BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

7. November 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Korruptionsbekämpfung – Schutz der finanziellen Interessen der Union – Art. 325 Abs. 1 AEUV – SFI-Übereinkommen – Entscheidung 2006/928/EG – Strafverfahren – Urteile der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof, Rumänien) über die Besetzung von Spruchkörpern im Bereich der schweren Korruption – Verpflichtung der nationalen Richter, den Entscheidungen der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof) volle Wirksamkeit zu verschaffen – Disziplinarische Verantwortlichkeit der Richter im Fall der Nichtbeachtung dieser Entscheidungen – Befugnis, Entscheidungen der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof), die nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind, unangewendet zu lassen – Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts“

In den verbundenen Rechtssachen C‑859/19, C‑926/19 und C‑929/19

betreffend drei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien) mit Entscheidungen vom 19. November 2019 (C‑859/19), vom 6. November 2019 (C‑926/19) und vom 16. Dezember 2019 (C‑929/19), beim Gerichtshof eingegangen am 26. November 2019 (C‑859/19) und am 18. Dezember 2019 (C‑926/19 und C‑929/19), in den Strafverfahren gegen

FX,

CS,

ND (C‑859/19),

BR,

CS,

DT,

EU,

FV,

GW (C‑926/19),

CD,

CLD,

GLO,

ŞDC,

PVV (C‑929/19),

Beteiligte:

Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Direcţia Națională Anticorupție (C‑859/19, C‑926/19 und C‑929/19),

Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Direcţia de Investigare a Infracțiunilor de Criminalitate Organizată și Terorism – Structura Centrală (C‑926/19),

Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Secția pentru Investigarea Infracțiunilor din Justiţie (C‑926/19),

Agenţia Naţională de Administrare Fiscală (C‑926/19 und C‑929/19),

HX (C‑926/19),

IY (C‑926/19),

SC Uranus Junior 2003 SRL (C‑926/19),

SC Complexul Energetic Oltenia SA (C‑929/19),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten Kammer A. Arabadjiev (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer, des Richters A. Kumin und der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen im Wesentlichen die Auslegung von Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, von Art. 325 Abs. 1 AEUV, von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 des am 26. Juli 1995 in Brüssel unterzeichneten Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Anhang zum Rechtsakt des Rates vom 26. Juli 1995 (ABl. 1995, C 316, S. 48, im Folgenden: SFI‑Übereinkommen), sowie des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts.

2

Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Strafverfahren gegen FX, CS und ND (Rechtssache C‑859/19), BR, CS, DT, EU, FV und GW (Rechtssache C‑926/19) sowie CD, CLD, GLO, ȘDC und PVV (Rechtssache C‑929/19) wegen Straftaten u. a. der Bestechung und des Mehrwertsteuerbetrugs.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

SFI-Übereinkommen

3

In Art. 1 Abs. 1 des SFI‑Übereinkommens heißt es:

„Für die Zwecke dieses Übereinkommens umfasst der Tatbestand des Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften

a)

im Zusammenhang mit Ausgaben jede vorsätzliche Handlung oder Unterlassung betreffend

die Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen oder Unterlagen mit der Folge, dass Mittel aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften oder aus den Haushalten, die von den Europäischen Gemeinschaften oder in deren Auftrag verwaltet werden, unrechtmäßig erlangt oder zurückbehalten werden;

das Verschweigen einer Information unter Verletzung einer spezifischen Pflicht mit derselben Folge;

die missbräuchliche Verwendung solcher Mittel zu anderen Zwecken als denen, für die sie ursprünglich gewährt worden sind;

b)

im Zusammenhang mit Einnahmen jede vorsätzliche Handlung oder Unterlassung betreffend

die Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen oder Unterlagen mit der Folge, dass Mittel aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften oder aus den Haushalten, die von den Europäischen Gemeinschaften oder in deren Auftrag verwaltet werden, rechtswidrig vermindert werden;

…“

4

Art. 2 Abs. 1 dieses Übereinkommens bestimmt:

„Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die in Artikel 1 genannten Handlungen sowie die Beteiligung an den Handlungen im Sinne von Artikel 1 Absatz 1, die Anstiftung dazu oder der Versuch solcher Handlungen durch wirksame, angemessene und abschreckende Strafen geahndet werden können, die zumindest in schweren Betrugsfällen auch Freiheitsstrafen umfassen, die zu einer Auslieferung führen können; als schwerer Betrug gilt jeder Betrug, der einen in jedem Mitgliedstaat festzusetzenden Mindestbetrag zum Gegenstand hat. Dieser Mindestbetrag darf 50000 [Euro] nicht überschreiten.“

5

Mit Rechtsakt vom 27. September 1996 schloss der Rat der Europäischen Union die Ausarbeitung des Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1996, C 313, S. 1) ab. Dieses Protokoll erfasst nach seinen Art. 2 und 3 Bestechlichkeits- und Bestechungstaten.

Beitrittsakte

6

Art. 39 der am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht (ABl. 2005, L 157, S. 203, im Folgenden: Beitrittsakte), sieht vor:

„(1)   Falls auf der Grundlage der von der Kommission sichergestellten kontinuierlichen Überwachung der Verpflichtungen, die Bulgarien und Rumänien im Rahmen der Beitrittsverhandlungen eingegangen sind, und insbesondere auf der Grundlage der Überwachungsberichte der Kommission eindeutig nachgewiesen ist, dass sich die Vorbereitungen im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung des Besitzstands in Bulgarien oder Rumänien auf einem Stand befinden, der die ernste Gefahr mit sich bringt, dass einer dieser Staaten in einigen wichtigen Bereichen offenbar nicht in der Lage ist, die Anforderungen der Mitgliedschaft bis zum Beitrittstermin 1. Januar 2007 zu erfüllen, so kann der Rat auf Empfehlung der Kommission einstimmig beschließen, den Zeitpunkt des Beitritts des betreffenden Staates um ein Jahr auf den 1. Januar 2008 zu verschieben.

(2)   Werden bei der Erfüllung einer oder mehrerer der in Anhang IX Nummer I aufgeführten Verpflichtungen und Anforderungen durch Rumänien ernste Mängel festgestellt, so kann der Rat ungeachtet des Absatzes 1 mit qualifizierter Mehrheit auf Empfehlung der Kommission in Bezug auf Rumänien einen Beschluss gemäß Absatz 1 fassen.

(3)   Ungeachtet des Absatzes 1 und unbeschadet des Artikels 37 kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Empfehlung der Kommission nach einer im Herbst 2005 vorzunehmenden eingehenden Bewertung der Fortschritte Rumäniens auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik den in Absatz 1 genannten Beschluss in Bezug auf Rumänien fassen, wenn bei der Erfüllung der Verpflichtungen im Rahmen des Europa-Abkommens oder bei der Erfüllung einer oder mehrerer der in Anhang IX Nummer II aufgeführten Verpflichtungen und Anforderungen durch Rumänien ernste Mängel festgestellt werden.“

7

Anhang IX („Besondere Verpflichtungen und Anforderungen, die Rumänien beim Abschluss der Beitrittsverhandlungen am 14. Dezember 2004 übernommen bzw. akzeptiert hat [gemäß Artikel 39 der Beitrittsakte]“) der Beitrittsakte enthält in Abschnitt I folgende Passage:

„In Bezug auf Artikel 39 Absatz 2

4.

Wesentlich verschärftes Vorgehen gegen Korruption und insbesondere gegen Korruption auf hoher Ebene, indem die Korruptionsbekämpfungsgesetze rigoros durchgesetzt werden und die effektive Unabhängigkeit der Landesstaatsanwaltschaft für die Bekämpfung der Korruption (Parchet[u]l Na[ț]ional Anticorup[ț]ie [PNA]) sichergestellt wird und indem ab November 2005 einmal jährlich ein überzeugender Bericht über die Tätigkeit der PNA im Bereich der Bekämpfung der Korruption auf hoher Ebene vorgelegt wird. Die PNA muss mit allen personellen und finanziellen Mitteln sowie allen Schulungsmöglichkeiten und technischen Mitteln ausgestattet werden, die für die Wahrnehmung ihrer unerlässlichen Aufgabe erforderlich sind.

5.

… [I]n die [nationale] Strategie [zur Korruptionsbekämpfung] muss die Verpflichtung aufgenommen werden, die schwerfällige Strafprozessordnung bis Ende 2005 zu überarbeiten, um sicherzustellen, dass Korruptionsfälle rasch und auf transparente Weise bearbeitet und angemessene Sanktionen mit abschreckender Wirkung vorgesehen werden; …

…“

Entscheidung 2006/928/EG

8

Die Entscheidung 2006/928/EG der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung (ABl. 2006, L 354, S. 56) wurde im Zusammenhang mit dem für den 1. Januar 2007 vorgesehenen Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union u. a. auf der Grundlage der Art. 37 und 38 der Beitrittsakte erlassen. Die Erwägungsgründe 1 bis 6 und 9 dieser Entscheidung lauten:

„(1)

Die Europäische Union gründet auf dem Rechtsstaatsprinzip, das allen Mitgliedstaaten gemeinsam ist.

(2)

Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und der Binnenmarkt, die mit dem Vertrag über die Europäische Union bzw. dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft geschaffen wurden, beruhen auf dem gegenseitigen Vertrauen, dass die Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen und die Verwaltungs- und Gerichtspraxis aller Mitgliedstaaten in jeder Hinsicht mit dem Rechtsstaatsprinzip im Einklang stehen.

(3)

Dies bedeutet, dass alle Mitgliedstaaten über ein unparteiisches, unabhängiges und effizientes Justiz- und Verwaltungssystem verfügen müssen, das ausreichend dafür ausgestattet ist, unter anderem Korruption zu bekämpfen.

(4)

Am 1. Januar 2007 tritt Rumänien der Europäischen Union bei. Die Kommission nimmt zur Kenntnis, dass Rumänien erhebliche Anstrengungen unternimmt, um die Vorbereitungen auf die Mitgliedschaft zum Abschluss zu bringen, hat jedoch in ihrem Bericht vom 26. September 2006 noch unerledigte Fragen insbesondere im Zusammenhang mit Rechenschaftspflicht und Effizienz der Justiz und der Vollzugsbehörden ermittelt, bei denen es weiterer Fortschritte bedarf, um zu gewährleisten, dass sie die Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarkts und des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts umsetzen und anwenden können.

(5)

Nach Artikel 37 der Beitrittsakte kann die Kommission geeignete Maßnahmen erlassen, wenn die unmittelbare Gefahr besteht, dass Rumänien die eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllt und dadurch eine Beeinträchtigung des Funktionierens des Binnenmarkts hervorruft. Nach Artikel 38 der Beitrittsakte kann die Kommission geeignete Maßnahmen erlassen, wenn die unmittelbare Gefahr besteht, dass in Rumänien ernste Mängel bei der Umsetzung, der Durchführung oder der Anwendung von Rechtsakten auftreten, die auf der Grundlage des Titels VI des EU-Vertrags oder des Titels IV des EG-Vertrags erlassen wurden.

(6)

Die noch unerledigten Fragen im Zusammenhang mit Rechenschaftspflicht und Effizienz der Justiz und der Vollzugsbehörden erfordern die Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Bekämpfung der Korruption.

(9)

Diese Entscheidung ist zu ändern, wenn die Bewertung durch die Kommission ergibt, dass die Vorgaben angepasst werden müssen. Diese Entscheidung ist aufzuheben, wenn alle Vorgaben zufriedenstellend erfüllt sind.“

9

Art. 1 der Entscheidung 2006/928 sieht vor:

„Bis zum 31. März jedes Jahres und zum ersten Mal bis zum 31. März 2007 erstattet Rumänien der Kommission Bericht über die Fortschritte bei der Erfüllung der im Anhang aufgeführten Vorgaben.

Die Kommission kann jederzeit mit verschiedenen Maßnahmen technische Hilfe leisten oder Informationen zu den Vorgaben sammeln und austauschen. Ferner kann die Kommission zu diesem Zweck jederzeit Fachleute nach Rumänien entsenden. Die rumänischen Behörden leisten in diesem Zusammenhang die erforderliche Unterstützung.“

10

Art. 2 dieser Entscheidung bestimmt:

„Die Kommission übermittelt dem Europäischen Parlament und dem Rat ihre Stellungnahme und ihre Feststellungen zum Bericht Rumäniens zum ersten Mal im Juni 2007.

Danach erstattet die Kommission nach Bedarf, mindestens jedoch alle sechs Monate erneut Bericht.“

11

Art. 4 der Entscheidung lautet:

„Diese Entscheidung ist an alle Mitgliedstaaten gerichtet.“

12

Der Anhang dieser Entscheidung hat folgenden Wortlaut:

„Vorgaben für Rumänien nach Artikel 1:

1.

Gewährleistung transparenterer und leistungsfähigerer Gerichtsverfahren durch Stärkung der Kapazitäten und Rechenschaftspflicht des Obersten Richterrats, Berichterstattung und Kontrolle der Auswirkungen neuer Zivil- und Strafprozessordnungen,

2.

