SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 15. April 2021 ( 1 )

Rechtssache C‑927/19

UAB Klaipėdos regiono atliekų tvarkymo centras,

Beteiligte:

UAB Ecoservice Klaipėda,

UAB Klaipėzwei Busparkas,

UAB Parsekas,

UAB Klaipėdos transportas

(Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos Aukščiausiasis Teismas [Oberster Gerichtshof, Litauen])

„Vorabentscheidungsverfahren – Öffentliche Aufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Art. 21, 50 und 55 – Vertraulichkeit – Zuständigkeit des öffentlichen Auftraggebers – Richtlinie (EU) 2016/943 – Anwendbarkeit – Richtlinie 89/665/EWG – Art. 1 und 2 – Wirkungen des Rechtsbehelfs gegen die Vertraulichkeitserklärung – Begründung – Gegen den öffentlichen Auftraggeber gerichteter eigenständiger Rechtsbehelf – Gerichtliche Überprüfung – Umfang der richterlichen Befugnisse“

1.

Die Unterlagen, die im Rahmen eines Vergabeverfahrens bei den öffentlichen Auftraggebern eingereicht werden, können Geschäftsgeheimnisse und andere vertrauliche Daten enthalten, deren Offenlegung für ihre Inhaber nachteilig wäre.

2.

Insoweit konkurrieren zwei gegensätzliche Interessen:

zum einen die Interessen des Bieters, der mit seiner Teilnahme an einem Verfahren zur öffentlichen Auftragsvergabe nicht darauf verzichtet, vertrauliche Informationen so zu schützen, dass Dritte keinen unlauteren Vorteil aus fremden unternehmerischen Anstrengungen ziehen können;

zum anderen die Interessen jener Bieter, die in Ausübung ihres Rechts, die Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers anzufechten, für die Begründung ihres Rechtsbehelfs Zugang zu bestimmten Informationen erhalten wollen, die vom erfolgreichen Bieter übermittelt wurden und von ihm als vertraulich angesehen werden.

3.

Dieser Interessenkonflikt liegt dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zugrunde, in dem das vorlegende Gericht um Auslegung der Richtlinien 89/665/EWG ( 2 ), 2014/24/EU ( 3 ) und (EU) 2016/943 ( 4 ) ersucht.

I. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

1. Richtlinie 2014/24

4.

Art. 18 („Grundsätze der Auftragsvergabe“) sieht vor:

„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise und handeln transparent und verhältnismäßig.

…“

5.

Art. 21 („Vertraulichkeit“) bestimmt:

„(1)   Sofern in dieser Richtlinie oder im nationalen Recht, dem der öffentliche Auftraggeber unterliegt, insbesondere in den Rechtsvorschriften betreffend den Zugang zu Informationen, nichts anderes vorgesehen ist, und unbeschadet der Verpflichtungen zur Bekanntmachung vergebener Aufträge und der Unterrichtung der Bewerber und Bieter gemäß den Artikeln 50 und 55 gibt ein öffentlicher Auftraggeber keine ihm von den Wirtschaftsteilnehmern übermittelten und von diesen als vertraulich eingestuften Informationen weiter, wozu insbesondere technische und handelsbezogene Geschäftsgeheimnisse sowie die vertraulichen Aspekte der Angebote selbst gehören.

(2)   Öffentliche Auftraggeber können Wirtschaftsteilnehmern Anforderungen vorschreiben, die den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen bezwecken, die diese Auftraggeber im Rahmen des Vergabeverfahrens zur Verfügung stellen.“

6.

In Art. 50 („Vergabebekanntmachung“) heißt es:

„… Bestimmte Angaben über die Auftragsvergabe oder den Abschluss der Rahmenvereinbarungen müssen jedoch nicht veröffentlicht werden, wenn die Offenlegung dieser Angaben den Gesetzesvollzug behindern, dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, die berechtigten geschäftlichen Interessen eines besonderen öffentlichen oder privaten Wirtschaftsteilnehmers … schädigen oder den lauteren Wettbewerb zwischen Wirtschaftsteilnehmern beeinträchtigen würde.“

7.

Art. 55 („Unterrichtung der Bewerber und Bieter“) Abs. 3 lautet:

„(3)   Die öffentlichen Auftraggeber können beschließen, bestimmte in den Absätzen 1 und 2 genannte Angaben über die Zuschlagserteilung, den Abschluss von Rahmenvereinbarungen oder die Zulassung zu einem dynamischen Beschaffungssystem nicht mitzuteilen, wenn die Offenlegung dieser Angaben den Gesetzesvollzug behindern oder sonst dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, die berechtigten geschäftlichen Interessen eines bestimmten öffentlichen oder privaten Wirtschaftsteilnehmers schädigen oder den lauteren Wettbewerb zwischen Wirtschaftsteilnehmern beeinträchtigen würde.“

2. Richtlinie 89/665

8.

In Art. 1 („Anwendungsbereich und Zugang zu Nachprüfungsverfahren“) ( 5 ) heißt es:

„(1)   Diese Richtlinie gilt für Aufträge im Sinne der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, sofern diese Aufträge nicht gemäß den Artikeln 7, 8, 9, 10, 11, 12, 15, 16, 17 und 37 jener Richtlinie ausgeschlossen sind.

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU beziehungsweise der Richtlinie 2014/23/EU fallenden Aufträge oder Konzessionen die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f dieser Richtlinie auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, überprüft werden können.

(3)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.

(4)   Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass die Person, die ein Nachprüfungsverfahren anzustrengen beabsichtigt, den öffentlichen Auftraggeber über den behaupteten Verstoß und die beabsichtigte Nachprüfung unterrichtet, sofern die Stillhaltefrist nach Artikel 2a Absatz 2 oder andere Fristen für die Beantragung einer Nachprüfung nach Artikel 2c hiervon unberührt bleiben.

(5)   Die Mitgliedstaaten können auch verlangen, dass die betreffende Person zunächst bei dem öffentlichen Auftraggeber eine Nachprüfung beantragt. In diesem Fall tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Einreichung eines solchen Antrags einen unmittelbaren Suspensiveffekt auf den Vertragsschluss auslöst.

…“

9.

Art. 2 („Anforderungen an die Nachprüfungsverfahren“) legt fest:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit

b)

die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlasst werden kann;

…“

3. Richtlinie 2016/943

10.

Im 18. Erwägungsgrund heißt es:

„… Insbesondere sollte diese Richtlinie die Behörden nicht von ihrer Pflicht zur Geheimhaltung von Informationen, die ihnen von Inhabern von Geschäftsgeheimnissen übermittelt werden, entbinden, und zwar unabhängig davon, ob diese Pflichten in Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten festgelegt sind. Diese Geheimhaltungspflicht umfasst unter anderem die Pflichten im Zusammenhang mit Informationen, die öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge übermittelt werden, wie sie beispielsweise in der … Richtlinie 2014/24/EU … festgelegt sind.“

11.

Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) sieht vor:

„(2)   Diese Richtlinie berührt nicht

b)

die Anwendung von Vorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, nach denen die Inhaber von Geschäftsgeheimnissen verpflichtet sind, aus Gründen des öffentlichen Interesses Informationen, auch Geschäftsgeheimnisse, gegenüber der Öffentlichkeit oder den Verwaltungsbehörden oder den Gerichten offenzulegen, damit diese ihre Aufgaben wahrnehmen können,

c)

die Anwendung von Vorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, nach denen es den Organen und Einrichtungen der Union oder den nationalen Behörden vorgeschrieben oder gestattet ist, von Unternehmen vorgelegte Informationen offenzulegen, die diese Organe, Einrichtungen oder Behörden in Einhaltung der Pflichten und gemäß den Rechten, die im Unionsrecht oder im nationalen Recht niedergelegt sind, besitzen.

