URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

14. Mai 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Aufträge – Vergabe öffentlicher Aufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Art. 1 Abs. 2 und Art. 72 – Richtlinie 2014/25/EU – Art. 1 Abs. 2 und Art. 89 – Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge – Richtlinie 89/665/EWG – Art. 2e Abs. 2 – Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor – Richtlinie 92/13/EWG – Art. 2e Abs. 2 – Änderungen eines im Anschluss an ein Verfahren zur öffentlichen Auftragsvergabe geschlossenen Vertrags – Fehlen eines neuen Vergabeverfahrens – Gegen den öffentlichen Auftraggeber und den Auftragnehmer verhängte Geldbußen – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C‑263/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) mit Entscheidung vom 7. März 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 28. März 2019, in dem Verfahren

T‑Systems Magyarország Zrt.,

BKK Budapesti Közlekedési Központ Zrt.

gegen

Közbeszerzési Hatóság Közbeszerzési Döntőbizottság,

Beteiligter:

Közbeszerzési Hatóság Elnöke,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras (Berichterstatter) sowie der Richter S. Rodin und D. Šváby, der Richterin K. Jürimäe und des Richters N. Piçarra,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der T‑Systems Magyarország Zrt., vertreten durch P. Szilas, Zs. Okányi und V. Kovács, ügyvédek,

der Közbeszerzési Hatóság Közbeszerzési Döntőbizottság, vertreten durch I. Hunya als Bevollmächtigten,

des Közbeszerzési Hatóság Elnöke, vertreten durch T. A. Cseh als Bevollmächtigten,

der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und M. M. Tátrai als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Haasbeek, P. Ondrůšek und A. Tokár als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft im Wesentlichen die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 und Art. 72 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65), von Art. 2e Abs. 2 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. 1989, L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 (ABl. 2007, L 335, S. 31) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665), von Art. 2e Abs. 2 der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. 1992, L 76, S. 14) in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 92/13) sowie der Art. 41 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der T‑Systems Magyarország Zrt. (im Folgenden: T‑Systems) und der BKK Budapesti Közlekedési Központ Zrt. (im Folgenden: BKK) auf der einen und der Közbeszerzési Hatóság Közbeszerzési Döntőbizottság (Schiedskommission bei der Behörde für das öffentliche Auftragswesen, Ungarn, im Folgenden: Schiedskommission) auf der anderen Seite wegen Geldbußen, die gegen die Erstgenannten verhängt wurden, weil der zwischen ihnen bestehende Vertrag während der Vertragslaufzeit geändert wurde, ohne dass neue Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge durchgeführt worden wären.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 89/665

3

Art. 2e („Verstöße gegen diese Richtlinie und alternative Sanktionen“) der Richtlinie 89/665 bestimmt:

„(1)   Bei Verstößen gegen Artikel 1 Absatz 5, Artikel 2 Absatz 3 oder Artikel 2a Absatz 2, die nicht von Artikel 2d Absatz 1 Buchstabe b erfasst sind, sehen die Mitgliedstaaten die Unwirksamkeit gemäß Artikel 2d Absätze 1 bis 3 oder alternative Sanktionen vor. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die vom öffentlichen Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle nach Bewertung aller einschlägigen Aspekte entscheidet, ob der Vertrag als unwirksam erachtet oder alternative Sanktionen verhängt werden sollten.

(2)   Die alternativen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Sie umfassen Folgendes:

die Verhängung von Geldbußen bzw. ‑strafen gegen den öffentlichen Auftraggeber oder

die Verkürzung der Laufzeit des Vertrags.

Die Mitgliedstaaten können der Nachprüfungsstelle einen weiten Ermessensspielraum einräumen, damit sie alle relevanten Faktoren berücksichtigen kann, einschließlich der Schwere des Verstoßes, des Verhaltens des öffentlichen Auftraggebers und – in den in Artikel 2d Absatz 2 genannten Fällen – des Umfangs, in dem der Vertrag seine Gültigkeit behält.

Die Zuerkennung von Schadensersatz stellt keine angemessene Sanktion im Sinne dieses Absatzes dar.“

Richtlinie 92/13

4

Die Bestimmungen des Art. 2e („Verstöße gegen diese Richtlinie und alternative Sanktionen“) der Richtlinie 92/13, sind mit dem Wortlaut der Bestimmungen des Art. 2e der Richtlinie 89/665 identisch.

Richtlinie 2007/66

5

Die Erwägungsgründe 19 bis 21 der Richtlinie 2007/66 lauten:

„(19)

Bei anderen Verstößen gegen förmliche Anforderungen können die Mitgliedstaaten den Grundsatz der Unwirksamkeit als ungeeignet betrachten. In diesen Fällen sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, alternative Sanktionen vorzusehen. Alternative Sanktionen sollten auf die Verhängung von Geldbußen bzw. ‑strafen, die an eine von dem öffentlichen Auftraggeber oder dem Auftraggeber unabhängige Stelle zu zahlen sind, oder auf die Verkürzung der Laufzeit des Vertrags beschränkt sein. Es obliegt den Mitgliedstaaten, die Einzelheiten der alternativen Sanktionen und die Bestimmungen für ihre Anwendung festzulegen.

(20)

Diese Richtlinie sollte die Anwendung schärferer Sanktionen nach innerstaatlichem Recht nicht ausschließen.

