SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

TAMARA ĆAPETA

vom 9. Juni 2022 ( 1 )

Rechtssache C‑64/21

Rigall Arteria Management Sp. z o.o. sp. k.

gegen

Bank Handlowy w Warszawie S.A.

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 86/653/EWG – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b – Selbständige Handelsvertreter – Vergütung – Anspruch auf Provision im Hinblick auf Geschäfte, die während des Vertragsverhältnisses mit Kunden abgeschlossen wurden, die vom Handelsvertreter bereits vorher für Geschäfte gleicher Art geworben worden waren – Zwingende oder nicht zwingende Regelung – Möglichkeit, durch Vertrag davon abzuweichen“

I. Einleitung

1.

Die vorliegende Rechtssache beruht auf einem Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen), das die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ( 2 ) betrifft.

2.

Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 sieht vor, dass ein Handelsvertreter für ein während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenes Geschäft Anspruch auf die Provision hat, wenn das Geschäft mit einem Dritten abgeschlossen wurde, den er bereits vorher für Geschäfte gleicher Art als Kunden geworben hatte. Dies werde ich als Provision für Wiederholungsgeschäfte bezeichnen ( 3 ).

3.

Die Hauptfrage, die sich in der vorliegenden Rechtssache stellt, lautet, ob Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 als zwingende oder nicht zwingende Regelung auszulegen ist und somit den Parteien des Handelsvertretervertrags gestattet werden kann, den Anspruch des Handelsvertreters auf die Provision für Wiederholungsgeschäfte auszuschließen.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

4.

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 86/653 sieht vor:

„Für ein während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenes Geschäft hat der Handelsvertreter Anspruch auf die Provision,

a)

wenn der Geschäftsabschluss auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist oder

b)

wenn das Geschäft mit einem Dritten abgeschlossen wurde, den er bereits vorher für Geschäfte gleicher Art als Kunden geworben hatte.“

B.   Polnisches Recht

5.

In Art. 761 § 1 des Zivilgesetzbuchs ( 4 ), der Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 86/653 in das polnische Recht umsetzt, heißt es:

„Für während der Laufzeit des Handelsvertretervertrags abgeschlossene Verträge kann der Handelsvertreter eine Provision fordern, wenn sie auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind oder mit Kunden abgeschlossen wurden, die vom Handelsvertreter bereits vorher für Verträge gleicher Art geworben worden waren.“

III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage und Verfahren vor dem Gerichtshof

6.

Dem Vorlagebeschluss zufolge hat die Rigall Arteria Management Sp. z o.o. sp. k. (im Folgenden: Rigall Arteria Management) für den Zeitraum vom 1. Juni 1999 bis zum 30. Juni 2015 eine Reihe von Handelsvertreterverträgen mit der Bank Handlowy w Warszawie S.A. (im Folgenden: Bank Handlowy) abgeschlossen. Im Rahmen dieser Verträge hatte Rigall Arteria Management den Status des Handelsvertreters und Bank Handlowy den des Unternehmers.

7.

Der Handelsvertretervertrag betraf die Durchführung von Finanzvermittlungsdienstleistungen, die die Vermittlung bei der Ausübung von Hilfs- und Werbetätigkeiten im Zusammenhang mit der Betreuung und Akquisition von Kreditkarten und anderen Finanzdienstleistungen beinhaltete, die von Bank Handlowy angeboten wurden.

8.

Im Handelsvertretervertrag wurde angegeben, wie der Handelsvertreter zu vergüten war, und festgelegt, dass die Vergütung anhand der Anzahl der abgeschlossenen Verträge zu berechnen war. In den meisten Fällen handelte es sich um einen bestimmten Betrag je ausgestellter Kreditkarte oder je bewilligtem Darlehensantrag. Er legte keine andere Provisionsvergütung fest als die Provision für Verträge, die unter unmittelbarer Beteiligung des Handelsvertreters abgeschlossen wurden.

9.

Bank Handlowy kündigte den Handelsvertretervertrag am 17. Dezember 2014. In der Folge forderte Rigall Arteria Management Bank Handlowy auf, Auskunft über die für den Zeitraum vom 1. Juni 1999 bis zum 31. Januar 2015 geschuldete Provision zu erteilen.

10.

Bank Handlowy lehnte dies insbesondere mit dem Argument ab, die dem Handelsvertreter bisher erteilten Auskünfte ermöglichten die Berechnung der im Rahmen des Handelsvertretervertrags fälligen Gesamtvergütung und folglich bestehe kein Anlass, weitere Auskünfte zu erteilen. Rigall Arteria Management erhob vor dem Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau, Polen) Klage auf Auskunftserteilung über die von Bank Handlowy abgeschlossenen Verträge mit Kunden, die zuvor dank der Vermittlung des Handelsvertreters geworben worden waren.

11.

Mit Urteil vom 20. Juni 2016 wies der Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht, Warschau) die Klage ab. Dieses Gericht stellte u. a. fest, dass aus dem Wortlaut des Vertrags zwischen den Parteien nicht hervorgehe, dass der Handelsvertreter berechtigt gewesen sei, eine Provision für Wiederholungsgeschäfte zu fordern.

12.

Mit Urteil vom 28. Februar 2018 wies der Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau, Polen) die von Rigall Arteria Management eingelegte Berufung zurück. Dieses Gericht war insbesondere der Auffassung, dass die Provision für Wiederholungsgeschäfte nach Art. 761 § 1 des Zivilgesetzbuchs, der Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 umsetze, dispositiven Charakter habe, was es den Parteien des Handelsvertretervertrags ermögliche, diese Frage abweichend zu regeln. Nach der Auffassung dieses Gerichts wiesen die Umstände des Falls darauf hin, dass die Parteien den Anspruch des Handelsvertreters auf die fragliche Provision stillschweigend ausgeschlossen hätten, was sich sowohl aus dem Umstand, dass diese Art der Provision im Wortlaut des Vertrags nicht genannt werde, als auch aus dem Parteiverhalten während seiner Durchführung ergebe.

13.

Rigall Arteria Management legte gegen dieses Urteil eine Kassationsbeschwerde beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), dem vorlegenden Gericht in dieser Rechtssache, ein. Zur Stützung dieser Kassationsbeschwerde macht Rigall Arteria Management einen Verstoß gegen Art. 761 § 1 des Zivilgesetzbuchs, ausgelegt im Licht von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653, geltend, indem diese Bestimmung als dispositiv angesehen werde.

14.

Das vorlegende Gericht erläutert, es sei noch nicht geklärt, ob es nach polnischem Recht möglich sei, den Anspruch eines Handelsvertreters auf Provision für Wiederholungsgeschäfte vertraglich zu ändern oder auszuschließen. Angesichts dessen, dass das maßgebliche polnische Gesetz die Richtlinie 86/653 umgesetzt habe, ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass diese Auslegung von der Auslegung abhänge, ob Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie eine zwingende oder nicht zwingende Regelung darstelle.

15.

Unter diesen Umständen hat der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) entschieden, das Ausgangsverfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 nach seinem Wortlaut und seinem Zweck dahin auszulegen, dass er dem selbständigen Handelsvertreter einen absoluten Provisionsanspruch für einen während der Dauer des Handelsvertretervertrags mit einem Dritten, den er bereits vorher für Geschäfte gleicher Art als Kunden geworben hatte, geschlossenen Vertrag einräumt, oder kann dieser Anspruch vertraglich ausgeschlossen werden?

16.

Rigall Arteria Management, Bank Handlowy, die deutsche, die italienische und die polnische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht. In der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2022 haben Rigall Arteria Management, Bank Handlowy, die deutsche und die polnische Regierung sowie die Kommission mündlich Stellung genommen.

IV. Analyse

17.

Bei der Richtlinie 86/653 handelt es sich um einen außergewöhnlichen Unionsrechtsakt, da sie Verträge zwischen wirtschaftlich Tätigen regelt. Sie gilt für Handelsvertreterverträge ( 5 ), die zwischen dem Handelsvertreter und dem Unternehmer abgeschlossen werden, die beide als unabhängige Geschäftsleute handeln ( 6 ). Die Richtlinie 86/653 gilt ausschließlich für solche Verträge, in denen für die Tätigkeit des Handelsvertreters eine Vergütung vorgesehen ist ( 7 ). Sie harmonisiert lediglich bestimmte Aspekte der Beziehung zwischen Handelsvertretern und Unternehmern, genauer gesagt die grundlegenden gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien (Kapitel II), die Vergütung der Handelsvertreter (Kapitel III) sowie den Abschluss und die Beendigung von Handelsvertreterverträgen (Kapitel IV). Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 ist Teil von deren Kapitel III (Art. 6 bis 12).

18.

Es ist zu beachten, dass die Richtlinie 86/653 in den 1980er Jahren gemäß Binnenmarktrechtsgrundlagen, die Einstimmigkeit erforderten ( 8 ), nach langen und komplexen Verhandlungen erlassen wurde, bei denen einige Mitgliedstaaten die Notwendigkeit einer solchen Richtlinie vollständig ablehnten ( 9 ). Somit stellte sie letztlich das Ergebnis von Kompromissen unter den Mitgliedstaaten dar, die sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Regelung von Verträgen im Allgemeinen und von Handelsvertreterverträgen im Besonderen hatten.

19.

Es ist daher keine Überraschung, dass der Gerichtshof bereits mehrfach angerufen worden ist, um die verschiedenen Bestimmungen der Richtlinie 86/653 auszulegen ( 10 ). Dies ist jedoch das erste Mal, dass der Gerichtshof ersucht wird, den Charakter ihres Art. 7 Abs. 1 Buchst. b zu erläutern.

20.

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen klären, ob der Anspruch des Handelsvertreters auf Provision für Wiederholungsgeschäfte nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 von den Parteien des Handelsvertretervertrags geändert oder ausgeschlossen werden kann.

21.

Zur Beantwortung dieser Frage werde ich zunächst auf die Zuständigkeit des Gerichtshofs für den Erlass einer Vorabentscheidung unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache eingehen (A). Sodann werde ich zu meiner materiellen Würdigung übergehen (B), indem ich zuerst einige eher allgemeine Vorbemerkungen zur Unterscheidung zwischen zwingenden und nicht zwingenden Regelungen machen werde, denen Verträge unterliegen (B.1), bevor ich mich der Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 zuwende (B.2).

22.