…“

B.   Litauisches Recht

1. Lietuvos Respublikos viešųjų pirkimų įstatymas (Gesetz der Republik Litauen über das öffentliche Auftragswesen, im Folgenden: Vergabegesetz)

12.

Art. 20 sieht vor:

„1.   Es ist dem öffentlichen Auftraggeber, dem Vergabeausschuss, dessen Mitgliedern und Sachverständigen sowie allen sonstigen Personen untersagt, Informationen, die von den Bietern als vertraulich eingereicht wurden, an Dritte weiterzugeben.

2.   Das Angebot des Bieters bzw. sein Antrag auf Teilnahme darf nicht in seiner Gesamtheit als vertraulich eingestuft werden; der Bieter kann jedoch angeben, dass bestimmte in seinem Angebot enthaltene Informationen vertraulich sind. Zu den vertraulichen Informationen können u. a. Geschäftsgeheimnisse (betreffend die Herstellung) und vertrauliche Teile des Angebots gehören. Informationen dürfen nicht als vertraulich eingestuft werden,

1)

wenn dies gegen gesetzliche Vorschriften, die eine Pflicht zur Offenlegung oder ein Recht auf Auskunft enthalten, oder gegen Durchführungsverordnungen zu diesen gesetzlichen Vorschriften verstoßen würde;

2)

wenn dies einen Verstoß gegen die in Art. 33 und 58 dieses Gesetzes festgelegten Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der abgeschlossenen Verträge, der Unterrichtung der Bewerber und Bieter, einschließlich der Unterrichtung über den Preis der in der Ausschreibung angegebenen Lieferungen, Dienst- oder Werkleistungen (jedoch ohne die wesentlichen Preisbildungselemente), darstellen würde;

3)

wenn diese Informationen in Dokumenten vorgelegt worden sind, die bescheinigen, dass beim Bieter keine Ausschlussgründe vorliegen, dass er die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und die Vorschriften über das Qualitätsmanagement und den Umweltschutz erfüllt; ausgenommen sind Informationen, deren Offenlegung die Bestimmungen des Gesetzes der Republik Litauen über den Schutz personenbezogener Daten oder die Verpflichtungen des Bieters aus mit Dritten geschlossenen Verträgen verletzen würde;

4)

wenn diese Informationen Wirtschaftsteilnehmer und Unterauftragnehmer betreffen, auf deren Kapazitäten der Bieter zurückgreift; dies gilt nicht für Informationen, deren Offenlegung gegen die Bestimmungen des Gesetzes über den Schutz personenbezogener Daten verstoßen würde.

3.   Hat der öffentliche Auftraggeber Zweifel an der Vertraulichkeit der im Angebot des Bieters enthaltenen Informationen, muss er diesen auffordern, nachzuweisen, aus welchem Grund die fraglichen Informationen vertraulich sind. …

4.   Spätestens sechs Monate nach Abschluss des Vertrages können interessierte Bieter beim öffentlichen Auftraggeber beantragen, dass dieser ihnen Zugang zum Angebot oder zur Bewerbung des erfolgreichen Bieters gewährt (Bewerber zu den Anträgen der anderen Bewerber, die zur Angebotsabgabe oder zur Teilnahme an einem Gespräch aufgefordert worden sind). Informationen, die von den Bewerbern oder Bietern ohne Verstoß gegen Abs. 2 dieses Artikels als vertraulich gekennzeichnet worden sind, dürfen jedoch nicht weitergegeben werden.“

13.

Art. 58 Abs. 3 bestimmt:

„3.   In den in Abs. 1 und 2 dieses Artikels genannten Fällen darf der öffentliche Auftraggeber keine Informationen zur Verfügung stellen, deren Offenlegung gegen die Vorschriften über die Weitergabe von Informationen und Datenschutz verstoßen oder dem Allgemeininteresse zuwiderlaufen würde, für die berechtigten Geschäftsinteressen eines bestimmten Bieters nachteilig wäre oder den Wettbewerb zwischen Bietern beeinträchtigen würde.“

2. Lietuvos Respublikos civilinio proceso kodeksas (Zivilprozessordnung der Republik Litauen)

14.

Art. 101 sieht vor:

„2.   Bestehen Gründe für die Annahme, dass möglicherweise ein Geschäftsgeheimnis offengelegt wird, bestimmt der Richter auf ordnungsgemäß begründeten Antrag der Parteien oder von Amts wegen durch mit Gründen versehenen Beschluss die Personen, die

1)

Zugang zu den Teilen des Vorgangs erhalten, in denen Informationen enthalten sind, die Geschäftsgeheimnisse darstellen oder darstellen können, und die Auszüge, Duplikate und Kopien (digitale Kopien) anfertigen und erhalten dürfen;

2)

an nicht öffentlichen Anhörungen teilnehmen dürfen, in denen Informationen, die Geschäftsgeheimnisse darstellen oder darstellen können, offengelegt werden können, und Zugang zu den Protokollen solcher Anhörungen erhalten dürfen;

3)

eine beglaubigte Kopie (digitale Kopie) eines Urteils oder Beschlusses erhalten dürfen, in dem Informationen enthalten sind, die Geschäftsgeheimnisse darstellen oder darstellen können.

4.   Bei der Anwendung der in Absatz 2 festgelegten Beschränkungen berücksichtigt das Gericht die Erfordernisse der Gewährleistung des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz und auf ein faires Verfahren, die berechtigten Interessen der Parteien und sonstigen Verfahrensbeteiligten sowie den Schaden, der aus der Anwendung oder Nichtanwendung dieser Beschränkungen entstehen kann.“

II. Sachverhalt, Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

15.

Am 27. September 2018 gab die UAB Klaipėdos regiono atliekų tvarkymo centras (im Folgenden: öffentliche Auftraggeberin) ein Vergabeverfahren für Dienstleistungen im Bereich der Sammlung von Siedlungsabfällen der Gemeinde Neringa (Litauen) und der Beförderung dieser Abfälle zu den Entsorgungsanlagen der örtlichen Deponie Klaipėda (Litauen) bekannt ( 6 ).

16.

Am 29. November 2018 wurde der Auftrag an das Konsortium von Wirtschaftsteilnehmern vergeben, das aus der UAB Klaipėdos autobusų parkas, der UAB Parsekas und der UAB Klaipėdos transportas bestand (im Folgenden: Konsortium). Die UAB Ecoservice Klaipėda (im Folgenden: Ecoservice) wurde an die zweite Rangstelle gesetzt.

17.

Am 4. Dezember 2018 beantragte Ecoservice bei der öffentlichen Auftraggeberin Zugang zu den im Angebot des Konsortiums enthaltenen Daten. Am 6. Dezember 2018 wurden ihr die nicht vertraulichen Informationen aus diesem Angebot zur Verfügung gestellt.

18.

Am 10. Dezember 2018 legte Ecoservice einen Rechtsbehelf bei der öffentlichen Auftraggeberin ein, mit dem sie das endgültige Ergebnis des Vergabeverfahrens mit der Begründung anfocht, das Konsortium erfülle nicht die Anforderungen der Ausschreibung ( 7 ). Die öffentliche Auftraggeberin wies den Rechtsbehelf am 17. Dezember 2018 zurück.

19.

Am 27. Dezember 2018 erhob Ecoservice beim Klaipėdos apygardos teismas (Regionalgericht Klaipėda, Litauen) Klage gegen die Entscheidung der öffentlichen Auftraggeberin. Mit der Klage forderte sie auch alle im Angebot des Konsortiums enthaltenen Informationen sowie den zwischen diesem und der öffentlichen Auftraggeberin geführten Schriftverkehr an.

20.

