URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

24. Februar 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinie 2011/92/EU – Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten Projekten – Richtlinie 92/43/EWG – Erhaltung der natürlichen Lebensräume – Verhältnis zwischen dem Prüfungs- und Genehmigungsverfahren nach Art. 2 der Richtlinie 2011/92/EU und einem nationalen Verfahren für Abweichungen von den in der Richtlinie 92/43/EWG vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz von Arten – Begriff der Genehmigung – Komplexer Entscheidungsprozess – Prüfungspflicht – Sachliche Reichweite – Verfahrensstadium, in dem die Beteiligung der Öffentlichkeit am Entscheidungsprozess gewährleistet sein muss“

In der Rechtssache C‑463/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 4. Juni 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 24. September 2020, in dem Verfahren

Namur-Est Environnement ASBL

gegen

Région wallonne,

Beteiligte:

Cimenteries CBR SA,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Zweiten Kammer A. Prechal in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer, der Richter J. Passer (Berichterstatter) und F. Biltgen, der Richterin L. S. Rossi und des Richters N. Wahl,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2021,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Namur-Est Environnement ASBL, vertreten durch J. Sambon, Avocat,

der Cimenteries CBR SA, vertreten durch L. de Meeûs und C.‑H. Born, Avocats,

der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, M. Van Regemorter und S. Baeyens als Bevollmächtigte im Beistand von P. Moërynck, Avocat,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und L. Dvořáková als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Hermes, M. Noll-Ehlers und F. Thiran als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 21. Oktober 2021

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 1, 2 und 5 bis 8 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Namur-Est Environnement ASBL und der Région wallonne (Wallonische Region, Belgien) über eine Entscheidung, mit der Letztere der Sagrex SA eine Abweichung von den Maßnahmen zum Schutz der in der anwendbaren Regelung genannten Tier- und Pflanzenarten im Hinblick auf den Betrieb eines Steinbruchs zur Gewinnung von Kalkgranulat bewilligte (im Folgenden: Abweichungsbewilligung).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 92/43/EWG

3

Die Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7) sieht in ihren Art. 12 und 13 vor, dass die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchst. a und b dieser Richtlinie genannten Tier- und Pflanzenarten aufzubauen.

4

Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt, dass die Mitgliedstaaten, sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und unter der Bedingung, dass die betroffenen Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, aus verschiedenen Gründen, die in den Buchst. a bis e dieser Bestimmung genannt werden, u. a. von den Art. 12 und 13 der Richtlinie abweichen können.

Richtlinie 2011/92

5

Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/92 enthält u. a. die folgenden Begriffsbestimmungen:

„a)

‚Projekt‘:

die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen,

sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen;

c)

‚Genehmigung‘: Entscheidung der zuständigen Behörde oder der zuständigen Behörden, aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält;

…“

6

Art. 2 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vor Erteilung der Genehmigung die Projekte, bei denen unter anderem aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Genehmigungspflicht unterworfen und einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden. Diese Projekte sind in Artikel 4 definiert.

(2)   Die Umweltverträglichkeitsprüfung kann in den Mitgliedstaaten im Rahmen der bestehenden Verfahren zur Genehmigung der Projekte durchgeführt werden …“

7

In Art. 3 der Richtlinie heißt es:

„Die Umweltverträglichkeitsprüfung identifiziert, beschreibt und bewertet in geeigneter Weise nach Maßgabe eines jeden Einzelfalls … die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Projekts auf folgende Faktoren:

a)

Mensch, Fauna und Flora;

b)

Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft;

c)

Sachgüter und kulturelles Erbe;

d)

die Wechselwirkung zwischen den unter Buchstaben a, b und c genannten Faktoren.“

8

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2011/92 sieht vor, dass „[b]ei Projekten, die nach Artikel 4 einer Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß diese[m Artikel] und den Artikeln 6 bis 10 zu unterziehen sind, die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen [ergreifen], um sicherzustellen, dass der Projektträger die in Anhang IV genannten Angaben in geeigneter Form vorlegt“, soweit diese Angaben in einem bestimmten Fall als bedeutsam angesehen werden und von dem Projektträger billigerweise verlangt werden kann, dass er die Angaben zusammenstellt. Nach diesem Anhang umfassen die vorzulegenden Angaben u. a. „[e]ine Beschreibung der möglicherweise von dem vorgeschlagenen Projekt erheblich beeinträchtigten Umwelt, wozu insbesondere … die Fauna, die Flora, … sowie die Wechselwirkung zwischen den genannten Faktoren gehören“.

9

Art. 6 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit die Behörden, die in ihrem umweltbezogenen Aufgabenbereich von dem Projekt berührt sein könnten, die Möglichkeit haben, ihre Stellungnahme zu den Angaben des Projektträgers und zu dem Antrag auf Genehmigung abzugeben. …

(2)   Die Öffentlichkeit wird … frühzeitig im Rahmen umweltbezogener Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2, spätestens jedoch, sobald die Informationen nach vernünftigem Ermessen zur Verfügung gestellt werden können, über Folgendes informiert:

a)

den Genehmigungsantrag;

b)

die Tatsache, dass das Projekt Gegenstand einer Umweltverträglichkeitsprüfung ist, und gegebenenfalls die Tatsache, dass Artikel 7 Anwendung findet;

d)

die Art möglicher Entscheidungen, oder, soweit vorhanden, den Entscheidungsentwurf;

e)

die Angaben über die Verfügbarkeit der Informationen, die gemäß Artikel 5 eingeholt wurden;

f)

die Angaben, wann, wo und in welcher Weise die relevanten Informationen zugänglich gemacht werden;

g)

Einzelheiten zu den Vorkehrungen für die Beteiligung der Öffentlichkeit nach Absatz 5 dieses Artikels.

(3)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der betroffenen Öffentlichkeit innerhalb eines angemessenen zeitlichen Rahmens Folgendes zugänglich gemacht wird:

a)

alle Informationen, die gemäß Artikel 5 eingeholt wurden;

b)

in Übereinstimmung mit den nationalen Rechtsvorschriften die wichtigsten Berichte und Empfehlungen, die der bzw. den zuständigen Behörden zu dem Zeitpunkt vorliegen, zu dem die betroffene Öffentlichkeit nach Absatz 2 dieses Artikels informiert wird;

c)

in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen [ABl. 2003, L 41, S. 26] andere als die in Absatz 2 dieses Artikels genannten Informationen, die für die Entscheidung nach Artikel 8 dieser Richtlinie von Bedeutung sind und die erst zugänglich werden, nachdem die betroffene Öffentlichkeit nach Absatz 2 dieses Artikels informiert wurde.