Auf der Grundlage dieser Analyse bin ich zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gerichtshof für den Erlass einer Vorabentscheidung in der vorliegenden Rechtssache zuständig ist und dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen ist, dass er eine nicht zwingende Regelung darstellt, die es den Parteien des Handelsvertretervertrags somit gestattet, seine Anwendung zu ändern oder auszuschließen.

A.   Zuständigkeit des Gerichtshofs

23.

Die Richtlinie 86/653 gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 2 für Handelsvertreter, deren Tätigkeit insbesondere darin besteht, den „Verkauf oder den Ankauf von Waren“ zu vermitteln oder abzuschließen. Wie in Nr. 7 dieser Schlussanträge dargestellt, geht es im Sachverhalt des Ausgangsverfahrens aber offensichtlich nicht um den Verkauf von Waren, sondern um den Verkauf (finanzieller) Dienstleistungen. Daher mag man sich fragen, ob der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache für den Erlass einer Vorabentscheidung zuständig ist ( 11 ), da die Richtlinie 86/653 nicht auf die Umstände anwendbar ist, aus denen sich der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens ergeben hat ( 12 ).

24.

Gleichwohl scheint es, wie Rigall Arteria Management, die deutsche Regierung und die Kommission ausgeführt haben, dass die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung der Vorlagefrage in der vorliegenden Rechtssache auf der Grundlage der Dzodzi-Rechtsprechung festgestellt werden kann ( 13 ).

25.

Unter Anwendung dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass er für die Auslegung der Richtlinie 86/653 zuständig ist, wenn die nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie eine einheitliche Lösung für alle Arten von Handelsvertreterverträgen vorsehen, selbst wenn die Rechtssache auf einem Sachverhalt beruht, der Dienstleistungen und keine Waren betrifft. Die Feststellung der Zuständigkeit in solchen Rechtssachen wird als im Interesse der Unionsrechtsordnung liegend angesehen, um zukünftige Auslegungsdifferenzen zu vermeiden ( 14 ).

26.

Weiterhin ist, wie der Gerichtshof in jüngerer, nicht im Kontext der Richtlinie 86/653 ergangener Rechtsprechung betont hat, eine Auslegung der Unionsrechtsvorschriften durch den Gerichtshof bei Sachverhalten gerechtfertigt, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, wenn diese Vorschriften vom nationalen Recht für unmittelbar und unbedingt auf diese Sachverhalte anwendbar erklärt worden sind, um zu gewährleisten, dass diese Sachverhalte und die entsprechenden, durch das Unionsrecht geregelten Sachverhalte gleich behandelt werden ( 15 ).

27.

In der vorliegenden Rechtssache geht aus den Angaben hervor, die das vorlegende Gericht auf ein Auskunftsersuchen des Gerichtshofs hin gemacht hat, dass der polnische Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie 86/653 in das nationale Recht (das Zivilgesetzbuch) seine Absicht zum Ausdruck gebracht hat, Handelsvertreterverträge, die Waren und Dienstleistungen betreffen, im Hinblick auf die Anwendung der sich aus dem Unionsrecht ableitenden Bestimmungen einheitlich zu behandeln.

28.

Demzufolge ist davon auszugehen, dass das polnische Recht Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 für unmittelbar und unbedingt auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar erklärt hat und es im Interesse der Unionsrechtsordnung liegt, dass der Gerichtshof über das Vorabentscheidungsersuchen des vorlegenden Gerichts entscheidet.

29.

Daher bin ich der Auffassung, dass der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache für den Erlass einer Vorabentscheidung zuständig ist.

B.   Materielles Recht

1. Vorbemerkungen zur Unterscheidung zwischen zwingenden und nicht zwingenden Regelungen

30.

Das Vertragsrecht der Mitgliedstaaten unterscheidet zwischen zwingenden und nicht zwingenden Regelungen, die die materiellen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien betreffen ( 16 ). Im Kern erlauben zwingende Regelungen keine Abweichung und können somit von den Vertragsparteien nicht ausgeschlossen werden, während nicht zwingende Regelungen nicht Bestandteil des Vertrags werden müssen, wenn die Parteien ihr Verhältnis anders regeln möchten.

31.

Weiterhin erkennen viele Rechtssysteme unterschiedliche Arten zwingender und nicht zwingender Regelungen an ( 17 ).

32.

Zwingende Regelungen können in vollem Umfang zwingend sein, d. h., die Parteien können nicht von ihnen abweichen. Sie können auch lediglich semi-zwingend sein; in diesem Fall können solche Regelungen zwar ausgeschlossen werden, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Semi-zwingende Regelungen können z. B. Abweichungen zulassen, die im Interesse der schwächeren Partei liegen oder den Kern der Regelung oder einen bestimmten, vom Gesetzgeber festgelegten Mindestinhalt bewahren.

33.

Entsprechend gibt es nicht lediglich eine Art der nicht zwingenden Regelung. Meist bezieht sich dieser Begriff auf die sogenannten ergänzenden oder klassischen Auffangregelungen. Solche nicht zwingenden Regelungen dienen dazu, die Lücken zu füllen, die die Parteien im Vertrag dadurch gelassen haben, dass sie absichtlich oder unabsichtlich bestimmte Aspekte ihrer vertraglichen Beziehung nicht geregelt haben. Jedoch gibt es auch andere Arten nicht zwingender Regelungen. Zu ihnen zählen Modellregelungen, die als Hilfen zur Formulierung des Vertrags dienen und mögliche Lösungen aufzeigen, wie die Parteien bestimmte Fragen regeln können. Diese Modellregelungen scheinen in mindestens zwei Kategorien aufgegliedert zu sein: Erstens können sie den Parteien eine Aufstellung von Wahlmöglichkeiten bieten, ohne andere auszuschließen (dies werde ich als nicht zwingende offene Modellregelung bezeichnen), und zweitens können sie die Parteien auf die darin ausdrücklich vorgesehenen Wahlmöglichkeiten beschränken.

34.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass im nationalen Vertragsrecht für den Hinweis darauf, ob bestimmte Regelungen zwingend oder nicht zwingend sind und zu welcher Art sie gehören, unterschiedliche Techniken angewandt werden. Häufig schweigt das entsprechende Recht zur Rechtsnatur einer bestimmten Regelung und überlässt die Klärung dieser Fragen den Gerichten.

35.

Die Richtlinie 86/653 stellt keine Ausnahme von der vorstehenden Beschreibung dar. Sie enthält verschiedene Arten zwingender und nicht zwingender Regelungen und verwendet zur Beschreibung ihres Charakters mehrere Techniken ( 18 ).

36.

Im Fall zwingender Regelungen heißt es in bestimmten Vorschriften der Richtlinie 86/653 ausdrücklich, dass die Parteien keine abweichenden Vereinbarungen treffen dürfen ( 19 ). Einige Bestimmungen weisen jedoch einen semi-zwingenden Charakter auf. Sie ordnen entweder Mindestregelungen an, von denen die Parteien nicht abweichen können ( 20 ), oder sie erlauben eine Abweichung nur, wenn sie nicht zum Nachteil des Handelsvertreters ist ( 21 ). Einige Abweichungen sind nur nach Vertragsbeendigung zugelassen und können daher nicht im Voraus vereinbart werden ( 22 ).

37.

Was nicht zwingende Regelungen angeht, so weisen einige Bestimmungen der Richtlinie 86/653 klar darauf hin, dass die in der relevanten Bestimmung festgelegten Regelungen Auffangregelungen darstellen, die bei Fehlen einer diesbezüglichen Vereinbarung zwischen den Parteien anzuwenden sind ( 23 ).

38.

Schließlich schweigen einige Bestimmungen der Richtlinie 86/653 zu ihrem zwingenden oder nicht zwingenden Charakter ( 24 ). Dies trifft auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie zu, dessen Auslegung in der vorliegenden Rechtssache in Rede steht. Tatsächlich schweigt die Richtlinie 86/653 zum Charakter ihres gesamten Art. 7.

2. Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653

a) Wortlaut

39.

Es sei daran erinnert, dass die Frage in der vorliegenden Rechtssache lautet, ob es den Parteien des Handelsvertretervertrags gestattet ist, die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 aufgestellte Regelung auszuschließen, die einem Handelsvertreter einen Anspruch auf eine Provision für Wiederholungsgeschäfte verleiht.

40.

Meines Erachtens stellt diese Rechtssache ungeachtet des Fehlens eines ausdrücklichen Hinweises auf den zwingenden oder nicht zwingenden Charakter von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 eines der seltenen Beispiele dar, in denen die Antwort auf die Frage des vorlegenden Gerichts aus dem Wortlaut der Bestimmung abgeleitet werden kann, um deren Auslegung ersucht wird.

41.

Wie in Nr. 4 dieser Schlussanträge ausgeführt, sieht Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 86/653 vor, dass der Handelsvertreter während des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Provision hat,

„a)

wenn der Geschäftsabschluss auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist oder

b)

wenn das Geschäft mit einem Dritten abgeschlossen wurde, den er bereits vorher für Geschäfte gleicher Art als Kunden geworben hatte“ ( 25 ).

42.

Aus der Verwendung des Wortes „oder“ in dieser Bestimmung kann abgeleitet werden, dass ein Handelsvertreter einen Anspruch auf die eine oder die andere der Provisionsarten haben kann, die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 86/653 genannt sind ( 26 ).

43.

Worte haben meiner Auffassung nach außerhalb des Zusammenhangs, in dem sie Verwendung finden, keine Bedeutung. Der Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653, der daher nicht getrennt von deren Art. 7 Abs. 1 Buchst. a verstanden werden kann, legt nahe, dass diese Vorschrift eine nicht zwingende offene Modellregelung enthält (vgl. Nr. 33 dieser Schlussanträge).

44.

Somit bietet meines Erachtens Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 86/653 den Parteien Vorschläge, aus denen sie bei Vertragsabschluss eine Auswahl treffen können. Der Unionsgesetzgeber könnte sich für die beiden aufgeführten Lösungen als die häufigste Art und Weise entschieden haben, auf die eine Provision in Handelsvertreterverträgen vereinbart wird ( 27 ). Unter diesen Möglichkeiten auszuwählen erspart den Parteien Transaktionskosten, die entstehen, wenn Verträge ausgehandelt werden ( 28 ). Jedoch sind die Parteien nicht an diese Modellregelungen gebunden, sondern es steht ihnen frei, eine andere Wahl zu treffen.

