URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

12. Mai 2021 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Gleichbehandlung – Soziale Vergünstigungen – Obergrenzen in Bezug auf die Mittel – Berücksichtigung der im vorletzten Jahr vor dem Zeitraum der Zahlung von Leistungen erzielten Mittel – Arbeitnehmer, der in seinen Herkunftsmitgliedstaat zurückkehrt – Verringerung der Kindergeldansprüche“

In der Rechtssache C‑27/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal de grande instance de Rennes (Regionalgericht Rennes, Frankreich) mit Entscheidung vom 7. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Januar 2020, in dem Verfahren

PF,

QG

gegen

Caisse d’allocations familiales (CAF) d’Ille‑et‑Vilaine

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Wahl, des Richters F. Biltgen (Berichterstatter) und der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von PF und QG, die sich selbst vertreten,

der französischen Regierung, vertreten durch E. de Moustier und A. Ferrand als Bevollmächtigte,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und J. Pavliš als Bevollmächtigte,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von A. Giordano, avvocato dello Stato,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 20 und 45 AEUV, des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, Berichtigung ABl. 2004, L 200, S. 1) sowie des Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Eheleuten PF und QG, die die französische Staatsangehörigkeit besitzen, und der Caisse d’allocations familiales (CAF) d’Ille‑et‑Vilaine (Familienkasse Ille‑et‑Vilaine, Frankreich) über die Bestimmung des Bezugskalenderjahrs für die Zwecke der Beurteilung ihres Anspruchs auf Kindergeld und der Berechnung der Höhe des Kindergelds.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 883/2004

3

Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 gilt diese „für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats … mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen“.

4

Art. 4 dieser Verordnung bestimmt:

„Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.“

Verordnung Nr. 492/2011

5

Art. 7 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 492/2011 sieht vor:

„(1)   Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

(2)   Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.“

Französisches Recht

6

Gemäß Art. L. 521-1 des Code de la sécurité sociale (Sozialgesetzbuch) wird Kindergeld ab dem zweiten unterhaltsberechtigten Kind gezahlt. Die Höhe des Kindergelds richtet sich nach der Zahl der unterhaltsberechtigten Kinder und den Mitteln des Haushalts.

7

Was die Berechnung der Ansprüche im Hinblick auf die Gewährung des Kindergelds angeht, bestimmt Art. R 532-3 des Code de la sécurité sociale, dass „die Mittel [berücksichtigt werden], die während des Bezugskalenderjahrs erzielt werden“, und dass „[d]as Bezugskalenderjahr … das vorletzte Jahr vor dem Zahlungszeitraum [ist]“.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

8

Die Eheleute PF und QG, die die französische Staatsangehörigkeit besitzen, gaben in den Jahren 2011 und 2012 ein zu versteuerndes Einkommen von 59734 Euro bzw. 63680 Euro an. Da sie vier minderjährige unterhaltsberechtigte Kinder hatten, erhielten sie Kindergeld in Höhe von monatlich insgesamt 458,02 Euro.

9

Die Zahlung dieser Leistung wurde infolge der Abordnung von QG, einem Richter der französischen ordentlichen Gerichtsbarkeit, an den Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg für einen Zeitraum von drei Jahren unterbrochen. Aufgrund seiner neuen Stelle erhöhte sich das jährliche Einkommen von QG auf 123609 Euro im Jahr 2015 und 132499 Euro im Jahr 2016.

10

Nachdem QG nach Frankreich zurückgekehrt war und ab September 2017 auf seiner ursprünglichen Stelle wiederverwendet wurde, womit ein wesentlich niedrigeres Einkommen einherging, stellten die Kläger des Ausgangsverfahrens am 1. Dezember 2017 bei der CAF d’Ille‑et‑Vilaine einen Antrag auf Kindergeld, wobei sie geltend machten, dass die zu berücksichtigenden Einkünfte die Einkünfte des Haushalts zum Zeitpunkt dieses Antrags sein müssten und dass Art. R 532-3 des Code de la sécurité sociale, wonach das Bezugskalenderjahr das vorletzte Jahr vor dem Zahlungszeitraum sei, d. h. im vorliegenden Fall das Jahr 2015, unangewendet bleiben müsse.