(4)   Die betroffene Öffentlichkeit erhält frühzeitig und in effektiver Weise die Möglichkeit, sich an den umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 zu beteiligen, und hat zu diesem Zweck das Recht, der zuständigen Behörde bzw. den zuständigen Behörden gegenüber Stellung zu nehmen und Meinungen zu äußern, wenn alle Optionen noch offenstehen und bevor die Entscheidung über den Genehmigungsantrag getroffen wird.

…“

10

Art. 7 der Richtlinie regelt besondere Modalitäten für die Umweltverträglichkeitsprüfung in dem Fall, dass ein Projekt erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt in mehreren Mitgliedstaaten haben könnte.

11

Art. 8 der Richtlinie 2011/92 bestimmt, dass „[d]ie Ergebnisse der Anhörungen und die gemäß den Artikeln 5, 6 und 7 eingeholten Angaben … beim Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen [sind]“.

12

Anhang I dieser Richtlinie listet die Projekte auf, die nach ihrem Art. 4 Abs. 1 einer Prüfung gemäß den Art. 5 bis 10 der Richtlinie unterzogen werden müssen. Nr. 19 dieses Anhangs nennt dabei „Steinbrüche und Tagebau auf einer Abbaufläche von mehr als 25 Hektar“.

Belgisches Recht

13

Die Richtlinie 92/43 wurde durch das Gesetz vom 12. Juli 1973 über die Erhaltung der Natur (Belgisches Staatsblatt vom 11. September 1973, S. 10306) in der durch das Dekret der Wallonischen Region vom 6. Dezember 2001 über die Erhaltung der Natura-2000-Gebiete sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Belgisches Staatsblatt vom 22. Januar 2002, S. 2017) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz vom 12. Juli 1973) in belgisches Recht umgesetzt.

14

Die Art. 2bis, 3 und 3bis dieses Gesetzes führen ein System zum Schutz einer Reihe von Vogel‑, Säugetier- und Pflanzenarten ein, die entweder gemäß der Richtlinie 92/43 geschützt oder in Wallonien bedroht sind. Dieses System fußt auf Maßnahmen wie dem Verbot des Fangs mit oder ohne Fallen und der Tötung bzw. des Pflückens, des Abschneidens und des Entwurzelns der betreffenden Arten, dem Verbot ihrer absichtlichen Störung, dem Verbot ihrer Haltung, ihrer Verbringung, ihres Tauschs, ihres Verkaufs, ihres Kaufs und ihres Anbietens oder auch dem Verbot der Zerstörung oder Verschlechterung ihrer natürlichen Lebensräume.

15

Nach Art. 5 des Gesetzes kann die Regierung der Wallonischen Region unter bestimmten Voraussetzungen und aus bestimmten Gründen Abweichungen von diesen Maßnahmen bewilligen.

16

Art. 5bis des Gesetzes sieht die Möglichkeit vor, einen Antrag auf Bewilligung einer Abweichung von diesen Maßnahmen zu stellen, wobei es der Regierung der Wallonischen Region zukommt, Form und Inhalt des Antrags sowie die Voraussetzungen und Modalitäten für die Bewilligung der beantragten Abweichung festzulegen.

17

Es steht fest, dass weder das Gesetz vom 12. Juli 1973 noch die dazu ergangene Verordnung der Regierung der Wallonischen Region einerseits eine Umweltverträglichkeitsprüfung hinsichtlich der beantragten Abweichung und andererseits eine Anhörung der betroffenen Öffentlichkeit vor deren Bewilligung vorsehen.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

18

Am 4. November 2008 stellte Sagrex bei der zuständigen Behörde der Wallonischen Region einen Antrag auf Globalbewilligung bezüglich eines Projekts, das die Wiederinbetriebnahme der Steinbruchstätte Bossimé (Belgien) mit einer Fläche von mehr als 50 ha sowie die Vornahme von damit zusammenhängenden Infrastruktur- und Erschließungsmaßnahmen, u. a. am Ufer der Maas, vorsah.

19

Am 12. Mai 2010 gab die Direction extérieure de Namur (Außendirektion Namur) des Département de la nature et des forêts de la Région wallonne (Abteilung Natur und Forstwesen der Wallonischen Region, Belgien) eine ablehnende Stellungnahme zu diesem Antrag ab, in der sie erstens feststellte, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Projekt an ein Natura-2000-Gebiet grenze und zwei Gebiete von großem biologischem Interesse umfasse und dass mit dem Projekt die beiden letztgenannten Gebiete vollständig oder teilweise zerstört würden und der natürliche Lebensraum der verschiedenen dort vorkommenden geschützten Vogel‑, Insekten‑, Reptilien‑ und Pflanzenarten vollständig oder teilweise verloren gehe. Zweitens stellte sie fest, dass trotz dieser Situation in den projektbegleitenden Unterlagen keine Rede von einer Bewilligung sei, nach der von den Maßnahmen zur Erhaltung der geschützten Arten, die nach der anwendbaren Regelung vorgegeben seien, abgewichen werden dürfe. Drittens und letztens war sie der Ansicht, dass die Umgestaltungen, die vom Projektträger vor, während und nach den Bauarbeiten im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Projekts geplant seien, angesichts der Art und des Ausmaßes des Projekts nicht geeignet seien, dessen Auswirkungen auf die betroffenen natürlichen Lebensräume einzudämmen und auszugleichen.

20

Am 1. September 2010 forderte die zuständige Behörde der Wallonischen Region Sagrex auf, ihr Änderungspläne und eine ergänzende Umweltverträglichkeitsprüfung zu dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Projekt vorzulegen.

21

Am 15. April 2016 stellte Sagrex beim Generalinspektor der Abteilung Natur und Forstwesen der Wallonischen Region einen Antrag auf Bewilligung einer Abweichung von den Maßnahmen zum Schutz der im Gesetz vom 12. Juli 1973 genannten Tier- und Pflanzenarten im Zusammenhang mit dem Projekt.

22

Am 27. Juni 2016 erließ der Generalinspektor die oben in Rn. 2 erwähnte Abweichungsbewilligung. Diese gestattet Sagrex, im Zusammenhang mit dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Projekt eine Reihe geschützter Tier- und Pflanzenarten zu stören und bestimmte Gebiete ihres jeweiligen natürlichen Lebensraums zu verschlechtern oder zu zerstören, sofern eine Reihe von Eindämmungsmaßnahmen durchgeführt werden.

