URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

16. Juli 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinie 92/43/EWG – Art. 6 – Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – Besondere Schutzgebiete – Bau eines Straßenabschnitts – Prüfung der Verträglichkeit dieses Projekts mit dem betreffenden besonderen Schutzgebiet – Genehmigung – Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“

In der Rechtssache C‑411/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium, Italien) mit Entscheidung vom 16. Januar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Mai 2019, in dem Verfahren

WWF Italia Onlus,

Lega Italiana Protezione Uccelli Onlus,

Gruppo di Intervento Giuridico Onlus,

Italia Nostra Onlus,

Forum Ambientalista,

FC u. a.

gegen

Presidenza del Consiglio dei Ministri,

Azienda Nazionale Autonoma Strade SpA (ANAS)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan, des Präsidenten der Ersten Kammer J.‑C. Bonichot (Berichterstatter) und des Richters N. Jääskinen,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der WWF Italia Onlus, Lega Italiana Protezione Uccelli Onlus, Gruppo di Intervento Giuridico Onlus, Italia Nostra Onlus, Forum Ambientalista und FC u. a., vertreten durch G. Viglione und N. Tsuno, avvocati,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Palatiello, avvocato dello Stato,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und L. Dvořáková als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und C. Hermes als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7, im Folgenden: Habitatrichtlinie).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der WWF Italia Onlus, der Lega Italiana Protezione Uccelli Onlus, der Gruppo di Intervento Giuridico Onlus, der Italia Nostra Onlus, des Forum Ambientalista und von FC u. a. auf der einen Seite und der Presidenza del Consiglio dei Ministri (Präsidium des Ministerrats, Italien) und der Azienda Nazionale Autonoma Strade SpA (ANAS) auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses vom 1. Dezember 2017, mit dem der Ministerrat das Vorprojekt für eine Verbindungsstraße nördlich von Rom (Italien) gemäß der „grünen Trasse“ zwischen Monte Romano Est (Italien) und Tarquinia Sud (Italien) für mit den Umweltanforderungen vereinbar erklärt hat, und des Beschlusses vom 28. Februar 2018, mit dem das Comitato Interministeriale per la Programmazione Economica (Interministerieller Ausschuss für Wirtschaftsplanung, Italien) (im Folgenden: CIPE) dieses Vorprojekt genehmigt hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Im siebten Erwägungsgrund der Habitatrichtlinie heißt es, dass „[a]lle ausgewiesenen Gebiete … in das zusammenhängende europäische ökologische Netz einzugliedern [sind], und zwar einschließlich der nach der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten [ABl. 1979, L 103, S. 1] derzeit oder künftig als besondere Schutzgebiete ausgewiesenen Gebiete“.

4

Art. 1 Buchst. l der Habitatrichtlinie definiert das „besondere Schutzgebiet“ als „ein von den Mitgliedstaaten durch eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift und/oder eine vertragliche Vereinbarung als ein von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewiesenes Gebiet, in dem die Maßnahmen, die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und/oder Populationen der Arten, für die das Gebiet bestimmt ist, erforderlich sind, durchgeführt werden“.

5

Art. 3 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)   Es wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung ‚Natura 2000‘ errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhangs II umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten.

Das Netz ‚Natura 2000‘ umfasst auch die von den Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie 79/409/EWG ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete.

(2)   Jeder Staat trägt im Verhältnis der in seinem Hoheitsgebiet vorhandenen in Absatz 1 genannten natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten zur Errichtung von Natura 2000 bei. Zu diese[m] Zweck weist er nach den Bestimmungen des Artikels 4 Gebiete als besondere Schutzgebiete aus, wobei er den in Absatz 1 genannten Zielen Rechnung trägt.“

6

Art. 6 der Habitatrichtlinie lautet:

„(1)   Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.

(2)   Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.

(3)   Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4)   Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.

Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden.“

7

Art. 7 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„Was die nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/409/EWG zu besonderen Schutzgebieten erklärten oder nach Artikel 4 Absatz 2 derselben Richtlinie als solche anerkannten Gebiete anbelangt, so treten die Verpflichtungen nach Artikel 6 Absätze 2, 3 und 4 der vorliegenden Richtlinie ab dem Datum für die Anwendung der vorliegenden Richtlinie bzw. danach ab dem Datum, zu dem das betreffende Gebiet von einem Mitgliedstaat entsprechend der Richtlinie 79/409/EWG zum besonderen Schutzgebiet erklärt oder als solches anerkannt wird, an die Stelle der Pflichten, die sich aus Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 der Richtlinie 79/409/EWG ergeben.“

Italienisches Recht

Decreto legislativo Nr. 163/2006

8

Nach dem Decreto legislativo n. 163/2006 – Codice dei contratti pubblici relativi a lavori, servizi e forniture in attuazione delle direttive 2004/17/CE e 2004/18/CE (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 163 – Gesetzbuch über öffentliche Bau‑, Dienstleistungs- und Lieferaufträge zur Umsetzung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG) vom 12. April 2006 (GURI Nr. 100 vom 2. Mai 2006) (im Folgenden: Decreto legislativo Nr. 163/2006) gliedert sich das Verfahren für die Ausarbeitung eines Infrastrukturprojekts in zwei Phasen, nämlich in das Vorprojekt und das endgültige Projekt.

9

Art. 165 („Vorprojekt. Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren und Standort“) des Decreto legislativo Nr. 163/2006 bestimmt in den Abs. 3, 5 und 7:

„(3)   Zusätzlich zu den Bestimmungen des technischen Anhangs gemäß Anhang XXI müssen in dem Vorprojekt für Infrastrukturvorhaben mit Hilfe geeigneten Kartenmaterials die betreffenden Gebiete, etwaige Pufferstreifen und die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen ausgewiesen werden; es müssen auch die Leistungsmerkmale, die funktionellen Spezifikationen und die Ausgabenobergrenzen der zu errichtenden Infrastruktur, einschließlich der Ausgabenobergrenzen für etwaige Ausgleichsarbeiten und ‑maßnahmen für die mit dem Betrieb des Bauwerks eng verbundenen territorialen und sozialen Auswirkungen, die in jedem Fall zwei Prozent der Gesamtkosten des Vorhabens nicht überschreiten dürfen, detailliert angegeben werden. Dieser Prozentsatz muss auch die im Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren festgelegten Kosten für die Abmilderung der Umweltauswirkungen abdecken, unbeschadet etwaiger anderer Maßnahmen, die unter Beachtung spezifischer gemeinschaftlicher Verpflichtungen zu ergreifen sind. Sehen die Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts vor, dass das Vorhaben einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen wird, so wird auch das Vorprojekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen und nach den in den anwendbaren nationalen oder regionalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Verfahren veröffentlicht.

(5)   Das gemäß den Bestimmungen dieses Artikels ausgearbeitete Vorprojekt wird vom CIPE genehmigt.

