URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

13. Oktober 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Richtlinie 2004/48/EG – Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums – Art. 10 – Abhilfemaßnahmen – Vernichtung von Waren – Begriff ‚Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums‘ – Waren, die mit einer Unionsmarke versehen sind“

In der Rechtssache C‑355/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) mit Entscheidung vom 29. Dezember 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juni 2021, in dem Verfahren

Perfumesco.pl sp. z o.o. sp.k.

gegen

Procter & Gamble International Operations SA,

Beteiligter:

Rzecznik Praw Obywatelskich,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters J.‑C. Bonichot in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten, des Richters S. Rodin und der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Perfumesco.pl sp. z o.o. sp.k., vertreten durch T. Snażyk, Radca prawny,

der Procter & Gamble International Operations SA, vertreten durch D. Piróg und A. Rytel, Adwokaci,

des Rzecznik Praw Obywatelskich, vertreten durch M. Taborowski,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann, S. L. Kalėda, P.‑J. Loewenthal und J. Samnadda als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, berichtigt in ABl. 2004, L 195, S. 16).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einerseits der Perfumesco.pl sp. z o.o. sp.k. und andererseits der Procter & Gamble International Operations SA (im Folgenden: Procter & Gamble) wegen einer Klage auf Vernichtung von Waren aufgrund einer angeblichen Verletzung von Rechten aus einer Unionsmarke.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

3

Art. 46 („Sonstige Rechtsbehelfe“) des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums in Anhang 1 C des Übereinkommens von Marrakesch zur Errichtung der Welthandelsorganisation, das durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986‑1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. 1994, L 336, S. 1) genehmigt wurde (im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen), sieht vor:

„Um wirksam von Verletzungen abzuschrecken, sind die Gerichte befugt anzuordnen, dass über Waren, die nach ihren Feststellungen ein Recht verletzen, ohne Entschädigung irgendwelcher Art außerhalb der Vertriebswege so verfügt wird, dass dem Rechtsinhaber kein Schaden entstehen kann, oder dass sie vernichtet werden, sofern dies nicht bestehenden verfassungsrechtlichen Erfordernissen zuwiderlaufen würde. Die Gerichte sind ferner befugt anzuordnen, dass über Material und Werkzeuge, die vorwiegend zu Herstellung der rechtsverletzenden Waren verwendet wurden, ohne Entschädigung irgendwelcher Art außerhalb der Vertriebswege so verfügt wird, dass die Gefahr weiterer Rechtsverletzungen möglichst gering gehalten wird. Bei der Prüfung derartiger Anträge sind die Notwendigkeit eines angemessenen Verhältnisses zwischen der Schwere der Rechtsverletzung und den angeordneten Maßnahmen sowie die Interessen Dritter zu berücksichtigen. Bei nachgeahmten Markenwaren reicht das einfache Entfernen der rechtswidrig angebrachten Marke außer in Ausnahmefällen nicht aus, um eine Freigabe der Waren in die Vertriebswege zu gestatten.“

Unionsrecht

Richtlinie 2004/48

4

In den Erwägungsgründen 3 bis 5, 7, 9, 10 und 17 der Richtlinie 2004/48 heißt es:

„(3)

Ohne wirksame Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums werden … Innovation und kreatives Schaffen gebremst und Investitionen verhindert. Daher ist darauf zu achten, dass das materielle Recht auf dem Gebiet des geistigen Eigentums, das heute weitgehend Teil des gemeinschaftlichen Besitzstands ist, in der Gemeinschaft wirksam angewandt wird. Daher sind die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums von zentraler Bedeutung für den Erfolg des Binnenmarkts.

(4)

Auf internationaler Ebene sind alle Mitgliedstaaten – wie auch die Gemeinschaft selbst in Fragen, die in ihre Zuständigkeit fallen, – an [das TRIPS-Übereinkommen] gebunden.

(5)

Das TRIPS-Übereinkommen enthält vornehmlich Bestimmungen über die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, die gemeinsame, international gültige Normen sind und in allen Mitgliedstaaten umgesetzt wurden. Diese Richtlinie sollte die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten einschließlich derjenigen aufgrund des TRIPS-Übereinkommens unberührt lassen.