Nach Anhörung der öffentlichen Auftraggeberin, die dem Klagebegehren von Ecoservice entgegentrat, gab das Gericht ihr am 15. Januar 2019 auf, alle angeforderten Unterlagen mit Ausnahme ihrer Korrespondenz mit dem Konsortium einzureichen.

21.

Am 25. Januar 2019 übermittelte die öffentliche Auftraggeberin die im Angebot des Konsortiums enthaltenen vertraulichen und nicht vertraulichen Informationen. Sie beantragte jedoch, Ecoservice an der Kenntnisnahme von den vertraulichen Informationen zu hindern, womit das Gericht einverstanden war.

22.

Mit zwei späteren Anträgen verlangte Ecoservice beim Gericht den Zugang a) zu den als vertraulich eingestuften Informationen und b) zu den Angaben über die Abfallbewirtschaftungsverträge, die von einem der Unternehmen des Konsortiums geschlossen worden waren. Das Gericht wies beide Anträge mit entsprechenden Beschlüssen zurück, gegen die kein Rechtsmittel eingelegt werden konnte.

23.

Mit Urteil vom 15. März 2019 stellte das Gericht fest, dass das Konsortium die Anforderungen an die Qualifikation der Bieter erfüllt habe, und wies die Klage von Ecoservice ab.

24.

Ecoservice legte gegen dieses Urteil Berufung beim Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht, Litauen) ein, das am 30. Mai 2019 das Urteil sowie die Entscheidung der öffentlichen Auftraggeberin aufhob und dieser aufgab, eine erneute Bewertung der Angebote vorzunehmen.

25.

Die öffentliche Auftraggeberin hat daraufhin Revision beim Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof, Litauen) eingelegt, die sich ausschließlich gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Beurteilung der Frage der technischen Leistungsfähigkeit des Konsortiums richtet ( 8 ).

26.

Ecoservice hat am 26. Juli 2019, d. h., bevor sie ihre Revisionsbeantwortung eingereicht hat, Zugang zu den dem Gericht des ersten Rechtszugs vom Konsortium vorgelegten vertraulichen Schriftstücken „mit wirklich sensiblen Geschäftsinformationen, die geschwärzt wurden“, beantragt.

27.

Vor diesem Hintergrund legt der Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof, Litauen) dem Gerichtshof u. a. die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vor:

4.

Sind Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 89/665, der den Grundsatz der Wirksamkeit von Nachprüfungsverfahren festlegt, Art. 1 Abs. 3 und 5 dieser Richtlinie, Art. 21 der Richtlinie 2014/24 und die Richtlinie 2016/943, insbesondere ihr 18. Erwägungsgrund und ihr Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 3 (in Verbindung miteinander oder einzeln, aber ohne die Frage insoweit zu beschränken), dahin auszulegen, dass dann, wenn im nationalen Vergaberecht ein verbindliches vorprozessuales Streitbeilegungsverfahren vorgesehen ist,

a)

der öffentliche Auftraggeber dem Unternehmen, das das Nachprüfungsverfahren eingeleitet hat, alle Einzelheiten des Angebots eines anderen Unternehmens zur Verfügung zu stellen hat (unabhängig von ihrer Vertraulichkeit), wenn Gegenstand dieses Verfahrens gerade die Rechtmäßigkeit der Bewertung des Angebots des anderen Unternehmens ist und das Unternehmen, das das Nachprüfungsverfahren eingeleitet hat, den öffentlichen Auftraggeber vorher ausdrücklich zu ihrer Vorlage aufgefordert hat;

b)

ungeachtet der Antwort auf die vorstehende Frage der öffentliche Auftraggeber, wenn er den Rechtsbehelf des Unternehmens, mit dem die Rechtmäßigkeit der Bewertung des Angebots seines Wettbewerbers angefochten wird, zurückweist, unabhängig davon, ob die Gefahr besteht, dass vertrauliche Informationen über die ihm vorgelegten Angebote verbreitet werden, jedenfalls eine eindeutige, vollständige und konkrete Antwort geben muss?

5.

Sind Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3, Art. 1 Abs. 3 und 5 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/665, Art. 21 der Richtlinie 2014/24 und die Richtlinie 2016/943, insbesondere ihr 18. Erwägungsgrund (in Verbindung miteinander oder einzeln, aber ohne die Frage insoweit zu beschränken), dahin auszulegen, dass die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, einem Unternehmen keinen Zugang zu vertraulichen Einzelheiten des Angebots eines anderen Teilnehmers zu gewähren, gesondert gerichtlich angefochten werden kann?

6.

Falls die vorstehende Frage bejaht wird: Ist Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen, dass das Unternehmen gegen eine solche Entscheidung einen Rechtsbehelf beim öffentlichen Auftraggeber einlegen und erforderlichenfalls eine gerichtliche Klage erheben muss?

7.

Falls die vorstehende Frage bejaht wird: Sind Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen, dass das Unternehmen je nach dem Umfang der verfügbaren Informationen über den Inhalt des Angebots des anderen Unternehmens eine gerichtliche Klage ausschließlich gegen die Weigerung erheben kann, ihm die Informationen zu übermitteln, ohne die Rechtmäßigkeit anderer Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers gesondert in Frage zu stellen?

8.

Ist unabhängig von den Antworten auf die vorstehenden Fragen Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 3 der Richtlinie 2016/943 dahin auszulegen, dass das Gericht dem Antrag des Klägers, der anderen Partei des Rechtsstreits aufzugeben, Beweise vorzulegen, und diese dem Kläger zur Verfügung zu stellen, unabhängig vom Verhalten des öffentlichen Auftraggebers im Vergabe- oder Nachprüfungsverfahren stattzugeben hat?

9.

Ist Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 3 der Richtlinie 2016/943 dahin auszulegen, dass das Gericht, sofern es den Antrag des Klägers auf Offenlegung vertraulicher Informationen der anderen Partei des Rechtsstreits zurückgewiesen hat, von Amts wegen die Bedeutung der Angaben, für die die Aufhebung der Vertraulichkeit beantragt wird, und deren Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens zu prüfen hat?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

28.

Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 18. Dezember 2019 beim Gerichtshof eingegangen.

29.

Klaipėdos autobusų parkas ( 9 ), Ecoservice, die Republik Österreich, die Republik Litauen und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

30.

Anstelle einer mündlichen Verhandlung haben die Parteien die an sie gerichteten Fragen des Gerichtshofs schriftlich beantwortet.

IV. Würdigung

A.   Vorbemerkungen

31.

Auf Ersuchen des Gerichtshofs werde ich mich auf die Prüfung der Vorlagefragen 4 bis 9 beschränken. Thematisch können sie in drei Blöcke aufgeteilt werden:

Mit der vierten Frage fragt das vorlegende Gerichts nach dem Umfang der Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, die von einem Bieter als vertraulich eingestuften Informationen geheim zu halten, wenn er über einen Rechtsbehelf entscheidet, den ein anderer Bieter eingelegt hat, der Zugang zu diesen Informationen erhalten möchte.

Bei den Fragen 5 bis 7 betreffen die Zweifel des vorlegenden Gerichts die gerichtliche Klage gegen die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, einem Wirtschaftsteilnehmer den Zugang zu den von einem Dritten eingereichten vertraulichen Informationen zu verweigern.

Die Fragen 8 und 9 schließlich betreffen die Befugnis des Richters, in seinem Besitz befindliche vertrauliche Informationen offenzulegen und gegebenenfalls von Amts wegen die Rechtmäßigkeit der Vergabeentscheidung zu prüfen.

32.

Ich werde zunächst auf die Auslegung der Richtlinien 2014/24 und 2016/943 im Zusammenhang mit der Behandlung vertraulicher Informationen eingehen. Anschließend werde ich darlegen, wie die Vorlagefragen – auch unter Bezugnahme auf die Richtlinie 89/665 – beantwortet werden sollten.