45.

Da Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 86/653 lediglich Vorschläge bietet, ist diese Bestimmung nicht nur nicht als zwingende Regelung einzuordnen, sondern sie kann auch nicht als nicht zwingende Auffangregelung verstanden werden. Dies gilt, weil sie nicht eine einheitliche Regelung des Anspruchs des Handelsvertreters auf eine Provision festlegt, die dazu dienen könnte, eine von den Parteien gegebenenfalls offengelassene Vertragslücke zu füllen ( 29 ). Sie bietet vielmehr eine Wahlmöglichkeit. Die Trennung der Buchst. a und b von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 86/653 durch „oder“ macht es den Parteien des Handelsvertretervertrags oder dem über den zwischen ihnen bestehenden Rechtsstreit entscheidenden Gericht unmöglich, auf diese Bestimmung zurückzugreifen, ohne zuvor die Wahl hinsichtlich der damit gebotenen Lösungen zu treffen.

46.

Es trifft zu, dass „oder“ gelegentlich als „und“ ausgelegt werden kann ( 30 ). Dies würde jedoch im Fall von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 86/653 keinen Sinn ergeben. Der Wortlaut von Buchst. b impliziert, dass das, was in Buchst. a beschrieben wird, bereits geschehen ist: Ein Geschäft ist abgeschlossen worden, das auf die unmittelbare Tätigkeit des Handelsvertreters zurückzuführen ist. Während es möglich sein mag, dass ein Handelsvertreter nur die Provision nach Buchst. a erhält, wäre die Vorstellung schwierig (wenn auch nicht unmöglich), dass ein Handelsvertreter nur die Provision nach Buchst. b für Kunden erhält, die er „bereits vorher“ für den Unternehmer „geworben“ hat, ohne dass davon auszugehen ist, dass er eine Provision nach Buchst. a für die Geschäftsabschlüsse mit diesen Kunden, die auf seine unmittelbare Tätigkeit zurückzuführen sind, erhalten hat. Wäre es das Ziel des Unionsgesetzgebers gewesen, einen Provisionsanspruch nach Buchst. b zu schaffen, der auch eine Provision nach Buchst. a beinhaltet, wäre die Formulierung mit zwei durch „oder“ getrennten Sätzen eine merkwürdige Art und Weise, dem Ausdruck zu verleihen.

47.

Eine Auslegung, die gestatten könnte, Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 86/653 als einen Satz zu lesen, der dem Handelsvertreter einen Provisionsanspruch sowohl für unmittelbare als auch für Wiederholungsgeschäfte verleiht, würde daher verlangen, „oder“ in „und“ zu verwandeln und darüber hinwegzusehen, dass Buchst. b Buchst. a impliziert. Selbst dann würde eine solche Auslegung Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 86/653 jedoch lediglich in eine einheitliche Regelung verwandeln, ohne die Frage zu beantworten, ob diese Regelung eine zwingende oder eine nicht zwingende Regelung darstellt.

48.

Eine solche weitreichende Auslegung der fraglichen Bestimmung ist, wie ich zeigen werde, nicht durch systematische Gründe bezüglich der Vertragsfreiheit oder die Ziele der Richtlinie 86/653, ihre Entstehungsgeschichte und den Zusammenhang gerechtfertigt, in dem Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie steht ( 31 ). Mit anderen Worten stützen auch diese anderen Auslegungsgründe, denen ich mich nun zuwende, die Auffassung, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 als nicht zwingende Regelung auszulegen ist.

b) Systematische Gründe bezüglich der Vertragsfreiheit

49.

Wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung festgestellt hat, sind die Bestimmungen des Unionsrechts im Licht der Grundrechte auszulegen, die zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat und die nun in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankert sind ( 32 ). Im Licht eines solchen Erfordernisses einer systematischen Auslegung wäre zuerst anzumerken, dass die Feststellung, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 eine nicht zwingende Regelung darstellt, dem Grundsatz der Vertragsfreiheit entspricht.

50.

Die Vertragsfreiheit stellt, wie Bank Handlowy und die deutsche Regierung anführen, einen fundamentalen Grundsatz der nationalen Rechtsordnungen und der Unionsrechtsordnung dar. Sie ist in Art. 16 der Charta als Teil der unternehmerischen Freiheit anerkannt ( 33 ).

51.

Handelsvertreterverträge sind in dem Sinne geschäftliche Verträge (zwischen wirtschaftlich Tätigen), dass sowohl Handelsvertreter als auch Unternehmer Geschäftsleute sind ( 34 ). Somit unterliegen die Handelsvertreterverhältnisse grundsätzlich der Vertragsfreiheit, die das Recht beider Parteien auf wirtschaftliche Betätigung schützt. Diese Freiheit, die die Autonomie der Parteien umfasst, die Vertragsbedingungen festzulegen, ist jedoch nicht absolut und kann berechtigten Einschränkungen unterliegen, die, wie in Art. 52 Abs. 1 der Charta vorgesehen, insbesondere gesetzlich vorgesehen und verhältnismäßig sein müssen ( 35 ).

52.

In der vorliegenden Rechtssache gibt es jedoch in der Richtlinie 86/653 keine Bestimmung, die klar darauf hinweist, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie die Vertragsfreiheit einschränken soll.

53.

Zwar hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, dass die Zielsetzungen des Gemeinwohls, nämlich der Schutz der Handelsvertreter als der schwächeren Partei des Handelsvertretervertrags, eine Einschränkung der Vertragsfreiheit der Parteien im Hinblick auf die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 vorgesehene Provision stützten, nichtsdestoweniger ist im maßgeblichen Unionsrecht keine solche Rechtfertigung im Einklang mit Art. 52 Abs. 1 der Charta vorgesehen. Außerdem scheint eine solche Einschränkung zum Schutz von Handelsvertretern in allen möglichen Situationen weder notwendig noch angemessen, wie ich unten erläutern werde (siehe Nrn. 63 bis 65 dieser Schlussanträge).

54.

Unter diesen Umständen gibt es in Ermangelung einer im Einklang mit Art. 16 und Art. 52 Abs. 1 der Charta gebührend begründeten Einschränkung der Vertragsfreiheit der Parteien bezüglich der freien Wahl der Provisionsart in der Richtlinie 86/653 keine Rechtsgrundlage, um ihren Art. 7 Abs. 1 Buchst. b als zwingende oder semi-zwingende Regelung auszulegen.

c) Ziele

55.

Die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 als eine nicht zwingende Regelung steht nicht im Widerspruch zu den mit dieser Richtlinie verfolgten Zielen.

56.

Es mag sein, dass die Einschätzung, Handelsvertreter seien die schwächere Partei der Handelsvertreterverträge, die Entscheidung des Unionsgesetzgebers beeinflusst hat, zwingende Regelungen in die Richtlinie 86/653 aufzunehmen. Der Schutz der Handelsvertreter stellt jedoch nicht das einzige oder auch nur das hauptsächliche Ziel dieser Richtlinie dar ( 36 ). Jedenfalls kann der Umstand, dass die Bedenken hinsichtlich der schwächeren Position der Handelsvertreter die Wahl bestimmter Lösungen während des Entscheidungsprozesses beeinflusst haben, nicht zu dem von der Kommission nahegelegten Ergebnis führen, dass die Richtlinie 86/653 nur zwingende Regelungen enthalte, deren Ziel der Schutz der Handelsvertreter sei.

57.

Aus den Erwägungsgründen 2 und 3 der Richtlinie 86/653 ergibt sich, dass der Hauptzweck dieser Richtlinie darin liegt, einen Binnenmarkt für die Handelsvertretung zu schaffen und Hemmnisse für die grenzüberschreitende Tätigkeit von Handelsvertretern und Unternehmern zu beseitigen ( 37 ). In diesem Zusammenhang stellt, wie ich in früheren Schlussanträgen ausgeführt habe ( 38 ), die Wahl der Rechtsgrundlage für den in Rede stehenden Rechtsakt im Unionsrecht einen objektiv feststellbaren Hinweis auf den Willen des Unionsgesetzgebers dar. Die Richtlinie 86/653 wurde gestützt auf zwei Binnenmarktrechtsgrundlagen erlassen (vgl. Nr. 18 dieser Schlussanträge). Dies weist darauf hin, dass der Hauptgedanke hinter dieser Richtlinie war, die Hemmnisse für grenzüberschreitende Handelsvertreterverträge zu beseitigen ( 39 ).

58.

Dieses Ziel wird durch die Beseitigung der „Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften“ erreicht, die im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 86/653 als Haupthemmnis anerkannt werden. Den Parteien der Handelsvertreterverträge unionsweit eine Reihe harmonisierter (zwingender, semi-zwingender, Auffang- oder Modell‑)Regelungen anzubieten, stellt daher die vom Unionsgesetzgeber gewählte Methode dar, um es Handelsvertretern und Unternehmern aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten zu erleichtern, grenzüberschreitende Handelsvertreterverträge abzuschließen ( 40 ).

59.

Bei der Entscheidung über den angemessenen Inhalt harmonisierter Regelungen kann und sollte der Unionsgesetzgeber die Sicherstellung des Schutzes der Handelsvertreter als der schwächeren Partei der Handelsvertreterverträge berücksichtigen ( 41 ). Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein solcher Schutz ein selbständiges Ziel der Richtlinie 86/653 ist oder nach der gegenwärtigen Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten sein kann ( 42 ).

60.

Ein angemessener Schutz der Handelsvertreter ist vom Gerichtshof als rechtmäßiges Interesse anerkannt worden ( 43 ). Daher stellt der Schutz der Handelsvertreter eines der in das System der Richtlinie 86/653 aufgenommenen Ziele dar.

61.

Auf die schwächere Position des Handelsvertreters einzugehen dient der Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichts in der Rechtsbeziehung zwischen Handelsvertretern und Unternehmern ( 44 ). Der legislative Eingriff ist somit in solchen Situationen erforderlich, in denen der Gesetzgeber der Auffassung ist, dass ein bedeutendes Marktversagen vorliegt ( 45 ).

62.

Die polnische Regierung und das vorlegende Gericht haben vorgetragen, dass ein solches Versagen auf dem Markt für Handelsvertretungen in Polen vorliege. Sie haben darauf hingewiesen, dass dieser Markt von einer Asymmetrie gekennzeichnet sei, bei der Unternehmer in der Lage seien, den Handelsvertretern Standardverträge anzubieten, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, die Vertragsbedingungen auszuhandeln.

