URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

10. März 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Art. 21 AEUV – Richtlinie 2004/38/EG – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und Art. 16 – Kind, das Staatsangehöriger eines Mitgliedstaat ist und sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhält – Abgeleitetes Aufenthaltsrecht des Elternteils, der die elterliche Fürsorge für dieses Kind tatsächlich wahrnimmt – Erfordernis eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes – Kind, das über ein Recht auf Daueraufenthalt für einen Teil der betroffenen Zeiträume verfügt“

In der Rechtssache C‑247/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Social Security Appeal Tribunal (Northern Ireland) (Gericht für Rechtsbehelfe betreffend die soziale Sicherheit [Nordirland], Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 11. März 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 7. April 2020, in dem Verfahren

VI

gegen

The Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan, des Präsidenten der Vierten Kammer C. Lycourgos sowie der Richter I. Jarukaitis, M. Ilešič (Berichterstatter) und A. Kumin,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von VI, zunächst vertreten durch R. Drabble, QC, und M. Black, Solicitor, dann durch R. Drabble, QC, sowie C. Rothwell und S. Park, Solicitors,

der norwegischen Regierung, vertreten durch K. Moe Winther, L. Furuholmen, T. Hostvedt Aarthun und T. Midttun Tobiassen als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Montaguti und J. Tomkin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. September 2021

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 21 AEUV sowie der Art. 7 und 16 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, und Berichtigung ABl. 2004, L 229, S. 35).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen VI und den Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs (Steuer- und Zollverwaltung, Vereinigtes Königreich) (im Folgenden: HMRC) über das Recht von VI, sich in den Zeiträumen vom 1. Mai 2006 bis zum 20. August 2006 sowie vom 18. August 2014 bis zum 25. September 2016 im Vereinigten Königreich aufzuhalten und während dieser Zeiträume die Steuergutschrift für unterhaltsberechtigte Kinder und Kindergeld zu erhalten.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2004/38

3

In den Erwägungsgründen 1, 2, 10 und 18 der Richtlinie 2004/38 heißt es:

„(1)

Die Unionsbürgerschaft verleiht jedem Bürger der Union das elementare und persönliche Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der im Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.

(2)

Die Freizügigkeit von Personen stellt eine der Grundfreiheiten des Binnenmarkts dar, der einen Raum ohne Binnengrenzen umfasst, in dem diese Freiheit gemäß den Bestimmungen des Vertrags gewährleistet ist.

(10)

… Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, [sollten] während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Daher sollte das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen für eine Dauer von über drei Monaten bestimmten Bedingungen unterliegen.

(18)

Um ein wirksames Instrument für die Integration in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats darzustellen, in dem der Unionsbürger seinen Aufenthalt hat, sollte das einmal erlangte Recht auf Daueraufenthalt keinen Bedingungen unterworfen werden.“

4

Gemäß ihrem Art. 1 Buchst. a und b regelt die Richtlinie 2004/38 die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten genießen, sowie das Recht auf Daueraufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten.

5

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1.

‚Unionsbürger‘ jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;

2.

‚Familienangehöriger‘

a)

den Ehegatten;

b)

den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind;

c)

die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

d)

die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

…“

6

Kapitel III der Richtlinie 2004/38 enthält in deren Art. 6 bis 15 die Bestimmungen über das Aufenthaltsrecht.

7

Art. 7 („Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate“) dieser Richtlinie sieht in den Abs. 1 und 2 vor:

„(1)   Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a)

Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b)

für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c)

bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d)

ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstabens a), b) oder c) erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.

(2)   Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a), b) oder c) erfüllt.“

8

Art. 12 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen bei Tod oder Wegzug des Unionsbürgers“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt in Abs. 2 Unterabs. 2:

„Bevor die Betroffenen das Recht auf Daueraufenthalt erwerben, bleibt ihr Aufenthaltsrecht an die Voraussetzung geknüpft, dass sie nachweisen können, dass sie Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und dass sie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder dass sie bereits im Aufnahmemitgliedstaat als Familienangehörige einer Person gelten, die diese Voraussetzungen erfüllt. …“

9

Art. 14 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts“) dieser Richtlinie bestimmt in Abs. 2 Unterabs. 1:

„Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach den Artikeln 7, 12 und 13 zu, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen.“

10

Kapitel IV dieser Richtlinie enthält in deren Art. 16 bis 21 die Bestimmungen über das Recht auf Daueraufenthalt.

11

In Abschnitt I („Erwerb“) der Richtlinie 2004/38 steht Art. 16, der in den Abs. 1 und 2 bestimmt:

„(1)   Jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, hat das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft.

(2)   Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben.“

Verordnung (EU) Nr. 492/2011

12

Im ersten Erwägungsgrund der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1) heißt es:

„Die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft [(ABl. 1968, L 257, S. 2)] wurde mehrfach und erheblich geändert. Aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit empfiehlt es sich, die genannte Verordnung zu kodifizieren.“

13

Art. 10 der Verordnung Nr. 492/2011, der Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 entspricht, bestimmt:

„Die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, können, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen.

