URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

3. Juni 2021 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Wanderarbeitnehmer – Soziale Sicherheit – Anzuwendende Rechtsvorschriften – Verordnung (EG) Nr. 883/2004 – Art. 12 Abs. 1 – Entsendung – Leiharbeitnehmer – Verordnung (EG) Nr. 987/2009 – Art. 14 Abs. 2 – Bescheinigung A 1 – Bestimmung des Mitgliedstaats, in dem der Arbeitgeber gewöhnlich tätig ist – Begriff ‚andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten‘ – Keine Überlassung von Leiharbeitnehmern im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem der Arbeitgeber ansässig ist“

In der Rechtssache C‑784/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna, Bulgarien) mit Entscheidung vom 4. Oktober 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Oktober 2019, in dem Verfahren

„TEAM POWER EUROPE“ EOOD

gegen

Direktor na Teritorialna direktsia na Natsionalna agentsia za prihodite – Varna

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, M. Vilaras, E. Regan (Berichterstatter), M. Ilešič, L. Bay Larsen, N. Piçarra und A. Kumin, des Richters T. von Danwitz, der Richterin C. Toader, des Richters M. Safjan, der Richterin L. S. Rossi sowie der Richter I. Jarukaitis und N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Oktober 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der „TEAM POWER EUROPE“ EOOD, vertreten durch M. K. Todorova, advokat, sowie Rechtsanwalt T. Höhn,

der bulgarischen Regierung, vertreten durch E. Petranova, T. Tsingileva und T. Mitova als Bevollmächtigte,

der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck, S. Baeyens und B. De Pauw als Bevollmächtigte,

der Regierung von Estland, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,

der französischen Regierung, vertreten durch C. Mosser, A. Desjonquères und E. de Moustier als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch A. Siwek-Ślusarek, D. Lutostańska und B. Majczyna als Bevollmächtigte,

der finnischen Regierung, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und Y. G. Marinova als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Dezember 2020

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 14 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2009, L 284, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „TEAM POWER EUROPE“ EOOD (im Folgenden: Team Power Europe), einer Gesellschaft bulgarischen Rechts mit Sitz in Varna (Bulgarien), und dem Direktor na Teritorialna direktsia na Natsionalna agentsia za prihodite – Varna (Direktor der Gebietsdirektion der Stadt Varna der Nationalen Agentur für Einnahmen, Bulgarien) (im Folgenden: Direktor) wegen dessen Weigerung, eine Bescheinigung zu erteilen, wonach die bulgarischen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit auf einen Leiharbeitnehmer anwendbar sind, der von dieser Gesellschaft für die Dauer seiner Überlassung an ein in Deutschland ansässiges entleihendes Unternehmen beschäftigt wird.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung (EG) Nr. 883/2004

3

Mit der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, und Berichtigung ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 (ABl. 2012, L 149, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004) wurde die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) mit Wirkung vom 1. Mai 2010 aufgehoben.

4

In den Erwägungsgründen 1 und 45 der Verordnung Nr. 883/2004 heißt es:

„(1)

Die Vorschriften zur Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit sind Teil des freien Personenverkehrs und sollten zur Verbesserung des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen beitragen.

(45)

Da das Ziel der beabsichtigten Maßnahme, nämlich Koordinierungsmaßnahmen zur Sicherstellung, dass das Recht auf Freizügigkeit wirksam ausgeübt werden kann, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden kann und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. …“

5

Art. 2 („Persönlicher Geltungsbereich“) in Titel I („Allgemeine Bestimmungen“) dieser Verordnung sieht in Abs. 1 vor:

„Diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.“

6

Titel II („Bestimmung des anwendbaren Rechts“) der Verordnung enthält die Art. 11 bis 16.

7

Art. 11 („Allgemeine Regelung“) der Verordnung bestimmt:

„(1)   Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(3)   Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a)

eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

…“

8

Art. 12 („Sonderregelung“) der Verordnung Nr. 883/2004 sieht in Abs. 1 vor:

„Eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, der gewöhnlich dort tätig ist, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 24 Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere entsandte Person ablöst.“

9

Diese Bestimmung hat Art. 14 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 ersetzt. Danach „[unterliegt e]ine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, abhängig beschäftigt wird und die von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird, … weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und sie nicht eine andere Person ablöst, für welche die Entsendungszeit abgelaufen ist“.

Verordnung Nr. 987/2009

10

Titel II („Bestimmung der anwendbaren Rechtsvorschriften“) der Verordnung Nr. 987/2009 umfasst die Art. 14 bis 21.