(7)   Sofern die geltende Regelung dies erfordert, wird bei der Genehmigung geprüft, ob das Vorhaben mit den Umweltanforderungen übereinstimmt, und für alle Zwecke in Fragen der Stadtplanung und des Bauwesens die Abstimmung zwischen dem Staat und der Region über dessen Standort konkretisiert, einschließlich der automatischen Anpassung der geltenden und verabschiedeten städtebaulichen Instrumente …“

10

Art. 166 („Endgültiges Projekt. Öffentlicher Nutzen des Bauwerks“) des Decreto legislativo Nr. 163/2006 sieht in den Abs. 1 und 5 vor:

„(1)   Das endgültige Infrastrukturprojekt wird durch einen Bericht des Planers ergänzt, in dem erklärt wird, dass dieses Projekt mit dem Vorprojekt und den gegebenenfalls bei der Genehmigung gemachten Vorgaben unter besonderer Berücksichtigung der Umweltverträglichkeit und des Standorts vereinbar ist. Ihm wird eine Aufstellung etwaiger Arbeiten und Maßnahmen zur Abmilderung und zum Ausgleich der Umwelt‑, territorialen und sozialen Auswirkungen beigefügt.

(5)   Die Genehmigung des endgültigen Projekts, die mit der Zustimmung der Mehrheit der CIPE‑Mitglieder angenommen wird, ersetzt jede andere Erlaubnis, Genehmigung und Stellungnahme, unabhängig von ihrer Bezeichnung, und ermöglicht die Verwirklichung und – bei strategischen Produktionsanlagen den Betrieb – aller im genehmigten Projekt vorgesehenen Arbeiten, Dienstleistungen und Aktivitäten.“

11

In Art. 183 Abs. 6 des Decreto legislativo Nr. 163/2006 heißt es:

„Der Beschluss über die Feststellung der Übereinstimmung mit den Umweltanforderungen wird vom CIPE zusammen mit der Genehmigung des Vorprojekts erlassen. Im Fall einer mit Gründen versehenen gegenteiligen Stellungnahme des Ministro dell‘ambiente e della tutela del territorio [(Minister für Umwelt und Landschaftsschutz)] oder des Ministro per i beni e le attività culturali [(Minister für Kulturgüter und kulturelle Aktivitäten)] obliegt der Erlass des Beschlusses über die Feststellung der Übereinstimmung mit den Umweltanforderungen dem Ministerrat, der sich in der nächsten in Frage kommenden Sitzung dazu äußert. Die Übereinstimmung des endgültigen Projekts mit den [in diesem Beschluss vorgesehenen] Vorgaben wird gemäß Art. 185 Abs. 4 überprüft.“

12

Art. 185 Abs. 4 und 5 des Decreto legislativo Nr. 163/2006 sieht vor:

„(4)   Die Kommission [für die Prüfung der Umweltverträglichkeit]

a)

informiert das Ministerium für Umwelt und Landschaftsschutz innerhalb von 30 Tagen nach der Einreichung des endgültigen Projekts durch den Antragsteller über etwaige Abweichungen zum Vorprojekt;

b)

übermittelt dem Ministerium für Umwelt und Landschaftsschutz innerhalb von 60 Tagen nach der Einreichung des endgültigen Projekts ihre Stellungnahme zur Vereinbarkeit des endgültigen Projekts mit den Vorgaben des Beschlusses über die Feststellung der Übereinstimmung mit den Umweltanforderungen und zur vollständigen Umsetzung der Bestimmungen und Vorgaben des Dekrets über die Feststellung der Übereinstimmung mit den Umweltanforderungen.

(5)   Weicht das endgültige Projekt von dem Vorprojekt ab, so erstattet die Kommission [für die Prüfung der Umweltverträglichkeit] dem Minister für Umwelt und Landschaftsschutz Bericht, der, wenn er nach Prüfung durch die Kommission der Auffassung ist, dass der Unterschied zwischen dem Vorprojekt und dem endgültigen Projekt zu einer wesentlichen Änderung der gesamten Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt führt, innerhalb von 30 Tagen nach der Mitteilung des öffentlichen Auftraggebers, Konzessionärs oder Generalunternehmers die Fortschreibung und erneute Veröffentlichung der Umweltverträglichkeitsstudie, auch im Hinblick auf etwaige Stellungnahmen öffentlicher und privater Betroffener, verlangt.

Die Fortschreibung der Umweltverträglichkeitsstudie kann sich nur auf den von der Änderung betroffenen Teil des Projekts erstrecken. Im Fall eines Verstoßes gegen die Bestimmungen und Vorgaben des Beschlusses über die Feststellung der Übereinstimmung mit den Umweltanforderungen trägt der Minister nach Aufforderung zur Berichtigung dafür Sorge, dass über den Verstoß in der Dienststellenkonferenz mit Blick auf eine etwaige erneute Untersuchung informiert wird.“

Dekret Nr. 357 des Präsidenten der Republik vom 8. September 1997

13

Die Habitatrichtlinie wurde durch das Decreto del presidente della Repubblica n. 357 – Regolamento recante attuazione della direttiva 92/43 (Dekret Nr. 357 des Präsidenten der Republik – Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 92/43) vom 8. September 1997 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 248 vom 23. Oktober 1997) in italienisches Recht umgesetzt.

14

Art. 5 („Verträglichkeitsprüfung“) dieses Dekrets bestimmt:

„(1)   Bei der Planung und Raumordnung ist der Wert für die Natur und die Umwelt der vorgeschlagenen Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der besonderen Schutzgebiete zu berücksichtigen.

(2)   Im Zuge der Aufstellung von Raumordnungs‑, Städebau- und Sektorplänen … ist … eine Studie zur Ermittlung und Bewertung der Auswirkungen, die der Plan auf das Gebiet haben kann, zu erstellen, bei der die Erhaltungsziele für dieses Gebiet berücksichtigt werden. Flächennutzungspläne, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind, sind dem Ministerium für Umwelt und Landschaftsschutz vorzulegen, wenn sie von nationaler Bedeutung sind, sowie den zuständigen Regionen und autonomen Provinzen, wenn sie von regionaler, überregionaler, provinzieller oder kommunaler Bedeutung sind.

(3)   Die Träger von Maßnahmen, die nicht unmittelbar mit der Wahrung eines günstigen Erhaltungszustands der in dem Gebiet vorkommenden Arten und Lebensräume in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die das Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Maßnahmen erheblich beeinträchtigen könnten, legen für die Verträglichkeitsprüfung eine Studie gemäß den in Anhang G festgelegten Leitlinien zur Ermittlung und Bewertung der wesentlichen Folgen vor, die diese Maßnahmen für das vorgeschlagene Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung, das Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder das besondere Schutzgebiet haben können, unter Berücksichtigung der Erhaltungsziele der Gebiete.

