URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
5. Mai 2022 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinie 2000/60/EG – Ordnungsrahmen für Maßnahmen der Europäischen Union im Bereich der Wasserpolitik – Art. 4 Abs. 1 Buchst. a – Umweltziele bei Oberflächengewässern – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Genehmigung eines Projekts oder Vorhabens zu versagen, das eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers verursachen kann – Begriff ‚Verschlechterung‘ des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers – Art. 4 Abs. 6 und 7 – Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot – Bedingungen – Programme oder Vorhaben mit vorübergehenden Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen für den Zustand eines Oberflächenwasserkörpers“
In der Rechtssache C‑525/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 14. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Oktober 2020, in dem Verfahren
Association France Nature Environnement
gegen
Premier ministre,
Ministre de la Transition écologique et solidaire
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter J. Passer (Berichterstatter), F. Biltgen und N. Wahl sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2021,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
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der Association France Nature Environnement, vertreten durch B. Hogommat, |
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der französischen Regierung, vertreten durch T. Stéhelin, W. Zemamta und E. Toutain als Bevollmächtigte, |
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der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und L. Dvořáková als Bevollmächtigte, |
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der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und M. A. M. de Ree als Bevollmächtigte, |
– |
der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Valero und O. Beynet als Bevollmächtigte, |
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Januar 2022
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (ABl. 2000, L 327, S. 1). |
2 |
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Association France Nature Environnement auf der einen und dem Premier ministre (Premierminister, Frankreich) und der Ministre de la Transition écologique et solidaire (Ministerin für den ökologischen und solidarischen Wandel, Frankreich) auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit eines Dekrets über die Leitpläne für den Wasserbau und die Wasserbewirtschaftung und die Pläne für den Wasserbau und die Wasserbewirtschaftung. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 |
Die Erwägungsgründe 11, 25, 26 und 32 der Richtlinie 2000/60 sehen vor:
…
…
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4 |
Art. 1 („Ziel“) der Richtlinie 2000/60 bestimmt: „Ziel dieser Richtlinie ist die Schaffung eines Ordnungsrahmens für den Schutz der Binnenoberflächengewässer, der Übergangsgewässer, der Küstengewässer und des Grundwassers zwecks
…“ |
5 |
Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2000/60 sieht vor: „Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
…
…
…“ |
6 |
Art. 4 („Umweltziele“) Abs. 1 und Abs. 6 bis 8 der Richtlinie 2000/60 bestimmt: „(1) In Bezug auf die Umsetzung der in den Bewirtschaftungsplänen für die Einzugsgebiete festgelegten Maßnahmenprogramme gilt Folgendes:
… (6) Eine vorübergehende Verschlechterung des Zustands von Wasserkörpern verstößt nicht gegen die Anforderungen dieser Richtlinie, wenn sie durch aus natürlichen Ursachen herrührende oder durch höhere Gewalt bedingte Umstände, die außergewöhnlich sind oder nach vernünftiger Einschätzung nicht vorhersehbar waren, insbesondere starke Überschwemmungen oder lang anhaltende Dürren, oder durch Umstände bedingt sind, die durch nach vernünftiger Einschätzung nicht vorhersehbare Unfälle entstanden sind, und wenn sämtliche nachstehenden Bedingungen erfüllt sind:
(7) Die Mitgliedstaaten verstoßen nicht gegen diese Richtlinie, wenn:
und die folgenden Bedingungen alle erfüllt sind:
(8) Ein Mitgliedstaat, der die Absätze 3, 4, 5, 6 und 7 zur Anwendung bringt, trägt dafür Sorge, dass dies die Verwirklichung der Ziele dieser Richtlinie in anderen Wasserkörpern innerhalb derselben Flussgebietseinheit nicht dauerhaft ausschließt oder gefährdet und mit den sonstigen gemeinschaftlichen Umweltschutzvorschriften vereinbar ist.“ |