11

Art. 14 („Nähere Vorschriften zu den Artikeln 12 und 13 der [Verordnung Nr. 883/2004]“) dieser Verordnung sieht in Abs. 2 vor:

„Bei der Anwendung von Artikel 12 Absatz 1 der [Verordnung Nr. 883/2004] beziehen sich die Worte ‚der gewöhnlich dort tätig ist‘ auf einen Arbeitgeber, der gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten auf dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem das Unternehmen niedergelassen ist, ausübt, unter Berücksichtigung aller Kriterien, die die Tätigkeit des betreffenden Unternehmens kennzeichnen; die maßgebenden Kriterien müssen auf die Besonderheiten eines jeden Arbeitgebers und die Eigenart der ausgeübten Tätigkeiten abgestimmt sein.“

12

Art. 19 („Unterrichtung der betroffenen Personen und der Arbeitgeber“) der Verordnung Nr. 987/2009 bestimmt in Abs. 2:

„Auf Antrag der betreffenden Person oder ihres Arbeitgebers bescheinigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften nach Titel II der [Verordnung Nr. 883/2004] anzuwenden sind, dass und gegebenenfalls wie lange und unter welchen Umständen diese Rechtsvorschriften anzuwenden sind.“

13

Diese Bescheinigung erfolgt durch eine sogenannte „Bescheinigung A 1“.

Richtlinie 2008/104/EG

14

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. 2008, L 327, S. 9) sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

b)

‚Leiharbeitsunternehmen‘ eine natürliche oder juristische Person, die nach einzelstaatlichem Recht mit Leiharbeitnehmern Arbeitsverträge schließt oder Beschäftigungsverhältnisse eingeht, um sie entleihenden Unternehmen zu überlassen, damit sie dort unter deren Aufsicht und Leitung vorübergehend arbeiten;

c)

‚Leiharbeitnehmer‘ einen Arbeitnehmer, der mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen hat oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist, um einem entleihenden Unternehmen überlassen zu werden und dort unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten;

…“

Bulgarisches Recht

15

Art. 107p des Kodeks na truda (Arbeitsgesetzbuch) bestimmt:

„(1)   In einem Arbeitsvertrag, der mit einem Leiharbeitsunternehmen geschlossen wird, ist festzulegen, dass der Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen überlassen wird, um dort unter der Aufsicht und Leitung des entleihenden Unternehmens vorübergehend zu arbeiten.

(7)   Die Leiharbeitsunternehmen üben ihre Tätigkeit aus, nachdem sie sich bei der Arbeitsagentur (Agentsia po zaetostta) haben eintragen lassen, gemäß den im Gesetz zur Förderung der Beschäftigung (zakon za nasarchvane na zaetostta) festgelegten Bedingungen und Modalitäten aus.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

16

Team Power Europe ist ein seit dem 22. Mai 2017 im Handelsregister der Republik Bulgarien eingetragenes Unternehmen, dessen Gesellschaftszweck in der Verschaffung von Leiharbeit und der Vermittlung von Arbeitsuchenden in diesem Mitgliedstaat und in anderen Ländern besteht.

17

Dieses Unternehmen ist bei der bulgarischen Arbeitsagentur als Leiharbeitsunternehmen gemäß der vom Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik erteilten Bescheinigung registriert und verfügt aufgrund einer von der Arbeitsagentur Düsseldorf (Deutschland) erteilten Zulassung über eine amtliche Erlaubnis zur Überlassung von Personal in Deutschland.

18

Am 8. Oktober 2018 schloss Team Power Europe mit einem bulgarischen Staatsangehörigen einen Arbeitsvertrag, mit dem dieser einem in Deutschland ansässigen entleihenden Unternehmen überlassen wurde. Im Entsendevertrag vom selben Tag hieß es, dass der Betroffene seine Arbeit in der Zeit vom 15. Oktober bis zum 21. Dezember 2018 unter Leitung und Aufsicht dieses Unternehmens verrichten werde.

19

Am 9. Mai 2019 stellte Team Power Europe bei der Dienststelle für Einnahmen der Teritorialna direktsiya na Natsionalna agentsia za prihodite – Varna (Gebietsdirektion der Stadt Varna der Nationalen Agentur für Einnahmen, Bulgarien) einen Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung A 1, mit der bescheinigt werden sollte, dass die bulgarischen Rechtsvorschriften in der Zeit der Überlassung des betreffenden Arbeitnehmers auf diesen anwendbar waren.

20

Mit Entscheidung vom 30. Mai 2019 lehnte diese Dienststelle den Antrag mit der Begründung ab, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht in den Anwendungsbereich von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 falle. Zum einen sei nämlich keine direkte Bindung zwischen Team Power Europe und dem fraglichen Arbeitnehmer aufrechterhalten worden, und zum anderen habe dieses Unternehmen in Bulgarien keinen nennenswerten Teil seiner Tätigkeit ausgeübt.