(4)   Bei Projekten, die einem Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren … unterliegen und vorgeschlagene Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und besondere Schutzgebiete, wie sie in der vorliegenden Verordnung definiert sind, betreffen, wird die Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen dieses Verfahrens durchgeführt, das in einem solchen Fall auch die unmittelbaren und mittelbaren Folgen der Projekte für die Lebensräume und Arten, für die diese Gebiete ausgewiesen worden sind, berücksichtigt. Zu diesem Zweck muss die vom Träger erstellte Umweltverträglichkeitsstudie Angaben zur Vereinbarkeit des Projekts mit den in der vorliegenden Verordnung festgelegten Erhaltungszielen enthalten …

(8)   Bevor die Behörde die endgültige Genehmigung für den Plan oder die Maßnahme erteilt, gibt sie die Verträglichkeitsprüfung zu den Akten und legt gegebenenfalls die Modalitäten für die Anhörung der von der Durchführung des Plans oder der Intervention betroffenen Öffentlichkeit fest.

(9)   Ist der Plan oder die Maßnahme trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung für das Gebiet aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art durchzuführen und eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreifen die zuständigen Behörden alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um die globale Kohärenz des Netzes ‚Natura 2000‘ sicherzustellen, und unterrichten das Ministerium für Umwelt und Landschaftsschutz für die in Art. 13 genannten Zwecke davon.

(10)   Kommen in den Gebieten prioritäre natürliche Lebensraumtypen und Arten vor, kann der Plan oder die Maßnahme, dessen bzw. deren Auswirkungen auf ein Gebiet gemeinschaftsweiter Bedeutung negativ beurteilt wurden, nur unter Berufung auf Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit, im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Europäischen Kommission, unter Berufung auf andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses durchgeführt werden.“

15

Art. 6 („Besondere Schutzgebiete“) des Dekrets sieht vor:

„(1)   Das Netz ‚Natura 2000‘ umfasst die besonderen Schutzgebiete im Sinne der Richtlinie 79/409 …

(2)   Die Verpflichtungen aus den Art. 4 und 5 gelten auch für die in Abs. 1 genannten besonderen Schutzgebiete.“

Dekret des Ministers für Umwelt und Landschafts- und Meeresschutz vom 6. Dezember 2016

16

Im Decreto del Ministro dell’ambiente e della tutela del territorio e del mare (Dekret des Ministers für Umwelt und Landschafts- und Meeresschutz) vom 6. Dezember 2016 (GURI Nr. 301 vom 27. Dezember 2016) über die Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets der alpinen biogeografischen Region, eines besonderen Schutzgebiets der kontinentalen biogeografischen Region und von 140 besonderen Schutzgebieten der biogeografischen Region des Mittelmeerraums, die sich auf dem Gebiet der Region Latium befinden, nach Art. 3 Abs. 2 des Dekrets Nr. 357 des Präsidenten der Republik vom 8. September 1997 wird in Art. 1 Abs. 3 u. a. das Gebiet „Fiume Mignone (basso corso)“ als besonderes Schutzgebiet ausgewiesen.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17

Im Ausgangsrechtsstreit geht es um die Genehmigung des Vorprojekts für den Bau eines etwa 18 km langen Abschnitts der Nationalstraße Nr. 675 zwischen Monte Romano Est und Tarquinia Sud in Latium. Das Bauvorhaben soll in Italien die Verbindung zwischen dem Hafen von Civitavecchia und der Autobahn A1 Mailand–Neapel auf der einen Seite und der Kreuzung von Orte, dem Industriegebiet von Terni und der Route Ancona-Perugia auf der anderen Seite erleichtern.

18

Im Jahr 2004 sprach sich das Ministerium für Umwelt und Landschafts- und Meeresschutz für den Bau dieses Straßenabschnitts mit einer sogenannten „violetten“ Trassenführung aus. Der CIPE genehmigte dieses erste Projekt mit dem Beschluss Nr. 11/2011.

19

Im Jahr 2015 legte die ANAS, die mit der Durchführung des Bauvorhabens betraut war, wegen der hohen Kosten der „violetten Trasse“ jedoch ein Alternativprojekt vor, die sogenannte „grüne Trasse“.

20

Die Kommission für die Prüfung der Umweltverträglichkeit des Ministeriums für Umwelt und Landschafts- und Meeresschutz gab zu diesem neuen Projekt eine negative Stellungnahme ab, wobei sie darauf hinwies, dass die wirtschaftlichen Kosten der „violetten Trasse“ durch eine Teilung dieser Trasse in zwei Abschnitte verringert werden könnten. Die negative Stellungnahme wurde damit begründet, dass für das Projekt der „grünen Trasse“ keine eingehende Studie zu seinen Umweltauswirkungen vorliege und es ein zum Netz „Natura 2000“ gehörendes Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung betreffe, nämlich das Gebiet „Fiume Mignone (basso corso)“.

21

Aufgrund dieser negativen Stellungnahme ersuchte das Ministero delle Infrastrutture e Trasporti (Ministerium für Infrastruktur und Verkehr, Italien) das Präsidium des Ministerrats, das in Art. 183 Abs. 6 des Decreto legislativo Nr. 163/2006 vorgesehene Verfahren durchzuführen. Das Präsidium des Ministerrats ersuchte seinerseits das Ministerium für Umwelt und Landschafts- und Meeresschutz, zu prüfen, wie die Auswirkungen der „grünen Trasse“ auf die Umwelt durch Abmilderungs- und Ausgleichsmaßnahmen begrenzt werden könnten. Die Kommission für die Prüfung der Umweltverträglichkeit dieses Ministeriums gab zu dieser Trasse erneut eine negative Stellungnahme ab. Sie wies darauf hin, dass es nicht möglich sei, deren schädliche Wirkungen durch Vorgaben oder andere Maßnahmen abzumildern. Die „violette Trasse“ sei in allen Punkten vorzuziehen.

22

Gleichwohl erklärte der Ministerrat das Vorprojekt „grüne Trasse“ mit Beschluss vom 1. Dezember 2017 für mit den Umweltanforderungen vereinbar. Er stützte seinen Beschluss auf einen Grund des überwiegenden öffentlichen Interesses, nämlich die Fertigstellung einer strategischen Route, die Teil des transeuropäischen TEN‑V-Verkehrsnetzes sei. Er gab dem Antragsteller jedoch auf, bei der Abfassung des endgültigen Projekts die Studie zur Umweltverträglichkeit der fraglichen Trasse zu ergänzen und die Vorgaben, Anmerkungen und Empfehlungen landschaftlicher und umweltbezogener Natur, die von der vom Ministerium für Infrastruktur und Verkehr einberufenen Dienststellenkonferenz formuliert worden seien, zu beachten.

23

Am 28. Februar 2018 genehmigte der CIPE das Vorprojekt „grüne Trasse“ unter Auflagen. Er gab der ANAS auf, das endgültige Projekt und die Studie über die Umweltverträglichkeit abzufassen, und beauftragte die Region Latium mit der Prüfung dieser Studie, um insbesondere eventuell erforderliche weitere Abmilderungs- und Ausgleichsmaßnahmen zu ermitteln.