7 |
Art. 5 („Merkmale der Flussgebietseinheit, Überprüfung der Umweltauswirkungen menschlicher Tätigkeiten und wirtschaftliche Analyse der Wassernutzung“) der Richtlinie 2000/60 lautet: „(1) Jeder Mitgliedstaat sorgt dafür, dass für jede Flussgebietseinheit oder für den in sein Hoheitsgebiet fallenden Teil einer internationalen Flussgebietseinheit
entsprechend den technischen Spezifikationen gemäß den Anhängen II und III durchgeführt und spätestens vier Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie abgeschlossen werden. (2) Die Analysen und Überprüfungen gemäß Absatz 1 werden spätestens 13 Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie und danach alle sechs Jahre überprüft und gegebenenfalls aktualisiert.“ |
8 |
Art. 8 („Überwachung des Zustands des Oberflächengewässers, des Zustands des Grundwassers und der Schutzgebiete“) der Richtlinie 2000/60 bestimmt: „(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Programme zur Überwachung des Zustands der Gewässer aufgestellt werden, damit ein zusammenhängender und umfassender Überblick über den Zustand der Gewässer in jeder Flussgebietseinheit gewonnen wird; dabei gilt Folgendes:
… (2) Diese Programme müssen spätestens sechs Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie anwendungsbereit sein, sofern in den betreffenden Rechtsvorschriften nicht etwas anderes vorgesehen ist. Die Überwachung erfolgt entsprechend den Anforderungen des Anhangs V. …“ |
9 |
Art. 11 („Maßnahmenprogramm“) der Richtlinie 2000/60 sieht vor: „(1) Jeder Mitgliedstaat sorgt dafür, dass für jede Flussgebietseinheit oder für den in sein Hoheitsgebiet fallenden Teil einer internationalen Flussgebietseinheit unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Analysen gemäß Artikel 5 ein Maßnahmenprogramm festgelegt wird, um die Ziele gemäß Artikel 4 zu verwirklichen. Diese Maßnahmenprogramme können auf Maßnahmen verweisen, die sich auf Rechtsvorschriften stützen, welche auf nationaler Ebene erlassen wurden, und sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken. Die Mitgliedstaaten können gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen, die für alle Flussgebietseinheiten und/oder für alle in ihrem Hoheitsgebiet liegenden Teile internationaler Flussgebietseinheiten gelten. … (8) Die Maßnahmenprogramme werden spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie und danach alle sechs Jahre überprüft und nötigenfalls aktualisiert. Neue oder im Rahmen eines aktualisierten Programms geänderte Maßnahmen sind innerhalb von drei Jahren, nachdem sie beschlossen wurden, in die Praxis umzusetzen.“ |
10 |
Art. 13 („Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete“) der Richtlinie 2000/60 bestimmt: „(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass für jede Flussgebietseinheit, die vollständig in ihrem Hoheitsgebiet liegt, ein Bewirtschaftungsplan für die Einzugsgebiete erstellt wird. … (4) Der Bewirtschaftungsplan für die Einzugsgebiete enthält die in Anhang VII genannten Informationen. … (6) Die Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete werden spätestens neun Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie veröffentlicht. (7) Die Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete werden spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie und danach alle sechs Jahre überprüft und aktualisiert.“ |
11 |
In Anhang V Rn. 1.3 und 1.3.4 der Richtlinie 2000/60 heißt es:
…
…“ |
12 |
Anhang VII („Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete“) der Richtlinie 2000/60 sieht vor: „A. Die Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete enthalten folgende Angaben: …
…“ |
Französisches Recht
13 |