B.   Schutz der vertraulichen Informationen, die in einem Vergabeverfahren eingereicht werden

33.

Dem Gerichtshof zufolge ist das „Hauptziel der Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen … die Öffnung für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten ... Um dieses Ziel zu erreichen, dürfen die öffentlichen Auftraggeber keine das Vergabeverfahren betreffenden Informationen preisgeben, deren Inhalt dazu verwendet werden könnte, den Wettbewerb … zu verfälschen.“ ( 10 )

34.

Die Richtlinie 2014/24 enthält mehrere Vorschriften über die Veröffentlichung von Informationen, die sich im Besitz des öffentlichen Auftraggebers befinden. Eine davon ( 11 ) ist Art. 21, der es grundsätzlich ( 12 ) verbietet, „von den Wirtschaftsteilnehmern übermittelt[e] und von diesen als vertraulich eingestuft[e] Informationen weiter[zugeben], wozu insbesondere technische und handelsbezogene Geschäftsgeheimnisse sowie die vertraulichen Aspekte der Angebote selbst gehören“.

35.

Im Licht des Vorbringens der Parteien muss abgegrenzt werden, welche Art von vertraulichen Informationen der öffentliche Auftraggeber (und die Stellen, die seine Entscheidungen überprüfen) nach der Richtlinie 2014/24 zu schützen hat. Danach werde ich noch darauf eingehen, wie sich die Richtlinie 2016/943 auf die Vergabeverfahren auswirkt.

1. Vertrauliche Informationen im Sinne der Richtlinie 2014/24

36.

Aus einer am Wortlaut orientierten Auslegung allein des Art. 21 der Richtlinie 2014/24 würde sich ergeben, dass vertrauliche Informationen schlicht Informationen sind, die ein Wirtschaftsbeteiligter als solche qualifiziert hat. Unter geschützten Informationen wären demnach jedenfalls diejenigen zu verstehen, die von den Wirtschaftsteilnehmern „als vertraulich eingestuft“ werden.

37.

Würde man diesem Auslegungskriterium folgen, so wären alle ( 13 ) Informationen, für die keine Einwilligung des Wirtschaftsteilnehmers vorliegt, der sie dem öffentlichen Auftraggeber zur Verfügung gestellt hat, ohne Rücksicht auf ihren Inhalt automatisch gesperrt, d. h., sie dürften nicht offengelegt werden.

38.

Von dieser extrem weiten Auslegung kann jedoch nicht ausgegangen werden. Denn Art. 21 der Richtlinie 2014/24 nennt als Beispiele für Informationen, die als vertraulich eingestuft werden können, „technische und handelsbezogene Geschäftsgeheimnisse sowie die vertraulichen Aspekte der Angebote selbst“. Dies deutet darauf hin, dass die Einstufung auf einer objektiven Grundlage beruht und nicht ausschließlich auf dem subjektiven Willen des die Informationen Übermittelnden.

39.

Andere Bestimmungen der Richtlinie 2014/24 (insbesondere Art. 50 Abs. 4 und Art. 55 Abs. 3) untermauern diese These in systematischer Hinsicht. Nach diesen Bestimmungen ist die Offenlegung der Informationen u. a. dann zu verweigern, wenn sie „die berechtigten geschäftlichen Interessen eines bestimmten öffentlichen oder privaten Wirtschaftsteilnehmers schädigen“ würde. Auch hier sind somit objektive und nicht subjektive Aspekte vorrangig.

40.

Ich bin deshalb der Ansicht, dass Art. 21 der Richtlinie 2014/24, in seinem Kontext gesehen, nicht ausschließlich dem Wirtschaftsteilnehmer die Aufgabe anvertraut, nach eigenem Ermessen festzulegen, welche Informationen als vertraulich einzustufen sind. Über seinen entsprechend begründeten Antrag, der unverzichtbar ist, wenn er die Veröffentlichung der von ihm übermittelten Angaben einschränken will, entscheidet letztlich der öffentliche Auftraggeber (und gegebenenfalls die Stelle, die dessen Entscheidungen überprüft).

41.

Der Zweck der Vorschrift führt zu demselben Schluss. Wenn mit ihr, ebenso wie mit dem Rest der Richtlinie 2014/24, Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden sollen ( 14 ), liegt es auf der Hand, dem öffentlichen Auftraggeber – und nicht allein dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer – die Befugnis einzuräumen, festzustellen, welche Gefahren für den Wettbewerb von der Offenlegung der vorgeblich vertraulichen Informationen ausgehen würden. Der Auftraggeber ist aufgrund seiner Pflicht zur Unparteilichkeit und Objektivität gegenüber allen Bietern am besten geeignet, eine solche Beurteilung vorzunehmen.

42.

Auf diese Weise kann er zudem sicherstellen, dass alle Wirtschaftsteilnehmer in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der öffentlichen Auftragsvergabe „in gleicher und nichtdiskriminierender Weise“ behandelt werden.

2. Anwendung der Richtlinie 2016/943

43.

Das vorlegende Gericht ersucht um Auslegung von Art. 9 der Richtlinie 2016/943 in Verbindung mit deren 18. Erwägungsgrund, da für die Gewährung des Zugangs zu bestimmten Informationen entscheidend sei, ob diese Informationen ein Geschäftsgeheimnis darstellen oder nicht ( 15 ).

44.

Ich möchte allerdings daran erinnern, dass der Schutz nach Art. 21 der Richtlinie 2014/24 nicht auf „Geschäftsgeheimnisse“ beschränkt ist, sondern u. a. auch die „vertraulichen Aspekte der Angebote selbst“ umfasst. Folglich können unter diese Vorschrift auch Informationen fallen, die nicht als Geschäftsgeheimnis stricto sensu eingeordnet werden können: Die beiden Begriffe sind nicht deckungsgleich.

45.

Jedenfalls hat die Richtlinie 2016/943, die den Schutz „vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung“ bezweckt, den (im Verhältnis zum hier vorliegenden) gegenteiligen Fall vor Augen. Vorliegend geht es ja eben um das Unterbleiben der Offenlegung bestimmter vertraulicher Informationen, die der öffentliche Auftraggeber dem Wirtschaftsteilnehmer, der diese Offenlegung beantragt hat, gerade nicht übermitteln will.

46.

Ich stimme daher mit der Kommission ( 16 ) darin überein, dass Art. 9 der Richtlinie 2016/943 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da diese Bestimmung Gerichtsverfahren im Auge hat, in denen es um die rechtswidrige Erlangung, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen geht ( 17 ).

47.

Im Übrigen ist die Richtlinie 2014/24 lex specialis, was die Weitergabe von Informationen betrifft, die von Wirtschaftsteilnehmern im Rahmen eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens bereitgestellt werden.

48.

Dies wird durch den 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/943 bestätigt, der auf die Verpflichtung öffentlicher Behörden verweist, die Vertraulichkeit von „Informationen, die öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge übermittelt werden, wie sie beispielsweise in … der Richtlinie [2014/24] … festgelegt sind“, zu wahren.

49.

Für die Behandlung der Vorschriften zum Schutz vertraulicher Informationen in diesem Bereich wird also in der Richtlinie 2016/943 selbst Bezug auf die Regelung der Richtlinie 2014/24 genommen. Würde ein öffentlicher Auftraggeber, durch die Richtlinie 2014/24 ermächtigt, in legitimer Ausübung seiner Befugnisse solche Informationen offenlegen, läge einer der in Art. 1 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2016/943 vorgesehenen Fälle vor, auf die diese Richtlinie keine Anwendung findet.

50.