(7)

Aus den Sondierungen der [Europäischen] Kommission zu dieser Frage hat sich ergeben, dass ungeachtet des TRIPS-Übereinkommens weiterhin zwischen den Mitgliedstaaten große Unterschiede bei den Instrumenten zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums bestehen. So gibt es z. B. beträchtliche Diskrepanzen bei den Durchführungsbestimmungen für einstweilige Maßnahmen, die insbesondere zur Sicherung von Beweismitteln verhängt werden, bei der Berechnung von Schadensersatz oder bei den Durchführungsbestimmungen für Verfahren zur Beendigung von Verstößen gegen Rechte des geistigen Eigentums. In einigen Mitgliedstaaten stehen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe wie das Auskunftsrecht und der Rückruf rechtsverletzender Ware vom Markt auf Kosten des Verletzers nicht zur Verfügung.

(9)

… Die wirksame Durchsetzung des materiellen Rechts auf dem Gebiet des geistigen Eigentums bedarf eines gezielten Vorgehens auf Gemeinschaftsebene. Die Angleichung der diesbezüglichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ist somit eine notwendige Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes.

(10)

Mit dieser Richtlinie sollen diese Rechtsvorschriften einander angenähert werden, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten.

(17)

Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe sollten in jedem Einzelfall so bestimmt werden, dass den spezifischen Merkmalen dieses Falles, einschließlich der Sonderaspekte jedes Rechts an geistigem Eigentum und gegebenenfalls des vorsätzlichen oder nicht vorsätzlichen Charakters der Rechtsverletzung gebührend Rechnung getragen wird.“

5

Art. 2 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 sieht vor:

„Unbeschadet etwaiger Instrumente in den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten, die für die Rechtsinhaber günstiger sind, finden die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe gemäß Artikel 3 auf jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, die im Gemeinschaftsrecht und/oder im innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen sind, Anwendung.“

6

Art. 3 („Allgemeine Verpflichtung“) Abs. 2 der Richtlinie 2004/48 bestimmt:

„Diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssen darüber hinaus wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist.“

7

Art. 10 („Abhilfemaßnahmen“) der Richtlinie 2004/48 bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag des Antragstellers anordnen können, dass in Bezug auf Waren, die nach ihren Feststellungen ein Recht des geistigen Eigentums verletzen, und gegebenenfalls in Bezug auf Materialien und Geräte, die vorwiegend zur Schaffung oder Herstellung dieser Waren gedient haben, unbeschadet etwaiger Schadensersatzansprüche des Rechtsinhabers aus der Verletzung sowie ohne Entschädigung irgendwelcher Art geeignete Maßnahmen getroffen werden. Zu diesen Maßnahmen gehören

a)

der Rückruf aus den Vertriebswegen,

b)

das endgültige Entfernen aus den Vertriebswegen

oder

c)

die Vernichtung.

(2)   Die Gerichte ordnen an, dass die betreffenden Maßnahmen auf Kosten des Verletzers durchgeführt werden, es sei denn, es werden besondere Gründe geltend gemacht, die dagegen sprechen.

(3)   Bei der Prüfung eines Antrags auf Anordnung von Abhilfemaßnahmen sind die Notwendigkeit eines angemessenen Verhältnisses zwischen der Schwere der Verletzung und den angeordneten Abhilfemaßnahmen sowie die Interessen Dritter zu berücksichtigen.“

Verordnung (EG) Nr. 207/2009

8

Die Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) 2015/2424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 (ABl. 2015, L 341, S. 21) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 207/2009) wurde durch die Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) mit Wirkung vom 1. Oktober 2017 aufgehoben und ersetzt. In Anbetracht des Zeitraums, in den der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens fällt, ist die Verordnung Nr. 207/2009 auf diesen jedoch anwendbar.

9

Art. 9 („Rechte aus der Unionsmarke“) der Verordnung Nr. 207/2009 sah vor:

„(1)   Mit der Eintragung einer Unionsmarke erwirbt ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr.

