SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 5. Mai 2022 ( 1 )

Rechtssache C‑227/21

UAB „HA.EN.“

gegen

Valstybinė mokesčių inspekcija

(Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas [Oberstes Verwaltungsgericht Litauens, Litauen])

„Vorabentscheidungsersuchen – Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Recht auf Vorsteuerabzug – Reichweite der sogenannten Betrugsrechtsprechung – Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs – Verweigerung des Vorsteuerabzugs, weil der Leistungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass der Leistende aufgrund seiner finanziellen Lage nicht fähig sein wird, die entstandene Mehrwertsteuer an den Fiskus abzuführen – Belastung mit Mehrwertsteuer bei Verrechnung des Preises mit bestehenden Schulden“

I. Einführung

1.

Bei diesen Vorabentscheidungsverfahren könnte man an eine Passage des „Zauberlehrlings“ von Johann Wolfgang von Goethe denken: „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los“. Denn dieses Vorabentscheidungsverfahren zeigt erneut die Unsicherheiten und Probleme auf, die entstehen, wenn das Mehrwertsteuerrecht weniger klassisch verstanden, sondern in der Rechtsprechung auch zur Bekämpfung von Betrug und Missbrauch genutzt wird.

2.

Nach dieser Rechtsprechungslinie soll die Finanzverwaltung u. a. berechtigt oder gar verpflichtet sein, einem Mehrwertsteuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen, wenn dieser wusste oder hätte wissen müssen, dass ein Umsatz vor oder nach ihm in einer Leistungskette in einen Mehrwertsteuerbetrug involviert war. ( 2 ) Schon eine Sanktionierung eines Betrugs durch das Steuerrecht außerhalb des dafür eigentlich vorgesehenen Strafrechts wirft im Hinblick auf die (Grund‑)Rechte der Steuerpflichtigen Fragen auf. Das gilt umso mehr, ( 3 ) wenn es dafür bereits ausreichen soll, dass der Steuerpflichtige wusste oder wissen musste, dass der Vertragspartner möglicherweise die von ihm geschuldete Mehrwertsteuer nicht bezahlen werde. Zum einen ist die bloße Möglichkeit der Nichtzahlung einer Steuer noch kein Steuerbetrug, zum anderen werden damit Geschäfte mit Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten (d. h. solche, die in oder kurz vor der Insolvenz stehen) praktisch unmöglich gemacht.

3.

Einem Unternehmen, das von seinem bei ihm hochverschuldeten Schuldner zur Deckung eines Teils der Schulden Gegenstände übernimmt, könnte immer vorgeworfen werden, dass es hätte wissen müssen, dass der Schuldner die entstandene Mehrwertsteuer aus dem Verkauf des Gegenstandes möglicherweise nicht abführen wird (bzw. werden kann). In Litauen scheint dies mittlerweile die ständige Praxis der Finanzverwaltung geworden zu sein. Dort wird der Erwerb von Gütern eines in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Unternehmens als rechtsmissbräuchlich bezeichnet und deswegen der Vorsteuerabzug versagt.

4.

Insofern erhält der Gerichtshof hier die Gelegenheit, die Grenzen seiner „Betrugsrechtsprechung“ aufzuzeigen.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

5.

Den unionsrechtlichen Rahmen bestimmt die Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie). ( 4 )

6.

Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie regelt den materiellen Umfang des Vorsteuerabzugs:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)

die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden“.

7.

Art. 199 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie ermöglicht den Mitgliedstaaten, eine Steuerschuldverlagerung auf den Leistungsempfänger vorzusehen:

„(1)   Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der steuerpflichtige Empfänger die Mehrwertsteuer schuldet, an den folgende Umsätze bewirkt werden:

g)

Lieferung von Grundstücken, die vom Schuldner im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens verkauft werden.“

8.

Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie hingegen sieht die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung etc. vor:

„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Formalitäten beim Grenzübertritt führen. …“

B.   Litauisches Recht

9.

Art. 58 Abs. 1 Nr. 1 des Lietuvos Respublikos pridėtinės vertės mokesčio įstatymas (Mehrwertsteuergesetz der Republik Litauen) (in der Fassung des Gesetzes Nr. IX-751 vom 5. März 2020) regelt:

„Ein Mehrwertsteuerpflichtiger ist zum Abzug der Vorsteuer und/oder Einfuhrumsatzsteuer für erworbene und/oder eingeführte Gegenstände und/oder Dienstleistungen berechtigt, wenn diese Gegenstände und/oder Dienstleistungen zur Verwendung für folgende Tätigkeiten dieses Mehrwertsteuerpflichtigen bestimmt sind: … Lieferungen von Gegenständen und/oder Dienstleistungen, auf die Mehrwertsteuer erhoben wird …“

10.

Art. 719 Abs. 1 der Lietuvos Respublikos civilinio proceso kodeksas (Zivilprozessordnung der Republik Litauen) (in der durch das Gesetz Nr. XII-889 vom 15. Mai 2014 geänderten Fassung) lautet:

„Wird eine Versteigerung mangels Bieters für nichtig erklärt …, wird der Vermögensgegenstand der die Zwangsvollstreckung betreibenden Person zum ursprünglichen Preis für den Verkauf der Immobilie in der Versteigerung übertragen.“

III. Sachverhalt und Vorabentscheidungsverfahren

11.

Durch Darlehensvertrag vom 21. September 2007 gewährte die „Medicinos bankas“ UAB (im Folgenden: Bank) der „Sostinės būstai“ UAB (im Folgenden: Verkäuferin) ein Darlehen für die Durchführung von Aktivitäten im Bereich der Immobilienentwicklung. Zum Zwecke der Besicherung der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung bestellte diese der Bank ein vertragliches Grundpfandrecht an einem Grundstück in der Stadt Vilnius (Litauen), auf dem sich ein in Bau befindliches Gebäude befand.

12.

Durch Forderungsabtretungsvertrag vom 27. November 2015 erwarb die UAB „HA.EN“ (im Folgenden: Klägerin) von der Bank gegen Entgelt sämtliche Geldforderungen aus diesem Darlehensvertrag zusammen mit sämtlichen zur Besicherung der Verpflichtungserfüllung bestellten Rechten, einschließlich des vorgenannten vertraglichen Grundpfandrechts. Durch Eingehen dieser Vereinbarung bestätigte die Klägerin u. a., dass ihr die Wirtschafts- und Finanzlage sowie der rechtliche Status der Verkäuferin bekannt geworden seien und sie sich bewusst sei, dass die Verkäuferin insolvent war und einem Sanierungsverfahren unterlag.

