URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

17. November 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Richtlinie 2000/78/EG – Art. 2 Abs. 2, Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 – Verbot von Diskriminierungen wegen des Alters – Nationale Regelung, die für die Einstellung von Polizeikommissaren eine Höchstaltersgrenze von 30 Jahren festlegt – Rechtfertigungsgründe“

In der Rechtssache C‑304/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 23. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Mai 2021, in dem Verfahren

VT

gegen

Ministero dell’Interno,

Ministero dell’Interno – Dipartimento della Pubblica Sicurezza – Direzione centrale per le risorse umane

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin) sowie der Richter N. Wahl und J. Passer,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von VT, vertreten durch A. Bonanni und P. Piselli, Avvocati,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von E. De Bonis und G. M. De Socio, Avvocati dello Stato,

der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und A. Hoesch als Bevollmächtigte,

der hellenischen Regierung, vertreten durch M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und D. Recchia als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) sowie von Art. 3 EUV, Art. 10 AEUV und Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, den VT gegen das Ministero dell’Interno (Innenministerium, Italien) und das Ministero dell’Interno – Dipartimento della Pubblica Sicurezza – Direzione centrale per le risorse umane (Innenministerium – Abteilung öffentliche Sicherheit – Zentraldirektion Humanressourcen, Italien) führt. Gegenstand dieses Rechtsstreits ist die Entscheidung, VT nicht zur Teilnahme an einem Auswahlverfahren zur Besetzung von Stellen als Kommissar der Polizia di Stato (staatliche Polizei, Italien) zuzulassen, da er die hierfür vorgesehene Höchstaltersgrenze überschritten habe.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Die Erwägungsgründe 18 und 23 der Richtlinie 2000/78 lauten:

„(18)

Insbesondere darf mit dieser Richtlinie den Streitkräften sowie der Polizei, den Haftanstalten oder den Notfalldiensten unter Berücksichtigung des rechtmäßigen Ziels, die Einsatzbereitschaft dieser Dienste zu wahren, nicht zur Auflage gemacht werden, Personen einzustellen oder weiter zu beschäftigen, die nicht den jeweiligen Anforderungen entsprechen, um sämtliche Aufgaben zu erfüllen, die ihnen übertragen werden können.

(23)

Unter sehr begrenzten Bedingungen kann eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt sein, wenn ein Merkmal, das mit … dem Alter … zusammenhängt, eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. …“

4

Zweck der Richtlinie 2000/78 ist gemäß ihrem Art. 1 die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.

5

In Art. 2 („Der Begriff ‚Diskriminierung‘“) der Richtlinie heißt es:

„(1)   Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)   Im Sinne des Absatzes 1

a)

liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

…“

6

Art. 3 („Geltungsbereich“) der Richtlinie bestimmt:

„(1)   Im Rahmen der auf die [Europäische Union] übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

a)

die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, einschließlich des beruflichen Aufstiegs;

…“

7

Art. 4 („Berufliche Anforderungen“) Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Ungeachtet des Artikels 2 Absätze 1 und 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.“

8

In Art. 6 („Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters“) Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 heißt es:

„Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

c)

die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand.“

Italienisches Recht

Gesetzesdekret Nr. 165/1997

9

Gemäß den Art. 1 und 2 des Decreto legislativo n. 165 – Attuazione delle deleghe conferite dall’articolo 2, comma 23, della legge 8 agosto 1995, n. 335, e dall’articolo 1, commi 97, lettera g), e 99, della legge 23 dicembre 1996, n. 662, in materia di armonizzazione al regime previdenziale generale dei trattamenti pensionistici del personale militare, delle Forze di polizia e del Corpo nazionale dei vigili del fuoco, nonchè del personale non contrattualizzato del pubblico impiego (Gesetzesdekret Nr. 165 zur Umsetzung der Ermächtigungen gemäß Art. 2 Abs. 23 des Gesetzes Nr. 335 vom 8. August 1995 sowie Art. 1 Abs. 97 Buchst. g und Abs. 99 des Gesetzes Nr. 662 vom 23. Dezember 1996 zur Harmonisierung der Ruhegehälter von Angehörigen des Militärs, der Polizei und der nationalen Feuerwehr sowie von öffentlichen Bediensteten, die keine Vertragsbediensteten sind, mit dem allgemeinen Sozialversicherungssystem) vom 30. April 1997 (GURI Nr. 139 vom 17. Juni 1997) beträgt die Altersgrenze, bei deren Erreichen das Personal der staatlichen Polizei in den Ruhestand versetzt wird, 61 Jahre.

Gesetz Nr. 127/1997

10

Die allgemeinen Regeln zum Alter in Bezug auf die Teilnahme an öffentlichen Auswahlverfahren sind in Art. 3 Abs. 6 der Legge n. 127 – Misure urgenti per lo snellimento dell’attività amministrativa e dei procedimenti di decisione e di controllo (Gesetz Nr. 127 über dringende Maßnahmen zur Rationalisierung der Verwaltungstätigkeit sowie von Entscheidungs- und Kontrollverfahren) vom 15. Mai 1997 (GURI Nr. 113 vom 17. Mai 1997 – Supplemento ordinario zur GURI Nr. 98) festgelegt, wonach „[d]ie Teilnahme an Auswahlverfahren der öffentlichen Verwaltung … keinen Altersbegrenzungen [unterliegt], vorbehaltlich der Ausnahmen, die in den Regelungen der einzelnen Verwaltungen im Zusammenhang mit der Art des Dienstes oder den objektiven Bedürfnissen der Verwaltung vorgesehen sind“.