(21)

Mit der Festlegung von Regeln durch die Mitgliedstaaten, die gewährleisten, dass ein Vertrag als unwirksam gilt, soll erreicht werden, dass die Rechte und Verpflichtungen der Parteien im Rahmen des Vertrags nicht mehr ausgeübt und nicht mehr durchgesetzt werden. Die Folgen, die sich dadurch ergeben, dass ein Vertrag als unwirksam gilt, sollten durch das einzelstaatliche Recht bestimmt werden. Die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften können somit z. B. vorsehen, dass alle vertraglichen Verpflichtungen rückwirkend aufgehoben werden (ex tunc) oder dass umgekehrt die Wirkung der Aufhebung auf die Verpflichtungen beschränkt ist, die noch zu erfüllen sind (ex nunc). Dies sollte nicht dazu führen, dass strenge Sanktionen fehlen, wenn die Verpflichtungen im Rahmen eines Vertrags bereits vollständig oder fast vollständig erfüllt wurden. Für derartige Fälle sollten die Mitgliedstaaten auch alternative Sanktionen vorsehen, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Umfang ein Vertrag nach dem einzelstaatlichen Recht Gültigkeit behält. Gleichermaßen sind die Folgen bezüglich der möglichen Rückerstattung von gegebenenfalls gezahlten Beträgen sowie alle anderen Formen möglicher Rückerstattungen – einschließlich Rückerstattungen des Werts, falls eine Rückerstattung der Sache nicht möglich ist – durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften zu regeln.“

Richtlinie 2014/24

6

In den Erwägungsgründen 10, 29, 107, 109 und 111 der Richtlinie 2014/24 heißt es:

„(10)

Der Begriff ‚öffentliche Auftraggeber‘ und insbesondere der Begriff ‚Einrichtungen des öffentlichen Rechts‘ sind wiederholt im Rahmen der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union überprüft worden. Um klarzustellen, dass der persönliche Geltungsbereich dieser Richtlinie unverändert bleiben sollte, ist es angezeigt, die Begriffsbestimmung beizubehalten, auf die sich der Gerichtshof selbst stützt, und einige Erläuterungen, die im Rahmen dieser Rechtsprechung gegeben wurden, als Schlüssel zum Verständnis der Begriffsbestimmung selbst aufzunehmen, ohne dass damit beabsichtigt wird, das Verständnis des Begriffs, so wie es in der Rechtsprechung dargelegt wurde, zu ändern. …

(29)

Es sei darauf hingewiesen, dass diese Richtlinie nur für öffentliche Auftraggeber der Mitgliedstaaten gilt. …

(107)

Es ist erforderlich, die Bedingungen näher zu bestimmen, unter denen Änderungen eines Auftrags während des Ausführungszeitraums ein neues Vergabeverfahren erfordern; dabei ist der einschlägigen Rechtsprechung des [Gerichtshofs] Rechnung zu tragen. Ein neues Vergabeverfahren ist erforderlich bei wesentlichen Änderungen des ursprünglichen Auftrags, insbesondere des Umfangs und der inhaltlichen Ausgestaltung der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien, einschließlich der Zuweisung der Rechte des geistigen Eigentums. Derartige Änderungen sind Ausdruck der Absicht der Parteien, wesentliche Bedingungen des betreffenden Auftrags neu zu verhandeln. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die geänderten Bedingungen, hätten sie bereits für das ursprüngliche Verfahren gegolten, dessen Ergebnis beeinflusst hätten.

Änderungen des Auftrags, die zu einer geringfügigen Änderung des Auftragswerts bis zu einer bestimmten Höhe führen, sollten jederzeit möglich sein, ohne dass ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss. Zu diesem Zweck und um Rechtssicherheit zu gewährleisten, sollten in dieser Richtlinie Geringfügigkeitsgrenzen vorgesehen werden, unterhalb deren kein neues Vergabeverfahren erforderlich ist. Änderungen des Auftrags, die diese Schwellenwerte überschreiten, sollten ohne erneutes Vergabeverfahren möglich sein, soweit diese die in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen erfüllen.

(109)

Öffentliche Auftraggeber können sich mit externen Umständen konfrontiert sehen, die sie zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung nicht absehen konnten, insbesondere wenn sich die Ausführung des Auftrags über einen längeren Zeitraum erstreckt. In diesem Fall ist ein gewisses Maß an Flexibilität erforderlich, um den Auftrag an diese Gegebenheiten anzupassen, ohne ein neues Vergabeverfahren einleiten zu müssen. …

(111)

Öffentliche Auftraggeber sollten über die Möglichkeit verfügen, im einzelnen Vertrag in Form von Überprüfungs- oder Optionsklauseln Vertragsänderungen vorzusehen, doch sollten derartige Klauseln ihnen keinen unbegrenzten Ermessensspielraum einräumen. Daher sollte in dieser Richtlinie festgelegt werden, inwieweit im ursprünglichen Vertrag die Möglichkeit von Änderungen vorgesehen werden kann. …“

7

Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 sieht vor:

„Auftragsvergabe im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet den im Wege eines öffentlichen Auftrags erfolgenden Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen durch einen oder mehrere öffentliche Auftraggeber von Wirtschaftsteilnehmern, die von diesen öffentlichen Auftraggebern ausgewählt werden, unabhängig davon, ob diese Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen für einen öffentlichen Zweck bestimmt sind oder nicht.“

8

Titel II der Richtlinie 2014/24 („Vorschriften für öffentliche Aufträge“) enthält unter anderem ein Kapitel IV („Auftragsausführung“), das die Art. 70 bis 73 dieser Richtlinie umfasst. Art. 72 („Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit“) bestimmt:

„(1)   Aufträge und Rahmenvereinbarungen können in den folgenden Fällen ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens im Einklang mit dieser Richtlinie geändert werden:

a)

wenn die Änderungen, unabhängig von ihrem Geldwert, in den ursprünglichen Auftragsunterlagen in Form von klar, präzise und eindeutig formulierten Überprüfungsklauseln, die auch Preisüberprüfungsklauseln beinhalten können, oder Optionen vorgesehen sind. Entsprechende Klauseln müssen Angaben zu Umfang und Art möglicher Änderungen oder Optionen sowie zu den Bedingungen enthalten, unter denen sie zur Anwendung gelangen können. Sie dürfen keine Änderungen oder Optionen vorsehen, die den Gesamtcharakter des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung verändern würden;

b)

bei zusätzlichen Bau- oder Dienstleistungen oder Lieferungen durch den ursprünglichen Auftragnehmer, die erforderlich geworden sind und nicht in den ursprünglichen Auftragsunterlagen vorgesehen waren, wenn ein Wechsel des Auftragnehmers

i)

aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen wie der Austauschbarkeit oder Kompatibilität mit im Rahmen des ursprünglichen Vergabeverfahrens beschafften Ausrüstungsgegenständen, Dienstleistungen oder Anlagen nicht erfolgen kann und

ii)

mit erheblichen Schwierigkeiten oder beträchtlichen Zusatzkosten für den öffentlichen Auftraggeber verbunden wäre;

eine Preiserhöhung darf jedoch nicht mehr als 50 % des Werts des ursprünglichen Auftrags betragen. Werden mehrere aufeinander folgende Änderungen vorgenommen, so gilt diese Beschränkung für den Wert jeder einzelnen Änderung. Solche aufeinander folgenden Änderungen dürfen nicht mit dem Ziel vorgenommen werden, diese Richtlinie zu umgehen;

c)

wenn alle der folgenden Bedingungen erfüllt sind:

i)

Die Änderung wurde erforderlich aufgrund von Umständen, die ein seiner Sorgfaltspflicht nachkommender öffentlicher Auftraggeber nicht vorhersehen konnte;

ii)

der Gesamtcharakter des Auftrags verändert sich aufgrund der Änderung nicht;

iii)

eine etwaige Preiserhöhung beträgt nicht mehr als 50 % des Werts des ursprünglichen Auftrags oder der ursprünglichen Rahmenvereinbarung. Werden mehrere aufeinander folgende Änderungen vorgenommen, so gilt diese Beschränkung für den Wert jeder einzelnen Änderung. Solche aufeinander folgenden Änderungen dürfen nicht mit dem Ziel vorgenommen werden, diese Richtlinie zu umgehen;

e)

wenn die Änderungen, unabhängig von ihrem Wert, nicht wesentlich im Sinne des Absatzes 4 sind.

Die öffentlichen Auftraggeber, die einen Auftrag in den Fällen gemäß den Buchstaben b und c des vorliegenden Absatzes geändert haben, veröffentlichen eine diesbezügliche Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union. Die Bekanntmachung enthält die in Anhang V Teil G genannten Angaben und wird gemäß Artikel 51 veröffentlicht.

(2)   Darüber hinaus können Aufträge auch ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens im Einklang mit dieser Richtlinie geändert werden, ohne dass überprüft werden muss, ob die in Absatz 4 Buchstaben a bis d genannten Bedingungen erfüllt sind, wenn der Wert der Änderung die beiden folgenden Werte nicht übersteigt:

i)

die in Artikel 4 genannten Schwellenwerte und

ii)

10 % des ursprünglichen Auftragswerts bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen und 15 % des ursprünglichen Auftragswerts bei Bauaufträgen.

Der Gesamtcharakter des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung darf sich allerdings aufgrund der Änderung nicht verändern. Im Falle mehrerer aufeinander folgender Änderungen wird deren Wert auf der Grundlage des kumulierten Nettowerts der aufeinander folgenden Änderungen bestimmt.

(5)   Ein neues Vergabeverfahren im Einklang mit dieser Richtlinie ist erforderlich bei anderen als den in den Absätzen 1 und 2 vorgesehenen Änderungen der Bestimmungen eines öffentlichen Auftrags oder einer Rahmenvereinbarung während seiner beziehungsweise ihrer Laufzeit.“

Richtlinie 2014/25/EU

9

In den Erwägungsgründen 12, 113, 115 und 117 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. 2014, L 94, S. 243) heißt es:

„(12)

Der Begriff ‚öffentliche Auftraggeber‘ und insbesondere der Begriff ‚Einrichtungen des öffentlichen Rechts‘ sind wiederholt im Rahmen der Rechtsprechung des [Gerichtshofs] überprüft worden. Um klarzustellen, dass der persönliche Geltungsbereich der Richtlinie unverändert bleiben sollte, ist es angezeigt, die Begriffsbestimmungen beizubehalten, auf die sich der Gerichtshof selbst stützt, und einige Erläuterungen, die im Rahmen dieser Rechtsprechung gegeben wurden, als Schlüssel zum Verständnis der Begriffsbestimmung selbst aufzunehmen, ohne dass damit beabsichtigt wird, das Verständnis des Begriffs, so wie es in der Rechtsprechung dargelegt wurde, zu ändern.