23

Am 30. September 2016 legte Sagrex der zuständigen Behörde der Wallonischen Region die Änderungspläne und die ergänzende Prüfung des Projekts vor, die bei ihr am 1. September 2010 angefordert worden waren.

24

Vom 21. November bis zum 21. Dezember 2016 fand eine öffentliche Anhörung zu dem so geänderten und ergänzten Projekt statt, die zahlreiche Beschwerden hinsichtlich der Auswirkungen des Projekts auf geschützte Arten und ihren Lebensraum hervorrief.

25

Am 21. Dezember 2016 gab die Außendirektion Namur der Abteilung Natur und Forstwesen der Wallonischen Region eine mit Auflagen versehene befürwortende Stellungnahme zu dem von Sagrex gestellten Antrag auf Globalbewilligung ab, in der sie erstens feststellte, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Projekt teilweise an ein Natura-2000-Gebiet angrenze, die Gefahr einer erheblichen Auswirkung auf dieses Gebiet aber ausgeschlossen sei. Zweitens äußerte sie in Bezug auf die beiden ebenfalls an das Projekt angrenzenden Gebiete von großem biologischem Interesse zunächst die Auffassung, dass das Projekt ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen wahrscheinlich erhebliche Auswirkungen auf die dort vorkommenden geschützten Tier- und Pflanzenarten und auf ihren jeweiligen natürlichen Lebensraum hätte. Sodann führte sie aus, dass das Projekt bei Durchführung der von Sagrex vorgesehenen und in der Abweichungsbewilligung genau bezeichneten Eindämmungs- und Ausgleichsmaßnahmen zum einen diese Arten nicht beeinträchtigen und zum anderen nur zu einer allmählichen Zerstörung ihres jeweiligen natürlichen Lebensraums führen würde, die zudem durch das Anlegen neuer natürlicher Lebensräume ausgeglichen würde. Schließlich gelangte sie zu dem Schluss, dass unter Berücksichtigung all dessen vernünftigerweise angenommen werden könne, dass die Stätten, die von dem von Sagrex betriebenen Steinbruch betroffen seien, am Ende des von Sagrex geplanten Abbauzeitraums von 30 Jahren nach wie vor von erheblichem biologischen Interesse sein würden, so dass die Umweltauswirkungen des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Projekts auf die Erhaltung der Natur als auf ein akzeptables Ausmaß reduziert angesehen werden könnten.

26

Mit Erlass vom 25. September 2017 verweigerte der für Umwelt und Raumordnung zuständige Minister der Wallonischen Region jedoch die Erteilung der von Sagrex beantragten Globalbewilligung. Die gegen diesen Erlass erhobene Nichtigkeitsklage der Cimenteries CBR SA, unter deren Kontrolle Sagrex steht, wurde später mit Urteil des Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) vom 14. Mai 2020 abgewiesen.

27

In der Zwischenzeit hatte Namur-Est Environnement beim Conseil d’État (Staatsrat) Klage auf Nichtigerklärung der Abweichungsbewilligung erhoben, mit der sie u. a. geltend macht, dass diese Bewilligung unter die Genehmigung eines Projekts im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/92 falle und ihr kein Verfahren vorausgegangen sei, das den Anforderungen der Art. 2 ff. dieser Richtlinie genüge. Insbesondere trägt die Vereinigung im Kern vor, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung bei einem Projekt wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden und die damit einhergehende Anhörung der Öffentlichkeit vor und nicht wie im vorliegenden Fall nach dem Erlass eines Rechtsakts wie der Abweichungsbewilligung erfolgen müssten, um diesen Anforderungen nachzukommen und um es sowohl der betroffenen Öffentlichkeit zu ermöglichen, sich an dem Verfahren sinnvoll zu beteiligen, als auch der zuständigen Behörde, dieser Beteiligung Rechnung zu tragen.

28

Die Wallonische Region entgegnet im Wesentlichen, dass die Abweichungsbewilligung nicht unter die Genehmigung eines Projekts im Sinne der Richtlinie 2011/92 subsumiert werden könne, da sich der Generalinspektor der Abteilung Natur und Forstwesen der Wallonischen Region darauf beschränkt habe, Sagrex auf ihren entsprechenden Antrag hin zu gestatten, von den Maßnahmen zum Schutz der in der anwendbaren Regelung genannten Tier- und Pflanzenarten abzuweichen, was nicht nur gezielt und vor der Prüfung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Projekts durch eine andere Behörde, sondern auch ohne jegliche Vorwegnahme dieser Prüfung geschehen sei. Allgemeiner ausgedrückt unterlägen dieser Antrag auf Bewilligung einer Abweichung und der von Sagrex im Übrigen gestellte Antrag auf Globalbewilligung zwei rechtlichen Regelungen und zwei Entscheidungsprozessen, die, auch wenn sie in einem Zusammenhang stünden, gesondert seien, und nicht ein und derselben rechtlichen Regelung oder ein und demselben Entscheidungsprozess.

29

Auch Cimenteries CBR hält die Abweichungsbewilligung für eine rein akzessorische Handlung, die für sich allein nicht als Genehmigung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Projekts angesehen werden könne. Außerdem könnten oder gar dürften die von der Richtlinie 2011/92 vorgeschriebene Prüfung und die Anhörung der Öffentlichkeit, die mit ihr einhergehen müsse, erst nach der Abweichungsbewilligung erfolgen, damit sich die Öffentlichkeit im Wege einer möglichst umfassenden Äußerung zu dem Projekt sinnvoll an dem Verfahren beteiligen könne und die zuständige Behörde sodann dieser Beteiligung in vollem Umfang Rechnung tragen könne.

30

In Anbetracht dieser verschiedenen Argumente führt das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen zunächst aus, dass ein Projekt wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht Gegenstand einer Genehmigung in Form einer Globalbewilligung sein könne, ohne dass dem Projektträger eine Abweichung wie die in der Abweichungsbewilligung enthaltene zugebilligt worden sei, sodass diese als notwendige, aber nicht ausreichende Voraussetzung für die Erteilung einer solchen Genehmigung angesehen werden könne. Die Grundsatzentscheidung, aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung seines Projekts erhalte, liege im Übrigen in der Globalbewilligung, die nach öffentlicher Anhörung verweigert oder strengeren Auflagen als denen der Abweichungsbewilligung unterworfen werden könne, da die für die Erteilung der Globalbewilligung zuständige Behörde sämtliche Umweltaspekte des Projekts zu prüfen habe und insoweit dessen Auswirkungen im Vergleich zu den Parametern, die von der die Abweichungsbewilligung erteilenden Stelle festgelegt worden seien, strenger beurteilen könne.