Gesetzesdekret Nr. 334/2000

11

Die Aufgaben eines Polizeikommissars sind im Decreto legislativo n. 334 – Riordino dei ruoli del personale direttivo e dirigente della Polizia di Stato, a norma dell’articolo 5, comma 1, della legge 31 marzo 2000, n. 78 (Gesetzesdekret Nr. 334 – Neuordnung der Aufgaben des Exekutiv- und Führungspersonals der staatlichen Polizei gemäß Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 78 vom 31. März 2000) vom 5. Oktober 2000 (GURI Nr. 271 vom 20. November 2000 – Supplemento ordinario zur GURI Nr. 190) (im Folgenden: Gesetzesdekret Nr. 334/2000) geregelt.

12

Art. 2 Abs. 2 dieses Gesetzesdekrets beschreibt die Aufgaben eines Polizeikommissars wie folgt:

„Laufbahnbeamte bis zum Dienstgrad eines Hauptkommissars bekleiden die Dienstgrade von Schutzpolizeibeamten und Kriminalpolizeibeamten. Sie üben je nach Dienstgrad Funktionen aus, die zu den institutionellen Aufgaben der staatlichen Polizei und der Verwaltung für öffentliche Sicherheit gehören, mit autonomer Entscheidungsverantwortung und entsprechendem beruflichem Beitrag. Sie sorgen auch für die Ausbildung der Mitarbeiter und übernehmen, entsprechend ihrer beruflichen Qualifikation, Aufgaben der Ausbildung und Schulung des Personals der staatlichen Polizei. Sie arbeiten unmittelbar mit den Beamten der höheren Dienstgrade derselben Laufbahn zusammen und vertreten diese bei Abwesenheit oder Verhinderung in der Leitung von Ämtern und Abteilungen. Wenn sie das entsprechende Amt innehaben sowie in Vertretung des Leiters der ausgelagerten Kommissariate für öffentliche Sicherheit, üben die Hauptkommissare auch die Aufgaben der örtlichen Behörde für öffentliche Sicherheit aus. Sie üben in voller Verantwortung für die erteilten Weisungen und die erzielten Ergebnisse auch Funktionen der Leitung von Ämtern und Abteilungen aus, die nicht dem Personal der höheren Dienstgrade vorbehalten sind, sowie Funktionen der Lenkung und Koordinierung mehrerer organischer Einheiten in dem Amt, dem sie zugewiesen sind. …“

13

Nach Art. 3 Abs. 1 des Gesetzesdekrets „[ist] [d]ie Altersgrenze von 30 Jahren für die Teilnahme am Auswahlverfahren … durch die Verordnung festgelegt, die nach Art. 3 Abs. 6 des Gesetzes Nr. 127 vom 15. Mai 1997 erlassen wurde, vorbehaltlich der in dieser Verordnung vorgesehenen Ausnahmen“.

14

Gemäß Art. 3 Abs. 3 des Gesetzesdekrets Nr. 334/2000 werden „die Modalitäten für die Durchführung der Prüfungen der physischen Leistungsfähigkeit, die Anforderungen an die physische und psychische Leistungsfähigkeit sowie an die Eignung und die Modalitäten für ihre Bewertung“ durch eine Verordnung des Innenministeriums festgelegt.

15

Nach Art. 3 Abs. 4 des Gesetzesdekrets „[sind] 20 % der für den Zugang zum Dienstgrad des Kommissars zur Verfügung stehenden Stellen … dem Personal der staatlichen Polizei vorbehalten, das über den vorgeschriebenen juristischen Abschluss verfügt und nicht älter als 40 Jahre ist“.

Ministerialdekret Nr. 103/2018

16

Die in Art. 3 Abs. 1 des Gesetzesdekrets Nr. 334/2000 genannte Verordnung ist das vom Innenministerium erlassene Decreto ministeriale n. 103 – Regolamento recante norme per l’individuazione dei limiti di età per la partecipazione ai concorsi pubblici per l’accesso a ruoli e carriere del personale della Polizia di Stato (Ministerialdekret Nr. 103 – Verordnung zur Festlegung der Altersgrenzen für die Teilnahme an öffentlichen Auswahlverfahren für den Zugang zu Funktionen und Laufbahnen des Personals der staatlichen Polizei) vom 13. Juli 2018 (GURI Nr. 208 vom 7. September 2018) (im Folgenden: Ministerialdekret Nr. 103/2018). Sein Art. 3 Abs. 1 sieht vor:

„Die Teilnahme am öffentlichen Auswahlverfahren für den Zugang zu den Dienstgraden des Kommissars und des technischen Leiters der staatlichen Polizei unterliegt einer Höchstaltersgrenze von 30 Jahren.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

17

Am 2. Dezember 2019 führte das Innenministerium ein Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen durch, um 120 Stellen für Kommissare der staatlichen Polizei zu besetzen. Zu den allgemeinen Zulassungsbedingungen für dieses Auswahlverfahren war in der Ausschreibung gemäß dem Ministerialdekret Nr. 103/2018 angegeben, dass die Bewerber mindestens 18 und, vorbehaltlich bestimmter Sonderfälle, jünger als 30 Jahre alt sein müssen.