Einrichtung einer Behörde für Integrität mit folgenden Zuständigkeiten: Überprüfung von Vermögensverhältnissen, Unvereinbarkeiten und möglichen Interessenskonflikten und Verabschiedung verbindlicher Beschlüsse als Grundlage für abschreckende Sanktionen,

3.

Konsolidierung bereits erreichter Fortschritte bei der Durchführung fachmännischer und unparteiischer Untersuchungen bei Korruptionsverdacht auf höchster Ebene,

4.

Ergreifung weiterer Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Korruption, insbesondere in den Kommunalverwaltungen.“

Rumänisches Recht

Verfassung Rumäniens

13

Titel III („Träger staatlicher Gewalt“) der Constituția României (Verfassung Rumäniens) umfasst u. a. ein Kapitel VI („Rechtsprechende Gewalt“), das Art. 126 enthält. Dieser Artikel bestimmt:

„(1)   Die Rechtsprechung erfolgt durch die Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie ([Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien] [im Folgenden: Oberster Kassations- und Gerichtshof]) sowie durch die übrigen durch Gesetz errichteten Gerichte.

(3)   Der Oberste Kassations- und Gerichtshof gewährleistet entsprechend seiner Zuständigkeit die einheitliche Auslegung und Anwendung des Gesetzes durch die übrigen Gerichte.

(4)   Die Besetzung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs und die Regeln für seine Arbeitsweise werden durch ein Organgesetz festgelegt.

(6)   Die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungshandlungen der Träger staatlicher Gewalt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wird gewährleistet; ausgenommen hiervon sind Handlungen, die die Beziehungen zum Parlament betreffen, und militärische Befehle. Die Verwaltungsgerichte sind für die Entscheidung über Rechtsbehelfe zuständig, die von Personen eingelegt werden, die durch für verfassungswidrig erklärte Verordnungen oder gegebenenfalls durch Bestimmungen solcher Verordnungen geschädigt worden sind.“

14

Der die Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof, Rumänien) (im Folgenden: Verfassungsgerichtshof) betreffende Titel V der Verfassung Rumäniens umfasst die Art. 142 bis 147. Art. 146 dieser Verfassung sieht vor:

„Der Verfassungsgerichtshof hat die folgenden Aufgaben:

d) er entscheidet über die bei den Gerichten oder bei der Handelsschiedsgerichtsbarkeit erhobenen Einreden der Verfassungswidrigkeit von Gesetzen und Verordnungen; die Einrede der Verfassungswidrigkeit kann unmittelbar vom Avocatul Poporului [(Volksanwalt)] erhoben werden;

e) er entscheidet über verfassungsrechtliche Konflikte zwischen Trägern staatlicher Gewalt auf Antrag des Präsidenten Rumäniens, eines der Präsidenten der beiden Kammern, des Prim-ministrul [(Ministerpräsident)] oder des Präsidenten des Obersten Richterrats;

…“

Strafgesetzbuch

15

Art. 154 Abs. 1 des Codul penal (Strafgesetzbuch) sieht vor:

„Die Fristen für die Verjährung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit betragen:

a) 15 Jahre, wenn die begangene Straftat nach dem Gesetz mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe von mehr als 20 Jahren bedroht ist;

b) zehn Jahre, wenn die begangene Straftat nach dem Gesetz mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren und höchstens 20 Jahren bedroht ist;

c) acht Jahre, wenn die begangene Straftat nach dem Gesetz mit Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren und höchstens zehn Jahren bedroht ist;

d) fünf Jahre, wenn die begangene Straftat nach dem Gesetz mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens fünf Jahren bedroht ist;

e) drei Jahre, wenn die begangene Straftat nach dem Gesetz mit Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht ist.“

16

Art. 155 Abs. 4 des Strafgesetzbuchs sieht vor:

„Werden die in Art. 154 vorgesehenen Verjährungsfristen einmal überschritten, so gelten sie unabhängig von der Anzahl der Unterbrechungen als vollendet.“

Strafprozessordnung

17

Art. 40 Abs. 1 des Codul de procedură penală (Strafprozessordnung) bestimmt:

„Der Oberste Kassations- und Gerichtshof entscheidet in erster Instanz über Straftaten des Hochverrats sowie über Straftaten, die begangen werden von Senatoren, Abgeordneten und rumänischen Mitgliedern des Europäischen Parlaments, Regierungsmitgliedern, Richtern des Verfassungsgerichtshofs, Mitgliedern des Obersten Richterrats, Richtern des Obersten Kassations- und Gerichtshofs sowie Staatsanwälten des Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casație și Justiție [(Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof, Rumänien)].“

18

In Art. 281 Abs. 1 dieser Strafprozessordnung heißt es:

„Verstöße gegen Rechtsvorschriften haben stets die Nichtigkeit zur Folge, wenn sie betreffen:

b)

die sachliche und persönliche Zuständigkeit von Gerichten, wenn das Urteil von einem dem gesetzlich zuständigen Gericht nachgeordneten Gericht erlassen wurde;

…“

19

Art. 426 Abs. 1 der Strafprozessordnung bestimmt:

„Gegen rechtskräftige Entscheidungen in Strafverfahren kann in folgenden Fällen eine Nichtigkeitsklage erhoben werden:

d) wenn das Berufungsgericht nicht dem Gesetz entsprechend besetzt war oder ein Fall von Unvereinbarkeit vorlag;

…“

20

Art. 428 Abs. 1 der Strafprozessordnung sieht vor:

„Eine Nichtigkeitsklage aus den in Art. 426 Buchst. a und c bis h genannten Gründen kann innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts erhoben werden.“

Gesetz Nr. 78/2000

21

Art. 5 Abs. 1 der Legea nr. 78/2000 pentru prevenirea, descoperirea și sancționarea faptelor de corupție (Gesetz Nr. 78/2000 über die Prävention, Ermittlung und Sanktionierung von Korruptionsdelikten) vom 18. Mai 2000 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 219 vom 18. Mai 2000) bestimmt:

„Im Sinne dieses Gesetzes sind die in den Art. 289 bis 292 des Strafgesetzbuchs aufgeführten Straftaten Korruptionsdelikte, und zwar auch dann, wenn sie von den in Art. 308 des Strafgesetzbuchs genannten Personen begangen werden.“

22

Die in Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 78/2000 genannten Artikel des Strafgesetzbuchs betreffen die Straftatbestände der Bestechlichkeit (Art. 289), der Bestechung (Art. 290), der Einflussnahme (Art. 291) bzw. des Erkaufens von Einflussnahme (Art. 292).

23

Art. 29 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 78/2000 sieht vor:

„Für die Entscheidung in erster Instanz über die in diesem Gesetz vorgesehenen Straftaten werden spezialisierte Spruchkörper eingerichtet.“

Gesetz Nr. 303/2004

24

Art. 99 der Legea nr. 303/2004 privind statutul judecătorilor şi procurorilor (Gesetz Nr. 303/2004 über den Status von Richtern und Staatsanwälten) vom 28. Juni 2004 (neu veröffentlicht im Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 826 vom 13. September 2005) in der durch die Legea nr. 24/2012 (Gesetz Nr. 24/2012) vom 17. Januar 2012 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 51 vom 23. Januar 2012) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 303/2004) sieht vor:

„Disziplinarvergehen sind:

o)

die Nichtbeachtung der Vorschriften über die Zuteilung der Rechtssachen nach dem Zufallsprinzip;

ș)

die Nichtbeachtung der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs …;

…“.

25

Art. 100 Abs. 1 dieses Gesetzes sieht vor:

„Disziplinarsanktionen, die je nach Schwere des Verstoßes gegen Richter und Staatsanwälte verhängt werden können, sind:

e)

der Ausschluss aus der Richter- und Staatsanwälteschaft.“

26

Art. 101 des Gesetzes bestimmt:

„Die in Art. 100 vorgesehenen Disziplinarsanktionen werden von den Abteilungen des Obersten Richterrats nach Maßgabe seines Organgesetzes verhängt.“

Gesetz Nr. 304/2004

27

Die Legea nr. 304/2004 privind organizarea judiciară (Gesetz Nr. 304/2004 über die Organisation des Justizwesens) vom 28. Juni 2004 (neu veröffentlicht im Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 827 vom 13. September 2005) wurde u. a. geändert durch

die Legea nr. 202/2010 privind unele măsuri pentru accelerarea soluționării proceselor (Gesetz Nr. 202/2010 über Maßnahmen zur Beschleunigung der Entscheidung von Gerichtsverfahren) vom 25. Oktober 2010 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 714 vom 26. Oktober 2010);

die Legea nr. 255/2013 pentru punerea în aplicare a Legii nr. 135/2010 privind Codul de procedură penală și pentru modificarea și completarea unor acte normative care cuprind dispoziții procesual penale (Gesetz Nr. 255/2013 zur Durchführung des Gesetzes Nr. 135/2010 über die Strafprozessordnung und zur Änderung und Vervollständigung bestimmter Rechtsakte mit strafverfahrensrechtlichen Regelungen) vom 19. Juli 2013 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 515 vom 14. August 2013);

die Legea nr. 207/2018 pentru modificarea și completarea Legii nr. 304/2004 privind organizarea judiciară (Gesetz Nr. 207/2018 zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes Nr. 304/2004 über die Organisation des Justizwesens) vom 20. Juli 2018 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 636 vom 20. Juli 2018).

28

Art. 19 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 304/2004 in der zuletzt durch das Gesetz Nr. 207/2018 geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 304/2004 in geänderter Fassung) bestimmt:

„Zu Beginn jedes Jahres kann das Leitungsgremium des Obersten Kassations- und Gerichtshofs auf Vorschlag von dessen Präsidenten oder Vizepräsidenten nach Maßgabe der Anzahl und Art der Rechtssachen, des Umfangs der Tätigkeit jeder Abteilung sowie der Spezialisierung der Richter und der Notwendigkeit, deren Berufserfahrung zu nutzen, die Bildung spezialisierter Spruchkörper im Rahmen der Abteilungen des Obersten Kassations- und Gerichtshofs genehmigen.“

29

Art. 24 Abs. 1 dieses Gesetzes sieht vor:

„Die Spruchkörper mit fünf Richtern entscheiden über Berufungen gegen erstinstanzliche Entscheidungen der Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, über Kassationsbeschwerden gegen Berufungsentscheidungen der Spruchkörper mit fünf Richtern nach vorheriger Zulassung, über Beschwerden gegen Beschlüsse, die die Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs im erstinstanzlichen Verfahren erlassen hat, über Disziplinarangelegenheiten gemäß dem Gesetz und in anderen Angelegenheiten im Rahmen der ihnen durch Gesetz übertragenen Zuständigkeiten.“

30

Art. 29 Abs. 1 des Gesetzes lautet:

„Das Leitungsgremium des Obersten Kassations- und Gerichtshofs hat folgende Zuständigkeiten:

a) Genehmigung der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise sowie der Funktions- und Stellenpläne des Obersten Kassations- und Gerichtshofs;

f) Wahrnehmung weiterer, in der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs vorgesehener Zuständigkeiten.“

31

In Art. 31 Abs. 1 des Gesetzes heißt es:

„In Strafsachen sind die Spruchkörper wie folgt besetzt:

a) In Rechtssachen, für die nach dem Gesetz in erster Instanz der Oberste Kassations- und Gerichtshof zuständig ist, besteht der Spruchkörper aus drei Richtern;

…“

32

Art. 32 des Gesetzes Nr. 304/2004 in geänderter Fassung bestimmt:

„(1)   Zu Beginn jedes Jahres genehmigt das Leitungsgremium auf Vorschlag des Präsidenten oder der Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs die Zahl und die Besetzung der Spruchkörper mit fünf Richtern.

(4)   Die Richter, die diesen Spruchkörpern angehören, werden in öffentlicher Sitzung vom Präsidenten oder, bei dessen Abwesenheit, von einem der beiden Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs durch Losentscheid bestimmt. Die Mitglieder der Spruchkörper können nur in Ausnahmefällen unter Berücksichtigung objektiver Kriterien, die in der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs festgelegt sind, ausgewechselt werden.

(5)   Den Vorsitz im Spruchkörper mit fünf Richtern führen der Präsident des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, einer der beiden Vizepräsidenten oder einer der Abteilungspräsidenten, wenn sie gemäß Abs. 4 als Mitglied des betreffenden Spruchkörpers bestimmt worden sind.

(6)   Wenn für einen Spruchkörper mit fünf Richtern keine der vorgenannten Personen als Mitglied bestimmt wurde, wird der Vorsitz im Spruchkörper von einem Richter im Rotationsverfahren in der Reihenfolge des Dienstalters der Richter geführt.

(7)   Rechtssachen, die in die Zuständigkeit der Spruchkörper mit fünf Richtern fallen, werden nach dem Zufallsprinzip mit Hilfe eines computergestützten Systems zugewiesen.“

33

Art. 32 des Gesetzes Nr. 304/2004 in der Fassung des Gesetzes Nr. 202/2010 bestimmte:

„(1)   In Strafsachen werden zu Beginn jedes Jahres zwei Spruchkörper mit fünf Richtern gebildet, die ausschließlich mit Mitgliedern der Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs besetzt werden.