Art. L. 212-1 des Code de l‘environnement (Umweltgesetzbuch) bestimmt: „… III. – Jedes Einzugsgebiet oder jede Gruppe von Einzugsgebieten verfügt über einen oder mehrere Leitpläne für den Wasserbau und die Wasserbewirtschaftung, in denen die Ziele im Sinne von Abs. IV des vorliegenden Artikels … festgelegt werden … IV. – Die Ziele im Hinblick auf die Wasserqualität und ‑quantität, die in den Leitplänen für den Wasserbau und die Wasserbewirtschaftung festgelegt werden, sind Folgende: 1. Bei Oberflächengewässern, mit Ausnahme künstlicher oder durch menschliche Tätigkeiten erheblich veränderter Wasserkörper: ein guter ökologischer und chemischer Zustand; 2. Bei künstlichen oder durch menschliche Tätigkeiten erheblich veränderten Oberflächenwasserkörpern: ein gutes ökologisches Potenzial und ein guter chemischer Zustand; … 4. Verhinderung der Verschlechterung der Wasserqualität; … VII. – Änderungen der physischen Eigenschaften der Gewässer oder die Ausübung neuer menschlicher Tätigkeiten können unter den Bedingungen, die in dem in Abs. XIII vorgesehenen Dekret festgelegt werden, begründete Ausnahmen von der Einhaltung der in Abs. IV Nrn. 1 bis 4 … genannten Ziele rechtfertigen. … XI. – Die Programme und Verwaltungsentscheidungen im Bereich der Wasserpolitik müssen mit den Bestimmungen der Leitpläne für den Wasserbau und die Wasserbewirtschaftung vereinbar sein oder mit ihnen in Einklang gebracht werden. … XIII. – Die Durchführungsbestimmungen für diesen Artikel werden durch Dekret nach Anhörung des Conseil d‘État festgelegt.“ |
14 |
Art. R. 212-13 des Umweltgesetzbuchs in der durch das Dekret Nr. 2018‑847 vom 4. Oktober 2018 über die Leitpläne für den Wasserbau und die Wasserbewirtschaftung und die Pläne für den Wasserbau und die Wasserbewirtschaftung (JORF vom 6. Oktober 2018, Text Nr. 11) geänderten Fassung bestimmt: „Für die Anwendung von Art. L. 212‑1 Abs. IV Nr. 4 besteht die Verhinderung einer Verschlechterung der Wasserqualität darin, dass
… Bei der Beurteilung der Vereinbarkeit der in Art. L. 212‑1 Abs. XI genannten Programme und Verwaltungsentscheidungen mit dem in Artikel L. 212‑1 Abs. IV Nr. 4 genannten Ziel, eine Verschlechterung der Wasserqualität zu verhindern, sind Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen zu berücksichtigen und vorübergehende Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen nicht zu berücksichtigen.“ |
15 |
Art. R. 212-16 des Umweltgesetzbuchs bestimmt: „… Ia. – Die in Art. L. 212‑1 Abs. VII vorgesehenen Ausnahmen können für ein Vorhaben, das mit Änderungen der physischen Gewässereigenschaften oder mit der Ausübung neuer menschlicher Tätigkeiten einhergeht, nur gewährt werden, wenn alle nachfolgenden Bedingungen erfüllt sind: 1. Es werden alle praktikablen Vorkehrungen getroffen, um die negativen Auswirkungen des Projekts auf den Zustand der betroffenen Wasserkörper zu mindern; 2. die Änderungen der Wasserkörper sind von übergeordnetem öffentlichem Interesse oder der erwartete Nutzen des Vorhabens für die menschliche Gesundheit, die Erhaltung der Sicherheit der Menschen oder die nachhaltige Entwicklung ist größer als der Nutzen für die Umwelt und die Gesellschaft, der mit dem Erreichen der Ziele von Art. L. 212‑1 Abs. IV verbunden ist; 3. die nutzbringenden Ziele, denen dieses Vorhaben dienen soll, können aus Gründen der technischen Durchführbarkeit oder aufgrund unverhältnismäßiger Kosten nicht durch andere Mittel, die eine wesentlich bessere Umweltoption darstellen, erreicht werden. Der für die Einzugsgebiete verantwortliche Präfekt erstellt die in Art. L. 212‑1 Abs. VII vorgesehene Liste der Vorhaben, die diese Bedingungen erfüllen oder erfüllen können. Die Gründe für Änderungen an Wasserkörpern unter diesen Bedingungen werden im Rahmen der Aktualisierung des Leitplans für den Wasserbau und die Wasserbewirtschaftung ausdrücklich dargelegt und erläutert. …“ |
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
16 |
Mit einer Klageschrift und einem weiteren Schriftsatz, die am 1. April 2019 bzw. am 22. September 2020 in das Register eingetragen wurden, beantragte die Association France Nature Environnement beim Conseil d‘État (Staatsrat, Frankreich) zum einen, das Dekret Nr. 2018‑847, soweit es die Hinzufügung eines letzten Absatzes zu Art. R. 212‑13 des Umweltgesetzbuchs vorsieht, wonach bei der Beurteilung der Vereinbarkeit von im Bereich der Wasserpolitik erlassenen Programmen und Verwaltungsentscheidungen mit dem Ziel, eine Verschlechterung der Wasserqualität zu verhindern, „vorübergehende Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen nicht zu berücksichtigen sind“, und zum anderen die aus der Weigerung, ihrem Antrag auf Aufhebung dieser Bestimmungen stattzugeben, resultierende stillschweigende Entscheidung des Premierministers für nichtig zu erklären. |
17 |