Die Mitgliedstaaten fördern die Bemühungen, durch die diesen Kindern ermöglicht werden soll, unter den besten Voraussetzungen am Unterricht teilzunehmen.“

Austrittsabkommen

14

Mit seinem Beschluss (EU) 2020/135 des Rates vom 30. Januar 2020 über den Abschluss des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 1) hat der Rat der Europäischen Union im Namen der Europäischen Union und der EAG dieses Abkommen (ABl. 2020, L 29, S. 7, im Folgenden: Austrittsabkommen), das diesem Beschluss beigefügt ist, genehmigt.

15

Art. 86 („Vor dem Gerichtshof der Europäischen Union anhängige Rechtssachen“) des Austrittsabkommens bestimmt in den Abs. 2 und 3:

„(2)   Der Gerichtshof der Europäischen Union ist weiterhin für Vorabentscheidungsersuchen der Gerichte des Vereinigten Königreichs zuständig, die vor Ende des Übergangszeitraums vorgelegt werden.

(3)   Für die Zwecke dieses Kapitels gilt ein Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu dem Zeitpunkt als eingeleitet …, zu dem die Unterlagen zur Einleitung des Verfahrens von der Kanzlei des Gerichtshofs … registriert wurden.“

16

In Art. 89 Abs. 1 dieses Abkommens heißt es:

„Vor Ende des Übergangszeitraums ergehende Urteile und Beschlüsse des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie nach Ende des Übergangszeitraums ergehende Urteile und Beschlüsse in Verfahren nach den Artikeln 86 und 87 sind in ihrer Gesamtheit für das Vereinigte Königreich und im Vereinigten Königreich rechtsverbindlich.“

17

Gemäß Art. 126 des Austrittsabkommens hat der Übergangszeitraum am Tag des Inkrafttretens dieses Abkommens begonnen, und zwar am 1. Februar 2020, und am 31. Dezember 2020 geendet.

Recht des Vereinigten Königreichs

18

Die Richtlinie 2004/38 wurde durch die Immigration (European Economic Area) Regulations 2006 (Verordnung von 2006 über die Einwanderung [Europäischer Wirtschaftsraum], im Folgenden: Einwanderungsverordnung von 2006) in das Recht des Vereinigten Königreichs umgesetzt. Die Bestimmungen dieser Verordnung wurden später mit den Immigration (European Economic Area) Regulations 2016 (Verordnung von 2016 über die Einwanderung [Europäischer Wirtschaftsraum], im Folgenden: Einwanderungsverordnung von 2016) kodifiziert.

19

Regulation 4(1) der Einwanderungsverordnung von 2016 definiert die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie 2004/38 beschriebenen unterschiedlichen Kategorien von Unionsbürgern, nämlich die der „Arbeitnehmer“, „Selbstständigen“, „wirtschaftlich unabhängigen Personen“ bzw. „Studenten“. Regulation 4(1)(c) der Einwanderungsverordnung von 2016 definiert eine „wirtschaftlich unabhängige Person“ als eine Person, die über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Vereinigten Königreichs in Anspruch nehmen muss, und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Vereinigten Königreich verfügt.

20

In Regulation 4(3) der Einwanderungsverordnung von 2016 heißt es in Bezug auf die Familienangehörigen einer wirtschaftlich unabhängigen Person, deren Aufenthaltsrecht von dem dieser Person abhängt, dass das Erfordernis, über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Vereinigten Königreich zu verfügen, nur dann erfüllt ist, wenn sich dieser Schutz sowohl auf diese Person als auch auf die Familienangehörigen erstreckt.

21

Regulation 6(1) der Einwanderungsverordnung von 2016 definiert den Begriff „berechtigte Personen“ für die Zwecke dieser Verordnung. Gemäß Regulation 6(1)(d) umfasst der Begriff „berechtigte Person“ u. a. wirtschaftlich selbständige Personen im Sinne von Regulation 4(1)(c) dieser Verordnung.

22

Nach Regulation 14(1) der Einwanderungsverordnung von 2016 hat eine berechtigte Person das Recht, sich so lange im Vereinigten Königreich aufzuhalten, wie sie dazu berechtigt bleibt.

23

Gemäß Regulation 15(1)(a) der Einwanderungsverordnung von 2016 erwirbt ein Staatsangehöriger des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), der sich in Übereinstimmung mit der vorliegenden Verordnung während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren im Vereinigten Königreich aufgehalten hat, das Recht auf Daueraufenthalt. Gemäß dieser Regulation 15(1)(b) gilt dasselbe für einen Familienangehörigen eines EWR-Bürgers, der selbst nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, sich aber in Einklang mit dieser Verordnung zusammen mit diesem Staatsangehörigen während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren im Vereinigten Königreich aufgehalten hat.