21

Für diese Schlussfolgerung hinsichtlich des letzteren Gesichtspunkts stützte sich die Dienststelle auf verschiedene Kriterien. Erstens sei der Vertrag zwischen Team Power Europe und dem entleihenden Unternehmen nach den Bedingungen und Vorschriften des deutschen Rechts geschlossen worden. Zweitens sei Team Power Europe in diesem Vertrag nicht aufgrund ihrer Registrierung bei der bulgarischen Arbeitsagentur, sondern aufgrund der von den zuständigen deutschen Behörden erteilten Zulassung zur Personalüberlassung genannt worden. Drittens beschäftige sie außer Verwaltungs- und Leitungspersonal keine Arbeitnehmer im bulgarischen Hoheitsgebiet. Viertens ergebe sich der gesamte von Team Power Europe erzielte Umsatz aus den Tätigkeiten der in Deutschland überlassenen Leiharbeitnehmer. Fünftens habe Team Power Europe für die Zwecke der Mehrwertsteuer nur Dienstleistungen angemeldet, deren Erfüllungsort sich im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem ihrer Niederlassung befinde. Sechstens schließlich sei kein Vertrag mit Wirtschaftsteilnehmern vorgelegt worden, die eine Tätigkeit in Bulgarien ausübten, und in diesem Hoheitsgebiet sei keine Dienstleistung der Leiharbeit erbracht worden.

22

Mit Entscheidung vom 11. Juni 2019 wies der Direktor den Widerspruch von Team Power Europe gegen die Entscheidung der Dienststelle für Einnahmen vom 30. Mai 2019 zurück.

23

Team Power Europe erhob daher beim Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna, Bulgarien) Klage, mit der sie die Aufhebung der Entscheidung des Direktors begehrt.

24

Zur Begründung dieser Klage macht Team Power Europe geltend, dass der betreffende Arbeitnehmer in den Anwendungsbereich von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 falle und die Voraussetzungen erfülle, von denen diese Bestimmung die Erteilung einer A1-Bescheinigung abhängig mache. Was insbesondere die Frage angeht, ob sie gewöhnlich im bulgarischen Hoheitsgebiet tätig ist, führt Team Power Europe aus, dass sie in Bulgarien nennenswerte Tätigkeiten der Auswahl und der Einstellung von Leiharbeitnehmern sowie der Anmeldung dieser Leiharbeitnehmer zur Sozialversicherung ausübe. Diese Tätigkeit könne nicht der Wahrnehmung rein interner Verwaltungstätigkeiten gleichgesetzt werden. Im Übrigen bedeute der Umstand, dass ihr Umsatz durch Transaktionen mit entleihenden Unternehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat ihres Sitzes ansässig seien, erzielt werde, nicht, dass sie ihre Tätigkeiten außerhalb dieses Mitgliedstaats ausübe.

25

Der Direktor macht geltend, dass die Situation, um die es im Ausgangsverfahren gehe, nicht unter Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 falle. Hierzu führt er u. a. aus, dass Team Power Europe im bulgarischen Hoheitsgebiet ausschließlich Verwaltungs- und Leitungspersonal beschäftige, dass alle Einnahmen dieses Unternehmens aus in Deutschland in abhängiger Beschäftigung ausgeübten Tätigkeiten stammten und dass dieses Unternehmen lediglich Dienstleistungen zur Mehrwertsteuer angemeldet habe, deren Erfüllungsort das Gebiet des letztgenannten Mitgliedstaats sei.

26

Der Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna), der auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit in letzter Instanz entscheidet, stellt fest, dass zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens insbesondere die Frage, ob Team Power Europe eine nennenswerte Tätigkeit im bulgarischen Hoheitsgebiet ausübe, streitig sei und dass von der Erfüllung dieser Voraussetzung die Anwendbarkeit von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 abhängig sei. Seine eigene Rechtsprechung enthalte je nach Spruchkörper unterschiedliche Entscheidungen über die Auslegung dieser – in Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 präzisierte – Voraussetzung. Diese Meinungsverschiedenheit betreffe insbesondere die maßgebenden Kriterien, die bei der Beurteilung der Frage zu berücksichtigen seien, ob ein Leiharbeitsunternehmen gewöhnlich im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem es niedergelassen sei, im Sinne der letztgenannten Bestimmung „nennenswerte Tätigkeiten“ ausübe.

27

Nach einer ersten Rechtsprechungslinie sei davon auszugehen, dass ein Unternehmen, das sich in der Lage von Team Power Europe befinde, solche Tätigkeiten in Bulgarien ausübe. Die Tätigkeiten der Auswahl, der Einstellung und der Überlassung von Leiharbeitnehmern, die die Haupttätigkeiten eines Leiharbeitsunternehmens darstellten, würden nämlich in diesem Mitgliedstaat ausgeübt. Außerdem würden dort nach bulgarischem Recht Arbeitsverträge zwischen diesem Unternehmen und diesen Arbeitnehmern geschlossen. Die Verträge zwischen dem Leiharbeitsunternehmen und den entleihenden Unternehmen, denen diese Arbeitnehmer überlassen würden, würden ebenfalls in Bulgarien geschlossen. Darüber hinaus erziele dieses Leiharbeitsunternehmen seine gesamten Einnahmen in diesem Gebiet, obwohl der Umsatz auf Transaktionen mit in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen entleihenden Unternehmen zurückgehe. Außerdem sei sie nach bulgarischem Recht als Handelsgesellschaft eingetragen und als mehrwertsteuerpflichtig registriert.