24

Mehrere Umweltschutzverbände und Einzelpersonen erhoben beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium, Italien) Klage gegen den Beschluss des Ministerrats vom 1. Dezember 2017 und gegen den Beschluss des CIPE vom 28. Februar 2018.

25

Nach Ansicht dieses Gerichts hat die Verwaltung dem wirtschaftlichen Interesse und der Fertigstellung einer zum transeuropäischen TEN‑V-Verkehrsnetzes gehörenden Straßenroute Vorrang vor dem Umweltschutz eingeräumt und die Suche nach geeigneten Lösungen für den Schutz des betreffenden Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung durch Abmilderungs- und Ausgleichsmaßnahmen auf das endgültige Projekt verschoben, obwohl die Kommission für die Prüfung der Umweltverträglichkeit des Ministeriums für Umwelt und Landschafts- und Meeresschutz solche Maßnahmen für die „grüne Trasse“ ausgeschlossen habe. Die Verwaltung räume selbst ein, einen integrierten Ansatz gewählt zu haben, indem sie die Umwelt‑, Landschafts‑, kulturellen und sozioökonomischen Aspekte zusammen geprüft habe. Das vorlegende Gericht äußert daher Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der Annahme des in Rede stehenden Vorprojekts mit dem Unionsrecht.

26

Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Steht Art. 6 der Habitatrichtlinie in Verbindung mit der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 2010, L 20, S. 7), soweit diese im vorliegenden Fall anwendbar ist, den angeführten nationalen primärrechtlichen Vorschriften und entsprechenden sekundärrechtlichen Durchführungsbestimmungen entgegen, die es der Stelle, die bei begründetem Nichteinverständnis des Ministeriums für Umwelt und Landschafts- und Meeresschutz „letztinstanzlich“ für den Erlass der Maßnahme über die Umweltverträglichkeit des Vorprojekts für ein Bauvorhaben zuständig ist, erlauben, das Vorprojekt unter Berufung auf ein überwiegendes öffentliches Interesse zu genehmigen und damit die Fortsetzung des Verfahrens zuzulassen, obwohl die für den Umweltschutz zuständige staatliche Stelle festgestellt hatte, dass es nicht möglich sei, für die sich im Genehmigungsverfahren befindende Projektvariante, für die im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung bereits eine negative Stellungnahme abgegeben worden sei, etwaige Vorgaben und Abmilderungsmaßnahmen festzulegen?

2.

Stehen die genannten Richtlinien einer Lösung wie der vorliegenden entgegen, die im Hinblick auf die Genehmigung des Vorprojekts eines Bauvorhabens, bei dem eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen ist, diesem „überwiegenden öffentlichen Interesse“ – auch wenn es ausschließlich anknüpft an die größere Wirtschaftlichkeit des Bauvorhabens, an dessen Vereinbarkeit auch mit dem Schutz der Landschaft und der historischen, kulturellen und sozioökonomischen Belange sowie an die Notwendigkeit der Fertigstellung eines transeuropäischen Straßennetzes, im vorliegenden Fall des TEN‑V-Netzes, das nach der Verordnung (EU) Nr. 1315/2013 als „Gesamtnetz“ eingestuft wird – Vorrang vor dem ökologischen Interesse einräumt, obwohl es eine Alternativlösung gibt, die unter Umweltgesichtspunkten bereits genehmigt wurde?

3.

Ist es mit den genannten Unionsvorschriften vereinbar, wenn eine Lösung wie die vorliegende es als praktikabel erachtet, für weitere Untersuchungen und Studien zur ökologischen Bedeutung der Strecke, die im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung, einschließlich der Prüfung der Umweltauswirkungen nach der Habitatrichtlinie, nicht genehmigt wurde, auf das endgültige Projekt zu verweisen, statt den Antragsteller zu verpflichten, weitere Untersuchungen und Studien durchzuführen, um die wirtschaftlichen und landschaftlichen Auswirkungen der alternativen Strecke auf die Umwelt abzumildern, die ja unter Umweltgesichtspunkten bereits genehmigt wurde?

4.

Stehen die genannten Richtlinien unter diesen Umständen und in dem Fall, dass die erste, die zweite und die dritte Frage dahin beantwortet werden, dass die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht gegeben ist, einer Lösung wie der vorliegenden entgegen, die die negative Stellungnahme, die die zuständige Stelle im Genehmigungsverfahren für das Vorprojekt eines Bauvorhabens zu dessen Umweltverträglichkeit abgegeben hat, als nicht bindend erachtet und für die Durchführung einer eingehenderen Prüfung der Auswirkungen des Projekts auf die Landschafts- und Umweltkomponenten des Gebiets auf das endgültige Projekt verweist, insbesondere auf die Prüfung der Umweltauswirkungen und die damit einhergehende Festlegung von Maßnahmen, die geeignet sind, die Auswirkungen auszugleichen und abzumildern?

5.

Stehen die genannten Richtlinien einer Lösung wie der vorliegenden entgegen, bei der der Antragsteller im Stadium der Ausarbeitung des endgültigen Bauprojekts die von der Dienststellenkonferenz zum Vorprojekt ausgesprochenen Vorgaben, Bemerkungen und Empfehlungen zum Landschafts- und Umweltschutz umsetzen muss, obwohl die für den Umweltschutz zuständige staatliche Stelle festgestellt hatte, dass es nicht möglich sei, für die sich im Genehmigungsverfahren befindende Projektvariante etwaige Vorgaben und Abmilderungsmaßnahmen festzulegen?

6.

Stehen die genannten Richtlinien einer Lösung wie der vorliegenden entgegen, bei der der Antragsteller für das Projekt außerdem die Umweltverträglichkeitsstudie, einschließlich der „angemessenen Prüfung“, gemäß den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben erarbeiten muss, auf deren Grundlage die fragliche Prüfung der Umweltauswirkungen vorzunehmen ist?

7.

Stehen die genannten Richtlinien einer Lösung wie der vorliegenden entgegen, bei der ein von der normalerweise zuständigen Stelle (der Kommission für die Prüfung der Umweltverträglichkeit des Ministeriums für Umwelt und Landschafts- und Meeresschutz) verschiedener Dritter (die Region Latium) bestimmt wird, der die dem endgültigen Bauprojekt beizufügende Umweltverträglichkeitsstudie zu prüfen hat, auch um etwaige weitere Abmilderungs- und Ausgleichsmaßnahmen zu ermitteln, die zum Schutz und zur Erhaltung der Umwelt- und Landschaftskomponenten des betreffenden Gebiets erforderlich sind, während die Kommission für die Prüfung der Umweltverträglichkeit des Ministeriums für Umwelt und Landschafts- und Meeresschutz nach Art. 185 Abs. 4 und 5 des Decreto legislativo Nr. 163/2006 nur noch im Nachhinein – nachdem diese Prüfung durchgeführt wurde – dazu Stellung nehmen kann, ob das endgültige Projekt des fraglichen Straßenbauvorhabens die Vorgaben zu Landschafts- und Umweltschutz einhält?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

27

Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 der Habitatrichtlinie in Verbindung mit der Richtlinie 2009/147, soweit diese auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist, dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, die es erlaubt, das Verfahren für die Genehmigung eines Plans oder Projekts, dessen Auswirkungen auf ein besonderes Schutzgebiet nicht abgemildert werden können und zu dem die zuständige Behörde bereits eine negative Stellungnahme abgegeben hat, aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses fortzuführen, entgegensteht, wenn es eine Alternativlösung gibt, die bereits unter Umweltgesichtspunkten genehmigt wurde.

