URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

22. Dezember 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinien 80/779/EWG, 85/203/EWG, 96/62/EG, 1999/30/EG und 2008/50/EG – Luftqualität – Grenzwerte für Feinstaub (PM10) und Stickstoffdioxid (NO2) – Überschreitung – Luftqualitätspläne – Schäden, die einem Einzelnen durch die Verschlechterung der Luft aufgrund einer Überschreitung dieser Grenzwerte entstanden sein sollen – Haftung des betreffenden Mitgliedstaats – Voraussetzungen für die Auslösung dieser Haftung – Erfordernis, dass die unionsrechtliche Norm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, den Geschädigten Rechte zu verleihen – Fehlen“

In der Rechtssache C‑61/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour administrative d’appel de Versailles (Verwaltungsberufungsgericht Versailles, Frankreich) mit Entscheidung vom 29. Januar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Februar 2021, in dem Verfahren

JP

gegen

Ministre de la Transition écologique,

Premier ministre

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, des Kammerpräsidenten E. Regan, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, der Richter M. Ilešič, J.‑C. Bonichot, N. Piçarra, I. Jarukaitis, A. Kumin, N. Jääskinen, N. Wahl und J. Passer (Berichterstatter) sowie der Richterin O. Spineanu-Matei,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: V. Giacobbo, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von JP, vertreten durch L. Gimalac, Avocat,

der französischen Regierung, vertreten durch T. Stéhelin und W. Zemamta als Bevollmächtigte,

von Irland, vertreten durch M. Browne, M. Lane und J. Quaney als Bevollmächtigte im Beistand von D. Fennelly, Barrister, und S. Kingston, SC,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Palatiello, Avvocato dello Stato,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und D. Krawczyk als Bevollmächtigte,

der niederländischen Regierung, vertreten durch A. Hanje als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Noll-Ehlers und F. Thiran als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 5. Mai 2022

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. 2008, L 152, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen JP auf der einen und dem Ministre de la Transition écologique (Minister für den ökologischen Wandel, Frankreich) sowie dem Premier ministre (Premierminister, Frankreich) auf der anderen Seite über Anträge von JP u. a. zum einen auf Aufhebung der stillschweigenden Entscheidung des Präfekten des Departements Val-d’Oise (Frankreich), es abzulehnen, die zur Lösung seiner Gesundheitsprobleme im Zusammenhang mit der Luftverschmutzung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, und zum anderen auf Entschädigung durch die Französische Republik für die verschiedenen Schäden, die JP auf diese Verschmutzung zurückführt.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 80/779/EWG

3

Art. 3 der Richtlinie 80/779/EWG des Rates vom 15. Juli 1980 über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub (ABl. 1980, L 229, S. 30) sah vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten treffen unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen geeignete Maßnahmen, damit die Konzentrationen von Schwefeldioxid und Schwebestaub in der Atmosphäre ab 1. April 1983 nicht über den in Anhang I genannten Grenzwerten liegen.

(2)   Ist ein Mitgliedstaat der Auffassung, dass die Konzentrationen von Schwefeldioxid und Schwebestaub in der Atmosphäre trotz der getroffenen Maßnahmen über den 1. April 1983 hinaus in bestimmten Gebieten die in Anhang I aufgeführten Grenzwerte überschreiten könnten, so teilt er dies der Kommission [der Europäischen Gemeinschaften] vor dem 1. Oktober 1982 mit.

Gleichzeitig übermittelt er der Kommission Pläne zur schrittweisen Verbesserung der Luftqualität in diesen Gebieten. Diese Pläne, die anhand von diesbezüglichen Daten über die Art, den Ursprung und die Entwicklung der Verschmutzung erstellt werden, beschreiben insbesondere die von dem Mitgliedstaat getroffenen oder noch zu treffenden Maßnahmen sowie die von ihm durchgeführten oder noch durchzuführenden Verfahren. Diese Maßnahmen und Verfahren müssen gewährleisten, dass innerhalb dieser Gebiete die Konzentrationen von Schwefeldioxid und Schwebestaub in der Atmosphäre so bald wie möglich, spätestens aber bis zum 1. April 1993 auf Werte unterhalb oder gleich der in Anhang I aufgeführten Grenzwerte gebracht werden.“

4

Art. 7 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie sah vor:

„(1)   Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie an unterrichten die Mitgliedstaaten die Kommission spätestens 6 Monate nach dem (auf de[n] 31. März festgelegten) Ablauf des jährlichen Bezugszeitraums über die Fälle, in denen die Grenzwerte des Anhangs I überschritten wurden, sowie über die festgestellten Konzentrationen.

(2)   Ferner unterrichten sie die Kommission spätestens ein Jahr nach Ablauf des jährlichen Bezugszeitraums über die Gründe für diese Überschreitungen und über die Maßnahmen, die sie getroffen haben, um eine Wiederholung derartiger Fälle auszuschließen.“

5

Anhang I („Grenzwerte für Schwefeldioxid und Schwebestaub“) der Richtlinie bestimmte in Tabelle B:

„Grenzwerte für Schwebestaub (gemessen nach der Black-Smoke-Methode [1]) in [Mikrogramm pro Kubikmeter (μg/m3)]

Bezugszeitraum

Grenzwert für Schwebestaub

Jahr

80

(Median der während des Jahres gemessenen Tagesmittelwerte)

Winter

(1. Oktober – 31. März)

130

(Median der im Winter gemessenen Tagesmittelwerte)

Jahr

(bestehend aus Messperioden von 24 Stunden)

250 (2)

(98-%-Wert der Summenhäufigkeit aller während des Jahres gemessenen Tagesmittelwerte)

(1) Die Ergebnisse der nach der OECD-Methode durchgeführten Black-Smoke-Messungen wurden gemäß der Beschreibung der OECD in gravimetrische Einheiten umgerechnet (vgl. Anhang III).