(4)   Das Leitungsgremium des Obersten Kassations- und Gerichtshofs genehmigt die Besetzung der Spruchkörper mit fünf Richtern. Die Richter, die diesen Spruchkörpern angehören, werden vom Präsidenten oder, bei dessen Abwesenheit, vom Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs bestimmt. Die Mitglieder der Spruchkörper können nur in Ausnahmefällen unter Berücksichtigung objektiver Kriterien, die in der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs festgelegt sind, ausgewechselt werden.

(5)   Den Vorsitz im Spruchkörper mit fünf Richtern führt der Präsident oder der Vizepräsident des Obersten Kassations- und Gerichtshofs. Bei deren Abwesenheit kann der Vorsitz in dem Spruchkörper von einem vom Präsidenten oder, bei dessen Abwesenheit, vom Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs zu diesem Zweck bestimmten Abteilungspräsidenten geführt werden.

(6)   Rechtssachen, die in die Zuständigkeit der Spruchkörper gemäß den Abs. 1 und 2 fallen, werden nach dem Zufallsprinzip mit Hilfe eines computergestützten Systems zugewiesen.“

34

In der Fassung des Gesetzes Nr. 255/2013 war der Wortlaut der Abs. 1 und 6 von Art. 32 des Gesetzes Nr. 304/2004 nahezu identisch mit dem der Abs. 1 und 6 der in der vorstehenden Randnummer genannten Fassung dieses Artikels, während die Abs. 4 und 5 dieses Artikels vorsahen:

„(4)   Das Leitungsgremium des Obersten Kassations- und Gerichtshofs genehmigt auf Vorschlag des Präsidenten der Strafabteilung die Zahl und die Besetzung der Spruchkörper mit fünf Richtern. Die Richter, die diesen Spruchkörpern angehören, werden in öffentlicher Sitzung vom Präsidenten oder, bei dessen Abwesenheit, vom Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs durch Losentscheid bestimmt. Die Mitglieder der Spruchkörper können nur in Ausnahmefällen unter Berücksichtigung objektiver Kriterien, die in der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs festgelegt sind, ausgewechselt werden.

(5)   Den Vorsitz im Spruchkörper mit fünf Richtern führt der Präsident oder der Vizepräsident des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, wenn er dem Spruchkörper gemäß Abs. 4 angehört, der Präsident der Strafabteilung oder gegebenenfalls das dienstälteste Mitglied.“

35

In Art. 33 des Gesetzes Nr. 304/2004 in geänderter Fassung heißt es:

„(1)   Der Präsident oder, bei seiner Abwesenheit, einer der Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs führt den Vorsitz in den Vereinigten Abteilungen, im Spruchkörper, der für die Revision aus Gründen der Rechtseinheitlichkeit zuständig ist, sowie im Spruchkörper für die Entscheidung von Rechtsfragen, im Spruchkörper mit fünf Richtern und in jedem Spruchkörper im Rahmen der Abteilungen, wenn er an der Verhandlung teilnimmt.

(3)   Die Abteilungspräsidenten können den Vorsitz in jedem Spruchkörper der Abteilung führen, während die anderen Richter den Vorsitz im Rotationsverfahren führen.“

36

Art. 33 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 304/2004 in der Fassung des Gesetzes Nr. 202/2010 sah vor:

„Der Präsident oder, bei seiner Abwesenheit, der Vizepräsident des Obersten Kassations- und Gerichtshofs führt den Vorsitz in den Vereinigten Abteilungen, im Spruchkörper mit fünf Richtern sowie in jedem Spruchkörper im Rahmen der Abteilungen, wenn er an der Verhandlung teilnimmt.“

37

Art. 33 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 304/2004 in der Fassung des Gesetzes Nr. 255/2013 lautet:

„Der Präsident oder, bei seiner Abwesenheit, einer der Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs führt den Vorsitz in den Vereinigten Abteilungen, im Spruchkörper, der für die Revision aus Gründen der Rechtseinheitlichkeit zuständig ist, sowie im Spruchkörper für die Entscheidung von Rechtsfragen, im Spruchkörper mit fünf Richtern und in jedem Spruchkörper im Rahmen der Abteilungen, wenn er an der Verhandlung teilnimmt.“

Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs

38

Art. 28 des Regulamentul privind organizarea şi funcţionarea administrativă a Înaltei Curţi de Casaţie şi Justiţie (Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs) vom 21. September 2004 in der durch die Hotărârea nr. 3/2014 pentru modificarea şi completarea Regulamentului privind organizarea şi funcţionarea administrativă a Înaltei Curţi de Casaţie şi Justiţie (Beschluss Nr. 3/2014 zur Änderung und Ergänzung der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs) vom 28. Januar 2014 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 75 vom 30. Januar 2014) geänderten Fassung bestimmte:

„(1)   Der Oberste Kassations- und Gerichtshof umfasst Spruchkörper mit fünf Richtern, deren gerichtliche Zuständigkeit gesetzlich festgelegt ist.

(4)   Den Vorsitz in den Spruchkörpern mit fünf Richtern führt je nach Fall der Präsident, der Vizepräsident, der Präsident der Strafabteilung oder das dienstälteste Mitglied.“

39

Art. 29 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmte:

„Zur Bildung der Spruchkörper mit fünf Richtern in Strafsachen benennt der Präsident oder, bei seiner Abwesenheit, einer der Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs jedes Jahr durch Losentscheid in öffentlicher Sitzung je nach Fall vier oder fünf Richter der Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs für jeden Spruchkörper.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Rechtssache C‑859/19

40

Mit Urteil eines Spruchkörpers mit drei Richtern vom 17. Oktober 2017 verurteilte die Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs FX, Staatsanwalt des Parchetul de pe lângă Tribunalul Iași (Staatsanwaltschaft beim Landgericht Iași, Rumänien), wegen Bestechlichkeit, Durchführung von Finanzgeschäften, die als kommerzielle Handlungen mit dem Amt eines Staatsanwalts unvereinbar sind, mit dem Ziel, für sich selbst Geld, Vermögenswerte oder andere ungerechtfertigte Vorteile zu erlangen, sowie wegen falscher Erklärungen, begangen in den Jahren 2014 und 2015, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten und zu einer Geldstrafe, sprach ihn gleichzeitig aber vom Vorwurf der Geldwäsche frei. Mit demselben Strafurteil wurden CS und ND vom Vorwurf der Falschaussage freigesprochen.

41

FX und das Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casație și Justiție – Direcția Națională Anticorupție (Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof – Nationale Antikorruptionsdirektion, Rumänien) (im Folgenden: DNA) legten Berufung gegen dieses Urteil ein. Die Ausgangsrechtssache wurde in das Register des Spruchkörpers mit fünf Richtern des Obersten Kassations- und Gerichtshofs als Berufungsgericht eingetragen.

42

Während der Anhängigkeit des Berufungsverfahrens verkündete der Verfassungsgerichtshof am 7. November 2018 das Urteil Nr. 685/2018. Mit diesem Urteil stellte der Verfassungsgerichtshof, der vom Ministerpräsidenten gemäß Art. 146 Buchst. e der Verfassung Rumäniens angerufen worden war, zunächst einen verfassungsrechtlichen Konflikt zwischen dem Parlament und dem Obersten Kassations- und Gerichtshof fest, hervorgerufen durch die Entscheidungen des Leitungsgremiums des Letztgenannten, die darin bestanden, gemäß einer im betreffenden Zeitraum gängigen Praxis unter Außerachtlassung von Art. 32 des Gesetzes Nr. 304/2004 in geänderter Fassung nur vier der fünf Mitglieder der über Berufungen entscheidenden Spruchkörper mit fünf Richtern und nicht alle diese Richter durch Losentscheid zu bestimmen, stellte weiter fest, dass die Entscheidung einer Rechtssache in der Berufungsinstanz durch einen solchermaßen rechtswidrig besetzten Spruchkörper mit der absoluten Nichtigkeit der erlassenen Entscheidung sanktioniert werde, und wies schließlich darauf hin, dass dieses Urteil gemäß Art. 147 Abs. 4 der Verfassung Rumäniens ab dem Zeitpunkt seiner Veröffentlichung auf anhängige Rechtssachen, auf Rechtssachen, über die bereits entschieden worden sei, sofern für die Rechtsunterworfenen die Frist für die Einlegung der geeigneten außerordentlichen Rechtsbehelfe noch nicht abgelaufen sei, sowie auf künftige Fälle anwendbar sei. Infolge des genannten Urteils wurde die Ausgangsrechtssache aus dem Register gestrichen und einem der neu gebildeten Spruchkörper mit fünf Richtern nach dem Zufallsprinzip zugewiesen.

43

Am 3. Juli 2019 verkündete der Verfassungsgerichtshof das Urteil Nr. 417/2019, das auf Befassung durch den Präsidenten der Abgeordnetenkammer ergangen ist, gegen den zu diesem Zeitpunkt bei einem Spruchkörper mit fünf Richtern des Obersten Kassations- und Gerichtshofs als Berufungsgericht selbst ein Strafverfahren wegen eines Sachverhalts anhängig war, der in den Anwendungsbereich des Gesetzes Nr. 78/2000 fiel. Mit diesem Urteil stellte der Verfassungsgerichtshof zunächst das Bestehen eines verfassungsrechtlichen Konflikts zwischen dem Parlament und dem Obersten Kassations- und Gerichtshof fest, der dadurch entstanden sei, dass Letzterer nicht die auf die erstinstanzliche Aburteilung von Straftaten spezialisierten Spruchkörper nach Art. 29 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 78/2000 gebildet habe, vertrat des Weiteren die Auffassung, dass die Entscheidung einer Rechtssache durch einen nicht spezialisierten Spruchkörper die absolute Nichtigkeit der verkündeten Entscheidung zur Folge habe, und ordnete schließlich an, dass alle Rechtssachen, über die der Oberste Kassations- und Gerichtshof vor dem 23. Januar 2019 in erster Instanz entschieden hatte und die noch nicht rechtskräftig geworden waren, von den gemäß dieser Bestimmung gebildeten spezialisierten Spruchkörpern erneut geprüft würden. In diesem Urteil befand der Verfassungsgerichtshof nämlich, dass zu diesem Zeitpunkt, dem 23. Januar 2019, das Leitungsgremium des Obersten Kassations- und Gerichtshofs zwar eine Entscheidung erlassen habe, die dahin lautete, dass alle Spruchkörper mit drei Richtern als für die Entscheidung von Korruptionsfällen spezialisiert anzusehen seien, mit dieser Entscheidung eine Verfassungswidrigkeit aber erst ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses und nicht für die Vergangenheit vermieden werden konnte.

44

Zur Stützung seines Vorabentscheidungsersuchens führt der Oberste Kassations- und Gerichtshof – das vorlegende Gericht in der vorliegenden Rechtssache – aus, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Straftaten – wie die Korruptionsdelikte, die im Zusammenhang mit Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge begangen worden seien, die hauptsächlich mit Mitteln der Union finanziert würden, sowie Geldwäschedelikte – die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigten oder beeinträchtigen könnten.

45

Nach Ansicht dieses Gerichts stellt sich erstens die Frage, ob Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV, Art. 4 der Richtlinie (EU) 2017/1371 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2017 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug (ABl. 2017, L 198, S. 29) sowie Art. 58 der Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission (ABl. 2015, L 141, S. 73) dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass ein nationales Gericht eine Entscheidung einer Behörde anwendet, die nicht Teil des Justizsystems ist, wie das Urteil Nr. 417/2019 des Verfassungsgerichtshofs, mit dem über die Begründetheit eines ordentlichen Rechtsbehelfs entschieden und die Rückverweisung der Rechtssachen mit der Folge angeordnet worden sei, dass die Strafverfolgung durch die Eröffnung eines neuen erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens in Frage gestellt worden sei. Die Mitgliedstaaten seien nämlich verpflichtet, wirksame und abschreckende Maßnahmen zu ergreifen, um rechtswidrige Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union zu bekämpfen.

46

In diesem Zusammenhang sei auch zu klären, ob die Wendung „und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen“ in Art. 325 Abs. 1 AEUV Korruptionsdelikte im eigentlichen Sinne erfasse, insbesondere, da Art. 4 der Richtlinie 2017/1371 die Straftaten der „Bestechlichkeit“ und der „Bestechung“ definiere.

47

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt sich ebenso wie in der Rechtssache C‑357/19, Euro Box Promotion u. a., die Frage, ob der in Art. 2 EUV verankerte Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta, einer Beeinflussung des Ablaufs der Rechtspflege durch ein Eingreifen wie das sich aus dem Urteil Nr. 417/2019 ergebende entgegenstehen. Mit dem genannten Urteil habe der Verfassungsgerichtshof, ohne über gerichtliche Zuständigkeiten zu verfügen, verbindliche Maßnahmen erlassen, die die Eröffnung neuer Gerichtsverfahren wegen der angeblich fehlenden Spezialisierung der Spruchkörper der Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs auf dem Gebiet der Korruptionsdelikte zur Folge hätten, obwohl alle Richter dieser Strafabteilung bereits aufgrund ihrer Eigenschaft als Richter dieses Gerichts diese Spezialisierungsvoraussetzung erfüllten.