13.

Durch Anordnung des Gerichtsvollziehers vom 23. Mai 2016 wurde die Versteigerung eines Teils des Grundvermögens der Verkäuferin angekündigt, doch es gab keine an dem Grundvermögen interessierten Käufer. Nachdem die Versteigerung gescheitert war, wurde der Klägerin im Rahmen des Versteigerungsverfahrens das Angebot gemacht, das betreffende Grundvermögen der Verkäuferin (im Folgenden: das Grundvermögen) zu übernehmen, womit ein Teil der Forderungen der Klägerin abgegolten würde. Ob dies in Höhe des Nettobetrages (d. h. des Wertes ohne Mehrwertsteuer) oder Bruttobetrages (d. h. des Wertes einschließlich der Mehrwertsteuer) geschah, entzieht sich der Kenntnis des Gerichtshofs. Die Klägerin übte das Recht aus und übernahm die Immobilie.

14.

Zu diesem Zweck wurde am 21. Juli 2016 eine Urkunde über die Übertragung an eine die Zwangsvollstreckung betreibende Person errichtet, durch die der Gerichtsvollzieher der Klägerin das Grundvermögen zu einem Preis von 5468000 Euro übertrug.

15.

Am 5. August 2016 erteilte die Verkäuferin eine Mehrwertsteuerrechnung, in der für die Übertragung des Grundvermögens 4519008,26 Euro und für die Mehrwertsteuer 948991,74 Euro ausgewiesen waren. Die Klägerin verbuchte die Mehrwertsteuerrechnung in ihren Rechnungsbüchern und zog die darin ausgewiesene Mehrwertsteuer als Vorsteuer in der Mehrwertsteuererklärung für November 2016 ab. Auch die Verkäuferin verbuchte die Mehrwertsteuerrechnung in ihren Rechnungsbüchern und gab die in der Mehrwertsteuerrechnung ausgewiesene Mehrwertsteuer als Mehrwertsteuerschuld in der Mehrwertsteuererklärung für August 2016 an, ohne diese jedoch abzuführen. Am 1. Oktober 2016 wurde das Insolvenzverfahren über die Verkäuferin eröffnet.

16.

Am 20. Dezember 2016 beantragte die Klägerin bei der Valstybinė mokesčių inspekcija (Staatliche Steuerinspektion, im Folgenden: Finanzbehörde) die Erstattung des sich aus der angegebenen Vorsteuer ergebenden Betrags der Mehrwertsteuerüberzahlung. Die Finanzbehörde führte bei der Klägerin eine Steuerprüfung durch und stellte fest, die Klägerin habe – indem sie die Rechtsgeschäfte über den Erwerb des Grundvermögens eingegangen sei, als sie gewusst habe oder hätte wissen müssen, dass die Verkäuferin die auf das Rechtsgeschäft entfallende Mehrwertsteuer nicht zahlen werde – unredlich und rechtsmissbräuchlich gehandelt und deshalb kein Recht auf Vorsteuerabzug erworben. Mit Bescheid vom 12. Juli 2017 wurden der Klägerin aus diesem Grund das Recht auf Abzug der Vorsteuer in Höhe von 948980 Euro verweigert, Zinsen in Höhe von 38148,46 Euro wegen Zahlungsverzugs mit der Mehrwertsteuer sowie eine mehrwertsteuerrechtliche Geldbuße in Höhe von 284694 Euro auferlegt.

17.

Gegen diesen Bescheid der Finanzbehörde legte die Klägerin Einspruch bei der Mokestinių ginčų komisija prie Lietuvos Respublikos Vyriausybės (Staatliche Kommission der Republik Litauen für Steuerstreitigkeiten, im Folgenden: Kommission für Steuerstreitigkeiten) ein, die durch Einspruchsentscheidung vom 22. Januar 2018 die Teile des Bescheids der Finanzbehörde, mit der Verzugszinsen und die Geldbuße auferlegt wurden, aufhob, jedoch mit der Feststellung, dass die Klägerin rechtsmissbräuchlich gehandelt habe, den Steuerbescheid insoweit bestätigte.

18.

Gegen letzteren Teil der Einspruchsentscheidung der Kommission für Steuerstreitigkeiten erhob die Klägerin Klage beim Vilniaus apygardos administracinis teismas (Regionales Verwaltungsgericht Vilnius, Litauen), das die Klage mit Urteil vom 14. November 2018 als unbegründet abwies.

19.

Dem von der Klägerin eingelegten Rechtsmittel wurde vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) mit Beschluss vom 13. Mai 2020 zum Teil stattgegeben, wobei ausgeführt wurde, dass das erstinstanzliche Gericht u. a. zu prüfen habe, unter welchen Voraussetzungen Rechtsmissbrauch vorliege und ob es im betreffenden Fall Anzeichen dafür gebe.

20.

Nach erneuter Befassung mit der Steuerstreitigkeit befand das Vilniaus apygardos administracinis teismas (Regionales Verwaltungsgericht Vilnius) mit Urteil vom 3. September 2020 erneut, dass die Klägerin rechtsmissbräuchlich gehandelt habe und die Finanzbehörde deshalb berechtigt gewesen sei, ihr das Recht auf Vorsteuerabzug zu verweigern. Dagegen legte die Klägerin wiederum Rechtsmittel zum Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) ein. Dieses hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV folgende Frage vorgelegt:

Ist die Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen, dass sie einer Praxis nationaler Behörden entgegensteht, nach der einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wird, wenn dieser beim Grundvermögenserwerb wusste (oder hätte wissen müssen), dass der Lieferer wegen seiner Insolvenz die geschuldete Mehrwertsteuer nicht in den Staatshaushalt zahlen würde (oder nicht würde zahlen können)?

21.

Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben die Klägerin, Litauen, die Tschechische Republik und die Europäische Kommission schriftlich Stellung genommen. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat der Gerichtshof gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung abgesehen.

IV. Rechtliche Würdigung

A.   Zu der Vorlagefrage und dem Gang der Untersuchung

22.

Die Vorlagefrage betrifft im Kern den Umgang mit Transaktionen von einem leistenden Steuerpflichtigen in Zahlungsschwierigkeiten. Im konkreten Fall stellt sie sich in Bezug auf die Versagung des Vorsteuerabzugs des Leistungsempfängers (Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie).

23.