Die Antwort auf die Fragen des vorlegenden Gerichts zum Schutz der Vertraulichkeit ist daher auf die Auslegung der Richtlinie 2014/24 zu stützen. Die Richtlinie 2016/943 kann zwar, da sie einen ähnlichen Anwendungsbereich hat, als subsidiärer Anhaltspunkt, aber nicht als einschlägiger Gesetzestext dienen.

C.   Vierte Vorlagefrage

51.

Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen,

erstens (Buchst. a), ob der öffentliche Auftraggeber dem Bieter, der das Nachprüfungsverfahren bei ihm eingeleitet hat, alle Einzelheiten des Angebots eines anderen Bieters zur Verfügung stellen muss, wenn das Unternehmen, das den Rechtsbehelf eingelegt hat, diese Informationen vorher bei ihm angefordert hat;

zweitens (Buchst. b), ob der öffentliche Auftraggeber, wenn er den eingelegten Rechtsbehelf zurückweist, unabhängig davon, ob die Gefahr besteht, dass vertrauliche Informationen über die ihm vorgelegten Angebote verbreitet werden, jedenfalls „eine eindeutige, vollständige und konkrete Antwort geben muss“.

52.

Das vorlegende Gericht erläutert hierzu, dass im nationalen Vergaberecht ein „verbindliches vorprozessuales Streitbeilegungsverfahren“ festgelegt ist, in dem der öffentliche Auftraggeber selbst entscheidet.

1. Buchst. a

53.

Wie bereits ausgeführt, muss der Auftraggeber klären, welche der vom Bieter übermittelten Informationen, die dieser als vertraulich bezeichnet hat, auch tatsächlich vertraulich sind. Die gleiche Befugnis hat die Stelle, die im Anschluss an die Einlegung des Rechtsbehelfs für die Nachprüfung der Maßnahmen des Auftraggebers zuständig ist.

54.

Der Schutz von vertraulichen Informationen und Geschäftsgeheimnissen muss so ausgestaltet sein, dass er „mit den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes und der Wahrung der Verteidigungsrechte der am Rechtsstreit Beteiligten im Einklang steht … und dass … sichergestellt ist, dass in dem Rechtsstreit insgesamt das Recht auf ein faires Verfahren beachtet wird“ ( 18 ).

55.

Die Einhaltung dieses Gleichgewichts bedeutet zunächst einmal, dass der öffentliche Auftraggeber dem Rechtsbehelfsführer nicht allein deshalb sämtliche im Angebot des Zuschlagempfängers enthaltenen Informationen automatisch bereitstellen muss, weil er bei ihm einen Antrag gestellt oder einen Rechtsbehelf eingelegt hat ( 19 ). Ebenso wenig darf er ihm die Übermittlung deshalb systematisch verweigern ( 20 ). Vielmehr muss der öffentliche Auftraggeber bei seiner Entscheidung die im Antrag – bzw. in der Rechtsbehelfsbegründung – angeführten Gründe und die Art der erbetenen Informationen berücksichtigen.

56.

Der öffentliche Auftraggeber übt seine Befugnisse, es sei noch einmal gesagt, sowohl dann aus, wenn er auf einen begründeten Antrag auf Offenlegung vertraulicher Informationen tätig wird, als auch dann, wenn er über einen Rechtsbehelf (im Sinne von Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 89/665 ( 21 )) entscheidet, der gegen die Entscheidung, mit der er diese Offenlegung erlaubt bzw. verweigert, oder gegen die Entscheidung, mit der er nach Bewertung der Angebote den Auftrag vergibt, eingelegt worden ist.

57.

Die Vorlagefrage 4 Buchst. a des vorlegenden Gerichts betrifft die Rolle des öffentlichen Auftraggebers in einem „Nachprüfungsverfahren“. Es ist Sache dieses öffentlichen Auftraggebers, bei seiner Entscheidung ein Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Vertraulichkeit und dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne der Richtlinie 89/665 herzustellen.

58.

Dementsprechend muss er das Interesse und die Gründe der Person, die Kenntnis von den (von einem Mitbewerber bereitgestellten) vertraulichen Informationen erlangen will, gegen die Notwendigkeit abwägen, die Vertraulichkeit dieser Informationen zu wahren. Gegebenenfalls kann er den betreffenden Wirtschaftsteilnehmer auffordern, zu erläutern, warum die Einstufung bestimmter Informationen als vertraulich ganz oder teilweise beibehalten werden soll.

59.

Die Antwort des öffentlichen Auftraggebers auf diesen Rechtsbehelf muss, auch wenn mit diesem die „Rechtmäßigkeit der Bewertung dieses Angebots“ in Frage gestellt wird, die Gründe der von ihm getroffenen Entscheidung enthalten. Diese Antwort muss, es sei nochmals wiederholt, nicht notwendig dahin gehen, dem Rechtsbehelfsführer „alle“ Angaben aus dem Angebot eines anderen Bieters mitzuteilen. Vielmehr kommt es darauf an, ob der öffentliche Auftraggeber die Wahrung der Vertraulichkeit der ihm zur Verfügung gestellten Informationen ganz oder teilweise für gerechtfertigt hält.

2. Buchst. b

60.

Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob der öffentliche Auftraggeber, wenn er den Rechtsbehelf eines Bieters zurückweist, der das Ergebnis der Bewertung angreift, „unabhängig davon, ob die Gefahr besteht, dass vertrauliche Informationen über die ihm vorgelegten Angebote verbreitet werden, jedenfalls eine eindeutige, vollständige und konkrete Antwort geben muss“.

61.

Die Antwort auf diese Frage lässt sich aus der Antwort zu Buchst. a der Vorlagefrage ableiten.

62.

Der öffentliche Auftraggeber muss bei der Begründung einer Entscheidung, mit der ein bei ihm eingelegter Rechtsbehelf zurückgewiesen wird, sowohl die Rechte des Rechtsbehelfsführers als auch die des anderen Beteiligten (d. h. des erfolgreichen Bieters, von dessen Informationen sein Gegner Kenntnis nehmen will) wahren. Er muss seine Entscheidung begründen, um so die spätere Überprüfung seiner Handlungen zu erleichtern.

63.

Dass die Entscheidung des Auftraggebers tatsächlich „klar und konkret“ zu sein hat, bedeutet allerdings nicht, dass sie zwangsläufig und automatisch sämtliche im Angebot enthaltenen vertraulichen Informationen enthalten muss. Dies ist nur dann der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber nach der vorzunehmenden Interessenabwägung ( 22 ) zum Ergebnis gelangt, dass die einen Interessen den anderen gegenüber vorrangig sind.

D.   Vorlagefragen 5 bis 7

64.

Von diesen drei Fragen, die zusammen behandelt werden sollten, betrifft die fünfte Vorlagefrage die Möglichkeit einer „gesonderten Anfechtung“ der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, den Zugang zu den vertraulichen Informationen zu verweigern. Die sechste und die siebte Frage scheinen von dieser Annahme auszugehen.

65.

In Wirklichkeit geht aus dem Vorlagebeschluss ( 23 ) nicht deutlich hervor, ob Ecoservice diese Anfechtung gesondert (oder eigenständig) eingereicht hat, nachdem der öffentliche Auftraggeber entschieden hatte, ihr lediglich die nicht vertraulichen Informationen aus dem Angebot des Konsortiums zu übermitteln ( 24 ).

66.

Der Sachverhaltsdarstellung im Vorlagebeschluss ist zu entnehmen, dass Ecoservice in der Weise vorgegangen ist, dass sie sowohl beim öffentlichen Auftraggeber als auch später beim Gericht des ersten Rechtszugs (in diesem Fall zusammen mit ihrer Klage) beantragt hat, die vollständige Offenlegung der vom Konsortium eingereichten Informationen anzuordnen. Es ist daher zweifelhaft, ob ein solcher Antrag als eigenständiger Rechtsbehelf im oben genannten Sinne verstanden werden kann.