(2)   Der Inhaber dieser Unionsmarke hat unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der Unionsmarke erworbenen Rechte das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn

a)

das Zeichen mit der Unionsmarke identisch ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind, für die die Unionsmarke eingetragen ist;

(3)   Sind die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden,

a)

das Zeichen auf Waren oder deren Verpackung anzubringen;

b)

unter dem Zeichen Waren anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen;

c)

Waren unter dem Zeichen einzuführen oder auszuführen;

(4)   Unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der Unionsmarke erworbenen Rechte ist der Inhaber dieser Unionsmarke auch berechtigt, Dritten zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr Waren in die Union zu verbringen[,] ohne diese in den zollrechtlich freien Verkehr zu überführen, wenn die Waren, einschließlich ihrer Verpackung, aus Drittstaaten stammen und ohne Zustimmung eine Marke aufweisen, die mit der für derartige Waren eingetragenen Unionsmarke identisch ist oder in ihren wesentlichen Aspekten nicht von dieser Marke zu unterscheiden ist.

Die Berechtigung des Inhabers einer Unionsmarke gemäß Unterabsatz 1 erlischt, wenn während eines Verfahrens, das der Feststellung dient, ob eine Unionsmarke verletzt wurde, und das gemäß der Verordnung (EU) Nr. 608/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 12. Juni 2013 über die Kontrolle der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums durch die Zollbehörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates (ABl. 2013, L 181, S. 15)] eingeleitet wurde, der zollrechtliche Anmelder oder der Besitzer der Waren nachweist, dass der Inhaber der Unionsmarke nicht berechtigt ist, das Inverkehrbringen der Waren im endgültigen Bestimmungsland zu untersagen.“

10

Art. 102 („Sanktionen“) der Verordnung Nr. 207/2009 bestimmte:

„(1)   Stellt ein Unionsmarkengericht fest, dass der Beklagte eine Unionsmarke verletzt hat oder zu verletzen droht, so verbietet es dem Beklagten, die Handlungen, die die Unionsmarke verletzen oder zu verletzen drohen, fortzusetzen, sofern dem nicht besondere Gründe entgegenstehen. Es trifft ferner nach Maßgabe seines innerstaatlichen Rechts die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass dieses Verbot befolgt wird.

(2)   Das Unionsmarkengericht kann zudem ihm im jeweiligen Einzelfall zweckmäßig erscheinende Maßnahmen ergreifen oder Anordnungen treffen, die das anwendbare Recht vorsieht.“

Polnisches Recht

11

Art. 286 der Ustawa – Prawo własności przemysłowej (Gesetz über das gewerbliche Eigentum) vom 30. Juni 2000 (Dz. U. 2020, Pos. 286) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz über das gewerbliche Eigentum) bestimmt:

„Der wegen einer Rechtsverletzung angerufene Sąd [(Gericht)] kann auf Antrag des Inhabers über die widerrechtlich hergestellten oder gekennzeichneten Waren sowie über die für ihre Herstellung oder Kennzeichnung verwendeten Mittel und Materialien entscheiden. Er kann u. a. anordnen, dass sie aus dem Verkehr entfernt, an den Rechteinhaber bis zur Höhe eines ihm gewährten Geldbetrags vergeben oder vernichtet werden. In seiner Entscheidung berücksichtigt der Sąd [(Gericht)] die Schwere des Verstoßes und die Interessen Dritter.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

12

Procter & Gamble stellt Parfümeriewaren her. Aufgrund einer Lizenzvereinbarung mit der HUGO BOSS Trade Mark Management GmbH & Co. KG (im Folgenden: HUGO BOSS TMM) ist sie zur ausschließlichen Nutzung der Unionswortmarke HUGO BOSS (im Folgenden: Marke HUGO BOSS) sowie zur Einreichung und Unterstützung von Anträgen und Klagen im eigenen Namen wegen Verletzungen der Rechte an dieser Marke berechtigt. Die Marke wurde für folgende Waren in Klasse 3 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung eingetragen:

„Duftsprays; Parfümeriewaren, Deodorierungsmittel für den persönlichen Gebrauch; Seifen; Artikel zur Körper- und Schönheitspflege“.

13

Damit Kunden die mit der Marke HUGO BOSS gekennzeichneten Waren testen können, stellt HUGO BOSS TMM von ihr autorisierten Verkäufern und Großhändlern unentgeltlich Produktproben bzw. „Tester“ ausschließlich zu Zwecken der Präsentation und der Werbung für Kosmetika zur Verfügung, und zwar in Flakons, die mit den für den Verkauf unter der Marke HUGO BOSS bestimmten Flakons identisch sind. Ihre äußere Verpackung hat eine einheitliche helle Farbe, und es wird sichtbar darauf hingewiesen, dass die Probe nicht für den Verkauf bestimmt ist, z. B. durch folgende Aufschriften: „not for sale“ (nicht für den Verkauf bestimmt) oder „demonstration“ (zur Ansicht) oder „tester“ (Tester). Die Proben werden weder von HUGO BOSS TMM noch mit ihrer Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in Verkehr gebracht.