Zur Stützung ihrer Klage machte sie geltend, die betreffende Bestimmung verstoße gegen die Richtlinie 2000/60, insbesondere gegen deren Art. 4 Abs. 1, der jede, sei es vorübergehende oder langfristige, Verschlechterung des Zustands von Wasserkörpern verbiete. |
18 |
Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 1. Juli 2015, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (C‑461/13, EU:C:2015:433), u. a. für Recht erkannt habe, dass Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i bis iii der Richtlinie 2000/60 dahin auszulegen sei, dass die Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Abs. 6 und 7 dieses Artikels vorgesehenen Ausnahmen verpflichtet seien, die Genehmigung für ein konkretes Vorhaben zu versagen, wenn es eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers verursachen könne oder wenn es die Erreichung eines guten Zustands eines Oberflächengewässers bzw. eines guten ökologischen Potenzials und eines guten chemischen Zustands eines Oberflächengewässers zu dem nach der Richtlinie maßgeblichen Zeitpunkt gefährde. |
19 |
Die Ministerin für den ökologischen und solidarischen Wandel machte vor dem vorlegenden Gericht geltend, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bestimmung nicht unter die in Art. 4 Abs. 6 der Richtlinie 2000/60 vorgesehene Ausnahme falle, die auf aus natürlichen Ursachen herrührenden oder durch höhere Gewalt bedingten Umständen beruhen müsse, sondern unter die Ausnahme nach Art. 4 Abs. 7, wonach Verschlechterungen des Zustands eines Wasserkörpers, die Folge einer neuen nachhaltigen Entwicklungstätigkeit des Menschen seien, keine Verstöße gegen diese Richtlinie darstellten, sofern die vier in diesem Absatz genannten Bedingungen kumulativ erfüllt seien. Sie legte hierzu den Leitfaden Nr. 36 zu den „Ausnahmen von den Umweltzielen gemäß Artikel 4 Absatz 7“ vor, der von den betreffenden Verwaltungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission im Rahmen des Verfahrens „Gemeinsame Umsetzungsstrategie für die Wasserrahmenrichtlinie und die Hochwasserrichtlinie“ im Dezember 2017 erstellt wurde, wonach solche Tätigkeiten, wenn sie nur eine vorübergehende Auswirkung von kurzer Dauer auf und ohne langfristige Folgen für den Zustand eines Wasserkörpers hätten, genehmigt werden könnten, ohne dass die Genehmigung von der Einhaltung der Bedingungen gemäß Art. 4 Abs. 7 der Richtlinie abhängig zu machen sei. |
20 |
Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hängt die Entscheidung über den von der Klägerin geltend gemachten Klagegrund daher davon ab, ob die Verwaltungsbehörde unter Berücksichtigung des Ziels, eine Verschlechterung der Qualität der Oberflächengewässer zu verhindern, befugt ist, vorübergehende Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen der ihr zur Genehmigung vorgelegten Programme und Vorhaben außer Acht zu lassen, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen und innerhalb welcher Grenzen dies möglich ist. |
21 |
Vor diesem Hintergrund hat der Conseil d’État (Staatsrat) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
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Zu den Vorlagefragen
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Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 der Richtlinie 2000/60 dahin auszulegen ist, dass er es den Mitgliedstaaten erlaubt, bei der Beurteilung, ob ein konkretes Programm oder Vorhaben mit dem Ziel, eine Verschlechterung der Wasserqualität zu verhindern, vereinbar ist, vorübergehende Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen für die Gewässer nicht zu berücksichtigen, und unter welchen Bedingungen dies gegebenenfalls möglich ist. |
23 |
Nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/60 führen die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Umsetzung der in den Bewirtschaftungsplänen für die Einzugsgebiete festgelegten Maßnahmenprogramme vorbehaltlich der Anwendung der Abs. 6 und 7 dieses Artikels und unbeschadet seines Abs. 8 die notwendigen Maßnahmen durch, um eine Verschlechterung des Zustands aller Oberflächenwasserkörper zu verhindern. |
24 |
Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass sich Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/60 nicht auf die programmatische Formulierung bloßer Ziele der Bewirtschaftungsplanung beschränkt, sondern – sobald der ökologische Zustand des betreffenden Wasserkörpers festgestellt ist – in jedem Abschnitt des nach dieser Richtlinie vorgeschriebenen Verfahrens verbindliche Wirkungen entfaltet. Diese Bestimmung enthält somit nicht allein grundsätzliche Verpflichtungen, sondern betrifft auch konkrete Vorhaben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2015, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, C‑461/13, EU:C:2015:433, Rn. 43 und 47). |
25 |
Vorbehaltlich der Gewährung einer Ausnahme ist daher jede Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers zu vermeiden, unabhängig von längerfristigen Planungen in Bewirtschaftungsplänen und Maßnahmenprogrammen. Die Pflicht zur Verhinderung der Verschlechterung des Zustands der Oberflächenwasserkörper bleibt in jedem Stadium der Durchführung der Richtlinie 2000/60 verbindlich und gilt für jeden Typ und jeden Zustand eines Oberflächenwasserkörpers, für den ein Bewirtschaftungsplan erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Der betreffende Mitgliedstaat ist folglich verpflichtet, die Genehmigung eines Vorhabens zu versagen, wenn es geeignet ist, den Zustand des fraglichen Wasserkörpers zu verschlechtern oder die Erreichung eines guten Zustands der Oberflächenwasserkörper zu gefährden, es sei denn, das Vorhaben fällt unter eine der in Art. 4 Abs. 7 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen (Urteil vom 1. Juli 2015, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, C‑461/13, EU:C:2015:433, Rn. 50). |
26 |
Dies bedeutet, dass die zuständigen Behörden nach Art. 4 der Richtlinie 2000/60 verpflichtet sind, im Lauf des Projektgenehmigungsverfahrens, und somit vor dem Erlass einer Entscheidung, zu prüfen, ob das Projekt negative Auswirkungen auf die Gewässer haben kann, die den Pflichten zuwiderlaufen würden, die Verschlechterung des Zustands der Oberflächen- und Grundwasserkörper zu verhindern und diesen Zustand zu verbessern (Urteil vom 28. Mai 2020, Land Nordrhein-Westfalen, C‑535/18, EU:C:2020:391, Rn. 76). |
27 |
Hinsichtlich des Begriffs „Verschlechterung des Zustands“ eines Oberflächenwasserkörpers, der in der Richtlinie 2000/60 nicht definiert ist, hat der Gerichtshof festgestellt, dass eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i dieser Richtlinie vorliegt, sobald sich der Zustand mindestens einer Qualitätskomponente im Sinne ihres Anhangs V um eine Klasse verschlechtert, auch wenn diese Verschlechterung nicht zu einer Verschlechterung der Einstufung des Oberflächenwasserkörpers insgesamt führt. Ist jedoch die betreffende Qualitätskomponente im Sinne von Anhang V bereits in der niedrigsten Klasse eingeordnet, stellt jede Verschlechterung dieser Komponente eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers dar (Urteil vom 4. Mai 2016, Kommission/Österreich, C‑346/14, EU:C:2016:322, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
28 |
Im vorliegenden Fall sieht die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung vor, dass bei der Prüfung der Verhinderung der Verschlechterung des Zustands der Oberflächenwasserkörper gemäß Rn. 26 des vorliegenden Urteils „die vorübergehenden Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen nicht zu berücksichtigen“ sind. |
29 |
Somit ergibt sich bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung wie auch aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass die betreffende Bestimmung u. a. die Genehmigung eines Programms oder Vorhabens ermöglichen soll, das nur eine solche vorübergehende Auswirkung auf den Zustand eines Oberflächenwasserkörpers hat, ohne dass in diesem Fall geprüft werden müsste, ob die in Art. 4 Abs. 7 der Richtlinie 2000/60 vorgesehenen Bedingungen, die im Wesentlichen in Art. R. 212‑16 des Umweltgesetzbuchs übernommen wurden, kumulativ erfüllt sind. |
30 |