(2) Die Mitgliedstaaten müssen durch alle geeigneten Maßnahmen dafür sorgen, dass dieser Wert nur an höchstens drei aufeinanderfolgenden Tagen überschritten wird. Außerdem müssen sie sich darum bemühen, solche Überschreitungen dieses Wertes zu verhindern und zu verringern.“

Richtlinie 85/203/EWG

6

Art. 3 der Richtlinie 85/203/EWG des Rates vom 7. März 1985 über Luftqualitätsnormen für Stickstoffdioxid (ABl. 1985, L 87, S. 1) bestimmte:

„(1)   Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, damit die gemäß Anhang III gemessenen Konzentrationen von Stickstoffdioxid in der Atmosphäre ab 1. Juli 1987 den in Anhang I genannten Grenzwert nicht überschreiten.

(2)   Besteht aufgrund besonderer Umstände die Gefahr, dass die Konzentrationen von Stickstoffdioxid in der Atmosphäre trotz der getroffenen Maßnahmen über den 1. Juli 1987 hinaus in bestimmten Gebieten den in Anhang I aufgeführten Grenzwert überschreiten, so teilt der betreffende Mitgliedstaat dies der Kommission vor dem 1. Juli 1987 mit.

Er übermittelt der Kommission so rasch wie möglich Pläne zur schrittweisen Verbesserung der Luftqualität in diesen Gebieten. Diese Pläne, die anhand entsprechender Daten über die Art, den Ursprung und die Entwicklung der Verschmutzung erstellt werden, beschreiben insbesondere die von dem Mitgliedstaat zu treffenden oder bereits getroffenen Maßnahmen sowie die von ihm durchgeführten oder noch durchzuführenden Verfahren. Diese Maßnahmen und Verfahren müssen sich dahingehend auswirken, dass innerhalb dieser Gebiete die Konzentrationen von Stickstoffdioxid in der Atmosphäre so bald wie möglich, spätestens aber bis zum 1. Januar 1994 auf Werte gebracht werden, die den in Anhang I aufgeführten Grenzwert nicht überschreiten.“

7

Art. 7 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie lautete:

„(1)   Vom 1. Juli 1987 an unterrichten die Mitgliedstaaten die Kommission spätestens sechs Monate nach dem (auf den 31. Dezember festgelegten) Ablauf des jährlichen Bezugszeitraums über die Fälle, in denen der Grenzwert des Anhangs I überschritten wurde sowie über die festgestellten Konzentrationen.

(2)   Sie unterrichten die Kommission außerdem spätestens ein Jahr nach Ablauf des jährlichen Bezugszeitraums über die Gründe für die Überschreitungen und über die Maßnahmen, die sie dagegen getroffen haben.“

8

Anhang I („Grenzwert für Stickstoffdioxid“) der Richtlinie sah vor:

„(der Grenzwert ist in μg/m3 ausgedrückt, wobei das Luftvolumen auf die Temperatur 293 [Kelvin (K)] und den Druck 101,3 [Kilopascal (kPa)] zu normieren ist)

Bezugszeitraum (1)

Grenzwert für Stickstoffdioxid

Jahr

200

98-%-Wert der Summenhäufigkeit, berechnet aus den während des Jahres gemessenen Mittelwerten über eine Stunde oder kürzere Zeiträume (2)

(1) Der jährliche Bezugszeitraum beginnt am 1. Januar und endet am 31. Dezember eines Kalenderjahres.

(2) Damit der berechnete 98-%-Wert als gültig anerkannt wird, müssen – so gleichmäßig wie möglich auf das Messjahr verteilt – 75 % der möglichen Messwerte der jeweiligen Messstation vorliegen.

Falls von einer Messstation für einen Zeitraum von mehr als zehn Tagen kein Messwert vorliegt, so ist der berechnete 98-%-Wert entsprechend zu kennzeichnen.

Die Berechnung des 98-%-Wertes, ausgehend von den Messwerten eines Jahres, wird wie folgt durchgeführt: Grundlage sind die tatsächlichen Messwerte, gerundet auf das nächste μg/m3. Für jede Messstation werden alle Messwerte der Größe nach geordnet:

X1 ≤ X2 ≤ X3 ≤ ………. ≤ Xk ≤ ………. ≤ XN-1 ≤ XN

Der 98-%-Wert ist der Wert des k-ten Elements, wobei k nach der folgenden Formel berechnet wird:

k = (q x N)

Für den 98-%-Wert ist q gleich 0,98 und für den 50-%-Wert gleich 0,50, während N die Anzahl der tatsächlich gemessenen Werte ist. Der Wert q x N ist auf die nächste ganze Zahl zu runden.

Falls die vorhandenen Messgeräte die Messwerte noch nicht diskret, sondern lediglich in Klassen mit einer Breite von mehr als 1 μg/m3 angeben, kann der betreffende Mitgliedstaat den 98-%-Wert durch Interpolation berechnen, sofern die Kommission der Interpolationsformel zugestimmt hat und die Klassenbreite nicht größer als 10 μg/m3 ist. Diese befristete Ausnahmeregelung gilt lediglich für die gegenwärtig installierten Geräte für deren Lebensdauer, jedoch höchstens zehn Jahre vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie an.“

Richtlinie 96/62/EG

9

Art. 4 („Festlegung der Grenzwerte und der Alarmschwellen für die Luft“) Abs. 1 und 5 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl. 1996, L 296, S. 55) bestimmte:

„(1)   … [D]ie Kommission [legt] dem Rat Vorschläge für die Festlegung von Grenzwerten und, in geeigneten Fällen, von Alarmschwellen … vor[.]

(5)   Nach Maßgabe des Vertrags erlässt der Rat die in Absatz 1 vorgesehenen Rechtsvorschriften …“

10

Art. 7 („Verbesserung der Luftqualität – Allgemeine Anforderungen“) dieser Richtlinie sah vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um die Einhaltung der Grenzwerte sicherzustellen.

(2)   Die Maßnahmen zur Erreichung der Ziele dieser Richtlinie

a)

müssen einem integrierten Ansatz zum Schutz von Luft, Wasser und Boden Rechnung tragen;

b)

dürfen nicht gegen die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz verstoßen;

c)

dürfen keine größeren Beeinträchtigungen der Umwelt in den anderen Mitgliedstaaten verursachen.