24

Regulation 16 der Einwanderungsverordnung von 2016, die Regulation 15a der Einwanderungsverordnung von 2006 entspricht, sieht die Voraussetzungen vor, unter denen einer Person ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich zuerkannt werden kann. Gemäß Regulation 16(1) und (2) der Einwanderungsverordnung von 2016 hat eine Person, die die elterliche Fürsorge für einen im Vereinigten Königreich wohnenden EWR-Bürger tatsächlich wahrnimmt, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht in diesem Staat, wenn der betreffende EWR-Bürger das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sich im Vereinigten Königreich als wirtschaftlich unabhängige Person aufhält und nicht in der Lage wäre, im Vereinigten Königreich zu bleiben, wenn die Person das Vereinigte Königreich für einen unbestimmten Zeitraum verlassen würde.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

25

VI ist eine pakistanische Staatsangehörige, die mit ihrem Ehemann, der ebenfalls pakistanischer Staatsangehöriger ist, und ihren vier Kindern in Nordirland (Vereinigtes Königreich) wohnt. Im Jahr 2004 wurde dort ihr Sohn geboren, der die irische Staatsangehörigkeit besitzt.

26

VI und ihr Ehemann verfügen über die notwendigen Mittel, um für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie aufzukommen. Insbesondere arbeitete der Ehemann von VI während der gesamten im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeiträume und war steuerpflichtig. VI, die sich zunächst um ihre Kinder kümmerte, arbeitet seit April 2016 und ist seitdem steuerpflichtig.

27

Zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens ist unstreitig, dass VI und ihre Familie zumindest im Zeitraum vom 17. August 2006 bis zum 16. August 2014 über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügten und dass VI infolgedessen gemäß Regulation 15a(1) und (2) der Einwanderungsverordnung von 2006 als Person, die die elterliche Fürsorge für ein Kind, das ein „wirtschaftlich unabhängiger“ EWR-Bürger ist, tatsächlich wahrnimmt, über ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht verfügte.

28

Zwischen den Parteien ist auch unstreitig, dass der Sohn von VI wegen seines rechtmäßigen Aufenthalts im Vereinigten Königreich während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren ein Recht auf Daueraufenthalt im Vereinigten Königreich erlangt hat.

29

Streitig ist zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens hingegen der Anspruch von VI auf eine Steuergutschrift für Kinder und Kindergeld für die Zeiträume vom 1. Mai 2006 bis zum 20. August 2006 und vom 18. August 2014 bis zum 25. September 2016. Die beiden Klagen, die die Rechtsstreitigkeiten im Ausgangsverfahren betreffen und vor dem vorlegenden Gericht anhängig sind, wurden von diesem für die Zwecke des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens mit der Begründung verbunden, dass sie denselben Gegenstand haben, und zwar das Recht von VI, sich während der fraglichen Zeiträume im Vereinigten Königreich aufzuhalten.

30

Nach Ansicht von HMRC ist ein solches Recht nämlich nicht gegeben, da VI während dieser Zeiträume über keinen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt habe. Infolgedessen könne sie für diese Zeiträume weder die Steuergutschrift für Kinder noch Kindergeld in Anspruch nehmen. Dennoch erkennt HMRC nunmehr an, dass der eventuell zu viel gezahlte Betrag nicht von VI zurückgefordert werden könne, da sie weder falsche Angaben gemacht noch es unterlassen habe, wesentliche Tatsachen mitzuteilen.

31

Unter diesen Umständen hat das Social Security Appeal Tribunal (Northern Ireland) (Gericht für Rechtsbehelfe betreffend die soziale Sicherheit, Nordirland, Vereinigtes Königreich) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Muss ein Kind, das als Staatsangehöriger eines Staates des EWR dauerhaft aufenthaltsberechtigt ist, einen umfassenden Krankenversicherungsschutz behalten, um ein Aufenthaltsrecht zu behalten, wie es bei ihm als einer wirtschaftlich unabhängigen Person gemäß Regulation 4(1) der Einwanderungsverordnung 2016 der Fall wäre?

2.

Stellt das Erfordernis gemäß Regulation 4(3)(b) der Einwanderungsverordnung von 2016 (wonach das Kriterium eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes im Vereinigten Königreich bei einer Person, die ein Studium absolviert oder wirtschaftliche Unabhängigkeit gemäß Regulation 16[2][b][ii] dieser Verordnung besitzt, nur dann erfüllt ist, wenn ein solcher Schutz sich sowohl auf diese Person als auch auf alle ihre relevanten Familienangehörigen erstreckt) angesichts von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 und des Urteils des Gerichtshofs vom 23. Februar 2010, Teixeira (C‑480/08, EU:C:2010:83, Rn. 70), einen Verstoß gegen das Unionsrecht dar?

3.

Sind nach dem Urteil von 2014 in der Rechtssache Ahmad v. Secretary of State for the Home Department (Civ 988, Rn. 53) die zwischen dem Vereinigten Königreich und der Republik Irland geltenden gegenseitigen Vereinbarungen über das gemeinsame Reisegebiet im Hinblick auf den Krankenversicherungsschutz als „Vereinbarungen auf Gegenseitigkeit“ zu betrachten, und begründen sie daher einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Sinne von Regulation 4(1) der Einwanderungsverordnung von 2016?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

32

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Gerichtshof zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er von dem nationalen Gericht angerufen wird (Urteil vom 15. Juli 2021, The Department for Communities in Northern Ireland, C‑709/20, EU:C:2021:602, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Nach Art. 19 Abs. 3 Buchst. b EUV und Art. 267 Abs. 1 AEUV ist der Gerichtshof dafür zuständig, im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des Unionsrechts oder über die Gültigkeit der Handlungen der Unionsorgane zu entscheiden. Wird in einem Verfahren vor einem Gericht eines Mitgliedstaats eine vorlagefähige Frage gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, kann es die Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen (Art. 267 Abs. 2 AEUV).

