URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

3. März 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Anerkennung von Berufsqualifikationen – Richtlinie 2005/36/EG – Anwendungsbereich – Voraussetzungen für die Erlangung der Berechtigung, den Arztberuf im Aufnahmemitgliedstaat selbstständig auszuüben – Im Herkunftsmitgliedstaat ausgestelltes Diplom – Befristung der Berechtigung zur Ausübung des Arztberufs auf drei Jahre – Aufsicht durch einen zugelassenen Arzt und gleichzeitige Absolvierung der dreijährigen besonderen Ausbildung in Allgemeinmedizin – Art. 45 und 49 AEUV“

In der Rechtssache C‑634/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland) mit Entscheidung vom 25. November 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 25. November 2020, in dem Verfahren

A,

Beteiligte:

Sosiaali- ja terveysalan lupa- ja valvontavirasto,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin I. Ziemele, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen (Berichterstatter) und des Richters A. Kumin,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen:

der finnischen Regierung, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,

der norwegischen Regierung, vertreten durch I. Meinich, K. S. Borge und T. Sunde als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Huttunen, L. Armati und T. Sevón als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 45 und 49 AEUV.

2

Es ergeht im Rahmen eines von A angestrengten Verfahrens wegen der Entscheidung der Sosiaali- ja terveysalan lupa- ja valvontavirasto (Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde für die Bereiche Soziales und Gesundheit, Finnland) (im Folgenden: Valvira), A die Erlaubnis zur Ausübung des Arztberufs in Finnland auf drei Jahre befristet als zugelassene Berufsangehörige unter der Leitung und Aufsicht eines zur selbstständigen Berufsausübung berechtigten, zugelassenen Arztes zu erteilen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. 2005, L 255, S. 22) in der durch die Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 (ABl. 2013, L 354, S. 132) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2005/36) sieht vor:

„Diese Richtlinie legt die Vorschriften fest, nach denen ein Mitgliedstaat, der den Zugang zu einem reglementierten Beruf oder dessen Ausübung in seinem Hoheitsgebiet an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen knüpft (im Folgenden: Aufnahmemitgliedstaat), für den Zugang zu diesem Beruf und dessen Ausübung die in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten (im Folgenden: Herkunftsmitgliedstaat) erworbenen Berufsqualifikationen anerkennt, die ihren Inhaber berechtigen, dort denselben Beruf auszuüben.

Mit dieser Richtlinie werden auch Regeln über den partiellen Zugang zu einem reglementierten Beruf sowie die Anerkennung von in einem anderen Mitgliedstaat absolvierten Berufspraktika festgelegt.“

4

Art. 4 („Wirkungen der Anerkennung“) bestimmt in Abs. 1: „Die Anerkennung der Berufsqualifikationen durch den Aufnahmemitgliedstaat ermöglicht es den begünstigten Personen, in diesem Mitgliedstaat denselben Beruf wie den, für den sie in ihrem Herkunftsmitgliedstaat qualifiziert sind, aufzunehmen und unter denselben Voraussetzungen wie Inländer auszuüben.“

5

Art. 10 („Anwendungsbereich“) Buchst. b in Kapitel I dieser Richtlinie, das die allgemeine Regelung für die Anerkennung von Ausbildungsnachweisen betrifft, sieht vor:

„Dieses Kapitel gilt für alle Berufe, die nicht unter Kapitel II und III dieses Titels fallen, sowie für die folgenden Fälle, in denen der Antragsteller aus besonderen und außergewöhnlichen Gründen die in diesen Kapiteln genannten Voraussetzungen nicht erfüllt:

b)

für Ärzte mit Grundausbildung, Fachärzte, Krankenschwestern und Krankenpfleger für allgemeine Pflege, Zahnärzte, Fachzahnärzte, Tierärzte, Hebammen, Apotheker und Architekten, wenn der Migrant die Anforderungen der tatsächlichen und rechtmäßigen Berufspraxis gemäß den Artikeln 23, 27, 33, 37, 39, 43 und 49 nicht erfüllt.“

6

Art. 13 („Anerkennungsbedingungen“) der Richtlinie 2005/36 bestimmt in Abs. 1 Unterabs. 1:

„Setzt die Aufnahme oder Ausübung eines reglementierten Berufs in einem Aufnahmemitgliedstaat den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen voraus, so gestattet die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats den Antragstellern die Aufnahme oder Ausübung dieses Berufs unter denselben Voraussetzungen wie Inländern, wenn sie den Befähigungs- oder Ausbildungsnachweis nach Artikel 11 besitzen, der in einem anderen Mitgliedstaat erforderlich ist, um in dessen Hoheitsgebiet die Erlaubnis zur Aufnahme und Ausübung dieses Berufs zu erhalten.“

7

Art. 21 („Grundsatz der automatischen Anerkennung“) Abs. 1 in Titel III Kapitel III („Anerkennung auf der Grundlage der Koordinierung der Mindestanforderungen an die Ausbildung“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Jeder Mitgliedstaat erkennt die in Anhang V unter den Nummern 5.1.1., 5.1.2., 5.2.2., 5.3.2., 5.3.3., 5.4.2., 5.6.2. und 5.7.1. aufgeführten Ausbildungsnachweise an, die die Mindestanforderungen für die Ausbildung nach den Artikeln 24, 25, 31, 34, 35, 38, 44 und 46 erfüllen und die Aufnahme der beruflichen Tätigkeiten des Arztes mit Grundausbildung und des Facharztes, der Krankenschwester und des Krankenpflegers für allgemeine Pflege, des Zahnarztes und Fachzahnarztes, des Tierarztes, des Apothekers und des Architekten gestatten, und verleiht diesen Nachweisen in Bezug auf die Aufnahme und Ausübung der beruflichen Tätigkeiten in seinem Hoheitsgebiet dieselbe Wirkung wie den von ihm ausgestellten Ausbildungsnachweisen.

Diese Ausbildungsnachweise müssen von den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten ausgestellt und gegebenenfalls mit den Bescheinigungen versehen sein, die in Anhang V unter den Nummern 5.1.1., 5.1.2., 5.2.2., 5.3.2., 5.3.3., 5.4.2., 5.6.2. bzw. 5.7.1. aufgeführt sind.

…“

8

Anhang V Nr. 5.1.1 der Richtlinie 2005/36 lautet in Bezug auf die Ausbildungsnachweise für die ärztliche Grundausbildung im Vereinigten Königreich:

„Land

Ausbildungsnachweis

Ausstellende Stelle

Zusätzliche Bescheinigung

Stichtag

United Kingdom

Primary qualification

Competent examining body

Certificate of experience

20. Dezember 1976“

9

Art. 55a („Anerkennung eines Berufspraktikums“) dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)   Wenn der Abschluss eines Berufspraktikums Voraussetzung für den Zugang zu einem reglementierten Beruf ist, erkennt die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats bei der Prüfung von Anträgen auf Genehmigung der Ausübung des reglementierten Berufs in einem anderen Mitgliedstaat absolvierte Berufspraktika an, sofern sie den veröffentlichten Leitlinien nach Absatz 2 entsprechen, und berücksichtigt in einem Drittland absolvierte Berufspraktika. Die Mitgliedstaaten können jedoch in nationalen Rechtsvorschriften die Dauer des Teils des Berufspraktikums, der im Ausland absolviert werden kann, auf einen angemessenen Zeitraum begrenzen.

(2)   Die Anerkennung des Berufspraktikums ersetzt nicht die Erfüllung geltender Anforderungen bezüglich des Bestehens einer Prüfung, die den Zugang zu dem jeweiligen Beruf ermöglicht. Die zuständigen Behörden veröffentlichen Leitlinien zur Organisation und Anerkennung von in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland absolvierten Berufspraktika und insbesondere zu den Aufgaben der Person, die das Berufspraktikum überwacht.“

Finnisches Recht

10

Nach § 6a Abs. 1 des Laki terveydenhuollon ammattihenkilöistä (559/1994, Ammattihenkilölaki) (Gesetz über die Angehörigen der Gesundheitsberufe [559/1994]) in der für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Fassung erteilt die Valvira auf Antrag unter den von ihr bestimmten Auflagen einer Person, die ihre Medizinstudien vor dem 1. Januar 2012 in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem EWR-Staat aufgenommen hat, in dem Voraussetzung für das Recht zur Ausübung des Arztberufs die Absolvierung eines postgradualen Berufspraktikums ist, und die dort einen Abschluss der ärztlichen Grundausbildung erlangt hat, die Erlaubnis zur Ausübung des Arztberufs in Finnland als zugelassener Berufsangehöriger unter Leitung und Aufsicht eines zur selbstständigen Ausübung des fraglichen Berufs berechtigten, zugelassenen Arztes in einer Gesundheitseinrichtung. Das Recht, diesen Beruf auszuüben, ist auf drei Jahre befristet.