(3)   Die Mitgliedstaaten erstellen Aktionspläne, in denen die Maßnahmen angegeben werden, die im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte und/oder der Alarmschwellen kurzfristig zu ergreifen sind, um die Gefahr der Überschreitung zu verringern und deren Dauer zu beschränken. Diese Pläne können, je nach Fall, Maßnahmen zur Kontrolle und, soweit erforderlich, zur Aussetzung der Tätigkeiten vorsehen, die zu einer Überschreitung der Grenzwerte beitragen, einschließlich des Kraftfahrzeugverkehrs.“

11

Art. 8 („Maßnahmen für Gebiete, in denen die Werte die Grenzwerte überschreiten“) der Richtlinie lautete:

„(1)   Die Mitgliedstaaten erstellen die Liste der Gebiete und Ballungsräume, in denen die Werte eines oder mehrerer Schadstoffe die Summe von Grenzwert und Toleranzmarge überschreiten.

Gibt es für einen bestimmten Schadstoff keine Toleranzmarge, so werden die Gebiete und Ballungsräume, in denen der Wert dieses Schadstoffs den Grenzwert überschreitet, wie die Gebiete und Ballungsräume des Unterabsatzes 1 behandelt; es gelten die Absätze 3, 4 und 5.

(2)   Die Mitgliedstaaten erstellen die Liste der Gebiete und Ballungsräume, in denen die Werte eines oder mehrerer Schadstoffe zwischen dem Grenzwert und der Summe von Grenzwert und Toleranzmarge liegen.

(3)   Für die Gebiete und Ballungsräume des Absatzes 1 ergreifen die Mitgliedstaaten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass ein Plan oder Programm ausgearbeitet oder durchgeführt wird, aufgrund dessen der Grenzwert binnen der festgelegten Frist erreicht werden kann.

Der Plan oder das Programm, zu dem die Öffentlichkeit Zugang haben muss, umfasst mindestens die in Anhang IV aufgeführten Angaben.

(4)   Für die Gebiete und Ballungsräume des Absatzes 1, in denen der Wert von mehr als einem Schadstoff die Grenzwerte überschreitet, stellen die Mitgliedstaaten einen integrierten Plan auf, der sich auf alle betreffenden Schadstoffe erstreckt.

(5)   Die Kommission kontrolliert die Durchführung der nach Absatz 3 eingereichten Pläne oder Programme regelmäßig, indem sie die erzielten Fortschritte und die hinsichtlich der Luftverschmutzung festzustellenden Tendenzen überprüft.

(6)   Überschreitet der Wert eines Schadstoffs die Summe von Grenzwert und Toleranzmarge oder gegebenenfalls Alarmschwelle infolge einer größeren Verunreinigung in einem anderen Mitgliedstaat oder besteht die Gefahr einer derartigen Überschreitung, so konsultieren die betroffenen Mitgliedstaaten einander mit dem Ziel, das Problem zu beheben. Die Kommission kann bei diesen Konsultationen anwesend sein.“

12

Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie bestimmte:

„Die Mitgliedstaaten setzen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, um dieser Richtlinie in bezug auf die Artikel 1 bis 4 und 12 sowie die Anhänge I, II, III und IV spätestens achtzehn Monate nach ihrem Inkrafttreten und in bezug auf die übrigen Artikel spätestens von dem Zeitpunkt an nachzukommen, zu dem die Vorschriften des Artikels 4 Absatz 5 Anwendung finden.

…“

Richtlinie 1999/30/EG

13

Art. 4 („Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide“) Abs. 1 der Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft (ABl. 1999, L 163, S. 41) bestimmte:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die gemäß Artikel 7 beurteilten Konzentrationen von Stickstoffdioxid und gegebenenfalls Stickstoffoxiden in der Luft die Grenzwerte des Anhangs II Abschnitt I ab den dort genannten Zeitpunkten nicht überschreiten.

Die in Anhang II Abschnitt I festgelegten Toleranzmargen sind gemäß Artikel 8 der Richtlinie 96/62/EG anzuwenden.“

14

Art. 5 („Partikel“) Abs. 1 der Richtlinie 1999/30 sah vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die gemäß Artikel 7 beurteilten PM10‑Konzentrationen in der Luft die Grenzwerte des Anhangs III Abschnitt I ab den dort genannten Zeitpunkten nicht überschreiten.

Die in Anhang III Abschnitt I festgelegten Toleranzmargen sind gemäß Artikel 8 der Richtlinie 96/62/EG anzuwenden.“

15

Art. 9 („Aufhebung von Bestimmungen und Übergangsregelung“) der Richtlinie 1999/30 bestimmte:

„(1)   Die Richtlinie [80/779] wird mit Wirkung vom 19. Juli 2001 aufgehoben, ausgenommen Artikel 1, Artikel 2 Absatz 1, Artikel 3 Absatz 1, Artikel 9, Artikel 15 und Artikel 16 sowie die Anhänge I, III b und IV, die mit Wirkung vom 1. Januar 2005 aufgehoben werden.

(3)   Die Richtlinie [85/203] wird mit Wirkung vom 19. Juli 2001 aufgehoben, ausgenommen Artikel 1 Absatz 1 erster Gedankenstrich, Artikel 1 Absatz 2, Artikel 2 erster Gedankenstrich, Artikel 3 Absatz 1, Artikel 5, Artikel 9, Artikel 15, Artikel 16 und Anhang I, die mit Wirkung vom 1. Januar 2010 aufgehoben werden.

…“

16

In Art. 12 („Umsetzung“) Abs. 1 der Richtlinie 1999/30 hieß es:

„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis 19. Juli 2001 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.

…“

17

Anhang II („Grenzwerte für Stickstoffdioxid [NO2] und Stickstoffoxide [NOx] und Alarmschwelle für Stickstoffdioxid“) dieser Richtlinie sah vor:

„I. Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide

Grenzwerte werden in μg/m3 angegeben. Das Volumen bezieht sich auf den Normzustand bei einer Temperatur von 293 °K und einem Druck von 101,3 kPa.