31

Das vorlegende Gericht sieht sich sodann vor die Frage gestellt, ob in diesem rechtlichen und tatsächlichen Kontext Handlungen wie die Abweichungsbewilligung und die spätere Entscheidung über die Globalbewilligung für den Projektträger zusammen als zu einem komplexen Entscheidungsprozess gehörig zu betrachten sind, der in die Genehmigung oder die Versagung der Genehmigung eines Projekts im Sinne der Richtlinie 2011/92 mündet. Schließlich wirft es die Frage auf, ob bejahendenfalls die Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit an diesem komplexen Entscheidungsprozess vor dem Erlass einer Handlung wie der Abweichungsbewilligung sichergestellt sein muss oder ob sie erst zwischen diesem Erlass und dem Zeitpunkt stattfinden kann, zu dem die zuständige Behörde über die vom Projektträger beantragte Globalbewilligung entscheidet.

32

Zu den beiden letztgenannten Aspekten führt das vorlegende Gericht aus, der rechtliche und tatsächliche Kontext, der den Ausgangsrechtsstreit kennzeichne, erscheine ihm anders als in den Fällen mehrstufiger Genehmigungsverfahren, über die der Gerichtshof bislang, beginnend mit dem Urteil vom 7. Januar 2004, Wells (C‑201/02, EU:C:2004:12), zu entscheiden gehabt habe.

33

Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Fallen eine Entscheidung „zur Genehmigung der Störung von Tieren und der Verschlechterung der Lebensräume dieser Arten im Hinblick auf den Betrieb eines Steinbruchs“ und die diesen Betrieb genehmigende oder verweigernde Entscheidung (Globalbewilligung) unter dieselbe Genehmigung (im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2011/92) für dasselbe Projekt (im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie), wenn einerseits dieser Betrieb nicht ohne die erste dieser Entscheidungen stattfinden kann und andererseits die für die Erteilung der Globalbewilligungen zuständige Behörde die Möglichkeit behält, die Umweltauswirkungen dieses Betriebs im Vergleich zu den vom Urheber der ersten Entscheidung festgelegten Parametern strenger zu bewerten?

2.

Falls die erste Frage bejaht wird, werden die von dieser Richtlinie insbesondere in deren Art. 2, 5, 6, 7 und 8 aufgestellten Anforderungen hinreichend berücksichtigt, wenn die Phase der Öffentlichkeitsbeteiligung nach dem Erlass der Entscheidung „zur Genehmigung der Störung von Tieren und der Verschlechterung der Lebensräume dieser Arten im Hinblick auf den Betrieb eines Steinbruchs“, aber vor dem Erlass der Grundsatzentscheidung, aufgrund deren der Projektträger das Recht zum Betrieb des Steinbruchs erhält, stattfindet?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

34

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen ist, dass eine Entscheidung nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 92/43, mit der einem Projektträger gestattet wird, von geltenden Artenschutzmaßnahmen abzuweichen, um ein Projekt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2011/92 durchzuführen, unter das Verfahren zur Genehmigung dieses Projekts im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie fällt, wenn einerseits die Durchführung dieses Projekts nicht ohne diese Entscheidung zugunsten des Projektträgers erfolgen kann und andererseits die für die Genehmigung eines solchen Projekts zuständige Behörde die Möglichkeit behält, dessen Umweltauswirkungen strenger zu beurteilen, als dies in der besagten Entscheidung geschehen ist.

Zur Zulässigkeit

35

In ihren schriftlichen und mündlichen Erklärungen hat die belgische Regierung im Wesentlichen geltend gemacht, dass die erste Frage als unzulässig zurückzuweisen sei, weil sie auf zwei unzutreffenden rechtlichen Annahmen beruhe und bei richtiger Auslegung der vom vorlegenden Gericht in Bezug genommenen unionsrechtlichen und innerstaatlichen Vorschriften offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten und dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stehe. Die Bewilligung einer Abweichung von den Maßnahmen zum Schutz der Arten, die in den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 92/43 genannt seien, könne nämlich nach diesen Vorschriften sowohl vor als auch nach Erteilung der Globalbewilligung, die die besagte Genehmigung verkörpere, beantragt werden, sodass die Abweichungsbewilligung keine Voraussetzung für diese Erteilung, sondern eine rechtlich selbständige Handlung darstelle. Diese Auslegung stehe im Einklang mit dem Unionsrecht, da keine unionsrechtliche Bestimmung gebiete, dass eine Entscheidung wie die Abweichungsbewilligung, mit der eine Abweichung von den Artenschutzmaßnahmen zugebilligt werde, notwendigerweise der Genehmigung eines Projekts wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden im Sinne der Richtlinie 2011/92 vorausgehen müsse.

36

Hierzu ergibt sich als Erstes aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass Argumente, die die inhaltliche Prüfung einer von einem nationalen Gericht vorgelegten Frage betreffen, ihrem Wesen nach nicht zur Unzulässigkeit dieser Frage führen können (Urteile vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 80, und vom 13. Januar 2022, Minister Sprawiedliwości, C‑55/20, EU:C:2022:6, Rn. 83).

37

Im vorliegenden Fall ist aber festzustellen, dass ein Teil der oben in Rn. 35 zusammengefassten Argumentation der belgischen Regierung auf einer Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts beruht, auf die das vorlegende Gericht im Rahmen seiner ersten Frage Bezug nimmt, und somit den inhaltlichen Kern dieser Frage betrifft.

38

Als Zweites ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten dieses Rechtsstreits sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen (Urteile vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 26, und vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies, C‑502/19, EU:C:2019:1115, Rn. 55). Betreffen diese Fragen das Unionsrecht, ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (Urteile vom 24. November 2020, Openbaar Ministerie [Urkundenfälschung], C‑510/19, EU:C:2020:953, Rn. 25, und vom 18. Mai 2021, Asociaţia Forumul Judecătorilor din România u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 115).

39

Folglich gilt für Fragen der nationalen Gerichte zum Unionsrecht eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit, und der Gerichtshof kann ihre Beantwortung nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das aufgeworfene Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung dieser Fragen erforderlich sind (Urteile vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 27, und vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies, C‑502/19, EU:C:2019:1115, Rn. 56).