18

VT versuchte, seine Bewerbung für das Auswahlverfahren nach dem anwendbaren Telematikverfahren einzureichen. Die dafür vorgesehene Computeranwendung hinderte ihn jedoch daran, diese Bewerbung einzureichen, weil er die in der vorstehenden Randnummer genannte Altersvoraussetzung nicht erfüllte. Da er im Jahr 1988 geboren war, hatte er nämlich das Alter von 30 Jahren bereits erreicht. Er fiel nicht unter einen der Sonderfälle, in denen diese Altersgrenze angehoben wird.

19

Daher erhob VT beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) Klage gegen den Aufruf zur Einreichung von Bewerbungen, das Ministerialdekret Nr. 103/2018 und die implizite Entscheidung über die Nichtzulassung seiner Bewerbung zum betreffenden Auswahlverfahren.

20

Aufgrund einer von diesem Gericht erlassenen einstweiligen Anordnung wurde VT unter Vorbehalt zur Teilnahme an diesem Auswahlverfahren zugelassen, dessen Vorauswahltests er später bestand.

21

Mit seinem Urteil vom 2. März 2020 wies dieses Gericht die Klage von VT jedoch mit der Begründung ab, dass die in Rn. 17 des vorliegenden Urteils genannte Altersgrenze eine „angemessene Beschränkung“ darstelle. Insofern verstoße sie weder gegen die Costituzione della Repubblica Italiana (Verfassung der Italienischen Republik) noch gegen unionsrechtliche Bestimmungen, die eine Diskriminierung – u. a. aufgrund des Alters – verbieten, insbesondere die Richtlinie 2000/78.

22

VT legte gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht, dem Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien), Berufung ein. Er machte geltend, dass die Regelungen über die Festlegung der betreffenden Altersgrenze sowohl gegen Unionsrecht als auch gegen die Verfassung der Italienischen Republik und andere Bestimmungen des italienischen Rechts verstießen.

23

In Bezug auf das Unionsrecht berief sich VT auf die Anwendung der Richtlinie 2000/78, von Art. 21 der Charta und von Art. 10 AEUV. Die Festlegung einer maximalen Altersgrenze von 30 Jahren für die Teilnahme an dem Auswahlverfahren, um das es im Ausgangsverfahren geht, stelle eine unangemessene Diskriminierung dar. Die Tatsache, dass einige Bestimmungen des betreffenden Aufrufs zur Einreichung von Bewerbungen eine höhere Altersgrenze für bestimmte Kategorien von Bewerbern vorsähen, sei noch unangemessener. Der Aufruf zur Einreichung von Bewerbungen sehe nämlich vor, dass die Höchstaltersgrenze „nach Maßgabe des vom Bewerber tatsächlich geleisteten Wehrdienstes um höchstens drei Jahre angehoben wird“, „die Altersgrenze für das Personal der staatlichen Polizei außer Acht bleibt“ und „für Bedienstete der Zivilverwaltung des Inneren die Altersgrenze für die Teilnahme am Auswahlverfahren bei 35 Jahren liegt“.

24

Das Innenministerium beantragte, die Berufung von VT zurückzuweisen.

25

Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Diskriminierung wegen des Alters im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2000/78 handele, die nicht nach deren Art. 4 und 6 gerechtfertigt sei.

26

Insoweit gehe aus Art. 2 Abs. 2 des Gesetzesdekrets Nr. 334/2000 klar hervor, dass die Aufgaben eines Polizeikommissars im Wesentlichen Leitungs- und Verwaltungsaufgaben seien. In den anwendbaren nationalen Bestimmungen seien nämlich Einsatzaufgaben mit Vollzugscharakter, die als solche eine besonders ausgeprägte körperliche Eignung erforderten, die mit der von einem einfachen Beamten einer nationalen Polizei verlangten Eignung im Sinne des Urteils vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo (C‑258/15, EU:C:2016:873) vergleichbar sei, nicht als wesentlich vorgesehen.

27

Des Weiteren sei auch ein Vergleich der vorliegenden Rechtssache mit der Rechtssache vorzunehmen, in der das Urteil vom 13. November 2014, Vital Pérez (C‑416/13, EU:C:2014:2371), ergangen sei. In diesem Urteil sei eine Altersgrenze von 30 Jahren für den Zugang zum Rang eines einfachen Beamten für unverhältnismäßig erklärt worden. In jenem Fall seien die entsprechenden Aufgaben im Wesentlichen administrativer Art gewesen, ohne dass indessen Einsätze, die die Anwendung von körperlicher Gewalt erforderten, ausgeschlossen gewesen seien. Diese Altersgrenze sei folglich in der vorliegenden Rechtssache erst recht unangemessen, da Einsätze solcher Art nicht zu den typischen Aufgaben von Polizeikommissaren gehörten.