 

Mittelungszeitraum

Grenzwert

Toleranzmarge

Zeitpunkt, bis zu dem der Grenzwert zu erreichen ist

1. 1-Stunden-Grenzwert für den Schutz der menschlichen Gesundheit

1 Stunde

200 μg/m3 NO2 dürfen nicht öfter als 18-mal im Kalenderjahr überschritten werden

50 % bei Inkrafttreten dieser Richtlinie, lineare Reduzierung am 1. Januar 2001 und alle 12 Monate danach um einen gleichen jährlichen Prozentsatz bis auf 0 % am 1. Januar 2010

1. Januar 2010

2. Jahresgrenzwert für den Schutz der menschlichen Gesundheit

Kalenderjahr

40 μg/m3 NO2

50 % bei Inkrafttreten dieser Richtlinie, lineare Reduzierung am 1. Januar 2001 und alle 12 Monate danach bis auf 0 % am 1. Januar 2010

1. Januar 2010

3. Jahresgrenzwert für den Schutz der Vegetation

Kalenderjahr

30 μg/m3 NOx

keine

19. Juli 2001

…“

18

Anhang III („Grenzwerte für Partikel [PM10]“) der Richtlinie bestimmte:

Mittelungszeitraum

Grenzwert

Toleranzmarge

Zeitpunkt, bis zu dem der Grenzwert zu erreichen ist

STUFE 1

1. 24-Stunden-Grenzwert für den Schutz der menschlichen Gesundheit

24 Stunden

50 μg/m3 PM10 dürfen nicht öfter als 35-mal im Jahr überschritten werden

50 % bei Inkrafttreten dieser Richtlinie, lineare Reduzierung am 1. Januar 2001 und alle 12 Monate danach um einen gleichen jährlichen Prozentsatz bis auf 0 % am 1. Januar 2005

1. Januar 2005

2. Jahresgrenzwert für den Schutz der menschlichen Gesundheit

Kalenderjahr

40 μg/m3 PM10

20 % bei Inkrafttreten dieser Richtlinie, lineare Reduzierung am 1. Januar 2001 und alle 12 Monate danach um einen gleichen jährlichen Prozentsatz bis auf 0 % am 1. Januar 2005

1. Januar 2005

STUFE 2 (1)

1. 24-Stunden-Grenzwert für den Schutz der menschlichen Gesundheit

24 Stunden

50 μg/m3 PM10 dürfen nicht öfter als 7-mal im Jahr überschritten werden

aus Daten abzuleiten, gleichwertig mit dem Grenzwert der Stufe 1

1. Januar 2010

2. Jahresgrenzwert für den Schutz der menschlichen Gesundheit

Kalenderjahr

20 μg/m3 PM10

50 % am 1. Januar 2005, lineare Reduzierung alle 12 Monate danach um einen gleichen jährlichen Prozentsatz bis auf 0 % am 1. Januar 2010

1. Januar 2010

(1) Richtgrenzwerte, die im Lichte weiterer Informationen über die Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt, über die technische Durchführbarkeit und über die bei der Anwendung der Grenzwerte der Stufe 1 in den Mitgliedstaaten gemachten Erfahrungen zu überprüfen sind.“

Richtlinie 2008/50

19

Der zweite Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/50 lautet:

„Zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt insgesamt ist es von besonderer Bedeutung, den Ausstoß von Schadstoffen an der Quelle zu bekämpfen und die effizientesten Maßnahmen zur Emissionsminderung zu ermitteln und auf lokaler, nationaler und gemeinschaftlicher Ebene anzuwenden. Deshalb sind Emissionen von Luftschadstoffen zu vermeiden, zu verhindern oder zu verringern und angemessene Luftqualitätsziele festzulegen, wobei die einschlägigen Normen, Leitlinien und Programme der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu berücksichtigen sind.“

20

Art. 1 („Gegenstand“) Nrn. 1 bis 3 der Richtlinie 2008/50 bestimmt:

„Die in dieser Richtlinie festgelegten Maßnahmen dienen folgenden Zielen:

1.

Definition und Festlegung von Luftqualitätszielen zur Vermeidung, Verhütung oder Verringerung schädlicher Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt insgesamt;

2.

Beurteilung der Luftqualität in den Mitgliedstaaten anhand einheitlicher Methoden und Kriterien;

3.

Gewinnung von Informationen über die Luftqualität als Beitrag zur Bekämpfung von Luftverschmutzungen und ‑belastungen und zur Überwachung der langfristigen Tendenzen und der Verbesserungen, die aufgrund einzelstaatlicher und gemeinschaftlicher Maßnahmen erzielt werden“.

21

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Nrn. 5, 7, 8, 16 bis 18 und 24 dieser Richtlinie sieht vor:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

5.

‚Grenzwert‘ ist ein Wert, der aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse mit dem Ziel festgelegt wird, schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und/oder die Umwelt insgesamt zu vermeiden, zu verhüten oder zu verringern, und der innerhalb eines bestimmten Zeitraums eingehalten werden muss und danach nicht überschritten werden darf;

7.

‚Toleranzmarge‘ ist der Prozentsatz des Grenzwerts, um den dieser unter den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen überschritten werden darf;

8.

‚Luftqualitätspläne‘ sind Pläne, in denen Maßnahmen zur Erreichung der Grenzwerte oder Zielwerte festgelegt sind;

16.

‚Gebiet‘ ist ein Teil des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats, das dieser Mitgliedstaat für die Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität abgegrenzt hat;

17.

‚Ballungsraum‘ ist ein städtisches Gebiet mit einer Bevölkerung von mehr als 250000 Einwohnern oder, falls 250000 oder weniger Einwohner in dem Gebiet wohnen, mit einer Bevölkerungsdichte pro km2, die von den Mitgliedstaaten festzulegen ist;

18.

‚PM10‘ sind die Partikel, die einen größenselektierenden Lufteinlass gemäß der Referenzmethode für die Probenahme und Messung von PM10, EN 12341, passieren, der für einen aerodynamischen Durchmesser von 10 μm eine Abscheidewirksamkeit von 50 % aufweist;

24.

‚Stickstoffoxide‘ sind die Summe der Volumenmischungsverhältnisse (ppbv) von Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid, ausgedrückt in der Einheit der Massenkonzentration von Stickstoffdioxid (μg/m3)“.

22

Art. 13 („Grenzwerte und Alarmschwellen für den Schutz der menschlichen Gesundheit“) Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass überall in ihren Gebieten und Ballungsräumen die Werte für Schwefeldioxid, PM10, Blei und Kohlenmonoxid in der Luft die in Anhang XI festgelegten Grenzwerte nicht überschreiten.