11

Mit Bescheid vom 24. Januar 2018 teilte die CAF d’Ille‑et‑Vilaine ihnen mit, dass sich der monatliche Kindergeldbetrag auf 115,65 Euro belaufe.

12

Die Kläger des Ausgangsverfahrens legten gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, der zurückgewiesen wurde.

13

Sie erhoben beim vorlegenden Gericht Klage, mit der sie die Aufhebung des genannten Bescheids und die Festsetzung des zu zahlenden monatlichen Kindergelds auf einen Betrag von 462,62 Euro beantragten, der den derzeitigen Einkünften und der Zahl der unterhaltsberechtigten Kinder Rechnung trage.

14

Nach Ansicht der Kläger des Ausgangsverfahrens hat die CAF d’Ille‑et‑Vilaine weder die Art. 20 und 45 AEUV noch Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 und Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 beachtet. Außerdem verstoße Art. R 532-3 des Code de la sécurité sociale gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und sei daher offensichtlich rechtswidrig.

15

Das vorlegende Gericht weist zunächst darauf hin, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß Art. 45 AEUV die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen umfasse.

16

Es fragt sich sodann, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung diskriminierend ist und, wenn ja, ob sie aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein kann. Es wäre nämlich mit dem Unionsrecht unvereinbar, wenn ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats sei, nach seiner Rückkehr in diesen Mitgliedstaat eine weniger günstige Behandlung erfahren würde, als wenn er von den durch den Vertrag auf dem Gebiet der Freizügigkeit gewährten Erleichterungen keinen Gebrauch gemacht hätte.

17

Unter diesen Umständen hat das Tribunal de grande instance Rennes (Regionalgericht Rennes) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Muss das Unionsrecht, insbesondere die Art. 20 und 45 AEUV sowie Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 und Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011, dahin ausgelegt werden, dass es einer nationalen Vorschrift wie Art. R 532-3 des Code de la sécurité sociale entgegensteht, die als Bezugskalenderjahr für die Berechnung von Familienleistungen das vorletzte Jahr vor dem Zahlungszeitraum bestimmt und deren Anwendung in einer Situation, in der die Einkünfte des Leistungsberechtigten nach einer wesentlichen Erhöhung in einem anderen Mitgliedstaat bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat sinken, dazu führt, dass diesem Leistungsberechtigten im Unterschied zu ansässigen Personen, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht ausgeübt haben, der Anspruch auf Kindergeld teilweise verwehrt ist?

Zur Vorlagefrage

18

Zunächst ist zu klären, ob sämtliche in der Vorlageentscheidung genannten Bestimmungen auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar sind, bei dem es um die Abordnung eines nationalen Beamten zu einem Organ der Europäischen Union geht.

19

Hinsichtlich der Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ergibt sich aus einer ständigen Rechtsprechung, dass ein Unionsangehöriger, der in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Herkunftsmitgliedstaat arbeitet und eine Stelle in einer internationalen Organisation angenommen hat, in den Anwendungsbereich von Art. 45 AEUV fällt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. März 1989, Echternach und Moritz, 389/87 und 390/87, EU:C:1989:130, Rn. 11, vom 6. Oktober 2016, Adrien u. a., C‑466/15, EU:C:2016:749, Rn. 24, und vom 31. Mai 2017, U, C‑420/15, EU:C:2017:408, Rn. 13).

20

Daraus folgt, dass einem Unionsangehörigen, der für ein Organ oder eine Einrichtung der Union in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Herkunftsmitgliedstaat arbeitet, die ihm durch Art. 45 AEUV gewährten Rechte und sozialen Vergünstigungen nicht versagt werden dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. März 1989, Echternach und Moritz, 389/87 und 390/87, EU:C:1989:130, Rn. 12, und vom 6. Oktober 2016, Adrien u. a., C‑466/15, EU:C:2016:749, Rn. 25).