34

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass das Vereinigte Königreich am 1. Februar 2020, dem Tag, an dem das Austrittsabkommen in Kraft getreten ist, aus der Union ausgetreten und damit zu einem Drittstaat geworden ist. Die Gerichte des Vereinigten Königreichs können seitdem nicht mehr als Gerichte eines Mitgliedstaats angesehen werden.

35

In diesem Abkommen ist in Art. 126 jedoch ein Übergangszeitraum vom 1. Februar 2020 (Inkrafttreten des Abkommens) bis zum 31. Dezember 2020 vorgesehen. Art. 127 des Abkommens bestimmt, dass das Unionsrecht, sofern in dem Abkommen nichts anderes bestimmt ist, während des Übergangszeitraums für das Vereinigte Königreich sowie im Vereinigten Königreich gilt, die gleichen Rechtswirkungen wie innerhalb der Union und ihrer Mitgliedstaaten entfaltet und nach denselben Methoden und allgemeinen Grundsätzen ausgelegt und angewendet wird, die auch innerhalb der Union gelten.

36

Weiter sieht Art. 86 des Austrittsabkommens vor, dass der Gerichtshof weiterhin für Vorabentscheidungsersuchen der Gerichte des Vereinigten Königreichs zuständig ist, die vor Ende des Übergangszeitraums vorgelegt werden (Abs. 2), und dass ein Vorabentscheidungsersuchen zu dem Zeitpunkt als vorgelegt in diesem Sinne gilt, zu dem die Unterlagen zur Einleitung des Verfahrens von der Kanzlei des Gerichtshofs registriert wurden (Abs. 3).

37

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ist am 7. April 2020, also vor dem Ende des Übergangszeitraums, von einem Gericht des Vereinigten Königreichs im Rahmen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsstreitigkeiten über das Recht von VI zum Aufenthalt im Vereinigten Königreich in den Zeiträumen vom 1. Mai 2006 bis 20. August 2006 sowie vom 18. August 2014 bis 25. September 2016 und ihren Anspruch auf die Steuergutschrift für Kinder sowie Kindergeld in diesen Zeiträumen beim Gerichtshof eingereicht worden.

38

Daraus folgt zum einen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation Zeiträume vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union und vor dem Ablauf des Übergangszeitraums betrifft und damit in den zeitlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. Zum anderen ist der Gerichtshof gemäß Art. 86 Abs. 2 dieses Abkommens dafür zuständig, im Wege der Vorabentscheidung über das Ersuchen des vorlegenden Gerichts zu entscheiden, soweit damit um eine Auslegung ersucht wird.

Zum Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren

39

Das vorlegende Gericht hat beantragt, die vorliegende Rechtssache dem beschleunigten Verfahren gemäß Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen. Zwar hat das vorlegende Gericht diesen Antrag nicht selbst begründet, aus seiner Vorlageentscheidung geht jedoch hervor, dass dieser infolge eines entsprechenden Antrags von VI gestellt wurde und dass VI die Erforderlichkeit eines Rückgriffs auf dieses Verfahren erstens mit dem Ablauf des vom Austrittsabkommen vorgesehenen Übergangszeitraums am 31. Dezember 2020, nach dem eine Durchführung eines Urteils des Gerichtshofs schwieriger werde, zweitens mit der Tatsache, dass HMRC immer noch versuche, Beträge zurückzufordern, die seiner Ansicht nach zu Unrecht als Steuergutschrift für unterhaltsberechtigte Kinder gezahlt worden seien, und drittens mit der Tatsache begründet, dass VI seit Oktober 2016 nicht die Sozialleistungen beziehe, auf die sie ihrer Ansicht nach Anspruch hat.

40

Nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

41

Ein solches beschleunigtes Verfahren ist ein Verfahrensinstrument, mit dem auf eine außerordentliche Dringlichkeitssituation reagiert werden soll (Urteil vom 21. Dezember 2021, Randstad Italia, C‑497/20, EU:C:2021:1037, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Gerichtshofs mit Entscheidung vom 20. Juli 2020 nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts den Antrag, die vorliegende Rechtssache dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, zurückgewiesen.

43

Was erstens das Vorbringen hinsichtlich des Ablaufs des vom Austrittsabkommen vorgesehenen Übergangszeitraums betrifft, geht aus Art. 89 Abs. 1 dieses Abkommens in Verbindung mit seinem Art. 86 Abs. 2 hervor, dass die Vorabentscheidungen, die der Gerichtshof nach dem Ende des Übergangszeitraums auf Ersuchen eines Gerichts des Vereinigten Königreichs, das vor dem Ende dieses Zeitraums gestellt wurde, erlässt, in ihrer Gesamtheit für das Vereinigte Königreich und im Vereinigten Königreich rechtsverbindlich sind.