67.

Dies bedeutet jedoch nicht die Unzulässigkeit der Fragen 5 bis 7, für die die Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gilt, von der der Gerichtshof bei Vorabentscheidungsersuchen ausgeht.

68.

Die Zulässigkeit dieser Fragen ist durchaus vertretbar, wenn das vorlegende Gericht bei seiner Auslegung davon ausgeht, dass Ecoservice beim öffentlichen Auftraggeber und beim Gericht des ersten Rechtszugs die Entscheidung, ihr die Informationen zu verweigern, gesondert angefochten hat bzw. gesondert hätte anfechten können oder müssen.

69.

Vor dem Hintergrund dieser Prämisse ist festzustellen:

Mit der fünften Frage wird danach gefragt, ob es möglich ist, die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, die vertraulichen Informationen nicht offenzulegen, gesondert gerichtlich anzufechten.

Die sechste Frage betrifft – unterstellt, dies wäre der Fall – die „Pflicht“ des Wirtschaftsteilnehmers, gegen die Entscheidung, mit der sein Antrag auf Zugang zu vertraulichen Informationen abgelehnt worden ist, einen „Rechtsbehelf beim öffentlichen Auftraggeber“ einzulegen.

Bei der siebten Frage schließlich geht es für den Fall, dass die vorstehenden Fragen bejaht werden, darum, ob der Wirtschaftsbeteiligte „eine gerichtliche Klage ausschließlich gegen die Weigerung erheben kann, ihm die [geforderten] Informationen zu übermitteln“.

70.

Bei der Beantwortung dieser Fragen ist von der im letzten Unterabsatz von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 enthaltenen Generalklausel auszugehen. Die Kontrolle, auf die sich diese Bestimmung bezieht, umfasst alle Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers, mit denen das einschlägige Unionsrecht angewandt wird ( 25 ).

71.

Zu diesen überprüfbaren Entscheidungen des Auftraggebers gehören logischerweise solche, mit denen durch die Auswahl eines Angebots über die Vergabe des Auftrags entschieden wird, aber auch Entscheidungen anderer Art (z. B. über die Anordnung oder Ablehnung vorläufiger Maßnahmen), die sich auf die Rechtsstellung der Betroffenen auswirken ( 26 ).

72.

Eine der Entscheidungen, bei denen der öffentliche Auftraggeber das Unionsrecht (konkret Art. 21 der Richtlinie 2014/24) anzuwenden hat, wodurch sie zu überprüfbaren Entscheidungen werden, betrifft die Frage, ob bestimmte Informationen als vertraulich zu betrachten sind und ihre Offenlegung ganz oder teilweise zuzulassen oder zu verweigern ist.

73.

In der Richtlinie 89/665 ist „der Zeitpunkt, ab dem die Möglichkeit einer Nachprüfung gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 besteht, nicht ausdrücklich festgelegt“ ( 27 ). Nach Ansicht des Gerichtshofs muss sichergestellt sein, dass die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem schnellstmöglich angefochten werden können.

74.

Der Unionsgesetzgeber hat den Mitgliedstaaten die Aufgabe übertragen, die „Bedingungen“ für die Nachprüfungsverfahren gegen Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber zu normieren (Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89/665) ( 28 ).

75.

Es ist – im durch Art. 2 der Richtlinie 89/665 gesteckten Rahmen – auch Sache der Mitgliedstaaten, diese Rechtsbehelfe entweder Gerichten im engeren Sinn oder anderen Stellen zu übertragen ( 29 ). Dem Vorlagebeschluss lässt sich entnehmen, dass in Litauen Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers, einschließlich derjenigen, die er im Rahmen des vorprozessualen Streitbeilegungsverfahrens erlässt, den Gerichten übertragen sind.

76.

Die Mitgliedstaaten können die Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers daher grundsätzlich in dem Sinne regeln, dass sie entweder eine (mit der Anfechtung in der Hauptsache) gebündelte oder (davon) gesonderte Einlegung vorsehen. Die Richtlinie 89/665 schreibt weder einen der beiden Mechanismen vor noch schließt sie einen davon aus.

77.

Sollten sich die Mitgliedstaaten in Ausübung ihrer Verfahrensautonomie für eine gebündelte Anfechtung entscheiden, dürfen sie dabei, was ihre Wirksamkeit und schnelle Abwicklung betrifft, nicht gegen die Ziele der Richtlinie 89/665 verstoßen. Sie müssen außerdem berücksichtigen,

dass die Richtlinie „es den Mitgliedstaaten … nicht [erlaubt], die Ausübung des Rechts auf Nachprüfung davon abhängig zu machen, dass das Vergabeverfahren formal ein bestimmtes Stadium erreicht hat“ ( 30 );

dass eine nationale Regelung „gegen die Bestimmungen der Richtlinie 89/665 [verstößt, wenn sie] in jedem Fall verlangt, dass ein Bieter die Entscheidung über die Vergabe des betreffenden Auftrags abwarten muss, bevor er gegen die Zulassung eines anderen Bieters ein Nachprüfungsverfahren anstrengen kann“ ( 31 ).

78.

Die Ziele einer Schnelligkeit und Wirksamkeit lassen sich leichter durch die vom vorlegenden Gericht genannten Mechanismen der „gesonderten Anfechtung“ erreichen. Ein solcher Rechtsbehelf kann, abgesehen davon, dass er das Erfordernis der Schnelligkeit erfüllt, auch das der Wirksamkeit abdecken, da er es ermöglicht, dass die Hauptsache, nämlich die Anfechtung der materiellen Entscheidung (sprich: des Zuschlags) erst erfolgt, nachdem der Betroffene die für die wirksame Verteidigung seines Rechts erforderlichen Informationen erlangt hat ( 32 ).

79.

Dagegen ließe sich einwenden, dass eigenständige Rechtsbehelfe die Gefahr bergen, dass sich der Abschluss des Verfahrens zur Auswahl des Auftragnehmers verzögert. Ein solcher Einwand greift nach Ansicht des Gerichtshofs jedoch nicht durch, weil er nur „die Rechtfertigung angemessener Ausschlussfristen für Rechtsbehelfe gegen überprüfbare Entscheidungen und nicht den Ausschluss eines selbständigen Rechtsbehelfs“ betrifft ( 33 ).

80.

Da die eigenständige Anfechtung im Einklang mit der Richtlinie 89/665 steht, spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass sie in der nationalen Regelung zugelassen wird.

81.

Würde das nationale Recht dagegen verlangen, dass die Entscheidung über die Vertraulichkeit zusammen mit der Entscheidung über die Auftragsvergabe angefochten wird, müsste das Gericht prüfen, ob dieses Erfordernis im Hinblick auf die Schnelligkeit und Wirksamkeit eines solchen Anfechtungsmechanismus der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie 89/665 gleichermaßen gerecht wird.

82.

Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten erstreckt sich auch auf die – fakultative – Einführung eines vorgerichtlichen Rechtsbehelfs beim öffentlichen Auftraggeber. Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 89/665 steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die vorschreibt, „dass die betreffende Person zunächst bei dem öffentlichen Auftraggeber eine Nachprüfung beantragt“.

83.

Art. 2 der Richtlinie 89/665 legt die Anforderungen an die Nachprüfungsverfahren nach Art. 1 fest, und zwar sowohl diejenigen, die zunächst vor dem öffentlichen Auftraggeber einzuleiten sind, als auch diejenigen, die anschließend vor einer Nachprüfungsinstanz (im vorliegenden Fall einem Gericht) stattfinden.

84.