63.

Zwar könnte dies für den polnischen Markt für Handelsvertretungen oder zumindest für diesen Markt im Bereich der Finanzdienstleistungen kennzeichnend sein, doch kann die Richtlinie 86/653 nicht nur so ausgelegt werden, dass sie dem Markt eines Mitgliedstaats dient. Somit kann angenommen werden, dass der Unionsgesetzgeber, hätte er unionsweit eine solche Asymmetrie in der Verhandlungsmacht der Handelsvertreter und der Unternehmer festgestellt, auf diese in geeigneter Weise eingegangen wäre. Denkbar wäre z. B. die Nichtigkeit nicht verhandelter Vertragsbedingungen, die zu einem erheblichen Ungleichgewicht führen. Eine solche Lösung, und es mag weitere geben, würde die Vertragsfreiheit weniger einschränken als eine zwingende Regelung, die den Parteien die Verhandlung über die Provisionsart vorenthält.

64.

Außerdem enthalten, wie die deutsche Regierung ausgeführt hat, die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten Grundsätze, die einen allgemeinen Schutz der Vertragsparteien vorsehen, wenn zwischen ihnen ein erhebliches Ungleichgewicht besteht. Solche Regelungen würden auf Handelsvertreter Anwendung finden, wenn ihnen z. B. eine Provision über Gebühr vorenthalten würde.

65.

Weiterhin ist nicht zu vergessen, dass die Richtlinie 86/653 ein weites Spektrum möglicher geschäftlicher Realitäten regelt, in denen die Interessen sowohl der Handelsvertreter als auch der Unternehmer unterschiedlich sein mögen ( 46 ). Die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 als zwingende Regelung mag in bestimmten Arten von Handelsvertreterbeziehungen nicht zum Nutzen der Handelsvertreter sein. Wäre diese Bestimmung jedoch als zwingend auszulegen, würde sie Handelsvertreter und Unternehmer daran hindern, die Lösung zu finden, die ihrem Vertrag am besten entspricht.

66.

Daher ist die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 als zwingend nicht notwendigerweise dem Schutz der Handelsvertreter dienlich und ist, wie von Bank Handlowy ausgeführt, geeignet, das Funktionieren des Marktes für Handelsvertretungen zu beeinträchtigen. Unternehmer, die in ihrer Kalkulation nicht die Notwendigkeit berücksichtigt haben, die fragliche Provision zu zahlen, könnten auf andere Lösungen zurückgreifen, wie z. B. die Verringerung der Basisprovision, die Beschränkung oder den Ausschluss der Aufwendungen des Handelsvertreters, die vom Unternehmer erstattet werden, oder die Einstellung des Rückgriffs auf Handelsvertreter insgesamt.

67.

Schließlich ist auf den wichtigen Umstand hinzuweisen, dass Handelsvertreter nicht nur durch zwingende Regelungen, sondern auch durch die Rechtssicherheit ( 47 ) geschützt werden, die durch harmonisierte Regelungen herbeigeführt wird ( 48 ). Die Klärung des Charakters von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 wird daher zum Erreichen der mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele beitragen, ob diese Bestimmung nun als zwingend ausgelegt wird oder nicht.

d) Entstehungsgeschichte

68.

Auch die Entstehungsgeschichte von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 spricht dafür, diese Bestimmung als nicht zwingend auszulegen.

69.

Wie die Rechtsprechung zur Richtlinie 86/653 zeigt ( 49 ), hat der Gerichtshof die Entstehungsgeschichte eines Unionsrechtsakts als hilfreich für die Feststellung der Absicht des Unionsgesetzgebers angesehen, die diesem Rechtsakt oder einer darin enthaltenen besonderen Bestimmung zugrunde liegt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die fragliche Bestimmung während des Entscheidungsprozesses eine Änderung erfahren hat, aus der, wie in der vorliegenden Rechtssache, die Absicht des Unionsgesetzgebers abgeleitet werden kann.

70.

Im ursprünglichen Vorschlag der Kommission ( 50 ) erschien Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 86/653 als Entwurf von Art. 12 Abs. 1 ( 51 ). Diese letztere Bestimmung war in einer besonderen Aufstellung zwingender Bestimmungen der vorgeschlagenen Richtlinie enthalten, die in Art. 35 festgelegt war und in der es hieß, dass „[e]ine Vertragsbestimmung … nichtig [ist], mit der die Parteien zum Nachteil des Handelsvertreters von den nachstehenden Vorschriften abweichen“ ( 52 ).

71.

In seiner Stellungnahme zu dem Vorschlag ( 53 ) betonte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss insbesondere, dass der Entwurf von Art. 35 von grundlegender Bedeutung für die gesamte Richtlinie sei, da er bestimme, welche Grenzen dem Willen der am Handelsvertretervertrag beteiligten Parteien gesetzt seien und welches sein Inhalt sein müsse, und dass er daher beibehalten werden müsse.

72.

Demgegenüber war das Europäische Parlament in der ersten Lesung des Vorschlags ( 54 ) der Auffassung, dass die lange Aufzählung von zwingenden Vorschriften im Entwurf von Art. 35 die Richtlinie zu starr machte, und forderte eine Neufassung dieser Bestimmung.

73.

Dementsprechend wurde der Entwurf von Art. 35 im geänderten Vorschlag der Kommission ( 55 ), „[u]m dem Wunsch nach mehr Geschmeidigkeit zu entsprechen, … gekürzt“, wobei mehrere Bestimmungen entfernt wurden. Somit nannte die Aufzählung zwingender Bestimmungen in der geänderten Fassung dieser Vorschrift insbesondere die im Entwurf von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a aufgeführte Provision, jedoch nicht mehr die anderen Buchstaben dieser Bestimmung einschließlich der Provision für Wiederholungsgeschäfte gemäß Buchst. b ( 56 ).

74.

Im Lauf des Entscheidungsprozesses herrschte Einvernehmen über die Streichung der Nennung des Entwurfs von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a aus der Aufzählung der zwingenden Bestimmungen im Entwurf von Art. 35 ( 57 ). Letztendlich wurde die Entscheidung getroffen, den Entwurf von Art. 35 insgesamt zu streichen und stattdessen den zwingenden Charakter der Bestimmungen der vorgeschlagenen Richtlinie in dem jeweiligen Artikel anzugeben ( 58 ). Dieser Ansatz wurde in der endgültigen Fassung der Richtlinie 86/653 beibehalten ( 59 ).

75.

Dementsprechend kann aus der Entfernung der Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 entsprechenden Bestimmung aus der Aufzählung der zwingenden Vorschriften im Entwurf von Art. 35 und aus der Einigung, den zwingenden Charakter der Bestimmungen der Richtlinie im jeweiligen Artikel anzugeben, in Ermangelung eines ausdrücklichen dahin gehenden Hinweises abgeleitet werden, dass es nicht der Absicht des Unionsgesetzgebers entsprach, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 eine zwingende Regelung darstellt ( 60 ).

76.

In dieser Hinsicht überzeugt mich das Vorbringen von Rigall Arteria Management, der polnischen Regierung und der Kommission nicht, die im Wesentlichen die Relevanz der Entstehungsgeschichte der Richtlinie 86/653 wegen der erheblichen Änderungen, die der endgültige Wortlaut dieser Richtlinie gegenüber den Vorschlägen der Kommission erfahren habe, und wegen des Umstands bestreiten, dass der Unionsgesetzgeber in Art. 6 der Richtlinie 86/653 einen anderen Ansatz verfolgt habe, was ihrer Auffassung nach eine Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie als zwingend stützt.

77.

Es trifft zu, dass sich viele Bestimmungen des ursprünglichen und des geänderten Entwurfs der Kommission nicht in der Richtlinie 86/653 wiederfinden. Jedoch enthielten beide Entwürfe Vorschriften, die Art. 6 der Richtlinie 86/653 entsprechen ( 61 ). Außerdem verdrängt oder entkräftet der Umstand, dass der Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 86/653 nicht in diesen Vorschlägen enthalten war, sondern später im Lauf des Entscheidungsprozesses hinzugefügt wurde ( 62 ), nicht die Entscheidung des Unionsgesetzgebers, den zwingenden Charakter der Vorschriften dieser Richtlinie in dem jeweiligen Artikel anzugeben, was in ihrem Art. 7 Abs. 1 Buchst. b nicht erfolgt ist.

e) Zusammenhang

78.

Die vorgeschlagene Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 als nicht zwingend steht im Einklang mit anderen Bestimmungen dieser Richtlinie.

79.

Ausgehend von der Entstehungsgeschichte der Richtlinie 86/653 und wie von Bank Handlowy und der deutschen und der italienischen Regierung ausgeführt, weist das allgemeine System dieser Richtlinie darauf hin, dass die Bestimmungen, von denen die Parteien nicht abweichen dürfen, genau und ausführlich festgelegt sind und ihr zwingender Charakter in dem jeweiligen Artikel ausdrücklich angegeben wird. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Bestimmungen der Richtlinie 86/653 der Fall, die in ihrem Kapitel III enthalten sind, das die Vergütung betrifft, wie in Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 3 und Art. 12 Abs. 3 zu sehen ist. Vergleichbare Bestimmungen sind auch in anderen Kapiteln der Richtlinie 86/653 enthalten ( 63 ).

80.

Dies deutet stark darauf hin, dass es sich bei den Regelungen der Richtlinie 86/653, die nicht ausdrücklich als zwingend vorgesehen sind, grundsätzlich um nicht zwingende Regelungen handelt ( 64 ). Daraus folgt, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 in Ermangelung solcher ausdrücklichen Angaben in dieser Richtlinie als nicht zwingende Regelung anzusehen ist. Wie Bank Handlowy betont hat, erscheint es unlogisch, dass der Unionsgesetzgeber in der Richtlinie 86/653 eine Reihe ausdrücklich als zwingend bezeichneter Bestimmungen festlegen würde, wenn alle Bestimmungen dieser Richtlinie einen zwingenden Charakter hätten.

81.