28

Nach einer zweiten Rechtsprechungslinie könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein Unternehmen, das sich in der Lage von Team Power Europe befinde, gewöhnlich eine nennenswerte Tätigkeit in Bulgarien ausübe. Ein solches Unternehmen beschäftige nämlich, auch wenn es seinen Sitz und seine Geschäftsleitung im bulgarischen Hoheitsgebiet habe, dort nur Verwaltungs- und Leitungspersonal, was bereits ausreiche, um die Anwendung der Unionsvorschriften über die Entsendung auszuschließen. Außerdem seien alle betroffenen Leiharbeitnehmer im Hinblick auf ihre Überlassung an in Deutschland ansässige entleihende Unternehmen eingestellt worden, da Team Power Europe in der Zeit vom 22. Mai 2017 bis 29. Mai 2019 in Bulgarien keine Leiharbeitsleistung erbracht habe. Daraus ergebe sich, dass die gesamten Einkünfte und Umsätze, die das Unternehmen in diesem Zeitraum erzielt habe, ausschließlich aus Tätigkeiten in Deutschland stammten. Zudem unterlägen die Verträge mit den entleihenden Unternehmen deutschem Recht und würden in Deutschland erfüllt.

29

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts lässt sich nach der aus den Urteilen vom 17. Dezember 1970, Manpower (35/70, EU:C:1970:120), und vom 10. Februar 2000, FTS (C‑202/97, EU:C:2000:75), hervorgehenden Rechtsprechung des Gerichtshofs keine Entscheidung für die eine oder die andere dieser Rechtsprechungslinien treffen. Insbesondere lasse sich nicht die Frage beantworten, ob im Hinblick auf die vom Gerichtshof in den Rn. 42 bis 45 des letztgenannten Urteils aufgestellten Kriterien die Beachtung der Regel, die in Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 aufgestellt und in Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 erläutert werde, wonach ein Arbeitgeber gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem er niedergelassen sei, ausüben müsse, voraussetze, dass das Leiharbeitsunternehmen einen nennenswerten Teil seiner Tätigkeiten der Überlassung von Leiharbeitnehmern für Unternehmen ausübe, die im Hoheitsgebiet desselben Mitgliedstaats, in dem dieses Unternehmen ansässig sei, niedergelassen oder tätig seien, oder ob es ausreiche, dass dieses Unternehmen in diesem Mitgliedstaat nur registriert sei und dort Arbeitsverträge im Hinblick auf die Überlassung dieser Arbeitnehmer an entleihende Unternehmen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig seien, abschließe.

30

Unter diesen Umständen hat der Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dahin auszulegen, dass, um annehmen zu können, dass ein Leiharbeitsunternehmen gewöhnlich in dem Mitgliedstaat tätig ist, in dem es niedergelassen ist, es einen nennenswerten Teil der Tätigkeit der Arbeitnehmerüberlassung für entleihende Unternehmen zu erbringen hat, die im selben Mitgliedstaat niedergelassen sind?

Zur Vorlagefrage

31

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dahin auszulegen ist, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Leiharbeitsunternehmen, um als in diesem Mitgliedstaat „gewöhnlich tätig“ im Sinne von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 angesehen werden zu können, einen nennenswerten Teil seiner Tätigkeit der Überlassung von Leiharbeitnehmern für Unternehmen, die in diesem Mitgliedstaat niedergelassen und tätig sind, ausüben muss.

32

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen des Titels II der Verordnung Nr. 883/2004, zu denen Art. 12 Abs. 1 dieser Verordnung gehört, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein vollständiges und einheitliches System von Kollisionsnormen bilden. Mit diesen Vorschriften sollen nicht nur die gleichzeitige Anwendung von Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden, sondern sie sollen auch verhindern, dass Personen, die in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, der Schutz auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorenthalten wird, weil keine nationalen Rechtsvorschriften auf sie anwendbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, AFMB u. a., C‑610/18, EU:C:2020:565, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Wenn eine Person in den in Art. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 definierten persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fällt, ist somit die in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 aufgestellte Regel der Einheitlichkeit grundsätzlich anwendbar, und die anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften bestimmen sich nach den Vorschriften des Titels II dieser Verordnung (Urteil vom 16. Juli 2020, AFMB u. a., C‑610/18, EU:C:2020:565, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Zu diesem Zweck stellt Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 den Grundsatz auf, dass eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt (Urteil vom 16. Juli 2020, AFMB u. a., C‑610/18, EU:C:2020:565, Rn 42).