21

Zu Art. 20 AEUV ist festzustellen, dass dieser Artikel zwar die Unionsbürgerschaft einführt, aber lediglich vorsieht, dass die Unionsbürger die im Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten haben. Er kann daher neben den besonderen Bestimmungen des Vertrags über die Rechte und Pflichten der Unionsbürger, wie insbesondere Art. 45 AEUV, keine selbständige Anwendung finden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 2004, My, C‑293/03, EU:C:2004:821, Rn. 32, und vom 31. Mai 2017, U, C‑420/15, EU:C:2017:408, Rn. 17).

22

Folglich ist die Auslegung von Art. 20 AEUV für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht relevant.

23

Ebenso wenig kommt es auf die Auslegung der Bestimmungen über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit an. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs können die Beamten der Union nämlich nicht als „Arbeitnehmer“ im Sinne der Verordnung Nr. 883/2004 angesehen werden, weil sie nicht nationalen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit unterliegen, wie es Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung verlangt, der deren persönlichen Geltungsbereich bestimmt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Oktober 2000, Ferlini, C‑411/98, EU:C:2000:530, Rn. 41, und vom 16. Dezember 2004, My, C‑293/03, EU:C:2004:821, Rn. 35).

24

Zu Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 ist darauf hinzuweisen, dass er nur die besondere Ausprägung des in Art. 45 Abs. 2 AEUV verankerten Diskriminierungsverbots auf dem speziellen Gebiet der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen darstellt und daher ebenso auszulegen ist wie Art. 45 Abs. 2 AEUV (Urteile vom 23. Februar 2006, Kommission/Spanien, C‑205/04, nicht veröffentlicht, EU:C:2006:137, Rn. 15, und vom 13. März 2019, Gemeinsamer Betriebsrat EurothermenResort Bad Schallerbach, C‑437/17, EU:C:2019:193, Rn. 16)

25

Der Umstand, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Arbeitnehmer bei einem Organ der Union beschäftigt ist, ist insoweit nicht ausschlaggebend, da das mit Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 verfolgte Ziel der Gleichbehandlung gerade darauf abzielt, auf Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, alle sozialen Vergünstigungen zu erstrecken, die – ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht – den inländischen Arbeitnehmern im Allgemeinen gewährt werden, und zwar hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnorts im Inland (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2019, Generálny riaditeľ Sociálnej poisťovne Bratislava u. a., C‑447/18, EU:C:2019:1098, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

In Anbetracht dieser Erwägungen und um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist davon auszugehen, dass sich die Vorlagefrage ausschließlich auf die Auslegung von Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 bezieht.

27

Somit möchte das vorlegende Gericht mit dieser Frage im Wesentlichen wissen, ob Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die als Bezugsjahr für die Berechnung der zu gewährenden Familienleistungen das vorletzte Jahr vor dem Zahlungszeitraum bestimmt, so dass im Fall einer erheblichen Steigerung der Einkünfte eines nationalen Beamten bei einer Abordnung zu einem Organ der Union, das seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, der Betrag des Kindergelds bei der Rückkehr dieses Beamten in seinen Herkunftsmitgliedstaat zwei Jahre lang stark verringert ist.

28

Was das Vorliegen einer etwaigen Diskriminierung betrifft, die gegen Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 492/2011 verstößt, ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung, die die Höhe des zu zahlenden Kindergelds nach der Höhe der vom Arbeitnehmer im Bezugskalenderjahr – das als das vorletzte Jahr vor dem Zahlungszeitraum definiert ist – erzielten Einkünfte festlegt, unterschiedslos für alle Arbeitnehmer gilt, unabhängig davon, welche Staatsangehörigkeit sie besitzen, so dass sie keine unmittelbar auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung schaffen kann.

