BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

20. Januar 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 53 Abs. 2 und Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Art. 267 AEUV – Begriff ‚Gericht‘ – Vorrang des Unionsrechts – Tatsächlicher und rechtlicher Zusammenhang des Ausgangsrechtsstreits – Gründe, aus denen sich die Notwendigkeit einer Antwort auf die Vorlagefrage ergibt – Keine hinreichenden Angaben – Offensichtliche Unzulässigkeit“

In der Rechtssache C‑293/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Österreich) mit Entscheidung vom 29. Juni 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Juli 2020, in den Verfahren

A,

M

gegen

Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf,

Beteiligter:

Finanzamt Kirchdorf-Perg-Steyr,


erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič sowie der Richter E. Juhász und I. Jarukaitis (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 267 AEUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und mit Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) sowie des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts.

2        Es ergeht im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten, die im Ausgangsverfahren verbunden wurden, nämlich zwischen A bzw. M, zwei natürlichen Personen, und der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf (Österreich) über Straferkenntnisse, mit denen diese Behörde wegen Verstößen gegen die nationale Regelung über Glücksspiel Geldstrafen über sie verhängt hatte.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs bestimmt:

„Das Vorabentscheidungsersuchen muss außer den dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen enthalten:

a)      eine kurze Darstellung des Streitgegenstands und des maßgeblichen Sachverhalts, wie er vom vorlegenden Gericht festgestellt worden ist, oder zumindest eine Darstellung der tatsächlichen Umstände, auf denen die Fragen beruhen;

b)      den Wortlaut der möglicherweise auf den Fall anwendbaren nationalen Vorschriften und gegebenenfalls die einschlägige nationale Rechtsprechung;

c)      eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt.“

 Österreichisches Recht

 Glücksspielgesetz

4        § 2 Abs. 4 des Glücksspielgesetzes vom 28. November 1989 (BGBl. Nr. 620/1989) (im Folgenden: GSpG) bestimmt in der auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Fassung:

„Verbotene Ausspielungen sind Ausspielungen, für die eine Konzession oder Bewilligung nach diesem Bundesgesetz nicht erteilt wurde …“

5        § 52 Abs. 1 GSpG sieht vor:

„Es begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde in den Fällen der Z 1 mit einer Geldstrafe von bis zu 60 000 Euro … zu bestrafen,

1.      wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen … veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht oder sich als Unternehmer … daran beteiligt;

…“

 Verwaltungsgerichtshofgesetz

6        § 63 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (BGBl. Nr. 10/1985) (im Folgenden: VwGG) lautet in seiner auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Fassung:

„Wenn der Verwaltungsgerichtshof [(Österreich)] einer Revision stattgegeben hat, sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.“

 Verfassungsgerichtshofgesetz

7        § 87 Abs. 2 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 (BGBl. Nr. 85/1953) lautet in seiner auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Fassung:

„Wenn der Verfassungsgerichtshof [(Österreich)] einer Beschwerde stattgegeben hat, sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8        Bei einer Kontrolle in einem Gastgewerbebetrieb, dessen Inhaber A ist, wurde ein Glücksspielautomat, der ohne die nach dem GSpG erforderliche behördliche Bewilligung betrieben worden war, von der Finanzpolizei (Österreich) vorläufig in Beschlag genommen. Der in Rede stehende Glücksspielautomat gehört einer in der Slowakei niedergelassenen Gesellschaft, deren Geschäftsführer M ist.

9        Die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf leitete gegen A und M Verwaltungsstrafverfahren ein und verhängte über sie nach dem GSpG vorgesehene Geldstrafen wegen Verwaltungsübertretungen. A und M erhoben gegen diese Bescheide Beschwerden bei dem vorlegenden Gericht, dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Österreich).

10      Das vorlegende Gericht, das als Einzelrichter entscheidet, meint, es habe für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der bei ihm angefochtenen Bescheide u. a. zu beurteilen, ob das im GSpG normierte Glücksspielmonopol dem Unionsrecht entspreche.