14

Perfumesco.pl ist seit Januar 2012 Großhändlerin von Parfümeriewaren über einen Online-Shop. Sie schickt regelmäßig Preislisten an Online-Anbieter von Kosmetika und bietet u. a. Proben von Parfümeriewaren der Marke HUGO BOSS mit dem Aufdruck „Tester“ zum Verkauf an. Sie weist darauf hin, dass sich diese Proben im Geruch nicht von den normalen Produkten unterscheiden. Das vorlegende Gericht führt aus, dass Perfumesco.pl die Strichcodes auf den äußeren Verpackungen der mit dieser Marke versehenen Waren weder abnehme noch abdecke und dass sie, da sie sich hinsichtlich des ordnungsgemäßen Ursprungs der von ihr erworbenen Waren auf ihre Vertragspartner verlasse, deren Herkunft nicht überprüfe und auch nicht prüfe, ob diese Strichcodes entfernt worden seien.

15

Am 28. Juli 2016 beschlagnahmte ein Gerichtsvollzieher in Polen in Vollstreckung eines Sicherungsbeschlusses Parfüme, Eaux de Toilette und Eaux de Parfum, deren Verpackungen die Marke HUGO BOSS trugen, nämlich nicht für den Verkauf bestimmte Tester, Waren mit Kennziffern, die nach dem Vorbringen von Procter & Gamble darauf hinwiesen, dass sie durch den Hersteller dazu bestimmt gewesen seien, außerhalb des EWR-Gebiets in Verkehr gebracht zu werden, und Waren, bei denen die Strichcodes auf den Verpackungen entfernt oder verdeckt worden waren.

16

Mit Urteil vom 26. Juni 2017 verpflichtete der von Procter & Gamble angerufene Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau, Polen) Perfumesco.pl u. a. dazu, die nicht von HUGO BOSS TMM oder mit ihrer Zustimmung im EWR in Verkehr gebrachten Parfüme, Eaux de Toilette und Eaux de Parfum, deren Verpackung mit der Marke HUGO BOSS versehen war, insbesondere Tester, zu vernichten.

17

Mit Entscheidung vom 20. September 2018 wies der Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau, Polen) die Berufung von Perfumesco.pl gegen dieses Urteil ab. Das Berufungsgericht stellte fest, nach Art. 102 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 könne das Unionsmarkengericht ihm im jeweiligen Einzelfall zweckmäßig erscheinende Maßnahmen ergreifen oder Anordnungen treffen, die das anwendbare Recht vorsehe; diese Vorschrift gestatte die Anwendung von Art. 286 des Gesetzes über das gewerbliche Eigentum. Diesen habe der Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau) fehlerfrei angewandt.

18

Zunächst stellte das Berufungsgericht fest, dass Art. 286 des Gesetzes über das gewerbliche Eigentum seinem Wortlaut nach nur dann anwendbar sei, wenn die Waren widerrechtlich hergestellt oder gekennzeichnet worden seien; dies sei in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit nicht der Fall. Procter & Gamble habe nämlich nicht bestritten, dass es sich bei den beschlagnahmten Parfümen um Originalwaren handele, sondern geltend gemacht, dass HUGO BOSS TMM deren Inverkehrbringen im EWR nicht zugestimmt und Perfumesco.pl das Bestehen einer solchen Zustimmung nicht nachgewiesen habe.

19

Des Weiteren sei der besagte Art. 286 im Einklang mit Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 auszulegen, den er in polnisches Recht umsetze. Es sei davon auszugehen, dass jede Ware, die ein Recht des gewerblichen Eigentums verletze, im Sinne von Art. 286 widerrechtlich hergestellt worden sei.