(113)

Es ist erforderlich klarzustellen, unter welchen Voraussetzungen Änderungen eines Auftrags während des Ausführungszeitraums ein neues Vergabeverfahren erfordern; dabei ist der einschlägigen Rechtsprechung des [Gerichtshofs] Rechnung zu tragen. Ein neues Vergabeverfahren ist erforderlich bei wesentlichen Änderungen des ursprünglichen Auftrags, insbesondere des Umfangs und der inhaltlichen Ausgestaltung der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien, einschließlich der Zuweisung der Rechte des geistigen Eigentums. Derartige Änderungen sind Ausdruck der Absicht der Parteien, wesentliche Bedingungen des betreffenden Auftrags neu zu verhandeln. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die geänderten Bedingungen, hätten sie bereits für das ursprüngliche Verfahren gegolten, dessen Ergebnis beeinflusst hätten.

Änderungen des Auftrags, die zu einer geringfügigen Änderung des Auftragswerts bis zu einer bestimmten Höhe führen, sollten jederzeit möglich sein, ohne dass ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss. Zu diesem Zweck und um Rechtssicherheit zu gewährleisten, sollten in dieser Richtlinie Geringfügigkeitsgrenzen vorgesehen werden, unterhalb deren kein neues Vergabeverfahren erforderlich ist. Änderungen des Auftrags, die diese Schwellenwerte überschreiten, sollten ohne erneutes Vergabeverfahren möglich sein, sofern die in dieser Richtlinie festgelegten einschlägigen Bedingungen erfüllt sind.

(115)

Auftraggeber können sich mit externen Rahmenbedingungen konfrontiert sehen, die sie zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung nicht absehen konnten, insbesondere wenn sich die Ausführung des Auftrags über einen langen Zeitraum erstreckt. In einem solchen Fall ist ein gewisses Maß an Flexibilität erforderlich, um den Auftrag an diese Gegebenheiten anzupassen, ohne ein neues Vergabeverfahren einleiten zu müssen. …

(117)

Auftraggeber sollten über die Möglichkeit verfügen, im einzelnen Vertrag in Form von Überprüfungs- oder Optionsklauseln Änderungen vorzusehen, doch sollten derartige Klauseln ihnen keinen unbegrenzten Ermessensspielraum einräumen. Daher sollte in dieser Richtlinie festgelegt werden, inwieweit im ursprünglichen Vertrag die Möglichkeit von Änderungen vorgesehen werden kann. …“

10

Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie hat folgenden Wortlaut:

„Auftragsvergabe im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet den Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen mittels eines Liefer‑, Bauleistungs- oder Dienstleistungsauftrags durch einen oder mehrere Auftraggeber von Wirtschaftsteilnehmern, die von diesen Auftraggebern ausgewählt werden, sofern die Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen für einen der in Artikel 8 bis 14 genannten Zwecke bestimmt sind.“

11

Titel II der Richtlinie 2014/25 („Vorschriften über Aufträge“) enthält unter anderem ein Kapitel IV („Auftragsausführung“), das die Art. 87 bis 90 dieser Richtlinie umfasst. Art. 89 („Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit“) bestimmt:

„(1)   Aufträge und Rahmenvereinbarungen können in den folgenden Fällen ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens im Einklang mit dieser Richtlinie geändert werden,

a)

wenn die Änderungen, unabhängig von ihrem Geldwert, in den ursprünglichen Auftragsunterlagen in Form von klar, präzise und eindeutig formulierten Überprüfungsklauseln, die auch Preisüberprüfungsklauseln beinhalten können, oder Optionen vorgesehen sind. Entsprechende Klauseln müssen Angaben zu Umfang und Art möglicher Änderungen oder Optionen sowie zu den Bedingungen enthalten, unter denen sie zur Anwendung gelangen können. Sie dürfen keine Änderungen oder Optionen vorsehen, die den Gesamtcharakter des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung verändern würden;

b)

bei zusätzlichen Bau- oder Dienstleistungen oder Lieferungen durch den ursprünglichen Auftragnehmer, die erforderlich geworden sind und – unabhängig von ihrem Wert – im ursprünglichen Auftrag nicht enthalten waren, wenn ein Wechsel des Auftragnehmers

i)

aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen wie der Austauschbarkeit oder Kompatibilität mit im Rahmen des ursprünglichen Vergabeverfahrens beschafften Ausrüstungsgegenständen, Softwares, Dienstleistungen oder Anlagen nicht erfolgen kann und

ii)

mit erheblichen Schwierigkeiten oder beträchtlichen Zusatzkosten für den öffentlichen Auftraggeber verbunden wäre;

c)

wenn alle der folgenden Bedingungen erfüllt sind:

i)

Die Änderung wurde aufgrund von Umständen erforderlich, die ein seiner Sorgfaltspflicht nachkommender Auftraggeber nicht vorhersehen konnte;

ii)

der Gesamtcharakter des Auftrags verändert sich aufgrund der Änderung nicht.

e)

wenn die Änderungen, unabhängig von ihrem Wert, nicht wesentlich im Sinne des Absatzes 4 sind.

Die Auftraggeber, die einen Auftrag in den Fällen gemäß den Buchstaben b und c des vorliegenden Absatzes geändert haben, veröffentlichen eine diesbezügliche Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union. Diese Bekanntmachung enthält die in Anhang XVI genannten Angaben und wird gemäß Artikel 71 veröffentlicht.

(2)   Darüber hinaus können Aufträge auch ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens im Einklang mit dieser Richtlinie geändert werden, ohne dass überprüft werden muss, ob die in Absatz 4 Buchstaben a bis d genannten Bedingungen erfüllt sind, wenn der Wert der Änderung die beiden folgenden Werte nicht übersteigt:

i)

die in Artikel 15 genannten Schwellenwerte und

ii)

10 % des ursprünglichen Auftragswerts bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen und 15 % des ursprünglichen Auftragswerts bei Bauleistungsaufträgen.