44

Was zweitens das Vorbringen betrifft, HMRC versuche immer noch, Beträge zurückzufordern, die seiner Ansicht nach unrechtmäßig als Steuergutschrift für unterhaltsberechtigte Kinder gezahlt worden seien, geht aus den in Rn. 30 des vorliegenden Urteils zusammengefassten Tatsachenfeststellungen des vorlegenden Gerichts in seinem Vorabentscheidungsersuchen – für die es allein zuständig ist – hervor, dass HMRC nunmehr anerkenne, dass der zu viel gezahlte Betrag nicht von VI zurückgefordert werden könne, da sie weder falsche Angaben gemacht noch es unterlassen habe, wesentliche Tatsachen mitzuteilen.

45

Drittens ist in Bezug auf die Tatsache, dass VI seit Oktober 2016 nicht die Sozialleistungen bezieht, auf die sie ihrer Ansicht nach Anspruch hat, festzustellen, dass, selbst wenn die gerichtlichen Entscheidungen in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsstreitigkeiten, die vor diesem Zeitpunkt liegende Zeiträume betreffen, eine Pflicht für HMRC begründen sollten, diese Leistungen auch für danach liegende Zeiträume zu zahlen, aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht hervorgeht, dass, wenn diese Leistungen nicht gezahlt würden, VI und ihre Familie einer Situation von Bedürftigkeit ausgesetzt wären, die den Rückgriff auf das beschleunigte Verfahren rechtfertigen würde (vgl. hierzu Urteil vom 15. Juli 2021, The Department for Communities in Northern Ireland, C‑709/20, EU:C:2021:602, Rn. 44). Weder das bloße Interesse der Rechtsunterworfenen – so bedeutend und legitim es auch sein mag – an einer möglichst raschen Klärung des Umfangs der ihnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte noch der wirtschaftlich und sozial sensible Charakter einer Rechtssache erfordern für sich allein genommen, dass diese im Sinne von Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung rasch erledigt wird (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 26. November 2020, DSK Bank und FrontEx International, C‑807/19, EU:C:2020:967, Rn. 38).

46

Unter diesen Umständen ist in Anbetracht der dem Gerichtshof vorgelegten Informationen nicht ersichtlich, dass die vorliegende Rechtssache derart dringlich ist, dass es gerechtfertigt wäre, ausnahmsweise von den allgemeinen Vorschriften für Vorlagen zur Vorabentscheidung abzuweichen.

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

47

Das in Art. 267 AEUV errichtete System der Zusammenarbeit beruht auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof. Im Rahmen eines gemäß diesem Artikel eingeleiteten Verfahrens ist die Auslegung der nationalen Vorschriften Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten und nicht des Gerichtshofs, und es kommt diesem nicht zu, sich zur Vereinbarkeit von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts mit den Bestimmungen des Unionsrechts zu äußern. Dagegen ist der Gerichtshof befugt, dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem Gericht ermöglichen, die Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht zu beurteilen (Urteil vom 18. November 2020, Syndicat CFTC, C‑463/19, EU:C:2020:932, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48

Zudem ist es im Rahmen dieses Verfahrens der Zusammenarbeit Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom 15. Juli 2021, The Department for Communities in Northern Ireland, C‑709/20, EU:C:2021:602, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 13. September 2016, Rendón Marín, C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens unstreitig ist, dass VI über ausreichende Mittel verfügt, um für ihren Lebensunterhalt sowie den ihres Sohnes, eines 2004 geborenen Unionsbürgers, aufzukommen, und dass sie zumindest im Zeitraum vom 17. August 2006 bis zum 16. August 2014 über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügten. Daraus folgt, dass der Sohn von VI und sie selbst als Elternteil, der die elterliche Fürsorge für ihn tatsächlich wahrnimmt, während dieses gesamten Zeitraums über ein Recht zum Aufenthalt im Vereinigten Königreich nach Art. 21 Abs. 1 (AEUV) sowie Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 verfügten (vgl. entsprechend Urteile vom 19. Oktober 2004, Zhu und Chen, C‑200/02, EU:C:2004:639, Rn. 42 bis 47, sowie vom 13. September 2016, Rendón Marín, C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 41 bis 53).

50

Da sich der Sohn von VI während eines ununterbrochenen Zeitraums von mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Vereinigten Königreich aufgehalten hat, hat er gemäß Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 spätestens am 17. August 2011 ein Recht auf Daueraufenthalt in diesem Staat erlangt.