20

Schließlich stellt das Berufungsgericht fest, dass einige der beschlagnahmten Parfüme mit Abdeckaufklebern versehen seien, so dass das geografische Gebiet, für das sie bestimmt seien, nicht mehr erkennbar sei; an Stellen, an denen Sicherungscodes entfernt worden seien, seien Abdeckaufkleber angebracht worden. Selbst wenn es keine Beweise dafür gebe, dass Perfumesco.pl für die Entfernung der Sicherungscodes verantwortlich sei, habe sie als Gewerbetreibende in der Parfümeriebranche wissen müssen, dass die Waren trotz zweifelhafter Herkunft in Verkehr gebracht würden. Außerdem habe Perfumesco.pl Tester in Verkehr gebracht, obwohl sie habe wissen müssen, dass HUGO BOSS TMM ihrem Inverkehrbringen im EWR nicht zugestimmt habe.

21

Perfumesco.pl legte beim vorlegenden Gericht, dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen), Kassationsbeschwerde ein und machte u. a. einen Verstoß gegen Art. 286 des Gesetzes über das gewerbliche Eigentum geltend. Sie trug vor, Procter & Gamble mache geltend, dass die Inhaberin der Marke HUGO BOSS dem Inverkehrbringen der beschlagnahmten Waren im EWR nicht zugestimmt habe, bestreite aber nicht, dass es sich dabei um Originalwaren handele.

22

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die mit dem Ausgangsverfahren befassten Tatsachengerichte auf den Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 hingewiesen und Art. 286 des Gesetzes über das gewerbliche Eigentum unionsrechtskonform ausgelegt hätten. Den Tatsachengerichten zufolge betreffe Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 Waren, die nachweislich ein Recht des geistigen Eigentums verletzten, so dass die Vernichtung von Waren auch dann angeordnet werden könne, wenn sie nicht gemäß dem Wortlaut der nationalen Rechtsvorschriften rechtswidrig „hergestellt oder gekennzeichnet“ worden seien.

23

Zum einen sprächen mehrere, auch in der Lehre vertretene Argumente dafür, Art. 286 des Gesetzes über das gewerbliche Eigentum wörtlich auszulegen, insbesondere der Umstand, dass dieser Artikel im Jahr 2007 abgeändert worden sei, um die Richtlinie 2004/48 umzusetzen. Zum anderen müsse die Auslegung des genannten Art. 286 aufgrund der Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung nationaler Rechtsvorschriften auf der Auslegung von Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie beruhen.

24

Unter diesen Umständen hat der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 10 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen, dass er einer Auslegung einer nationalen Bestimmung entgegensteht, wonach sich die Schutzmaßnahme der Vernichtung der Waren ausschließlich auf widerrechtlich hergestellte bzw. widerrechtlich gekennzeichnete Waren bezieht und nicht auf Waren angewendet werden darf, die im EWR widerrechtlich in Verkehr gebracht worden sind und bei denen nicht festgestellt werden kann, ob sie widerrechtlich hergestellt oder widerrechtlich gekennzeichnet worden sind?

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

25

In ihren Erklärungen werfen der Rzecznik Praw Obywatelskich (Bürgerbeauftragter, Polen) und die Kommission die Frage auf, ob das vorlegende Gericht, d. h. der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in der Besetzung mit drei Richtern der Zivilkammer, angesichts des Verfahrens zur Ernennung der Richter dieser Kammer ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV ist.

26

Der Bürgerbeauftragte ist der Ansicht, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, weil es von einer Einrichtung eingereicht worden sei, die nicht durch Gesetz errichtet und weder unabhängig noch unparteiisch sei.

27

Ohne eindeutig die Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens geltend zu machen, weist die Kommission ihrerseits darauf hin, dass die Ernennung der drei Richter des Spruchkörpers des vorlegenden Gerichts zum Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) durch den Präsidenten der Republik Polen in einem Verfahren erfolgt sei, das unter denselben Umständen durchgeführt worden sei wie bei der Ernennung des Richters, der den Gerichtshof mit dem Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache befasst habe, in der das Urteil vom 29. März 2022, Getin Noble Bank (C‑132/20, EU:C:2022:235), ergangen sei.

28

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshof bei der Beurteilung der rein unionsrechtlichen Frage, ob es sich bei der jeweils vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt, und daher, ob das Vorabentscheidungsersuchen zulässig ist, auf eine Reihe von Merkmalen abstellt, wie etwa die gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ihr ständiger Charakter, die obligatorische Gerichtsbarkeit, das streitige Verfahren, die Anwendung von Rechtsnormen durch die betreffende Einrichtung sowie ihre Unabhängigkeit (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Juli 2020, Land Hessen, C‑272/19, EU:C:2020:535, Rn. 43, und vom 29. März 2022, Getin Noble Bank, C‑132/20, EU:C:2022:235, Rn. 66).