Die in Anhang XI festgelegten Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Benzol dürfen von dem dort festgelegten Zeitpunkt an nicht mehr überschritten werden.

Die Einhaltung dieser Anforderungen wird nach Anhang III beurteilt.

Die in Anhang XI festgelegten Toleranzmargen sind gemäß Artikel 22 Absatz 3 und Artikel 23 Absatz 1 anzuwenden.“

23

Art. 23 („Luftqualitätspläne“) Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Überschreiten in bestimmten Gebieten oder Ballungsräumen die Schadstoffwerte in der Luft einen Grenzwert oder Zielwert zuzüglich einer jeweils dafür geltenden Toleranzmarge, sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass für diese Gebiete oder Ballungsräume Luftqualitätspläne erstellt werden, um die entsprechenden in den Anhängen XI und XIV festgelegten Grenzwerte oder Zielwerte einzuhalten.

Im Falle der Überschreitung dieser Grenzwerte, für die die Frist für die Erreichung bereits verstrichen ist, enthalten die Luftqualitätspläne geeignete Maßnahmen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich gehalten werden kann. Die genannten Pläne können zusätzlich gezielte Maßnahmen zum Schutz empfindlicher Bevölkerungsgruppen, einschließlich Maßnahmen zum Schutz von Kindern, vorsehen.

Diese Luftqualitätspläne müssen mindestens die in Anhang XV Abschnitt A aufgeführten Angaben umfassen und können Maßnahmen gemäß Artikel 24 umfassen. Diese Pläne sind der Kommission unverzüglich, spätestens jedoch zwei Jahre nach Ende des Jahres, in dem die erste Überschreitung festgestellt wurde, zu übermitteln.

Müssen für mehrere Schadstoffe Luftqualitätspläne ausgearbeitet oder durchgeführt werden, so arbeiten die Mitgliedstaaten gegebenenfalls für alle betreffenden Schadstoffe integrierte Luftqualitätspläne aus und führen sie durch.“

24

Art. 31 („Aufhebung und Übergangsbestimmungen“) Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Die Richtlinien 96/62/EG, 1999/30/EG … werden mit Wirkung vom 11. Juni 2010 aufgehoben; die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Fristen für die Umsetzung oder Anwendung dieser Richtlinien bleiben hiervon unberührt.

…“

25

Art. 33 („Umsetzung“) Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens am 11. Juni 2010 nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Rechtsvorschriften mit.

…“

26

Art. 34 („Inkrafttreten“) dieser Richtlinie lautet:

„Diese Richtlinie tritt am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.“

27

In Anhang XI („Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit“) der Richtlinie heißt es:

„…

B. Grenzwerte

Mittelungszeitraum

Grenzwert

Toleranzmarge

Frist für die Einhaltung des Grenzwerts

Stickstoffdioxid

Stunde

200 μg/m3 dürfen nicht öfter als 18‑mal im Kalenderjahr überschritten werden

50 % am 19. Juli 1999, Reduzierung am 1. Januar 2001 und danach alle 12 Monate um einen jährlich gleichen Prozentsatz bis auf 0 % am 1. Januar 2010

1. Januar 2010

Kalenderjahr

40 μg/m3

50 % am 19. Juli 1999, Reduzierung am 1. Januar 2001 und danach alle 12 Monate um einen jährlich gleichen Prozentsatz bis auf 0 % am 1. Januar 2010

1. Januar 2010

PM10

Tag

50 μg/m3 dürfen nicht öfter als 35‑mal im Kalenderjahr überschritten werden

50 %

— (1)

Kalenderjahr

40 μg/m3

20 %

— (1)

(1) Bereits seit 1. Januar 2005 in Kraft.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

28

JP beantragte beim Tribunal administratif de Cergy-Pontoise (Verwaltungsgericht Cergy-Pontoise, Frankreich) u. a. zum einen die Aufhebung der stillschweigenden Entscheidung des Präfekten des zum Ballungsraum Paris (Frankreich) gehörenden Departements Val-d’Oise, es abzulehnen, die zur Lösung seiner Gesundheitsprobleme im Zusammenhang mit der Luftverschmutzung in diesem Ballungsraum, die 2003 begonnen haben sollen, erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, und zum anderen Entschädigung durch die Französische Republik für die verschiedenen Schäden, die ihm aufgrund dieser Verschmutzung entstanden sein sollen und die er auf 21 Mio. Euro veranschlagt.

29

JP begehrt u. a. Ersatz des mit der Verschlechterung seines Gesundheitszustands zusammenhängenden Schadens, der ihm durch die Verschlechterung der Luftqualität im Ballungsraum Paris, wo er wohnt, verursacht worden sein soll. Diese Verschlechterung beruht seiner Ansicht nach darauf, dass die französischen Behörden gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2008/50 verstoßen haben.

30

Mit Urteil vom 12. Dezember 2017 wies das Tribunal administratif de Cergy-Pontoise (Verwaltungsgericht Cergy-Pontoise) sämtliche Anträge von JP im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass die Art. 13 und 23 der Richtlinie 2008/50 dem Einzelnen keinen Anspruch auf Ersatz eines etwaigen durch die Verschlechterung der Luftqualität entstandenen Schadens verliehen.

31

Mit Rechtsmittelschrift vom 25. April 2018 legte JP bei der Cour administrative d’appel de Versailles (Verwaltungsberufungsgericht Versailles, Frankreich) ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil ein.

32

Der Ministre de la Transition écologique beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

33

Vor diesem Hintergrund hat die Cour administrative d’appel de Versailles (Verwaltungsberufungsgericht Versailles) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind die anwendbaren Regelungen des Rechts der Europäischen Union, die sich aus Art. 13 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 ergeben, dahin auszulegen, dass sie dem Einzelnen bei einem hinreichend qualifizierten Verstoß eines Mitgliedstaats der Europäischen Union gegen die sich daraus ergebenden Verpflichtungen einen Anspruch darauf gewähren, von dem betreffenden Mitgliedstaat Ersatz für seine Gesundheit beeinträchtigende Schäden zu erlangen, die in unmittelbarem und sicherem Kausalzusammenhang mit der Verschlechterung der Luftqualität stehen?