Der mehrwertsteuerrechtliche Umgang mit Umsätzen zwischen Unternehmen, von denen eines in Zahlungsschwierigkeiten ist, scheint für Finanzverwaltungen generell problematisch zu sein. Auch bei Transaktionen gegenüber einem in Zahlungsschwierigkeiten befindlichen Leistungsempfänger gibt es diese Schwierigkeiten. Zu dieser Konstellation gibt es schon einige Urteile des Gerichtshofs. Diese werden zunächst betrachtet, um eine konsistente Lösung zu erzielen (dazu unter B).

24.

Anschließend wird untersucht, ob die „Betrugsrechtsprechung“ des Gerichtshofs, auf die sich die Tschechische Republik im Wesentlichen stützt, im vorliegenden Fall überhaupt greift (dazu unter C) oder ob – wie Litauen meint – von einem missbräuchlichen Verhalten des Leistungsempfängers auszugehen ist (dazu unter D). Möglicherweise kann schließlich der Vorsteuerabzug auf Grundlage des Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie versagt werden (dazu unter E).

25.

Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie überhaupt vorliegen, wenn der gesamte Wert der empfangenen Leistung nicht bezahlt, sondern vollständig zur Befriedigung bestehender Schulden des Leistenden beim Leistungsempfänger verwendet wird. Auch wenn das vorlegende Gericht danach nicht ausdrücklich fragt, so ist das Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs eine notwendige Bedingung, um überhaupt an eine Versagung des Vorsteuerabzugs zu denken. Daher ist eine Antwort auf diese logische Vorfrage für die Lösung des Streites im Ausgangsverfahren hilfreich (dazu unter F).

B.   Der Einfluss von Zahlungsschwierigkeiten eines Steuerpflichtigen auf das Aufkommen der Mehrwertsteuer

26.

In materieller Hinsicht soll die Mehrwertsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer nicht das leistende Unternehmen, sondern die Leistungsfähigkeit des Verbrauchers besteuern, die sich in seiner Aufwendung von Vermögen zur Verschaffung eines verbrauchbaren Nutzens zeigt. ( 5 ) Dies wird besonders deutlich in der Regelung des Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Danach umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer (d. h. der Leistende) „erhält oder erhalten soll“.

27.

Konsequenterweise hat der Gerichtshof ( 6 ) mehrfach ausdrücklich entschieden, dass „der Betrag, der als Besteuerungsgrundlage für die von den Steuerbehörden zu erhebende Mehrwertsteuer dient, nicht höher sein [kann] als die Gegenleistung, die der Endverbraucher tatsächlich erbracht hat und auf deren Grundlage die von ihm letztlich getragene Mehrwertsteuer berechnet worden ist“.

28.

Die Mehrwertsteuerrichtlinie geht davon aus, dass mit dem Ausfall des Leistungsempfängers aufgrund seiner Insolvenz auch das entsprechende Steueraufkommen einer indirekten Verbrauchsteuer ausfällt, das ansonsten bei der vorgesehenen Bezahlung entstanden wäre. Mithin trägt der Fiskus hinsichtlich des Steueraufkommens das Insolvenzrisiko des von ihm in die Steuererhebung eingeschalteten Privaten. Das hat der Gerichtshof bereits ausdrücklich für den Fall der Insolvenz des Leistungsempfängers klargestellt. ( 7 )

29.

Die hier zu entscheidende Frage ist nun, ob sich daran etwas ändert, wenn nicht der Leistungsempfänger, sondern der Leistende in Zahlungsschwierigkeiten gerät. Auch dieser ist als Steuerpflichtiger nur ein Gehilfe des Staates bei der Steuererhebung. Im Ergebnis geht es hier auch um die Frage, ob der Staat oder der steuerpflichtige Geschäftspartner eines Steuerpflichtigen für insolvenzbedingte Ausfälle haftet. Hier stellt sich diese Frage jedoch nicht auf der Ebene der Steuerschuld, sondern auf der Ebene des Vorsteuerabzugs nach Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der eine Entlastung der Unternehmen von der Mehrwertsteuer bezweckt. Daher ist für die Beantwortung hier zusätzlich dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer Rechnung zu tragen.

30.

Der Grundsatz der Neutralität stellt ein grundlegendes Prinzip ( 8 ) der Mehrwertsteuer dar. Er beinhaltet u. a., dass das Unternehmen als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates von der endgültigen Belastung mit Mehrwertsteuer zu befreien ist, ( 9 ) sofern die unternehmerische Tätigkeit selbst der Erzielung steuerpflichtiger Umsätze dient. ( 10 )

31.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es für das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug dabei nicht von Bedeutung, ob die Mehrwertsteuer, die für die vorausgegangenen oder nachfolgenden Verkäufe der betreffenden Gegenstände geschuldet war, tatsächlich an den Fiskus entrichtet wurde, ( 11 ) wenn der Leistungsempfänger mit dieser Mehrwertsteuer belastet wurde.

32.

Im Ergebnis bleibt der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers daher grundsätzlich bestehen, auch wenn der Leistende den erhaltenen Betrag nicht zur Bezahlung seiner Mehrwertsteuerschuld verwendet und aufgrund fehlenden Vermögens der Fiskus diese Steuerschuld nicht erfolgreich durchsetzen kann.

C.   Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Bekämpfung von Steuerbetrug

33.

Möglicherweise ergibt sich jedoch ein anderes Ergebnis, wenn die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Betrugsbekämpfung im Mehrwertsteuerrecht – wie dies die Tschechische Republik vertritt – herangezogen werden kann. Denn wie der Gerichtshof beständig wiederholt, ist die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel, das von der Mehrwertsteuerrichtlinie anerkannt und gefördert wird. ( 12 )

34.

Für die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen ist es – im Unterschied ( 13 ) zur Bekämpfung von Missbrauch (dazu unter D.) – ausreichend, wenn der Steuerpflichtige nicht selbst die Steuer hinterzieht. ( 14 ) Vielmehr genügt es, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, ( 15 ) dass er sich an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist. Dann ist er für die Zwecke der Mehrwertsteuerrichtlinie als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen. ( 16 ) Dies verpflichtet die Mitgliedstaaten, dem Steuerpflichtigen den Vorsteuerabzug (wenn er – so wie hier – der Leistungsempfänger ist) zu versagen. ( 17 )

35.

Diese Konstellation – Beteiligung an einem Umsatz, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist – liegt aber hier, wie auch die Kommission ausführt, nicht vor. Die lediglich verspätete oder ausbleibende Zahlung einer erklärten Mehrwertsteuer kann nicht als Steuerhinterziehung bzw. Mehrwertsteuerbetrug im Sinne der oben genannten Rechtsprechung angesehen werden.