Rigall Arteria Management, die polnische Regierung und die Kommission haben zugunsten einer Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 als zwingend ein Argument vorgetragen, das sich aus ihrem Art. 6 Abs. 3 ergibt. In dieser Bestimmung heißt es: „Die Artikel 7 bis 12 gelten nicht, soweit der Handelsvertreter nicht ganz oder teilweise in Form einer Provision vergütet wird.“ Daraus schließen sie, dass die Art. 7 bis 12 der Richtlinie 86/653 demgegenüber zwingend Anwendung fänden, wenn die Parteien eine Provision als Form der Vergütung des Handelsvertreters wählten (selbst wenn die Provision nur als Teil der Vergütung gewählt werde). Dies bedeute, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 eine zwingende Bestimmung darstelle, wenn Handelsvertreter durch eine Provision vergütet würden.

82.

Meines Erachtens kann dieses Argument nicht überzeugen. Ich stimme zu, dass Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 86/653 deren Art. 7 zur Anwendung bringt, wenn die Parteien eine Vergütung in Form einer Provision vereinbart haben. Jedoch macht der Umstand, dass letztere Bestimmung anwendbar ist, diese nicht zu einer zwingenden Regelung.

83.

Außerdem erscheint, wie Bank Handlowy ausgeführt hat, wenn Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 86/653 den Parteien ausdrücklich gestattet, eine Provision als Form der Vergütung des Handelsvertreters gänzlich auszuschließen, auch der Ausschluss einer Art der Provision wie der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehenen erlaubt.

84.

Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 86/653 legt daher nahe, dass die Parteien des Handelsvertretervertrags frei entscheiden können, wie sie die Vergütung des Handelsvertreters regeln, und dass sie, wenn sie eine Provision wählen, auf die Regelungen der Art. 7 bis 12 der Richtlinie 86/653 zurückgreifen können. Dies schließt die Modellregelungen im Hinblick auf die möglichen Provisionsarten ein, die in Art. 7 Abs. 1 dargelegt sind.

85.

Die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 als nicht zwingend steht daher nicht im Widerspruch zu deren Art. 6 Abs. 3.

86.

Weiterhin hat Rigall Arteria Management zur Stützung des zwingenden Charakters von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 ein auf deren Art. 17 bis 19 beruhendes Argument vorgebracht, dem zufolge es den Betrag des Ausgleichs und des Schadensersatzes beeinflussen könnte, auf die Handelsvertreter auf der Grundlage von Art. 17 der Richtlinie bei Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch hätten, wenn der Anspruch auf Provision für Wiederholungsgeschäfte nicht zwingend wäre. Da Art. 19 der Richtlinie 86/653 Abweichungen von deren Art. 17 und 18 zum Nachteil des Handelsvertreters verbietet, lautet das Vorbringen im Wesentlichen, die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie als nicht zwingend würde den semi-zwingenden Charakter der Art. 17 und 18 der Richtlinie berühren ( 65 ).

87.

Dieses Vorbringen überzeugt nicht. Erstens wird die Bestimmung des in den Art. 17 und 18 der Richtlinie 86/653 vorgesehenen Ausgleichs und Schadensersatzes, wie in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt ( 66 ), auf der Grundlage aller relevanten Umstände jedes individuellen Handelsvertreterverhältnisses beurteilt und hängt nicht ausschließlich von der dem Handelsvertreter entgangenen Provision ab. Zweitens wird, selbst wenn die Höhe der Provision, die ein Handelsvertreter durchschnittlich verdient, die Höhe des Schadensersatzes beeinflussen kann, auf den er nach der Beendigung des Vertrags Anspruch hat, dadurch weder der semi-zwingende Charakter der Art. 17 und 18 der Richtlinie 86/653 berührt noch spricht es für einen zwingenden Charakter von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie.

88.

Die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 als nicht zwingend steht daher nicht im Widerspruch zu deren Art. 17 bis 19.

89.

Schließlich machen Rigall Arteria Management, die polnische Regierung und die Kommission geltend, es sei unlogisch, wenn der Unionsgesetzgeber bestimmte Bedingungen bezüglich des Provisionsanspruchs der Vereinbarung zwischen den Parteien unterwerfe, andere, wie etwa die Regelungen bezüglich des Erlöschens des Provisionsanspruchs des Handelsvertreters in Art. 11 der Richtlinie 86/653, jedoch nicht.

90.

Erstens ist darauf hinzuweisen, dass die Frage des Zeitpunkts des Entstehens des Provisionsanspruchs oder seines Erlöschens nur von Bedeutung ist, wenn zunächst ein Provisionsanspruch bestanden hat. Es besteht kein Grund, eine Art der Provision als zwingend zu gestalten, nur weil andere zwingende Regelungen über das Erlöschen des Provisionsanspruchs bestehen, wenn dieser vereinbart worden ist.

91.

Zweitens war der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung ( 67 ) der Auffassung, dass Art. 7 der Richtlinie 86/653 im Licht der Art. 10 und 11 dieser Richtlinie auszulegen ist, die Regelungen festlegen, die allgemein den Zeitpunkt der Entstehung und das Erlöschen des Provisionsanspruchs des Handelsvertreters betreffen. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass der zwingende Charakter von Art. 7 der Richtlinie 86/653 in dieser Rechtsprechung nicht in Rede stand. Außerdem enthalten letztere Bestimmungen in Art. 10 Abs. 4 und Art. 11 Abs. 3 dieser Richtlinie ausdrücklich die Vorgabe, dass es den Parteien verboten ist, von den relevanten Regelungen zum Nachteil des Handelsvertreters abzuweichen. Dies ist bei ihrem Art. 7 Abs. 1 Buchst. b nicht der Fall.

92.

Die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 als nicht zwingend steht daher nicht im Widerspruch zu deren Art. 10 oder 11.

93.

Bevor ich zum Ergebnis komme, sei hinzugefügt, dass eine Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 als nicht zwingend nach den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen mit dem Ansatz übereinstimmen würde, der im Recht und der Rechtsprechung mehrerer Mitgliedstaaten einschließlich Deutschlands ( 68 ), Italiens, Österreichs, Polens ( 69 ) und anderer ( 70 ) verfolgt worden ist. Eine solche Auslegung wird auch durch eine Reihe wissenschaftlicher Veröffentlichungen ( 71 ) einschließlich solcher bestimmter Forschungsgruppen gestützt, die sich mit dem Europäischen Privatrecht befassen ( 72 ).

94.

Dementsprechend bin ich aus den oben dargelegten Gründen der Auffassung, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 als nicht zwingende Regelung auszulegen ist, die demnach von den Parteien des Handelsvertretervertrags geändert oder ausgeschlossen werden kann.

V. Ergebnis

95.

Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ist dahin auszulegen, dass der in dieser Bestimmung genannte Anspruch des Handelsvertreters auf Provision vertraglich geändert oder ausgeschlossen werden kann.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) ABl. 1986, L 382, S. 17.

( 3 ) Vgl. z. B. Saintier, S., und Scholes J., Commercial Agents and the Law, Routledge, London, 2005, S. 116 bis 118; Singleton, S., Commercial Agency Agreements: Law and Practice, Fünfte Auflage, Bloomsbury Professional, London, 2020, S. 99.

( 4 ) Ustawa z dnia 23 kwietnia 1964 r. Kodeks cywilny (Gesetz vom 23. April 1964, Zivilgesetzbuch) (Dz. U. 2019, Pos. 1145, in geänderter Fassung) (im Folgenden: Zivilgesetzbuch).

( 5 ) Mit Handelsvertreterverträgen begründen der selbständige Handelsvertreter und der Unternehmer eine dauerhafte Beziehung. Der Handelsvertreter hat die Aufgabe, für den Unternehmer Kunden zu finden, mit ihnen zu verhandeln und wenn möglich den Abschluss von Handelsgeschäften zwischen dem Unternehmer und den entsprechenden Kunden zu ermöglichen. Vgl. Richtlinie 86/653, insbesondere Art. 1 Abs. 2 und Art. 3. Eine solche Beschreibung der Aufgaben des Vertreters beruht auf den konkreten Geschäftsbeziehungen, wie sie sich im realen wirtschaftlichen Zusammenhang darstellen. Vgl. dazu Urteil vom 12. Dezember 1996, Kontogeorgas (C‑104/95, EU:C:1996:492, Rn. 26).

( 6 ) Für eine Analyse der Richtlinie 86/653 vgl. Saintier, S., „Commercial agency in European Union private law“, in Twigg-Flesner, C. (Hrsg.), The Cambridge Companion to European Union Private Law, Cambridge University Press, Cambridge, 2010, S. 273 bis 285; vgl. auch die Zitate in den Fn. 3 und 71 dieser Schlussanträge. Für eine weiter gefasste Erörterung vgl. z. B. Jansen, N., und Zimmermann, R., Commentaries on European Contract Laws, Oxford University Press, Oxford, 2018, S. 587 bis 594.

( 7 ) Gemäß Art. 2 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Richtlinie 86/653 ist diese Richtlinie nicht auf Handelsvertreter anzuwenden, die für ihre Tätigkeit kein Entgelt erhalten.

( 8 ) Die Richtlinie 86/653 wurde erlassen, bevor die Vorgängerbestimmung des nunmehrigen Art. 114 AEUV durch die Einheitliche Europäische Akte, die am 1. Juli 1987 in Kraft trat, in den Vertragsrahmen aufgenommen wurde. Sie beruhte auf Art. 57 Abs. 2 und Art. 100 EWG (nunmehr Art. 53 Abs. 1 und Art. 115 AEUV).

( 9 ) Vgl. z. B. Ratsdokument 7251/1/83 REV 1, 14. Juni 1983; Ratsdokument 9274/84, 19. September 1984; Ratsdokument 7242/85, 6. Juni 1985. Vgl. dazu auch Lando, O., „The EEC Draft Directive Relating to Self-Employed Commercial Agents: The English Law Commission versus the EC Commission“, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht/The Rabel Journal of Comparative and International Private Law, Bd. 44, 1980, S. 1.

( 10 ) Es liegen bereits ungefähr 20 Urteile des Gerichtshofs vor, die auf Vorlagen zur Vorabentscheidung nationaler Gerichte zur Richtlinie 86/653 zurückgehen. Trotz der mangelnden Klarheit des Textes dieser Richtlinie hat die Kommission jedoch festgestellt, die Richtlinie 86/653 sei ein Erfolg gewesen, da sich die Anzahl der grenzüberschreitenden Handelsvertretungsgeschäfte erhöht habe. Vgl. dazu Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen, Evaluation of Directive 86/653 (REFIT Evaluation), SWD(2015) 146 final, vom 16. Juli 2015 (im Folgenden: REFIT‑Bericht).