51

Die Streitigkeiten im Ausgangsverfahren betreffen den Anspruch von VI auf die Steuergutschrift für unterhaltsberechtigte Kinder und Kindergeld für einen Zeitraum vor dem 17. August 2006, während dessen ihr Sohn noch nicht über ein Recht auf Daueraufenthalt gemäß Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 im Vereinigten Königreich verfügte, und für einen Zeitraum nach dem 16. August 2014, während dessen er über ein solches Recht verfügte. Nach Ansicht von HMRC kann VI für diese Zeiträume weder die Steuergutschrift für unterhaltsberechtigte Kinder noch Kindergeld in Anspruch nehmen, weil sie während dieser Zeiträume keinen umfassenden Krankenversicherungsschutz gehabt habe und infolgedessen über kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich verfügt habe.

52

Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht ermitteln, inwiefern das in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 vorgesehene Erfordernis, im Aufnahmemitgliedstaat über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz zu verfügen, auf VI und ihren Sohn während dieser Zeiträume anwendbar war und, gegebenenfalls, ob der Versicherungsschutz, über den sie verfügten, zur Erfüllung dieses Erfordernisses ausreichend war. Die Fragen sind daher in diesem Sinne umzuformulieren.

Zur ersten Frage

53

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 21 AEUV und Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen sind, dass ein Kind, das Unionsbürger ist und ein Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, und der Elternteil, der die elterliche Fürsorge für das Kind tatsächlich wahrnimmt, verpflichtet sind, über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie zu verfügen, um ihr Recht zum Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat zu behalten.

54

In Bezug auf dieses Kind, das Unionsbürger ist, ist festzustellen, dass Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ausdrücklich bestimmt, dass das Recht auf Daueraufenthalt, das jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, erwirbt, „nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft [ist]“. Dieses Recht unterliegt daher insbesondere nicht den in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen, für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel sowie einen umfassenden Krankenversicherungsschutz zu verfügen.

55

Im 18. Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es hierzu, dass, „[u]m ein wirksames Instrument für die Integration in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats darzustellen, in dem der Unionsbürger seinen Aufenthalt hat, … das einmal erlangte Recht auf Daueraufenthalt keinen Bedingungen unterworfen werden [sollte]“.

56

In Bezug auf den Elternteil, der Staatsangehöriger eines Drittlands ist und die elterliche Fürsorge für dieses Kind tatsächlich wahrnimmt, ist festzustellen, dass Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, wonach Abs. 1 dieses Artikels auch für Familienangehörige gilt, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben, nicht auf die Situation eines solchen Elternteils anwendbar ist.

57

Wie aus Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38 hervorgeht, ist der Begriff „Familienangehöriger“ im Sinne dieser Richtlinie nämlich, was die Verwandten in aufsteigender Linie eines Unionsbürgers betrifft, auf die „Verwandten in gerader aufsteigender Linie …, denen … Unterhalt gewährt wird“, beschränkt. Folglich kann sich, wenn einem minderjährigen Unionsbürger von seinem Elternteil, der Staatsangehöriger eines Drittlands ist, Unterhalt gewährt wird, dieser Elternteil nicht auf die Eigenschaft als Verwandter in aufsteigender Linie, dem „Unterhalt gewährt“ wird, im Sinne dieser Richtlinie berufen, um in den Genuss eines Aufenthaltsrechts im Aufnahmemitgliedstaat zu gelangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2016, Rendón Marín, C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58

Allerdings beinhaltet nach gefestigter Rechtsprechung das Recht auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat, das dem minderjährigen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats vom Unionsrecht verliehen wird, zur Sicherstellung seiner praktischen Wirksamkeit nach Art. 21 AEUV zwangsläufig ein Recht für den Elternteil, der die elterliche Fürsorge für diesen minderjährigen Unionsbürger tatsächlich wahrnimmt, sich mit ihm im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten, und zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit dieses Elternteils (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Oktober 2004, Zhu und Chen, C‑200/02, EU:C:2004:639, Rn. 45 und 46, sowie vom 13. September 2016, Rendón Marín, C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 51 und 52).

59

Daraus folgt, dass die Unanwendbarkeit der u. a. in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 genannten Voraussetzungen infolge des Erwerbs eines Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie durch diesen Minderjährigen sich gemäß Art. 21 AEUV auf diesen Elternteil erstreckt.

60

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 21 AEUV und Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen sind, dass weder das Kind, das Unionsbürger ist und ein Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, noch der Elternteil, der die elterliche Fürsorge für das Kind tatsächlich wahrnimmt, verpflichtet sind, über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie zu verfügen, um ihr Recht zum Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat zu behalten.

Zur zweiten Frage

61

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 21 AEUV und Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen sind, dass in den Zeiträumen, bevor ein Kind, das Unionsbürger ist, ein Recht auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat erworben hat, sowohl dieses Kind, wenn ein Aufenthaltsrecht zu seinen Gunsten auf der Grundlage dieses Art. 7 Abs. 1 Buchst. b beansprucht wird, als auch der Elternteil, der die elterliche Fürsorge für das Kind tatsächlich wahrnimmt, über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Sinne dieser Richtlinie verfügen müssen.

62

Gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 hat jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, aber weniger als fünf Jahren, wenn er „für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen“.