35

Dieser Grundsatz gilt jedoch nur „[v]orbehaltlich der Artikel 12 bis 16“ der Verordnung Nr. 883/2004. In der Tat könnte die ausnahmslose Anwendung des in Art. 11 Abs. 3 Buchst. a dieser Verordnung aufgestellten allgemeinen Grundsatzes in bestimmten Sonderfällen sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber und die Sozialversicherungseinrichtungen zur Schaffung statt zur Vermeidung administrativer Schwierigkeiten führen, die eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit der Personen bewirken würden, die unter die genannte Verordnung fallen (Urteil vom 16. Juli 2020, AFMB u. a., C‑610/18, EU:C:2020:565, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Zu diesen Sonderfällen gehört u. a. derjenige, der von Art. 12 der Verordnung Nr. 883/2004 erfasst wird. Nach Art. 12 Abs. 1 unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, „der gewöhnlich dort tätig ist“, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 24 Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere entsandte Person ablöst.

37

Daher kann der entsandte Arbeitnehmer, dessen Arbeitgeber eine besondere Bindung zu dem Mitgliedstaat hat, in dem er niedergelassen ist, insoweit unter diese Bestimmung fallen, als dieser Arbeitgeber in diesem Mitgliedstaat „gewöhnlich … tätig ist“.

38

Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 stellt klar, dass unter diesen Begriffen ein Arbeitgeber zu verstehen ist, „der gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten [im] Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem das Unternehmen niedergelassen ist, ausübt“, und zwar „unter Berücksichtigung aller Kriterien, die die Tätigkeit des betreffenden Unternehmens kennzeichnen“, Kriterien, die „auf die Besonderheiten eines jeden Arbeitgebers und die Eigenart der ausgeübten Tätigkeiten abgestimmt sein [müssen]“.

39

In den Rn. 42 und 43 des Urteils vom 10. Februar 2000, FTS (C‑202/97, EU:C:2000:75), hat der Gerichtshof bei der Auslegung von Art. 14 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71, der durch Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 ersetzt worden ist, entschieden, dass nur ein Leiharbeitsunternehmen, das gewöhnlich nennenswerte Tätigkeiten in dem Mitgliedstaat ausübt, in dem es ansässig ist, die Sonderregelung des Art. 14 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 beanspruchen kann und dass, um dies festzustellen, der zuständige Träger in einer Gesamtschau die Kriterien, die die von diesem Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten kennzeichnen, zu würdigen hat. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass zu diesen Kriterien u. a. gehören: der Ort, an dem das Unternehmen seinen Sitz und seine Verwaltung hat, die Zahl der im Mitgliedstaat seiner Niederlassung bzw. in dem anderen Mitgliedstaat in der Verwaltung Beschäftigten, der Ort, an dem die entsandten Arbeitnehmer eingestellt werden, der Ort, an dem der Großteil der Verträge mit den Kunden geschlossen wird, das Recht, dem die Verträge unterliegen, die das Unternehmen mit seinen Arbeitnehmern bzw. mit seinen Kunden schließt, sowie der während eines hinreichend charakteristischen Zeitraums im jeweiligen Mitgliedstaat erzielte Umsatz. Dabei ist diese Auflistung nicht erschöpfend, da vom jeweiligen Einzelfall abhängt, welche Kriterien zu berücksichtigen sind.

40

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 54 und 55 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, erlauben es diese Kriterien jedoch nicht, die vom vorlegenden Gericht in der vorliegenden Rechtssache gestellte Frage genau zu beantworten.

41

Diese Kriterien wurden vom Gerichtshof nämlich, wie insbesondere aus den Rn. 11 und 15 des Urteils vom 10. Februar 2000, FTS (C‑202/97, EU:C:2000:75), hervorgeht, in einem anderen Kontext als dem des Ausgangsverfahrens aufgestellt, da die Rechtssache, in der jenes Urteil ergangen ist, ein Leiharbeitsunternehmen betraf, bei dem feststand, dass es Tätigkeiten der Arbeitnehmerüberlassung sowohl in dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig war, als auch in einem anderen Mitgliedstaat ausübte. Unter diesem Blickwinkel sollten die in Rn. 39 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien zur Bestimmung der im Bereich der sozialen Sicherheit anwendbaren Rechtsvorschriften den Mitgliedstaat identifizieren, zu dem dieses Unternehmen die engsten Bindungen unterhielt.

42

Aus den dem Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache vorliegenden Akten geht dagegen hervor, dass Team Power Europe Leiharbeitnehmer nur an entleihende Unternehmen überlässt, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie niedergelassen ist, ansässig sind. In diesem Kontext stellt sich die vorliegende Vorlagefrage, mit der ermittelt werden soll, welche Art von Tätigkeiten ein Leiharbeitsunternehmen in dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, in nennenswertem Umfang ausüben muss, um annehmen zu können, dass es in diesem Mitgliedstaat gewöhnlich „andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten“ im Sinne von Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 ausübt und mithin in den Anwendungsbereich von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 fällt.