28

Andere Argumente untermauerten ebenfalls die Unverhältnismäßigkeit der Altersgrenze.

29

Erstens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass das betreffende Auswahlverfahren die Prüfung der physischen Leistungsfähigkeit gemäß Art. 3 Abs. 3 des Gesetzesdekrets Nr. 334/2000 umfasse und das Nichtbestehen dieser Prüfung den Ausschluss des Bewerbers vom Auswahlverfahren zur Folge habe. Bei Polizeikommissaren gebe es keine Anforderungen an eine besonders ausgeprägte körperliche Eignung wie die, die Gegenstand der Rechtssache gewesen seien, in der das Urteil vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo (C‑258/15, EU:C:2016:873), ergangen sei. Daher sei das Vorliegen einer bei Nichtbestehen zum Ausschluss führenden Prüfung der physischen Leistungsfähigkeit jedenfalls als ausreichend anzusehen, um zu gewährleisten, dass die entsprechenden Aufgaben so ausgeübt werden können, wie sie es erforderten.

30

Zweitens belege Art. 3 Abs. 4 dieses Gesetzesdekrets, der eine Quote für bereits eingestellte Bedienstete vorsehe, die nicht älter als 40 Jahre seien, die Tatsache, dass das Erreichen dieses Alters zum Zeitpunkt der Anmeldung zu dem betreffenden Auswahlverfahren nicht mit der Ausübung der Aufgaben eines Polizeikommissars unvereinbar sei.

31

Drittens ermögliche das Ruhestandsalter von 61 Jahren jedenfalls, eine angemessene Dienstzeit auch für diejenigen zu gewährleisten, die ihre Laufbahn nach Erreichen des Alters von 30 Jahren begännen.

32

Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Richtlinie 2000/78, Art. 3 EUV, Art. 10 AEUV und Art. 21 der Charta dahin auszulegen, dass sie der nationalen Regelung im Gesetzesdekret Nr. 334/2000 in der geänderten und ergänzten Fassung und in den vom Ministero dell’Interno (Innenministerium) erlassenen Sekundärquellen entgegenstehen, die eine Altersgrenze von 30 Jahren für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren für Stellen als Kommissar in der Beamtenlaufbahn der Polizia di Stato (staatlichen Polizei) vorsieht?

Zur Vorlagefrage

33

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens um Auslegung der Richtlinie 2000/78, von Art. 3 EUV, von Art. 10 AEUV und von Art. 21 der Charta ersucht.

34

Zu Art. 3 EUV und Art. 10 AEUV genügt die Feststellung, dass sich zum einen Art. 3 EUV darauf beschränkt, die Ziele der Union zu nennen, die durch andere Bestimmungen der Verträge erläutert werden, und zum anderen Art. 10 AEUV keine Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, sondern der Union begründet. Folglich sind diese beiden Artikel für die Prüfung der in der vorliegenden Rechtssache gestellten Frage nicht relevant.

35

Somit ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 2 Abs. 2, Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 im Licht von Art. 21 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren zur Einstellung von Polizeikommissaren eine Höchstaltersgrenze von 30 Jahren gilt.

36

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Verbot jeglicher Diskriminierung u. a. wegen des Alters in Art. 21 der Charta verankert ist und durch die Richtlinie 2000/78 im Bereich von Beschäftigung und Beruf konkretisiert wurde (Urteil vom 3. Juni 2021, Ministero della Giustizia [Notare], C‑914/19, EU:C:2021:430, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37

Zunächst ist somit zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 fällt.

38

Insoweit berührt Art. 3 Abs. 1 des Gesetzesdekrets Nr. 334/2000, indem er vorsieht, dass Personen, die das Alter von 30 Jahren erreicht haben, die Teilnahme an einem Auswahlverfahren zur Einstellung von Kommissaren der staatlichen Polizei verwehrt ist, die Bedingungen für die Einstellung dieser Arbeitnehmer. Eine derartige Regelung ist demnach als eine Regelung des Zugangs zur Beschäftigung im öffentlichen Bereich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. November 2014, Vital Pérez, C‑416/13, EU:C:2014:2371, Rn. 30, und vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo, C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 25).

39

Daraus folgt, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 fällt.

40

Was anschließend die Frage betrifft, ob diese Regelung eine Ungleichbehandlung wegen des Alters im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 enthält, ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Wortlaut dieser Bestimmung „Gleichbehandlungsgrundsatz“ bedeutet, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe geben darf. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie stellt klar, dass eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie vorliegt, wenn eine Person wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person, die sich in einer vergleichbaren Situation befindet (Urteil vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo, C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 28).

41

Im vorliegenden Fall hat die in Art. 3 Abs. 1 des Gesetzesdekrets Nr. 334/2000 vorgesehene Voraussetzung zur Folge, dass bestimmte Personen allein deshalb, weil sie das Alter von 30 Jahren erreicht haben, eine weniger günstige Behandlung erfahren als andere Personen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden.