11

Ist der Antragsteller während des in §6a Abs. 1 des Gesetzes über die Angehörigen der Gesundheitsberufe (559/1994) vorgesehenen Zeitraums gemäß den von der Valvira erteilten Auflagen in ärztlichen Funktionen tätig gewesen, so gewährt die Valvira dem Antragsteller nach § 6a Abs. 2 dieses Gesetzes auf Antrag die Erlaubnis, den Arztberuf in Finnland selbstständig auszuüben. Die Valvira kann die in §6a Abs. 1 dieses Gesetzes geregelte dreijährige Frist aus begründetem Anlass verlängern.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

12

A nahm ihr Medizinstudium im Jahr 2008 an der Universität Edinburgh (Vereinigtes Königreich) auf. Am 6. Juli 2013 erlangte sie einen Bachelor of Medicine and Bachelor of Surgery, ein Diplom, das eine ärztliche Grundausbildung bescheinigt.

13

Das von A erlangte Diplom entspricht dem in Anhang V Nr. 5.1.1 der Richtlinie 2005/36 in Bezug auf das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland genannten Ausbildungsnachweis.

14

A verfügte aufgrund ihres Diploms, das eine ärztliche Grundausbildung bescheinigt, über ein eingeschränktes Recht, den Arztberuf im Vereinigten Königreich auszuüben. A war im Register der zuständigen Behörde des Vereinigten Königreichs, des General Medical Council (Allgemeiner Rat der Ärzteschaft), unter der Bezeichnung „provisionally registered doctor with a licence to practise“ (vorläufig eingetragene Ärztin mit Berufsausübungszulassung) eingetragen. A war berechtigt, im Rahmen eines postgradualen Programms zu arbeiten.

15

Nach Erhalt ihres Diploms, das eine ärztliche Grundausbildung bescheinigt, kehrte A nach Finnland zurück. Dort beantragte sie bei der Valvira aufgrund ihres im Vereinigten Königreich erlangten Diploms die Erlaubnis, den Arztberuf als zugelassene Berufsangehörige in Finnland auszuüben. Sie legte jedoch nicht die Bescheinigung (Certificate of experience) vor, die zusammen mit dem in Anhang V Nr. 5.1.1 der Richtlinie 2005/36 in Bezug auf das Vereinigte Königreich genannten Ausbildungsnachweis ausgestellt wird, und die im Vereinigten Königreich Voraussetzung für die Berechtigung ist, den Arztberuf in vollem Umfang auszuüben.

16

Da A nicht über diese Bescheinigung verfügte, schlug die Valvira ihr vor, ihren Antrag auf Zulassung als Ärztin in einen Antrag auf befristete Zulassung umzudeuten. A erklärte sich damit einverstanden. Der Valvira zufolge standen A zwei Optionen offen, um die Erlaubnis zur selbstständigen Ausübung des Arztberufs in Finnland zu erlangen. Zum einen könne sie in Finnland ein den Leitlinien des Vereinigten Königreichs entsprechendes Berufspraktikum absolvieren und dafür gemäß Art. 55a der Richtlinie 2005/36 bei der im Vereinigten Königreich zuständigen Behörde eine Anerkennung beantragen, um danach das Recht zur Ausübung des Arztberufs in Finnland durch das nach der Richtlinie vorgesehene automatische Anerkennungssystem beantragen zu können. Zum anderen könne sie in Finnland eine dreijährige besondere Ausbildung in Allgemeinmedizin absolvieren. A wählte die zweite Option, die nicht zu der automatischen Anerkennung der Berufsqualifikation im Sinne der Richtlinie 2005/36 in anderen EU/EWR-Mitgliedstaaten führt.

17

Die Valvira gewährte A mit Entscheidung vom 3. November 2016 die Erlaubnis, den Arztberuf in Finnland als zugelassene Berufsangehörige unter Leitung und Aufsicht eines zur selbstständigen Berufsausübung berechtigten, zugelassenen Arztes befristet auf drei Jahre vom 2. November 2016 bis zum 2. November 2019 auszuüben. A durfte den Arztberuf während dieser Zeit nur unter der Bedingung ausüben, dass sie die dreijährige besondere Ausbildung in Allgemeinmedizin in Finnland absolvierte.