36.

Wie nämlich die Große Kammer des Gerichtshofs in der Rechtssache Scialdone bereits entschieden hat, muss zwischen der bloßen Nichtzahlung und der Nichterklärung der Mehrwertsteuer durch den Steuerschuldner unterschieden werden. ( 18 ) Insofern erlangt der Steuerpflichtige durch die Tatsache, dass die Mehrwertsteuer, für die bereits eine Erklärung abgegeben wurde, nicht innerhalb der gesetzlich festgelegten Fristen abgeführt wird, keinen Vorteil, da er die Steuer weiterhin schuldet. Daher – so der Gerichtshof ( 19 ) weiter – sind solche Fälle der Nichtabführung von Mehrwertsteuer, für die bereits eine Erklärung abgegeben wurde, nicht so schwerwiegend wie die Fälle von Mehrwertsteuerbetrug.

37.

Mithin liegt auch kein Steuerbetrug vor, wenn ein Steuerpflichtiger in finanziellen Schwierigkeiten – wie im vorliegenden Fall – Gegenstände verkauft, um seine Schulden zu tilgen, und die dabei anfallende Mehrwertsteuer erklärt, aber später doch nicht oder nicht in Gänze abführt. Daher kann der Klägerin auch nicht entgegengehalten werden, dass sie wusste oder hätte wissen müssen, dass sie in einen Mehrwertsteuerbetrug involviert war.

D.   Zum Vorliegen eines Missbrauchs beim Erwerb von Gegenständen eines in Zahlungsschwierigkeiten befindlichen Unternehmens

38.

Damit stellt sich die Frage, ob der Klägerin ein Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden kann. Der Missbrauch könnte darin bestehen, dass die Klägerin das Grundvermögen im Rahmen der Zwangsvollstreckung übernommen hat, obwohl sie wusste, dass die Verkäuferin in Zahlungsschwierigkeiten war und deshalb möglicherweise die entstehende Steuerschuld nicht in vollem Umfang begleichen können würde.

39.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs müssen für die Feststellung eines Rechtsmissbrauchs zwei Voraussetzungen vorliegen. Zum einen müssen die fraglichen Umsätze einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit der Mehrwertsteuerrichtlinie verfolgten Ziel zuwiderliefe, und zum anderen muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen lediglich bzw. im Wesentlichen ( 20 ) dieser Steuervorteil bezweckt wird. ( 21 )

1. Wortlaut und Wertung der Mehrwertsteuerrichtlinie

40.

Hier käme nur der Vorsteuerabzug der Klägerin bei gleichzeitiger Steuerschuld der insolventen Verkäuferin als „Vorteil“ in Betracht. Schon der Wortlaut der Mehrwertsteuerrichtlinie spricht klar dagegen, dass dieser Steuervorteil dem mit der Mehrwertsteuerrichtlinie verfolgten Ziel zuwiderliefe. Das zeigt insbesondere Art. 199 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie, der es den Mitgliedstaaten ermöglicht, für den Fall einer Zwangsversteigerung von Grundstücken eine Steuerschuldverlagerung auf den Leistungsempfänger vorzusehen. Aus dieser gesetzgeberischen Entscheidung können nämlich drei Aussagen abgeleitet werden.

41.

Erstens sieht der Unionsgesetzgeber – anders als die Finanzverwaltung in Litauen – den Erwerb von Gegenständen von einem Unternehmen, dessen Vermögen zwangsweise versteigert wird (mithin, von einem Unternehmen, das sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet), nicht als rechtsmissbräuchlich an. Ansonsten würde der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten nicht diese Möglichkeit der Steuerschuldverlagerung anbieten.

42.

Zweitens hat der Unionsgesetzgeber das Problem erkannt, dass der Fiskus Schwierigkeiten hat, bei einem Steuerpflichtigen, gegenüber dem ein Zwangsversteigerungsverfahren eröffnet wurde, die Steuerschuld fest- und durchzusetzen. Dies ist der Grund, warum eine fakultative Steuerschuldverlagerung vorgesehen ist. Eine planwidrige Gesetzeslücke, durch die ein besonderes Ausfallrisiko für den Fiskus entsteht, liegt nicht vor.

43.

Drittens hat der Unionsgesetzgeber die Möglichkeit der Steuerschuldverlagerung nur für die Zwangsversteigerung von Grundstücken vorgesehen. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass es für andere Gegenstände, die im Rahmen einer Zwangsversteigerung erworben werden, bei der normalen Regelung (Steuerschuld des Leistenden) bleibt. Wenn aber der Unionsgesetzgeber davon ausgeht, dass der Vollstreckungsschuldner bei einer Zwangsversteigerung der Steuerpflichtige bleibt, dann kann der Erwerb von Gegenständen im Rahmen einer Zwangsversteigerung von einem (in der Regel dann zahlungsunfähigen) Unternehmen kaum rechtsmissbräuchlich sein. Das betont auch die Kommission.

44.

Nichts anderes gilt, wenn der Erwerber von Gegenständen im Rahmen einer Zwangsversteigerung positiv weiß, dass der Vollstreckungsschuldner (d. h. der Leistende) so überschuldet ist, dass er seine Steuerschuld eher nicht begleichen kann. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs in dieser Konstellation würde den Willen des Richtliniengebers konterkarieren.

2. Anwendung der Aussagen in der Rechtssache ALTI?

45.

Daran ändern auch die jüngsten weitgehenden Aussagen des Gerichtshofs in der Rechtssache ALTI ( 22 ) nichts. Dort führte der Gerichtshof in der Begründung seiner Entscheidung aus, dass ein „Vertragspartner, bei dem aufgrund seiner freiwilligen Beteiligung an einem Missbrauch auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer davon auszugehen ist, dass er von Beginn an die rechtswidrige Absicht des Steuerschuldners unterstützt hat, die Steuer nicht abzuführen, auch für die mit der verspäteten Zahlung einhergehenden Folgen, für die er mitverantwortlich ist, haftet“.

46.

Dies betraf aber zum einen „nur“ die Frage nach der Reichweite der Haftung aus Art. 205 der Mehrwertsteuerrichtlinie, um die es hier nicht geht. Zum anderen kann im Fall eines in Zahlungsschwierigkeiten befindlichen Unternehmens kaum von einer „rechtswidrigen Absicht … die Steuer nicht abzuführen“ gesprochen werden. Auch ein „Missbrauch auf dem Gebiet des Mehrwertsteuerrechts“ kann nicht angenommen werden, wenn lediglich Rechtsgeschäfte mit in Zahlungsschwierigkeiten befindlichen Wirtschaftsteilnehmern getätigt werden. Dies gilt umso mehr, wenn der Erwerb – so wie hier – im Rahmen bzw. als Abschluss eines staatlich organisierten Zwangsversteigerungsverfahrens erfolgt.