40

Im Übrigen beruht das Verfahren gemäß Art. 267 AEUV auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof. Der Gerichtshof ist dabei befugt, sich zur Auslegung oder zur Gültigkeit von Unionshandlungen im Sinne dieses Artikels unter Berücksichtigung des vom vorlegenden Gericht festgestellten tatsächlichen und rechtlichen Kontexts der Vorlagefragen zu äußern, hat aber nicht zu beurteilen, ob die vom vorlegenden Gericht vorgenommene Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften zutreffend ist. Somit kann die Prüfung einer Vorlage zur Vorabentscheidung nicht anhand der von der Regierung eines Mitgliedstaats vorgebrachten Auslegung des nationalen Rechts erfolgen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. September 2013, Texdata Software, C‑418/11, EU:C:2013:588, Rn. 28 und 29, sowie vom 15. April 2021, État belge [Nach der Überstellungsentscheidung eingetretene Umstände], C‑194/19, EU:C:2021:270, Rn. 26).

41

Im vorliegenden Fall betrifft aber zum einen die erste Frage offensichtlich die Auslegung des Unionsrechts (vgl. oben, Rn. 37). Zum anderen belegen die Erwägungen, auf denen sie fußt (vgl. oben Rn. 30 bis 32), sowohl ihre Erheblichkeit in dem spezifischen tatsächlichen Kontext, der den Ausgangsrechtsstreit kennzeichnet, als auch die Erforderlichkeit einer Beantwortung durch den Gerichtshof aus Sicht des vorlegenden Gerichts.

42

Nach alledem steht die erste Frage nicht offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits und ist folglich als zulässig anzusehen.

Zur Beantwortung der Frage

43

Als Erstes ist festzustellen, dass in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und c der Richtlinie 2011/92 die Begriffe „Projekt“ und „Genehmigung“ im Sinne dieser Richtlinie definiert werden, indem erläutert wird, dass sich der Begriff „Projekt“ auf die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen sowie auf sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft bezieht und der Begriff „Genehmigung“ auf die Entscheidung der zuständigen Behörde oder der zuständigen Behörden, aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung eines solchen Projekts erhält.

44

Allein anhand dieser Formulierungen lässt sich aber die erste Frage nicht beantworten, mit der das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen möchte, ob davon auszugehen ist, dass eine Entscheidung wie die Abweichungsbewilligung, obwohl sie keine „Entscheidung der zuständigen Behörde oder der zuständigen Behörden“ ist, „aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält“, das sie betrifft, in Anbetracht ihres Zusammenhangs mit dieser Entscheidung unter die Genehmigung dieses Projekts fällt. Mit diesen Formulierungen wird zwar die „Genehmigung“ als eine Entscheidung anderer Art als die Abweichungsbewilligung definiert und damit ausgeschlossen, dass diese für sich genommen und als solche als „Genehmigung“ des Projekts, das sie betrifft, im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2011/92 angesehen werden kann. Die Formulierungen schließen aber demgegenüber nicht aus, dass eine solche Entscheidung zusammen mit der späteren Entscheidung über das Recht des Projektträgers zur Durchführung dieses Projekts unter die Genehmigung oder gegebenenfalls die Versagung der Genehmigung des Projekts subsumierbar sein mag.

45

Unter diesen Umständen ist bei der Auslegung dieser Richtlinie gemäß der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur der Wortlaut der in den beiden vorstehenden Randnummern genannten Bestimmungen zu berücksichtigen, sondern auch der Zusammenhang, in dem diese stehen, und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden (Urteile vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C‑17/03, EU:C:2005:362, Rn. 41, und vom 21. Januar 2021, Deutschland/Esso Raffinage, C‑471/18 P, EU:C:2021:48, Rn. 81).

46

Was als Zweites den Zusammenhang betrifft, in dem die Definitionen in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und c der Richtlinie 2011/92 stehen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus den Bestimmungen der Richtlinie insgesamt ergibt, die Entscheidung über die Genehmigung am Ende eines umfassenden Verfahrens zur Prüfung der in Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie in Bezug genommenen Projekte, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, ergehen soll.

47

Diese Bestimmungen lassen somit erkennen, dass die Genehmigung eines Projekts den Schlusspunkt eines Entscheidungsprozesses darstellt, der mit der Einreichung eines entsprechenden Antrags durch den Projektträger beginnt und in verfahrensrechtlicher Hinsicht sämtliche für die Behandlung des Antrags erforderlichen Vorgänge umfasst.

48

Sodann ergibt sich aus diesen Bestimmungen, dass aus materiell-rechtlicher und nicht mehr verfahrensrechtlicher Sicht dieser Entscheidungsprozess die zuständige Behörde zur vollständigen Berücksichtigung der Umweltauswirkungen veranlassen muss, mit denen bei den Projekten, die der in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2011/92 vorgesehenen doppelten Pflicht zur Prüfung und zur Genehmigung unterliegen, zu rechnen ist (so auch die Generalanwältin in Nr. 44 ihrer Schlussanträge).

49

So stellt Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie allgemein auf die „erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt“ ab, mit denen bei diesen Projekten zu rechnen ist, ohne sich speziell auf eine bestimmte Art erheblicher Auswirkung zu beziehen oder ausdrücklich eine bestimmte andere Art erheblicher Auswirkung von seinem Anwendungsbereich auszuschließen. Desgleichen bezieht sich Art. 3 der Richtlinie allgemein auf die „unmittelbaren und mittelbaren“ Auswirkungen dieser Projekte auf die Umwelt.

50

Folglich muss sich der mit der Richtlinie 2011/92 eingerichtete Entscheidungsprozess u. a. auf die erheblichen Auswirkungen beziehen, mit denen bei einem diesem Prozess unterworfenen Projekt auf die Tier- und Pflanzenwelt in den verschiedenen Gebieten, die von diesem Projekt betroffen sein können, wie dem Projektgelände oder den daran angrenzenden Gebieten zu rechnen ist, wie dies im Übrigen bereits aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2011, Kommission/Spanien, C‑404/09, EU:C:2011:768, Rn. 84 bis 87).

51

Aus diesem Grund verpflichtet im Übrigen Art. 5 der Richtlinie 2011/92 den Projektträger, der zuständigen Behörde hierzu spezifische Angaben vorzulegen.

52

Daraus folgt, dass in dem speziellen Fall, in dem der Projektträger für die Durchführung eines Projekts, das der in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2011/92 vorgesehenen doppelten Pflicht zur Prüfung und zur Genehmigung unterliegt, die Bewilligung einer Abweichung von den Maßnahmen zum Schutz der Tier- und Pflanzenarten, die in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Art. 12 und 13 der Richtlinie 92/43 vorgesehen sind, beantragen und erhalten muss und in dem folglich bei diesem Projekt mit Auswirkungen auf diese Arten zu rechnen ist, die Projektprüfung u. a. auf diese Auswirkungen bezogen sein muss.