In Anbetracht dieser Erwägungen ist es meines Erachtens mit der Richtlinie 89/665 vereinbar,

dass die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, mit dem Angebot eingereichte vertrauliche Informationen eines Teilnehmers am Ausschreibungsverfahren nicht offenzulegen, gesondert gerichtlich angefochten werden kann;

dass die nationale Vorschrift den Betroffenen verpflichtet, gegen die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, mit der sein Antrag auf Zugang zu vertraulichen Informationen zurückgewiesen wird, zunächst einen Rechtsbehelf beim Auftraggeber selbst einzulegen;

dass der Betroffene gegen die Weigerung, ihm die angeforderten Informationen zur Verfügung zu stellen, gesondert gerichtlich vorgehen kann.

E.   Vorlagefragen 8 und 9

85.

Diese Fragen betreffen die Auslegung von Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 3 der Richtlinie 2016/943. Ich gehe allerdings, wie bereits ausgeführt, davon aus, dass die Richtlinie 2016/943 in diesem Fall nicht unmittelbar anzuwenden ist.

86.

Die Richtlinie 89/665 erlaubt indessen, dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben.

87.

Beide Fragen betreffen das Verfahren, das das mit dem Rechtsstreit befasste Gericht einzuhalten hat, und zwar a) in Bezug auf die Berücksichtigung des vorherigen Verhaltens des öffentlichen Auftraggebers (achte Frage) sowie b) in Bezug auf die Prüfung der Bedeutung der in Rede stehenden Angaben von Amts wegen (neunte Frage) ( 34 ).

88.

Der öffentliche Auftraggeber muss entscheiden, ob es angemessen ist, die vom Bieter in seinem Angebot übermittelten vertraulichen Informationen offenzulegen. Diese Entscheidung (oder die folgende, mit der er die erste bestätigt, indem er selbst über einen im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsbehelf entscheidet) ist nach Art. 2 der Richtlinie 89/665 nachprüfbar.

89.

Wenn, wie im vorliegenden Fall, die Nachprüfung durch ein Gericht erfolgt, muss dieses Gericht in der Lage sein, die Entscheidungen des Auftraggebers in ihrer Gesamtheit zu überprüfen. Es kann sie daher ganz oder teilweise aufheben, wenn es der Auffassung ist, sie seien nicht rechtmäßig.

90.

Handelt es sich bei einer dieser gerichtlich nachprüfbaren Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers um die Weigerung, bestimmte, einem Angebot beigefügte Informationen offenzulegen, kann das überprüfende Gericht diese Weigerung entweder für statthaft oder für unstatthaft erklären.

91.

Bevor es in dem einen oder anderen Sinne entscheidet, muss das Gericht das „Verhalten des öffentlichen Auftraggebers im Vergabe- oder Nachprüfungsverfahren“ berücksichtigen, um den Vorlagebeschluss zu zitieren.

92.

Das bedeutet logischerweise nicht, dass das Gericht, dem die Überprüfung obliegt, an das Verhalten des Auftraggebers, dessen Rechtmäßigkeit es prüft, gebunden wäre. Dem Gericht die Befugnis zu verweigern, die Entscheidungen des Auftraggebers zu korrigieren und gegebenenfalls aufzuheben, würde bedeuten, dass bloße Verwaltungsakte des öffentlichen Auftraggebers eine Bestandskraft entfalten würden, die der Rechtskraft vergleichbar wäre, zum Nachteil des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz und des in der Richtlinie 89/665 enthaltenen Systems von Garantien.

93.

Die Weigerung der Übermittlung der beantragten Informationen mit der Begründung, dass sie nicht offengelegt werden dürften, hindert das überprüfende Gericht keinesfalls daran, „die Bedeutung der Angaben, für die die Aufhebung der Vertraulichkeit beantragt wird“, zu prüfen.

94.

Diese Prüfung wird ihm Zugang zum gesamten Vorgang, einschließlich der vertraulichen Informationen, verschaffen. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass „die Nachprüfungsinstanz über sämtliche Informationen verfügen können [muss], die erforderlich sind, um in voller Kenntnis der Umstände entscheiden zu können, also auch über vertrauliche Informationen und Geschäftsgeheimnisse“ ( 35 ).

95.

Ob es möglich ist, eine solche Überprüfung von Amts wegen vorzunehmen, oder ob sie nur auf Antrag einer Partei vorgenommen werden darf, hängt wiederum von den Befugnissen ab, die das innerstaatliche Recht im Rahmen der gerichtlichen Nachprüfungsverfahren den einzelnen zuständigen Stellen zuschreibt.

F.   Ergebnis

96.

Nach alledem schlage ich vor, die Fragen 4 bis 9 des Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof, Litauen) wie folgt zu beantworten:

1.

Die Art. 21, 50 und 55 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG erfordern nicht zwangsläufig, dass der öffentliche Auftraggeber einem Teilnehmer am Vergabeverfahren, der vor ihm die Bewertung der Angebote anficht, alle Einzelheiten des vom erfolgreichen Bieter eingereichten Angebots mitteilt.

Bei der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über die Bewertung der Angebote muss der öffentliche Auftraggeber seine Antwort begründen, indem er die Gründe für seine Entscheidung darlegt, damit diese vor einer Nachprüfungsstelle wirksam angefochten werden kann. Die Begründungspflicht hat für sich genommen nicht zur Folge, dass er die ihm anvertrauten vertraulichen Informationen offenlegen müsste, wenn er dies für unstatthaft hält.

2.

Die Art. 1 und 2 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge sind dahin auszulegen, dass sie es nicht verbieten,

dass die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, mit dem Angebot eingereichte vertrauliche Informationen eines Teilnehmers am Ausschreibungsverfahren nicht offenzulegen, gesondert gerichtlich angefochten werden kann;

dass die nationale Vorschrift dazu verpflichtet, dass der Betroffene gegen die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, mit der sein Antrag auf Zugang zu vertraulichen Informationen zurückgewiesen wird, zunächst einen Rechtsbehelf beim Auftraggeber selbst einlegen muss;

dass der Betroffene gegen die Weigerung, ihm die angeforderten Informationen zur Verfügung zu stellen, gesondert gerichtlich vorgehen kann.

3.

Art. 1 und 2 der Richtlinie 89/665 sind dahin auszulegen, dass die für die Nachprüfung der Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers zuständige Stelle

befugt sein muss, die Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers im Hinblick auf die Offenlegung der ihm zur Verfügung gestellten vertraulichen Informationen aufzuheben und gegebenenfalls anzuordnen, dass diese dem Rechtsmittelführer zur Verfügung gestellt werden;

falls das nationale Recht dies zulässt, von Amts wegen die Rechtmäßigkeit der Handlungen des öffentlichen Auftraggebers unter Berücksichtigung der ihr zur Verfügung gestellten vertraulichen Informationen beurteilen kann.


( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

( 2 ) Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. 1989, L 395, S. 33).

( 3 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65).

( 4 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (ABl. 2016, L 157, S. 1).

( 5 ) In der durch Art. 46 der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1) geänderten Fassung.

( 6 ) Gemäß Rn. 3 des Vorlagebeschlusses geht aus der Ausschreibung hervor, dass der vorläufige Auftragswert 750000 Euro (ohne Umsatzsteuer) übersteigt.

( 7 ) Konkret wurde vorgetragen: i) Die Verträge über die Sammlung und Beförderung gemischter Siedlungsabfälle, die das Konsortium angegeben habe, um seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nachzuweisen, seien nicht unmittelbar von zu ihm gehörenden Unternehmen ausgeführt worden, und ii) die in den vom Konsortium vorgelegten Unterlagen angegebenen Fahrzeuge erfüllten nicht die technischen Anforderungen, die in den Ausschreibungsunterlagen festgelegt seien.

