SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 5. Mai 2022 ( 1 )

Rechtssache C‑57/21

RegioJet a.s.,

Beteiligte:

České dráhy a.s.,

Česká republika, Ministerstvo dopravy

(Vorabentscheidungsersuchen des Nejvyšší soud [Oberster Gerichtshof, Tschechische Republik])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Wettbewerbswidrige Praktiken – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union – Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln für die Zwecke einer Schadensersatzklage – Vor der Europäischen Kommission anhängiges Verfahren – Aussetzung des nationalen Schadensersatzklageverfahrens“

I. Einleitung

1.

In Anerkennung einer Informationsasymmetrie in Verfahren zur privaten Durchsetzung des Wettbewerbsrechts hat der Unionsgesetzgeber durch die Richtlinie 2014/104/EU ( 2 ) die Vorschriften über die Offenlegung von angeforderten Beweismitteln für die Zwecke von Schadensersatzklagen harmonisiert.

2.

Art. 5 der Richtlinie enthält die Bestimmungen, die gemeinsam eine allgemeine Regelung dieses Bereichs bilden. Ergänzend zu Art. 5 enthält Art. 6 der Richtlinie spezielle Vorschriften zur Offenlegung von Beweismitteln, die in den Akten von mit der öffentlichen Durchsetzung der Wettbewerbsregeln betrauten Behörden enthalten sind.

3.

Die Auslegung der Bestimmungen von Art. 5 der Richtlinie 2014/104 war bereits Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens ( 3 ). Erstmals hat der Gerichtshof jedoch über die Auslegung der Bestimmungen von Art. 6 der Richtlinie zu entscheiden.

4.

Die Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts betreffen nämlich den übergeordneten Kontext eines Verfahrens im Zusammenhang mit einer Klage auf Ersatz des Schadens, der RegioJet durch das den Schienenverkehrsmarkt beeinträchtigende und gegen Wettbewerbsregeln verstoßende Verhalten der Gesellschaft České dráhy a.s. entstanden sein soll. Auch wenn sich die erste Vorlagefrage auf die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 bezieht, betrifft sie im Wesentlichen das Problem der Abgrenzung der privaten von der öffentlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts. Die vier weiteren Fragen des vorlegenden Gerichts beziehen sich konkret auf Art. 6 der Richtlinie.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

5.

Art. 5 Abs. 1 und 8 der Richtlinie 2014/104 bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass in Verfahren über Schadensersatzklagen in der Union auf Antrag eines Klägers, der eine substantiierte Begründung vorgelegt hat, die mit zumutbarem Aufwand zugängliche Tatsachen und Beweismittel enthält, die die Plausibilität seines Schadensersatzanspruchs ausreichend stützen, die nationalen Gerichte unter den Voraussetzungen dieses Kapitels die Offenlegung von relevanten Beweismitteln durch den Beklagten oder einen Dritten, die sich in deren Verfügungsgewalt befinden, anordnen können. Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Gerichte auf Antrag des Beklagten die Offenlegung von relevanten Beweismitteln durch den Kläger oder einen Dritten anordnen können.

(8)   Unbeschadet der Absätze 4 und 7 sowie des Artikels 6 hindert dieser Artikel die Mitgliedstaaten nicht daran, Vorschriften beizubehalten oder einzuführen, die zu einer umfassenderen Offenlegung von Beweismitteln führen würden.“

6.

Art. 6 Abs. 5 Buchst. a und Abs. 9 der Richtlinie bestimmt:

„(5)   Die nationalen Gerichte dürfen die Offenlegung der folgenden Kategorien von Beweismitteln erst dann anordnen, wenn eine Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren durch Erlass einer Entscheidung oder in anderer Weise beendet hat:

a)

Informationen, die von einer natürlichen oder juristischen Person eigens für das wettbewerbsbehördliche Verfahren erstellt wurden,

(9)   Unbeschadet dieses Artikels kann die Offenlegung von Beweismitteln in den Akten einer Wettbewerbsbehörde, die nicht unter eine der in diesem Artikel aufgeführten Kategorien fallen, in Verfahren über Schadensersatzklagen jederzeit angeordnet werden.“

B. Tschechisches Recht

1.   Zákon č. 143/2001

7.

Der Zákon č. 143/2001 Sb., o ochraně hospodářské soutěže (Gesetz über den Schutz des Wettbewerbs) vom 4. April 2001 in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 143/2001) bestimmt in § 1 Abs. 1, dass er „den Schutz des Wettbewerbs auf dem Markt für Waren und Dienstleistungen … vor jeglichen den Wettbewerb behindernden, beschränkenden, verfälschenden oder bedrohenden Praktiken organisiert“.

8.

Gemäß § 21ca Abs. 2 des Gesetzes Nr. 143/2001 können die Unterlagen und Informationen, die für ein vor der nationalen Wettbewerbsbehörde anhängiges Verwaltungsverfahren ausgearbeitet und vorgelegt wurden, den staatlichen Behörden erst nach Abschluss der Ermittlungen oder nach Eintritt der Bestandskraft einer Entscheidung der nationalen Wettbewerbsbehörde zur Beendigung des Verwaltungsverfahrens offengelegt werden.

2.   Zákon č. 262/2017

9.

Der Zákon č. 262/2017 Sb., o náhradě škody v oblasti hospodářské soutěže (Gesetz Nr. 262/2017 über den Ersatz von Schäden im Bereich des Wettbewerbs) vom 20. Juli 2017 setzt die Richtlinie 2014/104 in tschechisches Recht um.

10.

§ 2 Abs. 2 Buchst. c des Gesetzes bestimmt, dass als vertrauliche, durch die Verschwiegenheitspflicht geschützte Informationen u. a. Urkunden und Informationen gelten, die ausdrücklich für das Verwaltungsverfahren vor der Wettbewerbsbehörde zur Verfügung gestellt wurden.

11.

Gemäß § 15 Abs. 4 des Gesetzes kann die Verpflichtung zur Vorlage vertraulicher Informationen im Sinne von § 2 Abs. 2 Buchst. c des Gesetzes erst nach Bestandskraft der Entscheidung der Wettbewerbsbehörde zur Beendigung des Verwaltungsverfahrens auferlegt werden.

12.

§ 16 Abs. 1 Buchst. c des Gesetzes bestimmt, dass im Fall eines Antrags auf Zugang zu Dokumenten, die vertrauliche Informationen enthalten und sich in den Akten der nationalen Wettbewerbsbehörde befinden, der Präsident der Kammer prüft, ob ihre Offenlegung die wirksame Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Regelung gefährden würde. Gemäß § 16 Abs. 3 können Dokumente mit vertraulichen Informationen erst nach Beendigung der Ermittlungen oder nach Eintritt der Bestandskraft einer Entscheidung der nationalen Wettbewerbsbehörde zur Beendigung des Verwaltungsverfahrens offengelegt werden.

III. Sachverhalt und Ausgangsverfahren

13.

Am 25. Januar 2012 leitete das Úřad pro ochranu hospodářské soutěže (Büro für Wettbewerbsschutz, im Folgenden: tschechische Wettbewerbsbehörde) von Amts wegen ein Verwaltungsverfahren zu einem möglichen Missbrauch einer beherrschenden Stellung durch České dráhy (Tschechische Bahn) ein.

14.

Am 25. November 2015 ( 4 ) erhob RegioJet eine Schadensersatzklage vor dem Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag, Tschechische Republik), mit der sie den Ersatz des Schadens beantragte, der ihr durch wettbewerbsrechtliche Verstöße der České dráhy entstanden sei.

15.

Am 10. November 2016 beschloss die Europäische Kommission, ein Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 ( 5 ) in der Sache AT.40156 – Czech Rail zu eröffnen.

16.

Am 14. November 2016 setzte die tschechische Wettbewerbsbehörde das von ihr durchgeführte Verwaltungsverfahren aus, weil sie der Auffassung war, dass das Verfahren der Kommission in materieller Hinsicht das gleiche Verhalten betreffe wie dasjenige, das Gegenstand ihrer Prüfung im Verwaltungsverfahren sei.

17.

Am 11. Oktober 2017 beantragte RegioJet vor dem nationalen Gericht die Offenlegung von Dokumenten nach den §§ 10 ff. sowie § 18 des Gesetzes Nr. 262/2017 vom 20. Juli 2017 für die Zwecke der Schadensersatzklage. Der Antrag richtete sich auf die Offenlegung von u. a. Dokumenten, von denen RegioJet annahm, dass sie in der Verfügungsgewalt von České dráhy ständen, u. a. Einzelaufstellungen und Aufstellungen zum öffentlichen Schienenverkehr sowie die Buchhaltung des Handelssegments dieser Gesellschaft.

18.

Unter Berufung auf § 21ca Abs. 2 des Gesetzes Nr. 143/2001 wies die tschechische Wettbewerbsbehörde darauf hin, dass die ihr im Rahmen ihres Verwaltungsverfahrens zur Verfügung stehenden beantragten Dokumente bis zur endgültigen Beendigung des betreffenden verwaltungsrechtlichen Hauptsacheverfahrens nicht offengelegt werden könnten. Sie erklärte außerdem, dass die anderen beantragten Dokumente zu der Kategorie von Dokumenten gehörten, die einen geschlossenen Komplex von Dokumenten bildeten, und lehnte ihre Offenlegung mit der Begründung ab, dass dies die Wirksamkeit der Politik der Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht verringern könne.

19.

Auf eine Frage des mit dem Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln befassten Gerichts wies die Kommission in einem Schreiben vom 26. Februar 2018 darauf hin, dass das Gericht bei seiner Entscheidung über die Offenlegung von Beweismitteln im Interesse des Schutzes der legitimen Interessen aller Verfahrensbeteiligten und Dritter insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anwenden und Maßnahmen zum Schutz solcher Informationen treffen müsse. Sie empfahl, das Verfahren auf Schadensersatz in der Sache auszusetzen.

20.

Mit Beschluss vom 14. März 2018 gab das erstinstanzliche Gericht České dráhy auf, im Wege der Einreichung zur Akte eine Reihe von Dokumenten offenzulegen, die zum einen Informationen enthielten, die České dráhy eigens für ein Verfahren vor der tschechischen Wettbewerbsbehörde ausgearbeitet hatte, und zum anderen Informationen, die außerhalb des Verfahrens obligatorisch erstellt und aufbewahrt worden waren, beispielsweise Einzelaufstellungen von Zugverbindungen, vierteljährliche Aufstellungen über den öffentlichen Schienenverkehr sowie ein Verzeichnis der von České dráhy betriebenen Verbindungen. Dagegen lehnte das Gericht den Antrag von RegioJet auf Offenlegung der Buchhaltung des Handelssegments von České dráhy, einschließlich der Entsprechungscodes für Zugverbindungen und ‑typen, und auf Offenlegung der Protokolle der Vorstandssitzungen von České dráhy für die Monate September und Oktober 2011 ab.

21.