2.

Falls die oben genannten Bestimmungen tatsächlich einen solchen Anspruch auf Ersatz von Gesundheitsschäden gewähren können, von welchen Voraussetzungen hängt dann die Gewährung dieses Anspruchs insbesondere im Hinblick auf den Zeitpunkt ab, zu dem das Vorliegen des dem betreffenden Mitgliedstaat zuzurechnenden Verstoßes zu beurteilen ist?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

34

Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Außerdem kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo, C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 31). Der Umstand, dass ein nationales Gericht eine Vorlagefrage ihrer Form nach unter Bezugnahme auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert hat, hindert den Gerichtshof nämlich nicht daran, diesem Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die ihm bei der Entscheidung über die bei ihm anhängige Rechtssache von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei der Formulierung seiner Fragen darauf Bezug genommen hat oder nicht. Der Gerichtshof hat insoweit aus allem, was das einzelstaatliche Gericht vorgelegt hat, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 28).

35

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Antwort des vorlegenden Gerichts auf das ihm vom Gerichtshof übermittelte Auskunftsersuchen, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens Ersatz für Schäden begehrt, die ihm durch Überschreitungen der in Anhang XI der Richtlinie 2008/50 festgelegten Grenzwerte für die Konzentration von NO2 und PM10 – die seinen Gesundheitszustand ab 2003 beeinträchtigt haben sollen – entstanden sein sollen.

36

Es ist festzustellen, dass die Richtlinie 2008/50 nach ihrem Art. 33 Abs. 1 und ihrem Art. 34 am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, d. h. am 11. Juni 2008, in Kraft trat und die Mitgliedstaaten verpflichtete, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens am 11. Juni 2010 nachzukommen. Außerdem ergibt sich aus Anhang XI dieser Richtlinie, dass die Zeitpunkte, zu denen die Grenzwerte eingehalten werden mussten, für PM10 der 1. Januar 2005 und für NO2 der 1. Januar 2010 waren.

37

Gemäß Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 ersetzte diese mit Wirkung vom 11. Juni 2010 u. a. die Richtlinien 96/62 und 1999/30.

38

Die Richtlinie 96/62 trat am 21. November 1996 in Kraft. Sie sah in ihrem Art. 7 – gemäß ihrem Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 1999/30 mit Wirkung vom 19. Juli 2001 – Anforderungen vor, die denen entsprachen, die sich aus Art. 13 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 ergeben. Jedoch legte die Richtlinie 96/62 keine Grenzwerte für die Schadstoffkonzentration in der Luft fest. Gemäß Art. 4 Abs. 5 dieser Richtlinie wurden diese Grenzwerte durch die Richtlinie 1999/30 festgelegt. Als Zeitpunkte, zu denen die in den Anhängen II und III der letztgenannten Richtlinie festgelegten Grenzwerte gemäß Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie eingehalten werden mussten, waren für PM10 der 1. Januar 2005 und für NO2 der 1. Januar 2010 festgelegt worden.

39

Vor diesen Zeitpunkten galten, wie sich aus Art. 9 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 1999/30 ergibt, vorbehaltlich der sich aus Art. 8 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 96/62 ergebenden Anforderungen, für PM10 die in Anhang I Tabelle B der Richtlinie 80/779 festgelegten Grenzwerte und für NO2 die in Anhang I der Richtlinie 85/203 festgelegten Grenzwerte; auf diese Anhänge verwiesen die Art. 3 der beiden letztgenannten Richtlinien.

40

Außerdem ist, da der Kläger des Ausgangsverfahrens den Angaben des vorlegenden Gerichts zufolge Ersatz für Schäden verlangt, die durch Überschreitungen der Grenzwerte für die Konzentration von NO2 und PM10 verursacht worden sein sollen – Schäden, „die im Jahr 2003 begonnen haben sollen“ –, nicht ausgeschlossen, dass sich auch die Art. 7 der Richtlinien 80/779 und 85/203, die, wie sich ebenfalls aus Art. 9 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 1999/30 ergibt, mit Wirkung vom 19. Juli 2001 aufgehoben wurden, als für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits relevant erweisen.

41

In Anbetracht des Zeitraums, auf den das vorlegende Gericht somit bei seinen Angaben Bezug genommen hat, sind daher nicht nur die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2008/50, sondern auch die der Richtlinien 96/62, 1999/30, 80/779 und 85/203 zu berücksichtigen.

42

In Anbetracht der in Rn. 34 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ist folglich davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Vorlagefrage wissen möchte, ob Art. 13 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50, die Art. 7 und 8 der Richtlinie 96/62, Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/30 sowie die Art. 3 und 7 der Richtlinien 80/779 und 85/203 dahin auszulegen sind, dass sie bezwecken, dem Einzelnen individuelle Rechte zu verleihen, die für ihn einen Schadensersatzanspruch gegen einen Mitgliedstaat nach dem Grundsatz der Haftung des Staates für Schäden begründen können, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen.

43

Insoweit ist es ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der Grundsatz der Haftung des Staates für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, dem System der Verträge innewohnt, auf denen die Union beruht (Urteil vom 18. Januar 2022, Thelen Technopark Berlin, C‑261/20, EU:C:2022:33, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dieser Grundsatz gilt für jeden Fall eines Verstoßes eines Mitgliedstaats gegen das Unionsrecht, unabhängig davon, welche staatliche Stelle ihn begangen hat (Urteil vom 19. Dezember 2019, Deutsche Umwelthilfe, C‑752/18, EU:C:2019:1114, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Der Gerichtshof hat, was die Voraussetzungen für den Eintritt dieser Haftung betrifft, wiederholt entschieden, dass die Geschädigten einen Ersatzanspruch haben, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Die unionsrechtliche Norm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, ihnen Rechte zu verleihen, der Verstoß gegen diese Norm ist hinreichend qualifiziert, und zwischen diesem Verstoß und dem den Geschädigten entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang (Urteil vom 28. Juni 2022, Kommission/Spanien [Verstoß des Gesetzgebers gegen das Unionsrecht], C‑278/20, EU:C:2022:503, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45

Folglich kann entsprechend der ersten der drei vorgenannten Voraussetzungen nur ein Verstoß gegen eine unionsrechtliche Norm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, die Haftung des Staates auslösen.