28

Nach der Definition in Art. 1 Buchst. l der Habitatrichtlinie ist ein besonderes Schutzgebiet ein „von den Mitgliedstaaten durch eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift und/oder eine vertragliche Vereinbarung als ein von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewiesenes Gebiet, in dem die Maßnahmen, die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und/oder Populationen der Arten, für die das Gebiet bestimmt ist, erforderlich sind, durchgeführt werden“.

29

Art. 6 dieser Richtlinie sieht Maßnahmen zum Schutz der besonderen Schutzgebiete vor. Insbesondere in Abs. 3 werden die Voraussetzungen aufgestellt, unter denen Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, genehmigt werden können.

30

Das Gebiet „Fiume Mignone (basso corso)“ wurde durch das Dekret des Ministers für Umwelt und Landschafts- und Meeresschutz vom 6. Dezember 2016 als besonderes Schutzgebiet ausgewiesen. Zudem könnte dieses Gebiet nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts durch das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Projekt des Baus eines Straßenabschnitts erheblich beeinträchtigt werden. Es fällt folglich in den Geltungsbereich von Art. 6 der Habitatrichtlinie.

31

Die Richtlinie 2009/147 ist hingegen in einem Rechtsstreit wie dem des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar. Die Kläger des Ausgangsverfahrens machen zwar geltend, dass in dem durch das Projekt durchquerten Gebiet der in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführte Rötelfalke vorkomme, für den insoweit besondere Schutzmaßnahmen gälten. Jedoch sieht Art. 7 der Habitatrichtlinie vor, dass die Verpflichtungen nach Art. 6 dieser Richtlinie ab dem Datum für die Anwendung der Richtlinie bzw. danach ab dem Datum, zu dem das betreffende Gebiet entsprechend der Richtlinie 79/409 zum besonderen Schutzgebiet erklärt wird, an die Stelle der Pflichten treten, die sich aus der Aufnahme einer Art in das Verzeichnis der Arten, die nach der durch die Richtlinie 2009/147 kodifizierten und ergänzten Richtlinie 79/409 geschützt werden, ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juni 2002, Kommission/Irland, C‑117/00, EU:C:2002:366, Rn. 25, und vom 17. April 2018, Kommission/Polen [Wald von Białowieża], C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 109). Daher sind nur die Bestimmungen der Habitatrichtlinie auszulegen.

32

Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie erlegt den Mitgliedstaaten eine allgemeine Verpflichtung auf, geeignete Maßnahmen zu treffen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der Lebensräume und erhebliche Störungen von Arten, für die diese Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden (Urteile vom 7. September 2004, Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging, C‑127/02, EU:C:2004:482, Rn. 32, und vom 20. September 2007, Kommission/Italien, C‑304/05, EU:C:2007:532, Rn. 92). Diese Verpflichtung trägt zu dem im siebten Erwägungsgrund der Richtlinie genannten Vorhaben der Schaffung eines zusammenhängenden europäischen ökologischen Netzes bei (Urteil vom 20. September 2007, Kommission/Italien, C‑304/05, EU:C:2007:532, Rn. 93).

33

Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie sieht ein Verfahren für besondere Schutzgebiete vor, das durch eine vorherige Prüfung gewährleisten soll, dass Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des betreffenden Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die dieses jedoch erheblich beeinträchtigen könnten, nur genehmigt werden, soweit sie dieses Gebiet als solches nicht beeinträchtigen (Urteile vom 7. September 2004, Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging, C‑127/02, EU:C:2004:482, Rn. 34, vom 26. Oktober 2006, Kommission/Portugal, C‑239/04, EU:C:2006:665, Rn. 19, und vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 43).

34

Die genannte Bestimmung unterscheidet also zwischen zwei Phasen. Die erste Phase verlangt von den Mitgliedstaaten eine Prüfung der Verträglichkeit von Plänen oder Projekten mit einem geschützten Gebiet, wenn die Möglichkeit besteht, dass diese Pläne oder Projekte das Gebiet erheblich beeinträchtigen. In der zweiten Phase, die sich an diese Verträglichkeitsprüfung anschließt, wird die Genehmigung solcher Pläne oder Projekte nur erteilt, wenn das betreffende Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird (Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 29 und 31, und vom 7. November 2018, Holohan u. a., C‑461/17, EU:C:2018:883, Rn. 31).

35

Nach Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie ergreift der Mitgliedstaat in dem Fall, dass ein Plan oder Projekt trotz negativer Ergebnisse der nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie vorgenommenen Prüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art durchzuführen ist und eine Alternativlösung nicht vorhanden ist, alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist (Urteil vom 20. September 2007, Kommission/Italien, C‑304/05, EU:C:2007:532, Rn. 81).

36

Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie ist als Ausnahme von dem in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 festgelegten Genehmigungskriterium eng auszulegen (Urteile vom 20. September 2007, Kommission/Italien, C‑304/05, EU:C:2007:532, Rn. 82, und vom 17. April 2018, Kommission/Polen [Wald von Białowieża], C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 189).

37

Somit folgt aus Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie, dass die zuständigen nationalen Behörden es grundsätzlich ablehnen müssen, einen Plan oder ein Projekt zu genehmigen, der oder das das betreffende Gebiet als solches beeinträchtigen könnte. Ausnahmsweise kann der Plan oder das Projekt jedoch trotz negativer Auswirkungen auf dieses Gebiet unter den in Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen durchgeführt werden, wenn die Durchführung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses erforderlich ist.

38

In einem solchen Fall folgt aus dem Erhaltungsziel für die besonderen Schutzgebiete, das Art. 6 der Habitatrichtlinie zugrunde liegt, dass die Beeinträchtigungen des betreffenden Gebiets als solches so gering wie möglich sein müssen. Art. 6 Abs. 4 macht jedoch nach seinem Wortlaut die Möglichkeit, den zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses Vorrang vor dem Schutz eines besonderen Schutzgebiets einzuräumen, nicht davon abhängig, dass die Beeinträchtigungen des Gebiets als solches hinreichend abgemildert werden können. Mit dieser Bestimmung sollte also festgestellt werden, dass unter außergewöhnlichen Umständen das Ziel der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in den besonderen Schutzgebieten hinter anderen besonders dringenden Erwägungen des öffentlichen Interesses zurücktreten kann, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der betreffende Mitgliedstaat die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen ergreift, um die globale Kohärenz des europäischen ökologischen Netzes „Natura 2000“ zu wahren.