Mit Beschluss vom 19. Dezember 2018 setzte das erstinstanzliche Gericht das Verfahren auf Schadensersatz bis zum Abschluss des Verfahrens, das die Kommission am 10. November 2016 wegen wettbewerbswidriger Praktiken gegen České dráhy eröffnet hatte, in der Sache aus. Gemäß § 27 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 262/2017 vom 20. Juli 2017 ist das Gericht nämlich im Rahmen einer Schadensersatzklage durch die Entscheidung eines anderen Gerichts, der tschechischen Wettbewerbsbehörde und der Kommission zum Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung und zur Identität ihres Urhebers gebunden. Die nationalen Verfahrensvorschriften enthalten außerdem ebenfalls die Verpflichtung des Gerichts, das zivile Schadensersatzverfahren auszusetzen, wenn in einem anderen Verfahren über eine Frage entschieden wird, von der die Entscheidung des Gerichts abhängt, und das Gericht im Rahmen dieses Verfahrens nicht zur Entscheidung befugt ist.

22.

Mit Beschluss vom 29. November 2019 bestätigte der Vrchní soud v Praze (Obergericht Prag, Tschechische Republik) in der zweiten Instanz den Beschluss vom 14. März 2018 und erließ, um den Schutz der offengelegten Beweise zu gewährleisten, Maßnahmen, die darauf abzielten, dass die Beweise bei Gericht aufbewahrt und nur den Parteien, ihren Vertretern und Sachverständigen auf begründeten schriftlichen Antrag und nach vorheriger Zustimmung des gemäß der Geschäftsverteilung zuständigen Gerichts zur Verfügung gestellt werden.

23.

Gegen diesen Beschluss hat České dráhy vor dem Nejvyšší soud (Oberster Gerichtshof, Tschechische Republik), dem vorlegenden Gericht, Beschwerde eingelegt.

IV. Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

24.

Unter diesen Umständen hat der Nejvyšší soud (Oberster Gerichtshof) mit Beschluss vom 16. Dezember 2020, der am 1. Februar 2021 beim Gerichtshof eingegangen ist, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Entspricht der Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 ein Vorgehen dahin gehend, dass ein Gericht über die Auferlegung einer Verpflichtung zur Offenlegung von Beweismitteln entscheidet, obwohl gleichzeitig ein von der Kommission eingeleitetes Verfahren zum Erlass eines Beschlusses nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 ( 6 ) geführt wird, weshalb das Verfahren über die Klage auf Ersatz eines durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht entstandenen Schadens vom Gericht aus diesem Grund ausgesetzt wurde?

2.

Steht die Auslegung von Art. 6 Abs. 5 Buchst. a und Abs. 9 der Richtlinie 2014/104 einer nationalen Regelung entgegen, die die Offenlegung aller Informationen, die im Rahmen eines Verfahrens auf Ersuchen der tschechischen Wettbewerbsbehörde vorgelegt wurden, beschränkt, und zwar auch dann, wenn es sich um Informationen handelt, die eine Partei aufgrund anderer Rechtsvorschriften zu erstellen und aufzubewahren hat (bzw. erstellt und aufbewahrt), unabhängig von einem Verfahren wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht?

3.

Kann als Beendigung des Verfahrens in anderer Weise im Sinne von Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 2014/104 auch die Tatsache angesehen werden, dass eine nationale Wettbewerbsbehörde das Verfahren ausgesetzt hat, sowie die Kommission ein Verfahren im Hinblick auf den Erlass eines Beschlusses nach Kapitel III der Verordnung Nr. 1/2003 eingeleitet hat?

4.

Ist mit Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie unter Berücksichtigung des Zwecks und der Ziele der Richtlinie ein Vorgehen des nationalen Gerichts vereinbar, durch das es eine nationale Regelung zur Umsetzung von Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie analog auf Kategorien von Informationen im Sinne von Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie anwendet, also über die Offenlegung von Beweismitteln entscheidet, wobei es sich mit der Frage, ob die Beweismittel Informationen enthalten, die von einer natürlichen oder juristischen Person eigens für das wettbewerbsbehördliche Verfahren erstellt wurden (im Sinne von Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie), erst nach der Offenlegung der Beweismittel gegenüber dem Gericht befasst?

5.

Falls die vorstehende Frage bejaht wird: Ist Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 2014/104 dahin auszulegen, dass von einem Gericht getroffene wirksame Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Informationen vor der von dem Gericht vorgenommenen endgültigen Beurteilung der Frage, ob alle oder einige der offengelegten Informationen in die Kategorie der Beweismittel im Sinne von Art. 6 Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie fallen, den Zugang des Klägers oder eines anderen Verfahrensbeteiligten und ihrer Vertreter zu den offengelegten Beweisen ausschließen können?

25.

Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die griechische und die italienische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. České dráhy und die Kommission haben in der Sitzung vom 3. Februar 2022 mündliche Ausführungen gemacht.

V. Prüfung

26.

Um die Vorlagefragen zweckdienlich beantworten zu können (Abschnitt C), sind als Erstes eine Prüfung ihrer Zulässigkeit unter Berücksichtigung des zeitlichen Geltungsbereichs der Bestimmungen, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersucht (Abschnitt A), und als Zweites Anmerkungen zur Regelung der Offenlegung von in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthaltenen Beweismitteln (Abschnitt B) vorzunehmen.

A. Zur zeitlichen Anwendbarkeit der Richtlinie 2014/104

27.

Zwar unterscheidet der Wortlaut der Richtlinie 2014/104 nicht zwischen verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Vorschriften ( 7 ), doch hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass diese Richtlinie eine Sonderbestimmung – Art. 22 – enthält, die die Voraussetzungen für die zeitliche Geltung ihrer verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Vorschriften ausdrücklich regelt ( 8 ).

28.

Die Voraussetzungen für die zeitliche Geltung sind für die zwei Kategorien von Vorschriften unterschiedlich geregelt. Um über die Anwendbarkeit der Richtlinie 2014/104 im Ausgangsverfahren entscheiden zu können, ist daher zu prüfen, ob es sich bei den Art. 5 und 6 der Richtlinie um verfahrensrechtliche oder materiell-rechtliche Vorschriften handelt.

29.

Kurz gesagt regeln die materiell-rechtlichen Vorschriften das Vorliegen und den Umfang der Haftung von Personen, die an einer wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung beteiligt sind, während die verfahrensrechtlichen Vorschriften den Ablauf eines Verfahrens regeln. Letztere verlieren ihren Verfahrenscharakter nicht dadurch, dass sich ihre Anwendung im Rahmen eines Schadensersatzverfahrens auf die Bestimmung der Haftung nach Abschluss des Verfahrens auswirken kann ( 9 ). Nach dieser Logik könnten nämlich, wie ich bereits in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache PACCAR dargelegt habe ( 10 ), selbst wenn die Art. 5 und 6 der Richtlinie 2014/104 den Einzelnen Rechte zu verleihen scheinen, diese Rechte nur im Rahmen eines Verfahrens vor einem nationalen Gericht ausgeübt werden, so dass es sich im Wesentlichen um Verfahrensmaßnahmen handelt, die es dem nationalen Gericht ermöglichen, den Sachverhalt festzustellen, auf den sich die Parteien des Verfahrens berufen. Die Voraussetzungen für die Geltung der nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Art. 5 und 6 der Richtlinie sind somit in Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie geregelt.

30.

Nach Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Vorschriften, die erlassen werden, um den verfahrensrechtlichen Vorschriften dieser Richtlinie zu entsprechen, nicht für Schadensersatzklagen gelten, die vor dem 26. Dezember 2014 bei einem nationalen Gericht erhoben wurden. Umgekehrt ergibt sich aus dieser Bestimmung, dass bei der Umsetzung dieser Richtlinie die Mitgliedstaaten bei der Entscheidung darüber, ob die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der verfahrensrechtlichen Vorschriften der Richtlinie für Schadensersatzklagen gelten, die nach dem 26. Dezember 2014, aber vor dem Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie oder spätestens vor Ablauf ihrer Umsetzungsfrist, d. h. vor dem 27. Dezember 2016, erhoben wurden, über ein Ermessen verfügten ( 11 ).

31.

Insoweit weise ich zum einen darauf hin, dass die Beschwerde gegen die Beschlüsse der erst- und zweitinstanzlichen Gerichte eingelegt wurde, die den Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln betrafen, den RegioJet am 11. Oktober 2017 nach den nationalen Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 2014/104 in tschechisches Recht gestellt hatte.

32.

Zum anderen wurde, wie aus den Stellungnahmen der Beteiligten hervorgeht, die Schadensersatzklage, für deren Zwecke der Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln gestellt wurde, am 25. November 2015 erhoben, d. h. vor dem Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie 2014/104. Dem Gesetz Nr. 262/2017 vom 20. Juli 2017 ist jedoch zu entnehmen, dass der tschechische Gesetzgeber entschieden hat, dass die nationalen Bestimmungen zur Umsetzung der Verfahrensvorschriften der Richtlinie unmittelbar und unbedingt auch für Klagen gelten, die vor dem Zeitpunkt der Umsetzung erhoben wurden ( 12 ).

33.

Somit ist davon auszugehen, dass die Art. 5 und 6 der Richtlinie 2014/104 für das Ausgangsverfahren maßgeblich sind.

34.

Diese Feststellung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die in Rede stehende Schadensersatzklage Verhaltensweisen zu betreffen scheint, die vor Erlass der Richtlinie 2014/104 stattfanden. Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie steht nämlich nur einer rückwirkenden Anwendung der nationalen Vorschriften entgegen, die die materiell-rechtlichen Bestimmungen der Richtlinie umsetzen. Bei den Art. 5 und 6 der Richtlinie handelt es sich jedoch um Verfahrensvorschriften.

35.

Ebenso wenig wird die Feststellung dadurch in Frage gestellt, dass die Beweismittel, deren Offenlegung in dieser Rechtssache beantragt wurde, in den Akten der tschechischen Wettbewerbsbehörde enthalten sind, die ihr Verfahren am 25. Januar 2012 eröffnete. Bei der Festlegung des zeitlichen Geltungsbereichs der Verfahrensvorschriften bezieht sich Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 nämlich nicht auf den Zeitpunkt der Eröffnung eines Verfahrens durch eine Wettbewerbsbehörde, deren Interessen durch Art. 6 der Richtlinie geschützt werden, sondern auf den Zeitpunkt, an dem eine Schadensersatzklage bei einem nationalen Gericht erhoben wurde. Soweit sich die Vorschrift am Verfahren des nationalen Gerichts orientiert, definiert sie die Befugnisse dieses Gerichts in Bezug auf die Offenlegung von Beweismitteln, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind.

36.

Somit liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Auslegung der Art. 5 und 6 der Richtlinie 2014/104 offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht. Folglich sind die Vorlagefragen zur Auslegung dieser Bestimmungen zulässig.

B. Zur Offenlegung von Beweismitteln, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind

37.

Wie ich in der Einleitung zu diesen Schlussanträgen ausgeführt habe, enthält Art. 5 der Richtlinie 2014/104 allgemeine Vorschriften über die Offenlegung von Beweismitteln, während Art. 6 der Richtlinie diese allgemeine Regelung durch Vorschriften ergänzt, die speziell die Offenlegung von Beweismitteln betreffen, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind.

38.