( 11 ) Es ist beachtenswert, dass, obwohl mit dem Abschluss der in Rede stehenden Handelsvertreterverträge bereits vor dem Datum des Beitritts Polens zur Union am 1. Mai 2004 begonnen wurde (vgl. Nr. 6 dieser Schlussanträge), in der vorliegenden Rechtssache vor dem Gerichtshof keine Fragen zur zeitlichen Anwendbarkeit der Richtlinie 86/653 gestellt worden sind. Jedenfalls scheint dies im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs angesichts dessen nicht problematisch, dass die Rechtswirkungen dieser Handelsvertreterverträge nach diesem Datum fortgewirkt haben. Vgl. dazu Urteil vom 3. Juli 2019, UniCredit Leasing (C‑242/18, EU:C:2019:558, Rn. 32). In der Tat hat der Gerichtshof diese Frage im Kontext der Richtlinie 86/653 in seiner Rechtsprechung, die Sachverhalte betraf, die sich während eines Zeitraums ereignet haben, in den der Beitritt fiel, nicht aufgeworfen. Vgl. Urteil vom 17. Oktober 2013, Unamar (C‑184/12, EU:C:2013:663, Rn. 20); vgl. dazu auch Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Centrosteel (C‑456/98, EU:C:2000:137, Nrn. 21 bis 25).

( 12 ) Vgl. dazu Beschluss vom 6. März 2003, Abbey Life Assurance (C‑449/01, nicht veröffentlicht, EU:C:2003:133, Rn. 13 bis 20) (betreffend Lebensversicherungs‑, Rentenversicherungs- und Sparverträge), sowie Urteile vom 3. Dezember 2015, Quenon K. (C‑338/14, EU:C:2015:795, Rn. 16) (betreffend Bank- und Versicherungsdienstleistungen), und vom 17. Mai 2017, ERGO Poist’ovňa (C‑48/16, EU:C:2017:377, Rn. 28) (betreffend Versicherungsverträge).

( 13 ) Zur ersten Rechtssache, die diese gefestigte Rechtsprechung begründet hat, vgl. Urteil vom 18. Oktober 1990, Dzodzi (C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 36 bis 43).

( 14 ) Vgl. dazu Urteile vom 16. März 2006, Poseidon Chartering (C‑3/04, EU:C:2006:176, Rn. 11 bis 19), vom 28. Oktober 2010, Volvo Car Germany (C‑203/09, EU:C:2010:647, Rn. 23 bis 28), vom 17. Oktober 2013, Unamar (C‑184/12, EU:C:2013:663, Rn. 30 und 31), vom 3. Dezember 2015, Quenon K. (C‑338/14, EU:C:2015:795, Rn. 17 bis 19), und vom 17. Mai 2017, ERGO Poist’ovňa (C‑48/16, EU:C:2017:377, Rn. 29 bis 32). Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Tanchev in der Rechtssache The Software Incubator (C‑410/19, EU:C:2020:1061, Nr. 45 und Fn. 39).

( 15 ) Vgl. z. B. Urteile vom 12. Dezember 2019, G.S. und V.G. (Gefährdung der öffentlichen Ordnung) (C‑381/18 und C‑382/18, EU:C:2019:1072, Rn. 43), und vom 30. Januar 2020, I.G.I. (C‑394/18, EU:C:2020:56, Rn. 48). Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Pikamäe in der Rechtssache Deutsche Post u. a. (C‑203/18 und C‑374/18, EU:C:2019:502, Nrn. 43 bis 62), Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache J & S Service (C‑620/19, EU:C:2020:649, Nrn. 27 bis 96) und meine Schlussanträge in der Rechtssache BALTIJAS STARPTAUTISKĀ AKADĒMIJA und STOCKHOLM SCHOOL OF ECONOMICS IN RIGA (C‑164/21 und C‑318/21, EU:C:2022:333, Nrn. 57 bis 64).

( 16 ) Vgl. z. B. Hesselink, M.W., „Non-Mandatory Rules in European Contract Law“, European Review of Contract Law, Bd. 1, 2005, S. 44; Grigoleit, H.C., „Mandatory Law (Fundamental Regulatory Principles)“, in Basedow, J., u. a., Max Planck Encyclopedia of European Private Law, Oxford University Press, Oxford, 2012.

( 17 ) Vgl. dazu Hesselink, zitiert in Fn. 16 dieser Schlussanträge, S. 56 bis 61.

( 18 ) Vgl. dazu Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache Ingmar (C‑381/98, EU:C:2000:230, Nrn. 81 bis 91) und Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Agro Foreign Trade & Agency (C‑507/15, EU:C:2016:809, Nrn. 36 und 37).

( 19 ) Vgl. Richtlinie 86/653, Art. 5 („Die Parteien dürfen keine Vereinbarungen treffen, die von den Artikeln 3 und 4 abweichen.“), Art. 13 Abs. 1 („Dieser Anspruch kann nicht ausgeschlossen werden.“).

( 20 ) Vgl. Richtlinie 86/653, Art. 15 Abs. 2 („Kürzere Fristen dürfen die Parteien nicht vereinbaren.“).

( 21 ) Vgl. Richtlinie 86/653, Art. 10 Abs. 4 („Von den Absätzen 2 und 3 darf nicht durch Vereinbarung zum Nachteil des Handelsvertreters abgewichen werden.“), Art. 11 Abs. 3 („Von Absatz 1 darf nicht durch Vereinbarung zum Nachteil des Handelsvertreters abgewichen werden.“), Art. 12 Abs. 3 („Von den Absätzen 1 und 2 darf nicht durch Vereinbarung zum Nachteil des Handelsvertreters abgewichen werden.“).

( 22 ) Vgl. Richtlinie 86/653, Art. 19 („Die Parteien können vor Ablauf des Vertrages keine Vereinbarungen treffen, die von Artikel 17 und 18 zum Nachteil des Handelsvertreters abweichen.“).

( 23 ) Vgl. Richtlinie 86/653, Art. 6 Abs. 1 („Bei Fehlen einer diesbezüglichen Vereinbarung zwischen den Parteien …“), Art. 15 Abs. 5 („Sofern die Parteien nicht etwas anderes vereinbart haben …“).

( 24 ) Zusätzlich zu Art. 7 der Richtlinie 86/653 ist dies z. B. auch im Hinblick auf deren Art. 8, 9 und 10 Abs. 1 der Fall.

( 25 ) Hervorhebung nur hier. Das Wort „oder“ findet in anderen Sprachfassungen der Richtlinie 86/653 Verwendung, wie etwa im englischen, spanischen, französischen, kroatischen, italienischen, portugiesischen und slowenischen Wortlaut.

( 26 ) Es sei darauf hingewiesen, dass das Wort „oder“ in anderen Bestimmungen der Richtlinie 86/653 Verwendung findet, von denen keine als zwingend oder semi-zwingend angegeben wird. Vgl. Richtlinie 86/653, Art. 7 Abs. 2; vgl. auch deren Art. 8 und 10 Abs. 1, die dahin ausgelegt werden können, dass sie eine nicht zwingende offene Modellregelung festlegen. Demgegenüber verwenden bestimmte, in der Richtlinie 86/653 ausdrücklich als zwingend angegebene Bestimmungen das Wort „und“: vgl. Richtlinie 86/653, Art. 11 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 Buchst. a; vgl. auch Art. 17 Abs. 3, in dem es „und/oder“ heißt.

( 27 ) Was die Schwierigkeiten betrifft, denen sich der Gesetzgeber gegenübersieht, wenn er den besten Inhalt nicht zwingender Bestimmungen sucht, vgl. Hesselink, zitiert in Fn. 16 dieser Schlussanträge, S. 77 bis 83. Dazu stellt die soziologische Methode eine Methode zur Auffindung einer angemessenen Regelung dar; sie berücksichtigt die für bestimmte Vertragsarten bestehende Praxis. Die Entscheidung des Gesetzgebers kann auch sein Verständnis davon widerspiegeln, welche Art der Regelung wirtschaftlich am effizientesten ist oder welche Regelung in typischen Situationen einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Parteien herstellt.

( 28 ) Im Hinblick auf die Bedeutung nicht zwingender Bestimmungen für die Ersparnis von Transaktionskosten vgl. z. B. Hesselink, zitiert in Fn. 16 dieser Schlussanträge, S. 46; Storme, M.E., „Freedom of Contract: Mandatory and Non-Mandatory Rules in European Contract Law“, European Review of Private Law, Bd. 15, 2007, S. 233 ff., S. 237 bis 238.

( 29 ) Aus demselben Grund kann Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 nicht – wie von Rigall Arteria Management und der polnischen Regierung geltend gemacht – als semi-zwingende Regelung angesehen werden, die es den Parteien nur gestattet, zugunsten des Handelsvertreters von ihr abzuweichen. Wie ich dargelegt habe, stellt die Möglichkeit nach dieser Bestimmung nur eine der Optionen dar, die Provision des Handelsvertreters zu regeln.

( 30 ) Vgl. als das bekannteste Beispiel Urteil vom 12. Juli 2005, Kommission/Frankreich (C‑304/02, EU:C:2005:444, Rn. 83), in dem der Gerichtshof der Auffassung war, dass das Wort „oder“ im vormaligen Art. 228 Abs. 2 EG (nunmehr Art. 260 Abs. 2 AEUV) der Kumulierung eines Pauschalbetrags und eines Zwangsgelds wegen derselben Verletzung des Unionsrechts durch einen Mitgliedstaat nicht entgegensteht.

( 31 ) Wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung festgestellt hat, sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Vgl. z. B. Urteil vom 16. Februar 2017, Agro Foreign Trade & Agency (C‑507/15, EU:C:2017:129, Rn. 27).

( 32 ) Vgl. z. B. Urteile vom 25. Mai 2016, Meroni (C‑559/14, EU:C:2016:349, Rn. 45), und vom 21. Dezember 2021, Bank Melli Iran (C‑124/20, EU:C:2021:1035, Rn. 70).