39

Das vorlegende Gericht weist in Bezug auf die „grüne Trasse“ darauf hin, dass die geltend gemachten zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses auf den geringeren Kosten des Vorhabens, auf seiner Vereinbarkeit mit dem Schutz der Landschaft und der historischen, kulturellen und sozioökonomischen Belange sowie auf der Notwendigkeit der Fertigstellung eines transeuropäischen Straßennetzes beruhen.

40

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verlangt, dass Beeinträchtigungen eines besonderen Schutzgebiets als solches, selbst wenn sie gerechtfertigt sind, nur genehmigt werden, wenn sie wirklich unvermeidbar sind, d. h., wenn Alternativlösungen fehlen.

41

Zu den wirtschaftlichen Kosten der Maßnahmen, die im Rahmen der Prüfung von Alternativen berücksichtigt werden können, kann somit unter Berücksichtigung der engen Auslegung von Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie, auf die in Rn. 34 des vorliegenden Urteils hingewiesen wurde, nicht zugelassen werden, dass bei der Wahl von Alternativlösungen nach dieser Bestimmung allein auf die wirtschaftlichen Kosten solcher Maßnahmen abgestellt wird (Urteil vom 14. Januar 2016, Grüne Liga Sachsen u. a., C‑399/14, EU:C:2016:10, Rn. 77).

42

Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof übermittelten Akten hervor, dass es eine Variante des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Projekts gibt, die als „violette Trasse“ bezeichnet wird und im Jahr 2004 vom Ministerium für Umwelt und Landschafts- und Meeresschutz eine befürwortende Stellungnahme erhalten hat.

43

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die „violette Trasse“ im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie als eine Alternativlösung anzusehen ist, die weniger Nachteile für das besondere Schutzgebiet „Fiume Mignone (basso corso)“ als solches bietet als die „grüne Trasse“.

44

Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 6 der Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, die es erlaubt, das Verfahren für die Genehmigung eines Plans oder Projekts, dessen Auswirkungen auf ein besonderes Schutzgebiet nicht abgemildert werden können und zu dem die zuständige Behörde bereits eine negative Stellungnahme abgegeben hat, aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses fortzuführen, nicht entgegensteht, es sei denn, dass es eine Alternativlösung mit weniger Nachteilen für das betreffende besondere Schutzgebiet als solches gibt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Zur dritten und zur vierten Frage

45

Mit seiner dritten und seiner vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob, wenn die Prüfung der Verträglichkeit eines Plans oder Projekts mit einem besonderen Schutzgebiet gemäß Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie negativ ausgefallen ist und der betreffende Mitgliedstaat gleichwohl nach Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie beschlossen hat, den Plan oder das Projekt aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses durchzuführen, Art. 6 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es erlaubt, für die Durchführung weiterer eingehenderer Untersuchungen und Studien zu den Folgen dieses Plans oder Projekts für das besondere Schutzgebiet und für die Festlegung angemessener Ausgleichs- und Abmilderungsmaßnahmen auf die Phase des endgültigen Plans oder Projekts zu verweisen.

46

Die dritte und die vierte Frage enthalten in Wirklichkeit drei verschiedene Fragen.

47

Das vorlegende Gericht möchte mit diesen Fragen erstens wissen, ob Art. 6 der Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es erlaubt, für die Durchführung weiterer eingehenderer Untersuchungen und Studien zu den Folgen des in Rede stehenden Plans oder Projekts für ein besonderes Schutzgebiet auf die Phase des endgültigen Plans oder Projekts zu verweisen, wenn der vorläufige Plan oder das Vorprojekt im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung nicht genehmigt wurde.

48

Nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie muss die zuständige nationale Behörde dem Plan oder Projekt die Genehmigung versagen, wenn nicht sicher ist, dass es keine nachteiligen Folgen für das betreffende Gebiet als solches gibt. Diese Bestimmung schließt den Vorsorgegrundsatz ein und erlaubt so, durch Pläne oder Projekte entstehende Beeinträchtigungen der Schutzgebiete als solche wirksam zu verhüten. Ein weniger strenges Genehmigungskriterium könnte die Verwirklichung des mit dieser Bestimmung verfolgten Ziels des Schutzes der Gebiete nicht ebenso wirksam gewährleisten (Urteile vom 7. September 2004, Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging, C‑127/02, EU:C:2004:482, Rn. 57 und 58, vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 41, und vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 53).

49

Eine Prüfung nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie darf daher nicht lückenhaft sein und muss vollständige, präzise und endgültige Feststellungen enthalten, die geeignet sind, jeden vernünftigen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der Folgen der in dem betreffenden Schutzgebiet geplanten Arbeiten auszuräumen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 44, und vom 15. Mai 2014, Briels u. a., C‑521/12, EU:C:2014:330, Rn. 27).

50

Demnach kann die in Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie vorgesehene Prüfung nicht auf der Grundlage später durchgeführter Untersuchungen und Studien ordnungsgemäß fortgesetzt werden. Wird eine Ergänzung oder Vertiefung einer Prüfung der Verträglichkeit eines Plans oder Projekts mit einem besonderen Schutzgebiet für erforderlich gehalten, kann diese daher nicht als die in dieser Bestimmung vorgesehene Prüfung angesehen werden.

51

Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass die zuständige Behörde ausdrücklich angegeben hat, Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie anwenden zu wollen. Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie ist als Ausnahme von dem in deren Art. 6 Abs. 3 festgelegten Genehmigungskriterium jedoch eng auszulegen und kommt erst zur Anwendung, nachdem die Verträglichkeit eines Plans oder Projekts gemäß Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie analysiert wurde (Urteil vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 60).

52

Für die Anwendung von Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie ist es nämlich unerlässlich, dass die Verträglichkeit mit den für das fragliche Gebiet festgelegten Erhaltungszielen bekannt ist, da andernfalls die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Ausnahmeregelung nicht geprüft werden könnten. Denn die Prüfung etwaiger zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses und der Frage, ob für die Umwelt weniger nachteilige Alternativen bestehen, erfordert eine Abwägung mit den Gebietsbeeinträchtigungen, die mit dem Plan oder Projekt verbunden sind (Urteil vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53

Daraus folgt, dass die im Ausgangsverfahren zuständige Behörde bei der Umsetzung von Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie davon ausgehen musste, dass die bereits durchgeführte negativ ausgefallene Prüfung der Verträglichkeit des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Projekts mit dem betreffenden besonderen Schutzgebiet die in Art. 6 Abs. 3 dieser Richtlinie vorgesehene Verträglichkeitsprüfung war. Eine Ergänzung dieser Prüfung war daher, wie in Rn. 48 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nicht möglich.