18

Die Valvira wies den von A eingelegten Widerspruch mit Entscheidung vom 4. Mai 2017 zurück. Der Begründung dieser Entscheidung zufolge wurde A die Erlaubnis zur Ausübung des Arztberufs nach § 6a des Gesetzes über die Angehörigen der Gesundheitsberufe (559/1994) in einer Situation erteilt, in der ihr die Bescheinigung nach Nr. 5.1.1 des Anhangs V der Richtlinie 2005/36 gefehlt habe.

19

Das Helsingin hallinto-oikeus (Verwaltungsgericht Helsinki, Finnland) wies die Klage gegen die Widerspruchsentscheidung mit Entscheidung vom 5. Dezember 2017 mit der Begründung ab, dass erstens eine automatische Anerkennung gemäß der Richtlinie 2005/36 nicht möglich gewesen sei, da A die in Nr. 5.1.1 des Anhangs V dieser Richtlinie hinsichtlich des Vereinigten Königreichs genannte Bescheinigung nicht beigebracht habe, zweitens auch das allgemeine Anerkennungsverfahren nicht in Frage komme, da A die ärztliche Grundausbildung nicht vor dem in Nr. 5.1.1 des Anhangs V festgelegten Stichtag, dem 20. Dezember 1976, absolviert habe, und drittens A in einem anderen Mitgliedstaat der Union kein günstigeres Recht als in ihrem Herkunftsmitgliedstaat gewährt werden könne. Daher habe die Valvira A eine eingeschränkte Erlaubnis erteilen dürfen, den Arztberuf unter Leitung und Aufsicht eines anderen, zur selbstständigen Ausübung dieses Berufs berechtigten, zugelassenen Arztes auszuüben.

20

A macht vor dem Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland) geltend, dass ihr Antrag auf Anerkennung des in einem anderen Mitgliedstaat der Union erlangten Diploms, das eine ärztliche Grundausbildung bescheinigt, gemäß den Vorschriften der in der Richtlinie 2005/36 vorgesehenen allgemeinen Anerkennungsregelung zu prüfen sei, wenn die Voraussetzungen für eine automatische Anerkennung nicht erfüllt seien. Hierbei hätte die Valvira einen individuellen Vergleich zwischen dem von ihr im Vereinigten Königreich erlangten Diplom, das eine ärztliche Grundausbildung bescheinigt, und dem finnischen Diplom, das eine solche Ausbildung bescheinigt, vornehmen müssen. Es verstoße gegen das Unionsrecht, die Gewährung des selbstständigen Berufsausübungsrechts an die Bedingung eines dreijährigen Zeitraums unter Aufsicht zu knüpfen, wenn nicht nachgewiesen sei, dass wesentliche, nicht kompensierte Unterschiede im Vergleich zum innerstaatlichen Standard bestünden.

21

Am 1. November 2019 wurde A die Erlaubnis erteilt, den Arztberuf in Finnland als zugelassene Berufsangehörige selbstständig auszuüben. A hat ihr beim Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) eingelegtes Rechtsmittel gleichwohl nicht zurückgenommen.

22

Nach Auffassung des Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) war die Valvira nach der Richtlinie 2005/36 nicht verpflichtet, einen Vergleich zwischen den in Finnland und im Vereinigten Königreich erteilten Diplomen, die eine ärztliche Grundausbildung bescheinigen, anzustellen, da A weder die für den Beruf des Arztes geltenden Voraussetzungen des automatischen Anerkennungssystems noch die Voraussetzungen für die Anerkennung von Berufsqualifikationen nach der allgemeinen Anerkennungsregelung erfüllt habe. Das Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) fragt sich jedoch, ob sich eine solche Verpflichtung aus den Art. 45 und 49 AEUV ergeben kann.