46

Nach gefestigter Rechtsprechung entstehen solche Rechte nicht nur, wenn unionsrechtliche Vorschriften dies ausdrücklich bestimmen, sondern auch aufgrund von eindeutigen positiven oder negativen Verpflichtungen, die diese Vorschriften dem Einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Union auferlegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Februar 1963, van Gend & Loos, 26/62, EU:C:1963:1, S. 25, vom 19. November 1991, Francovich u. a., C‑6/90 und C‑9/90, EU:C:1991:428, Rn. 31, vom 20. September 2001, Courage und Crehan, C‑453/99, EU:C:2001:465, Rn. 19, sowie vom 11. November 2021, Stichting Cartel Compensation und Equilib Netherlands, C‑819/19, EU:C:2021:904, Rn. 47).

47

Ein Verstoß gegen solche positiven oder negativen Verpflichtungen durch einen Mitgliedstaat kann die Ausübung derjenigen Rechte durch die betroffenen Einzelnen behindern, die die betreffenden unionsrechtlichen Vorschriften ihnen implizit verleihen und auf die sie sich auf nationaler Ebene sollen berufen können, und somit die Rechtsstellung verändern, die diese Vorschriften für diese Einzelnen schaffen sollen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Oktober 2018, Kantarev, C‑571/16, EU:C:2018:807, Rn. 103 und 104, sowie vom 10. Dezember 2020, Euromin Holdings [Cyprus], C‑735/19, EU:C:2020:1014, Rn. 90). Deshalb verlangen die volle Wirksamkeit dieser unionsrechtlichen Vorschriften und der Schutz der Rechte, die mit ihnen verliehen werden sollen, dass der Einzelne die Möglichkeit hat, eine Entschädigung zu erlangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. November 1991, Francovich u. a., C‑6/90 und C‑9/90, EU:C:1991:428, Rn. 33 und 34), und zwar unabhängig davon, ob die betreffenden Vorschriften unmittelbare Wirkung haben, da diese Eigenschaft weder erforderlich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame, C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 18 bis 22) noch für sich genommen ausreichend ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a., C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 108 und 109), damit die erste der drei in Rn. 44 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen erfüllt ist.

48

Im vorliegenden Fall verpflichten die Richtlinien 2008/50, 96/62, 1999/30, 80/779 und 85/203 die Mitgliedstaaten im Wesentlichen zum einen, dafür zu sorgen, dass die Werte u. a. von PM10 und NO2 in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet ab bestimmten Zeitpunkten die in diesen Richtlinien festgelegten Grenzwerte nicht überschreiten, und zum anderen, wenn diese Grenzwerte gleichwohl überschritten werden, geeignete Maßnahmen vorzusehen, um diesen Überschreitungen – u. a. im Rahmen von Luftqualitätsplänen – abzuhelfen.

49

Was die erste Verpflichtung anbelangt, ist festzustellen, dass die Grenzwerte die genaue Konzentration, ausgedrückt in μg/m3 und gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Toleranzmargen des betreffenden Schadstoffs in der Luft angeben, deren Überschreitung von den Mitgliedstaaten überall in ihren Gebieten und Ballungsräumen vermieden werden muss.

50

Was die zweite Verpflichtung anbelangt, so hat der Gerichtshof in Bezug auf die Richtlinie 2008/50 entschieden, dass sich aus deren Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 ergibt, dass die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der zu erlassenden Maßnahmen zwar über einen gewissen Handlungsspielraum verfügen, diese Maßnahmen es jedenfalls aber ermöglichen müssen, dass der Zeitraum der Nichteinhaltung der für den betreffenden Schadstoff festgelegten Grenzwerte so kurz wie möglich gehalten wird (Urteil vom 10. November 2020, Kommission/Italien [Grenzwerte für PM10], C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 136).

51

Außerdem hat der Gerichtshof zwar festgestellt, dass Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62, der eine Verpflichtung vorsieht, die der in Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 vorgesehenen entspricht, die Mitgliedstaaten nicht verpflichtete, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen sichergestellt werden kann, dass es zu keinerlei Überschreitung kommt, sondern lediglich, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Gefahr einer Überschreitung und ihre Dauer unter Berücksichtigung aller zur gegebenen Zeit vorliegenden Umstände und der betroffenen Interessen auf ein Minimum zu reduzieren. Er hat jedoch auch festgestellt, dass diese Bestimmung der Ausübung dieses Ermessens hinsichtlich der Ausrichtung der Maßnahmen, die der Aktionsplan enthalten muss, am Ziel der Verringerung der Gefahr der Überschreitung und der Beschränkung ihrer Dauer unter Berücksichtigung des Ausgleichs, der zwischen diesem Ziel und den verschiedenen betroffenen öffentlichen und privaten Interessen sicherzustellen ist, Grenzen setzt, die vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2008, Janecek, C‑237/07, EU:C:2008:447, Rn. 44 bis 46).

52

Die gleiche Auslegung ist im Wesentlichen auch in Bezug auf die Verpflichtungen aus Art. 8 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 96/62 geboten.

53

Zu den Art. 7 der Richtlinien 80/779 und 85/203 ist festzustellen, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichteten, bei Überschreitungen von Grenzwerten Maßnahmen zu treffen, um „eine Wiederholung derartiger Fälle auszuschließen“, bzw. Maßnahmen „dagegen [zu treffen]“.

54

Daraus folgt zwar, dass Art. 13 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 wie die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinien 96/62, 1999/30, 80/779 und 85/203 recht klare und genaue Verpflichtungen hinsichtlich des Ergebnisses vorsehen, das die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen.

55

Jedoch verfolgen diese Verpflichtungen, wie sich aus den Art. 1 der in der vorstehenden Randnummer angeführten Richtlinien sowie namentlich auch aus dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/50 ergibt, ein allgemeines Ziel des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Umwelt insgesamt.