29

Die Unabhängigkeit der Richter der Mitgliedstaaten ist für die Unionsrechtsordnung aus verschiedenen Gründen von grundlegender Bedeutung. Insbesondere ist sie für das reibungslose Funktionieren des Systems der justiziellen Zusammenarbeit unerlässlich, das durch den Mechanismus des Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 AEUV verkörpert wird, da die mit der Anwendung des Unionsrechts betrauten Einrichtungen nur dann vorlageberechtigt sind, wenn sie u. a. unabhängig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2020, Land Hessen, C‑272/19, EU:C:2020:535, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Die nach dem Unionsrecht erforderlichen Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit des Spruchkörpers für Einflussnahmen von außen und an seiner Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteil vom 9. Juli 2020, Land Hessen, C‑272/19, EU:C:2020:535, Rn. 52, sowie vom 16. November 2021, Prokuratura Rejonowa w Mińsku Mazowieckim u. a., C‑748/19 bis C‑754/19, EU:C:2021:931, Rn. 67 und 71).

31

Vorliegend steht außer Zweifel, dass der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) als solcher zu den polnischen ordentlichen Gerichten gehört.

32

Sofern ein Vorabentscheidungsersuchen von einem nationalen Gericht stammt, ist davon auszugehen, dass dieses die in Rn. 28 des vorliegenden Urteils erwähnten Anforderungen unabhängig von seiner konkreten Zusammensetzung erfüllt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. März 2022, Getin Noble Bank, C‑132/20, EU:C:2022:235, Rn. 69).

33

Diese Vermutung gilt jedoch nur für die Beurteilung der Zulässigkeit von Vorabentscheidungsersuchen im Rahmen von Art. 267 AEUV. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass die Voraussetzungen für die Ernennung der Richter des vorlegenden Gerichts zwangsläufig die Annahme zulassen, dass die Garantien für den Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. März 2022, Getin Noble Bank, C‑132/20, EU:C:2022:235, Rn. 74).

34

Die Vermutung kann ferner widerlegt werden, wenn eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung eines nationalen oder internationalen Gerichts zu der Annahme führen würde, dass der oder die Richter, aus denen sich das vorlegende Gericht zusammensetzt, nicht die Eigenschaft eines unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte haben. Das Gleiche gilt, wenn über die persönliche Situation des Richters oder der Richter, die formal ein Ersuchen gemäß Art. 267 AEUV stellen, hinaus andere Gesichtspunkte Auswirkungen auf die Funktionsweise des vorlegenden Gerichts, dem diese Richter angehören, haben und somit zur Beeinträchtigung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit dieses Gerichts beitragen sollten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. März 2022, Getin Noble Bank, C‑132/20, EU:C:2022:235, Rn. 72 und 75).

35

Im vorliegenden Fall ist nichts Konkretes und Genaues vorgetragen worden, was unter den in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen die Vermutung widerlegen könnte, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen von einer Einrichtung stammt, die die in Rn. 28 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen erfüllt.

36

Das Vorabentscheidungsersuchen ist somit zulässig.

Zur Vorlagefrage

37

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass er der Auslegung einer nationalen Bestimmung entgegensteht, wonach eine Schutzmaßnahme, die in der Vernichtung von Waren besteht, nicht bei Waren angewendet werden kann, die mit Zustimmung des Markeninhabers hergestellt und mit einer Unionsmarke versehen worden sind, aber ohne seine Zustimmung im EWR in Verkehr gebracht worden sind.

38

Daher ist der Begriff „Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums“ im Sinne von Art. 10 Abs. 1 auszulegen.

39

Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele zu berücksichtigen, die mit dem Rechtsakt, zu dem sie gehört, verfolgt werden. Auch die Entstehungsgeschichte einer Bestimmung des Unionsrechts kann relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern (Urteil vom 10. Juni 2021, KRONE‑Verlag, C‑65/20, EU:C:2021:471, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40

Nach dem Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, „dass die zuständigen Gerichte auf Antrag des Antragstellers anordnen können, dass in Bezug auf Waren, die nach ihren Feststellungen ein Recht des geistigen Eigentums verletzen, … geeignete Maßnahmen getroffen werden“. Zu diesen Maßnahmen gehört nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. c die Vernichtung von Waren.