23

Unter diesen Umständen hat das Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind Art. 45 oder 49 AEUV unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass die zuständige Behörde eines Aufnahmemitgliedstaats gestützt auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften einer Person das Recht zur Ausübung des Arztberufs auf drei Jahre befristet und dahin gehend eingeschränkt gewährt hat, dass diese nur unter Leitung und Aufsicht eines zugelassenen Arztes tätig sein darf und im selben Zeitraum eine dreijährige besondere Ausbildung in Allgemeinmedizin zu absolvieren hat, um im Aufnahmemitgliedstaat die Erlaubnis zur selbstständigen Ausübung des Arztberufs zu erlangen, wenn berücksichtigt wird, dass:

a)

die Person im Herkunftsmitgliedstaat einen Erstabschluss in Medizin erlangt hat, sie aber bei Beantragung der Anerkennung der Berufsqualifikation im Aufnahmemitgliedstaat nicht eine im Herkunftsmitgliedstaat zusätzlich als Voraussetzung für die Berufsqualifikation verlangte Bescheinigung über ein Berufspraktikum mit Dauer von einem Jahr beibringen konnte;

b)

der Person im Aufnahmemitgliedstaat in Hinblick auf Art. 55a der Richtlinie 2005/36 als vorrangige, von ihr ausgeschlagene, Alternative die Möglichkeit angeboten worden ist, im Aufnahmemitgliedstaat während eines dreijährigen Zeitraums ein den Leitlinien des Herkunftsmitgliedstaats entsprechendes Berufspraktikum zu absolvieren und dafür bei der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats eine Anerkennung zu beantragen, um danach im Aufnahmemitgliedstaat erneut das Recht zur Ausübung des Arztberufs durch das in der Richtlinie genannte automatische Anerkennungssystem beantragen zu können;

c)

der Zweck der innerstaatlichen Regelungen des Aufnahmemitgliedstaats in der Förderung der Patientensicherheit sowie der Qualität von Leistungen im Gesundheitswesen durch Sicherstellung besteht, dass die Angehörigen der Gesundheitsberufe über die für ihre berufliche Tätigkeit erforderliche Ausbildung, sonstig ausreichende berufliche Qualifikation und die anderen für die berufliche Tätigkeit verlangten Fertigkeiten verfügen?

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

24

Wie in Rn. 21 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat A, obwohl sie inzwischen die Berechtigung erhalten hat, den Arztberuf in Finnland selbstständig auszuüben, ihr Rechtsmittel beim Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) nicht zurückgenommen. Dieses hält es für die Entscheidung des Rechtsstreits für erforderlich, dass eine Frage zur Auslegung des Unionsrechts beantwortet wird.

25

Auf ein Ersuchen um Klarstellung hierzu hat das vorlegende Gericht erläutert, dass nach ständiger innerstaatlicher Rechtsprechung ein Rechtsmittel nicht deshalb als unzulässig zurückgewiesen werde, weil in einer Rechtssache nach Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung einer Behörde diese Entscheidung wegen Zeitablaufs oder aus einem anderen Grund nicht mehr für nichtig erklärt werden könne. Als Beispiel hat das vorlegende Gericht angeführt, dass, wenn in einer Rechtssache die beantragte Genehmigung erlangt worden sei, das Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) über die Rechtsmittelgründe entscheide und sich somit zur etwaigen Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Entscheidung und der des Hallinto-oikeus (Verwaltungsgericht) äußere. Das vorlegende Gericht hat außerdem ausgeführt, dass nach dem nationalen Recht der deliktischen Haftung die Verurteilung zu Schadensersatz wegen Rechtswidrigkeit der Entscheidung einer Behörde erfordere, dass die Rechtswidrigkeit zunächst durch eine endgültige Entscheidung gesondert festgestellt worden sei.

26

In dieser Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung das mit Art. 267 AEUV eingerichtete Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (vgl. Urteil vom 6. Juni 2013, MA u. a., C‑648/11, EU:C:2013:367, Rn. 36, sowie Beschluss vom 1. September 2021, OKR [Vorabentscheidungsersuchen eines Notarvertreters], C‑387/20, EU:C:2021:751, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Es spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof kann ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts nur zurückweisen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 6. Juni 2013, MA u. a., C‑648/11, EU:C:2013:367, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28

Hier hat das vorlegende Gericht u. a. erläutert, dass nach dem nationalen Recht der deliktischen Haftung die Verurteilung zu Schadensersatz wegen Rechtswidrigkeit der Entscheidung einer Behörde voraussetze, dass die Rechtswidrigkeit zunächst durch eine endgültige Entscheidung gesondert festgestellt worden sei.

29

Da eine Schadensersatzklage von A nur Erfolg haben kann, wenn die ihr zugrunde liegende Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung zuvor gesondert durch eine endgültige gerichtliche Entscheidung festgestellt worden ist, und der Inhalt dieser Entscheidung von der Antwort auf die Vorlagefrage abhängt, ist diese jedenfalls nach wie vor erheblich, um erforderlichenfalls die Rechte von A gegenüber der nationalen Behörde zu wahren, die diese Verwaltungsentscheidung erlassen hat.