56

Abgesehen davon, dass die betreffenden Bestimmungen der Richtlinie 2008/50 und der ihr vorangegangenen Richtlinien insoweit keine ausdrückliche Verleihung von Rechten an den Einzelnen beinhalten, erlauben die in diesen Bestimmungen vorgesehenen Verpflichtungen im Rahmen des oben genannten allgemeinen Ziels somit nicht die Annahme, dass Einzelnen oder Gruppen von Einzelnen aufgrund dieser Verpflichtungen im konkreten Fall implizit individuelle Rechte verliehen würden, deren Verletzung die Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen entstanden sind, auslösen könnte.

57

Aus alldem ergibt sich, dass die erste der drei in Rn. 44 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, nicht erfüllt ist.

58

Im Übrigen vermag der Umstand, dass es den betroffenen Einzelnen, wenn ein Mitgliedstaat die Einhaltung der in Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 und in den entsprechenden Bestimmungen der vorangegangenen Richtlinien genannten Grenzwerte nicht sichergestellt hat, möglich sein muss, bei den nationalen Behörden – gegebenenfalls durch Anrufung der zuständigen Gerichte – den Erlass der nach diesen Richtlinien erforderlichen Maßnahmen zu erwirken (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 2014, ClientEarth, C‑404/13, EU:C:2014:2382, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 19. Dezember 2019, Deutsche Umwelthilfe, C‑752/18, EU:C:2019:1114, Rn. 56), an dieser Feststellung nichts zu ändern.

59

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof zu Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 festgestellt hat, dass natürliche oder juristische Personen, die unmittelbar von der Gefahr einer Überschreitung der Alarmschwellen oder der Grenzwerte betroffen sind, bei den zuständigen Behörden – gegebenenfalls unter Anrufung der zuständigen Gerichte – erwirken können müssen, dass beim Vorliegen einer solchen Gefahr ein Aktionsplan erstellt wird (Urteil vom 25. Juli 2008, Janecek, C‑237/07, EU:C:2008:447, Rn. 39).

60

Ebenso hat der Gerichtshof zu Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 entschieden, dass natürliche oder juristische Personen, die unmittelbar von der Überschreitung dieser Grenzwerte nach dem 1. Januar 2010 betroffen sind, bei den nationalen Behörden – gegebenenfalls unter Anrufung der zuständigen Gerichte – erwirken können müssen, dass ein Luftqualitätsplan im Einklang mit diesem Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 erstellt wird, wenn ein Mitgliedstaat die Einhaltung der sich aus Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie ergebenden Anforderungen nicht gewährleistet hat, ohne die Verlängerung dieser Frist gemäß den in Art. 22 der Richtlinie vorgesehenen Bedingungen zu beantragen (Urteil vom 19. November 2014, ClientEarth, C‑404/13, EU:C:2014:2382, Rn. 56).

61

Wie in den Rn. 52 und 53 des vorliegenden Urteils ausgeführt, gilt diese Auslegung auch in Bezug auf die wirksame Umsetzung der Art. 7 der Richtlinien 80/779 und 85/203 sowie von Art. 8 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 96/62.

62

Die so in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannte Möglichkeit, die sich insbesondere aus dem unionsrechtlichen Grundsatz der Effektivität ergibt – einer Effektivität, zu der die betroffenen Einzelnen berechtigterweise beitragen können, indem sie aufgrund ihrer besonderen Stellung Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren einleiten –, bedeutet jedoch nicht, dass die Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 sowie aus den entsprechenden Bestimmungen der vorangegangenen Richtlinien bezweckten, den Betroffenen individuelle Rechte im Sinne der ersten der drei in Rn. 44 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen zu verleihen, und dass ein Verstoß gegen diese Verpflichtungen folglich geeignet wäre, eine Rechtsstellung zu verändern, die diese Bestimmungen für sie hätten schaffen sollen.

63

Hinzuzufügen ist, dass die in Rn. 57 des vorliegenden Urteils dargelegte Schlussfolgerung nicht ausschließt, dass ein Mitgliedstaat nach innerstaatlichem Recht unter weniger strengen Voraussetzungen haftet (Urteil vom 28. Juni 2022, Kommission/Spanien [Verstoß des Gesetzgebers gegen das Unionsrecht], C‑278/20, EU:C:2022:503, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung) und dass insoweit gegebenenfalls Verstöße gegen die Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 sowie aus den anderen in Rn. 42 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen des Unionsrechts als ein Umstand berücksichtigt werden können, der für die Feststellung einer Haftung der öffentlichen Stellen auf einer anderen Grundlage als dem Unionsrecht relevant sein kann.

64

Diese Schlussfolgerung schließt auch nicht aus, dass die Gerichte des betreffenden Mitgliedstaats gegebenenfalls mit Zwangsgeldern bewehrte Anordnungen erlassen, um sicherzustellen, dass dieser Staat seinen Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 sowie aus den entsprechenden Bestimmungen der vorangegangenen Richtlinien nachkommt, wie etwa die mit Zwangsgeldern bewehrten Anordnungen, die in mehreren kürzlich ergangenen Urteilen des Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) erlassen wurden.

65

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 3 und 7 der Richtlinie 80/779, die Art. 3 und 7 der Richtlinie 85/203, die Art. 7 und 8 der Richtlinie 96/62, Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/30 sowie Art. 13 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 dahin auszulegen sind, dass sie nicht bezwecken, dem Einzelnen individuelle Rechte zu verleihen, die für ihn einen Schadensersatzanspruch gegen einen Mitgliedstaat nach dem Grundsatz der Haftung des Staates für Schäden begründen können, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen.

Zur zweiten Frage

66

In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.

Kosten

67

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Art. 3 und 7 der Richtlinie 80/779/EWG des Rates vom 15. Juli 1980 über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub, die Art. 3 und 7 der Richtlinie 85/203/EWG des Rates vom 7. März 1985 über Luftqualitätsnormen für Stickstoffdioxid, die Art. 7 und 8 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität, Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft sowie Art. 13 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa

 

sind dahin auszulegen, dass

 

sie nicht bezwecken, dem Einzelnen individuelle Rechte zu verleihen, die für ihn einen Schadensersatzanspruch gegen einen Mitgliedstaat nach dem Grundsatz der Haftung des Staates für Schäden begründen können, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.