53

Daher ist unerheblich, dass die Richtlinie 92/43 selbst keine Pflicht zur Prüfung der möglichen Auswirkungen dieser Abweichung auf die betroffenen Arten vorsieht, da diese Richtlinie eine gegenüber der Richtlinie 2011/92 eigenständige Tragweite hat und unbeschadet der durch die letztgenannte Richtlinie eingeführten Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung gilt, deren Anwendungsbereich, wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, allgemein ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. September 1999, Kommission/Irland, C‑392/96, EU:C:1999:431, Rn. 71, vom 31. Mai 2018, Kommission/Polen, C‑526/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:356, Rn. 72, und vom 12. Juni 2019, CFE, C‑43/18, EU:C:2019:483, Rn. 52).

54

Schließlich zeigt die Prüfung des Zusammenhangs der vom vorlegenden Gericht in seiner ersten Frage in Bezug genommenen Bestimmungen, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung eines bestimmten Projekts nicht nur im Rahmen des Verfahrens erfolgen kann, das zur Genehmigungsentscheidung im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2011/92 führt, sondern auch im Rahmen eines Verfahrens, das zu einer Entscheidung im Vorfeld dieser Genehmigungsentscheidung führt, wobei dann diese verschiedenen Entscheidungen als zu einem komplexen Entscheidungsprozess gehörig in dem Sinne angesehen werden können, dass dieser auf mehreren Stufen abläuft (vgl. entsprechend Urteile vom 7. Januar 2004, Wells, C‑201/02, EU:C:2004:12, Rn. 47, 52 und 53, sowie vom 17. März 2011, Brussels Hoofdstedelijk Gewest u. a., C‑275/09, EU:C:2011:154, Rn. 32).

55

Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2011/92 sieht nämlich ausdrücklich vor, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen der bestehenden nationalen Genehmigungsverfahren durchgeführt werden kann, woraus folgt, dass sie nicht notwendigerweise im Rahmen eines speziell zu diesem Zweck eingerichteten Verfahrens und auch nicht notwendigerweise im Rahmen eines einzigen Verfahrens durchgeführt werden muss.

56

Die Mitgliedstaaten verfügen somit über einen Entscheidungsspielraum, der es ihnen erlaubt, die Verfahrensbedingungen, unter denen eine solche Prüfung durchgeführt wird, festzulegen und die verschiedenen mit der Prüfung verbundenen Zuständigkeiten auf mehrere Behörden aufzuteilen, insbesondere indem sie ihnen jeweils eine Entscheidungsbefugnis in diesem Bereich zuweisen, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2011, Kommission/Irland, C‑50/09, EU:C:2011:109, Rn. 72 bis 74).

57

Bei Wahrnehmung dieses Entscheidungsspielraums muss jedoch den Anforderungen der Richtlinie 2011/92 entsprochen und die vollständige Beachtung der mit ihr verfolgten Ziele gewährleistet werden (Urteil vom 3. März 2011, Kommission/Irland, C‑50/09, EU:C:2011:109, Rn. 75).

58

Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung bezüglich eines Projekts jedenfalls zum einen vollständig sein und zum anderen vor dem Erlass einer Entscheidung über die Genehmigung dieses Projekts erfolgen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2011, Kommission/Irland, C‑50/09, EU:C:2011:109, Rn. 76 und 77).

59

Daraus folgt, dass dann, wenn ein Mitgliedstaat die Befugnis, einen Teil der Umweltauswirkungen eines Projekts zu prüfen und nach Abschluss dieser Teilprüfung eine Entscheidung zu treffen, einer anderen Behörde überträgt als derjenigen, der er die Befugnis zur Genehmigung dieses Projekts zuweist, diese Entscheidung notwendigerweise vor der Genehmigung des Projekts erlassen werden muss. Andernfalls erginge diese Genehmigung nämlich auf einer unvollständigen Grundlage und entspräche daher nicht den geltenden Anforderungen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2011, Kommission/Irland, C‑50/09, EU:C:2011:109, Rn. 81 und 84).

60

Zweitens geht aus Art. 3 der Richtlinie 2011/92 ausdrücklich hervor, dass die oben in den Rn. 48 und 58 genannte Verpflichtung zur Durchführung einer vollständigen Umweltverträglichkeitsprüfung bezüglich eines Projekts bedeutet, dass nicht nur die einzelnen Auswirkungen jeweils für sich betrachtet, sondern auch ihre Wechselwirkung untereinander und damit die Gesamtauswirkungen dieses Projekts auf die Umwelt zu berücksichtigen sind. Ebenso verpflichtet Anhang IV der Richtlinie 2011/92 den Projektträger zu Angaben auch zur Wechselwirkung der Auswirkungen, die ein Projekt gleichzeitig auf verschiedene Umweltkomponenten wie die Tier- und die Pflanzenwelt haben kann.

61

Aufgrund dieser Gesamtprüfung kann aber die zuständige Behörde zu der Auffassung gelangen, dass die verschiedenen Umweltauswirkungen eines Projekts angesichts ihrer Wechselbeziehung oder Wechselwirkung strenger oder, je nach Fall, weniger streng zu beurteilen sind, als die eine oder andere Auswirkung zuvor bei isolierter Betrachtung beurteilt wurde.

62

Folglich dürfen dann, wenn ein Mitgliedstaat die Befugnis, einen Teil der Umweltauswirkungen eines Projekts zu prüfen und nach Abschluss dieser Teilprüfung eine Entscheidung zu treffen, einer anderen Behörde überträgt als derjenigen, der er die Befugnis zur Genehmigung dieses Projekts zuweist, diese Teilprüfung und diese vorherige Entscheidung im ersten Fall nicht der Gesamtprüfung, die von der für die Genehmigung des Projekts zuständigen Behörde jedenfalls durchzuführen ist, und im zweiten Fall nicht der im Anschluss an diese Gesamtprüfung ergehenden Entscheidung vorgreifen, wie die Generalanwältin im Wesentlichen in den Nrn. 73 und 74 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat.