Die zuletzt genannte Bestimmung unterscheidet zwischen mehreren Kategorien von Beweismitteln:

erstens Informationen, die von einer natürlichen oder juristischen Person eigens für das wettbewerbsbehördliche Verfahren erstellt wurden oder die Wettbewerbsbehörde im Laufe ihres Verfahrens erstellt und den Parteien übermittelt hat, und Vergleichsausführungen, die zurückgezogen wurden; nach Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 2014/104 dürfen die nationalen Gerichte die Offenlegung dieser Beweismittel erst dann anordnen, wenn eine Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren durch Erlass einer Entscheidung oder in anderer Weise beendet hat (diese Liste von Beweismitteln wird im Folgenden als „graue Liste“ bezeichnet);

zweitens Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen für Schadensersatzklagen; nach Art. 6 Abs. 6 der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Gerichte zu keinem Zeitpunkt die Offenlegung dieser Beweismittel anordnen können (diese Liste von Beweismitteln wird im Folgenden als „schwarze Liste“ bezeichnet); und

drittens Beweismittel in den Akten einer Wettbewerbsbehörde, die nicht unter eine der in Art. 6 aufgeführten Kategorien fallen; nach Art. 6 Abs. 9 der Richtlinie kann die Offenlegung dieser Beweismittel unbeschadet von Art. 6 in Verfahren über Schadensersatzklagen jederzeit angeordnet werden (diese Liste von Beweismitteln wird im Folgenden als „weiße Liste“ bezeichnet).

39.

Zudem enthält die Richtlinie 2014/104 im Hinblick auf die Offenlegung von Beweismitteln dieser Kategorien einen Mechanismus zur Abwägung der betroffenen Interessen – darunter fallen die Interessen der durch die Zuwiderhandlungen geschädigten Personen, Interessen der Zuwiderhandelnden, Interessen von Dritten und Interessen der Öffentlichkeit – bei der Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften unter der strengen Kontrolle der nationalen Gerichte, insbesondere in Bezug auf die Relevanz der beantragten Beweismittel sowie die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen im Zusammenhang mit ihrer Offenlegung ( 13 ). Zu diesem Zweck legt Art. 5 der Richtlinie Kriterien für die Ausübung der Kontrolle fest, die durch die in Art. 6 genannten Kriterien ergänzt werden.

40.

Die Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts sind im Licht dieser Vorbemerkungen zu prüfen.

C. Zu den Vorlagefragen

1.   Zur ersten Vorlagefrage

41.

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 der Anordnung eines nationalen Gerichts entgegensteht, Beweismittel für die Zwecke einer Schadensersatzklage offenzulegen, die eine Zuwiderhandlung gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen betrifft, obwohl in Bezug auf diese Zuwiderhandlung ein Verfahren vor der Kommission zum Erlass eines Beschlusses nach Kapitel III der Verordnung Nr. 1/2003 anhängig ist, das zur Aussetzung des nationalen Verfahrens geführt hat.

42.

Zur Beantwortung dieser Frage muss zunächst der Standpunkt des Unionsrechts im Hinblick auf die Aussetzung eines Verfahrens durch das nationale Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, aufgrund eines durch die Kommission eingeleiteten Verfahrens über eine Schadensersatzklage verdeutlicht werden. Anschließend ist zu prüfen, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, dass ein nationales Gericht aufgrund dieser Aussetzung die Offenlegung von Beweismitteln für die Zwecke eines Verfahrens über eine Schadensersatzklage anordnet ( 14 ).

a)   Zur Aussetzung eines Verfahrens über eine Schadensersatzklage

43.

Gemäß Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 führt die Einleitung eines Verfahrens durch die Kommission dazu, dass die Zuständigkeit der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten für die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV in Bezug auf dieselben Zuwiderhandlungen entfällt. Dagegen folgt aus Art. 16 Abs. 1 der Verordnung, dass ein mit einer Schadensersatzklage befasstes nationales Gericht nicht automatisch aufgrund der Einleitung des Verfahrens durch die Kommission seine Zuständigkeit für die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV und für die Entscheidung über die von der Kommission geprüften Zuwiderhandlungen verliert. Außerdem ist das Gericht nicht verpflichtet, das vor ihm anhängige Verfahren auszusetzen.

44.

Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 bestimmt nämlich: „Wenn Gerichte der Mitgliedstaaten nach Artikel [101 oder 102 AEUV] über Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen zu befinden haben, die bereits Gegenstand einer Entscheidung der Kommission sind, dürfen sie keine Entscheidungen erlassen, die der Entscheidung der Kommission zuwiderlaufen. [Liegt keine solche Entscheidung vor, müssen die nationalen Gerichte] es auch vermeiden, Entscheidungen zu erlassen, die einer Entscheidung zuwiderlaufen, die die Kommission in einem von ihr eingeleiteten Verfahren zu erlassen beabsichtigt. Zu diesem Zweck kann das einzelstaatliche Gericht prüfen, ob es notwendig ist, das vor ihm anhängige Verfahren auszusetzen.“

45.

Ebenso wenig verpflichtet die Richtlinie 2014/104 die nationalen Gerichte, ihre Verfahren auszusetzen. Aus Art. 6 Abs. 5 und 9 der Richtlinie geht hervor, dass diese Vorschrift die Auslegung stützt, wonach ein Verfahren über eine Schadensersatzklage auch fortgesetzt werden kann, wenn ein Verfahren vor einer Wettbewerbsbehörde anhängig ist. Während nämlich Beweismittel der grauen Liste nicht offengelegt werden können, bevor eine Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren beendet hat (Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie), kann die Offenlegung von Beweismitteln der weißen Liste „in Verfahren über Schadensersatzklagen jederzeit angeordnet werden“ (Art. 6 Abs. 9 der Richtlinie).

46.

Aus unionsrechtlicher Sicht ist die Aussetzung eines Verfahrens über eine Schadensersatzklage aufgrund der Einleitung eines Verfahrens durch die Kommission somit nicht obligatorisch. Zwar muss ein nationales Gericht aus Sicht des Unionsrechts unabhängig davon, ob es sein Verfahren aussetzt oder nicht, u. a. gewährleisten, dass es keine Entscheidung erlässt, die einer von der Kommission beabsichtigten Entscheidung zuwiderläuft. Vorbehaltlich der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Beschränkungen wie denjenigen, die sich aus dem in Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 verankerten Erfordernis, die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, oder den Grundsätzen der Effektivität und der Äquivalenz ergeben, unterliegen die Wirkungen einer solchen Aussetzung jedoch erst recht dem nationalen Recht.

47.

Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass in der vorliegenden Rechtssache das Verfahren über die Schadensersatzklage aufgrund der in der nationalen Verfahrensregelung vorgesehenen Verpflichtung ausgesetzt worden sei. Der Gerichtshof hat jedoch nicht über die Frage zu entscheiden, ob eine solche „Verpflichtung“ mit den Rechten vereinbar ist, die Personen nach Unionsrecht zustehen, wenn sie aufgrund einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht geschädigt wurden. Ebenso wenig hat sich der Gerichtshof zu der Frage zu äußern, ob, vorbehaltlich der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Beschränkungen, ein nationales Gericht gemäß seiner nationalen Verfahrensregelung nach der Aussetzung seines Verfahrens Maßnahmen ergreifen kann. Im vorliegenden Fall stellt sich allein die Frage, ob es aufgrund einer solchen Aussetzung gegen die Richtlinie 2014/104 verstößt, wenn ein nationales Gericht die Offenlegung von Beweismitteln gemäß den nationalen Bestimmungen zur Umsetzung der Art. 5 und 6 der Richtlinie anordnet.

b)   Zur Anordnung der Offenlegung von Beweismitteln

48.

Wie ich in einem anderen Zusammenhang dargelegt habe ( 15 ), scheint die Richtlinie 2014/104 nicht die Abgrenzung zu definieren, die in technischer Hinsicht auf Verfahrensebene zwischen einem Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln und einer Schadensersatzklage vorzunehmen ist (ein Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln als Maßnahme in einem Hauptsacheverfahren, ein im Rahmen eines Zwischenverfahrens geprüfter Antrag oder ein im Rahmen eines getrennten Verfahrens geprüfter Antrag). Im gleichen anderen Zusammenhang habe ich festgestellt, dass ein Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln, der vor der Erhebung einer Schadensersatzklage gestellt wird, ebenfalls dem Geltungsbereich der Art. 5 und 6 der Richtlinie unterliegen kann ( 16 ). Erst recht führt in einem ersten Schritt die Aussetzung eines Verfahrens über eine Schadensersatzklage nicht dazu, dass die für die Zwecke dieses Verfahrens erlassenen Maßnahmen zur Offenlegung von Beweismitteln aus dem Geltungsbereich der Richtlinie herausfallen. Wenig überzeugend erscheint jedenfalls das Argument, dass die Richtlinie nach der Wiederaufnahme des Verfahrens wieder anwendbar werde. In einem zweiten Schritt führt die Aussetzung eines Verfahrens über eine Schadensersatzklage jedenfalls aus Sicht der Richtlinie nicht automatisch dazu, dass das nationale Gericht daran gehindert ist, die Offenlegung von Beweismitteln für die Zwecke des Verfahrens anzuordnen.

49.

Gleiches gilt für den Fall, dass die Aussetzung eines solchen Verfahrens aufgrund der Einleitung eines Verfahrens durch die Kommission erfolgt – eine Aussetzung, die im Hinblick auf das Unionsrecht nicht obligatorisch ist ( 17 ). Wie nämlich oben in Nr. 45 dieser Schlussanträge dargelegt, ist es, vorbehaltlich der besonderen Modalitäten, die für Beweismittel der schwarzen und der grauen Liste gelten, zumindest grundsätzlich mit der Richtlinie 2014/104 vereinbar, dass ein nationales Gericht die Offenlegung von in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthaltenen Beweismitteln anordnet, bevor diese Behörde ihr Verfahren beendet.

50.

Dabei muss das nationale Gericht jedoch alle Anforderungen einhalten, die sich aus der Richtlinie 2014/104 ergeben, und insbesondere die Offenlegung von Beweismitteln auf das beschränken, was relevant, verhältnismäßig und notwendig ist. Wie ich in Nr. 39 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, sind diese Anforderungen ein zentraler Bestandteil des Mechanismus, der die Abwägung der betroffenen Interessen, insbesondere der Interessen der Öffentlichkeit bei der Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften, durch die nationalen Gerichte gewährleisten soll.

51.

Insoweit bestimmt Art. 6 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2014/104, dass die nationalen Gerichte bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Anordnung zur Offenlegung von Informationen zusätzlich berücksichtigen, „ob die Partei, die die Offenlegung beantragt, diesen Antrag im Rahmen einer Schadensersatzklage vor einem nationalen Gericht stellt“. Daraus schließe ich, dass ein nationales Gericht im Rahmen dieser sorgfältig vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung – insbesondere wenn es sich um Beweismittel handelt, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind ( 18 ) – auch berücksichtigen muss, dass das Verfahren über die Schadensersatzklage ausgesetzt wurde.

52.

Die Erwägung, wonach die Richtlinie 2014/104 einer Anordnung eines nationalen Gerichts, Beweismittel für die Zwecke eines Verfahrens über eine Schadensersatzklage offenzulegen, das aufgrund der Eröffnung eines Verfahrens durch die Kommission ausgesetzt wurde, grundsätzlich nicht entgegensteht, wird nicht durch die Verpflichtung in Frage gestellt, wonach „Gerichte der Mitgliedstaaten[, wenn sie] nach Artikel [101 oder 102 AEUV] über Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen zu befinden haben, … keine Entscheidungen erlassen [dürfen], … die einer Entscheidung zuwiderlaufen, die die Kommission in einem von ihr eingeleiteten Verfahren zu erlassen beabsichtigt“ ( 19 ).

53.