48

Zweitens sei in Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofs und der Bedeutung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit die Bedeutung des Begriffs des „zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts“ in Art. 47 Abs. 2 der Charta zu klären, um festzustellen, ob diese Bestimmung der vom Verfassungsgerichtshof vorgenommenen Auslegung betreffend die Rechtswidrigkeit der Besetzung des Gerichts entgegenstehe.

49

Drittens hat das vorlegende Gericht Zweifel, ob der nationale Richter verpflichtet ist, das Urteil Nr. 417/2019 unangewendet zu lassen, um die volle Wirksamkeit der Unionsvorschriften zu gewährleisten. Allgemein sei außerdem zu prüfen, ob die Wirkungen von Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs, die gegen den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit in Rechtssachen verstießen, die ausschließlich dem nationalen Recht unterlägen, auszuschließen seien. Diese Fragen würden sich insbesondere deshalb stellen, weil die rumänische Disziplinarregelung die Verhängung einer Disziplinarsanktion gegen einen Richter vorsehe, wenn dieser die Wirkungen der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs ausschließe.

50

Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass das Urteil Nr. 417/2019, das die Nichtigerklärung der vor dem 23. Januar 2019 in erster Instanz ergangenen Urteile der Spruchkörper mit drei Richtern der Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs zur Folge habe, gegen den Grundsatz der Wirksamkeit strafrechtlicher Sanktionen im Fall schwerwiegender rechtswidriger Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union verstoße. Dieses Urteil erwecke nämlich zum einen den Anschein der Straflosigkeit und berge zum anderen angesichts der Komplexität und der Dauer des Verfahrens, das der Verkündung eines endgültigen Urteils im Anschluss an eine erneute Prüfung der betreffenden Rechtssachen vorausgehe, aufgrund der nationalen Vorschriften über die Verfolgungsverjährung eine systemische Gefahr der Straflosigkeit bei schweren Straftaten. So habe das Gerichtsverfahren im Ausgangsverfahren aufgrund seiner Komplexität allein in der ersten Instanz etwa vier Jahre gedauert.

51

Unter diesen Umständen hat der Oberste Kassations- und Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV, Art. 58 der Richtlinie 2015/849 und Art. 4 der Richtlinie 2017/1371 dahin auszulegen, dass sie dem Erlass einer Entscheidung durch eine außerhalb der Justiz stehende Einrichtung, [den Verfassungsgerichtshof], entgegenstehen, die vorschreibt, dass in einem bestimmten Zeitraum entschiedene Korruptionssachen, die in der Berufung anhängig sind, zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen sind, weil auf der Ebene des obersten Gerichts keine auf diesem Gebiet spezialisierten Spruchkörper errichtet worden waren, obgleich sie die Spezialisierung der Richter anerkennt, mit denen die Spruchkörper besetzt waren?

2.

Sind Art. 2 EUV und Art. 47 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass eine außerhalb der Justiz stehende Einrichtung die Rechtswidrigkeit der Besetzung der Spruchkörper innerhalb einer Abteilung eines obersten Gerichts (Spruchkörper, die mit amtierenden Richtern besetzt sind, die zum Zeitpunkt der Beförderung u. a. die Voraussetzung der Spezialisierung erfüllt haben, die für die Beförderung zur Strafabteilung des obersten Gerichts verlangt wird) feststellt?

3.

Ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er es dem nationalen Gericht erlaubt, eine verfassungsgerichtliche Entscheidung, die aufgrund einer Befassung mit einem Verfassungskonflikt ergangen ist und nach nationalem Recht verbindlich ist, unangewendet zu lassen?

Rechtssache C‑926/19

52

Mit Urteil eines Spruchkörpers mit drei Richtern vom 30. Juni 2016 verurteilte die Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs FV wegen Steuerbetrugs, begangen in den Jahren 2010 bis 2013, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, sprach ihn gleichzeitig aber vom Vorwurf des Mehrwertsteuerbetrugs, der Geldwäsche und der Begehung der anderen ihm zur Last gelegten Straftaten frei. Mit demselben Urteil wurden die Staatsanwälte CS und EU sowie der Polizeibeamte DT u. a. wegen Korruption, dieser gleichgestellter oder damit im Zusammenhang stehender Taten, begangen seit 2010, zu Strafen von sieben, zwei bzw. vier Jahren verurteilt. Schließlich wurden – ebenfalls mit diesem Urteil – BR, GW, HX und IY sowie die SC Uranus Junior 2003 SRL von den ihnen zur Last gelegten Straftaten freigesprochen.

53

BR, CS, DT, EU, FV und GW sowie die DNA, das Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Direcţia de Investigare a Infracțiunilor de Criminalitate Organizată și Terorism – Structura Centrală (Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof – Direktion zur Untersuchung organisierter Kriminalität und terroristischer Straftaten – Zentrale Struktur, Rumänien) und die Agenția Națională de Administrare Fiscală (Nationale Steuerverwaltungsagentur, Rumänien) legten Berufung gegen das Urteil ein.

54

Die Ausgangsrechtssache wurde in das Register des Spruchkörpers mit fünf Richtern des Obersten Kassations- und Gerichtshofs als Berufungsgericht eingetragen. Am 7. Mai 2018 ließ dieser Spruchkörper Zeugenaussagen und schriftliche Beweise zur Stützung der Berufungsgründe zu und lud die Zeugen zwecks Anhörung vor.

55

Infolge der Verkündung des in Rn. 42 des vorliegenden Beschlusses erwähnten Urteils Nr. 685/2018 des Verfassungsgerichtshofs am 7. November 2018 wurde die Rechtssache einem anderen Spruchkörper mit fünf Richtern neu zugewiesen. Mit Beschluss vom 13. Mai 2019 ließ dieser neue Spruchkörper Zeugenaussagen und schriftliche Beweise zur Stützung der Berufungsgründe zu und lud die Zeugen zwecks Anhörung vor.

56

Nach Verkündung des in Rn. 43 des vorliegenden Beschlusses erwähnten Urteils Nr. 417/2019 des Verfassungsgerichtshofs am 3. Juli 2019 beantragte ein Teil der Berufungsführer beim vorlegenden Gericht, die absolute Nichtigkeit des Urteils vom 30. Juni 2016 festzustellen, weil es von einem auf dem Gebiet der Korruption nicht spezialisierten Spruchkörper mit drei Richtern verkündet worden sei, und die Rechtssache zur erneuten Verhandlung an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen.

57

Der Oberste Kassations- und Gerichtshof – das vorlegende Gericht in der vorliegenden Rechtssache – hat Zweifel, ob das Urteil Nr. 417/2019 mit Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV, Art. 47 der Charta und Art. 4 der Richtlinie 2017/1371 vereinbar ist. Was insbesondere Art. 325 AEUV betrifft, bringt dieses Gericht im Wesentlichen die gleichen Argumente vor wie die in der Rechtssache C‑859/19 angeführten. Das vorlegende Gericht fügt hinzu, dass das erstinstanzliche Strafverfahren im Ausgangsrechtsstreit mehr als vier Jahre gedauert habe.

58

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass mit dem Urteil Nr. 417/2019 verbindliche Verfahrensmaßnahmen festgelegt worden seien, die die Eröffnung neuer Gerichtsverfahren erforderlich machten, weil es an einer Spezialisierung der erstinstanzlichen Spruchkörper in Bezug auf die im Gesetz Nr. 78/2000 vorgesehenen Straftaten gefehlt habe. Aufgrund dieses Urteils bestehe somit die Gefahr der Straflosigkeit in einer beträchtlichen Zahl von Fällen, die schwere Straftaten beträfen. Unter diesen Umständen würden das Erfordernis der Effektivität nach Art. 325 AEUV und das Grundrecht des Angeklagten auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist beeinträchtigt.

59

Ebenso ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass dem Gerichtshof wie in der Rechtssache C‑859/19 die Frage zu stellen sei, ob das Eingreifen des Verfassungsgerichtshofs mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar sei. Das vorlegende Gericht betont die Bedeutung der Beachtung der Urteile des Verfassungsgerichtshofs und weist darauf hin, dass sich seine Frage nicht auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs im Allgemeinen, sondern nur auf das Urteil Nr. 417/2019 beziehe, in dem dieser seine eigene Auslegung derjenigen des Obersten Kassations- und Gerichtshofs betreffend die abweichenden Bestimmungen des Gesetzes Nr. 78/2000 bzw. des Gesetzes Nr. 304/2004 in geänderter Fassung über die Bildung spezialisierter Spruchkörper entgegengesetzt und in die Zuständigkeiten des letztgenannten Gerichts eingegriffen habe, indem es die erneute Prüfung bestimmter Rechtssachen angeordnet habe.

60

Unter diesen Umständen hat der Oberste Kassations- und Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV, Art. 58 der Richtlinie 2015/849 und Art. 4 der Richtlinie 2017/1371 dahin auszulegen, dass sie dem Erlass einer Entscheidung durch eine außerhalb der Justiz stehende Einrichtung, [den Verfassungsgerichtshof], entgegenstehen, mit der über eine prozessuale Einrede entschieden wird, die sich auf eine möglicherweise rechtswidrige Besetzung der Spruchkörper bezieht – im Hinblick auf den (in der Verfassung Rumäniens nicht vorgesehenen) Grundsatz der Spezialisierung der Richter [am Obersten Kassations- und Gerichtshof] – und durch die ein Gericht verpflichtet wird, die (devolutiv) in der Berufung befindliche Sache zur erneuten Verhandlung im ersten Rechtszug vor demselben Gericht zurückzuverweisen?

2.

Sind Art. 2 EUV und Art. 47 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass eine außerhalb der Justiz stehende Einrichtung die Rechtswidrigkeit der Besetzung der Spruchkörper innerhalb einer Abteilung eines obersten Gerichts (Spruchkörper, die mit amtierenden Richtern besetzt sind, die zum Zeitpunkt der Beförderung u. a. die Voraussetzung der Spezialisierung erfüllt haben, die für die Beförderung zur Strafabteilung des obersten Gerichts verlangt wird) feststellt?

3.

Ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er es dem nationalen Gericht gestattet, eine verfassungsgerichtliche Entscheidung, mit der eine im Rang unterhalb der Verfassung stehende, die Organisation [des Obersten Kassations- und Gerichtshofs] betreffende Rechtsnorm, die Teil des Gesetzes über die Prävention, Ermittlung und Sanktionierung von Korruptionsdelikten ist und von einem Gericht seit 16 Jahren konstant im selben Sinne ausgelegt worden ist, ausgelegt wird, unangewendet zu lassen?

4.

Sind nach Art. 47 der Charta die Spezialisierung der Richter und die Errichtung spezialisierter Spruchkörper bei einem obersten Gericht vom Grundsatz des freien Zugangs zur Justiz erfasst?

Rechtssache C‑929/19

61

Die DNA leitete beim Obersten Kassations- und Gerichtshof die Strafverfolgung gegen CD, CLD, GLO, ȘDC und den Abgeordneten PVV ein.

62

In der Anklageschrift wurde ihnen im Wesentlichen zur Last gelegt, in der Zeit zwischen 2007 und 2009 erhebliche Beträge aus Investitionsfonds, die dazu bestimmt waren, technologische Verbesserungen von Kraftwerken zu bewirken, um die Schwefeldioxidemissionen dieser Werke gemäß den auf Unionsebene geltenden Umweltanforderungen zu verringern, missbräuchlich verwendet zu haben. Zu diesem Zweck und in diesem Zusammenhang hatten die Angeklagten der Anklageschrift zufolge Straftaten der Korruption, des Steuerbetrugs, insbesondere auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, der Geldwäsche und der Urkundenfälschung begangen.

63

Mit Urteil eines Spruchkörpers mit drei Richtern vom 10. Mai 2018 verurteilte die Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs CD wegen Verletzung u. a. der Rechtsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen und missbräuchlicher Verwendung von Mitteln, begangen zwischen 2007 und 2009, zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren.

64

CLD, GLO, PVV und ȘDC wurden von den ihnen zur Last gelegten Straftaten freigesprochen.

65

Die DNA, CD und die Agenția Națională de Administrare Fiscală (Nationale Steuerverwaltungsagentur) legten Berufung gegen dieses Urteil ein.

66

Während des Berufungsverfahrens verkündete der Verfassungsgerichtshof das Urteil Nr. 417/2019 vom 3. Juli 2019.

67

Der Oberste Kassations- und Gerichtshof – das vorlegende Gericht in der vorliegenden Rechtssache – hat Zweifel, ob dieses Urteil mit Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV, Art. 47 der Charta und Art. 4 der Richtlinie 2017/1371 vereinbar ist. Was insbesondere Art. 325 AEUV betrifft, bringt dieses Gericht im Wesentlichen die gleichen Gründe vor wie die in den Rechtssachen C‑859/19 und C‑926/19 angeführten.