43

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 6. Oktober 2020, Jobcenter Krefeld, C‑181/19, EU:C:2020:794, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Was erstens den Wortlaut von Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 betrifft, geht aus ihm hervor, dass, wie in Rn. 38 des vorliegenden Urteils ausgeführt, für die Feststellung, ob ein Unternehmen in dem Mitgliedstaat, in dem es niedergelassen ist, gewöhnlich „andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten“ ausübt, alle Kriterien, die die Tätigkeit des betreffenden Unternehmens kennzeichnen, zu berücksichtigen sind, wobei diese Kriterien auf die Besonderheiten eines jeden Arbeitgebers und die Eigenart der ausgeübten Tätigkeiten abgestimmt sein müssen.

45

Insoweit ist in Bezug auf ein Leiharbeitsunternehmen wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende zwischen allen Beteiligten, die am Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligt waren, unstreitig, dass ein solches Unternehmen dadurch gekennzeichnet ist, dass es eine Reihe von Tätigkeiten ausübt, die in der Auswahl, der Einstellung und der Überlassung von Leiharbeitnehmern an entleihende Unternehmen bestehen.

46

Es ist klarzustellen, dass diese Tätigkeiten, insbesondere diejenigen, die die Auswahl und die Einstellung von Leiharbeitnehmern betreffen, nicht als „reine interne Verwaltungstätigkeiten“ im Sinne von Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 eingestuft werden können. Dieser Begriff erfasst nämlich nur Tätigkeiten rein administrativer Art, die das interne Funktionieren des Unternehmens sicherstellen sollen.

47

Nach dieser Präzisierung ist zu ermitteln, ob es genügt, dass ein Leiharbeitsunternehmen in dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, in nennenswertem Umfang Tätigkeiten der Auswahl und der Einstellung von Leiharbeitnehmern nachgeht, damit es in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt, oder ob es in diesem Mitgliedstaat auch in nennenswertem Umfang Tätigkeiten der Arbeitnehmerüberlassung ausüben muss.

48

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass zwar die Tätigkeiten der Auswahl und der Einstellung von Leiharbeitnehmern für die Leiharbeitsunternehmen von gewisser Bedeutung sind, dass ihr einziger Zweck aber in der späteren Überlassung solcher Arbeitnehmer an entleihende Unternehmen besteht.

49

Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass zwar die Auswahl und die Einstellung von Leiharbeitnehmern dazu beitragen, den von einem Leiharbeitsunternehmen erzielten Umsatz zu generieren, da diese Tätigkeiten eine unerlässliche Voraussetzung für die spätere Überlassung solcher Arbeitskräfte sind, dass aber nur die Überlassung dieser Arbeitnehmer an entleihende Unternehmen in Erfüllung der zu diesem Zweck mit diesen Unternehmen geschlossenen Verträge diesen Umsatz tatsächlich erwirtschaftet. Wie Team Power Europe in ihren schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, hängen die Einkünfte eines solchen Unternehmens nämlich von der Höhe der Vergütung ab, die den Leiharbeitnehmern, die entleihenden Unternehmen überlassen wurden, gezahlt wird.

50

Daraus folgt, dass ein Leiharbeitsunternehmen, das wie Team Power Europe seine Tätigkeit der Auswahl und der Einstellung von Leiharbeitnehmern in dem Mitgliedstaat ausübt, in dem es niedergelassen ist, nur dann in diesem Mitgliedstaat „nennenswerte Tätigkeiten“ im Sinne von Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 ausübt, wenn es dort auch in nennenswertem Umfang Tätigkeiten ausübt, die in der Überlassung dieser Arbeitnehmer an entleihende Unternehmen bestehen, die in diesem Mitgliedstaat ansässig und dort tätig sind.

51

Zweitens wird diese Auslegung durch den Zusammenhang bestätigt, in dem Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 steht.

52

Diese Bestimmung ist nämlich, da mit ihr die Tragweite von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 präzisiert werden soll, der eine Ausnahme von der allgemeinen Regel des Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 darstellt, eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2018, Alpenrind u. a., C‑527/16, EU:C:2018:669, Rn. 95).

53

Unter diesen Umständen kann diese Ausnahme nicht auf ein Leiharbeitsunternehmen angewandt werden, das, obschon es in dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, Tätigkeiten der Auswahl und der Einstellung von Leiharbeitnehmern wahrnimmt, in diesem Staat in keiner oder allenfalls in zu vernachlässigender Weise diese Arbeitnehmer an ebenfalls dort ansässige entleihende Unternehmen überlässt. Denn die Anwendung dieser Ausnahme auf ein solches Leiharbeitsunternehmen hätte zur Folge, dass die von diesem Unternehmen ausgewählten und eingestellten Arbeitnehmer, die ihre Tätigkeiten hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Niederlassung dieses Unternehmens ausüben, in den Anwendungsbereich dieser Ausnahme fielen, obwohl sie nur auf Fälle Anwendung finden soll, in denen ein Arbeitnehmer für einen begrenzten Zeitraum seine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat als dem ausübt, in dem sein Arbeitgeber gewöhnlich tätig ist.