Die Kommission vertritt die Auffassung, dass sich der Anwendungsbereich von Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 auf die Anwendung von Art. 101 oder 102 AEUV beschränke oder, anders ausgedrückt, auf die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht durch ein nationales Gericht. Eine Anordnung der Offenlegung von Beweismitteln, die nur einen Verfahrensbeschluss darstelle, falle nicht in den Anwendungsbereich von Art. 16 Abs. 1 der Verordnung.

54.

Ohne die Auslegung und das Ergebnis der Kommission in Frage stellen zu wollen, neige ich zu einer differenzierteren Auslegung. Sowohl der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit als auch das Ziel einer wirksamen und einheitlichen Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union und der allgemeine Grundsatz der Rechtssicherheit, die auch in Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 ihren Niederschlag finden ( 20 ), verpflichten meines Erachtens nämlich ein nationales Gericht, das vor der Kommission anhängige Verfahren beim Erlass eines Beschlusses oder einer Maßnahme im Lauf eines Verfahrens über eine Schadensersatzklage zu berücksichtigen, insbesondere wenn der Beschluss oder die Maßnahme, und sei es auch nur punktuell, die Feststellung des Vorliegens einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft.

55.

Insoweit weise ich darauf hin, dass ein nationales Gericht die Offenlegung von Beweismitteln auf Antrag einer Person, die einen Schaden aufgrund einer Zuwiderhandlung geltend macht, nur dann anordnen kann, wenn die Plausibilität des Schadensersatzanspruchs, für den die Offenlegung beantragt wird, begründet wurde ( 21 ).

56.

Das Bestreben, einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, das auf den Wunsch zurückzuführen ist, die einheitliche Anwendung der Wettbewerbsregeln zu gewährleisten und den allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit zu wahren, wird grundsätzlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass ein nationales Gericht die Offenlegung von Beweismitteln für die Zwecke eines Verfahrens über eine Schadensersatzklage anordnet, das aufgrund eines durch die Kommission eingeleiteten Verfahrens ausgesetzt wurde ( 22 ).

57.

Aus den Urteilen Gasorba u. a. ( 23 ) und Groupe Canal +/Kommission ( 24 ) geht nämlich hervor, dass, wenn die Kommission zum einen „[b]eabsichtigt …, eine Entscheidung zur Abstellung einer Zuwiderhandlung zu erlassen,“ und zum anderen eine Entscheidung gemäß Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 erlässt, die die Verpflichtungszusagen von Unternehmen für bindend erklärt, die nationalen Gerichte im Hinblick auf die betreffenden Verhaltensweisen keine „Negativentscheidungen“ erlassen dürfen, mit denen festgestellt wird, dass kein Verstoß gegen die Art. 101 und 102 AEUV vorliegt. Die Anordnung der Offenlegung von Beweismitteln nach der Feststellung, dass die Plausibilität des Schadensersatzanspruchs, für dessen Zwecke die Offenlegung beantragt wird, begründet ist, kann angesichts des Umstands, dass die Kommission ihr Verfahren fortsetzt und untersucht, ob ein Verstoß gegen die Art. 101 und 102 AEUV vorliegt, nicht mit einer „Negativentscheidung“ gleichgesetzt werden.

58.

Zudem ergibt sich aus dem Urteil Masterfoods und HB ( 25 ), dass, wenn ein nationales Gericht, „um nicht eine der Entscheidung der Kommission zuwiderlaufende Entscheidung zu erlassen“, das Verfahren aussetzt, weil die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Gültigkeit der Entscheidung der Kommission in Bezug auf Art. 101 oder 102 AEUV abhängt, welche Gegenstand einer Nichtigkeitsklage des Adressaten dieser Entscheidung ist, das nationale Gericht „zu prüfen [hat], ob vorläufige Maßnahmen zu erlassen sind, um die Interessen der Beteiligten bis zu seiner abschließenden Entscheidung zu schützen“. Liegt keine Entscheidung der Kommission vor, kann das Bestreben, einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, erst recht nicht das nationale Gericht, das sein Verfahren aufgrund der Einleitung des Verfahrens der Kommission aussetzt, daran hindern, die Begründung der Plausibilität des Schadensersatzanspruchs festzustellen und die Offenlegung von Beweismitteln anzuordnen.

59.

Somit ist die Anordnung eines nationalen Gerichts, Beweismittel für die Zwecke eines Schadensersatzverfahrens offenzulegen, das aufgrund der Eröffnung eines Verfahrens durch die Kommission ausgesetzt wurde, grundsätzlich keine Entscheidung im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003, die geeignet ist, der Entscheidung zuwiderzulaufen, die die Kommission im Rahmen des Verfahrens zu erlassen beabsichtigt.

60.

In Anbetracht der in den vorstehenden Randnummern angestellten Erwägungen ist Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 dahin gehend auszulegen, dass er der Anordnung eines nationalen Gerichts, Beweismittel für die Zwecke einer Schadensersatzklage offenzulegen, die eine Zuwiderhandlung gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen betrifft, selbst dann nicht entgegensteht, wenn in Bezug auf diese Zuwiderhandlung ein Verfahren vor der Kommission zum Erlass eines Beschlusses nach Kapitel III der Verordnung Nr. 1/2003 anhängig ist, das zur Aussetzung des nationalen Verfahrens geführt hat.

2.   Zur dritten Vorlagefrage

61.

Mit der dritten Frage, die vor der zweiten Frage zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Aussetzung des Verfahrens durch eine nationale Wettbewerbsbehörde aufgrund der Einleitung eines Verfahrens durch die Kommission nach Kapitel III der Verordnung Nr. 1/2003 als Beendigung des Verfahrens „durch Erlass einer Entscheidung oder in anderer Weise“ im Sinne von Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 2014/104 angesehen werden kann.

62.

Zur Erinnerung: Die nationalen Gerichte dürfen nach Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 2014/104 die Offenlegung von Beweismitteln der grauen Liste erst dann anordnen, wenn eine Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren durch Erlass einer Entscheidung oder in anderer Weise beendet hat. Im 25. Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es, dass die Beendigung des Verfahrens beispielsweise durch den Erlass eines Beschlusses gemäß Art. 5 der Verordnung Nr. 1/2003 erfolgt ( 26 ), „mit Ausnahme von Beschlüssen über einstweilige Maßnahmen“.

63.

Nach Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 kann eine nationale Wettbewerbsbehörde die Abstellung von Zuwiderhandlungen anordnen, einstweilige Maßnahmen anordnen, Verpflichtungszusagen annehmen und Geldbußen, Zwangsgelder oder sonstige im innerstaatlichen Recht vorgesehene Sanktionen verhängen. Nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung können die nationalen Wettbewerbsbehörden, wenn die Voraussetzungen für ein Verbot nach den ihnen vorliegenden Informationen nicht gegeben sind, entscheiden, dass für sie kein Anlass besteht, tätig zu werden ( 27 ). Vorbehaltlich einstweiliger Maßnahmen und im Unterschied zu diesen betrifft Art. 5 Abs. 1 und 2 der Verordnung somit Entscheidungen, die erlassen werden, wenn eine nationale Wettbewerbsbehörde feststellt, dass es angesichts der im Verfahren eingeholten Informationen möglich oder sogar notwendig ist, über das Verfahren zu entscheiden und es zu beenden.

64.

Dies vorausgeschickt, scheint das vorlegende Gericht in Bezug auf den Erlass einer Entscheidung zur Verfahrensbeendigung den Schwerpunkt auf die Alternative in Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 2014/104 zu legen, d. h. die Beendigung des Verfahrens „in anderer Weise“.

65.

Insoweit sah der ursprüngliche Vorschlag für die Richtlinie ( 28 ) in einer seiner Bestimmungen vor, dass die Offenlegung der Beweismittel der grauen Liste erst angeordnet werden kann, „nachdem eine Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren eingestellt oder eine in Artikel 5 der Verordnung Nr. 1/2003 oder in Kapitel III der Verordnung Nr. 1/2003 genannte Entscheidung erlassen hat“ ( 29 ).

66.

Die Formulierung dieser Bestimmung war während der Vorarbeiten Gegenstand von Diskussionen. Insbesondere ist dem Entwurf einer legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments ( 30 ) zu entnehmen, dass dieses Organ versucht hat, die Formulierung so zu verändern, dass sie in allgemeinerer Form die Auffassung transportiert, dass die Offenlegung von Beweismitteln der grauen Liste erst angeordnet werden kann, wenn eine Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren „auf irgendeine Weise“ eingestellt hat.

67.

Letztlich wurde die Formulierung der Bestimmung des ursprünglichen Vorschlags in den 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104 aufgenommen, wobei klargestellt wurde, dass es sich um ein Beispiel handelt („ihr Verfahren beendet hat, beispielsweise durch den Erlass eines Beschlusses gemäß Artikel 5 oder gemäß Kapitel III der [Verordnung Nr. 1/2003]“) ( 31 ).

68.

Noch wichtiger ist, dass die dem Entwurf einer legislativen Entschließung des Parlaments zugrunde liegende Auffassung die Formulierung von Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 2014/104 („ihr Verfahren durch Erlass einer Entscheidung oder in anderer Weise beendet hat“) inspiriert zu haben scheint, ohne in Wirklichkeit den Sinn des ursprünglichen Vorschlags der Kommission („nachdem eine Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren eingestellt oder eine … Entscheidung erlassen hat“) zu verändern. Es ging lediglich um die Klarstellung, dass auch Entscheidungen nach Art. 5 der Verordnung Nr. 1/2003 das Verfahren einer nationalen Wettbewerbsbehörde im Sinne von Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie „beenden“.

69.

Wenn sich daher die Richtlinie 2014/104 auf die Beendigung des Verfahrens „durch Erlass einer Entscheidung oder in anderer Weise“ bezieht, handelt es sich um die Maßnahmen, die, was ihren Wesensgehalt und Zweck betrifft, erlassen werden, wenn eine nationale Wettbewerbsbehörde entscheidet, dass es angesichts der im Verfahren eingeholten Informationen möglich oder sogar notwendig ist, über das Verfahren zu entscheiden und es zu beenden. Folglich kann die Aussetzung des Verfahrens durch eine nationale Wettbewerbsbehörde nicht mit der Beendigung des Verfahrens „in anderer Weise“ durch diese Behörde gleichgesetzt werden.

70.

Gleiches gilt für die Aussetzung des Verfahrens durch eine nationale Wettbewerbsbehörde aufgrund der Einleitung eines Verfahrens durch die Kommission.

71.

In Übereinstimmung mit der griechischen Regierung ist nämlich festzustellen, dass nach Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 ( 32 ) die Einleitung eines Verfahrens durch die Kommission den nationalen Wettbewerbsbehörden nicht dauerhaft und endgültig ihre Zuständigkeit für die Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts nimmt. Die Zuständigkeit lebt wieder auf, sobald das von der Kommission eingeleitete Verfahren beendet ist ( 33 ). Im Übrigen sieht Art. 16 Abs. 2 der Verordnung vor, dass die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten ihre Befugnis zum Tätigwerden sowohl im Rahmen des Unionsrechts als auch im Rahmen des nationalen Wettbewerbsrechts selbst dann behalten, wenn die Kommission ihrerseits bereits eine Entscheidung getroffen hat, sofern sie keine Entscheidungen treffen, die der von der Kommission erlassenen Entscheidung zuwiderlaufen würden ( 34 ).

72.