68

In Bezug auf Art. 19 Abs. 1 EUV, den in Art. 2 EUV verankerten Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und Art. 47 der Charta hebt das vorlegende Gericht erstens die politische Dimension der Ernennung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs sowie deren besondere Position in der Architektur der Staatsgewalten hervor.

69

Zweitens sei das in Art. 146 Buchst. e der Verfassung Rumäniens vorgesehene Verfahren zur Feststellung eines verfassungsrechtlichen Konflikts zwischen Trägern staatlicher Gewalt als solches problematisch, da nach dieser Bestimmung politische Organe zur Einleitung dieses Verfahrens befugt seien. Außerdem sei die Grenze zwischen der Rechtswidrigkeit eines Rechtsakts und dem Vorliegen eines verfassungsrechtlichen Konflikts besonders schmal und ermögliche es einem beschränkten Kreis von Rechtssubjekten, parallel zu den vor den ordentlichen Gerichten eröffneten Rechtsbehelfen Rechtsbehelfe einzulegen.

70

Drittens hält das vorlegende Gericht die vom Verfassungsgerichtshof im Urteil Nr. 685/2018 getroffene Feststellung, dass zwischen der Judikative und der Legislative ein verfassungsrechtlicher Konflikt bestehe, für problematisch. In diesem Urteil habe der Verfassungsgerichtshof seine eigene Auslegung von Rechtsvorschriften der vom Obersten Kassations- und Gerichtshof in Ausübung seiner Zuständigkeit vorgenommenen Auslegung entgegengesetzt und diesem Gericht eine systematische Verkennung des Willens des Gesetzgebers vorgeworfen, um das Bestehen eines solchen verfassungsrechtlichen Konflikts feststellen zu können.

71

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt sich somit die Frage, ob die Art. 2 und 19 EUV sowie Art. 47 der Charta dem entgegenstehen, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens die Rechtsprechung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs durch ein Eingreifen des Verfassungsgerichtshofs überprüft und sanktioniert werden kann. Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass das Eingreifen des Verfassungsgerichtshofs in Form einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Tätigkeit des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, die an die Stelle der gesetzlichen Gerichtsverfahren trete, eine negative Auswirkung auf die Unabhängigkeit der Justiz und die Fundamente der Rechtsstaatlichkeit im Sinne von Art. 2 EUV haben könne, da der Verfassungsgerichtshof nicht Teil des Justizsystems sei und nicht mit Zuständigkeiten der Rechtsprechung ausgestattet sei.

72

Unter diesen Umständen hat der Oberste Kassations- und Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV sowie die Art. 2 und 4 der Richtlinie 2017/1371 dahin auszulegen, dass sie dem Erlass einer Entscheidung durch eine außerhalb der Justiz stehende Einrichtung, [den Verfassungsgerichtshof], entgegenstehen, mit der ohne Weiteres eine erneute Verhandlung aller Korruptionssachen angeordnet wird, die von der Strafabteilung des obersten Gerichts im ersten Rechtszug in einem bestimmten Zeitraum (2003 bis Januar 2019) entschieden wurden und sich in der Berufung befinden?

2.

Sind die Art. 2 und 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass eine außerhalb der Justiz stehende Einrichtung die rechtswidrige Besetzung der Spruchkörper einer Abteilung des obersten Gerichts feststellt, entgegen der Auslegung, die sich aus der ständigen und einhelligen Organisations- und Gerichtspraxis dieses obersten Gerichts ergibt?

3.

Ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er es dem nationalen Gericht gestattet, eine verfassungsgerichtliche Entscheidung, die aufgrund einer Befassung mit einem Verfassungskonflikt ergangen ist und nach nationalem Recht verbindlich ist, unangewendet zu lassen?

4.

Kann der Ausdruck „zuvor durch Gesetz [errichtet]“ in Art. 47 Abs. 2 der Charta dahin ausgelegt werden, dass er die förmliche Bestellung spezialisierter Spruchkörper unabhängig von der Spezialisierung der diese Spruchkörper bildenden Richter erfasst?

73

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 19. Mai 2022 sind die Rechtssachen C‑859/19, C‑926/19 und C‑929/19 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

Zum Antrag auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens

74

Das vorlegende Gericht hat beim Gerichtshof beantragt, die vorliegenden Rechtssachen gemäß Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.

75

Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Gerichtshofs, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, braucht über diesen Antrag nicht entschieden zu werden (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 17. Mai 2022, Estaleiros Navais de Peniche, C‑787/21, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:414, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zu den Vorlagefragen

76

Gemäß Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, unter anderem dann, wenn die Antwort auf eine [zur Vorabentscheidung vorgelegte] Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann.

77

Da sich die Antwort auf die Fragen des vorlegenden Gerichts klar aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere aus den Urteilen vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a. (C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034), sowie vom 22. Februar 2022, RS (Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts) (C‑430/21, EU:C:2022:99), ableiten lässt, ist diese Vorschrift in den vorliegenden Rechtssachen anzuwenden.

Zur ersten Frage in der Rechtssache C‑859/19 sowie zur ersten und zur vierten Frage in den Rechtssachen C‑926/19 und C‑929/19

78

Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C‑859/19 sowie mit seiner ersten und seiner vierten Frage in den Rechtssachen C‑926/19 und C‑929/19, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des SFI‑Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, wonach Urteile im Bereich der Korruption und des Mehrwertsteuerbetrugs, die in erster Instanz nicht von in diesem Bereich spezialisierten Spruchkörpern bzw. in der Berufungsinstanz nicht von Spruchkörpern erlassen wurden, deren Mitglieder sämtlich durch Losentscheid bestimmt wurden, absolut nichtig sind, so dass die betreffenden Korruptions- und Mehrwertsteuerbetrugsfälle, gegebenenfalls infolge eines außerordentlichen Rechtsbehelfs gegen rechtskräftige Urteile, in erster und/oder zweiter Instanz erneut geprüft werden müssen.

79

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht in diesen Rechtssachen die erheblichen Auswirkungen hervorhebt, die die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus den Urteilen Nrn. 685/2018 und 417/2019 betreffend die Besetzung der Spruchkörper des Obersten Kassations- und Gerichtshofs auf die Wirksamkeit der Strafverfolgung, der Sanktionen sowie der Vollstreckung der Sanktionen im Bereich der Korruptions- und Mehrwertsteuerbetrugsdelikte, wie sie gegen die Angeklagten in den Ausgangsverfahren verhängt wurden, haben könnte; zu den Angeklagten zählen Personen, die zur Zeit der ihnen zur Last gelegten Taten die höchsten Ämter innerhalb des rumänischen Staates bekleideten. Es möchte daher vom Gerichtshof wissen, ob eine solche Rechtsprechung mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

80

Die Fragen, die es insoweit stellt, beziehen sich zwar formal auf Art. 325 Abs. 1 AEUV, ohne auf die Entscheidung 2006/928 Bezug zu nehmen, doch sind diese Entscheidung sowie die in ihrem Anhang aufgeführten Vorgaben für die Beantwortung dieser Fragen relevant. Obgleich das vorlegende Gericht in seinen Fragen auch auf Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 58 der Richtlinie 2015/849 sowie die Art. 2 und 4 der Richtlinie 2017/1371 Bezug nimmt, erscheint hingegen eine Prüfung, die sich darüber hinaus auf die letztgenannten Bestimmungen erstrecken würde, nicht erforderlich, um auf die diesen Fragen zugrunde liegenden Fragestellungen zu antworten. Zu diesen beiden Richtlinien ist im Übrigen festzustellen, dass der in den Ausgangsverfahren maßgebliche Zeitraum vor ihrem Inkrafttreten und damit vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Richtlinie 2017/1371 das SFI-Übereinkommen ersetzt hat.

81

Unter diesen Umständen sind die genannten Fragen sowohl anhand von Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des SFI‑Übereinkommens als auch anhand der Entscheidung 2006/928 zu beantworten.

82

Insoweit sieht das Unionsrecht, wie in Rn. 180 des Urteils vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a. (C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034), ausgeführt worden ist, bei seinem gegenwärtigen Stand, keine Vorschriften über die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten und insbesondere nicht über die Besetzung der Spruchkörper im Bereich der Korruption und des Betrugs vor. Daher fallen diese Vorschriften grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Allerdings haben diese Staaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit die Verpflichtungen einzuhalten, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben.

83

Was Art. 325 Abs. 1 AEUV anbelangt, so verpflichtet diese Bestimmung die Mitgliedstaaten, Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen mit abschreckenden Maßnahmen zu bekämpfen (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 181 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

84

Um den Schutz der finanziellen Interessen der Union zu gewährleisten, obliegt es namentlich den Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die tatsächliche und vollständige Erhebung der Eigenmittel sicherzustellen, die in den Einnahmen bestehen, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Satzes auf die einheitliche Mehrwertsteuer-Eigenmittelbemessungsgrundlage ergeben. Ebenso sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Beträge wiedereinzuziehen, die dem Empfänger einer teilweise aus dem Unionshaushalt finanzierten Subvention zu Unrecht gezahlt worden sind (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 182 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

85

Daher hat der Gerichtshof in Rn. 183 des Urteils vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a. (C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034), bereits entschieden, dass der Begriff der „finanziellen Interessen“ der Union im Sinne von Art. 325 Abs. 1 AEUV nicht nur die dem Unionshaushalt zur Verfügung gestellten Einnahmen, sondern auch die von diesem Haushalt gedeckten Ausgaben umfasst. Diese Auslegung wird durch die Definition des Begriffs „Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der [Union]“ in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b des SFI‑Übereinkommens bestätigt, der sich auf verschiedene vorsätzliche Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang sowohl mit Ausgaben als auch mit Einnahmen bezieht.

86

Was ferner den Ausdruck „sonstige rechtswidrige Handlungen“ in Art. 325 Abs. 1 AEUV betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „rechtswidrige Handlungen“ üblicherweise gesetzwidrige Verhaltensweisen bezeichnet. Dabei weist das Attribut „sonstige“ darauf hin, dass alle diese Verhaltensweisen unterschiedslos erfasst werden. Im Übrigen kann im Hinblick auf die Bedeutung, die dem Schutz der finanziellen Interessen der Union, einem ihrer Ziele, beizumessen ist, der Begriff „rechtswidrige Handlung“ nicht eng ausgelegt werden (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 184 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

87

Der Begriff „rechtswidrige Handlung“ umfasst u. a. jede Bestechlichkeit von Beamten oder jeden Missbrauch eines öffentlichen Amtes durch Beamte, die bzw. der geeignet ist, die finanziellen Interessen der Union zu beeinträchtigen, z. B. in Form einer unrechtmäßigen Erlangung von Mitteln der Union. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob das Korruptionsdelikt in einer Handlung oder in einer Unterlassung des betroffenen Beamten zum Ausdruck kommt, da eine Unterlassung die finanziellen Interessen der Union ebenso schädigen kann wie eine Handlung und mit einem solchen Delikt untrennbar verbunden sein kann, wie z. B. das Versäumnis eines Beamten, die erforderlichen Kontrollen und Überprüfungen für vom Unionshaushalt gedeckte Ausgaben durchzuführen, oder die Genehmigung unangemessener oder unzutreffender Ausgaben aus Mitteln der Union (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 185).

88

Die Tatsache, dass sich Art. 2 Abs. 1 des SFI‑Übereinkommens in Verbindung mit dessen Art. 1 Abs. 1 nur auf Betrug bezieht, der sich gegen die finanziellen Interessen der Union richtet, kann diese Auslegung von Art. 325 Abs. 1 AEUV nicht entkräften, der ausdrücklich auf „Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen“ abstellt. Wie sich zudem aus Art. 1 Abs. 1 Buchst. a des SFI‑Übereinkommens ergibt, erfüllt eine missbräuchliche Verwendung von Mitteln aus dem Unionshaushalt zu anderen Zwecken als denen, für die sie ursprünglich gewährt worden sind, den Tatbestand des Betrugs; eine solche missbräuchliche Verwendung kann zudem auch Ursache oder Ergebnis einer Korruptionshandlung sein. Damit zeigt sich, dass Korruptionshandlungen mit Betrugsfällen zusammenhängen können und umgekehrt die Begehung eines Betrugs durch Korruptionshandlungen erleichtert werden kann, so dass sich eine etwaige Beeinträchtigung der finanziellen Interessen in bestimmten Fällen aus dem Zusammentreffen eines Mehrwertsteuerbetrugs mit Korruptionshandlungen ergeben kann, was durch das Protokoll zum SFI‑Übereinkommen bestätigt wird, das nach seinen Art. 2 und 3 Bestechlichkeits- und Bestechungstaten erfasst (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 186).

89

Außerdem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass auch Unregelmäßigkeiten, die keine konkreten finanziellen Auswirkungen haben, die finanziellen Belange der Union ernsthaft beeinträchtigen können, so dass unter Art. 325 Abs. 1 AEUV nicht nur Taten fallen können, die tatsächlich einen Verlust an Eigenmitteln verursachen, sondern auch der Versuch solcher Taten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 187).