41

Dem Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 nach sind die dort geregelten Abhilfemaßnahmen daher nicht auf bestimmte Arten von Verletzungen eines Rechts des geistigen Eigentums beschränkt. Außerdem haben die zuständigen Gerichte nach Art. 10 Abs. 3 der Richtlinie, ausgelegt im Licht ihres 17. Erwägungsgrundes, bei der Prüfung eines Antrags auf Anordnung von Abhilfemaßnahmen die Notwendigkeit eines angemessenen Verhältnisses zwischen der Schwere der Verletzung und den angeordneten Abhilfemaßnahmen sowie die Interessen Dritter zu berücksichtigen. Über die im Einzelfall zu erlassende Maßnahme entscheiden somit die zuständigen Gerichte.

42

Diese Auslegung von Art. 10 der Richtlinie 2004/48 wird sowohl durch den Zusammenhang, in den sich dieser Artikel einfügt, als auch durch die Ziele der Richtlinie bestätigt.

43

Was zum einen den Regelungszusammenhang von Art. 10 der Richtlinie 2004/48 betrifft, geht nämlich aus dem vierten und dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie hervor, dass alle Mitgliedstaaten – wie auch die Union selbst in Fragen, die in ihre Zuständigkeit fallen – auf internationaler Ebene an das TRIPS-Übereinkommen gebunden sind, das vornehmlich Bestimmungen über die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums enthält, die gemeinsame, international gültige Normen sind und in allen Mitgliedstaaten umgesetzt wurden.

44

Der genannte Art. 10 setzt Art. 46 des TRIPS-Übereinkommens in die Unionsrechtsordnung um; nach dessen Wortlaut sind die Gerichte befugt, „anzuordnen, dass über Waren, die nach ihren Feststellungen ein Recht verletzen, ohne Entschädigung irgendwelcher Art außerhalb der Vertriebswege … verfügt wird …“. Der Anwendungsbereich von Art. 46 ist demnach nicht auf eine bestimmte Kategorie von Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums beschränkt. Aufgrund seiner sehr allgemeinen Formulierung bezieht sich Art. 46 daher vielmehr auf alle Waren, bei denen festgestellt wurde, dass sie in irgendeiner Weise ein Recht des geistigen Eigentums verletzen. Der Umstand, dass Art. 46 letzter Satz spezielle Pflichten in Bezug auf „nachgeahmte Markenwaren“ vorsieht, bestätigt diese Analyse.

45

Was zum anderen das mit der Richtlinie 2004/48 verfolgte Ziel betrifft, so besteht dieses nach den Feststellungen des Gerichtshofs darin, dass die Mitgliedstaaten den wirksamen Schutz des geistigen Eigentums gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Juli 2011, L’Oréal u. a., C‑324/09, EU:C:2011:474, Rn. 131, sowie vom 18. Dezember 2019, IT Development, C‑666/18, EU:C:2019:1099, Rn. 39); auch bezweckt sie, wie sich aus ihrem dritten Erwägungsgrund ergibt, eine wirksame Anwendung des materiellen Rechts des geistigen Eigentums in der Union.

46

Der Gerichtshof hat hierzu entschieden, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2004/48 nicht darauf abzielen, alle Aspekte im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums zu regeln, sondern nur diejenigen, die zum einen eng mit der Durchsetzung dieser Rechte verbunden sind und zum anderen Verletzungen dieser Rechte betreffen, indem sie vorschreiben, dass es wirksame Rechtsbehelfe geben muss, die dazu bestimmt sind, jede Verletzung eines bestehenden Rechts des geistigen Eigentums zu verhüten, abzustellen oder zu beheben (Urteil vom 10. April 2014, ACI Adam u. a., C‑435/12, EU:C:2014:254, Rn. 61).