Der Gesamtcharakter des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung darf sich allerdings aufgrund der Änderung nicht verändern. Im Falle mehrerer aufeinander folgender Änderungen wird deren Wert auf der Grundlage des kumulierten Nettowerts der aufeinander folgenden Änderungen bestimmt.

(3)   Enthält der Vertrag eine Indexierungsklausel, so wird für die Berechnung des Werts in Absatz 2 genannten Preises der angepasste Preis als Referenzwert herangezogen.

(4)   Eine Änderung eines Auftrags oder einer Rahmenvereinbarung während seiner beziehungsweise ihrer Laufzeit gilt als wesentlich im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe e, wenn sie dazu führt, dass sich der Auftrag oder die Rahmenvereinbarung erheblich von dem ursprünglich vergebenen Auftrag unterscheidet. Unbeschadet der Absätze 1 und 2 ist eine Änderung in jedem Fall als wesentlich anzusehen, wenn eine oder mehrere der folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

a)

Mit der Änderung werden Bedingungen eingeführt, die, wenn sie für das ursprüngliche Vergabeverfahren gegolten hätten, die Zulassung anderer als der ursprünglich ausgewählten Bewerber oder die Annahme eines anderen als des ursprünglich angenommenen Angebots ermöglicht hätten oder das Interesse weiterer Teilnehmer am Vergabeverfahren geweckt hätten;

b)

mit der Änderung wird das wirtschaftliche Gleichgewicht des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung zugunsten des Auftragnehmers in einer Weise verschoben, die im ursprünglichen Auftrag beziehungsweise der ursprünglichen Rahmenvereinbarung nicht vorgesehen war;

c)

mit der Änderung wird der Umfang des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung erheblich ausgeweitet;

d)

ein neuer Auftragnehmer ersetzt den Auftragnehmer, an den der Auftraggeber den Auftrag ursprünglich vergeben hatte, in anderen als den in Absatz 1 Buchstabe d vorgesehenen Fällen.

(5)   Ein neues Vergabeverfahren im Einklang mit dieser Richtlinie ist erforderlich bei anderen als den in den Absätzen 1 und 2 vorgesehenen Änderungen der Bestimmungen eines Bauleistungs‑, Liefer- oder Dienstleistungsauftrags oder einer Rahmenvereinbarung während seiner beziehungsweise ihrer Laufzeit.“

Ungarisches Recht

12

§ 2 Abs. 1 des közbeszerzésekről szóló 2015. évi CXLIII. törvény (Gesetz Nr. CXLIII von 2015 über die öffentliche Auftragsvergabe, im Folgenden: Vergabegesetz) sieht vor:

„Im Verfahren der Vergabe öffentlicher Aufträge sind vom öffentlichen Auftraggeber die Lauterkeit, Transparenz und Öffentlichkeit des Wettbewerbs zu gewährleisten und vom Wirtschaftsteilnehmer zu achten.“

13

§ 141 dieses Gesetzes, der die verschiedenen Fälle festlegt, in denen die Parteien eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag diesen ändern können, bestimmt in seinem Abs. 8:

„Der Vertrag kann außer den in diesem Paragrafen aufgeführten Fällen nur infolge eines neuen Vergabefahrens geändert werden. Erfolgt die Änderung des Vertrags rechtswidrig ohne öffentliches Vergabeverfahren, ist die Änderung gemäß § 137 Abs. 1 Buchst. a nichtig.“

14

In § 153 Abs. 1 dieses Gesetzes heißt es:

„(1) Der Közbeszerzési Hatóság Elnöke [Präsident der Behörde für das öffentliche Auftragswesen, Ungarn] veranlasst ein Verfahren der [Schiedskommission] von Amts wegen:

c) wenn aufgrund des Ergebnisses einer von der Behörde für das öffentliche Auftragswesen gemäß § 187 Abs. 2 Buchst. j durchgeführten amtlichen Kontrolle oder auch ohne Einleitung der amtlichen Kontrolle glaubhaft gemacht werden kann, dass die Änderung oder die Ausführung des Vertrags unter Verstoß gegen dieses Gesetz erfolgte, insbesondere wenn eine Rechtsverletzung im Sinne von § 142 Abs. 2 begangen wurde, …

…“

15

In § 165 dieses Gesetzes heißt es:

„…

(2)   In ihrem Beschluss

d) stellt die [Schiedskommission] fest, dass eine Rechtsverletzung begangen worden ist, und wendet die in Abs. 3 aufgeführten Rechtsfolgen an;

e) verhängt die [Schiedskommission] über die Feststellung der Rechtsverletzung hinaus in den in Abs. 6 bestimmten Fällen eine Geldbuße;

(3)   Stellt die [Schiedskommission] in ihrem Beschluss eine Rechtsverletzung fest,

d) kann sie gegen die rechtsverletzende Einrichtung oder Person sowie gegen die Person oder Einrichtung, die mit der für die Rechtsverletzung verantwortlichen Person oder Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht und ebenfalls für die Rechtsverletzung verantwortlich ist, eine Geldbuße verhängen.

(6)   Über die Feststellung der Rechtsverletzung hinaus verhängt die [Schiedskommission] eine Geldbuße, wenn

a) die Rechtsverletzung durch die rechtswidrige Unterlassung eines öffentlichen Vergabeverfahren begangen wurde;

e) der Präsident der Behörde für das öffentliche Auftragswesen das Verfahren [der Schiedskommission] von Amts wegen gemäß § 153 veranlasst hat und die Schiedskommission festgestellt hat, dass eine Rechtsverletzung begangen wurde.