( 8 ) Im Vorlagebeschluss (Rn. 36 und 37) wird hervorgehoben, dass die Revision nicht von Ecoservice, sondern von der öffentlichen Auftraggeberin eingelegt worden sei, so dass der Oberste Gerichtshof grundsätzlich nur zu beurteilen habe, ob der erfolgreiche Bieter über die entsprechende technische Leistungsfähigkeit verfügt habe, was die einzige von der Revisionsklägerin aufgeworfene Frage sei. Der Oberste Gerichtshof habe jedoch von Amts wegen entschieden, über die Grenzen der Revision hinauszugehen und über weitere Aspekte des Rechtsstreits zu entscheiden.

( 9 ) Eines der zum Konsortium gehörenden Unternehmen.

( 10 ) Urteil vom 14. Februar 2008, Varec (C-450/06, EU:C:2008:91, im Folgenden: Urteil Varec, Rn. 34 und 35).

( 11 ) In der Richtlinie 2014/24 finden sich noch weitere Vorschriften zum Schutz der Vertraulichkeit, auf die ich später noch eingehen werde, nämlich im Zusammenhang mit den Vergabebekanntmachungen (Art. 50 Abs. 4) und der Unterrichtung der Bewerber und Bieter (Art. 55). Beide sehen vor, dass Informationen nicht veröffentlicht werden dürfen, wenn „die Offenlegung dieser Angaben den Gesetzesvollzug behindern oder sonst dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, die berechtigten geschäftlichen Interessen eines bestimmten öffentlichen oder privaten Wirtschaftsteilnehmers schädigen oder den lauteren Wettbewerb zwischen Wirtschaftsteilnehmern beeinträchtigen würde“.

( 12 ) Vorbehaltlich anderslautender Bestimmungen in der Richtlinie selbst oder im nationalen Recht. Art. 20 des Vergabegesetzes lässt sich nicht entnehmen, dass es eine gegenteilige nationale Regelung gäbe.

( 13 ) Dies ist bei der litauischen Regelung nicht der Fall, da sie verbietet, ein Angebot in seiner Gesamtheit als vertraulich zu übermitteln.

( 14 ) Siehe Nr. 33 der vorliegenden Schlussanträge.

( 15 ) Rn. 64 ff. des Vorlagebeschlusses.

( 16 ) Nrn. 70 bis 75 ihrer schriftlichen Erklärungen.

( 17 ) Dies ergibt sich auch aus den Erwägungsgründen 13 und 24 der Richtlinie 2016/943.

( 18 ) Urteil Varec (Rn. 52).

( 19 ) Ebd. (Rn. 40): „In einem solchen Fall würde schon durch die Erhebung einer Klage der Zugang zu Informationen eröffnet, die dazu verwendet werden könnten, den Wettbewerb zu verfälschen oder den legitimen geschäftlichen Interessen von Wirtschaftsteilnehmern zu schaden, die sich an der betreffenden Ausschreibung beteiligt haben. Eine solche Möglichkeit könnte Wirtschaftsteilnehmer sogar dazu verleiten, Klagen allein mit dem Ziel zu erheben, Zugang zu den Geschäftsgeheimnissen ihrer Wettbewerber zu erhalten.“

( 20 ) Nach dem Vorlagebeschluss besteht in Litauen die übliche Praxis im Vergabewesen, die das Revisionsgericht stetig bemüht ist, durch die von ihm entwickelte Rechtsprechung einzugrenzen, darin, den Klägern den Zugang zu den von den Bietern übermittelten Informationen zu verweigern.

( 21 ) Gemäß Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 89/665 kann das nationale Recht eines Staates ein Nachprüfungsverfahren vorschreiben, bei dem es sich faktisch um eine nochmalige Überprüfung durch den öffentlichen Auftraggeber selbst handelt. Der Vorlagebeschluss geht davon aus, dass dieses Verfahren in Litauen verwaltungsrechtlicher Natur ist.

( 22 ) Auch Art. 9 der Richtlinie 2016/943 bezieht sich auf das Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Vertraulichkeit von Informationen und dem gerichtlichen Rechtsschutz.

( 23 ) In den Rn. 64 bis 76 dieses Beschlusses erläutert das vorlegende Gericht die Gründe, aus denen es die Fragen 4 bis 9 gestellt hat. Diese Gründe entsprechen allerdings nicht immer genau dem Wortlaut der jeweiligen Vorlagefragen.

( 24 ) Dies wird von Klaipėdos autobusų parkas in ihren schriftlichen Erklärungen, Nrn. 81 und 82, hervorgehoben.

( 25 ) Urteil vom 5. April 2017, Marina del Mediterráneo u. a. (C‑391/15, EU:C:2017:268, Rn. 26): „[D]er Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie [setzt] mit der Wendung ‚hinsichtlich [der …] Aufträge‘ [voraus], dass jede Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers, die unter die unionsrechtlichen Vorschriften über das öffentliche Auftragswesen fällt und gegen sie verstoßen kann, der in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie vorgesehenen gerichtlichen Kontrolle unterliegt.“

( 26 ) Ebd. (Rn. 27). Der Gerichtshof befürwortet somit eine „weite Bedeutung des Begriffs der ‚Entscheidung‘ eines öffentlichen Auftraggebers, [die] dadurch bestätigt [wird], dass Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 keine Beschränkung in Bezug auf Art und Inhalt der darin genannten Entscheidungen vorsieht“.

( 27 ) Ebd. (Rn. 31).

( 28 ) Ebd. (Rn. 32): „Mangels einer Unionsregelung, die den Zeitpunkt festlegt, ab dem die Möglichkeit der Überprüfung eröffnet sein muss, obliegt es nach ständiger Rechtsprechung dem nationalen Recht, die Modalitäten für das Gerichtsverfahren zu regeln, das den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten soll“, mit den Beschränkungen, die sich aus den Grundsätzen der Effektivität und der Äquivalenz ergeben.

( 29 ) Nach Art. 2 Abs. 9 besteht die Möglichkeit, dass die für das Nachprüfungsverfahren zuständigen Stellen keine Gerichte sind und dass „unabhängige Stellen“ eingerichtet werden, die sich aus Mitgliedern zusammensetzen, die in gewisser Hinsicht einen richterähnlichen Status haben.

( 30 ) Urteil vom 5. April 2017, Marina del Mediterráneo u. a. (C‑391/15, EU:C:2017:268, Rn. 31).

( 31 ) Ebd. (Rn. 34).

( 32 ) Ecoservice beantragte am 4. Dezember 2018 Zugang zu den Informationen, um den Rechtsbehelf gegen die Vergabeentscheidung vorbereiten zu können.

( 33 ) Urteil vom 5. April 2017, Marina del Mediterráneo u. a. (C‑391/15, EU:C:2017:268, Rn. 35).

( 34 ) Das vorlegende Gericht räumt ein, dass es als „Revisionsgericht … grundsätzlich nur über die Fragen zu entscheiden (hat), die die Beklagte mit ihrer Revision aufwirft, nämlich ob die technische Leistungsfähigkeit von Bieter B den Anforderungen entspricht“. Es „erwägt … jedoch, von Amts wegen über den Gegenstand der Revision hinauszugehen und auch über andere Aspekte des Rechtsstreits zwischen den Parteien zu entscheiden, … und zwar nicht nur unter Berufung auf den Grund des Schutzes des Allgemeininteresses, sondern auch unter Berücksichtigung der besonderen Situation, die in der vorliegenden Rechtssache entstanden ist, in der der Klägerin im Vorverfahren und im Verfahren im Wesentlichen sämtliche Informationen vorenthalten wurden, zu denen sie Zugang begehrte“ (Rn. 36 und 37 des Vorlagebeschlusses).

( 35 ) Urteil Varec (Rn. 53).