47

Nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie müssen die von den Mitgliedstaaten vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe u. a. wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Der zehnte Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/48 nennt in diesem Zusammenhang zwar das Ziel, ein hohes, gleichwertiges und „homogenes“ Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten; allerdings findet die Richtlinie, wie sich ihrem Art. 2 Abs. 1 entnehmen lässt, unbeschadet etwaiger Instrumente in den Rechtsvorschriften, insbesondere jenen der Mitgliedstaaten, die für die Rechtsinhaber günstiger sind, Anwendung. Insoweit geht aus dem siebten Erwägungsgrund der Richtlinie eindeutig hervor, dass der verwendete Begriff „Instrument“ allgemeiner Natur ist und Maßnahmen einschließt, mit denen Verletzungen der Rechte des geistigen Eigentums abgestellt werden können (vgl. entsprechend Urteil vom 25. Januar 2017, Stowarzyszenie Oławska Telewizja Kablowa, C‑367/15, EU:C:2017:36, Rn. 22).

48

Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, legt die Richtlinie 2004/48 demnach nur einen Mindeststandard für die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums fest; sie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, stärker schützende Maßnahmen vorzusehen (Urteil vom 9. Juni 2016, Hansson, C‑481/14, EU:C:2016:419, Rn. 36 und 40). Dagegen dürfen die Mitgliedstaaten keine geringer schützenden Maßnahmen vorsehen, indem sie die Anwendung der in der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen etwa auf bestimmte Arten von Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums beschränken. Dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie nach gilt diese nämlich für „jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, die im Gemeinschaftsrecht und/oder im innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen sind“.

49

Aus alledem ergibt sich, dass Art. 10 der Richtlinie 2004/48 alle Waren erfasst, für die festgestellt wurde, dass sie Rechte des geistigen Eigentums auf irgendeine Art und Weise verletzen, und dass er die Anwendung der Abhilfemaßnahme „Vernichtung“ nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. c nicht bei bestimmten Arten von Verletzungen von vornherein ausschließt.

50

Im Übrigen betrifft das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Recht des geistigen Eigentums, wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, die Rechte aus einer Unionsmarke.

51

Zwar werden in der Richtlinie 2004/48 die Rechte des geistigen Eigentums, die in ihren Anwendungsbereich fallen, nicht definiert; in der Erklärung der Kommission zu Artikel 2 der Richtlinie 2004/48 (ABl. 2005, L 94, S. 37) wird jedoch klargestellt, dass nach Ansicht der Kommission Markenrechte dazuzählen. Auch aus dem Urteil vom 12. Juli 2011, L’Oréal u. a. (C‑324/09, EU:C:2011:474), geht hervor, dass die Unionsmarke unter den Begriff „geistiges Eigentum“ im Sinne der Richtlinie 2004/48 fällt.

52

Die Rechte des Markeninhabers aus der Unionsmarke ergeben sich aus Art. 9 der Verordnung Nr. 207/2009.

53

So kann der Markeninhaber insbesondere nach Art. 9 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 verbieten, diese Marke auf einer Ware oder deren Verpackung anzubringen; nach Art. 9 Abs. 3 Buchst. b und c dieser Verordnung kann er im Wesentlichen die Vermarktung von Waren unter dieser Marke verbieten.

54

Da aus den in Rn. 41 des vorliegenden Urteils genannten Gründen die zuständigen nationalen Gerichte im Einzelfall zu bestimmen haben, welche von den in Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 vorgesehenen Maßnahmen wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums verhängt werden kann, kann daher nicht angenommen werden, dass die Abhilfemaßnahme der Warenvernichtung nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. c nur bei Verletzung eines Rechts aus Art. 9 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 anwendbar ist, ihre Anwendung bei Verletzung eines Rechts aus Art. 9 Abs. 3 Buchst. b oder c der Verordnung jedoch ausgeschlossen ist.

55

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass er der Auslegung einer nationalen Bestimmung entgegensteht, wonach eine Schutzmaßnahme, die in der Vernichtung von Waren besteht, nicht bei Waren angewendet werden kann, die mit Zustimmung des Markeninhabers hergestellt und mit einer Unionsmarke versehen worden sind, aber ohne seine Zustimmung im EWR in Verkehr gebracht worden sind.

Kosten

56

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums

 

ist dahin auszulegen, dass

 

er der Auslegung einer nationalen Bestimmung entgegensteht, wonach eine Schutzmaßnahme, die in der Vernichtung von Waren besteht, nicht bei Waren angewendet werden kann, die mit Zustimmung des Markeninhabers hergestellt und mit einer Unionsmarke versehen worden sind, aber ohne seine Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum in Verkehr gebracht worden sind.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.