63

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 48 und 49 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, enthält der Wortlaut dieser Bestimmung in seiner englischen Sprachfassung zwar eine gewisse Mehrdeutigkeit, doch geht aus anderen Sprachfassungen dieser Bestimmung wie der deutschen, der spanischen, der französischen und der italienischen sowie aus der allgemeinen Systematik und dem Ziel der Richtlinie 2004/38 eindeutig hervor, dass gemäß dieser Bestimmung nicht nur der Unionsbürger, sondern auch seine Familienangehörigen, die mit ihm im Aufnahmemitgliedstaat wohnen, über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen müssen.

64

In diesem Zusammenhang ist entsprechend dem Hinweis in Rn. 58 des vorliegenden Urteils hervorzuheben, dass der Elternteil, der die elterliche Fürsorge für einen minderjährigen Unionsbürger tatsächlich wahrnimmt, zwar nicht zu dessen Familienangehörigen im Sinne der Richtlinie 2004/38 gehört, das diesem minderjährigen Unionsbürger von dieser Richtlinie verliehene Recht zum Aufenthalt von mehr als drei Monaten und weniger als fünf Jahren sich jedoch gemäß Art. 21 AEUV auf diesen Elternteil erstreckt, um die praktische Wirksamkeit dieses Aufenthaltsrechts sicherzustellen.

65

Um zu ermitteln, ob diesem Elternteil, der Staatsgehöriger eines Drittlands ist, wegen der Situation seines Kindes, das Unionsbürger ist, ein solches Aufenthaltsrecht zusteht, ist daher zu prüfen, ob dieses Kind die Voraussetzungen in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 erfüllt. Für die Zwecke dieser Prüfung ist davon auszugehen, dass diese Voraussetzungen für diesen Elternteil entsprechend gelten.

66

Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass sich aus Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 in Verbindung mit deren zehntem Erwägungsgrund und deren Art. 14 Abs. 2 ergibt, dass der wirtschaftlich nicht aktive Unionsbürger während des gesamten Aufenthalts im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats von mehr als drei Monaten und weniger als fünf Jahren für sich und seine Familienangehörigen u. a. über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen muss, um die öffentlichen Finanzen dieses Mitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch zu nehmen (Urteil vom 15. Juli 2021, A [Öffentliche Gesundheitsversorgung], C‑535/19, EU:C:2021:595, Rn. 53 bis 55).

67

Was die Situation eines Kindes betrifft, das Unionsbürger ist und mit einem Elternteil, der die elterliche Fürsorge für das Kind tatsächlich wahrnimmt, im Aufnahmemitgliedstaat wohnt, ist diese Voraussetzung sowohl dann erfüllt, wenn dieses Kind über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt, der seinen Elternteil abdeckt, als auch im gegenteiligen Fall, in dem dieser Elternteil über einen solchen Schutz verfügt, der das Kind abdeckt (vgl. entsprechend Urteil vom 19. Oktober 2004, Zhu und Chen, C‑200/02, EU:C:2004:639, Rn. 29 bis 33).

68

Im vorliegenden Fall geht aus den Akten hervor, dass VI und ihr Sohn während des in Rede stehenden Zeitraums, d. h. vom 1. Mai 2006 bis zum 20. August 2006, beim öffentlichen Krankenversicherungssystem des Vereinigten Königreichs versichert waren, das kostenlos vom National Health Service (nationaler Gesundheitsdienst) zur Verfügung gestellt wird.

69

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Aufnahmemitgliedstaat vorbehaltlich der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Zugehörigkeit eines wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgers, der sich gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 in seinem Hoheitsgebiet aufhält, zu seinem öffentlichen Krankenversicherungssystem zwar von Voraussetzungen abhängig machen darf, die sicherstellen sollen, dass dieser Bürger die öffentlichen Finanzen dieses Mitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nimmt, wie etwa davon, dass dieser Bürger eine umfassende private Krankenversicherung abschließt oder aufrechterhält, so dass dem Mitgliedstaat seine Aufwendungen für die Gesundheit zugunsten dieses Bürgers erstattet werden können, oder davon, dass der Bürger einen Beitrag zum öffentlichen Krankenversicherungssystem dieses Mitgliedstaats zahlt (Urteil vom 15. Juli 2021, A [Öffentliche Gesundheitsversorgung], C‑535/19, EU:C:2021:595, Rn. 59), ein Unionsbürger, wenn er Mitglied eines solchen öffentlichen Krankenversicherungssystems im Aufnahmemitgliedstaat ist, aber über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Sinne dieses Art. 7 Abs. 1 Buchst. b verfügt.

70

In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der der betreffende wirtschaftlich nicht aktive Unionsbürger ein Kind ist, dessen einer Elternteil, der Staatsangehöriger eines Drittlands ist, während des in Rede stehenden Zeitraums im Aufnahmemitgliedstaat gearbeitet hat und steuerpflichtig war, wäre es außerdem unverhältnismäßig, diesem Kind und dem Elternteil, der die elterliche Fürsorge für das Kind tatsächlich wahrnimmt, ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 allein deshalb zu verweigern, weil sie während dieses Zeitraums kostenlos dem öffentlichen Krankenversicherungssystem dieses Staates angeschlossen waren. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass die kostenlose Mitgliedschaft unter diesen Umständen die öffentlichen Finanzen dieses Staates unverhältnismäßig in Anspruch nimmt.