Die teleologische Auslegung von Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 2014/104 spricht für die in Nr. 69 dieser Schlussanträge vorgeschlagene Auslegung.

73.

Der erste Satz des 25. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2014/104 verweist auf die Ratio des zeitlichen Schutzes von Beweismitteln der grauen Liste: „Eine Ausnahme von der Offenlegung sollte für den Fall gelten, dass die Offenlegung – sofern sie angeordnet wird – die laufende Untersuchung einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union oder nationales Wettbewerbsrecht durch eine Wettbewerbsbehörde übermäßig beeinträchtigen würde.“

74.

Hierzu ist festzustellen, dass zum einen das Verfahren der Kommission, das zur Aussetzung des Verfahrens der tschechischen Wettbewerbsbehörde geführt hat, noch immer im Gange ist. Somit könnte nach der Logik von Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 2014/104 auch die Durchführung des Verfahrens dieses Organs durch die Offenlegung von Beweismitteln beeinträchtigt werden, die sich in den Akten der tschechischen Wettbewerbsbehörde befinden. Das Verfahren der tschechischen Wettbewerbsbehörde betrifft dieselben Zuwiderhandlungen wie das Verfahren der Kommission. Zum anderen ist angesichts des Umstands, dass die Zuständigkeit der tschechischen Wettbewerbsbehörde theoretisch wieder aufleben kann, das Interesse an der Durchführung ihres Verfahrens ein stichhaltiger Grund, um den Beweisen in den Akten dieser Behörde zeitweisen Schutz zu gewähren.

75.

Somit ist Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 2014/104 dahin auszulegen, dass die Aussetzung eines Verfahrens durch eine nationale Wettbewerbsbehörde aufgrund der Einleitung eines Verfahrens nach Kapitel III der Verordnung Nr. 1/2003 durch die Kommission nicht als Beendigung des Verfahrens der nationalen Wettbewerbsbehörde „durch Erlass einer Entscheidung oder in anderer Weise“ im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann.

3.   Zur zweiten Vorlagefrage

76.

Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 8, Art. 6 Abs. 5 Buchst. a und Abs. 9 der Richtlinie 2014/104 einer nationalen Regelung entgegenstehen, die gemäß Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie die Offenlegung aller Informationen, die für die Zwecke des von der Wettbewerbsbehörde eingeleiteten Verfahrens „vorgelegt“ wurden, und nicht nur der Informationen, die ausdrücklich für diese Zwecke „erstellt“ wurden, zeitlich beschränkt.

77.

Zwar scheint sich die zweite Vorlagefrage ihrer Formulierung nach nur auf die Auslegung von Art. 6 Abs. 5 und 9 der Richtlinie 2014/104 zu beziehen, doch möchte das Gericht wissen, um den Wortlaut seines Vorabentscheidungsersuchens aufzugreifen, ob die Richtlinie dem Erlass einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Kreis der Informationen erweitert, die während der Dauer des Verfahrens vor der Wettbewerbsbehörde von der Offenlegung ausgeschlossen sind. Der Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Art. 5 und 6 der Richtlinie ist in Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie umschrieben. Es erscheint mir daher notwendig, die zweite Vorlagefrage umzuformulieren und ihre Tragweite auf die zuletzt genannte Bestimmung zu erweitern.

78.

Der Klarstellung halber sei zudem darauf hingewiesen, dass der Wortlaut der zweiten Frage zwar auf Informationen Bezug nimmt, „die eine Partei aufgrund anderer Rechtsvorschriften zu erstellen und aufzubewahren hat (bzw. erstellt und aufbewahrt), unabhängig von einem Verfahren wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht“. Liest man die Formulierung („und zwar auch dann, wenn es sich um Informationen handelt“) jedoch im Licht des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens ( 35 ), ergibt sich daraus, dass diese Bezugnahme nur als Beispiel für die von der Vorlagefrage erfassten Beweise dient.

79.

Vor der Analyse der so umformulierten zweiten Frage ist ihre Zulässigkeit zu prüfen, die von České dráhy bestritten wird.

a)   Zur Zulässigkeit der zweiten Vorlagefrage

80.

České dráhy macht geltend, die Frage sei verfrüht und hypothetisch, da sich die tschechischen nationalen Gerichte bis heute nicht dazu geäußert hätten, ob die Dokumente, die Gegenstand des Antrags auf Offenlegung seien, ausdrücklich für das Verfahren vor der tschechischen Wettbewerbsbehörde oder für das Verfahren der Kommission erstellt worden seien.

81.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gilt. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.

82.

Von der Beantwortung der genannten Frage durch den Gerichtshof hängt jedoch die Identifikation der Beweismittel der weißen Liste ab, die gegebenenfalls offengelegt werden können, obwohl die tschechische Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren nicht beendet hat. Folglich ist die zweite Vorlagefrage zulässig.

b)   Zur Begründetheit

83.

Das vorlegende Gericht stellt fest, gemäß Art. 6 Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie 2014/104 erfasse die graue Liste nicht, wie die tschechischen Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie ihrem Wortlaut zufolge annähmen, alle Informationen, die für die Zwecke des Verfahrens vorgelegt würden, sondern nur die Informationen, die ausdrücklich für die Zwecke des Verfahrens einer Wettbewerbsbehörde erstellt würden.

84.

Dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie 2014/104, ausgelegt im Licht ihres 25. Erwägungsgrundes ( 36 ), ist nämlich zu entnehmen, dass der vorübergehende Schutz, der durch die erstgenannte Bestimmung gewährt wird, nicht für alle Informationen gilt, die ausdrücklich, spontan oder auf Verlangen der Wettbewerbsbehörde für die Zwecke des Verfahrens vorgelegt wurden, sondern nur für Informationen, die speziell für die Zwecke eines Verfahrens der Wettbewerbsbehörde erstellt wurden.

85.

Dieses Ergebnis der Auslegung des Wortlauts wird durch die Erwägungen bestätigt, die sich aus der systematischen Auslegung ergeben.

86.

Als Erstes bestimmt Art. 6 Abs. 9 der Richtlinie 2014/104, der die Beweismittel der weißen Liste betrifft, dass die Offenlegung von Beweismitteln in den Akten einer Wettbewerbsbehörde, die nicht der grauen oder der schwarzen Liste angehören, in Verfahren über Schadensersatzklagen jederzeit angeordnet werden kann. Sodann verwendet der 28. Erwägungsgrund der Richtlinie, der den Regelungsgehalt dieser Bestimmung präzisiert, die Formulierung „Beweismittel, die unabhängig von einem wettbewerbsbehördlichen Verfahren vorliegen (im Folgenden ‚bereits vorhandene Informationen‘)“, um auf andere als die in Art. 6 Abs. 5 und 6 der Richtlinie genannten Beweismittel Bezug zu nehmen. Es handelt sich somit um jedes Beweismittel, dessen Offenlegung nicht automatisch wegen seiner Zugehörigkeit zur grauen oder schwarzen Liste im Interesse der öffentlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts durch die Richtlinie untersagt wird. Schließlich definiert Art. 2 Nr. 17 der Richtlinie den Begriff „bereits vorhandene Informationen“ als „Beweismittel, die unabhängig von einem wettbewerbsbehördlichen Verfahren vorliegen, unabhängig davon, ob diese Informationen in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind oder nicht“. Aus dieser Definition und vor allem aus ihrem letzten Teil ergibt sich, dass Beweismittel, die in solchen Akten enthalten sind, ebenfalls der weißen Liste angehören können ( 37 ). Insbesondere bei Informationen, die eine Partei des Verfahrens aufgrund anderer Rechtsvorschriften und unabhängig von einem Verfahren wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht zu erstellen und aufzubewahren hat (bzw. erstellt und aufbewahrt), handelt es sich fraglos um bereits vorhandene Informationen, deren Offenlegung die nationalen Gerichte grundsätzlich jederzeit anordnen können.

87.

Als Zweites ist festzustellen, dass Art. 6 Abs. 8 der Richtlinie 2014/104 Ausdruck der Vorstellung ist, dass zum einen der Schutz von Beweismitteln der grauen und der schwarzen Liste auf Fälle, in denen der Schutz tatsächlich notwendig und deshalb den Zielen der Richtlinie angemessen ist, beschränkt werden soll und zum anderen ein weitgehender Zugang zu Beweismitteln zu erlauben ist, und vorsieht, dass, soweit nur bestimmte Teile der angeforderten Beweismittel der schwarzen Liste unterliegen („unter Absatz 6 fallen“), die übrigen Teile je nach Kategorie gemäß den einschlägigen Absätzen von Art. 8 der Richtlinie freigegeben werden ( 38 ).

88.

Unbeschadet von Art. 5 Abs. 4 und 7 sowie Art. 6 der Richtlinie 2014/104 ermächtigt ihr Art. 5 Abs. 8 die Mitgliedstaaten, Vorschriften einzuführen, die zu einer umfassenderen Offenlegung von Beweismitteln führen würden.

89.

Daraus folgt, dass Art. 5 der Richtlinie 2014/104 grundsätzlich auf einer Mindestangleichung beruht, während Art. 6 der Richtlinie eine abschließende Harmonisierung zugrunde liegt. Somit sind die Mitgliedstaaten zum einen nicht befugt, bei der Umsetzung der Richtlinie die Bedingungen zu nuancieren, nach denen die Beweismittel als der grauen, schwarzen oder weißen Liste zugehörig einzustufen sind („Unbeschadet … des Artikels 6“) ( 39 ). Zum anderen würde, um die Formulierung des vorlegenden Gerichts aufzugreifen, die Befugnis der Mitgliedstaaten, den Kreis der Informationen der grauen Liste zu erweitern, meiner Meinung nach zu einer begrenzteren Offenlegung von Beweismitteln führen, was der Logik von Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie widerspräche.

90.

Somit sind Art. 5 Abs. 8, Art. 6 Abs. 5 Buchst. a und Abs. 9 der Richtlinie 2014/104 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die gemäß Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie nicht nur die Offenlegung von Informationen, die für die Zwecke des von der Wettbewerbsbehörde eingeleiteten Verfahrens ausdrücklich „erstellt“ wurden, sondern auch die Offenlegung aller für diese Zwecke „vorgelegten“ Informationen zeitlich beschränkt.

91.

Der Vollständigkeit halber muss ich darauf hinweisen, dass die nationalen Gerichte bei der Anwendung des nationalen Rechts, dessen Wortlaut mit der Richtlinie identisch ist oder davon abweicht, dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auslegen müssen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen ( 40 ).

4.   Zur vierten Vorlagefrage

a)   Umformulierung der Vorlagefrage

92.

Mit der vierten Vorlagefrage, deren Umformulierung ich aus den in den vorstehenden Nummern dargelegten Gründen vorschlage, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass es mit diesen Bestimmungen vereinbar ist, wenn ein nationales Gericht über die Offenlegung von Beweismitteln entscheidet, ihre Aufbewahrung bei Gericht anordnet und die Prüfung der Frage, ob die Beweismittel „Informationen enthalten, die von einer natürlichen oder juristischen Person eigens für das wettbewerbsbehördliche Verfahren erstellt wurden“, im Sinne der zuletzt genannten Bestimmung, auf den Zeitpunkt verschiebt, zu dem das Gericht Zugang zu diesen Beweismitteln erhält.

93.