47.

Der Sinn und Zweck des Zwangsversteigerungsverfahrens würde – legte man die Aussage des Gerichtshofs aus der Rechtssache ALTI zugrunde – ad absurdum geführt. Eine Verwertung des Vermögens eines unternehmerischen Vollstreckungsschuldners wäre de facto nur noch an Privatpersonen (und Unternehmen, die keine zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätze ausführen) möglich, da diesen der Vorsteuerabzug nicht gekürzt werden könnte. Dies würde den Kreis der potenziellen Erwerber erheblich einschränken und damit dem Zweck des Zwangsversteigerungsverfahrens zuwiderlaufen. Dieser besteht doch darin, eine bestmögliche Verwertung der Wirtschaftsgüter zu versuchen, um die Gläubiger so gut wie möglich noch zu befriedigen.

3. Rein künstliche Gestaltung?

48.

Der Gerichtshof verlangt für das Vorliegen eines Missbrauchs zudem Transaktionen, die jeder wirtschaftlichen und geschäftlichen Rechtfertigung entbehren, die nur pro forma oder künstlich durchgeführt worden sind und deren Hauptzweck die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils ist. ( 23 ) Die Annahme eines im staatlichen Zwangsversteigerungsverfahren vorgesehenen Angebotes ist nicht künstlich.

49.

Auch passt die Annahme eines Missbrauchs von der Rechtsfolge her nicht. Beim Vorliegen einer missbräuchlichen Praxis im Mehrwertsteuerrecht sind die betroffenen Umsätze in der Weise neu zu definieren, dass auf die Lage abgestellt wird, die ohne die diese missbräuchliche Praxis darstellenden Umsätze bestanden hätte. ( 24 )

50.

Im vorliegenden Fall gibt es aber für den Leistungsempfänger keine Alternative, die er rechtsmissbräuchlich hätte vermieden haben und auf die dann abgestellt werden könnte. Er kann nicht den Preis nur netto bezahlen und die Mehrwertsteuer selbst abführen, wenn er nicht der Steuerschuldner ist. Ihm vorzuwerfen, dass er zur Begleichung der Schulden den Vermögensgegenstand des Schuldners übernommen hat, anstatt einen ähnlichen Gegenstand bei einem Dritten zu erwerben, der dann möglicherweise die Steuer hätte bezahlen können, kann nicht ernsthaft erwogen werden.

4. Handelsverbote durch das Mehrwertsteuerrecht?

51.

Schließlich käme die Bejahung eines Missbrauchs in der vorliegenden Konstellation einem Handelsverbot mit bestimmten (nicht kriminellen) Personen gleich, was der Mehrwertsteuer noch fremder ist als die Sanktionierung kriminellen Verhaltens bzw. die Sanktionierung der Kenntnis von kriminellem Verhalten anderer Personen. ( 25 ) Auch ein Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten übt eine (legale) wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie aus, schuldet deswegen die Mehrwertsteuer und muss diese in einer Rechnung (vgl. Art. 220 der Mehrwertsteuerrichtlinie) gesondert ausweisen (vgl. Art. 226 Nr. 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie).

52.

Dem Leistungsempfänger den diesbezüglichen Vorsteuerabzug zu versagen, nur weil er wusste, dass sein Vertragspartner sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet, und daher möglicherweise die Mehrwertsteuerschuld nicht begleichen (können) wird, würde diese Steuerpflichtigen von einem Großteil des Marktes abschneiden und damit ein Marktzugangshindernis darstellen. Das konterkariert den Gedanken des Neutralitätsprinzips, welches ebenso wie das gesamte Mehrwertsteuerrecht nicht zwischen einem erfolgreichen oder weniger erfolgreichen, einem schon etablierten oder in der Gründung befindlichen, einem finanziell leistungsstarken oder überschuldeten Unternehmen unterscheidet.

53.

Außerdem wurde die hier in Frage stehende Rechtsprechung des Gerichtshofs ( 26 ) im Hinblick auf die besondere Betrugsanfälligkeit der Mehrwertsteuer entwickelt. Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die besondere Betrugsanfälligkeit, die die involvierten Unternehmen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu gesteigerten Sorgfaltspflichten zwingt. Vielmehr geht es hier um die Zuweisung des Insolvenzrisikos (hinsichtlich der Mehrwertsteuer) bei Geschäften mit Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten.

54.

Dieses Insolvenzrisiko des Staates könnte durch den Unionsgesetzgeber jederzeit reduziert werden. Vor über zehn Jahren gab es bereits die entsprechenden Initiativen einzelner Mitgliedstaaten zum Übergang in ein direktes Besteuerungssystem bei Umsätzen zwischen Unternehmen (Verlagerung der Steuerschuldnerschaft), die der Unionsgesetzgeber aber nicht weiter verfolgt hat. ( 27 ) Der Unionsgesetzgeber hat diese Entscheidung bewusst getroffen, denn für die fraktionierte indirekte Steuererhebung gibt es gute Gründe. Die Kommission führte noch im Jahr 2008 aus: „Ein allgemeines System zur Verlagerung der Steuerschuldnerschaft wäre zweifelsohne ein neues Konzept, das sowohl positive als auch negative Folgen haben könnte.“ ( 28 ) Diese negativen Folgen wollte man offenbar nicht in Kauf nehmen.

55.

Wenn aber der Unionsgesetzgeber auf derartige Maßnahmen zur Bekämpfung von Insolvenzrisiken verzichtet, können Umsätze mit Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten dem Steuerpflichtigen nicht als Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden, nur weil er hätte wissen müssen (oder sogar wusste), dass sich das bestehende Insolvenzrisiko möglicherweise realisieren würde.

56.

Im Übrigen hat der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten immerhin die Option der Steuerschuldverlagerung eingeräumt. Litauen hätte von der Möglichkeit des Art. 199 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie Gebrauch machen können. In diesem Fall wäre das Steueraufkommen aus der Grundstückstransaktion nicht verloren gegangen, und der Vorsteuerabzug wäre der Klägerin ohne Weiteres gewährt worden.

5. Ergebnis

57.