( 33 ) Vgl. z. B. Urteil vom 21. Dezember 2021, Bank Melli Iran (C‑124/20, EU:C:2021:1035, Rn. 79). Wie in den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte ausgeführt, kodifiziert Art. 16 der Charta die Rechtsprechung des Gerichtshofs, die bereits anerkennt, dass die Vertragsfreiheit Teil des Unionsrechts ist. Vgl. z. B. Urteile vom 5. Oktober 1999, Spanien/Kommission (C‑240/97, EU:C:1999:479, Rn. 99), und vom 18. Juli 2007, Société thermale d'Eugénie-Les-Bains (C‑277/05, EU:C:2007:440, Rn. 28); vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Thelen Technopark Berlin (C‑261/20, EU:C:2021:620, Nrn. 75 bis 84).

( 34 ) Vgl. Nr. 17 dieser Schlussanträge. Gemäß der Bewertung der Richtlinie 86/653 durch die Kommission aus dem Jahr 2015 sind die meisten Handelsvertreter kleine und mittlere Unternehmen (im Folgenden: KMU) oder Einzelunternehmer, während auch die meisten Unternehmer KMU sind. Vgl. REFIT‑Bericht, zitiert in Fn. 10 dieser Schlussanträge, Nrn. 3.2.3 und 6.

( 35 ) Gemäß Art. 52 Abs. 1 der Charta können Einschränkungen der Ausübung der in der Charta verankerten Rechte erlassen werden, solange die Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten und im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Vgl. z. B. Urteil vom 21. Dezember 2021, Bank Melli Iran (C‑124/20, EU:C:2021:1035, Rn. 83).

( 36 ) Vgl. z. B. Urteile vom 3. Dezember 2015, Quenon K. (C‑338/14, EU:C:2015:795, Rn. 23), vom 16. Februar 2017, Agro Foreign Trade & Agency (C‑507/15, EU:C:2017:129, Rn. 29), und vom 16. September 2021, The Software Incubator (C‑410/19, EU:C:2021:742, Rn. 48).

( 37 ) Die Erwägungsgründe 2 und 3 der Richtlinie 86/653 lauten wie folgt:

„Die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Handelsvertretungen beeinflussen die Wettbewerbsbedingungen und die Berufsausübung innerhalb der Gemeinschaft spürbar und beeinträchtigen den Umfang des Schutzes der Handelsvertreter in ihren Beziehungen zu ihren Unternehmern sowie die Sicherheit im Handelsverkehr. Diese Unterschiede erschweren im Übrigen auch erheblich den Abschluss und die Durchführung von Handelsvertreterverträgen zwischen einem Unternehmer und einem Handelsvertreter, die in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen sind.

Der Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten muss unter Bedingungen erfolgen, die denen eines Binnenmarktes entsprechen, weswegen die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in dem zum guten Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlichen Umfang angeglichen werden müssen. Selbst vereinheitlichte Kollisionsnormen auf dem Gebiet der Handelsvertretung können die erwähnten Nachteile nicht beseitigen und lassen daher einen Verzicht auf die vorgeschlagene Harmonisierung nicht zu.“

( 38 ) Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Dänemark (g. U. Feta) (C‑159/20, EU:C:2022:198, Nr. 64).

( 39 ) Vgl. dazu REFIT‑Bericht, zitiert in Fn. 10 dieser Schlussanträge, Nr. 3.1.

( 40 ) Die Bedeutung des mit der Richtlinie 86/653 verfolgten Binnenmarktziels ist vom Gerichtshof bestätigt worden. Vgl. z. B. Urteil vom 30. April 1998, Bellone (C‑215/97, EU:C:1998:189, Rn. 17), in dem der Gerichtshof im Zusammenhang mit der Feststellung, dass nationale Bestimmungen über die Registrierung von Handelsvertreterverträgen mit dieser Richtlinie unvereinbar waren, festgestellt hat, dass diese Bestimmungen „auch den Abschluss und die Durchführung von Handelsvertreterverträgen zwischen Parteien in verschiedenen Mitgliedstaaten [erheblich erschweren]“.

( 41 ) Vgl. dazu fünfter Erwägungsgrund der Richtlinie 86/653, der auf die „Grundsätze“ der Vorgängervorschrift des nunmehrigen Art. 151 AEUV betreffend die Sozialpolitik verweist, soweit es darum geht, „[d]ie in den Mitgliedstaaten für Handelsvertreter geltenden Vorschriften … zu harmonisieren“.

( 42 ) Die Möglichkeit oder sogar die Pflicht des Unionsgesetzgebers, beim Erlass von Regelungen für die Angleichung des nationalen Rechts zur Gewährleistung der Errichtung und des Funktionierens des Binnenmarkts die unterschiedlichen Bedenken (einschließlich solcher Fragenkreise, für deren Harmonisierung die Union keine selbständige Zuständigkeit hat) zu berücksichtigen, ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu der Vorgängerbestimmung des nunmehrigen Art. 114 AEUV bestätigt worden. Vgl. u. a. Urteil vom 5. Oktober 2000, Deutschland/Parlament und Rat (Tabakwerbung) (C‑376/98, EU:C:2000:544), oder, in jüngerer Zeit, Urteile vom 4. Mai 2016, Polen/Parlament und Rat (C‑358/14, EU:C:2016:323), und vom 4. Mai 2016, Philip Morris Brands u. a. (C‑547/14, EU:C:2016:325).

( 43 ) Vgl. dazu Urteile vom 17. Januar 2008, Chevassus-Marche (C‑19/07, EU:C:2008:23, Rn. 22), vom 19. April 2018, CMR (C‑645/16, EU:C:2018:262, Rn. 33), und vom 17. Mai 2017, ERGO Poist’ovňa (C‑48/16, EU:C:2017:377, Rn. 41). Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache Honyvem Informazioni Commerciali (C‑465/04, EU:C:2005:641, Nr. 31).

( 44 ) Vgl. dazu Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache ERGO Poist’ovňa (C‑48/16, EU:C:2017:15, Nrn. 36 und 37).

( 45 ) Vgl. dazu Weatherill, S., „Why Object to the Harmonization of Private Law by the EC?“, European Review of Private Law, Bd. 12, 2004, S. 633 ff., S. 635. Vgl. auch Zamir, E., und Ayres, I., „A Theory of Mandatory Rules: Typology, Policy, and Design“, Texas Law Review, Bd. 99, 2020, S. 283 ff., S. 292.

( 46 ) Vgl. dazu Urteil vom 4. Juni 2020, Trendsetteuse (C‑828/18, EU:C:2020:438, Rn. 30).

( 47 ) Vgl. dazu Urteil vom 26. März 2009, Semen (C‑348/07, EU:C:2009:195, Rn. 31).

( 48 ) Für Auffassungen, die bestätigen, dass eine Harmonisierung auch durch nicht zwingende Regelungen verfolgt werden kann, vgl. z. B. Hesselink, zitiert in Fn. 16 dieser Schlussanträge; Storme, zitiert in Fn. 28 dieser Schlussanträge; Gutman, K., The Constitutional Foundations of European Contract Law: A Comparative Analysis, Oxford University Press, Oxford, 2014.

( 49 ) Vgl. dazu Urteile vom 30. April 1998, Bellone (C‑215/97, EU:C:1998:189, Rn. 11 und 16), und vom 28. Oktober 2010, Volvo Car Germany (C‑203/09, EU:C:2010:647, Rn. 40); Beschluss vom 6. März 2003, Abbey Life Assurance (C‑449/01, nicht veröffentlicht, EU:C:2003:133, Rn. 15). Vgl. u. a. auch Schlussanträge des Generalanwalts Wahl in der Rechtssache Quenon K. (C‑338/14, EU:C:2015:503, Nr. 39) und Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Agro Foreign Trade & Agency (C‑507/15, EU:C:2016:809, Nrn. 48 bis 54).

( 50 ) Vgl. Kommission, Gleiche Rechte für Handelsvertreter. Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechte der Mitgliedstaaten die (selbständigen) Handelsvertreter betreffend, KOM(76) 670, 13. Dezember 1976 (im Folgenden: Vorschlag).

( 51 )

( 52 ) Vgl. Vorschlag, zitiert in Fn. 50 dieser Schlussanträge, Entwurf von Art. 35 Abs. 1, S. 16, und Begründung, S. 25 bis 26.

( 53 ) Vgl. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechte der Mitgliedstaaten die (selbständigen) Handelsvertreter betreffend, 24. November 1977 (ABl. 1978, C 59, S. 31), Nrn. 2.9.6 bis 2.9.8.

( 54 ) Vgl. Europäisches Parlament, Bericht über den Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Dokument 514/76) für eine Richtlinie zur Koordinierung der Rechte der Mitgliedstaaten die (selbständigen) Handelsvertreter betreffend, Begründung, Dokument 222/78, 27. Juli 1978, Nrn. 110 und 111, und Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Richtlinie zur Koordinierung der Rechte der Mitgliedstaaten, die (selbständigen) Handelsvertreter betreffend, 12. September 1978 (ABl. 1978, C 239, S. 18), Nr. 17.

( 55 ) Vgl. Kommission, Änderung des Vorschlags einer Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechte der Mitgliedstaaten die (selbständigen) Handelsvertreter betreffend, KOM(78) 773 endg., 22. Januar 1979 (im Folgenden: geänderter Vorschlag), Begründung, S. 8 bis 9, und Entwurf von Art. 35 Abs. 1, S. 21.

( 56 ) Im geänderten Vorschlag der Kommission blieb der Entwurf von Art. 12 Abs. 1 unverändert, abgesehen von Buchst. b, der wie folgt geändert wurde: „wenn das Geschäft mit einem Dritten abgeschlossen wurde, den der Handelsvertreter bereits früher für Geschäfte gleicher Art als Kunden geworben hatte…“. Vgl. geänderter Vorschlag, zitiert in Fn. 55 dieser Schlussanträge, Begründung, S. 4, und Entwurf von Art. 12 Abs. 1, S. 10 bis 11.

( 57 ) Vgl. dazu Ratsdokument 6877/80, 6. Mai 1980, S. 16. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Mehrheit der Delegationen der Mitgliedstaaten, wie in bestimmten früher herausgegebenen Dokumenten der Organe ausgeführt, den nicht zwingenden Charakter des Entwurfs von Art. 12 befürwortete, während die Kommission der Auffassung war, dass er gegebenenfalls vorbehaltlich von Abweichungen einen zwingenden Charakter habe. Vgl. Ratsdokument 7527/81, 23. Juni 1981, S. 4. Danach schien im Zuge der Streichung des Entwurfs von Art. 35 die Mehrheit der Delegationen der Mitgliedstaaten die Nennung des Entwurfs von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a als zwingend zu befürworten. Vgl. z. B. Ratsdokument 7381/83, 9. Juni 1983, S. 8 Fn. 4; Ratsdokument 7379/86, 4. Juni 1986, S. 8 Fn. 6. Dies wurde jedoch in der endgültigen Fassung der Richtlinie 86/653 nicht aufgegriffen.