42

Folglich begründet die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung, wie alle Beteiligten, die schriftliche Erklärungen abgegeben haben, übereinstimmend dargelegt haben, eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. November 2014, Vital Pérez, C‑416/13, EU:C:2014:2371, Rn. 33, und vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo, C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 30).

43

Unter diesen Umständen ist schließlich zu prüfen, ob eine solche Ungleichbehandlung gemäß Art. 4 Abs. 1 oder Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein kann.

Zu Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78

44

Als Erstes bestimmt Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Art. 1 der Richtlinie genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.

45

Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass nicht der Grund, auf den die Ungleichbehandlung gestützt ist, sondern ein mit diesem Grund im Zusammenhang stehendes Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen muss (Urteil vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo, C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46

Wie der Gerichtshof entschieden hat, steht zum einen das Vorhandensein besonderer körperlicher Fähigkeiten mit dem Alter in Zusammenhang, und zum anderen können die Aufgaben betreffend den Schutz von Personen und Sachen, die Festnahme und Ingewahrsamnahme von Straftätern sowie der präventive Streifendienst die Anwendung körperlicher Gewalt erfordern. Die Natur dieser Aufgaben macht besondere körperliche Fähigkeiten erforderlich, da körperliche Schwächen bei der Ausübung der genannten Tätigkeiten beträchtliche Konsequenzen haben können, und zwar nicht nur für die Polizeibeamten selbst und für Dritte, sondern auch für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. November 2014, Vital Pérez, C‑416/13, EU:C:2014:2371, Rn. 37, 39 und 40, sowie vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo, C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 34 und 35).

47

Demzufolge kann das Vorhandensein besonderer körperlicher Fähigkeiten, um Aufgaben der Polizei wie die Gewährleistung des Schutzes von Personen und Sachen, der freien Ausübung der Rechte und Freiheiten einer jeden Person und der Sicherheit der Bürger zu erfüllen, als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 für die Ausübung des Polizistenberufs angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo, C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 36).

48

In der vorliegenden Rechtssache führt das vorlegende Gericht jedoch aus, dass sich aus Art. 2 Abs. 2 des Gesetzesdekrets Nr. 334/2000 ergebe, dass die Aufgaben eines Polizeikommissars im Wesentlichen Leitungs- und Verwaltungsaufgaben seien. Einsatz- und Vollzugsaufgaben, die eine besonders ausgeprägte körperliche Eignung erforderten, seien für die Ausübung des Berufs des Polizeikommissars nicht wesentlich. Einsätze, die die Anwendung von körperlicher Gewalt erforderten, gehörten nicht zu den typischen Aufgaben von Polizeikommissaren.

49

Diese Feststellung wird jedoch von der italienischen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen beanstandet.

50

Ihrer Ansicht nach sind gemäß Art. 2 Abs. 2 des Gesetzesdekrets Nr. 334/2000 Bedienstete wie Polizeikommissare Beamte der Kriminalpolizei, die Aufgaben aller Dienste der staatlichen Polizei ausübten, einschließlich Einsatzaufgaben im Zusammenhang mit dem Schutz von Personen und Sachen, die die Verwendung von Mitteln des körperlichen Zwangs umfassen könnten. Des Weiteren bedeute die Einstufung als Beamte der öffentlichen Sicherheit die Beschäftigung in den Diensten der öffentlichen Ordnung, u. a. in externen Diensten, die den ordnungsgemäßen Ablauf von Demonstrationen gewährleisten sollten und höchste körperliche Leistungsfähigkeit erfordern könnten. Allein die Möglichkeit, dass ein Polizeikommissar in eine Gefahrensituation geraten könnte, reiche aus, um eine mit dem Alter zusammenhängende Anforderung an die Körperkraft zu rechtfertigen.

51

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, das allein für die Auslegung des anwendbaren nationalen Rechts zuständig ist, festzustellen, welche Aufgaben die Kommissare der staatlichen Polizei tatsächlich ausüben, und mit Blick auf diese zu entscheiden, ob eine besondere körperliche Eignung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 darstellt.

52

Dabei hat es die Aufgaben zu berücksichtigen, die Kommissare bei der Erfüllung ihrer gewöhnlichen Aufgaben üblicherweise tatsächlich wahrnehmen. Der Umstand, dass es nach Bestehen eines Auswahlverfahrens erforderlich sein könnte, dass einige Kommissare je nach den spezifischen Merkmalen der Stelle, auf der sie konkret eingesetzt werden, eine besondere körperliche Eignung besitzen, könnte bei der Auswahl der Person, die diese Stelle besetzen soll, sicherlich berücksichtigt werden. Dies kann jedoch nicht die Festlegung einer Altersgrenze für die Teilnahme an einem allgemeinen Auswahlverfahren wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen rechtfertigen.