Die Erweiterung der oben genannten Rechtsprechung auf den Vorwurf eines Rechtsmissbrauchs, wenn Umsätze mit Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten ausgeführt werden, ist daher meines Erachtens nicht mit der Mehrwertsteuerrichtlinie zu vereinen.

E.   Zum Vorliegen einer Maßnahme, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen

58.

Scheidet mithin die Versagung des Vorsteuerabzugs mangels Betruges des Leistenden und mangels Rechtsmissbrauchs des Leistungsempfängers aus, könnte allenfalls noch Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie dem Mitgliedstaat (hier Litauen) die Versagung des Vorsteuerabzugs ermöglichen.

59.

Dieser erlaubt Maßnahmen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern. Eine Steuerhinterziehung liegt schon nicht vor. Gleiches gilt für die Sicherstellung der genauen Erhebung der Steuer. Die vom Leistenden geschuldete Steuer ist bei diesem zu erheben, wenn wie hier kein Fall der Steuerschuldverlagerung vorliegt. Eine Versagung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger sichert daher auch nicht die genaue Erhebung der Steuer.

60.

Darüber hinaus dürfen die auf Art. 273 basierenden Maßnahmen nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen und die Neutralität der Mehrwertsteuer nicht in Frage stellen. ( 29 ) Dies wäre aber der Fall, wenn der Leistungsempfänger mit der Mehrwertsteuer belastet bleibt, nur weil er von finanziellen Schwierigkeiten seines Vertragspartners wusste (oder wissen musste). Denn er hat keinen Einfluss darauf, ob dieser die entstandene Steuer nicht dennoch zahlen wird bzw. die Finanzverwaltung diese erfolgreich festsetzen und vollstrecken wird.

F.   Logische Vorfrage: Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs?

61.

Damit steht fest, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität dahin gehend auszulegen ist, dass sie einer Praxis nationaler Behörden entgegensteht, nach der einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wird, wenn dieser beim Grundvermögenserwerb wusste (oder hätte wissen müssen), dass der Leistende wegen seiner Insolvenz die geschuldete Mehrwertsteuer nicht in den Staatshaushalt zahlen würde (oder nicht würde zahlen können).

62.

Dies bedeutet aber nicht, dass die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nach Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie im vorliegenden Fall auch gegeben sind. Auch wenn das vorlegende Gericht danach nicht ausdrücklich gefragt hat, könnte eine nähere Betrachtung dieses Punktes für eine nützliche Antwort hilfreich sein. Das Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs ist nämlich eine logische Bedingung für die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage nach der Versagung des Vorsteuerabzugs. Ob die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug der Klägerin hier aber überhaupt vorliegen – wie das vorlegende Gericht offenbar unterstellt –, ist meines Erachtens unklar.

63.

Der Vorsteuerabzug soll den Leistungsempfänger lediglich von einer Belastung mit Mehrwertsteuer entlasten. ( 30 ) Der Vorsteuerabzug ermöglicht es daher im Grundsatz nur, die Beträge abzuziehen, die der Steuerpflichtige jeweils an die eigenen Lieferer (oder im Rahmen der Steuerschuldverlagerung an den Fiskus) als Mehrwertsteuer auf den entsprechenden Umsatz tatsächlich gezahlt hat. ( 31 ) Hier erfolgte aber lediglich eine Verrechnung mit bestehenden Schulden bei der Klägerin (als Leistungsempfänger). Man könnte dies als hinreichende Belastung mit Mehrwertsteuer ausreichen lassen, schließlich sind die Forderungen im entsprechenden Umfang erloschen.

64.

Allerdings kollidiert dieser Ansatz mit der Systematik der Mehrwertsteuerrichtlinie und der Funktion des leistenden Unternehmens im Mehrwertsteuerrecht, die der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont. Danach agiert das leistende Unternehmen (hier die Verkäuferin) „als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates und im Interesse der Staatskasse“. ( 32 )

65.

Wenn die Klägerin die Verkäuferin so bezahlt hätte, wie der Preis in der Rechnung ausgewiesen wurde (4519008,26 Euro zzgl. Mehrwertsteuer in Höhe von 948991,74 Euro), dann hätte die Verkäuferin mit diesem Betrag auch nur Schulden bei der Klägerin in Höhe von 4519008,26 Euro begleichen können, wenn sie ihrer Verpflichtung als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates nachgekommen wäre. Den Betrag von 948991,74 Euro hätte die Verkäuferin verwenden müssen, um die entstandene Mehrwertsteuerschuld zu begleichen.

66.

Das gleiche Ergebnis bestünde, wenn Litauen von Art. 199 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie Gebrauch gemacht hätte und eine Steuerschuldverlagerung auf die Klägerin vorgesehen hätte. Auch hier wäre eine Schuldentilgung nur in Höhe des Nettobetrages (4519008,26 Euro) möglich gewesen, da hier die Klägerin den Betrag von 948991,74 Euro für die Tilgung ihrer eigenen Steuerschuld hätte verwenden müssen.

67.

Folglich wären im Rahmen der vorliegenden Transaktion immer nur Schulden der Verkäuferin in Höhe des Nettobetrages bei der Klägerin getilgt worden. Kann sich an diesem Ergebnis etwas ändern, wenn die vereinbarte Gegenleistung sogleich zur Befriedigung der Schulden des Leistenden beim Leistungsempfänger eingesetzt wird?

68.

Ich denke nicht. Die Art der Steuererhebung – indirekte Besteuerung und der Leistende ist der Steuerschuldner oder direkte Besteuerung bei der Steuerschuldverlagerung auf den Leistungsempfänger – ist nur eine Frage der Besteuerungstechnik. Sie ändert nichts daran, dass immer nur der Nettobetrag zur Bezahlung der Schulden des Leistenden bei dem Leistungsempfänger zur Verfügung steht. Die entstehende Mehrwertsteuer ist in beiden Fällen von vornherein – wie Litauen zu Recht betont – zur Bezahlung an den Staat vorgesehen. Sie wird in einem indirekten Besteuerungssystem wie diesem hier letztendlich nur treuhänderisch an den Leistenden – als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates – gezahlt.

69.