11      Vor diesem Hintergrund fragt es sich zum einen, ob die österreichischen Gerichte, die zur Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts gehören, dem Gerichtshof Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV vorlegen können. In diesem Zusammenhang weist es auf strukturelle Defizite sowohl im Hinblick auf Art. 6 EMRK als auch auf Art. 47 der Charta hin, die diese Gerichtsbarkeit durch alle Instanzen hindurch vor allem hinsichtlich der Unparteilichkeit und der Waffengleichheit aufweise.

12      Ungeachtet der aufgezeigten strukturellen Defizite, von denen es selbst betroffen sei, geht das vorlegende Gericht zumindest vorläufig davon aus, dass ihm doch die Eigenschaft eines Gerichts im Sinne von Art. 267 AEUV zukomme.

13      Zum anderen fragt sich das vorlegende Gericht vor dem Hintergrund einer Meinungsverschiedenheit mit dem Verwaltungsgerichtshof (der obersten Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit) über die Vereinbarkeit der österreichischen Glücksspielmonopolregelung mit dem Unionsrecht, ob der Vorrang des Unionsrechts von absoluter oder bloß relativer Natur ist.

14      Dazu führt es aus, dass es in mehr als 150 zwischen Dezember 2016 und Februar 2018 ergangenen Erkenntnissen festgestellt habe, dass diese im GSpG verankerte Monopolregelung unionsrechtswidrig und insbesondere mit Art. 56 AEUV unvereinbar sei. Infolge der Aufhebung dieser Erkenntnisse durch den Verwaltungsgerichtshof – mit der Begründung, dass diese Regelung sehr wohl unionsrechtskonform sei – habe das vorlegende Gericht zur Wahrung des Rechtsstaatsprinzips und seiner ihm nach § 63 Abs. 1 VwGG obliegenden Verpflichtung, der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofs zu folgen, seine Judikaturlinie geändert, indem es in über 250 Entscheidungen, die seit November 2017 ergangen seien, unter Berufung auf einen „integrationsfesten Verfassungskern“ dem nationalen Recht den Vorrang gegenüber dem Unionsrecht eingeräumt habe.

15      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts erlaubt es ihm nur ein solcher Ansatz, nämlich dass der Vorrang des Unionsrechts relativ sei, sich an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofs, wonach das Glücksspielmonopol nicht dem Unionsrecht widerspreche, gebunden zu erachten.

16      Ob der Vorrang des Unionsrechts absolut gelte und damit für ein mitgliedstaatliches Gericht im Besonderen auch die Verpflichtung umfasse, die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung eigenständig und ohne Bindung an die diesbezügliche Rechtsmeinung anderer nationaler – allenfalls auch im Instanzenzug übergeordneter – Gerichte zu beurteilen, müsse geklärt werden, bevor es über die bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten entscheiden könne.

17      Unter diesen Umständen hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 267 AEUV unter Berücksichtigung des Art. 6 EMRK und des Art. 47 der Charta sowie der dazu jeweils ergangenen Judikatur des EuGH und des EGMR dahin auszulegen, dass auch Institutionen, deren Gerichtsqualität im Lichte dieser Rechtsprechung a priori zwar zweifelhaft erscheinen mag, jedoch zumindest bis zum Nachweis des Gegenteils vermutet werden kann, vorlageberechtigt sind?

2.      Sind die Verträge bzw. die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH dahin auszulegen, dass die Annahme eines sog. „integrationsfesten Verfassungskerns“ (im Besonderen des national-verfassungsrechtlichen Grundprinzips der Rechtsstaatlichkeit), der zu einer partiellen Zurückdrängung des Vorranges des Unionsrechts (und im Besonderen auch der Judikatur des EuGH zur Nichtbindung an die Auslegung des Unionsrechts durch andere nationale, allenfalls auch instanzenmäßig übergeordnete Gerichte) führt bzw. führen kann, mit der diesbezüglichen bisherigen Rechtsprechung des EuGH vereinbar ist, oder ist diese vielmehr dahin zu verstehen, dass der Vorrang des Unionsrechts (von expliziten spezialgesetzlichen Ausnahmeregelungen abgesehen) absolut gilt?

 Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

18      Gemäß Art. 53 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn ein Vorabentscheidungsersuchen offensichtlich unzulässig ist, nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, ohne das Verfahren fortzusetzen.

19      Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

20      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das in Art. 267 AEUV vorgesehene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen. Die Rechtfertigung des Vorabentscheidungsersuchens liegt jedoch nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern darin, dass das Ersuchen für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist (Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 44 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und Beschluss vom 2. Juli 2020, S.A.D. Maler und Anstreicher, C‑256/19, EU:C:2020:523, Rn. 42).

21      Wie sich nämlich bereits aus dem Wortlaut von Art. 267 AEUV ergibt, muss die beantragte Vorabentscheidung „erforderlich“ sein, um dem vorlegenden Gericht den „Erlass seines Urteils“ in der bei ihm anhängigen Rechtssache zu ermöglichen (Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 45 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und Beschluss vom 2. Juli 2020, S.A.D. Maler und Anstreicher, C‑256/19, EU:C:2020:523, Rn. 43).

22      Der Gerichtshof hat daher wiederholt darauf hingewiesen, dass sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Aufbau von Art. 267 AEUV folgt, dass das Vorabentscheidungsverfahren insbesondere voraussetzt, dass bei den nationalen Gerichten tatsächlich ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sie eine Entscheidung erlassen müssen, bei der das Urteil des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren berücksichtigt werden kann (Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 46 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und Beschluss vom 2. Juli 2020, S.A.D. Maler und Anstreicher, C‑256/19, EU:C:2020:523, Rn. 44).

23      In einem solchen Verfahren muss daher ein Bezug zwischen dem fraglichen Rechtsstreit und den Bestimmungen des Unionsrechts, um deren Auslegung ersucht wird, bestehen, so dass diese Auslegung für die Entscheidung, die das nationale Gericht zu erlassen hat, objektiv erforderlich ist (Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 48 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und Beschluss vom 2. Juli 2020, S.A.D. Maler und Anstreicher, C‑256/19, EU:C:2020:523, Rn. 45).

24      Im Übrigen ist eine dem nationalen Gericht dienliche Auslegung des Unionsrechts nur möglich, wenn dieses den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen. Der Gerichtshof ist nämlich nur befugt, sich auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung einer Unionsvorschrift zu äußern (Urteile vom 26. Juli 2017, Superfoz – Supermercados, C‑519/16, EU:C:2017:601, Rn. 44 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 16. Juli 2020, Adusbef und Federconsumatori, C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Der Gerichtshof betont auch, wie wichtig es ist, dass das nationale Gericht die genauen Gründe angibt, aus denen es Zweifel bezüglich der Auslegung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat und ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof für erforderlich hält. Da die Vorlageentscheidung als Grundlage für das Verfahren vor dem Gerichtshof dient, ist es nämlich unerlässlich, dass das nationale Gericht in der Vorlageentscheidung selbst den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits erläutert und ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Unionsbestimmungen, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang gibt, den es zwischen diesen Bestimmungen und den nationalen Rechtsvorschriften sieht, die auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anzuwenden sind (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 28. Juni 2000, Laguillaumie, C‑116/00, EU:C:2000:350, Rn. 23 und 24, und Urteil vom 16. Juli 2020, Adusbef und Federconsumatori, C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Diese kumulativen Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens sind ausdrücklich in Art. 94 der Verfahrensordnung angeführt, von dem das vorlegende Gericht Kenntnis haben sollte und den es im Rahmen der in Art. 267 AEUV vorgesehenen Zusammenarbeit sorgfältig zu beachten hat. Diese Anforderungen finden sich auch insbesondere in den Empfehlungen des Gerichtshofs der Europäischen Union an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2019, C 380, S. 1) (Beschluss vom 26. November 2020, Colt Technology Services u. a., C‑318/20, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:969, Rn. 16 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Im vorliegenden Fall entspricht die Vorlageentscheidung offensichtlich nicht den in den vorstehenden Randnummern des vorliegenden Beschlusses angeführten Anforderungen.

28      Was die erste Frage angeht, fragt sich das vorlegende Gericht allgemein, ob die österreichischen Gerichte, die zur Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit gehören, den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersuchen können.

