. September 2022, Cilevičs u. a.,C‑391/20, EU:C:2022:638, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

104

Unter Berücksichtigung des in Rn. 101 des vorliegenden Urteils genannten Wertungsspielraums lässt der Umstand, dass das FCTC unter den Maßnahmen zur Verringerung des Tabakkonsums keine Regelung aufführt, die die Genehmigung neuer Verkaufsstellen unter Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl stellt, insoweit nicht den Schluss zu, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

105

Wenn ein Mitgliedstaat es für zweckmäßig hält, Maßnahmen zu erlassen, mit denen das Angebot von Tabakwaren kontrolliert werden soll, darf er es in Anbetracht dieses Wertungsspielraums als legitim ansehen, einen periodischen Anstieg der Verbraucher nicht als zu berücksichtigenden Faktor einzustufen.

106

Die Berücksichtigung eines solchen periodischen Anstiegs liefe nämlich dem angestrebten Ziel einer Begrenzung des Angebots zuwider, mit der vom Verbrauch abgeschreckt werden soll.

107

Die italienische Regierung macht außerdem geltend, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Genehmigungsregelung ermögliche es unter Beachtung der darin festgelegten Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl, im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 und 2 des Ministerialdekrets Nr. 38/2013 bestimmten Gebieten besondere Aufmerksamkeit zu widmen, die durch das Entstehen neuer Wohn- oder Gewerbegebiete, die besondere Bedeutung von Verkehrsknotenpunkten und wichtigen städtischen Treffpunkten, die Wohnbevölkerung sowie das Vorhandensein von Büros oder Produktionsstätten mit besonderer Bedeutung und Nutzungsfrequenz gekennzeichnet seien. Die Prüfung, ob dies tatsächlich der Fall ist, obliegt dem vorlegenden Gericht.

108

Viertens ist zu den in Art. 10 Abs. 2 Buchst. d bis g der Richtlinie 2006/123 genannten Anforderungen zunächst darauf hinzuweisen, dass mit den Erfordernissen der Klarheit und der Unzweideutigkeit (Buchst. d) die Notwendigkeit gemeint ist, die Genehmigungsvoraussetzungen für alle leicht verständlich zu gestalten, indem eine Mehrdeutigkeit ihres Wortlauts vermieden wird. Zum Erfordernis der Objektivität (Buchst. e) ist sodann festzustellen, dass damit erreicht werden soll, dass Anträge auf Genehmigung lediglich nach ihrer Stichhaltigkeit beurteilt werden, damit eine objektive und unparteiische Behandlung der Anträge der Antragsteller gewährleistet ist. Schließlich setzen die Erfordernisse der vorherigen Bekanntmachung (Buchst. f), der Transparenz und der Zugänglichkeit (Buchst. g) voraus, dass jede interessierte Person sofort vom Bestehen einer Regelung Kenntnis haben kann, die für die Aufnahme oder Ausübung der betreffenden Tätigkeit relevant sein könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2020, Cali Apartments,C‑724/18 und C‑727/18, EU:C:2020:743, Rn. 96 und 107 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

109

Unter dem Vorbehalt der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen zeigt sich, dass die Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl auf objektiven Daten beruhen, im Voraus bekannt sind und grundsätzlich nicht zu Auslegungs- oder Anwendungsschwierigkeiten führen können. Da diese Bedingungen für die Genehmigung jeder neuen Verkaufsstelle erfüllt sein müssen, scheinen sie den in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils bezeichneten Anforderungen zu genügen.

110

Den dem Gerichtshof vorliegenden Akten und den in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen lässt sich allerdings entnehmen, dass allein der Umstand, dass die Bedingungen betreffend Entfernung und Bevölkerungszahl erfüllt sind, keine Garantie für die Genehmigung einer neuen gewöhnlichen Verkaufsstelle bildet.

111

Wie sich aus Art. 21 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 1293/1957 ergibt, werden gewöhnliche Verkaufsstellen nämlich eingerichtet, wo und soweit „es der Verwaltung anhand des Dienstleistungsbedarfs sachdienlich und sinnvoll erscheint“. Dies wird in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a des Ministerialdekrets Nr. 38/2013 dahin konkretisiert, dass bei der Erstellung der Halbjahrespläne für die Einrichtung von gewöhnlichen Verkaufsstellen die Notwendigkeit zu berücksichtigen ist, dass das Verkaufsnetz für Tabakwaren „dem Dienstleistungsbedarf angemessen“ ist.

112

Diese allgemeine, auf den „Dienstleistungsbedarf“ bezogene Voraussetzung, deren Inhalt in Art. 3 Abs. 1 des Ministerialdekrets Nr. 38/2013 über nicht abschließende Beispiele für einige dieser Merkmale veranschaulicht wird und der zu den Bedingungen betreffend Entfernung und Wohnbevölkerungszahl hinzutritt, die die Verwaltung zu berücksichtigen hat, stellt allerdings möglicherweise die Klarheit, Unzweideutigkeit, Objektivität und Transparenz der Kriterien in Frage, die das Ermessen der Verwaltung eingrenzen. Dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

113

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 10 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die die Erteilung einer Genehmigung für Verkaufsstellen von Tabakwaren an die Einhaltung von Bedingungen hinsichtlich der geografischen Mindestentfernung zwischen Dienstleistungserbringern und hinsichtlich der Bevölkerungszahl knüpft, ohne dass für die zuständige Behörde die Möglichkeit bestünde, anstelle dieser Bedingungen periodische Anstiege der Anzahl der Verbraucher zu berücksichtigen, soweit diese Bedingungen

durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie den Schutz der öffentlichen Gesundheit vor den von Tabakwaren ausgehenden Gefahren objektiv gerechtfertigt sind,

geeignet sind, einen Abschreckungseffekt auf die Nachfrage nach Tabakwaren zu erzeugen,

auch für die Aufstellung von Verkaufsautomaten für Tabak gelten und

gegebenenfalls mit dem auf den Dienstleistungsbedarf bezogenen Kriterium angewendet werden und dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten sowie den Erfordernissen der Klarheit, der Unzweideutigkeit, der vorherigen Bekanntmachung, der Transparenz und der Zugänglichkeit genügen.

Kosten

114

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 10 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt

 

ist dahin auszulegen, dass

 

er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die die Erteilung einer Genehmigung für Verkaufsstellen von Tabakwaren an die Einhaltung von Bedingungen hinsichtlich der geografischen Mindestentfernung zwischen Dienstleistungserbringern und hinsichtlich der Bevölkerung knüpft, ohne dass für die zuständige Behörde die Möglichkeit bestünde, anstelle dieser Bedingungen periodische Anstiege der Anzahl der Verbraucher zu berücksichtigen, soweit diese Bedingungen

 

durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie den Schutz der öffentlichen Gesundheit vor den von Tabakwaren ausgehenden Gefahren objektiv gerechtfertigt sind,

 

geeignet sind, einen Abschreckungseffekt auf die Nachfrage nach Tabakwaren zu erzeugen,

 

auch für die Aufstellung von Verkaufsautomaten für Tabak gelten und

 

gegebenenfalls mit dem auf den Dienstleistungsbedarf bezogenen Kriterium angewendet werden und dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten sowie den Erfordernissen der Klarheit, der Unzweideutigkeit, der vorherigen Bekanntmachung, der Transparenz und der Zugänglichkeit genügen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.