Legt man diesen Treuhandgedanken zugrunde, dann kommt ein Vorsteuerabzug der Klägerin nur in Betracht, wenn die Klägerin neben dem zur Schuldentilgung vorgesehenen (Netto‑)Betrag die anfallende Mehrwertsteuer an den Leistenden gezahlt hat. Nur in diesem Fall liegt eine Belastung des Leistungsempfängers mit Mehrwertsteuer vor. Es besteht ein Vorsteuerabzug aber auch dann, wenn der Leistungsempfänger davon ausging oder ausgehen musste, dass der Leistende diesen Betrag nicht zur Begleichung der Mehrwertsteuerschuld, sondern z. B. zur anderweitigen Schuldentilgung verwendet. Denn auch in diesem Fall kann dem Leistungsempfänger der Vorsteuerabzug weder wegen Missbrauchs noch wegen Kenntnis von einem Betrug oder Ähnlichem versagt werden.

V. Ergebnis

70.

Somit schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt auf die Vorlagefrage des Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) zu antworten:

1.

Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG in Verbindung mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität ist dahin gehend auszulegen, dass er einer Praxis nationaler Behörden entgegensteht, nach der einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wird, wenn dieser beim Grundvermögenserwerb wusste (oder hätte wissen müssen), dass der Leistende wegen seiner Insolvenz die geschuldete Mehrwertsteuer nicht in den Staatshaushalt zahlen würde (oder nicht würde zahlen können).

2.

Es obliegt jedoch dem vorlegenden Gericht, zu entscheiden, ob der Steuerpflichtige (Leistungsempfänger) im vorliegenden Fall wirklich mit Mehrwertsteuer belastet ist, die der Leistende von ihm eingesammelt hat. Das scheidet aus, sofern der Leistungsempfänger dem leistenden Steuerschuldner nie die Mittel zur Begleichung der Mehrwertsteuerschuld zur Verfügung gestellt hat.


( 1 ) Originalsprache: Deutsch.

( 2 ) Siehe dazu die ausführlichen Nachweise in den Fn. 15 ff.

( 3 ) Kritisch die Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache R (C‑285/09, EU:C:2010:381, Nrn. 58 ff. und 104 ff.), ebenfalls kritisch z. B. der Vorsitzende eines der beiden Umsatzsteuersenate des BFH, Wäger, C., Der Kampf gegen die Steuerhinterziehung, UR 2015, S. 81 ff.

( 4 ) Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der für das Streitjahr (2016) geltenden Fassung.

( 5 ) Vgl. exemplarisch: Urteile vom 3. März 2020, Vodafone Magyarország (C‑75/18, EU:C:2020:139, Rn. 62), vom 11. Oktober 2007, KÖGÁZ u. a. (C‑283/06 und C‑312/06, EU:C:2007:598, Rn. 37 – „Festsetzung ihrer Höhe proportional zum Preis, den der Steuerpflichtige als Gegenleistung für die Gegenstände und Dienstleistungen erhält“), und vom 18. Dezember 1997, Landboden-Agrardienste (C‑384/95, EU:C:1997:627, Rn. 20 und 23).

( 6 ) Urteile vom 15. Oktober 2020, E. (Mehrwertsteuer – Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage) (C‑335/19, EU:C:2020:829, Rn. 21), vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 19), so ähnlich auch Urteile vom 16. Januar 2003, Yorkshire Co-operatives (C‑398/99, EU:C:2003:20, Rn. 19), und vom 15. Oktober 2002, Kommission/Deutschland (C‑427/98, EU:C:2002:581, Rn. 30), ebenso Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache MyTravel (C‑291/03, EU:C:2005:283, Nr. 69).

( 7 ) Urteil vom 15. Oktober 2020, E. (Mehrwertsteuer – Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage) (C‑335/19, EU:C:2020:829, Rn. 53 in Verbindung mit Rn. 48 und 50).

( 8 ) Der Gerichtshof spricht im Urteil vom 13. März 2014, Malburg (C‑204/13, EU:C:2014:147, Rn. 43), von einem Auslegungsgrundsatz.

( 9 ) Urteile vom 13. März 2008, Securenta (C‑437/06, EU:C:2008:166, Rn. 25), und vom 1. April 2004, Bockemühl (C‑90/02, EU:C:2004:206, Rn. 39).

( 10 ) Urteile vom 13. März 2014, Malburg (C‑204/13, EU:C:2014:147, Rn. 41), vom 15. Dezember 2005, Centralan Property (C‑63/04, EU:C:2005:773, Rn. 51), vom 21. April 2005, HE (C‑25/03, EU:C:2005:241, Rn. 57), und meine Schlussanträge in der Rechtssache Centralan Property (C‑63/04, EU:C:2005:185, Nr. 25).

( 11 ) Urteile vom 11. November 2021, Ferimet (C‑281/20, EU:C:2021:910, Rn. 56), vom 9. November 2017, Wind Inovation 1 (C‑552/16, EU:C:2017:849, Rn. 44), vom 6. Dezember 2012, Bonik (C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 28), und vom 12. Januar 2006, Optigen u. a. (C‑354/03, C‑355/03 und C‑484/03, EU:C:2006:16, Rn. 54).

( 12 ) Urteil vom 24. Februar 2022, SC Cridar Cons (C‑582/20, EU:C:2022:114, Rn. 33), Beschluss vom 3. September 2020, Vikingo Fővállalkozó (C‑610/19, EU:C:2020:673, Rn. 50), Urteile vom 16. Oktober 2019, Glencore Agriculture Hungary (C‑189/18, EU:C:2019:861, Rn. 34), und vom 6. Dezember 2012, Bonik (C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 13 ) Vgl. zu dieser Trennung explizit Urteil vom 11. November 2021, Ferimet (C‑281/20, EU:C:2021:910, Rn. 46 einerseits und Rn. 54 andererseits), siehe auch Beschluss vom 14. April 2021, Finanzamt Wilmersdorf (C‑108/20, EU:C:2021:266, Rn. 35).

( 14 ) Urteile vom 24. Februar 2022, SC Cridar Cons (C‑582/20, EU:C:2022:114, Rn. 34), vom 16. Oktober 2019, Glencore Agriculture Hungary (C‑189/18, EU:C:2019:861, Rn. 35), und vom 6. Dezember 2012, Bonik (C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 15 ) In einigen älteren Entscheidungen spricht der Gerichtshof noch von „wissen konnte“ – vgl. z. B. Urteil vom 6. Juli 2006, Kittel und Recolta Recycling (C‑439/04 und C‑440/04, EU:C:2006:446, Rn. 60). Diese zu weit geratene Formulierung, die allein auf der Vorlagefrage basierte, scheint aber mittlerweile zu Recht aufgegeben worden zu sein.