63

Im vorliegenden Fall scheinen diese Anforderungen den Ausführungen in der Vorlageentscheidung, insbesondere den oben in Rn. 30 zusammengefassten, und dem Wortlaut der ersten Frage zufolge vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Überprüfungen beachtet zu sein. Daraus geht nämlich zum einen hervor, dass die Genehmigung eines Projekts wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht erfolgen kann, ohne dass der Projektträger eine Entscheidung erwirkt hat, mit der ihm gestattet wird, von den Artenschutzmaßnahmen abzuweichen, woraus sich ergibt, dass diese Entscheidung notwendigerweise vor der Genehmigung ergehen muss. Zum anderen behält die für die Genehmigung des Projekts zuständige Behörde die Möglichkeit, dessen Umweltauswirkungen strenger zu beurteilen als in der genannten Entscheidung.

64

Was als Drittes und Letztes die mit der Richtlinie 2011/92 verfolgten Ziele und insbesondere ihr Hauptziel betrifft, durch die Festlegung von Mindestanforderungen an die Umweltverträglichkeitsprüfung bei Projekten ein hohes Schutzniveau für die Umwelt und die menschliche Gesundheit zu gewährleisten, so trägt die Auslegung, die sich aus den vorstehend in den Rn. 46 bis 63 geprüften Gesichtspunkten betreffend den Zusammenhang herleitet, zur Verwirklichung eines solchen Ziels bei, indem sie es den Mitgliedstaaten ermöglicht, einer bestimmten Behörde die Verantwortung dafür zu übertragen, vorab und gezielt eine Entscheidung über bestimmte Umweltauswirkungen der einer Prüfung unterliegenden Projekte zu treffen, und es gleichzeitig der für die Genehmigung dieser Projekte zuständigen Behörde vorzubehalten, die Projekte vollständig und abschließend zu prüfen.

65

Bei einem negativen Ausgang einer solchen Teilprüfung steht es dem Projektträger nämlich frei, entweder auf sein Projekt zu verzichten, ohne dass dann der komplexe Prüfungs- und Genehmigungsprozess nach der Richtlinie 2011/92 fortgesetzt werden müsste, oder das Projekt in einer Weise zu ändern, die geeignet ist, den negativen Auswirkungen, die durch die Teilprüfung ans Licht getreten sind, abzuhelfen, wobei es dann der letztzuständigen Behörde zukommt, über das geänderte Projekt zu entscheiden. Umgekehrt kann diese Behörde bei einem positiven Ergebnis die im Vorfeld getroffene Entscheidung berücksichtigen, auch wenn sie daran weder bei ihrer abschließenden Beurteilung noch hinsichtlich der daraus zu ziehenden Rechtsfolgen gebunden ist. Das Vorhandensein einer Teilprüfung, auf die eine vorgeschaltete Entscheidung ergeht, kann somit in jedem Fall ein Faktor für Qualität, Effizienz und größere Kohärenz des Prüfungs- und Genehmigungsverfahrens sein.

66

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen ist, dass eine Entscheidung nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 92/43, mit der einem Projektträger gestattet wird, von geltenden Artenschutzmaßnahmen abzuweichen, um ein Projekt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2011/92 durchzuführen, unter das Verfahren zur Genehmigung dieses Projekts im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie fällt, wenn einerseits die Durchführung dieses Projekts nicht ohne diese Entscheidung zugunsten des Projektträgers erfolgen kann und andererseits die für die Genehmigung eines solchen Projekts zuständige Behörde die Möglichkeit behält, dessen Umweltauswirkungen strenger zu beurteilen, als dies in der besagten Entscheidung geschehen ist.

Zur zweiten Frage

67

Mit seiner zweiten Frage, die für den Fall gestellt wird, dass seine erste Frage bejaht wird, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2011/92 unter Berücksichtigung insbesondere ihrer Art. 6 und 8 dahin auszulegen ist, dass dem Erlass einer vorab ergehenden Entscheidung, mit der einem Projektträger gestattet wird, von geltenden Artenschutzmaßnahmen abzuweichen, um ein Projekt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie durchzuführen, nicht notwendigerweise eine Beteiligung der Öffentlichkeit vorausgehen muss, sofern die Öffentlichkeitsbeteiligung vor dem Erlass der Entscheidung, die von der für die etwaige Genehmigung dieses Projekts zuständigen Behörde zu treffen ist, sichergestellt ist.

68

Insoweit sieht Art. 6 der Richtlinie 2011/92 namentlich in seinen Abs. 2 und 3 vor, dass eine Reihe von Informationen über Projekte, die der durch diese Richtlinie aufgestellten doppelten Pflicht zur Prüfung und zur Genehmigung unterliegen, der Öffentlichkeit „frühzeitig im Rahmen [der] Entscheidungsverfahren …, spätestens jedoch, sobald die Informationen nach vernünftigem Ermessen zur Verfügung gestellt werden können“, bekannt gegeben bzw., je nach Fall, zugänglich gemacht werden müssen. Ferner ist in Abs. 4 dieses Artikels geregelt, dass „[d]ie betroffene Öffentlichkeit … frühzeitig und in effektiver Weise die Möglichkeit [erhält], sich an den … Entscheidungsverfahren … zu beteiligen, und … zu diesem Zweck das Recht [hat], der zuständigen Behörde bzw. den zuständigen Behörden gegenüber Stellung zu nehmen und Meinungen zu äußern, wenn alle Optionen noch offen stehen und bevor die Entscheidung über den Genehmigungsantrag getroffen wird“.

69

Art. 8 dieser Richtlinie bestimmt seinerseits, dass die Ergebnisse der Anhörungen und die u. a. durch die Beteiligung der Öffentlichkeit eingeholten Angaben von der zuständigen Behörde bei ihrer Entscheidung über die Genehmigung oder Nichtgenehmigung des betreffenden Projekts berücksichtigt werden müssen.

70

Wie sich aus diesen Bestimmungen ergibt, verpflichten sie die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um im Rahmen des Verfahrens zur Prüfung und Genehmigung der Projekte, die der Richtlinie 2011/92 unterliegen, eine Öffentlichkeitsbeteiligung sicherzustellen, die einer Reihe von Anforderungen entspricht.

71

Erstens müssen sowohl die öffentliche Bekanntgabe oder die öffentliche Zugänglichmachung der als Grundlage für diese Beteiligung dienenden Informationen als auch die der Öffentlichkeit eingeräumte Möglichkeit, zu diesen Informationen sowie allgemeiner zu dem betreffenden Projekt und seinen Umweltauswirkungen Stellung zu nehmen und Meinungen zu äußern, frühzeitig und auf jeden Fall vor dem Erlass einer Entscheidung über die Genehmigung dieses Projekts erfolgen.

72

Zweitens muss die Beteiligung effektiv sein, was bedeutet, dass sich die Öffentlichkeit nicht nur sachdienlich und vollständig zu dem betreffenden Projekt und seinen Umweltauswirkungen äußern können muss, sondern auch zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Optionen noch offen stehen.