90

Hinzuzufügen ist, dass, was Rumänien anbelangt, die Pflicht zur Bekämpfung von Korruption zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, wie sie sich aus Art. 325 Abs. 1 AEUV ergibt, durch die besonderen Verpflichtungen ergänzt wird, die dieser Mitgliedstaat beim Abschluss der Beitrittsverhandlungen am 14. Dezember 2004 übernommen hat. Gemäß Ziff. I Nr. 4 des Anhangs IX der Beitrittsakte hat sich dieser Mitgliedstaat nämlich u. a. zu einem „[w]esentlich verschärfte[n] Vorgehen gegen Korruption und insbesondere gegen Korruption auf hoher Ebene, indem die Korruptionsbekämpfungsgesetze rigoros durchgesetzt werden“, verpflichtet. Diese besondere Verpflichtung wurde in der Folge durch den Erlass der Entscheidung 2006/928 konkretisiert, mit der Vorgaben festgelegt wurden, um die von der Kommission vor dem Beitritt Rumäniens zur Union u. a. im Bereich der Korruptionsbekämpfung festgestellten Mängel zu beheben. So ist in Nr. 3 des Anhangs dieser Entscheidung, in dem diese Vorgaben aufgeführt sind, die Vorgabe der „Konsolidierung bereits erreichter Fortschritte bei der Durchführung fachmännischer und unparteiischer Untersuchungen bei Korruptionsverdacht auf höchster Ebene“ genannt und in Nr. 4 dieses Anhangs die Vorgabe der „Ergreifung weiterer Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Korruption, insbesondere in den Kommunalverwaltungen“ (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 188).

91

Die Vorgaben, zu deren Erfüllung sich Rumänien somit verpflichtet hat, sind für diesen Mitgliedstaat in dem Sinne verbindlich, dass er der besonderen Verpflichtung unterliegt, diese Vorgaben zu erreichen und alsbald die zu deren Erreichung geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Ebenso ist dieser Mitgliedstaat verpflichtet, von der Durchführung aller Maßnahmen abzusehen, die die Erreichung dieser Vorgaben gefährden könnten. Die Verpflichtung zur wirksamen Bekämpfung der Korruption, insbesondere der Korruption auf höchster Ebene, die sich aus den im Anhang der Entscheidung 2006/928 aufgeführten Vorgaben in Verbindung mit den besonderen Verpflichtungen Rumäniens ergibt, ist jedoch nicht auf Fälle der Korruption zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union beschränkt (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 189).

92

Im Übrigen ergibt sich zum einen aus den Vorgaben in Art. 325 Abs. 1 AEUV – die dazu verpflichten, Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen zu bekämpfen – und zum anderen aus den Vorgaben in der Entscheidung 2006/928 – die verlangen, Korruption im Allgemeinen zu verhüten und zu bekämpfen –, dass Rumänien für solche Straftaten die Anwendung wirksamer und abschreckender Sanktionen vorsehen muss (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 190 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

93

Insoweit kann dieser Mitgliedstaat zwar die anwendbaren Sanktionen frei wählen, wobei es sich um verwaltungsrechtliche oder strafrechtliche Sanktionen oder um eine Kombination aus beiden handeln kann, doch ist er nach Art. 325 Abs. 1 AEUV verpflichtet, dafür zu sorgen, dass gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete schwere Betrugs- und Korruptionsdelikte durch wirksame und abschreckende Strafen geahndet werden. Des Weiteren ergibt sich, was Korruptionsdelikte im Allgemeinen anbelangt, die Verpflichtung, wirksame und abschreckende Strafen vorzusehen, für Rumänien aus der Entscheidung 2006/928, da diese Entscheidung, wie in Rn. 91 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt worden ist, diesen Mitgliedstaat verpflichtet, Korruption, insbesondere Korruption auf höchster Ebene, wirksam und unabhängig von einer etwaigen Beeinträchtigung der finanziellen Interessen der Union zu bekämpfen (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 191 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

94

Außerdem ist es Sache Rumäniens, sicherzustellen, dass seine strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Vorschriften eine wirksame Ahndung von Betrugsdelikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union und von Korruptionsdelikten im Allgemeinen ermöglichen. Somit fallen zwar die zur Bekämpfung dieser Straftaten vorgesehenen Sanktionen und eingerichteten Strafverfahren in die Zuständigkeit dieses Mitgliedstaats, doch wird diese Zuständigkeit nicht nur durch die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Äquivalenz beschränkt, sondern auch durch den Grundsatz der Effektivität, der besagt, dass diese Sanktionen wirksam und abschreckend sein müssen. Dieses Effektivitätserfordernis erstreckt sich notwendigerweise sowohl auf die Verfolgung und die Sanktionierung von Betrugsdelikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union und von Korruptionsdelikten im Allgemeinen als auch auf die Vollstreckung der verhängten Strafen, da die Sanktionen nicht wirksam und abschreckend sein können, wenn sie nicht vollstreckt werden (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 192 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

95

In diesem Zusammenhang obliegt es in erster Linie dem nationalen Gesetzgeber, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Er hat gegebenenfalls die Rechtslage zu ändern und sicherzustellen, dass die Verfahrensvorschriften, die für die Verfolgung und Sanktionierung von Betrugsstraftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union und von Korruptionsdelikten im Allgemeinen gelten, nicht so gestaltet sind, dass aus ihnen selbst innewohnenden Gründen die systemische Gefahr besteht, dass solche Straftaten ungeahndet bleiben, und dabei auch den Schutz der Grundrechte der Beschuldigten zu gewährleisten (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 193 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

96

Die nationalen Gerichte müssen den Verpflichtungen, die sich aus Art. 325 Abs. 1 AEUV und der Entscheidung 2006/928 ergeben, volle Wirkung verleihen und innerstaatliche Rechtsvorschriften unangewendet lassen, wenn diese im Rahmen eines Verfahrens über schwere Betrugsdelikte zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union oder über Korruptionsdelikte im Allgemeinen der Verhängung effektiver und abschreckender Strafen zur Bekämpfung solcher Straftaten entgegenstehen (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 194 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

97

Was im vorliegenden Fall die Frage angeht, ob durch die Anwendung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus den Urteilen Nrn. 685/2018 und 417/2019 die systemische Gefahr besteht, dass schwere Betrugsdelikte zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union oder Korruptionsdelikte im Allgemeinen ungeahndet bleiben, so ist zu bemerken, dass der Gerichtshof diese Frage in den Rn. 195 bis 202 des Urteils vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a. (C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034), bereits untersucht und sich dabei im Wesentlichen auf die gleichen Angaben gestützt hat, wie sie in den vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen enthalten sind. Das vorlegende Gericht hat zu prüfen, ob die Anwendung dieser Rechtsprechung in Verbindung mit der Anwendung der nationalen Verjährungsvorschriften, insbesondere der in Art. 155 Abs. 4 des Strafgesetzbuchs vorgesehenen absoluten Verjährungsfrist, in Anbetracht der in diesen Randnummern enthaltenen Erwägungen eine solche Gefahr birgt.

98

Daraus folgt, dass – sollte das vorlegende Gericht zu dem Schluss gelangen, dass die Anwendung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs in Verbindung mit der Anwendung der nationalen Verjährungsvorschriften ein systemisches Risiko der Straflosigkeit bei schweren Betrugsdelikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union oder bei Korruptionsdelikten im Allgemeinen birgt – die im nationalen Recht vorgesehenen Sanktionen zur Bekämpfung solcher Straftaten nicht als wirksam und abschreckend angesehen werden könnten, was mit Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des SFI‑Übereinkommens sowie mit der Entscheidung 2006/928 unvereinbar wäre (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 203).

99

Da die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Strafverfahren eine Durchführung von Art. 325 Abs. 1 AEUV und/oder der Entscheidung 2006/928 und damit des Unionsrechts im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta darstellen, muss sich dieses vorlegende Gericht allerdings auch vergewissern, dass die Grundrechte, die den in den Ausgangsverfahren betroffenen Personen durch die Charta garantiert werden, insbesondere die in Art. 47 der Charta garantierten, beachtet werden. Im Bereich des Strafrechts ist die Beachtung dieser Rechte nicht nur im Ermittlungsverfahren zu gewährleisten, sobald gegen den Betroffenen eine Beschuldigung erhoben wird, sondern auch im strafrechtlichen Erkenntnisverfahren sowie im Rahmen der Strafvollstreckung (vgl. entsprechend Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 204 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

100

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in Art. 47 Abs. 2 Satz 1 der Charta das Recht einer jeden Person verankert ist, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Mit dem Erfordernis, dass das Gericht „zuvor durch Gesetz errichtet“ sein muss, soll diese Bestimmung sicherstellen, dass die Organisation des Justizsystems durch ein von der Legislative im Einklang mit den Vorschriften über die Ausübung ihrer Zuständigkeit erlassenes Gesetz geregelt wird, um zu verhindern, dass diese Organisation in das Ermessen der Exekutive gestellt wird. Dieses Erfordernis gilt für die Rechtsgrundlage für die Existenz des Gerichts sowie für alle weiteren Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, deren Nichtbeachtung die Teilnahme eines oder mehrerer Richter an der Verhandlung über die betreffende Rechtssache vorschriftswidrig macht, wie etwa die Vorschriften über die Besetzung des Spruchkörpers (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 205 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

101

Eine vorschriftswidrige Besetzung der Spruchkörper stellt aber insbesondere dann einen Verstoß gegen Art. 47 Abs. 2 Satz 1 der Charta dar, wenn die Art und Schwere der Vorschriftswidrigkeit dergestalt ist, dass sie die tatsächliche Gefahr begründet, dass andere Teile der Staatsgewalt – insbesondere die Exekutive – ein ihnen nicht zustehendes Ermessen ausüben können, wodurch die Integrität des Ergebnisses des Verfahrens zur Besetzung der Spruchkörper beeinträchtigt und so beim Einzelnen berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des oder der betreffenden Richter geweckt werden, was der Fall ist, wenn es um Grundregeln geht, die Bestandteil der Errichtung und der Funktionsfähigkeit dieses Justizsystems sind (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 206 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

102

Im vorliegenden Fall hat der Verfassungsgerichtshof in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteilen Nrn. 685/2018 und 417/2019 zwar entschieden, dass die frühere Praxis des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, die namentlich auf der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise beruhte, in Bezug auf die Spezialisierung und die Besetzung der Spruchkörper in Korruptionssachen nicht mit den geltenden nationalen Bestimmungen vereinbar gewesen sei, jedoch ist nicht ersichtlich, dass diese Praxis einen offenkundigen Verstoß gegen eine Grundregel des rumänischen Justizsystems darstellen würde, der geeignet wäre, den Charakter der Spruchkörper für Korruptionssachen des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, wie sie gemäß der genannten Praxis vor diesen Urteilen des Verfassungsgerichtshofs gebildet wurden, als „zuvor durch Gesetz errichtetes“ Gericht in Frage stellen könnte. Diese Beurteilung wird, wie der Gerichtshof in Rn. 208 des Urteils vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a. (C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034), bemerkt hat, durch die in Rn. 43 des vorliegenden Beschlusses genannte Entscheidung des Leitungsgremiums des Obersten Kassations- und Gerichtshofs vom 23. Januar 2019 und die Auslegung dieser Entscheidung durch den Verfassungsgerichtshof untermauert.

103

Daher stehen die sich aus Art. 47 Abs. 2 Satz 1 der Charta ergebenden Erfordernisse der Nichtanwendung der Rechtsprechung aus den Urteilen Nrn. 685/2018 und 417/2019 in den vorliegenden Rechtssachen nicht entgegen (vgl. entsprechend Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 209).

104

Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C‑859/19 sowie auf die erste und die vierte Frage in den Rechtssachen C‑926/19 und C‑929/19 zu antworten, dass Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des SFI‑Übereinkommens sowie die Entscheidung 2006/928 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach Urteile im Bereich der Korruption und des Mehrwertsteuerbetrugs, die in erster Instanz nicht von in diesem Bereich spezialisierten Spruchkörpern bzw. in der Berufungsinstanz nicht von Spruchkörpern erlassen wurden, deren Mitglieder sämtlich durch Losentscheid bestimmt wurden, absolut nichtig sind, so dass die betreffenden Korruptions- und Mehrwertsteuerbetrugsfälle, gegebenenfalls infolge eines außerordentlichen Rechtsbehelfs gegen rechtskräftige Urteile, in erster und/oder zweiter Instanz erneut geprüft werden müssen, entgegenstehen, wenn die Anwendung dieser nationalen Regelung oder Praxis geeignet ist, eine systemische Gefahr der Straflosigkeit von schweren Betrugsdelikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union oder von Korruptionsdelikten im Allgemeinen zu begründen. Die Verpflichtung, sicherzustellen, dass solche Straftaten Gegenstand wirksamer und abschreckender Strafen sind, entbindet das vorlegende Gericht nicht von der Prüfung der notwendigen Beachtung der in Art. 47 der Charta garantierten Grundrechte. Die sich aus diesem Art. 47 Abs. 2 Satz 1 ergebenden Erfordernisse stehen der Nichtanwendung einer solchen nationalen Regelung oder Praxis nicht entgegen, wenn diese geeignet ist, eine solche systemische Gefahr der Straflosigkeit zu begründen.