29

Außerdem geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten nicht hervor, dass das vorlegende Gericht der Ansicht wäre, dass diese Regelung eine mittelbare Diskriminierung bewirken könnte, da sie Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, ungünstiger behandeln könnte als inländische Arbeitnehmer.

30

Hinsichtlich der Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung eine durch Art. 45 Abs. 1 AEUV verbotene Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union darstellt, ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung jeder Maßnahme entgegensteht, die, auch wenn sie ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes gilt, geeignet ist, die Ausübung der durch den AEU-Vertrag garantierten Grundfreiheiten durch die Unionsangehörigen zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C‑212/06, EU:C:2008:178, Rn. 45, und vom 6. Oktober 2016, Adrien u. a., C‑466/15, EU:C:2016:749, Rn. 26).

31

Nach ständiger Rechtsprechung soll Art. 45 AEUV den Unionsbürgern die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im gesamten Gebiet der Union erleichtern und steht nationalen Maßnahmen entgegen, die die Unionsbürger benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen (Urteile vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C‑212/06, EU:C:2008:178, Rn. 44, vom 21. Januar 2016, Kommission/Zypern, C‑515/14, EU:C:2016:30, Rn. 39, und vom 7. März 2018, DW, C‑651/16, EU:C:2018:162, Rn. 21).

32

Mit Art. 45 AEUV soll somit insbesondere verhindert werden, dass ein Arbeitnehmer, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und in mehr als einem Mitgliedstaat beschäftigt war, ohne objektiven Grund schlechter gestellt wird als ein Arbeitnehmer, der seine gesamte berufliche Laufbahn in einem einzigen Mitgliedstaat zurückgelegt hat (vgl. u. a. Urteile vom 7. März 1991, Masgio, C‑10/90, EU:C:1991:107, Rn. 17, vom 21. Januar 2016, Kommission/Zypern, C‑515/14, EU:C:2016:30, Rn. 42, und vom 7. März 2018, DW, C‑651/16, EU:C:2018:162, Rn. 23).

33

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Empfänger von Kindergeld, die vom Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, nicht ungünstiger behandelt werden als die Empfänger solcher Leistungen, die von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht haben.

34

Nach einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden werden nämlich auf einen Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und dessen Einkünfte bei seinem Umzug in einen anderen Mitgliedstaat Änderungen, nach oben oder nach unten, unterlegen haben, die gleichen auf die im Bezugszeitraum erzielten Einkünften abstellenden Modalitäten für die Berechnung des Kindergelds angewendet wie auf einen Arbeitnehmer, der seinen Herkunftsmitgliedstaat nicht verlassen hat, dessen Einkünfte aber denselben Änderungen unterlegen haben.

35

So wurden im Fall der Kläger des Ausgangsverfahrens bei der Berechnung des infolge ihrer Rückkehr in den Herkunftsmitgliedstaat geringer ausfallenden Kindergeldbetrags die während ihres Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat erzielten höheren Einkünfte ebenso berücksichtigt, wie eine ähnliche Erhöhung der Einkünfte eines Arbeitnehmers, der von seinem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, zu einer ähnlichen Verringerung dieser Leistungen geführt hätte.

36

Daher hat nicht die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit als solche für die Kläger des Ausgangsverfahrens zu einer Verringerung des zu zahlenden Kindergeldbetrags geführt, sondern der Umstand, dass die Einkünfte, die sie während ihres Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat bezogen haben, höher waren als die vor oder nach diesem Aufenthalt erzielten.

37

Die Kläger des Ausgangsverfahrens erklären zwar, dass sie die Zuständigkeit ihres Herkunftsmitgliedstaats für die Ausgestaltung seines Systems der sozialen Sicherheit durch den Erlass u. a. der Modalitäten für die Bestimmung der zu gewährenden Leistungen nicht in Frage stellten, machen aber geltend, dass ein Haushalt, dessen Mittel sich in ähnlicher Weise wie bei ihnen erhöht hätten, während er im Gebiet des Herkunftsmitgliedstaats geblieben sei, während zwei Jahren weiter höheres Kindergeld bezogen hätte, obwohl die laufenden Einkünfte die in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung festgelegte Einkommensobergrenze überschritten hätten, und dass das Kindergeld erst ab dem dritten Jahr verringert worden wäre.