54

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2008/104, die speziell die Leiharbeit betrifft, in ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. b das „Leiharbeitsunternehmen“ als eine natürliche oder juristische Person definiert, die nach einzelstaatlichem Recht mit Leiharbeitnehmern Arbeitsverträge schließt oder Beschäftigungsverhältnisse eingeht, „um“ sie entleihenden Unternehmen zu überlassen, damit sie dort unter deren Aufsicht und Leitung vorübergehend arbeiten.

55

Art. 3 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie definiert den „Leiharbeitnehmer“ als einen Arbeitnehmer, der mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen hat oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist, um einem entleihenden Unternehmen überlassen zu werden und dort unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten.

56

Da diese Definitionen den Zweck der Tätigkeit eines Leiharbeitsunternehmens zum Ausdruck bringen, der darin besteht, Leiharbeitnehmer an entleihende Unternehmen zu überlassen, stützen sie auch die Auslegung, dass bei einem solchen Unternehmen nur dann angenommen werden kann, dass es in dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, „nennenswerte Tätigkeiten“ im Sinne von Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 ausübt, wenn es dort in nennenswertem Umfang Tätigkeiten der Überlassung dieser Arbeitnehmer für im selben Mitgliedstaat tätige entleihende Unternehmen ausübt.

57

Die vorstehende Auslegung wird drittens durch das Ziel bestätigt, das sowohl mit Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 als auch mit der Unionsregelung, zu der diese Bestimmung gehört, verfolgt wird.

58

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 883/2004, deren Durchführungsmodalitäten die Verordnung Nr. 987/2009 regelt, wie aus ihren Erwägungsgründen 1 und 45 sowie Art. 42 EG (jetzt Art. 48 AEUV), auf dessen Grundlage sie u. a. erlassen wurde, hervorgeht, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Europäischen Union unter Berücksichtigung der Eigenheiten der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit sicherstellen und die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit in den Mitgliedstaaten koordinieren soll, um die tatsächliche Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu gewährleisten und damit zur Verbesserung des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen der Personen beizutragen, die innerhalb der Union zu- und abwandern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, AFMB u. a., C‑610/18, EU:C:2020:565, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59

Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004, dessen Anwendungsbereich durch Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 präzisiert wird, wenn er u. a. den Zweck hat, den in den Art. 56 bis 62 AEUV verbürgten freien Dienstleistungsverkehr zugunsten von Unternehmen zu fördern, die von dieser Regelung Gebrauch machen, indem sie Arbeitnehmer in andere Mitgliedstaaten als den ihrer Niederlassung entsenden, bildet, wie sich aus den Rn. 34 bis 36 des vorliegenden Urteils ergibt, ebenfalls einen Bestandteil des in der vorstehenden Randnummer genannten Ziels, da er eine Ausnahme von der Regel des Beschäftigungsmitgliedstaats nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 vorsieht, damit sich möglicherweise aus der Anwendung der letztgenannten Regel ergebende Komplikationen vermieden und Hindernisse, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beeinträchtigen könnten, überwunden werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2018, Walltopia, C‑451/17, EU:C:2018:861, Rn. 37 und 38 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

60

Um zu vermeiden, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen seine normalerweise den Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit dieses Staates unterliegenden Arbeitnehmer beim Träger der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats anmelden muss, in den sie zur Verrichtung von Arbeiten von begrenzter Dauer entsandt werden, gestattet Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 es dem Unternehmen insbesondere, die Zugehörigkeit seiner Arbeitnehmer zum Träger des erstgenannten Mitgliedstaats beizubehalten (vgl. Urteil vom 25. Oktober 2018, Walltopia, C‑451/17, EU:C:2018:861, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61

Indem der Unionsgesetzgeber eine solche Ausnahme vorgesehen hat, hat er den Unternehmen, die von der im AEU-Vertrag garantierten Dienstleistungsfreiheit Gebrauch machen, einen Vorteil im Bereich der sozialen Sicherheit geboten, der sich nicht aus der bloßen Ausübung dieser Freiheit ergibt.

62

Würde den Leiharbeitsunternehmen, die von der Dienstleistungsfreiheit Gebrauch machen, gestattet, diesen Vorteil zu beanspruchen, wenn sie ihre Tätigkeiten der Überlassung von Leiharbeitnehmern ausschließlich oder hauptsächlich auf einen oder mehrere andere Mitgliedstaaten als den ihrer Niederlassung ausrichten, könnte für diese Unternehmen ein Anreiz dazu geschaffen werden, den Mitgliedstaat zu wählen, in dem sie sich wegen dessen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit einzig zu dem Zweck, die für sie in diesem Bereich günstigsten Rechtsvorschriften in Anspruch nehmen zu können, niederlassen wollen, und damit ein „forum shopping“ ermöglicht werden.