Zwar bezieht sich die Formulierung der vierten Frage auf die entsprechende Anwendung der nationalen Bestimmung zur Umsetzung von Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie 2014/104 auf Beweismittel, die unter die graue Liste fallen können, doch weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es mit dieser Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob ein Gericht die in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie geregelte Offenlegung von Beweismitteln anordnen kann, um zu beurteilen, ob diese Beweismittel „Informationen enthalten, die von einer natürlichen oder juristischen Person eigens für das wettbewerbsbehördliche Verfahren erstellt wurden“, im Sinne von Art. 6 Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie.

94.

Zudem hat das rechtliche Problem, das mit dieser Frage aufgeworfen wird, seinen Ursprung in dem Beschluss vom 29. November 2019. Ich muss insoweit darauf hinweisen, dass die von diesem Gericht getroffenen Maßnahmen nicht ganz dem Mechanismus entsprechen, der in Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie 2014/104 vorgesehen ist ( 41 ). Diese Bestimmung enthält nämlich einen Mechanismus zur Vorabprüfung des Inhalts der Beweismittel, die unter die schwarze Liste fallen könnten. Gemäß Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie 2014/104 kann ein Kläger einen begründeten Antrag stellen, dass ein nationales Gericht solche Beweismittel nur einsieht, um sich zu überzeugen, dass ihr Inhalt es gebietet, sie als der schwarzen Liste zugehörig anzusehen. Im vorliegenden Fall hat der Kläger jedoch keinen solchen Antrag gestellt. Zudem wurde die Offenlegung von Beweismitteln zum gleichen Zeitpunkt wie die Maßnahmen angeordnet, mit denen sich überprüfen lässt, ob die Beweismittel Informationen enthalten, die der grauen Liste angehören.

95.

Unter diesen Umständen ist es für eine zweckdienliche Beantwortung der vierten Vorlagefrage unerheblich, ob in Bezug auf Beweismittel, die unter die graue Liste fallen können, eine entsprechende Anwendung von Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie 2014/104 unter der Geltung der Richtlinie zulässig ist oder nicht. Vielmehr muss die Richtlinie ausgelegt werden, damit das vorlegende Gericht feststellen kann, ob die vom zweitinstanzlichen Gericht vertretene Auffassung mit der Richtlinie vereinbar ist. Somit ist die Vorlagefrage so umzuformulieren, wie oben in Nr. 92 dieser Schlussanträge dargelegt.

96.

Angesichts dieser Umformulierung ist das Vorbringen von České dráhy zurückzuweisen, wonach die vierte Vorlagefrage hypothetisch sei, da das erstinstanzliche und das zweitinstanzliche Gericht die nationale Bestimmung zur Umsetzung von Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie 2014/104 nicht – auch nicht entsprechend – angewandt haben.

b)   Würdigung

97.

Vorab ist festzustellen, dass der ursprüngliche Vorschlag der Richtlinie 2014/104 keinen Vorabprüfungsmechanismus wie den in Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie vorgesehenen enthielt. Dieser Mechanismus scheint auf eine Änderung zurückzugehen, die im Rahmen des Entwurfs einer legislativen Entschließung des Parlaments diskutiert wurde. Im Unterschied zu der Lösung, die in der Richtlinie gewählt wurde, schien diese Änderung jedoch darauf gerichtet zu sein, die nationalen Gerichte zu ermächtigen, auf Beweismittel in den Akten einer Wettbewerbsbehörde zuzugreifen und sie zu prüfen. Diese Befugnis betraf nicht nur Beweismittel, die der schwarzen Liste angehören können, sondern auch Beweismittel, die der grauen Liste angehören können ( 42 ).

98.

Somit stellt sich die Frage, ob der Umstand, dass die Richtlinie 2014/104 keine entsprechende Befugnis in Bezug auf möglicherweise unter die graue Liste fallende Beweismittel enthält, automatisch dazu führt, dass die vom zweitinstanzlichen Gericht vertretene Auffassung nicht mit Unionsrecht vereinbar ist. Insoweit ist zu berücksichtigen, auf welcher Art von Harmonisierung Art. 6 der Richtlinie beruht und welche Befugnisse die Richtlinie den nationalen Gerichten in Bezug auf den Zugang zu Beweismitteln in den Akten einer Wettbewerbsbehörde einräumt.

1) Art der Harmonisierung

99.

Art. 6 der Richtlinie 2014/104 beruht auf einer abschließenden Harmonisierung ( 43 ). Was die Beweismittel betrifft, die unter die graue Liste fallen können, hat der Unionsgesetzgeber keinen Vorabprüfungsmechanismus wie den in Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie vorgesehen. Ich erinnere jedoch daran, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um eine entsprechende oder erweiterte Anwendung dieser Bestimmung auf solche Beweismittel handelt.

100.

Für die Feststellung, ob die abschließende Harmonisierung der vom zweitinstanzlichen Gericht vertretenen Auffassung entgegensteht, reicht es daher nicht, auf den Wortlaut von Art. 6 der Richtlinie 2014/104 zu verweisen. Bei der Bestimmung des Umfangs der abschließenden Harmonisierung, die der Unionsgesetzgeber durch diese Bestimmung erreichen wollte, muss meiner Meinung nach auch der Kontext berücksichtigt werden, in den die Vorschrift eingebettet ist, sowie die Erwägungen, die den Unionsgesetzgeber dazu bewogen haben, eine abschließende Harmonisierung der von der genannten Bestimmung erfassten Bereiche vorzunehmen.

101.

Im 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104 heißt es: „Wirksamkeit und Kohärenz der Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV durch die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden setzen ein in der ganzen Union einheitliches Konzept für die Offenlegung von Beweismitteln, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind, voraus. Die Offenlegung von Beweismitteln sollte die Wirksamkeit der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts durch die Wettbewerbsbehörden nicht übermäßig beeinträchtigen.“ Folglich nahm der Unionsgesetzgeber die abschließende Harmonisierung hauptsächlich im Interesse der öffentlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts vor.

102.

Gemäß Art. 6 Abs. 4 Buchst. c der Richtlinie 2014/104 ist jedoch „die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der öffentlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts zu wahren“, auch einer der Gesichtspunkte, die die nationalen Gerichte bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Anordnung zur Offenlegung von Beweismitteln, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind, berücksichtigen müssen. Somit obliegt es als gemeinsame Aufgabe sowohl der Verantwortung der Gesetzgeber als auch der Verantwortung der für Schadensersatzklagen zuständigen nationalen Gerichte, dafür Sorge zu tragen, dass die Offenlegung von Beweismitteln, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind, nicht die Wirksamkeit der Verfahren der Wettbewerbsbehörden beeinträchtigt.

103.

Daraus folgt, dass, wenn ein nationales Gericht diese Notwendigkeit auch berücksichtigen muss, wenn es über die Offenlegung von Beweismitteln in den Akten einer Wettbewerbsbehörde entscheidet, nicht ausgeschlossen werden kann, dass trotz der Harmonisierung bestimmte Gesichtspunkte, die die von dieser Bestimmung erfassten Bereiche betreffen, von einem Mitgliedstaat präzisiert und/oder nuanciert werden können. Meines Erachtens betrifft die vom zweitinstanzlichen Gericht vertretene Auffassung einen dieser Gesichtspunkte.

104.

Zudem waren dem Unionsgesetzgeber, als er die abschließende Harmonisierung der von Art. 6 der Richtlinie 2014/104 erfassten Bereiche vornahm, das Interesse der Personen, die einen Schaden durch Zuwiderhandlungen geltend machen, und die Wirksamkeit der öffentlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts bewusst. Die Bestimmung begünstigt nämlich eine weitgehende Offenlegung von Beweismitteln, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind und nicht der grauen oder der schwarzen Liste angehören ( 44 ). Soweit sie daher die Offenlegung von Beweismitteln der weißen Liste begünstigt, fügt sich die vom zweitinstanzlichen Gericht in der vorliegenden Rechtssache vertretene Auffassung in diese Logik ein.

105.

Zur Klarstellung weise ich darauf hin, dass Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie 2014/104 die Mitgliedstaaten zur Gewährung eines Verfahrensrechts an einen „Kläger“ verpflichtet, der bei Geltendmachung der Ausnahme nach Art. 6 Abs. 6 der Richtlinie bei einem nationalen Gericht beantragen kann, dass es in die Beweismittel einsieht, um zu prüfen, ob sie aufgrund ihres Inhalts nicht unter die schwarze Liste fallen ( 45 ). Die vom zweitinstanzlichen Gericht vertretene Auffassung stützt sich jedoch nicht auf das Bestehen eines Rechts, auf das sich Rechtssubjekte im Zusammenhang mit Verfahren über Schadensersatzklagen systematisch berufen können. Im vorliegenden Fall handelte es sich um eine besondere Maßnahme des Gerichts angesichts der Umstände des Ausgangsverfahrens und wahrscheinlich in dem Bestreben, den Zugang zu Beweismitteln der weißen Liste zu gewährleisten. Ich teile somit die Auffassung der Kommission, dass es unter der Geltung der genannten Richtlinie im Einzelfall möglich ist, im Einklang mit dem nationalen Recht so vorzugehen wie das zweitinstanzliche Gericht in der vorliegenden Rechtssache.

106.

Die anderen Argumente von České dráhy und der Kommission, die im Wesentlichen die Funktion der nationalen Gerichte im Zusammenhang mit der Offenlegung von in den Akten einer Wettbewerbsbehörde befindlichen Beweismitteln betreffen, können dieses Ergebnis nicht in Frage stellen.

2) Die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der öffentlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts zu wahren

107.

Zwar ist es zutreffend, dass sich das Vorgehen des zweitinstanzlichen Gerichts in der vorliegenden Rechtssache sowohl für das nationale Gericht als auch für die Person, bei der die Offenlegung von Beweismitteln beantragt wird und somit für eine beklagte Partei oder eine Wettbewerbsbehörde als zu aufwendig herausstellen kann.

108.

Zum einen wird das Spektrum der Beweismittel, die sich in den Akten einer Wettbewerbsbehörde befinden und deren Offenlegung von einer Verfahrenspartei verlangt werden kann, durch die Prüfung der Verhältnismäßigkeit begrenzt. In Bezug auf diese Beweismittel muss die Prüfung nämlich sorgfältig erfolgen, wie sich dem 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104 entnehmen lässt. In diesem Erwägungsgrund heißt es weiter: „Offenlegungsanträge sollten daher nicht als verhältnismäßig angesehen werden, wenn sie sich ganz allgemein auf die Offenlegung der Unterlagen in den Akten einer Wettbewerbsbehörde zu einem bestimmten Fall oder ganz allgemein auf die Offenlegung der von einer Partei im Zusammenhang mit einem bestimmten Fall übermittelten Unterlagen beziehen.“

109.

Zum anderen berücksichtigen die nationalen Gerichte, wie oben in Nr. 102 dieser Schlussanträge dargelegt, bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit „die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der öffentlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts zu wahren“. Insoweit müssen die nationalen Gerichte nach der Lehre dafür Sorge tragen, dass die Offenlegung von Dokumenten für die Wettbewerbsbehörden nicht mit übermäßigem Aufwand verbunden ist ( 46 ).

3) Die Möglichkeit zur Überprüfung des Wahrheitsgehalts der Behauptung, die angeforderten Beweismittel fielen unter die graue Liste

110.