53

Stellt das vorlegende Gericht fest, dass in Anbetracht der Aufgaben, die Kommissare der staatlichen Polizei üblicherweise tatsächlich ausüben, eine besondere körperliche Eignung keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 darstellt, wird es zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass diese Bestimmung in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung entgegensteht.

54

Stellt das vorlegende Gericht hingegen fest, dass in Anbetracht dieser Aufgaben eine besondere körperliche Eignung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, muss es noch prüfen, ob die betreffende Altersgrenze im Sinne dieser Bestimmung einen rechtmäßigen Zweck verfolgt und angemessen ist.

55

Was zum einen das mit der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung verfolgte Ziel betrifft, führt die italienische Regierung aus, dass mit dieser Regelung, die eine Altersgrenze von 30 Jahren für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren zur Einstellung von Polizeikommissaren festlege, die Einsatzbereitschaft und das ordnungsgemäße Funktionieren der Polizeidienste sichergestellt werden solle.

56

Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass das Bemühen, die Einsatzbereitschaft und das ordnungsgemäße Funktionieren der Polizei zu gewährleisten, einen rechtmäßigen Zweck im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 darstellt (Urteile vom 13. November 2014, Vital Pérez, C‑416/13, EU:C:2014:2371, Rn. 44, und vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo, C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 38).

57

Was zum anderen die Angemessenheit dieser Regelung angeht, ist darauf hinzuweisen, dass es im 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 heißt, dass eine unterschiedliche Behandlung unter „sehr begrenzten Bedingungen“ gerechtfertigt sein kann, wenn ein Merkmal, das insbesondere mit dem Alter zusammenhängt, eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Darüber hinaus ist Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie, soweit er es ermöglicht, vom Diskriminierungsverbot abzuweichen, eng auszulegen (Urteil vom 13. November 2014, Vital Pérez, C‑416/13, EU:C:2014:2371, Rn. 46 und 47 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

58

Insoweit hat der Gerichtshof im Urteil vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo (C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 41, 48 und 50) im Wesentlichen entschieden, dass grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass eine Regelung, die die Festsetzung einer Höchstaltersgrenze von 35 Jahren für Bewerber um Stellen als Beamter der Eingangsstufe einer Polizei, die sämtliche dieser Polizei obliegenden Einsatz- und Vollzugsaufgaben wahrnehmen, vorsieht, nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des in Rn. 56 des vorliegenden Urteils genannten Ziels erforderlich ist. Der Gerichtshof hat insbesondere festgestellt, dass diese Aufgaben die Anwendung körperlicher Gewalt und die Erfüllung der Aufgaben unter schwierigen oder gar extremen Einsatzbedingungen zur Folge haben können.

59

In ähnlicher Weise ist der Gerichtshof im Urteil vom 12. Januar 2010, Wolf (C‑229/08, EU:C:2010:3, Rn. 41 bis 44), zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Maßnahme, mit der die Höchstaltersgrenze für die Einstellung in den mittleren feuerwehrtechnischen Dienst auf 30 Jahre festgelegt wurde, angemessen war. Zuvor hatte er auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Daten festgestellt, dass einige der den Angehörigen dieses Dienstes übertragenen Aufgaben wie die Brandbekämpfung eine außergewöhnlich hohe körperliche Eignung erforderten und nur sehr wenige der Beamten, die älter als 45 Jahre waren, über die hinreichende körperliche Eignung verfügten, um eine solche Tätigkeit auszuüben.

60

Dagegen hat der Gerichtshof im Urteil vom 13. November 2014, Vital Pérez (C‑416/13, EU:C:2014:2371, Rn. 54 und 57), entschieden, dass mit einer nationalen Regelung, die das Höchstalter für die Einstellung örtlicher Polizeibeamter auf 30 Jahre festlegte, ein unverhältnismäßiges Erfordernis aufgestellt wurde. Zuvor hatte er mit Blick auf die von diesen Beamten wahrgenommenen Aufgaben, die insbesondere Beistand für den Bürger, Schutz von Personen und Sachen, Festnahme und Ingewahrsamnahme von Straftätern, präventiven Streifendienst und Verkehrsregelung umfassten, festgestellt, dass die Eignung, über die sie verfügen mussten, nicht immer mit der außergewöhnlich hohen körperlichen Eignung vergleichbar war, die der Feuerwehr regelmäßig abverlangt wird.

61

Daraus folgt, dass das vorlegende Gericht, um festzustellen, ob die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung mit der Festlegung der Höchstaltersgrenze von 30 Jahren für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren zur Einstellung von Polizeikommissaren eine angemessene Anforderung aufgestellt hat, erstens zu prüfen hat, ob die von diesen Polizeikommissaren tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben im Wesentlichen Einsatz- oder Vollzugsaufgaben sind, die eine außergewöhnlich hohe körperliche Eignung erfordern. Nur dann könnte nämlich diese Höchstaltersgrenze als angemessen angesehen werden. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen scheint sich jedoch zu ergeben, dass die Kommissare der staatlichen Polizei keine solchen Aufgaben wahrnehmen.