…“

16

§ 176 des Vergabegesetzes bestimmt:

„(1)   Stellt die [Schiedskommission] in ihrer Sachentscheidung eine Rechtsverletzung im Sinne von § 137 Abs. 1 fest, leitet sie ein kontradiktorisches Verfahren ein, um den Vertrag für ungültig erklären zu lassen und die Rechtsfolgen der Ungültigkeit anzuwenden.

(4)   Stellt das Gericht im Verfahren gemäß Abs. 1 die Ungültigkeit des Vertrags aus den in § 137 Abs. 1 festgelegten Gründen fest, wendet es die Rechtsfolgen der Ungültigkeit nach Maßgabe der Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und dieses Gesetzes an.

(5)   Erklärt das Gericht den aufgrund eines öffentlichen Vergabeverfahrens abgeschlossenen Vertrag nach § 137 Abs. 3 für gültig, verhängt es eine Geldbuße, deren Höhe – unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles – höchstens 15 % des Vertragswerts beträgt. Ordnet das Gericht bei der Anwendung der Rechtsfolgen der Ungültigkeit eine finanzielle Erstattung des Gegenwertes der ohne Gegenleistung gebliebenen Leistung an, verhängt es eine Geldbuße, deren Höhe – unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles – höchstens zehn Prozent des Vertragswerts beträgt.

(6)   Für das Verfahren gemäß Abs. 1 ist das Verwaltungs- und Arbeitsgericht ausschließlich zuständig, das mit der Sache desselben Verstoßes gegen das Vergaberecht im Verwaltungsprozess gemäß § 170 befasst ist. …“

17

§ 240 Abs. 1 des Polgári Törvénykönyvről szóló 1959. évi IV. törvény (Gesetz Nr. IV von 1959 über das Bürgerliche Gesetzbuch) bestimmt:

„Sofern keine Rechtsvorschrift eine Ausnahme vorsieht, können die Parteien im gegenseitigen Einvernehmen den Inhalt des Vertrags ändern oder den Rechtsgrund ihrer Verpflichtungsübernahme austauschen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

18

BKK, eine von der Stadtverwaltung der Hauptstadt Budapest (Ungarn) errichtete Gesellschaft, erbringt dort öffentliche Verkehrsdienstleistungen.

19

Nach Beendigung eines beschränkten Ausschreibungsverfahrens, das die Herstellung, die Lieferung, die Aufstellung und den Betrieb von Fahrkartenautomaten zum Gegenstand hatte, schloss BKK als öffentliche Auftraggeberin am 4. September 2013 mit T‑Systems einen Vertrag mit einem Wert von 5561690409 ungarischen Forint (HUF) (etwa 18500000 Euro).

20

Dieser Vertrag wurde von den Parteien mehrfach geändert. BKK beauftragte T‑Systems unter anderem durch eine Änderung vom 13. Juli 2017, das zentrale Steuerungssystem der Fahrkartenautomaten mit einem Softwaremodul für den Onlineerwerb dieser Fahrkarten zu ergänzen.

21

Später wurde festgelegt, dass der Betrag der zusätzlichen Gegenleistung aufgrund verschiedener Vertragsänderungen 2530195870 HUF (etwa 8200000 Euro) nicht überschreiten sollte.

22

Der Präsident der Behörde für das öffentliche Auftragswesen veranlasste am 29. September 2017 auf der Grundlage von § 153 Abs. 1 Buchst. c des Vergabegesetzes gegen die Vertragsparteien ein Verfahren von Amts wegen, unter anderem wegen des Verstoßes gegen § 141 Abs. 2 und Abs. 4 Buchst. b und c des Vergabegesetzes, und befasste dazu die Schiedskommission.

23

Die Schiedskommission war der Ansicht, dass für jede der Änderungen des Vertrags ein neues Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags hätte durchgeführt werden müssen. Die Einhaltung der durch das Vergaberecht geregelten Voraussetzungen für Vertragsänderungen obliege beiden Vertragsparteien, so dass dann, wenn sie diese Bestimmungen rechtswidrig angewandt hätten, beide so zu betrachten seien, dass sie eine Rechtsverletzung begangen hätten.

24

Folglich war die Schiedskommission der Ansicht, dass die Vertragsparteien durch die Vertragsänderungen unter anderem gegen § 141 Abs. 8 des Vergabegesetzes verstoßen hätten. Unter Berücksichtigung insbesondere der Bestimmungen des § 165 Abs. 3 Buchst. d dieses Gesetzes verhängte sie gegen BKK eine Geldbuße in Höhe von 80000000 HUF (etwa 258941 Euro) und gegen T‑Systems eine Geldbuße in Höhe von 70000000 HUF (etwa 226573 Euro).

25

T‑Systems hat beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) Klage eingereicht, um feststellen zu lassen, dass sie keine Rechtsverletzung begangen habe, und um dementsprechend den Bescheid, mit dem gegen sie eine Geldbuße verhängt wurde, abändern zu lassen.

26

T‑Systems ist der Ansicht, dass die Verpflichtung, ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags durchzuführen, dem öffentlichen Auftraggeber obliege und der Auftragnehmer nicht für dessen Entscheidung über seinen Bedarf im Bereich öffentlicher Aufträge verantwortlich gemacht werden könne. Somit habe die Schiedskommission, indem sie im vorliegenden Fall T‑Systems die Folgen der Entscheidungen von BKK aufgebürdet habe, gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen.