Zur zweiten und zur dritten Frage in den Rechtssachen C‑859/19, C‑926/19 und C‑929/19

105

Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage in den Rechtssachen C‑859/19, C‑926/19 und C‑929/19, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 47 der Charta sowie die Entscheidung 2006/928 auf der einen und der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts in Verbindung mit diesen Bestimmungen und Art. 325 Abs. 1 AEUV auf der anderen Seite dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis entgegenstehen, wonach die ordentlichen Gerichte an die Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts gebunden sind und – aus diesem Grund und da sie widrigenfalls ein Disziplinarvergehen begehen würden – die Rechtsprechung aus diesen Entscheidungen nicht aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen dürfen, obwohl sie im Licht eines Urteils des Gerichtshofs der Auffassung sind, dass diese Rechtsprechung gegen die genannten Bestimmungen des Unionsrechts verstößt.

Zur Garantie der richterlichen Unabhängigkeit

106

Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteilen seine Unabhängigkeit in Frage stellen könne und daher mit dem Unionsrecht, namentlich mit den in Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie in Art. 47 der Charta und der Entscheidung 2006/928 vorgesehenen Garantien, unvereinbar sei. Es vertritt insoweit die Auffassung, dass der Verfassungsgerichtshof, der nicht Teil des rumänischen Justizsystems sei, seine Zuständigkeiten überschritten habe, indem er diese Urteile erlassen habe, und in die Zuständigkeiten der ordentlichen Gerichte eingegriffen habe, die darin bestünden, im Rang unter der Verfassung stehende Rechtsvorschriften auszulegen und anzuwenden. Das vorlegende Gericht weist ferner darauf hin, dass die Nichtbeachtung der Urteile des Verfassungsgerichtshofs nach rumänischem Recht ein Disziplinarvergehen darstelle, so dass es sich im Wesentlichen die Frage stelle, ob es die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteile nach dem Unionsrecht unangewendet lassen könne, ohne befürchten zu müssen, dass gegen seine Mitglieder ein Disziplinarverfahren eingeleitet werde.

107

Insoweit fällt, wie in Rn. 82 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt worden ist, die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten, einschließlich der Errichtung, der Besetzung und der Arbeitsweise eines Verfassungsgerichts, in deren Zuständigkeit, jedoch haben die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit die Verpflichtungen einzuhalten, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben.

108

Art. 19 EUV, mit dem der in Art. 2 EUV proklamierte Wert der Rechtsstaatlichkeit konkretisiert wird, überträgt den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof die Aufgabe, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den gerichtlichen Schutz, der den Einzelnen aus diesem Recht erwächst, zu gewährleisten (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 217 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Wie im dritten Erwägungsgrund der Entscheidung 2006/928 bestätigt wird, bedeutet der Wert der Rechtsstaatlichkeit insbesondere, „dass alle Mitgliedstaaten über ein unparteiisches, unabhängiges und effizientes Justiz- und Verwaltungssystem verfügen müssen, das ausreichend dafür ausgestattet ist, unter anderem Korruption zu bekämpfen“.

109

Schon das Vorhandensein einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle, die der Gewährleistung der Einhaltung des Unionsrechts dient, ist einem Rechtsstaat inhärent. Insoweit ist es gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, das den Einzelnen die Wahrung ihres Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet. Der Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte, von dem in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die Rede ist, ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt; er ist in den Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und nun auch in Art. 47 der Charta verankert (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 219 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

110

Daraus folgt, dass nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV jeder Mitgliedstaat dafür zu sorgen hat, dass Einrichtungen, die als „Gerichte“ im Sinne des Unionsrechts dazu berufen sind, über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder Auslegung dieses Rechts zu entscheiden, und damit Bestandteil seines Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gerecht werden, wobei klarzustellen ist, dass diese Bestimmung in „den vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ Anwendung findet, ohne dass es insoweit darauf ankäme, in welchem Kontext die Mitgliedstaaten Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführen (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 220 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

111

Um sicherzustellen, dass Einrichtungen, die zur Entscheidung über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder der Auslegung des Unionsrechts angerufen werden können, in der Lage sind, den nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV erforderlichen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen, ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Unabhängigkeit der betreffenden Einrichtungen gewahrt ist, wie Art. 47 Abs. 2 der Charta bestätigt, wonach zu den Anforderungen im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf u. a. der Zugang zu einem „unabhängigen“ Gericht gehört (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 221 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

112

Dieses Erfordernis der Unabhängigkeit der Gerichte, das dem Auftrag des Richters inhärent ist, gehört zum Wesensgehalt des Rechts auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und des Grundrechts auf ein faires Verfahren, dem als Garant für den Schutz sämtlicher dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte und für die Wahrung der in Art. 2 EUV genannten Werte, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, u. a. des Wertes der Rechtsstaatlichkeit, grundlegende Bedeutung zukommt (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 222 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Ebenso kommt, wie sich u. a. aus dem dritten Erwägungsgrund der Entscheidung 2006/928 und den in den Nrn. 1 bis 3 des Anhangs dieser Entscheidung aufgeführten Vorgaben ergibt, der Existenz eines unparteiischen, unabhängigen und effizienten Justizsystems eine besondere Bedeutung für die Bekämpfung der Korruption, namentlich der Korruption auf höchster Ebene, zu.

113

Das Erfordernis der Unabhängigkeit der Gerichte, das sich aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ergibt, umfasst zwei Aspekte. Der erste, das Außenverhältnis betreffende Aspekt verlangt, dass die betreffende Einrichtung ihre Funktionen in völliger Autonomie ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, so dass sie auf diese Weise vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten. Der zweite, das Innenverhältnis betreffende Aspekt steht mit dem Begriff der Unparteilichkeit in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass den Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen am Streitgegenstand mit dem gleichen Abstand begegnet wird. Der letztgenannte Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

114

Diese nach dem Unionsrecht erforderlichen Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsuchenden jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der betreffenden Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

115

Insoweit sind die betreffenden Richter vor Interventionen oder Druck von außen, die ihre Unabhängigkeit gefährden könnten, zu schützen. Die für den Status der Richter und die Ausübung ihres Amts geltenden Vorschriften müssen es insbesondere ermöglichen, nicht nur jede Form der unmittelbaren Einflussnahme in Form von Weisungen, sondern auch die Formen der mittelbaren Einflussnahme, die zur Steuerung der Entscheidungen der betreffenden Richter geeignet sein könnten, auszuschließen und damit auszuschließen, dass diese Richter den Eindruck vermitteln, nicht unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden könnte, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 226 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

116

Was insbesondere die Vorschriften über die Disziplinarregelung betrifft, so verlangt das Erfordernis der Unabhängigkeit nach ständiger Rechtsprechung, dass diese Regelung die erforderlichen Garantien aufweist, damit jegliche Gefahr verhindert wird, dass eine solche Regelung als System zur politischen Kontrolle des Inhalts justizieller Entscheidungen eingesetzt wird. Zu diesem Zweck scheint es von grundlegender Bedeutung zu sein, dass ein etwaiger Fehler in einer Gerichtsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften des nationalen Rechts und des Unionsrechts oder bei der Würdigung des Sachverhalts und der Beweise für sich allein nicht zur Auslösung der disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit des betreffenden Richters führen kann. Ferner stellt es eine wesentliche Garantie für die Unabhängigkeit der nationalen Richter dar, dass sie keinen Disziplinarverfahren oder ‑strafen für die Ausübung der – in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallenden – Befugnis zur Anrufung des Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV ausgesetzt sind (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 227 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

117

Außerdem ist nach dem für einen Rechtsstaat kennzeichnenden Grundsatz der Gewaltenteilung die Unabhängigkeit der Gerichte insbesondere gegenüber der Legislative und der Exekutive zu gewährleisten (Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

118

Zwar gibt weder Art. 2 noch Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV noch irgendeine andere Bestimmung des Unionsrechts den Mitgliedstaaten ein konkretes verfassungsrechtliches Modell vor, das die Beziehungen und das Zusammenwirken zwischen den verschiedenen Staatsgewalten, namentlich in Bezug auf die Festlegung und Abgrenzung ihrer Zuständigkeiten, regeln würde, doch müssen die Mitgliedstaaten gleichwohl insbesondere die sich aus diesen unionsrechtlichen Bestimmungen ergebenden Anforderungen an die Unabhängigkeit der Gerichte beachten (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a.,C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 229 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

119

Unter diesen Umständen stehen Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928 einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach die Entscheidungen des Verfassungsgerichts für die ordentlichen Gerichte bindend sind, nicht entgegen, sofern das nationale Recht die Unabhängigkeit dieses Verfassungsgerichts gegenüber insbesondere der Legislative und der Exekutive, wie sie diese Bestimmungen verlangen, gewährleistet. Wenn dagegen das nationale Recht diese Unabhängigkeit nicht gewährleistet, stehen diese Bestimmungen des Unionsrechts einer solchen nationalen Regelung oder Praxis entgegen, da ein solches Verfassungsgericht nicht in der Lage ist, den nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV erforderlichen wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten (Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

120

Im vorliegenden Fall beziehen sich die Fragen, die das vorlegende Gericht im Hinblick auf das sich aus diesen unionsrechtlichen Bestimmungen ergebende Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit aufwirft, zum einen auf die gleichen Aspekte betreffend den Status, die Besetzung und die Arbeitsweise des Verfassungsgerichtshofs, der die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteile erlassen hat, wie sie in den Rechtssachen genannt werden, in denen das Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a. (C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034), ergangen ist. Außerdem enthalten die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen insoweit im Wesentlichen die gleichen Angaben wie in den Ersuchen in jenen Rechtssachen. Wie aus den Erwägungen in den Rn. 231 bis 237 dieses Urteils hervorgeht, können diese Angaben aber weder belegen, dass der Verfassungsgerichtshof die in den Rn. 113 bis 119 des vorliegenden Beschlusses angeführten Erfordernisse der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht erfüllt, noch, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteile in einem Kontext ergangen wären, der einen berechtigten Zweifel daran begründen würde, dass der Verfassungsgerichtshof diese Erfordernisse in vollem Umfang beachtet hat.

121

Was zum anderen die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit betrifft, die nach der in Rede stehenden nationalen Regelung für Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Fall der Nichtbeachtung der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs eintreten kann, so trifft es zwar zu, dass die Wahrung der Unabhängigkeit der Gerichte insbesondere nicht dazu führen darf, dass völlig ausgeschlossen ist, dass die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit eines Richters in bestimmten, ganz außergewöhnlichen Fällen durch von ihm erlassene Gerichtsentscheidungen ausgelöst werden kann. Die Anforderung der Unabhängigkeit ist nämlich ganz sicher nicht dazu gedacht, etwaige schwerwiegende und völlig unentschuldbare Verhaltensweisen von Richtern zu billigen, wie z. B. die vorsätzliche und böswillige oder besonders grob fahrlässige Missachtung von Vorschriften des nationalen Rechts und des Unionsrechts, deren Einhaltung sie gewährleisten sollen, Willkür oder Rechtsverweigerung, wenn sie als diejenigen, die mit der Aufgabe des Richtens betraut sind, über Streitigkeiten zu entscheiden haben, die ihnen von Rechtsuchenden vorgelegt werden (Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).

122

Jedoch ist es für die Wahrung der Unabhängigkeit der Gerichte und um auf diese Weise zu verhindern, dass die Disziplinarregelung entgegen ihrem legitimen Zweck zur politischen Kontrolle von Gerichtsentscheidungen oder zur Ausübung von Druck auf Richter eingesetzt werden kann, von grundlegender Bedeutung, dass ein etwaiger Fehler in einer Gerichtsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften des nationalen Rechts und des Unionsrechts oder bei der Würdigung des Sachverhalts und der Beweise für sich allein nicht zur Auslösung der disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit des betreffenden Richters führen kann (Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).

123

Folglich muss die Auslösung der disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit eines Richters wegen einer Gerichtsentscheidung auf ganz außergewöhnliche Fälle wie die in Rn. 121 des vorliegenden Beschlusses genannten beschränkt bleiben und dabei durch objektive und überprüfbare Kriterien, die sich aus Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege ergeben, sowie durch Garantien beschränkt sein, die darauf abzielen, jegliche Gefahr eines Drucks von außen bezüglich des Inhalts von Gerichtsentscheidungen zu vermeiden und damit bei den Rechtsuchenden jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der betreffenden Richter und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).

124

Im vorliegenden Fall lassen die Angaben in den Vorabentscheidungsersuchen – entgegen der in den Rn. 122 und 123 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung – nicht erkennen, dass die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit der nationalen Richter ordentlicher Gerichte wegen Nichtbeachtung der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs, die in Art. 99 Buchst. ș des Gesetzes Nr. 303/2004 vorgesehen ist, dessen Wortlaut keine weitere Voraussetzung vorsieht, auf die ganz außergewöhnlichen, in Rn. 121 des vorliegenden Beschlusses angeführten Fälle beschränkt wäre.