54

Zweitens möchte das vorlegende Gericht mit seiner dritten und seiner vierten Frage ferner wissen, ob Art. 6 der Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es erlaubt, für die Festlegung von Abmilderungsmaßnahmen auf die Phase des endgültigen Plans oder Projekts zu verweisen, wenn der vorläufige Plan oder das Vorprojekt im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung nicht genehmigt wurde.

55

Vorab ist festzustellen, dass im Wortlaut von Art. 6 der Habitatrichtlinie von einer „Abmilderungsmaßnahme“ keine Rede ist (Urteil vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 57).

56

Werden mit dieser Wendung Schutzmaßnahmen bezeichnet, mit denen die negativen Auswirkungen eines Plans oder Projekts auf das in Rede stehende Gebiet verhindert oder verringert werden sollen, verpflichtet das in Rn. 49 des vorliegenden Urteils angeführte Erfordernis, dass die Prüfung eines Plans oder Projekts nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie vollständige, präzise und endgültige Feststellungen und Schlussfolgerungen enthält, dazu, diese Maßnahmen zusammen mit dem Plan oder Projekt selbst zu prüfen und somit dazu, sie in den Plan oder das Projekt aufzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 54). Sie dürfen daher den betreffenden Plan oder das betreffende Projekt nicht nach dieser Prüfung ändern. Ließe man zu, dass der Plan oder das Projekt nach der Verträglichkeitsprüfung durch Abmilderungsmaßnahmen geändert wird, liefe dies nämlich darauf hinaus, unter Missachtung der Ziele von Art. 6 dieser Richtlinie darauf zu verzichten, den Einfluss dieser Abmilderungsmaßnahmen selbst auf das besondere Schutzgebiet sowie den Einfluss des endgültigen Plans oder Projekts zu prüfen.

57

Folglich steht dieser Artikel einer Regelung entgegen, die es erlaubt, für die Festlegung von Maßnahmen zur Abmilderung der Auswirkungen eines Plans oder Projekts auf ein besonderes Schutzgebiet auf eine Phase nach der Verträglichkeitsprüfung im Sinne seines Abs. 3 zu verweisen.

58

Drittens möchte das vorlegende Gericht mit seiner dritten und seiner vierten Frage wissen, ob Art. 6 der Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es erlaubt, für die Festlegung von Ausgleichsmaßnahmen auf die Phase des endgültigen Plans oder Projekts zu verweisen, wenn der Plan oder das Projekt im Rahmen der Prüfung der Verträglichkeit mit einem besonderen Schutzgebiet nicht genehmigt wurde.

59

Nach Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie ergreift der betreffende Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um die globale Kohärenz von Natura 2000 sicherzustellen, wenn trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses ein Plan oder Projekt durchzuführen ist und eine Alternativlösung nicht vorhanden ist.

60

Die Ausgleichsmaßnahmen werden somit gegebenenfalls im Anschluss an die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie festgelegt.

61

Wie in den Rn. 51 und 52 des vorliegenden Urteils ausgeführt, kommt Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie nämlich erst zur Anwendung, nachdem die Verträglichkeit eines Plans oder Projekts gemäß Art. 6 Abs. 3 analysiert wurde.

62

Zudem rechtfertigt es schon die Natur von Ausgleichsmaßnahmen, dass sie nach einer sachgerechten Prüfung der negativen Auswirkungen eines Plans oder Projekts auf das betreffende Gebiet festgelegt werden. Solche Maßnahmen sollen Wirkungen auf einer anderen Ebene entfalten, insbesondere nach der Durchführung des in Rede stehenden Plans oder Projekts, um die Gesamtkohärenz des europäischen ökologischen Netzes „Natura 2000“ unter Berücksichtigung der unvermeidbaren Schäden, die durch den Plan oder das Projekt für das betreffende besondere Schutzgebiet als solches entstehen, zu gewährleisten oder wiederherzustellen.

63

Daher sind die erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen nach der in Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie vorgesehenen Prüfung festzulegen, wenn der Plan oder das Projekt trotz seines negativen Einflusses auf das betreffende besondere Schutzgebiet durchgeführt werden soll und die übrigen Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie erfüllt sind.

64

Nach alledem ist auf die dritte und die vierte Frage zu antworten, dass, wenn die Prüfung der Verträglichkeit eines Plans oder Projekts mit einem besonderen Schutzgebiet gemäß Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie negativ ausgefallen ist und der betreffende Mitgliedstaat gleichwohl nach Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie beschlossen hat, den Plan oder das Projekt aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses durchzuführen, Art. 6 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es erlaubt, den Plan oder das Projekt nach seiner negativ ausgefallenen Prüfung gemäß Art. 6 Abs. 3 und vor seiner endgültigen Annahme gemäß Art. 6 Abs. 4 durch Maßnahmen zur Abmilderung seiner Auswirkungen auf dieses Gebiet zu ergänzen und die Verträglichkeitsprüfung fortzuführen. Hingegen steht Art. 6 der Habitatrichtlinie unter den gleichen Umständen einer nationalen Regelung, die es erlaubt, die Ausgleichsmaßnahmen in demselben Beschluss festzulegen, nicht entgegen, sofern auch die übrigen Voraussetzungen für die Durchführung von Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie erfüllt sind.

Zur fünften und zur sechsten Frage

65

Mit seiner fünften und seiner sechsten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass der Antragsteller eine Studie zur Verträglichkeit des in Rede stehenden Plans oder Projekts mit dem betreffenden besonderen Schutzgebiet durchführt und nach einer negativ ausgefallenen Prüfung des Plans oder Projekts durch die zuständige Behörde in den endgültigen Plan oder das endgültige Projekt Vorgaben, Anmerkungen und Empfehlungen landschaftlicher und umweltbezogener Natur aufnimmt.

66

Erstens ist festzustellen, dass weder die Habitatrichtlinie noch die Rechtsprechung des Gerichtshofs dem entgegenstehen, dass dem Antragsteller aufgegeben wird, zur Stützung des Antrags auf Genehmigung seines Plans oder Projekts eine Studie zur Verträglichkeit des Plans oder Projekts mit dem betreffenden besonderen Schutzgebiet vorzulegen, auf deren Grundlage die zuständige Behörde die Verträglichkeitsprüfung im Sinne von Art. 6 Abs. 3 dieser Richtlinie vornimmt.

67

Zweitens ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie, dass die Verträglichkeitsprüfung nicht Sache des Antragstellers, sondern der zuständigen Behörde ist, d. h. derjenigen Behörde, die von den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Erfüllung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Aufgaben benannt ist (Urteil vom 7. November 2018, Holohan u. a., C‑461/17, EU:C:2018:883, Rn. 44).