27

T‑Systems ist der Auffassung, dass nur der öffentliche Auftraggeber Adressat der Vorschrift des § 141 Abs. 8 des Vergabegesetzes sei, so dass nur er eine durch diese Bestimmung sanktionierte Rechtsverletzung begehen könne.

28

Die Erfordernisse der Vorhersehbarkeit und der Sorgfalt oblägen dem öffentlichen Auftraggeber, und die Verletzung dieser Erfordernisse könnten nur diesem zur Last gelegt werden, wenn dieser Vertragsänderungen anrege.

29

Auch BKK hat vor dem vorlegenden Gericht den Bescheid, mit dem gegen sie eine Geldbuße verhängt wurde, angefochten und im Wesentlichen beantragt, diesen zu überprüfen, festzustellen, dass durch die Änderungen des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags keine Rechtsverletzung begangen worden sei, und die Geldbuße aufzuheben.

30

Die Schiedskommission beantragt beim vorlegenden Gericht, die Ungültigkeit der Änderungen des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags festzustellen, gegebenenfalls die Wiederherstellung der vor diesem Vertrag bestehenden Lage anzuordnen und die Anträge von BKK und T‑Systems zurückzuweisen. Sie macht geltend, dass sie in Bezug auf die letztere Gesellschaft nur einen Verstoß gegen solche Rechtsvorschriften festgestellt habe, deren Adressatin die Gesellschaft gewesen sei, nämlich die Bestimmungen in § 141 des Vergabegesetzes. Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sähen vor, dass beide Parteien zusammenwirken müssten, damit es zu einer Vertragsänderung komme, so dass die Prüfung eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die Änderung eines Vertrags in Bezug auf beide Parteien gerechtfertigt sei.

31

Der Präsident der Behörde für das öffentliche Auftragswesen ist der Ansicht, dass die ordnungsgemäße Durchführung des öffentlichen Vergabeverfahrens vorrangig, aber nicht ausschließlich dem öffentlichen Auftraggeber obliege. Er betont, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass eine Vertragsänderung vom Auftragnehmer angeregt werde. Ferner macht er den Grundsatz des Zivilrechts geltend, wonach die Änderung des Vertrags das gegenseitige Einvernehmen der betroffenen Parteien voraussetze.

32

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es Sache des öffentlichen Auftraggebers sei, ein öffentliches Vergabeverfahren durchzuführen.

33

Um den Wettbewerb, auch nach Unterzeichnung des Vertrags, so weit wie möglich aufrechtzuerhalten, seien strenge Sanktionen an rechtswidriges Verhalten geknüpft, das seinen Ursprung in dem Rechtsverhältnis zwischen den Parteien habe. Mit dem Vertragsschluss gehe dieses Verhältnis in den Bereich des Zivilrechts über.

34

Aus den Bestimmungen des § 141 des Vergabegesetzes gehe hervor, dass, obwohl die Änderung eines Vertrags das gegenseitige Einvernehmen der Parteien voraussetze, nur der öffentliche Auftraggeber gegen Vergaberechtsvorschriften verstoßen könne, da er in den persönlichen Anwendungsbereich der Regelung falle.

35

Die nationalen Nachprüfungsvorschriften legten nicht fest, welche der am Vergabeverfahren Beteiligten belangt werden könnten. Um zu bestimmen, welches Rechtssubjekt als Rechtsverletzer zu betrachten sei, sei jedoch zu ermitteln, wer Adressat der verletzten Vorschrift sei. Die vorgesehene Sanktion, die repressiven Charakter habe und nur den Rechtsverletzer belasten dürfe, richte sich an den zur Durchführung des Vergabeverfahrens Verpflichteten, das heißt den öffentlichen Auftraggeber.

36

Das vorlegende Gericht bezieht sich auf mehrere Urteile der ungarischen Gerichte, aus denen hervorgehe, dass dem öffentlichen Auftraggeber oder dem Wirtschaftsteilnehmer die Zahlung der verhängten Geldbuße erlassen worden sei, insbesondere weil Letzterer nicht für die Durchführung des Vergabeverfahrens verantwortlich sei.

37

Der Umstand, dass der Auftragnehmer Adressat der Bestimmungen des Vergabegesetzes über die Änderung von Verträgen sei, bedeute nicht, dass seine Verantwortlichkeit vergaberechtlich derjenigen des öffentlichen Auftraggebers gleichgestellt werden könne.

38

Wenn die Verantwortlichkeit der Vertragsparteien vergaberechtlich in Frage gestellt werden könne, müsse ihnen die Möglichkeit gewährleistet werden, schlüssige Beweise vorzulegen, mit denen ihre Mitwirkung an der Änderung des in Rede stehenden Vertrags und an der Begehung einer möglichen Rechtsverletzung geklärt werden könne.

39

Unter diesen Umständen hat das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Stehen Art. 41 Abs. 1 und Art. 47 der Charta sowie die Erwägungsgründe 10, 29, 107, 109 und 111, Art. 1 Abs. 2 und Art. 72 der Richtlinie 2014/24 einer nationalen Rechtsvorschrift oder einer Auslegungs- und Anwendungspraxis dieser Rechtsvorschrift entgegen, wonach wegen einer rechtswidrigen Unterlassung eines Verfahrens der Vergabe eines öffentlichen Auftrags durch einen mutmaßlichen Verstoß gegen die Vorschriften über Vertragsänderungen sowie wegen eines Verstoßes gegen die Bestimmungen über Vertragsänderungen nicht nur zulasten der öffentlichen Auftraggeberin, sondern auch zulasten der Bieterin, die mit der öffentlichen Auftraggeberin einen Vertrag geschlossen hat, im Hinblick auf das zwischen den Vertragsparteien entstandene Schuldverhältnis eine Rechtsverletzung aus dem Grund festgestellt wird, dass die rechtswidrige Änderung der Verträge ein Zusammenwirken der Parteien erfordert?