63

Zwar wird mit der Verordnung Nr. 883/2004 lediglich ein System zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der sozialen Sicherheit eingeführt und keine Harmonisierung dieser Rechtsvorschriften vorgenommen. Einem solchen System ist inhärent, dass weiterhin Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten u. a. hinsichtlich der Höhe der für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge bestehen (Urteil vom 16. Juli 2020, AFMB u. a., C‑610/18, EU:C:2020:565, Rn. 68 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

64

Das mit dieser Verordnung verfolgte Ziel, das darin besteht, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie im Fall der Entsendung von Arbeitnehmern den freien Dienstleistungsverkehr dadurch zu fördern, dass den von dieser Freiheit Gebrauch machenden Unternehmen im Bereich der sozialen Sicherheit ein Vorteil gewährt wird, könnte jedoch beeinträchtigt werden, wenn die Auslegung von Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 darauf hinausliefe, es diesen Unternehmen zu erleichtern, von der einschlägigen Unionsregelung einzig zu dem Zweck Gebrauch machen zu können, um Vorteile aus den bestehenden Unterschieden zwischen den nationalen Systemen der sozialen Sicherheit zu ziehen. Insbesondere könnte ein solcher Gebrauch dieser Regelung die Sozialversicherungssysteme der Mitgliedstaaten und letztlich möglicherweise auch das von diesen Systemen gebotene Schutzniveau unter einen Abwärtsdruck setzen.

65

Im Übrigen würde, wenn den Leiharbeitsunternehmen gestattet würde, die zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede auszunutzen, eine Auslegung von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 und von Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 in dem Sinne, dass die von diesen Unternehmen eingestellten Leiharbeitnehmer weiterhin dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats der Niederlassung dieser Unternehmen angeschlossen sind, obwohl sie keine nennenswerte Tätigkeit der Überlassung dieser Arbeitnehmer an die dort ebenfalls tätigen entleihenden Unternehmen ausüben, dazu führen, dass unter den verschiedenen möglichen Beschäftigungsmodalitäten gegenüber denjenigen Unternehmen, die ihre Arbeitnehmer direkt einstellen, die dem Sozialversicherungssystem in dem Mitgliedstaat, in dem sie arbeiten, angeschlossen würden, eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten der Inanspruchnahme von Leiharbeit einträte.

66

Daraus folgt, dass ein Leiharbeitsunternehmen, das seine Tätigkeit der Überlassung von Leiharbeitnehmern ausschließlich oder hauptsächlich an entleihende Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem es ansässig ist, ausübt, zwar berechtigt ist, sich selbst auf die vom AEU-Vertrag verbürgte Dienstleistungsfreiheit zu berufen, ein solches Unternehmen aber nicht in den Genuss des Vorteils kommen kann, den Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 im Bereich der sozialen Sicherheit gewährt, der darin besteht, dass diese Arbeitnehmer weiterhin dem System des Mitgliedstaats zugehörig bleiben, in dem das Unternehmen ansässig ist. Dieser Vorteil ist dabei davon abhängig, dass dieses Unternehmen einen nennenswerten Teil seiner Tätigkeit der Arbeitnehmerüberlassung für entleihende Unternehmen ausübt, die im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem es selbst niedergelassen ist, ansässig und tätig sind.

67

Folglich reichen die von einem Leiharbeitsunternehmen ausgeübten Tätigkeiten der Auswahl und der Einstellung von Leiharbeitnehmern, selbst wenn sie nennenswert sind, in dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, als solche nicht aus, um annehmen zu können, dass ein solches Unternehmen im Sinne von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004, wie dieser durch Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 präzisiert wird, „gewöhnlich [in diesem Mitgliedstaat] tätig ist“ und sich auf die in der ersten dieser beiden Bestimmungen enthaltene Ausnahme berufen könnte.

68

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dahin auszulegen ist, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Leiharbeitsunternehmen, um als in diesem Mitgliedstaat „gewöhnlich tätig“ im Sinne von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 angesehen werden zu können, einen nennenswerten Teil seiner Tätigkeit der Überlassung von Leiharbeitnehmern für Unternehmen, die in diesem Mitgliedstaat niedergelassen und tätig sind, ausüben muss.

Kosten

69

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 14 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Leiharbeitsunternehmen, um als in diesem Mitgliedstaat „gewöhnlich tätig“ im Sinne von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 geänderten Fassung angesehen werden zu können, einen nennenswerten Teil seiner Tätigkeit der Überlassung von Leiharbeitnehmern für Unternehmen, die in diesem Mitgliedstaat niedergelassen und tätig sind, ausüben muss.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Bulgarisch.