62

Im Übrigen ist bei der Prüfung der Angemessenheit der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung auch der vom vorlegenden Gericht angeführte Umstand von Bedeutung, dass die im Rahmen des betreffenden Auswahlverfahrens vorgesehene bei Nichtbestehen zum Ausschluss führende körperliche Prüfung eine angemessene und weniger einschränkende Maßnahme als die Festsetzung der Höchstaltersgrenze auf 30 Jahre darstellen könnte.

63

Die italienische Regierung beruft sich auf die Notwendigkeit, im Hinblick auf eine allgemeine Neuordnung der gesamten Struktur für den Zugang zur staatlichen Polizei zukünftig den Altersdurchschnitt bei der Polizei zu senken.

64

Insoweit hat der Gerichtshof im Urteil vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo (C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 44 und 47), in Anbetracht der ihm vorgelegten präzisen Daten, wonach eine massive Überalterung des Personals der betreffenden Polizei vorhersehbar war, entschieden, dass zur Wiederherstellung einer zufriedenstellenden Alterspyramide das Vorhandensein besonderer körperlicher Fähigkeiten nicht nur statisch bei den Prüfungen des Personalauswahlverfahrens beurteilt werden musste, sondern dynamisch, indem auch die Dienstjahre, die der Beamte nach seiner Einstellung absolviert, berücksichtigt werden.

65

Außerdem handelte es sich, wie sich aus Rn. 58 des vorliegenden Urteils ergibt, in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, um ein Auswahlverfahren zur Einstellung von Bediensteten der Eingangsstufe, die keine Verwaltungsaufgaben, sondern im Wesentlichen Einsatz- oder Vollzugsaufgaben wahrnahmen.

66

Somit ist es zweitens Sache des vorlegenden Gerichts, anhand der ihm vorliegenden Akten oder etwaiger Informationen, die es von den nationalen Behörden erhalten könnte, zu prüfen, ob eine etwaige Wiederherstellung einer zufriedenstellenden Alterspyramide bei der staatlichen Polizei die im Ausgangsverfahren fragliche Altersgrenze rechtfertigen könnte. Allerdings muss es zum einen das Durchschnittsalter des Personals berücksichtigen, auf das sich das betreffende Auswahlverfahren bezieht, d. h. das Durchschnittsalter der Kommissare der staatlichen Polizei und nicht das des gesamten Personals der staatlichen Polizei. Zum anderen ist eine solche Prüfung nur dann relevant, wenn das vorlegende Gericht feststellt, dass für die von diesen Polizeikommissaren üblicherweise tatsächlich ausgeübten Aufgaben eine besondere körperliche Eignung erforderlich ist, die eine solche Neuordnung der Alterspyramide notwendig macht.

67

Fehlt es an einer solchen Notwendigkeit, würde eine bei Nichtbestehen zum Ausschluss führende körperliche Prüfung im Rahmen des betreffenden Auswahlverfahrens tatsächlich eine angemessene und weniger einschränkende Maßnahme darstellen als die Festsetzung einer Höchstaltersgrenze von 30 Jahren, wie sie in der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung vorgesehen ist.

68

Des Weiteren erlaubt nach Auffassung des vorlegenden Gerichts die Tatsache, dass Art. 3 Abs. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 334/2000 eine Quote vorsehe, die bereits eingestellten Bediensteten bis zum Alter von 40 Jahren vorbehalten sei, die Feststellung, dass das Erreichen dieses Alters zum Zeitpunkt der Anmeldung zu dem Auswahlverfahren nicht mit der Ausübung der Aufgaben eines Polizeikommissars unvereinbar sei und infolgedessen die im Ausgangsverfahren fragliche Altersgrenze unangemessen sei. Auf derselben Linie weist VT darauf hin, dass diese Altersgrenze für Bewerber, die den Wehrdienst abgeleistet haben, um bis zu drei Jahre angehoben werde, für das Personal der staatlichen Polizei nicht gelte und für das Personal der Zivilverwaltung des Innenministeriums auf 35 Jahre festgesetzt worden sei.

69

Die italienische Regierung trägt vor, dass mit der in der vorstehenden Randnummer genannten Quote die Kompetenzen von Personen erhalten werden sollten, die für den Polizeidienst oder für Dienste, die für die Aufgaben eines Polizeikommissars von Nutzen seien, bereits ausgebildet seien.

70

Allerdings bestätigt das Vorliegen dieser und der von VT angeführten Ausnahmen, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Altersgrenze unangemessen ist. Eine Regelung ist nämlich nur dann geeignet, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (Urteil vom 15. Juli 2021, Tartu Vangla,C‑795/19, EU:C:2021:606, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

71

Folglich ergibt sich, vorbehaltlich der dem vorlegenden Gericht obliegenden Prüfungen, dass, soweit die von den Kommissaren der staatlichen Polizei tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben eine besondere körperliche Eignung erfordern, die in Art. 3 Abs. 1 des Gesetzesdekrets Nr. 334/2000 festgelegte Höchstaltersgrenze von 30 Jahren keine angemessene Anforderung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 darstellt.