( 58 ) Vgl. dazu Ratsdokument 5442/82, 10. März 1982, S. 2, Ratsdokument 7013/83, 18. Mai 1983, S. 5, Ratsdokument 7778/83, 17. Juni 1983, S. 9, Ratsdokument 7379/86, 4. Juni 1986, S. 22.

( 59 ) Außerdem wurde damals von bestimmten Mitgliedstaaten (namentlich von Dänemark, mit Unterstützung Deutschlands, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland) vorgeschlagen, in den Richtlinienvorschlag eine Bestimmung zur Bestätigung der Vertragsfreiheit einzufügen und so klarzustellen, dass es den Parteien, wenn eine Bestimmung der vorgeschlagenen Richtlinie nicht als zwingend bezeichnet wurde, freistand, von ihr abzuweichen. Dieser Vorschlag wurde im endgültigen Wortlaut nicht aufgegriffen. Vgl. dazu Ratsdokument 7013/83, 18. Mai 1983, S. 5, Ratsdokument 7251/1/83 REV 1, 14. Juni 1983, S. 7.

( 60 ) In Hinblick auf den historischen Zusammenhang der Richtlinie 86/653 ist darauf hinzuweisen, dass das Benelux-Übereinkommen über die Handelsvertretung, das am 26. November 1973 in Den Haag unterzeichnet wurde, jedoch mangels Ratifizierung durch das Königreich Belgien und das Großherzogtum Luxemburg nicht in Kraft getreten ist, die Grundlage für die Erörterungen im Lauf des Entscheidungsprozesses darstellte, die diese Richtlinie betrafen. Art. 5 Abs. 1 dieses Übereinkommens, der dem Entwurf von Art. 12 Abs. 1 des ursprünglichen und des geänderten Vorschlags der Kommission vergleichbar war, wurde nicht in der besonderen Aufzählung der zwingenden Bestimmungen genannt, die in Art. 19 des Übereinkommens enthalten war.

( 61 ) Vgl. Vorschlag, zitiert in Fn. 50 dieser Schlussanträge, Entwurf von Art. 11, S. 10, und Begründung, S. 20. Der Entwurf von Art. 11 Abs. 1 entspricht weitgehend Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 86/653, und der Entwurf von Art. 11 Abs. 2 entspricht weitgehend Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 86/653; der Entwurf von Art. 11 Abs. 3, der nicht in der Richtlinie 86/653 enthalten ist, lautete: „Handelsvertreterverträge, die den Vergütungsanspruch der Handelsvertreter ausschließen, sind nichtig.“ Vgl. auch geänderter Vorschlag, zitiert in Fn. 55 dieser Schlussanträge, Begründung, S. 3, und Entwurf von Art. 11, S. 10 (der einen Verweis auf Naturalleistungen als Vergütung hinzufügte und die Reihenfolge bestimmter Absätze umstrukturierte).

( 62 ) Vgl. dazu Ratsdokument 9253/80, 13. August 1980, S. 11 (erste Lesung), Ratsdokument 7527/81, 23. Juni 1981, S. 3 (zweite Lesung), Ratsdokument 7348/82, 2. Juni 1982, S. 11 bis 12 (dritte Lesung). Tatsächlich scheint, wie in bestimmten Dokumenten der Organe ausgeführt, der Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 86/653 aus bestimmten Änderungsvorschlägen des Königreichs Belgien und der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Entwürfe der Art. 12 und 13 (die den Art. 7 und 8 der Richtlinie 86/653 entsprechen) zu stammen. Vgl. Ratsdokument 6877/80, 6. Mai 1980, S. 15 und 19.

( 63 ) Vgl. Richtlinie 86/653, Art. 5, Art. 13 Abs. 1, Art. 15 Abs. 2 und Art. 19.

( 64 ) Vgl. dazu Schlussanträge des Generalanwalts Cosmas in der Rechtssache Kontogeorgas (C‑104/95, EU:C:1996:274, Nr. 23, Fn. 13).

( 65 ) Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof seine Feststellungen zum zwingenden Charakter der Art. 17 und 18 der Richtlinie 86/653 auf die ausdrückliche Bestimmung ihres Art. 19 gestützt hat, der eine Abweichung von diesen Bestimmungen zum Nachteil des Handelsvertreters verbietet. Vgl. Urteil vom 9. November 2000, Ingmar (C‑381/98, EU:C:2000:605, insbesondere Rn. 21 bis 24); vgl. dazu auch Urteile vom 17. Oktober 2013, Unamar (C‑184/12, EU:C:2013:663, Rn. 40), und vom 19. April 2018, CMR (C‑645/16, EU:C:2018:262, Rn. 32 und 34 bis 36).

( 66 ) Vgl. im Hinblick auf Art. 17 der Richtlinie 86/653, Urteile vom 26. März 2009, Semen (C‑348/07, EU:C:2009:195, Rn. 19 und 20), vom 28. Oktober 2010, Volvo Car Germany (C‑203/09, EU:C:2010:647, Rn. 44), vom 3. Dezember 2015, Quenon K. (C‑338/14, EU:C:2015:795, Rn. 28), und vom 7. April 2016, Marchon Germany (C‑315/14, EU:C:2016:211, Rn. 27). Vgl. auch Kommission, Bericht über die Anwendung von Artikel 17 der Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (86/653/EWG), KOM(96) 364 endg., 23. Juli 1996, insbesondere S. 2 bis 4.

( 67 ) Vgl. dazu Urteile vom 17. Januar 2008, Chevassus-Marche (C‑19/07, EU:C:2008:23, Rn. 17 bis 21), und vom 17. Mai 2017, ERGO Poist’ovňa (C‑48/16, EU:C:2017:377, Rn. 40).

( 68 ) Wie von der deutschen Regierung ausgeführt, hat die deutsche Rechtsprechung bestätigt, dass den Bestimmungen des deutschen Gesetzes zur Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 kein zwingender Charakter zuerkannt wird.

( 69 ) Dazu machen Rigall Arteria Management und Bank Handlowy geltend, die herrschende Meinung in der polnischen Rechtsprechung sei, dass Art. 761 § 1 des Zivilgesetzbuchs nicht zwingend sei, wobei Rigall Arteria Management aber darauf hinweist, dass die Meinungen in der wissenschaftlichen Literatur geteilt seien, und die polnische Regierung betont, der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) werde, wie im Vorlagebeschluss ausgeführt, in der vorliegenden Rechtssache zum ersten Mal über die Frage entscheiden.

( 70 ) Es ist darauf hinzuweisen, dass Rigall Arteria Management in ihren schriftlichen Erklärungen drei Mitgliedstaaten (Deutschland, Österreich und Polen), in denen die relevanten nationalen Vorschriften zur Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 offenbar als nicht zwingend angesehen werden, und einen Mitgliedstaat (Belgien) nennt, in dem sie offenbar zwingend sind, während Bank Handlowy sieben Mitgliedstaaten (die Tschechische Republik, Deutschland, Italien, Österreich, Polen, Finnland und Schweden) anführt, in denen solche Vorschriften offenbar als nicht zwingend angesehen werden. Vgl. dazu ferner Bogaert, G., und Lohmann, U. (Hrsg.), Commercial Agency and Distribution Agreements: Law and Practice in the Member States of the European Union, Dritte Auflage, Kluwer, Den Haag, 2000, S. 67 bis 676.

( 71 ) In weiten Teilen der wissenschaftlichen Literatur werden die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653 festgelegten Regelungen als nicht zwingend angesehen. Vgl. z. B. Crahay, P., „La directive européenne relative aux agents commerciaux indépendents“, Tijdschrift voor Belgisch Handelsrecht/Revue de droit commercial belge, Bd. 10, 1987, S. 564 ff., S. 576 bis 580; Saintier und Scholes, zitiert in Fn. 3 dieser Schlussanträge, S. 109 und 115 bis 118; Randolph, F., und Davey, J., The European Law of Commercial Agency, Dritte Auflage, Hart, Oxford, 2010, S. 79 bis 80; Singleton, zitiert in Fn. 3 diese Schlussanträge, S. 98. Es gibt jedoch auch andere Standpunkte. Z. B. de Theux, A., Le statut européen de l’agent commercial: Approche critique de droit comparé, Publications des Facultés universitaires Saint-Louis, Brüssel, 1992, S. 116 bis 117 und 357 bis 365, vertritt, diese Regelungen seien als semi-zwingend anzusehen; vgl. auch Rott-Pietrzyk, E., und Grochowski, M., „Prowizja agenta w czasie trwania umowy (imperatywny czy dyspozytywny charakter regulacji i wynikające z tego konsekwencje)“, Transformacje Prawa Prywatnego, 2018, S. 73, die, wie von Rigall Arteria Management ausgeführt, vertreten, Art. 761 § 1 des Zivilgesetzbuchs sei als zwingende Regelung zu verstehen.

( 72 ) Es sei darauf hingewiesen, dass, wie Rigall Arteria Management ausgeführt hat, im Rahmen des Schrifttums zum europäischen Privatrecht die Arbeiten einer Gruppe von Wissenschaftlern die in Rede stehenden Regelungen zur Provision als zwingend anzusehen scheinen (vgl. Research Group on the Existing EC Private Law [Acquis Group], Principles of the Existing EC Contract Law [Acquis Principles], Contract II: General Provisions, Delivery of Goods, Package Travel and Payment Services, Sellier, München, 2009, Article 7:H-02: Mandatory Nature, S. 36). Jedoch wird in den Arbeiten anderer wissenschaftlicher Gruppen offensichtlich eine andere Auffassung vertreten, somit wird dort nicht ausgeführt, diese Regelungen seien zwingend (vgl. dazu Hesselink, M.W., u. a. (Hrsg.), Principles of European Law, Commercial Agency, Franchise and Distribution Contracts, Sellier, München, 2006, S. 93 bis 95 und 173 bis 177; von Bar, C., und Clive, E. (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law. Draft Common Frame of Reference (DCFR), Full edition, Bd. 3, Sellier, München, 2009, S. 2282 bis 2283 und 2349 bis 2353).