71

Soweit sich das vorlegende Gericht in seiner zweiten Frage auf Rn. 70 des Urteils vom 23. Februar 2010, Teixeira (C‑480/08, EU:C:2010:83), bezieht, ist ferner festzustellen, dass diese im vorliegenden Fall nicht von Belang ist. Der Gerichtshof hat darin zwar entschieden, dass das Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat, das der Elternteil genießt, dem die elterliche Sorge für ein Kind tatsächlich zukommt, das gemäß Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 sein Recht ausübt, eine Ausbildung zu absolvieren, nicht von der Voraussetzung abhängt, dass dieser Elternteil sowohl über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass er während seines Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen dieses Mitgliedstaats in Anspruch nehmen muss, als auch über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz in diesem Staat. Allerdings verleihen Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 ebenso wie Art. 10 der Verordnung Nr. 492/2011, der ihn ersetzt hat, nur den Kindern der Familie eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Aufnahmemitgliedstaat beschäftigt ist oder gewesen ist, Rechte. Der Ehemann von VI und Vater des betroffenen Kindes ist jedoch Staatsangehöriger eines Drittlands.

72

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 21 AEUV und Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen sind, dass in den Zeiträumen, bevor ein Kind, das Unionsbürger ist, ein Recht auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat erworben hat, sowohl dieses Kind, wenn ein Aufenthaltsrecht zu seinen Gunsten auf der Grundlage dieses Art. 7 Abs. 1 Buchst. b beansprucht wird, als auch der Elternteil, der die elterliche Fürsorge für das Kind tatsächlich wahrnimmt, über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Sinne dieser Richtlinie verfügen müssen.

Zur dritten Frage

73

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob infolge eines im Jahr 2014 vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Berufungsgericht [England & Wales] [Abteilung für Zivilsachen], Vereinigtes Königreich) erlassenen Urteils die zwischen dem Vereinigten Königreich und Irland geltenden gegenseitigen Vereinbarungen über das gemeinsame Reisegebiet im Hinblick auf den Krankenversicherungsschutz als „gegenseitige Vereinbarungen“ und damit als vollständiger Krankenversicherungsschutz für die Zwecke von Regulation 4(1) der Einwanderungsverordnung von 2016 anzusehen sind.

74

Unter Berücksichtigung der Vorbemerkungen in den Rn. 47 bis 52 des vorliegenden Urteils erscheint es zwar möglich, diese Frage dahin umzuformulieren, dass das vorlegende Gericht mit ihr im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass mit gegenseitigen Vereinbarungen, wie sie zwischen dem Vereinigten Königreich und Irland für das gemeinsame Reisegebiet im Hinblick auf den Krankenversicherungsschutz gelten, die Voraussetzung erfüllt werden kann, über einen vollständigen Krankenversicherungsschutz im Sinne dieser Richtlinie zu verfügen, doch ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht keine Angaben zum Inhalt dieser Vereinbarungen und ihrer Relevanz im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits macht.

75

Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Auslegung des Unionsrechts, die für das nationale Gericht von Nutzen ist, aber nur dann möglich, wenn das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen, auf denen diese beruhen, erläutert. Außerdem müssen in der Vorlageentscheidung die genauen Gründe angegeben sein, aus denen dem nationalen Gericht die Auslegung des Unionsrechts fraglich und die Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage an den Gerichtshof erforderlich erscheint (Urteil vom 25. März 2021, Obala i lučice, C‑307/19, EU:C:2021:236, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76

Diese Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens sind ausdrücklich in Art. 94 der Verfahrensordnung aufgeführt, den das vorlegende Gericht im Rahmen der in Art. 267 AEUV festgelegten Zusammenarbeit zu beachten hat (Urteil vom 25. März 2021, Obala i lučice, C‑307/19, EU:C:2021:236, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung). Darauf wird auch in den Empfehlungen des Gerichtshofs der Europäischen Union an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2019, C 380, S. 1) hingewiesen.

77

Da das Vorabentscheidungsersuchen im vorliegenden Fall diese Anforderungen, was die dritte Frage betrifft, nicht erfüllt, ist diese unzulässig.

Kosten

78

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 21 AEUV und Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG sind dahin auszulegen, dass weder das Kind, das Unionsbürger ist und ein Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, noch der Elternteil, der die elterliche Fürsorge für das Kind tatsächlich wahrnimmt, verpflichtet sind, über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie zu verfügen, um ihr Recht zum Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat zu behalten.

 

2.

Art. 21 AEUV und Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 sind dahin auszulegen, dass in den Zeiträumen, bevor ein Kind, das Unionsbürger ist, ein Recht auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat erworben hat, sowohl dieses Kind, wenn ein Aufenthaltsrecht zu seinen Gunsten auf der Grundlage dieses Art. 7 Abs. 1 Buchst. b beansprucht wird, als auch der Elternteil, der die elterliche Fürsorge für das Kind tatsächlich wahrnimmt, über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Sinne dieser Richtlinie verfügen müssen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.