Insoweit machen die Regierungen, die sich am Verfahren beteiligt haben, und die Kommission im Wesentlichen geltend, dass auch dann, wenn eine Verschlechterung in dem in Rn. 27 des vorliegenden Urteils dargelegten Sinn verursacht werde, vorübergehende Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen für den Zustand eines Oberflächenwasserkörpers nicht zwangsläufig eine nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/60 verbotene Verschlechterung darstellten. Dies ergebe sich insbesondere aus den Ausführungen des in Rn. 19 des vorliegenden Urteils genannten Leitfadens. In diesem Zusammenhang verweisen sie insbesondere auf die Zeitabstände, die für die Untersuchung der Auswirkungen menschlicher Tätigkeiten auf den Zustand der Oberflächengewässer festgelegt worden seien, auf Art. 5 dieser Richtlinie und – im Zusammenhang mit der Aktualisierung der Maßnahmenprogramme – auf Art. 11 der Richtlinie sowie auf die Prüfintervalle, die für die in Art. 8 der Richtlinie genannten Programme zur Überwachung des Zustands der Gewässer in der Tabelle in Anhang V Rn. 1.3.4 festgelegt seien. Liege keine verbotene Verschlechterung vor, kämen auch die in Art. 4 Abs. 7 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen nicht zur Anwendung. |
31 |
Jedoch ergibt sich eine solche Auslegung, die insbesondere im oben genannten Leitfaden vertreten wird, auf dessen nicht rechtsverbindlichen Charakter der Generalanwalt in Nr. 75 seiner Schlussanträge hingewiesen hat, nicht aus den Bestimmungen der Richtlinie 2000/60. Sie läuft zudem der allgemeinen Systematik dieser Richtlinie und den mit ihr verfolgten Zielen zuwider. Zwar bedeutet die Pflicht zur Verhinderung der Verschlechterung des Zustands der Oberflächenwasserkörper nicht, dass die Mitgliedstaaten bei der Beurteilung der Vereinbarkeit eines konkreten Programms oder Vorhabens mit dem Ziel, die Verschlechterung der Wasserqualität zu vermeiden, verpflichtet sind, vorübergehende Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen zu berücksichtigen, wenn feststeht, dass diese ihrem Wesen nach nur geringfügige Auswirkungen auf den Zustand von Wasserkörpern haben und folglich nicht zu Verschlechterungen dieser Wasserkörper führen können. Anders verhält es sich indes, wenn erwiesen ist, dass solche Auswirkungen eine Verschlechterung im Sinne von Rn. 27 des vorliegenden Urteils verursachen können, selbst wenn diese Verschlechterung vorübergehender Natur wäre. |
32 |
Zunächst ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 6 der Richtlinie 2000/60, dass die Pflicht, die Verschlechterung des Zustands der Oberflächenwasserkörper zu verhindern, auch die Pflicht umfasst, eine vorübergehende Verschlechterung des Zustands dieser Wasserkörper zu verhindern. Der Umstand, dass in Art. 4 Abs. 6 dieser Richtlinie eine Ausnahme für eine solche Verschlechterung vorgesehen ist, bestätigt nämlich, dass Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie die Mitgliedstaaten verpflichtet, auch diese Verschlechterung zu verhindern. |
33 |
Sodann ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/60 ihr Ziel die Schaffung eines Ordnungsrahmens für den Schutz der Binnenoberflächengewässer, der Übergangsgewässer, der Küstengewässer und des Grundwassers zwecks Vermeidung einer weiteren Verschlechterung sowie Schutz und Verbesserung des Zustands der aquatischen Ökosysteme und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf deren Wasserhaushalt ist. Auch der 32. Erwägungsgrund dieser Richtlinie bezieht sich auf die „Auflage“, einer weiteren Verschlechterung des Gewässerzustands vorzubeugen. |
34 |
Zudem hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/60 zwei gesonderte, wenn auch eng miteinander verbundene Ziele vorschreibt. Zum einen führen die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i dieser Richtlinie die notwendigen Maßnahmen durch, um eine Verschlechterung des Zustands aller Oberflächenwasserkörper zu verhindern (Pflicht zur Verhinderung der Verschlechterung). Zum anderen schützen, verbessern und sanieren die Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii und iii alle Oberflächengewässer mit dem Ziel, spätestens Ende des Jahres 2015 einen guten Zustand der Gewässer zu erreichen (Verbesserungspflicht) (Urteil vom 28. Mai 2020, Land Nordrhein-Westfalen, C‑535/18, EU:C:2020:391, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
35 |
Somit hat der Unionsgesetzgeber der Pflicht zur Verhinderung der Verschlechterung des Zustands der Wasserkörper einen eigenständigen Status verliehen, so dass sie sich nicht auf ein Instrument im Dienst der Pflicht zur Verbesserung des Zustands der Wasserkörper beschränkt (Urteil vom 1. Juli 2015, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, C‑461/13, EU:C:2015:433, Rn. 49). |
36 |