73

Drittens muss das Ergebnis dieser Beteiligung der Öffentlichkeit von der zuständigen Behörde bei ihrer Entscheidung über die Genehmigung oder Nichtgenehmigung des betreffenden Projekts berücksichtigt werden.

74

Im Rahmen eines komplexen Entscheidungsprozesses kann es sich aber je nach den verschiedenen Stufen dieses Prozesses und der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen daran beteiligten Behörden als schwieriger erweisen, diese einzelnen Anforderungen in Übereinstimmung zu bringen.

75

Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine bestimmte Behörde auf einer Vor- oder Zwischenstufe eines solchen Entscheidungsprozesses nur einen Teil der Umweltauswirkungen des betreffenden Projekts zu prüfen hat. Dann kann sich die Beteiligung der Öffentlichkeit nämlich nur auf den Teil der Umweltauswirkungen dieses Projekts erstrecken, der in die Zuständigkeit dieser Behörde fällt, unter Ausschluss nicht nur des davon nicht erfassten Teils, sondern auch der Wechselwirkung oder Wechselbeziehung zwischen beiden Teilen.

76

In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass das Erfordernis einer frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit an dem Entscheidungsprozess in einer Weise auszulegen und anzuwenden ist, die mit dem ebenso wichtigen Erfordernis einer effektiven Beteiligung der Öffentlichkeit an diesem Prozess in Einklang steht.

77

Insoweit ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass in Fällen, in denen ein Projekt Gegenstand eines mehrstufigen Entscheidungsprozesses ist, der dadurch gekennzeichnet ist, dass auf den Erlass einer Grundsatzentscheidung der Erlass einer Entscheidung zu deren Durchführung folgt, die mit der Richtlinie 2011/92 auferlegte Pflicht zur Prüfung der Umweltauswirkungen dieses Projekts grundsätzlich vor Erlass der Grundsatzentscheidung einsetzen muss, es sei denn, auf dieser Stufe können nicht alle Umweltauswirkungen ermittelt und geprüft werden, wobei dann eine Gesamtprüfung dieser Auswirkungen vor dem Erlass der Durchführungsentscheidung erfolgen muss (Urteile vom 7. Januar 2004, Wells, C‑201/02, EU:C:2004:12, Rn. 52 und 53, vom 28. Februar 2008, Abraham u. a., C‑2/07, EU:C:2008:133, Rn. 26, und vom 29. Juli 2019, Inter-Environnement Wallonie und Bond Beter Leefmilieu Vlaanderen, C‑411/17, EU:C:2019:622, Rn. 85 und 86).

78

Die in der Richtlinie 2011/92 vorgesehene Pflicht zur Öffentlichkeitsbeteiligung hängt aber, wie sich aus den Rn. 47 und 68 des vorliegenden Urteils ergibt, eng mit dieser Prüfungspflicht zusammen.

79

In Anbetracht dieses Zusammenhangs ist entsprechend davon auszugehen, dass in dem oben in Rn. 75 genannten Fall das in Art. 6 der Richtlinie 2011/92 vorgesehene Erfordernis einer frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit am Entscheidungsprozess nicht verlangt, dass dem Erlass der vorab ergehenden Entscheidung über einen Teil der Umweltauswirkungen des betreffenden Projekts eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgeschaltet wird, sofern die Beteiligung der Öffentlichkeit effektiv ist, was bedeutet, dass sie erstens vor dem Erlass der Entscheidung erfolgen muss, die von der für die Genehmigung des Projekts zuständigen Behörde zu treffen ist, dass zweitens der Öffentlichkeit damit ermöglicht werden muss, sich sachdienlich und vollständig zu sämtlichen Umweltauswirkungen des betreffenden Projekts zu äußern, und dass drittens der für die Genehmigung des Projekts zuständigen Behörde die vollständige Berücksichtigung der Beteiligung möglich sein muss.

80

Es ist Sache allein des vorlegenden Gerichts, nachzuprüfen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind und dass sich demnach die Öffentlichkeit zwischen dem Erlass der im Vorfeld ergangenen Entscheidung, mit der dem Projektträger gestattet wurde, von den geltenden Artenschutzmaßnahmen zwecks Durchführung des Projekts abzuweichen, und dem Zeitpunkt, zu dem die für die Genehmigung des Projekts zuständige Behörde darüber entschieden hat, sachdienlich und vollständig zu sämtlichen Umweltauswirkungen des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Projekts äußern konnte.

81

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2011/92 unter Berücksichtigung insbesondere ihrer Art. 6 und 8 dahin auszulegen ist, dass dem Erlass einer vorab ergehenden Entscheidung, mit der einem Projektträger gestattet wird, von geltenden Artenschutzmaßnahmen abzuweichen, um ein Projekt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie durchzuführen, nicht notwendigerweise eine Beteiligung der Öffentlichkeit vorausgehen muss, sofern die Öffentlichkeitsbeteiligung in effektiver Weise vor dem Erlass der Entscheidung, die von der für die etwaige Genehmigung dieses Projekts zuständigen Behörde zu treffen ist, sichergestellt ist.

Kosten

82

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten ist dahin auszulegen, dass eine Entscheidung nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, mit der einem Projektträger gestattet wird, von geltenden Artenschutzmaßnahmen abzuweichen, um ein Projekt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2011/92 durchzuführen, unter das Verfahren zur Genehmigung dieses Projekts im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie fällt, wenn einerseits die Durchführung dieses Projekts nicht ohne diese Entscheidung zugunsten des Projektträgers erfolgen kann und andererseits die für die Genehmigung eines solchen Projekts zuständige Behörde die Möglichkeit behält, dessen Umweltauswirkungen strenger zu beurteilen, als dies in der besagten Entscheidung geschehen ist.

 

2.

Die Richtlinie 2011/92 ist unter Berücksichtigung insbesondere ihrer Art. 6 und 8 dahin auszulegen, dass dem Erlass einer vorab ergehenden Entscheidung, mit der einem Projektträger gestattet wird, von geltenden Artenschutzmaßnahmen abzuweichen, um ein Projekt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie durchzuführen, nicht notwendigerweise eine Beteiligung der Öffentlichkeit vorausgehen muss, sofern die Öffentlichkeitsbeteiligung in effektiver Weise vor dem Erlass der Entscheidung, die von der für die etwaige Genehmigung dieses Projekts zuständigen Behörde zu treffen ist, sichergestellt ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.