Nach Auffassung von České dráhy ist es mangels eines Vorabprüfungsmechanismus wie dem in Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie 2014/104 vorgesehenen für ein nationales Gericht nicht möglich, den Wahrheitsgehalt von Behauptungen einer Verfahrenspartei im Rahmen einer Schadensersatzklage in Bezug auf die Zugehörigkeit der angeforderten Beweismittel zur schwarzen Liste zu überprüfen. Etwas anderes gelte jedoch für Beweismittel, die der grauen Liste angehören könnten.

111.

Was den Urheber der Behauptungen betrifft, denen zufolge die angeforderten Beweismittel der schwarzen Liste angehören, legt die Struktur von Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie 2014/104 nahe, dass in diesem Zusammenhang den Wettbewerbsbehörden die wichtigste Funktion zukommt. Die Bestimmung sieht nämlich in einem ersten Schritt vor, dass die nationalen Gerichte die zuständige Wettbewerbsbehörde um Unterstützung bitten können. Erst in einem zweiten Schritt wird in der Vorschrift darauf hingewiesen, dass die Verfasser der betreffenden Beweismittel auch Gelegenheit zur Anhörung erhalten können. Jedoch ist Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie zu entnehmen, dass, auch wenn es sich um die schwarze Liste handelt, das nationale Gericht das letzte Wort hat ( 47 ).

112.

Die Kommission macht insoweit geltend, da die Offenlegung von Beweismitteln der schwarzen Liste dauerhaft verweigert werde, sei der Schaden, der durch eine etwaige unrechtmäßige Verweigerung der Anordnung der Offenlegung dieser Beweismittel verursacht werde, deutlich schwerwiegender als der Schaden, der durch eine Verweigerung der Anordnung der Offenlegung von Beweismitteln der grauen Liste entstehe. Die von der Kommission angeführte „unrechtmäßige Verweigerung“, die nämlich von einem nationalen Gericht ausgeht, kann jedoch auch im Rahmen der Überprüfung geschehen, die das Gericht im Zusammenhang mit dem in Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie 2014/104 vorgesehenen Vorabprüfungsmechanismus vornimmt. Noch wichtiger ist, dass das vorrangige Ziel dieses Mechanismus nicht darin besteht, die Fehler der nationalen Gerichte zu korrigieren, sondern darin, die Gefahr einer unbegründeten Weigerung und/oder eines unbegründeten Widerspruchs durch die Person, von der die Offenlegung der Beweismittel verlangt wird, zu begrenzen. Diese Auslegung wird durch den 27. Erwägungsgrund der Richtlinie erhärtet, wonach der Mechanismus den Zugang der nationalen Gerichte zu „Unterlagen, in Bezug auf die die Ausnahme geltend gemacht wird“, betrifft.

113.

Somit ist davon auszugehen, dass sogar die Beweismittel der schwarzen Liste nicht gegenüber einem nationalen Gericht, sondern gegenüber dem Antragsteller und Dritten geschützt werden. Das letzte Wort in Bezug auf ihre Einstufung als „Beweismittel der schwarzen Liste“ hat das nationale Gericht. Erst recht dürfen daher Beweismittel, deren Offenlegung dem Interesse der Öffentlichkeit grundsätzlich weniger schadet, d. h. Beweismittel der grauen Liste, nicht zwangsläufig stärker vor dem Zugriff des nationalen Gerichts geschützt werden.

114.

Im vorliegenden Fall widersprach die tschechische Wettbewerbsbehörde der Offenlegung von Beweismitteln, die ihr im Rahmen ihres 2012 eingeleiteten Verwaltungsverfahrens „zur Verfügung standen“, durch České dráhy sowie der Offenlegung „anderer von der Antragstellerin angeforderter Dokumente“, da sie „einen geschlossenen Komplex von Dokumenten [bildeten und] ihre Offenlegung … die Wirksamkeit der Politik der Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht verringern“ ( 48 ) könne.

115.

Damit den Beweismitteln jedoch der vorübergehende Schutz zuteilwerden kann, der aus ihrer Zugehörigkeit zur grauen Liste folgt, müssen sie den Definitionen in Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2014/104 entsprechen. Was einen Antrag betrifft, der die angeforderten Beweismittel hinreichend detailliert benennt ( 49 ), können eine Weigerung und/oder ein Widerspruch in Bezug auf die Offenlegung der betreffenden Beweismittel nicht „pauschal“ formuliert werden oder auf eine allgemeine Erwägung gestützt werden, wonach ihre Offenlegung die Wirksamkeit der Politik der Verfolgung von Zuwiderhandlungen verringern könnte.

116.

In Bezug auf Beweismittel, die nicht von diesen Definitionen erfasst sind, d. h. Beweismittel der weißen Liste, muss ein nationales Gericht nämlich selbst eine Prüfung vornehmen, bei der es die Notwendigkeit berücksichtigt, die Wirksamkeit der öffentlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts zu wahren ( 50 ). Eine Person, von der die Offenlegung von Beweismitteln verlangt wird, kann keine solche Prüfung anstelle des nationalen Gerichts vornehmen. Berücksichtigt man die der Richtlinie 2014/104 zugrunde liegende Notwendigkeit, die Informationsasymmetrie zu überwinden und die Wirksamkeit der öffentlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts zu gewährleisten, scheint es mit der Richtlinie vereinbar zu sein, dass ein nationales Gericht aufgrund seiner nationalen Verfahrensregelung über ein Instrument verfügt, mit dem es gegen eine übermäßige Inanspruchnahme der Ausnahme gemäß Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie vorgehen kann. Ein solches Verfahrensinstrument verstärkt die praktische Wirksamkeit der Art. 101 und 102 AEUV und fördert die Wirksamkeit der öffentlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts.

117.

Unter diesen Umständen ist Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen, dass es mit diesen Bestimmungen vereinbar ist, wenn ein nationales Gericht über die Offenlegung von Beweismitteln entscheidet, ihre Aufbewahrung bei Gericht anordnet und die Prüfung der Frage, ob die Beweismittel „Informationen enthalten, die von einer natürlichen oder juristischen Person eigens für das wettbewerbsbehördliche Verfahren erstellt wurden“, im Sinne der zuletzt genannten Bestimmung, auf den Zeitpunkt verschiebt, zu dem das Gericht Zugang zu diesen Beweismitteln erhält.

5.   Zur fünften Vorlagefrage

118.

Mit der fünften Frage, die für den Fall der Bejahung der vierten Frage gestellt wird, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein nationales Gericht, bevor es überprüft hat, ob die Beweismittel, deren Offenlegung angeordnet wurde, unter Art. 6 Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie 2014/104 fallen, dem Antragsteller und anderen Beteiligten den Zugang zu diesen Beweismitteln verweigern kann, und zwar gemäß Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie.

119.

Zwar nimmt das vorlegende Gericht auf Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 2014/104 Bezug, doch scheint mir die Auslegung dieser Bestimmung für eine zweckdienliche Beantwortung der Frage nicht erforderlich. Zwar betrifft Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie nämlich die Maßnahmen, die zum Schutz vertraulicher Informationen im Interesse einer Verfahrenspartei oder eines Dritten, d. h. im „privaten Interesse“, getroffen werden, doch betrifft Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie die Notwendigkeit, das Interesse der Öffentlichkeit an der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, d. h. das „öffentliche Interesse“, zu schützen. Jedenfalls genügt es, die zweite Bestimmung auszulegen, um die fünfte Vorlagefrage zweckdienlich zu beantworten.

120.

Gemäß Art. 6 Abs. 5 Buchst. a der Verordnung 2014/104 sind die nationalen Gerichte nämlich nicht nur berechtigt, wie die fünfte Vorlagefrage annimmt („von einem Gericht getroffene wirksame Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Informationen … können“) ( 51 ), sondern auch verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass keine andere Verfahrenspartei im Lauf eines wettbewerbsbehördlichen Verfahrens Zugang zu „Informationen, die von einer natürlichen oder juristischen Person eigens für [dieses] Verfahren erstellt wurden“, erhält. Nach dieser Logik muss ein nationales Gericht, wenn es die Offenlegung von Beweismitteln anordnet, die der grauen Liste angehören könnten, um zu überprüfen, ob dies der Fall ist, dafür Sorge tragen, dass eine andere Partei des Verfahrens erst dann Zugang zu den Beweismitteln erhält, wenn – sofern sie unter die weiße Liste fallen – das Gericht die Überprüfung abgeschlossen hat bzw. – sofern sie unter die graue Liste fallen – die zuständige Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren beendet hat.

121.

Somit ist Art. 6 Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie 2014/104 dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, wenn es die Prüfung der Frage verschiebt, ob die Beweismittel „Informationen enthalten, die von einer natürlichen oder juristischen Person eigens für das wettbewerbsbehördliche Verfahren erstellt wurden“, dafür Sorge tragen muss, dass eine andere Partei des Verfahrens erst dann Zugang zu den Beweismitteln erhält, wenn – sofern sie unter die weiße Liste fallen – das Gericht die Überprüfung abgeschlossen hat bzw. – sofern sie unter die graue Liste fallen – die zuständige Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren beendet hat.

VI. Ergebnis

122.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Nejvyšší soud (Oberstes Gericht, Tschechische Republik) wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union ist dahin gehend auszulegen, dass er der Anordnung eines nationalen Gerichts, Beweismittel für die Zwecke einer Schadensersatzklage offenzulegen, die eine Zuwiderhandlung gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen betrifft, selbst dann nicht entgegensteht, wenn in Bezug auf diese Zuwiderhandlung ein Verfahren vor der Europäischen Kommission zum Erlass eines Beschlusses nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln anhängig ist, das zur Aussetzung des nationalen Verfahrens geführt hat.

2.

Art. 5 Abs. 8 sowie Art. 6 Abs. 5 Buchst. a und Abs. 9 der Richtlinie 2014/104 stehen einer nationalen Regelung entgegen, die gemäß Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie die Offenlegung aller Informationen, die für die Zwecke des von der Wettbewerbsbehörde eingeleiteten Verfahrens „vorgelegt“ wurden, und nicht nur der Informationen, die ausdrücklich für diese Zwecke „erstellt“ wurden, zeitlich beschränkt.

3.

Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 2014/104 ist dahin auszulegen, dass die Aussetzung eines Verfahrens durch eine nationale Wettbewerbsbehörde aufgrund der Einleitung eines Verfahrens nach Kapitel III der Verordnung Nr. 1/2003 durch die Kommission nicht als Beendigung des Verfahrens der nationalen Wettbewerbsbehörde „durch Erlass einer Entscheidung oder in anderer Weise“ im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann.

4.

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie ist dahin auszulegen, dass es mit diesen Bestimmungen vereinbar ist, wenn ein nationales Gericht über die Offenlegung von Beweismitteln entscheidet, ihre Aufbewahrung bei Gericht anordnet und die Prüfung der Frage, ob die Beweismittel im Sinne der zuletzt genannten Bestimmung „Informationen enthalten, die von einer natürlichen oder juristischen Person eigens für das wettbewerbsbehördliche Verfahren erstellt wurden“, auf den Zeitpunkt verschiebt, zu dem das Gericht Zugang zu diesen Beweismitteln erhält.

5.