30

Daher ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

Vorbemerkung

31

Der hier maßgebliche Sachverhalt ereignete sich, als das Unionsrecht noch auf das Vereinigte Königreich Anwendung fand. Somit können die Art. 45 und 49 AEUV sowie die Richtlinie 2005/36 auf den vorliegenden Fall Anwendung finden.

Zur Vorlagefrage

32

Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 45 und 49 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie es der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats verwehren, einer Person auf der Grundlage der nationalen Rechtsvorschriften eine Erlaubnis zur Ausübung des Arztberufs zu erteilen, die auf drei Jahre befristet und an die zweifache Bedingung geknüpft ist, dass die betroffene Person ihre Tätigkeit unter der Leitung und Aufsicht eines zugelassenen Arztes ausübt sowie in diesem Zeitraum die besondere dreijährige Ausbildung in Allgemeinmedizin erfolgreich abschließt, um die Berechtigung erlangen zu können, den Arztberuf im Aufnahmemitgliedstaat selbstständig auszuüben, wenn berücksichtigt wird, dass die betroffene Person, die im Herkunftsmitgliedstaat eine ärztliche Grundausbildung absolviert hat, über den in Anhang V Nr. 5.1.1 der Richtlinie 2005/36 genannten Ausbildungsnachweis in Bezug auf das Vereinigte Königreich, aber nicht über die darin genannte Bescheinigung verfügt, mit der der Abschluss eines einjährigen Berufspraktikums nachgewiesen wird, das von dem Herkunftsmitgliedstaat als zusätzliche Voraussetzung der Berufsqualifikationen verlangt wird.

33

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2005/36 jeder Mitgliedstaat die in Anhang V unter Nr. 5.1.1 aufgeführten Ausbildungsnachweise anerkennt, die die Aufnahme der beruflichen Tätigkeiten des Arztes mit Grundausbildung gestatten, und diesen Nachweisen in Bezug auf die Aufnahme und Ausübung der beruflichen Tätigkeiten in seinem Hoheitsgebiet dieselbe Wirkung verleiht wie den von ihm ausgestellten Ausbildungsnachweisen.

34

Außerdem hat der Gerichtshof zum Ziel der Richtlinie 2005/36 bereits präzisiert, dass aus deren Art. 1 und 4 hervorgeht, dass die gegenseitige Anerkennung hauptsächlich dazu dient, es dem Inhaber einer Berufsqualifikation, die ihm in seinem Herkunftsmitgliedstaat die Aufnahme eines reglementierten Berufs erlaubt, zu ermöglichen, im Aufnahmemitgliedstaat denselben Beruf wie den, für den er in seinem Herkunftsmitgliedstaat qualifiziert ist, aufzunehmen und ihn dort unter denselben Voraussetzungen wie Inländer auszuüben (Urteil vom 8. Juli 2021, Lietuvos Respublikos sveikatos apsaugos ministerija, C‑166/20, EU:C:2021:554, Rn. 25).

35

Feststeht, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens, da sie nicht über die in Anhang V Nr. 5.1.1 der Richtlinie 2005/36 angeführte Bescheinigung (Certificate of experience) verfügt, nicht berechtigt ist, im Vereinigten Königreich den reglementierten Beruf des Arztes mit Grundausbildung im vollen Umfang auszuüben, und daher nicht in den Genuss der automatischen Anerkennungsregelung nach Art. 21 dieser Richtlinie kommt. Die Anwendung dieser Regelung setzt nämlich voraus, dass der Antragsteller über eine Ausbildung verfügt, die ihn im Herkunftsmitgliedstaat dazu qualifiziert, dort einen reglementierten Beruf auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juli 2021, Lietuvos Respublikos sveikatos apsaugos ministerija, C‑166/20, EU:C:2021:554, Rn. 26 und 27).