29      Das vorlegende Gericht gibt jedoch in keiner Weise an, inwieweit sich eine Antwort auf diese Frage zur Auslegung von Art. 267 AEUV als für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten erforderlich erweisen könnte. Denn dieses Gericht behauptet zwar, dass die österreichische Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts strukturelle Defizite aufweise, es beschreibt sie aber nicht, und vor allem erläutert es in keiner Weise, inwieweit diese Defizite, wenn sie erwiesen wären, oder die sich daraus ergebenden Folgen für die Vorlagebefugnis der betroffenen Gerichte eine Auswirkung auf die Entscheidung hätten, die es in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der bei ihm angefochtenen Verwaltungsstrafen zu erlassen hat.

30      Außerdem kann aus der Vorlageentscheidung zwar abgeleitet werden, dass das vorlegende Gericht mit dieser ersten Frage auch nach seiner eigenen Eigenschaft als „Gericht“ fragt, doch genügt die Feststellung, dass die Auslegung von Art. 267 AEUV, um die im vorliegenden Fall ersucht wird – ohne dass indessen aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass diese Bestimmung für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten in Rede steht –, für die Entscheidung, die das vorlegende Gericht zu erlassen hat, nicht objektiv erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2020, Land Hessen, C‑272/19, EU:C:2020:535, Rn. 62).

31      Unter diesen Umständen ist die erste Frage offensichtlich unzulässig.

32      Was die zweite Frage angeht, ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht damit der Sache nach durch eine mögliche Antwort des Gerichtshofs die „Erlaubnis“ erhalten möchte, die Vereinbarkeit der Glücksspielmonopolregelung in Österreich mit dem Unionsrecht eigenständig zu beurteilen, unabhängig von der bereits durch die übergeordneten österreichischen Gerichte vorgenommenen Prüfung.

33      Es gibt aber in der Vorlageentscheidung keine Angaben, die es dem Gerichtshof ermöglichen würden, eine Antwort auf diese Frage zu geben, die für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten sachdienlich wäre, da sich diese Frage auf den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts im Hinblick auf die richtige Anwendung von Art. 56 AEUV bezieht und das vorlegende Gericht den Zusammenhang zwischen diesem Grundsatz, bzw. dieser Bestimmung des AEU-Vertrags, und den auf diese Rechtsstreitigkeiten anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften nicht mit der erforderlichen Genauigkeit und Klarheit darlegt.

34      Das vorlegende Gericht weist zwar darauf hin, dass es, um der Rechtsprechung der ihm übergeordneten Instanzen nachzukommen, seine eigene Rechtsprechung zu der durch das GSpG eingeführten Regelung geändert habe, indem es das Bestehen eines „integrationsfesten Verfassungskerns“ anerkannt habe, doch liefert es keine rechtlichen Anhaltspunkte, anhand deren sich beurteilen ließe, inwieweit dieser Auslegungsansatz die korrekte Anwendung des Unionsrechts und insbesondere von Art. 56 AEUV im Licht des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts beeinträchtigen könnte.

35      Was insbesondere die Grundlagen eines solchen Ansatzes im nationalen Recht betrifft, beschränkt sich das vorlegende Gericht darauf, auf den nationalen Verfassungsgrundsatz der Rechtsstaatlichkeit Bezug zu nehmen, ohne zu erläutern, inwieweit dieser Grundsatz unter den Umständen des Ausgangsverfahrens dem Vorrang des Unionsrechts entgegenstehen könnte.

36      Demnach ist die zweite Frage ebenfalls offensichtlich unzulässig.

37      Angesichts aller vorstehenden Erwägungen ist gemäß Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung festzustellen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen offensichtlich unzulässig ist.

 Kosten

38      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) beschlossen:

Das vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Österreich) mit Entscheidung vom 29. Juni 2020 eingereichte Vorabentscheidungsersuchen ist offensichtlich unzulässig.

Luxemburg, den 20. Januar 2021

Der Kanzler

 

Der Präsident der Zehnten Kammer

A. Calot Escobar

 

M. Ilešič


*      Verfahrenssprache: Deutsch.