Art. 6 Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie 2014/104 ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, wenn es die Prüfung der Frage verschiebt, ob die Beweismittel „Informationen enthalten, die von einer natürlichen oder juristischen Person eigens für das wettbewerbsbehördliche Verfahren erstellt wurden“, dafür Sorge tragen muss, dass eine andere Partei des Verfahrens erst dann Zugang zu den Beweismitteln erhält, wenn – sofern sie unter die weiße Liste fallen – das Gericht die Überprüfung abgeschlossen hat bzw. – sofern sie unter die graue Liste fallen – die zuständige Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren beendet hat.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1).

( 3 ) Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache PACCAR (C‑163/21, EU:C:2022:286).

( 4 ) Diese Information ist den Stellungnahmen der Beteiligten zu entnehmen.

( 5 ) Verordnung der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101 und 102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18).

( 6 ) Verordnung des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1).

( 7 ) Während nämlich in einigen Sprachfassungen Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 auf die nationalen Vorschriften Bezug nimmt, die „erlassen werden, um den materiell-rechtlichen Vorschriften [der] Richtlinie zu entsprechen“, bezieht sich Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie nur auf die nationalen Vorschriften, die „nicht unter Absatz 1 fallen“. Wie ich jedoch in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache PACCAR (C‑163/21, EU:C:2022:286, Nr. 55) dargelegt habe, kann aus der Systematik der Anwendung dieser nationalen Vorschriften gefolgert werden, dass Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 die verfahrensrechtlichen Vorschriften betrifft.

( 8 ) Vgl. Urteil vom 28. März 2019, Cogeco Communications (C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 25).

( 9 ) In Fortsetzung dieser Logik kann sich jede Verfahrensvorschrift für die eine Partei des Verfahrens als Vorteil und für die andere als Nachteil erweisen. Auch dies führt nicht dazu, dass eine Vorschrift ihren Verfahrenscharakter verliert.

( 10 ) Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache PACCAR (C‑163/21, EU:C:2022:286, Nr. 57).

( 11 ) Vgl. Urteil vom 28. März 2019, Cogeco Communications (C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 28).

( 12 ) Art. 36 („Übergangsbestimmungen“) des Gesetzes lautet: „Verfahren auf Schadensersatz wegen einer Beschränkung des Wettbewerbs sowie Verfahren über den Antrag auf Regelung nach dem vorliegenden Gesetz, die von gesamtschuldnerisch haftenden Antragstellern nach dem 25. Dezember 2014 eingeleitet wurden, werden gemäß dem vorliegenden Gesetz beendet; die Rechtswirkungen von Handlungen, die im Rahmen des Verfahrens vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des vorliegenden Gesetzes vorgenommen wurden, bleiben davon unberührt.“

( 13 ) Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache PACCAR (C‑163/21, EU:C:2022:286, Nr. 89).

( 14 ) Ich erinnere daran, dass in der vorliegenden Rechtssache die Offenlegung von Beweismitteln durch den Beschluss vom 14. März 2018 angeordnet und durch den Beschluss vom 29. November 2019 bestätigt wurde. Zwischenzeitlich wurde das Verfahren über die Schadensersatzklage am 19. Dezember 2018 ausgesetzt.

( 15 ) Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache PACCAR (C‑163/21, EU:C:2022:286, Nr. 41).

( 16 ) Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache PACCAR (C‑163/21, EU:C:2022:286, Nr. 43).

( 17 ) Siehe oben, Nr. 46 dieser Schlussanträge.

( 18 ) Der 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104 lautet: „Das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit sollte sorgfältig geprüft werden, wenn durch die Offenlegung die Untersuchungsstrategie einer Wettbewerbsbehörde dadurch durchkreuzt zu werden droht, dass aufgedeckt wird, welche Unterlagen Teil der Akten sind, oder dass die Zusammenarbeit von Unternehmen mit den Wettbewerbsbehörden negativ beeinflusst wird.“

( 19 ) Diese Verpflichtung ergibt sich aus Art. 16 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1/2003 (siehe oben, Nr. 44 dieser Schlussanträge).

( 20 ) Satz 1 des 22. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 1/2003 lautet: „In einem System paralleler Zuständigkeiten müssen im Interesse der Rechtssicherheit und der einheitlichen Anwendung der Wettbewerbsregeln der [Union] einander widersprechende Entscheidungen vermieden werden.“ Vgl. auch Urteil vom 14. Dezember 2000, Masterfoods und HB (C‑344/98, EU:C:2000:689, Rn. 51), das nunmehr in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1/2003 kodifiziert ist (Urteil vom 9. Dezember 2020, Groupe Canal +/Kommission [C‑132/19 P, EU:C:2020:1007, Rn. 112], in dem der Gerichtshof auf „die einheitliche Anwendung der Wettbewerbsregeln und [den] allgemeine[n] Grundsatz der Rechtssicherheit“ Bezug nimmt).

( 21 ) Vgl. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104.

( 22 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 23. November 2017, Gasorba u. a. (C‑547/16, EU:C:2017:891, Rn. 29).

( 23 ) Urteil vom 23. November 2017 (C‑547/16, EU:C:2017:891, Rn. 5).

( 24 ) Urteil vom 9. Dezember 2020 (C‑132/19 P, EU:C:2020:1007, Rn. 113).

( 25 ) Urteil vom 14. Dezember 2000, Masterfoods und HB (C‑344/98, EU:C:2000:689, Rn. 57 und 58).

( 26 ) Zwar erwähnt dieser Erwägungsgrund auch einen Beschluss gemäß Kapitel III der Verordnung Nr. 1/2003, doch betrifft Kapitel III nur Beschlüsse der Kommission.

( 27 ) Vgl. Urteil vom 3. Mai 2011, Tele2 Polska (C‑375/09, EU:C:2011:270, Rn. 22 und 23).

( 28 ) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (COM[2013] 404 final).

( 29 ) Vgl. Art. 6 des Vorschlags. Des Weiteren sah der 20. Erwägungsgrund des Vorschlags vor, dass diese Beweismittel erst offengelegt werden können, nachdem die Wettbewerbsbehörde eine Zuwiderhandlung gegen die einzelstaatlichen Wettbewerbsvorschriften oder die Wettbewerbsvorschriften der Union festgestellt oder ihr Verfahren auf andere Weise beendet hat.

( 30 ) Entwurf einer legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments, Dokument C7‑0170/2013.

( 31 ) Hervorhebung nur hier.

( 32 ) Siehe oben, Nr. 43 dieser Schlussanträge.

( 33 ) Vgl. Urteil vom 14. Februar 2012, Toshiba Corporation u. a. (C‑17/10, EU:C:2012:72, Rn. 79 und 80).

( 34 ) Vgl. Urteil vom 14. Februar 2012, Toshiba Corporation u. a. (C‑17/10, EU:C:2012:72, Rn. 84 und 85).

( 35 ) Siehe oben, Nr. 77 dieser Schlussanträge.

( 36 ) Im 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104 heißt es, dass u. a. „Informationen, die von einer Wettbewerbsbehörde im Laufe ihres Verfahrens zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts der Union oder nationalen Wettbewerbsrechts erstellt und den Parteien jenes Verfahrens übermittelt wurden (beispielsweise eine Mitteilung der Beschwerdepunkte) oder von einer Partei dieses Verfahrens ausgearbeitet wurden (beispielsweise Antworten auf Auskunftsverlangen der Wettbewerbsbehörde oder Zeugenaussagen)“ als der grauen Liste zugehörig angesehen werden.

( 37 ) Dieses Ergebnis wird in Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2014/104 bestätigt, der auf „Beweismittel, die von einer natürlichen oder juristischen Person allein durch Einsicht in die Akten einer Wettbewerbsbehörde erlangt wurden und die nicht unter [die graue oder die schwarze Liste] fallen“, Bezug nimmt.

( 38 ) Dieser Ansatz findet seinen Niederschlag auch in den Erwägungsgründen 26 und 27 der Richtlinie 2014/104. Im letzten Satz des 26. Erwägungsgrundes der Richtlinie heißt es nämlich: „Um zu gewährleisten, dass [die Ausnahme zugunsten von Beweismitteln der schwarzen Liste] die Rechte der Geschädigten auf Schadensersatz nicht übermäßig beeinträchtigt, sollte sie auf diese freiwilligen und selbstbelastenden Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen beschränkt sein.“ Außerdem wird im letzten Satz des 27. Erwägungsgrundes der Richtlinie hervorgehoben: „Über [die schwarze Liste] hinausgehender Inhalt sollte unter den einschlägigen Bedingungen offengelegt werden können.“ Beweismittel, die der grauen Liste angehören, fallen in der Tat nicht unter die schwarze Liste. Die Möglichkeit, ihre Offenlegung sowie die Offenlegung von Beweismitteln der weißen Liste zu beantragen, ist Teil der Garantie, dass, um den Wortlaut des 27. Erwägungsgrundes Satz 1 der Richtlinie aufzugreifen, „Geschädigte nach wie vor ausreichend alternative Möglichkeiten haben, Zugang zu den relevanten Beweismitteln zu erhalten, die für die Erstellung ihrer Schadensersatzklagen erforderlich sind“. Vgl. auch hierzu in Bezug auf die Veröffentlichung von Kommissionsbeschlüssen und die in diesen enthaltenen Informationen über den Sachverhalt der Zuwiderhandlung meine Schlussanträge in der Rechtssache Evonik Degussa/Kommission (C‑162/15 P, EU:C:2016:587, Nrn. 204 und 205).

( 39 ) Vgl. auch 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104: „Wirksamkeit und Kohärenz der Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV durch die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden setzen ein in der ganzen Union einheitliches Konzept für die Offenlegung von Beweismitteln, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind, voraus.“

( 40 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez (C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 24).

( 41 ) Darüber hinaus macht České dráhy geltend, das zweitinstanzliche Gericht habe sich in seinem Beschluss vom 29. November 2019 nicht auf die nationale Bestimmung zur Umsetzung von Art. 6 Abs. 7 der Richtlinie 2014/104 berufen, während die Kommission hierzu erklärt, das Gericht habe sich in dem Beschluss auf eine nationale Bestimmung zur Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie berufen.

( 42 ) Der Entwurf sah vor, dass die nationalen Gerichte, die mit einem Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln befasst sind, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind und nicht anderweitig bereitgestellt werden können, „Zugang zu derlei Dokumenten erhalten und sie prüfen“ können.

( 43 ) Siehe oben, Nr. 89 dieser Schlussanträge.

( 44 ) Siehe oben, Nrn. 87 bis 89 dieser Schlussanträge.

( 45 ) Vgl. 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104.

( 46 ) Andersson, H., „The Quest for Evidence – Still an Uphill Battle for Cartel Victims?“, EU Competition Litigation: Transposition and First Experiences of the New Regime, Strand, M., Bastidas Venegas, V., Iacovides, M. C. (Hrsg.), Hart Publishing, Oxford 2019, S. 141.

( 47 ) Vgl. in diesem Sinne Chirita, A. D., „The Disclosure of Evidence Under the ‚Antitrust Damages‘ Directive 2014/104/EU“, EU Competition and State Aid Rules: Public and Private Enforcement, Tomljenović, V., Bodiroga-Vukobrat, N., Butorac Malnar, V., Kunda, I. (Hrsg.), Springer, Berlin 2017, S. 156.

( 48 ) Siehe oben, Nr. 18 dieser Schlussanträge.

( 49 ) Siehe oben, Nr. 108 dieser Schlussanträge.

( 50 ) Siehe oben, Nr. 102 dieser Schlussanträge.

( 51 ) Hervorhebung nur hier.