Zu Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78

72

Was als Zweites die Frage betrifft, ob die Ungleichbehandlung, die durch die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung eingeführt wurde, nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein kann, ist darauf hinzuweisen, dass diese Frage nur dann zu prüfen ist, wenn diese Ungleichbehandlung nicht nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt sein kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo,C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 49).

73

Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 bestimmt, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel insbesondere im Zusammenhang mit der Beschäftigungspolitik, dem Arbeitsmarkt und der beruflichen Bildung gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie können derartige Ungleichbehandlungen insbesondere „die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand“ einschließen.

74

Daher ist zu prüfen, ob die das Höchstalter von 30 Jahren betreffende Voraussetzung für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren zur Einstellung von Polizeikommissaren, wie sie sich aus Art. 3 Abs. 1 des Gesetzesdekrets Nr. 334/2000 ergibt, durch ein legitimes Ziel im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

75

Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht nicht hervor, dass in der Regelung, um die es im Ausgangsverfahren geht, angegeben ist, welches Ziel mit ihr verfolgt wird. Der Gerichtshof hat jedoch festgestellt, dass sich Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 nicht entnehmen lässt, dass eine nationale Regelung, die das angestrebte Ziel nicht genau angibt, automatisch von einer Rechtfertigung nach dieser Bestimmung ausgeschlossen ist. Fehlt es an einer solchen genauen Angabe, müssen andere aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter dieser Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen, damit dessen Rechtmäßigkeit sowie die Angemessenheit und Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüft werden können (Urteil vom 13. November 2014, Vital Pérez,C‑416/13, EU:C:2014:2371, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76

Des Weiteren sind die Ziele, die als „legitim“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 und damit als geeignet angesehen werden können, eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen des Alters zu rechtfertigen, sozialpolitische Ziele (Urteil vom 13. September 2011, Prigge u. a.,C‑447/09, EU:C:2011:573, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).

77

Die Altersgrenze, die durch die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung eingeführt wurde, könnte, soweit davon ausgegangen werden kann, dass sie im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand besteht, die im Ausgangsverfahren fragliche Ungleichbehandlung rechtfertigen, sofern sie im Sinne dieser Bestimmung „objektiv und angemessen … und im Rahmen des nationalen Rechts … gerechtfertigt“ ist (vgl. in diesem Sinne Urteil 13. November 2014, Vital Pérez,C‑416/13, EU:C:2014:2371, Rn. 64 und 65).

78

Doch selbst in einem solchen Fall müsste geprüft werden, ob die für die Erreichung dieser Ziele verwendeten Mittel angemessen und erforderlich sind.

79

Insoweit verfügt der Gerichtshof zum einen nicht über Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Altersgrenze im Hinblick auf das Ziel, für die Ausbildung der Polizeikommissare zu sorgen, angemessen und erforderlich ist.

80

Zum anderen ergibt sich, was das Ziel betrifft, eine angemessene Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand zu gewährleisten, aus den Angaben des vorlegenden Gerichts, dass das Alter für den Eintritt des Personals der staatlichen Polizei in den Ruhestand auf 61 Jahre festgelegt ist.

81

Demzufolge kann eine nationale Regelung, wonach für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren zur Einstellung von Polizeikommissaren eine Höchstaltersgrenze von 30 Jahren gilt, grundsätzlich nicht als erforderlich angesehen werden, um für die betreffenden Kommissare gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2000/78 eine angemessene Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. November 2014, Vital Pérez,C‑416/13, EU:C:2014:2371, Rn. 72). Dies gilt insbesondere, wenn das vorlegende Gericht nach der Prüfung aller relevanten Gesichtspunkte bestätigt, dass die Aufgaben von Polizeikommissaren im Wesentlichen keine körperlich anspruchsvollen Aufgaben umfassen, die Polizeikommissare, die in einem höheren Alter eingestellt wurden, nicht über einen hinreichend langen Zeitraum ausüben könnten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Januar 2010, Wolf,C‑229/08, EU:C:2010:3, Rn. 43, und vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo,C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 46).

82

Unter diesen Umständen kann, vorbehaltlich der Bestätigung durch das vorlegende Gericht, die Ungleichbehandlung, die sich aus einer Bestimmung wie Art. 3 Abs. 1 des Gesetzesdekrets Nr. 334/2000 ergibt, nicht nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein.

83

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2, Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 im Licht von Art. 21 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren zur Einstellung von Polizeikommissaren eine Höchstaltersgrenze von 30 Jahren gilt, soweit die von den Polizeikommissaren tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben keine besondere körperliche Eignung erfordern, oder, wenn sie eine solche Eignung erfordern, eine solche Regelung zwar ein legitimes Ziel verfolgt, aber eine unangemessene Anforderung aufstellt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Kosten

84

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 2 Abs. 2, Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind im Licht von Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren zur Einstellung von Polizeikommissaren eine Höchstaltersgrenze von 30 Jahren gilt, soweit die von den Polizeikommissaren tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben keine besondere körperliche Eignung erfordern, oder, wenn sie eine solche Eignung erfordern, eine solche Regelung zwar ein legitimes Ziel verfolgt, aber eine unangemessene Anforderung aufstellt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.