68

Drittens kann, wie in Rn. 56 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ein Plan oder Projekt nach der Prüfung seiner Verträglichkeit mit dem betreffenden besonderen Schutzgebiet nur geändert werden, wenn sonst die Vollständigkeit und Endgültigkeit dieser Prüfung und die Garantie, die sie für die Erhaltung dieses Gebiets darstellt, in Frage gestellt würden. Dem Antragsteller kann daher nicht aufgegeben werden, Vorgaben, Anmerkungen und Empfehlungen in den Plan oder das Projekt aufzunehmen, wenn der Plan oder das Projekt von der zuständigen Behörde bereits mit negativem Ausgang geprüft worden ist, es sei denn, dass der geänderte Plan oder das geänderte Projekt von der Behörde erneut geprüft wird.

69

Viertens dürfen nur solche Änderungen eines Plans oder Projekts nach der Prüfung seiner Verträglichkeit mit einem besonderen Schutzgebiet nicht vorgenommen werden, die erheblichen Einfluss auf das Gebiet haben können. Parameter, hinsichtlich deren kein wissenschaftlicher Zweifel besteht, dass ihre Folgen das Gebiet nicht beeinträchtigen können, dürfen dem Antragsteller hingegen zur alleinigen späteren Entscheidung überlassen werden (Urteil vom 7. November 2018, Holohan u. a., C‑461/17, EU:C:2018:883, Rn. 46).

70

Nach alledem ist auf die fünfte und die sechste Frage zu antworten, dass die Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die vorsieht, dass der Antragsteller eine Studie zur Verträglichkeit des in Rede stehenden Plans oder Projekts mit dem betreffenden besonderen Schutzgebiet durchführt, auf deren Grundlage die zuständige Behörde die Verträglichkeitsprüfung vornimmt. Diese Richtlinie steht hingegen einer nationalen Regelung entgegen, die es erlaubt, dem Antragsteller aufzugeben, nach einer negativ ausgefallenen Prüfung des in Rede stehenden Plans oder Projekts durch die zuständige Behörde in den endgültigen Plan oder das endgültige Projekt Vorgaben, Anmerkungen und Empfehlungen landschaftlicher und umweltbezogener Natur aufzunehmen, ohne dass der geänderte Plan oder das geänderte Projekt erneut von der zuständigen Behörde geprüft werden muss.

Zur siebten Frage

71

Mit seiner siebten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die es erlaubt, dass eine andere Behörde als diejenige, die für die Prüfung der Verträglichkeit eines Plans oder Projekts mit einem besonderen Schutzgebiet zuständig ist, mit der Prüfung der Verträglichkeitsstudie betraut wird, die dem endgültigen Plan oder Projekt beizufügen ist.

72

Erstens ist die Habitatrichtlinie, da sie keine Angaben zu der Behörde enthält, die für die Verträglichkeitsprüfung von Plänen und Projekten, die besondere Schutzgebiete erheblich beeinträchtigen können, zuständig ist, dahin auszulegen, dass sie die Benennung dieser Behörde den Mitgliedstaaten überlässt.

73

Zweitens muss die in Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie vorgesehene Prüfung der Verträglichkeit eines Plans oder Projekts mit dem betreffenden besonderen Schutzgebiet, wie in Rn. 49 des vorliegenden Urteils ausgeführt, vollständige, präzise und endgültige Feststellungen enthalten, die geeignet sind, jeden vernünftigen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der Folgen der in dem betreffenden Schutzgebiet geplanten Arbeiten auszuräumen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 44, und vom 15. Mai 2014, Briels u. a., C‑521/12, EU:C:2014:330, Rn. 27). Deshalb kann diese Prüfung, wenn sie durchgeführt wurde, wie es hier – wie in den Rn. 51 bis 53 des vorliegenden Urteils ausgeführt – der Fall ist, weder von der Behörde, die sie durchgeführt hat, noch von einer anderen Behörde fortgesetzt oder ergänzt werden.

74

Daher ist auf die siebte Frage zu antworten, dass die Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass sie es zwar den Mitgliedstaaten überlässt, die für die Prüfung der Verträglichkeit eines Plans oder Projekts mit einem besonderen Schutzgebiet zuständige Behörde unter Beachtung der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Kriterien zu benennen, dass sie aber jede Behörde daran hindert, diese Prüfung fortzuführen oder zu ergänzen, nachdem sie einmal durchgeführt worden ist.

Kosten

75

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 6 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die es erlaubt, das Verfahren für die Genehmigung eines Plans oder Projekts, dessen Auswirkungen auf ein besonderes Schutzgebiet nicht abgemildert werden können und zu dem die zuständige Behörde bereits eine negative Stellungnahme abgegeben hat, aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses fortzuführen, nicht entgegensteht, es sei denn, dass es eine Alternativlösung mit weniger Nachteilen für das betreffende besondere Schutzgebiet als solches gibt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 

2.

Wenn die Prüfung der Verträglichkeit eines Plans oder Projekts mit einem besonderen Schutzgebiet gemäß Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 negativ ausgefallen ist und der betreffende Mitgliedstaat gleichwohl nach Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie beschlossen hat, den Plan oder das Projekt aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses durchzuführen, ist Art. 6 der Richtlinie dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es erlaubt, den Plan oder das Projekt nach seiner negativ ausgefallenen Prüfung gemäß Art. 6 Abs. 3 und vor seiner endgültigen Annahme gemäß Art. 6 Abs. 4 durch Maßnahmen zur Abmilderung seiner Auswirkungen auf dieses Gebiet zu ergänzen und die Verträglichkeitsprüfung fortzuführen. Hingegen steht Art. 6 der Habitatrichtlinie unter den gleichen Umständen einer nationalen Regelung, die es erlaubt, die Ausgleichsmaßnahmen in demselben Beschluss festzulegen, nicht entgegen, sofern auch die übrigen Voraussetzungen für die Durchführung von Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie erfüllt sind.

 

3.

Die Richtlinie 92/43 ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die vorsieht, dass der Antragsteller eine Studie zur Verträglichkeit des in Rede stehenden Plans oder Projekts mit dem betreffenden besonderen Schutzgebiet durchführt, auf deren Grundlage die zuständige Behörde die Verträglichkeitsprüfung vornimmt. Diese Richtlinie steht hingegen einer nationalen Regelung entgegen, die es erlaubt, dem Antragsteller aufzugeben, nach einer negativ ausgefallenen Prüfung des in Rede stehenden Plans oder Projekts durch die zuständige Behörde in den endgültigen Plan oder das endgültige Projekt Vorgaben, Anmerkungen und Empfehlungen landschaftlicher und umweltbezogener Natur aufzunehmen, ohne dass der geänderte Plan oder das geänderte Projekt erneut von der zuständigen Behörde geprüft werden muss.

 

4.

Die Richtlinie 92/43 ist dahin auszulegen, dass sie es zwar den Mitgliedstaaten überlässt, die für die Prüfung der Verträglichkeit eines Plans oder Projekts mit einem besonderen Schutzgebiet zuständige Behörde unter Beachtung der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Kriterien zu benennen, dass sie aber jede Behörde daran hindert, diese Prüfung fortzuführen oder zu ergänzen, nachdem sie einmal durchgeführt worden ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.