36

Art. 10 der Richtlinie 2005/36, der den Anwendungsbereich der in Kapitel I des Titels III dieser Richtlinie vorgesehenen allgemeinen Regelung für die Anerkennung von Ausbildungsnachweisen festlegt, kann den Aufnahmemitgliedstaat gemäß seinem Buchst. b nicht verpflichten, die Ausbildungsnachweise eines Antragstellers zu prüfen, der nicht die Qualifikationen besitzt, die in seinem Herkunftsmitgliedstaat für die Ausübung des Berufs des Arztes mit Grundausbildung erforderlich sind, ohne dem in Rn. 34 des vorliegenden Urteils genannten Ziel dieser Richtlinie zuwiderzulaufen (vgl. entsprechend Urteil vom 8. Juli 2021, Lietuvos Respublikos sveikatos apsaugos ministerija, C‑166/20, EU:C:2021:554, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs haben die Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung von Diplomen, insbesondere die Richtlinie 2005/36 nicht das Ziel, die Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen in nicht von ihnen erfassten Sachverhalten zu erschweren und dürfen dies auch nicht bewirken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juli 2021, Lietuvos Respublikos sveikatos apsaugos ministerija, C‑166/20, EU:C:2021:554, Rn. 36 und 37).

38

In einer Situation, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/36, aber unter Art. 45 AEUV oder Art. 49 AEUV fällt, müssen somit die Behörden eines Mitgliedstaats, die mit einem Antrag eines Unionsbürgers auf Zulassung zu einem Beruf befasst sind, dessen Aufnahme nach nationalem Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation oder von Zeiten praktischer Erfahrung abhängt, sämtliche Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstigen Befähigungsnachweise sowie die einschlägige Erfahrung des Betroffenen in der Weise berücksichtigen, dass sie die durch diese Nachweise und diese Erfahrung belegten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juli 2021, Lietuvos Respublikos sveikatos apsaugos ministerija, C‑166/20, EU:C:2021:554, Rn. 34 und 38).

39

Im vorliegenden Fall beruft sich A, die nach den Angaben in den Akten des nationalen Verfahrens finnische Staatsangehörige ist, in Finnland auf ein Universitätsdiplom, das sie in einem anderen Mitgliedstaat erlangt hat.

40

Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass die Freizügigkeit nicht voll verwirklicht wäre, wenn die Mitgliedstaaten die Anwendung der Art. 45 und 49 AEUV denjenigen ihrer Staatsangehörigen versagen dürften, die von den darin vorgesehenen Erleichterungen Gebrauch gemacht und dank dieser Erleichterungen berufliche Qualifikationen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen erworben haben, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Diese Erwägung gilt auch, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats sich in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten und dort eine akademische Qualifikation erworben hat, auf die er sich in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, berufen will (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2015, Brouillard, C‑298/14, EU:C:2015:652, Rn. 27 bis 29).

41

Daraus folgt, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/36, aber unter Art. 45 AEUV oder Art. 49 AEUV fällt, der betreffende Aufnahmemitgliedstaat seine Verpflichtungen im Bereich der Anerkennung von Berufsqualifikationen, auf die in Rn. 38 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, beachten muss.

42

Diese vergleichende Prüfung muss es den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ermöglichen, objektiv zu überprüfen, ob ein ausländisches Diplom seinem Inhaber die gleichen Kenntnisse und Fähigkeiten wie das innerstaatliche Diplom oder diesen zumindest gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten bescheinigt. Diese Beurteilung der Gleichwertigkeit eines ausländischen Diploms muss ausschließlich danach erfolgen, welches Maß an Kenntnissen und Fähigkeiten dieses Diplom unter Berücksichtigung von Art und Dauer des Studiums und einer entsprechenden praktischen Ausbildung bei seinem Inhaber vermuten lässt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2015, Brouillard, C‑298/14, EU:C:2015:652, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Führt diese vergleichende Prüfung der Diplome zu der Feststellung, dass die durch das ausländische Diplom bescheinigten Kenntnisse und Fähigkeiten den nach den nationalen Rechtsvorschriften verlangten entsprechen, so hat der Mitgliedstaat anzuerkennen, dass dieses Diplom die in diesen Vorschriften aufgestellten Voraussetzungen erfüllt (Urteil vom 6. Oktober 2015, Brouillard, C‑298/14, EU:C:2015:652, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Ergeben sich aus dieser vergleichenden Prüfung wesentliche Unterschiede zwischen der Ausbildung des Antragstellers und der im Aufnahmemitgliedstaat erforderlichen Ausbildung, so können die zuständigen Behörden Ausgleichsmaßnahmen festlegen, um diese Unterschiede zu beseitigen (Urteil vom 8. Juli 2021, Lietuvos Respublikos sveikatos apsaugos ministerija, C‑166/20, EU:C:2021:554, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45

Die im Anwendungsbereich des Unionsrechts ergriffenen Maßnahmen müssen mit den allgemeinen Grundsätzen dieses Rechts, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen. Somit müssen Ausgleichsmaßnahmen auf den Fall beschränkt werden, dass sie im Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Dezember 2010, Vandorou u. a., C‑422/09, C‑425/09 und C‑426/09, EU:C:2010:732, Rn. 65).