38

Mit dem Argument, dass die Situation eines solchen Haushalts trotz der zeitlich versetzten Berücksichtigung der tatsächlichen Entwicklung seiner Mittel völlig neutral gewesen wäre, beanstanden die Kläger des Ausgangsverfahrens in Wirklichkeit nicht die Modalitäten der Bestimmung der Höhe des Kindergelds, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie nicht im Hinblick auf einen etwaigen Ausgleich im Fall der Rückkehr während ihres Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat weiterhin das erhöhte Kindergeld hätten erhalten können.

39

Das Primärrecht kann einem Versicherten jedoch nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat als seinen Herkunftsmitgliedstaat im Hinblick auf die soziale Sicherheit, insbesondere in Bezug auf Leistungen bei Krankheit oder Altersrenten oder sogar Kindergeld, neutral ist. Der Umzug eines Arbeitnehmers in einen anderen Mitgliedstaat kann nämlich je nach Einzelfall aufgrund der Unterschiede, die zwischen den Systemen und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, für die betreffende Person Vorteile oder Nachteile im Bereich des sozialen Schutzes haben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Oktober 2016, Adrien u. a., C‑466/15, EU:C:2016:749, Rn. 27, und vom 18. Juli 2017, Erzberger, C‑566/15, EU:C:2017:562, Rn. 34)

40

Folglich kann der Umstand, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens während ihres Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat kein Kindergeld ihres Herkunftsmitgliedstaats beziehen konnten und dass das im Fall der Rückkehr in diesen Staat gezahlte Kindergeld zwei Jahre lang nicht ihren in diesem Zeitraum erzielten Einkünften entspricht, keine gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und insbesondere gegen Art. 45 AEUV verstoßende ungünstigere Behandlung darstellen.

41

Das Gleiche gilt für Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011, da diese Bestimmung, wie in Rn. 24 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ebenso auszulegen ist wie Art. 45 AEUV.

42

Was im Übrigen das Vorbringen der Kläger des Ausgangsverfahrens betrifft, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung könne die Entscheidung eines die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzenden Arbeitnehmers, in einen anderen Mitgliedstaat zu ziehen, um dort zu arbeiten und höhere Einkünfte zu erzielen, beeinflussen, da er bei seiner Rückkehr in den Herkunftsmitgliedstaat durch die Zahlung von erheblich verringertem Kindergeld benachteiligt werde, ist darauf hinzuweisen, dass die Gründe, aus denen sich ein Wanderarbeitnehmer dafür entscheidet, von seinem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Union Gebrauch zu machen, bei der Beurteilung des diskriminierenden Charakters einer nationalen Vorschrift nicht berücksichtigt werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Dezember 2013, Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken, C‑514/12, EU:C:2013:799, Rn. 33).

43

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die als Bezugsjahr für die Berechnung der zu gewährenden Familienleistungen das vorletzte Jahr vor dem Zahlungszeitraum bestimmt, so dass im Fall einer erheblichen Steigerung der Einkünfte eines nationalen Beamten bei einer Abordnung zu einem Organ der Union, das seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, der Betrag des Kindergelds bei der Rückkehr dieses Beamten in seinen Herkunftsmitgliedstaat zwei Jahre lang stark verringert ist.

Kosten

44

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die als Bezugsjahr für die Berechnung der zu gewährenden Familienleistungen das vorletzte Jahr vor dem Zahlungszeitraum bestimmt, so dass im Fall einer erheblichen Steigerung der Einkünfte eines nationalen Beamten bei einer Abordnung zu einem Organ der Union, das seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, der Betrag des Kindergelds bei der Rückkehr dieses Beamten in seinen Herkunftsmitgliedstaat zwei Jahre lang stark verringert ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.