Zur Pflicht zur Verhinderung einer Verschlechterung hat der Gerichtshof im Übrigen hervorgehoben, dass vorbehaltlich der Gewährung einer Ausnahme jede Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers zu vermeiden ist (Urteil vom 4. Mai 2016, Kommission/Österreich, C‑346/14, EU:C:2016:322, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
37 |
Insbesondere hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass sich in Bezug auf die Kriterien, anhand deren auf eine Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers geschlossen werden kann, aus der Systematik von Art. 4 der Richtlinie 2000/60 und insbesondere dessen Abs. 6 und 7 ergibt, dass Verschlechterungen des Zustands eines Wasserkörpers, seien sie auch vorübergehend, nur unter sehr strengen Bedingungen zulässig sind und dass die Schwelle, bei deren Überschreitung ein Verstoß gegen die Pflicht zur Verhinderung der Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers vorliegt, so niedrig wie möglich sein muss (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Juli 2015, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, C‑461/13, EU:C:2015:433, Rn. 67, und vom 24. Juni 2021, Kommission/Spanien [Verschlechterung des Naturraums Doñana], C‑559/19, EU:C:2021:512, Rn. 48). |
38 |
Schließlich ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2000/60 auf der Grundlage von Art. 175 Abs. 1 EG (jetzt Art. 192 Abs. 1 AEUV) erlassen wurde. Insoweit wird im elften Erwägungsgrund dieser Richtlinie darauf hingewiesen, dass gemäß Art. 174 EG (jetzt Art. 191 AEUV) die Umweltpolitik der Union zur Verfolgung der Ziele der Erhaltung und des Schutzes der Umwelt sowie der Verbesserung ihrer Qualität und der umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen beitragen soll; diese Politik hat auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung und auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, zu beruhen. |
39 |
Sowohl diese Ziele und Grundsätze als auch das Endziel der Richtlinie 2000/60, das darin besteht, einen zumindest „guten Zustand“ aller Oberflächengewässer der Union zu erreichen und diesen Zustand zu bewahren, wie im 26. Erwägungsgrund dieser Richtlinie dargelegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2015, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, C‑461/13, EU:C:2015:433, Rn. 37), bestätigen jeweils die Auslegung, wonach vorbehaltlich der Anwendung von Art. 4 Abs. 6 und 7 der Richtlinie und unbeschadet von Art. 4 Abs. 8 jede Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers, auch wenn sie vorübergehend und von kurzer Dauer ist, angesichts negativer Auswirkungen auf die Umwelt oder die menschliche Gesundheit, die sie verursachen kann, vermieden werden muss. |
40 |
In der Praxis kann es in Anbetracht der in Anhang V Rn. 1.3.4 der Richtlinie 2000/60 vorgesehenen Überwachungsfrequenz zwar vorkommen, dass im Rahmen der nach Art. 8 dieser Richtlinie erforderlichen Überwachung des Zustands der Oberflächengewässer eine vorübergehende Verschlechterung einer Qualitätskomponente im Sinne von Rn. 27 des vorliegenden Urteils nicht festgestellt wird. |
41 |
Wie der Generalanwalt in Nr. 51 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, können solche Überwachungsfrequenzen, die zum Zweck der Analyse, Überwachung und etwaigen Aufdeckung durchgeführt werden und sich über einen möglichen Zeitraum von einem Monat bis zu sechs Jahren erstrecken, jedoch nicht als relevantes Kriterium für die Beurteilung einer potenziellen Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers im Rahmen der in Rn. 26 des vorliegenden Urteils genannten Ex-ante-Kontrolle betrachtet werden. Mit den Ausführungen insbesondere in den Rn. 38 und 39 des vorliegenden Urteils wäre es offensichtlich unvereinbar, wenn man eine Auslegung dahin zuließe, dass eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers über eine voraussichtliche Dauer von Monaten oder Jahren nicht gegen die Pflicht zur Verhinderung einer Verschlechterung nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie verstößt und somit ein Vorhaben, das eine derartige Verschlechterung verursachen kann, genehmigt werden könnte, ohne dass die Bedingungen von Art. 4 Abs. 7 dieser Richtlinie erfüllt sind, also außerhalb jeglicher Kontrolle. |
42 |