( 16 ) Urteile vom 20. Juni 2018, Enteco Baltic (C‑108/17, EU:C:2018:473, Rn. 94), vom 22. Oktober 2015, PPUH Stehcemp (C‑277/14, EU:C:2015:719, Rn. 48), vom 13. Februar 2014, Maks Pen (C‑18/13, EU:C:2014:69, Rn. 27), vom 6. September 2012, Mecsek-Gabona (C‑273/11, EU:C:2012:547, Rn. 54), vom 6. Dezember 2012, Bonik (C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 39), und vom 6. Juli 2006, Kittel und Recolta Recycling (C‑439/04 und C‑440/04, EU:C:2006:446, Rn. 56).

( 17 ) Vgl. Urteile vom 16. Oktober 2019, Glencore Agriculture Hungary (C‑189/18, EU:C:2019:861, Rn. 34), vom 22. Oktober 2015, PPUH Stehcemp (C‑277/14, EU:C:2015:719, Rn. 47), vom 18. Dezember 2014, Schoenimport Italmoda Mariano Previti (C‑131/13, C‑163/13 und C‑164/13, EU:C:2014:2455, Rn. 62), vom 13. März 2014, FIRIN (C‑107/13, EU:C:2014:151, Rn. 40), vom 13. Februar 2014, Maks Pen (C‑18/13, EU:C:2014:69, Rn. 26), vom 6. Dezember 2012, Bonik (C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 37), vom 21. Juni 2012, Mahagében (C‑80/11 und C‑142/11, EU:C:2012:373, Rn. 42), und vom 6. Juli 2006, Kittel und Recolta Recycling (C‑439/04 und C‑440/04, EU:C:2006:446, Rn. 59 und 61).

( 18 ) Urteil vom 2. Mai 2018, Scialdone (C‑574/15, EU:C:2018:295, Rn. 39 und 40).

( 19 ) Urteil vom 2. Mai 2018, Scialdone (C‑574/15, EU:C:2018:295, Rn. 41 und 42).

( 20 ) Siehe dazu ausführlich auch die Schlussanträge des Generalanwalts Pitruzzella in der Rechtssache W (Steuerbefreiung im Zusammenhang mit einem Gesellschafterbeitrag) (C‑98/21, EU:C:2022:160, Nrn. 68 und 78 ff.).

( 21 ) Urteil vom 11. November 2021, Ferimet (C‑281/20, EU:C:2021:910. Rn. 54), vgl. u. a. Urteile vom 18. Juni 2020, KrakVet Marek Batko (C‑276/18, EU:C:2020:485, Rn. 85), vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832, Rn. 36), und vom 21. Februar 2006, Halifax u. a. (C‑255/02, EU:C:2006:121, Rn. 74 und 75).

( 22 ) Urteil vom 20. Mai 2021 (C‑4/20, EU:C:2021:397, Rn. 43).

( 23 ) Urteil vom 26. Februar 2019, T Danmark und Y Denmark (C‑116/16 und C‑117/16, EU:C:2019:135, Rn. 98), Schlussanträge des Generalanwalts Pitruzzella in der Rechtssache W (Steuerbefreiung im Zusammenhang mit einem Gesellschafterbeitrag) (C‑98/21, EU:C:2022:160, Nr. 67), und Urteil vom 22. Mai 2008, Ampliscientifica und Amplifin (C‑162/07, EU:C:2008:301, Rn. 28 spricht noch von „allein“).

( 24 ) Urteil vom 22. November 2017, Cussens u. a. (C‑251/16, EU:C:2017:881, Rn. 46).

( 25 ) Ähnlich im Sinne eines Handelsverbotes mit Waren jedoch: Beschluss vom 14. April 2021, Finanzamt Wilmersdorf (C‑108/20, EU:C:2021:266, Rn. 36 und 37).

( 26 ) So ausdrücklich Urteil vom 18. Dezember 2014, Schoenimport Italmoda Mariano Previti (C‑131/13, C‑163/13 und C‑164/13, EU:C:2014:2455, Rn. 62).

( 27 ) Die Anträge Österreichs und Deutschlands nach Art. 27 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie auf Ermächtigung zur Einführung einer von Art. 21 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie abweichenden Regelung, namentlich zur Einführung einer generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft vom bisherigen Steuerschuldner (= Leistender) auf den Leistungsempfänger, sind von der EU-Kommission am 19. Juli 2006 abgelehnt worden.

Anschließend ersuchte der Rat die Kommission im Jahr 2007, die Schaffung der Möglichkeit einer fakultativen Anwendung der allgemeinen Verlagerung der Steuerschuldnerschaft zu prüfen, doch die Kommission zeigt sich davon nicht überzeugt; siehe Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über Maßnahmen zur Änderung des MwSt-Systems für die Betrugsbekämpfung {SEK(2008) 249} vom 22. Februar 2008 – KOM(2008) 109 endgültig, insbesondere Nr. 5.1.

( 28 ) Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über Maßnahmen zur Änderung des MwSt-Systems für die Betrugsbekämpfung {SEK(2008) 249} vom 22. Februar 2008 – KOM(2008) 109 endgültig, Nr. 4.3.

( 29 ) Vgl. nur Urteil vom 9. Juli 2015, Salomie und Oltean (C‑183/14, EU:C:2015:454, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 30 ) So schon in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Biosafe – Indústria de Reciclagens (C‑8/17, EU:C:2017:927, Nrn. 44 ff.), siehe ebenso die Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache Volkswagen (C‑533/16, EU:C:2017:823, Nr. 64).

( 31 ) Z. B. Urteil vom 22. Februar 2018, T – 2 (C‑396/16, EU:C:2018:109, Rn. 24 und die dort zitierte Rechtsprechung). Siehe auch Urteil vom 29. April 2004, Terra Baubedarf-Handel (C‑152/02, EU:C:2004:268, Rn. 35 a. E.). Der Gerichtshof verwendet dort zwar in der deutschen Version die Formulierung „abgeführt“. Da er aber vom Leistungsempfänger spricht, der diese Mehrwertsteuer nicht an das Finanzamt abführt, sondern an den Leistenden zahlt, ist damit offenkundig Letzteres gemeint. Die französische Version verwendet auch die Formulierung „avoir été acquittée“, was auch zwanglos richtig als „gezahlt wurde“ übersetzt werden kann. In Rn. 36 – dort ist es auch richtig übersetzt – wird dies besonders deutlich.

( 32 ) Urteile vom 21. Februar 2008, Netto Supermarkt (C‑271/06, EU:C:2008:105, Rn. 21), und vom 20. Oktober 1993, Balocchi (C‑10/92, EU:C:1993:846, Rn. 25).