125

Folglich sind Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach die Entscheidungen des Verfassungsgerichts für die ordentlichen Gerichte bindend sind, nicht entgegenstehen, sofern das nationale Recht die Unabhängigkeit dieses Verfassungsgerichts gegenüber insbesondere der Legislative und der Exekutive, wie sie diese Bestimmungen verlangen, gewährleistet. Auf der anderen Seite sind diese Bestimmungen des EU-Vertrags und die genannte Entscheidung dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach jegliche Nichtbeachtung der Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts durch die nationalen Richter ordentlicher Gerichte deren disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit auslösen kann (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a.,C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 242).

126

Unter diesen Umständen – und da es um Rechtssachen geht, in denen die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung oder Praxis eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta darstellt – erscheint eine gesonderte Prüfung von Art. 47 der Charta, die die bereits in der vorstehenden Randnummer getroffene Feststellung nur bestätigen könnte, für die Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts und die Entscheidung der dort anhängigen Rechtsstreitigkeiten nicht erforderlich.

Zum Vorrang des Unionsrechts

127

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteilen, deren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht es anzweifelt, nach Art. 147 Abs. 4 der Verfassung Rumäniens verbindlich sei und von den nationalen Gerichten beachtet werden müsse, wobei widrigenfalls gegen deren Mitglieder eine Disziplinarsanktion nach Art. 99 Buchst. ș des Gesetzes Nr. 303/2004 verhängt werde. Unter diesen Umständen möchte es wissen, ob der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts einer solchen nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht und es einem nationalen Gericht erlaubt, eine Rechtsprechung dieser Art unangewendet zu lassen, ohne dass seine Mitglieder Gefahr laufen, disziplinarrechtlich sanktioniert zu werden.

128

Hierzu hat der Gerichtshof in den Rn. 245 bis 248 des Urteils vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a. (C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034), auf seine ständige Rechtsprechung zum EWG-Vertrag hingewiesen, in der der Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts als Teil der wesentlichen Merkmale der Rechtsordnung der Gemeinschaft entwickelt worden ist, wobei er klargestellt hat, dass diese wesentlichen Merkmale der Rechtsordnung der Union und die Bedeutung der ihr geschuldeten Achtung im Übrigen durch die vorbehaltlose Ratifizierung der Verträge zur Änderung des EWG-Vertrags und insbesondere des Vertrags von Lissabon bestätigt wurden. Er hat in Rn. 249 dieses Urteils hinzugefügt, dass die Union nach Art. 4 Abs. 2 EUV die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen achtet. Die Union kann diese Gleichheit aber nur achten, wenn es den Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts unmöglich ist, eine einseitige Maßnahme welcher Art auch immer gegen die Unionsrechtsordnung durchzusetzen.

129

Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die frühere Rechtsprechung zum Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts bestätigt, der alle mitgliedstaatlichen Stellen verpflichtet, den verschiedenen unionsrechtlichen Vorschriften volle Wirksamkeit zu verschaffen, wobei das Recht der Mitgliedstaaten die diesen verschiedenen Vorschriften zuerkannte Wirkung in ihrem Hoheitsgebiet nicht beeinträchtigen darf (Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

130

Nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts kann die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts daher nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass sich ein Mitgliedstaat auf Bestimmungen des nationalen Rechts beruft, auch wenn sie Verfassungsrang haben. Nach ständiger Rechtsprechung sind die Wirkungen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts nämlich für alle Einrichtungen eines Mitgliedstaats verbindlich, ohne dass dem insbesondere die innerstaatlichen Bestimmungen, auch wenn sie Verfassungsrang haben, entgegenstehen könnten (Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

131

Hierzu ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass ein nationales Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat und eine nationale Regelung nicht im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts auslegen kann, nach dem Grundsatz des Vorrangs verpflichtet ist, für die volle Wirksamkeit der Anforderungen des Unionsrechts in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – nationale Regelung oder Praxis, die einer Bestimmung des Unionsrechts mit unmittelbarer Wirkung entgegensteht, unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser nationalen Regelung oder Praxis auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 252 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

132

Was die Bestimmungen des Unionsrechts anbelangt, auf die in den vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen Bezug genommen wird, ist aber darauf hinzuweisen, dass sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV sowie die im Anhang der Entscheidung 2006/928 aufgeführten Vorgaben klar und präzise formuliert und an keine Bedingung geknüpft sind, so dass sie unmittelbare Wirkung haben (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 253 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

133

In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass es nach Art. 19 EUV Sache der nationalen Gerichte und des Gerichtshofs ist, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den wirksamen Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus ihm erwachsen, wobei der Gerichtshof die ausschließliche Zuständigkeit für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts hat. Bei der Ausübung dieser Zuständigkeit ist es letztlich Sache des Gerichtshofs, die Tragweite des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts im Hinblick auf die einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts zu präzisieren, da diese Tragweite weder von einer Auslegung von Bestimmungen des nationalen Rechts noch von einer Auslegung von Bestimmungen des Unionsrechts durch ein nationales Gericht, die nicht der Auslegung durch den Gerichtshof entspricht, abhängen darf. Zu diesem Zweck führt das in Art. 267 AEUV vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren, das das Schlüsselelement des durch die Verträge geschaffenen Gerichtssystems darstellt, einen Dialog von Gericht zu Gericht zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten ein, der die einheitliche Auslegung des Unionsrechts gewährleisten soll und damit die Sicherstellung seiner Kohärenz, seiner vollen Geltung und seiner Autonomie sowie letztlich des eigenen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts ermöglicht (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 254 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

134

Im vorliegenden Fall weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es nach der Verfassung Rumäniens an die Rechtsprechung aus den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteilen des Verfassungsgerichtshofs gebunden sei und dass es diese Rechtsprechung, nicht ohne dass sich seine Mitglieder einem Disziplinarverfahren oder einer Disziplinarsanktion aussetzen würden, unangewendet lassen könne, selbst wenn es im Licht eines vom Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren erlassenen Urteils der Ansicht wäre, dass diese Rechtsprechung gegen das Unionsrecht verstoße.

135

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine Entscheidung des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren das nationale Gericht hinsichtlich der Auslegung der betreffenden unionsrechtlichen Vorschriften bei der Entscheidung des Ausgangsverfahrens bindet. Somit kann es einem nationalen Gericht, das von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat bzw. seiner Pflicht nachgekommen ist, dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV vorzulegen, nicht verwehrt sein, das Unionsrecht nach Maßgabe der Entscheidung oder der Rechtsprechung des Gerichtshofs unmittelbar anzuwenden, da andernfalls die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung geschmälert würde. Hinzuzufügen ist, dass die Befugnis, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um eine nationale Regelung oder Praxis beiseite zu lassen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Normen des Unionsrechts bilden, Bestandteil des Amts des Unionsrichters ist, das dem nationalen Gericht obliegt, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Normen des Unionsrechts anzuwenden hat, so dass die Ausübung dieser Befugnis eine wesentliche Garantie der sich aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ergebenden richterlichen Unabhängigkeit darstellt (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 256 und 257 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

136

Daher wäre jede nationale Regelung oder Praxis, die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um eine nationale Vorschrift oder Praxis beiseite zu lassen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Normen des Unionsrechts bilden, mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen unvereinbar (Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

137

Eine nationale Regelung oder Praxis, wonach die Urteile des nationalen Verfassungsgerichts für die ordentlichen Gerichte bindend sind, obwohl diese im Licht eines vom Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren erlassenen Urteils der Ansicht sind, dass die Rechtsprechung aus diesen verfassungsgerichtlichen Urteilen gegen das Unionsrecht verstößt, ist aber geeignet, diese Gerichte daran zu hindern, die volle Wirksamkeit der Anforderungen des Unionsrechts zu gewährleisten, wobei diese Hinderungswirkung dadurch verstärkt werden kann, dass das nationale Recht die etwaige Nichtbeachtung dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung als Disziplinarvergehen einstuft (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 259).

138

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 267 AEUV jeder nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, die geeignet ist, die nationalen Gerichte daran zu hindern, von der in Art. 267 AEUV vorgesehenen Befugnis Gebrauch zu machen, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, bzw. gegebenenfalls der Verpflichtung dazu nachzukommen. Im Übrigen stellt nach der in Rn. 116 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung der Umstand, dass die nationalen Richter keinen Disziplinarverfahren oder ‑sanktionen für die Ausübung der – in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallenden – Befugnis zur Anrufung des Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV ausgesetzt sind, eine wesentliche Garantie für ihre Unabhängigkeit dar. Auch in dem Fall, dass ein Richter eines nationalen ordentlichen Gerichts infolge der Antwort des Gerichtshofs zu der Auffassung gelangen sollte, dass die Rechtsprechung des nationalen Verfassungsgerichts nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist, kann der Umstand, dass dieser nationale Richter diese Rechtsprechung gemäß dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts unangewendet lässt, keinesfalls geeignet sein, seine disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit auszulösen (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 260 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

139

Daraus folgt, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, wonach die ordentlichen Gerichte an die Urteile des nationalen Verfassungsgerichts gebunden sind und – aus diesem Grund und da sie widrigenfalls ein Disziplinarvergehen begehen würden – die Rechtsprechung aus diesen Urteilen nicht aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen dürfen, obwohl sie im Licht eines Urteils des Gerichtshofs der Auffassung sind, dass diese Rechtsprechung gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV oder die Entscheidung 2006/928 verstößt (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 262).

140

Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage in den Rechtssachen C‑859/19, C‑926/19 und C‑929/19 zu antworten, dass

Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach die Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts für die ordentlichen Gerichte bindend sind, nicht entgegenstehen, sofern das nationale Recht die Unabhängigkeit dieses Verfassungsgerichts insbesondere gegenüber der Legislative und der Exekutive, wie sie diese Bestimmungen verlangen, gewährleistet. Allerdings sind diese Bestimmungen des EU-Vertrags und die genannte Entscheidung dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach jegliche Nichtbeachtung der Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts durch die nationalen Richter ordentlicher Gerichte deren disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit auslösen kann;

der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, wonach die ordentlichen Gerichte an Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts gebunden sind und – aus diesem Grund und da sie widrigenfalls ein Disziplinarvergehen begehen würden – die Rechtsprechung aus diesen Entscheidungen nicht aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen dürfen, obwohl sie im Licht eines Urteils des Gerichtshofs der Auffassung sind, dass diese Rechtsprechung gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV oder die Entscheidung 2006/928 verstößt.

Kosten

141

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des am 26. Juli 1995 in Brüssel unterzeichneten Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sowie die Entscheidung 2006/928/EG der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung

sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach Urteile im Bereich der Korruption und des Mehrwertsteuerbetrugs, die in erster Instanz nicht von in diesem Bereich spezialisierten Spruchkörpern bzw. in der Berufungsinstanz nicht von Spruchkörpern erlassen wurden, deren Mitglieder sämtlich durch Losentscheid bestimmt wurden, absolut nichtig sind, so dass die betreffenden Korruptions- und Mehrwertsteuerbetrugsfälle, gegebenenfalls infolge eines außerordentlichen Rechtsbehelfs gegen rechtskräftige Urteile, in erster und/oder zweiter Instanz erneut geprüft werden müssen, entgegenstehen, wenn die Anwendung dieser nationalen Regelung oder Praxis geeignet ist, eine systemische Gefahr der Straflosigkeit von schweren Betrugsdelikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union oder von Korruptionsdelikten im Allgemeinen zu begründen. Die Verpflichtung, sicherzustellen, dass solche Straftaten Gegenstand wirksamer und abschreckender Strafen sind, entbindet das vorlegende Gericht nicht von der Prüfung der notwendigen Beachtung der in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundrechte. Die sich aus diesem Art. 47 Abs. 2 Satz 1 ergebenden Erfordernisse stehen der Nichtanwendung einer solchen nationalen Regelung oder Praxis nicht entgegen, wenn diese geeignet ist, eine solche systemische Gefahr der Straflosigkeit zu begründen.

 

2.

Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928

sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach die Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts für die ordentlichen Gerichte bindend sind, nicht entgegenstehen, sofern das nationale Recht die Unabhängigkeit dieses Verfassungsgerichts insbesondere gegenüber der Legislative und der Exekutive, wie sie diese Bestimmungen verlangen, gewährleistet. Allerdings sind diese Bestimmungen des EU-Vertrags und die genannte Entscheidung dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach jegliche Nichtbeachtung der Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts durch die nationalen Richter ordentlicher Gerichte deren disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit auslösen kann.

 

3.

Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, wonach die ordentlichen Gerichte an Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts gebunden sind und – aus diesem Grund und da sie widrigenfalls ein Disziplinarvergehen begehen würden – die Rechtsprechung aus diesen Entscheidungen nicht aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen dürfen, obwohl sie im Licht eines Urteils des Gerichtshofs der Auffassung sind, dass diese Rechtsprechung gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV oder die Entscheidung 2006/928 verstößt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Rumänisch.