Entgegen dem Vorbringen der französischen Regierung führt die Auslegung, dass die Pflicht zur Verhinderung einer Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers auch eine vorübergehende Verschlechterung von kurzer Dauer ohne langfristige Folgen umfasst, nicht zu einem Mangel an Kohärenz der Bestimmungen von Art. 4 der Richtlinie 2000/60. Wie jedes andere Vorhaben, das eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers verursachen kann, kann grundsätzlich nämlich auch ein Vorhaben, das eine vorübergehende Verschlechterung von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen verursachen kann, auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 7 dieser Richtlinie genehmigt werden. |
43 |
In diesem Zusammenhang gilt insbesondere für Vorhaben zum Schutz oder sogar zur Verbesserung des Zustands von Oberflächenwasserkörpern, wie die von der französischen Regierung angeführten sogenannten „Renaturierungen“, dass solche Vorhaben grundsätzlich von übergeordnetem öffentlichem Interesse sind oder der Nutzen, den die Verwirklichung der in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/60 genannten Ziele für die Umwelt und die Gesellschaft hat, bei solchen Projekten durch den Nutzen für die menschliche Gesundheit, die Erhaltung der Sicherheit der Menschen oder die nachhaltige Entwicklung übertroffen wird, wie dies in Art. 4 Abs. 7 Buchst. c dieser Richtlinie verlangt wird. |
44 |
Was die Bedingung nach Art. 4 Abs. 7 Buchst. b der Richtlinie 2000/60 betrifft, wonach „die Gründe für die Änderungen in dem in Artikel 13 [dieser Richtlinie] genannten Bewirtschaftungsplan für das Einzugsgebiet im Einzelnen dargelegt, und die Ziele alle sechs Jahre überprüft [werden müssen]“, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil vom 4. Mai 2016, Kommission/Österreich, C‑346/14, EU:C:2016:322, Rn. 66 und 68 sowie die dort angeführte Rechtsprechung) und aus dem Wortlaut von Anhang VII Abschnitt A Rn. 5 der Richtlinie, dass sie als erfüllt betrachtet werden kann, wenn die Gründe für dieses Vorhaben zum Zeitpunkt seiner Genehmigung nur in der Genehmigungsentscheidung enthalten sind. |
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Nach alledem ist auf die beiden vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 4 der Richtlinie 2000/60 dahin auszulegen ist, dass er es den Mitgliedstaaten nicht erlaubt, bei der Beurteilung, ob ein konkretes Programm oder Vorhaben mit dem Ziel der Verhinderung einer Verschlechterung der Wasserqualität vereinbar ist, vorübergehende Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen für die Gewässer nicht zu berücksichtigen, es sei denn, dass sich diese Auswirkungen ihrem Wesen nach offensichtlich nur geringfügig auf den Zustand der betroffenen Wasserkörper auswirken und im Sinne dieser Bestimmung nicht zu einer „Verschlechterung“ ihres Zustands führen können. Stellen die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eines Programms oder eines Vorhabens fest, dass es zu einer solchen Verschlechterung führen kann, kann dieses Programm oder Vorhaben auch im Fall einer bloß vorübergehenden Verschlechterung nur dann genehmigt werden, wenn die Bedingungen von Art. 4 Abs. 7 der Richtlinie erfüllt sind. |
Kosten
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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt: |
Art. 4 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik ist dahin auszulegen, dass er es den Mitgliedstaaten nicht erlaubt, bei der Beurteilung, ob ein konkretes Programm oder Vorhaben mit dem Ziel der Verhinderung einer Verschlechterung der Wasserqualität vereinbar ist, vorübergehende Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen für die Gewässer nicht zu berücksichtigen, es sei denn, dass sich diese Auswirkungen ihrem Wesen nach offensichtlich nur geringfügig auf den Zustand der betroffenen Wasserkörper auswirken und im Sinne dieser Bestimmung nicht zu einer „Verschlechterung“ ihres Zustands führen können. Stellen die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eines Programms oder eines Vorhabens fest, dass es zu einer solchen Verschlechterung führen kann, kann dieses Programm oder Vorhaben auch im Fall einer bloß vorübergehenden Verschlechterung nur dann genehmigt werden, wenn die Bedingungen von Art. 4 Abs. 7 der Richtlinie erfüllt sind. |
Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.