46

Bevor die zuständigen nationalen Behörden Maßnahmen zum Ausgleich der Unterschiede zwischen der Ausbildung im Herkunftsmitgliedstaat und derjenigen im Aufnahmemitgliedstaat eines Antragstellers anordnen, müssen sie daher beurteilen, ob die von einem Antragsteller erworbenen Kenntnisse für den Nachweis des Erwerbs der vom Aufnahmemitgliedstaat verlangten Kenntnisse ausreichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Dezember 2010, Vandorou u. a., C‑422/09, C‑425/09 und C‑426/09, EU:C:2010:732, Rn. 67).

47

Innerstaatliche Rechtsvorschriften, die allgemein und unterschiedslos die gleichen Ausgleichsmaßnahmen für alle Inhaber eines die ärztliche Grundausbildung bescheinigenden Diploms vorschreiben, das in einem Mitgliedstaat der Union erlangt wurde, in dem die Berechtigung zur Ausübung des Arztberufs nach Erlangung des genannten Diploms an den Abschluss eines Berufspraktikums geknüpft ist, stehen weder im Einklang mit dem Erfordernis eines effektiven Vergleichs der durch den oder die Ausbildungsnachweis(e) der betroffenen Person bescheinigten Kompetenzen mit den nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats verlangten Kenntnissen und Fähigkeiten noch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

48

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 45 und 49 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie es der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats verwehren, einer Person auf der Grundlage der nationalen Rechtsvorschriften eine Erlaubnis zur Ausübung des Arztberufs zu erteilen, die auf drei Jahre befristet und an die zweifache Bedingung geknüpft ist, dass die betroffene Person ihre Tätigkeit unter der Leitung und Aufsicht eines zugelassenen Arztes ausübt sowie in diesem Zeitraum die besondere dreijährige Ausbildung in Allgemeinmedizin erfolgreich abschließt, um die Berechtigung erlangen zu können, den Arztberuf im Aufnahmemitgliedstaat selbstständig auszuüben, wenn berücksichtigt wird, dass die betroffene Person, die im Herkunftsmitgliedstaat eine ärztliche Grundausbildung absolviert hat, über den in Anhang V Nr. 5.1.1 der Richtlinie 2005/36 genannten Ausbildungsnachweis in Bezug auf das Vereinigte Königreich, aber nicht über die darin genannte Bescheinigung verfügt, mit der der Abschluss eines einjährigen Berufspraktikums nachgewiesen wird, das von dem Herkunftsmitgliedstaat als zusätzliche Voraussetzung der Berufsqualifikationen verlangt wird.

Kosten

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Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Art. 45 und 49 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie es der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats verwehren, einer Person auf der Grundlage der nationalen Rechtsvorschriften eine Erlaubnis zur Ausübung des Arztberufs zu erteilen, die auf drei Jahre befristet und an die zweifache Bedingung geknüpft ist, dass die betroffene Person ihre Tätigkeit unter der Leitung und Aufsicht eines zugelassenen Arztes ausübt sowie in diesem Zeitraum die besondere dreijährige Ausbildung in Allgemeinmedizin erfolgreich abschließt, um die Berechtigung erlangen zu können, den Arztberuf im Aufnahmemitgliedstaat selbstständig auszuüben, wenn berücksichtigt wird, dass die betroffene Person, die im Herkunftsmitgliedstaat eine ärztliche Grundausbildung absolviert hat, über den in Anhang V Nr. 5.1.1 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 in der durch die Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 geänderten Fassung genannten Ausbildungsnachweis in Bezug auf das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, aber nicht über die darin genannte Bescheinigung verfügt, mit der der Abschluss eines einjährigen Berufspraktikums nachgewiesen wird, das von dem Herkunftsmitgliedstaat als zusätzliche Voraussetzung der Berufsqualifikationen verlangt wird.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Finnisch.