2.

Sofern die erste Frage verneint wird: Stehen die Erwägungsgründe 19, 20 und 21 der Richtlinie 2007/66 sowie die inhaltsgleichen Art. 2e Abs. 2 der Richtlinien 89/665 und 92/13 – in Anbetracht von Art. 41 Abs. 1 und Art. 47 der Charta sowie der Erwägungsgründe 10, 29, 107, 109 und 111 und von Art. 1 Abs. 2 und Art. 72 der Richtlinie 2014/24 – einer nationalen Rechtsvorschrift oder einer Auslegungs- und Anwendungspraxis dieser Rechtsvorschrift entgegen, die es ermöglicht, wegen einer rechtswidrigen Unterlassung eines Verfahrens der Vergabe eines öffentlichen Auftrags und wegen eines Verstoßes gegen die Bestimmungen über Vertragsänderungen auch gegen die Bieterin, die mit der öffentlichen Auftraggeberin einen Vertrag geschlossen hat, – außer bei einer Verkürzung der Laufzeit des Vertrags – eine Sanktion (Geldbuße) zu verhängen?

3.

Sofern die ersten beiden Fragen verneint werden, ersucht das Prozessgericht den Gerichtshof auch um Hinweise zu der Frage, ob es für die Festsetzung der Höhe der Sanktion (Geldbuße) ausreicht, zu berücksichtigen, dass zwischen den Vertragsparteien eine Vertragsbeziehung besteht, ohne dass das Verhalten der Parteien, das zur Vertragsänderung geführt hat, zu prüfen ist?

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

40

Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits davon abhänge, ob die Charta sowie die Richtlinien 89/665, 92/13, 2007/66 und 2014/24 einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es im Rahmen eines von einer Überwachungsbehörde von Amts wegen veranlassten Nachprüfungsverfahrens gestattet, nicht nur der öffentlichen Auftraggeberin, sondern auch der Auftragnehmerin eines öffentlichen Auftrags eine Rechtsverletzung zuzurechnen und gegen beide eine Geldbuße zu verhängen, wenn bei Änderung dieses Auftrags während des Ausführungszeitraums die Bestimmungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge rechtswidrig missachtet wurden.

41

Erstens ist festzustellen, dass die Bestimmungen der Charta für die Entscheidung des vorlegenden Gerichts im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits ohne Bedeutung sind.

42

Zum einen ergibt sich nämlich eindeutig aus dem Wortlaut von Art. 41 der Charta, dass sich dieser nicht an die Mitgliedstaaten, sondern ausschließlich an die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union richtet (Urteil vom 26. März 2020, HUNGEOD u. a., C‑496/18 und C‑497/18, EU:C:2020:240, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Zum anderen ist, was den vom vorlegenden Gericht ebenfalls angeführten Art. 47 der Charta anbelangt, darauf hinzuweisen, dass bei der Festlegung der Modalitäten gerichtlicher Nachprüfungsverfahren zum Schutz der Rechte, die das Unionsrecht den durch Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber geschädigten Bewerbern und Bietern einräumt, die Mitgliedstaaten dafür sorgen müssen, dass die Rechte, die das Unionsrecht Einzelnen einräumt, insbesondere das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren, nicht beeinträchtigt werden (Urteil vom 26. März 2020, HUNGEOD u. a., C‑496/18 und C‑497/18, EU:C:2020:240, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Die dem Gerichtshof vorliegenden Akten enthalten jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Verfahren, an dessen Ende im Fall der rechtswidrigen Änderung eines öffentlichen Auftrags während des Ausführungszeitraums nicht nur gegen den öffentlichen Auftraggeber, sondern auch gegen den Auftragnehmer eine Geldbuße verhängt wird, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren beeinträchtigt.

45

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Außerdem kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (Urteile vom 12. Dezember 1990, SARPP, C‑241/89, EU:C:1990:459, Rn. 8, und vom 8. Juni 2017, Medisanus, C‑296/15, EU:C:2017:431, Rn. 55).

46

Da im vorliegenden Fall der im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende Auftrag die Herstellung, die Lieferung, die Aufstellung und den Betrieb von Fahrkartenautomaten zum Gegenstand hatte, ist die Richtlinie 2014/25, und nicht die Richtlinie 2014/24, anwendbar, was zu prüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist.

47

Um diesem Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, sind daher die Erwägungsgründe 12, 113, 115 und 117 sowie die Art. 1 Abs. 2 und Art. 89 der Richtlinie 2014/25, die in dieser Richtlinie den im Vorabentscheidungsersuchen angeführten Erwägungsgründen und Bestimmungen der Richtlinie 2014/24 entsprechen, heranzuziehen.

48

Daher ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten und seiner zweiten Frage wissen möchte, ob Art. 2e Abs. 2 der Richtlinie 89/665, Art. 2e Abs. 2 der Richtlinie 92/13, die Erwägungsgründe 19, 20 und 21 der Richtlinie 2007/66, die Erwägungsgründe 12, 113, 115 und 117 sowie die Art. 1 Abs. 2 und Art. 89 der Richtlinie 2014/25 einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es im Rahmen eines von einer Überwachungsbehörde von Amts wegen veranlassten Nachprüfungsverfahrens gestattet, nicht nur dem öffentlichen Auftraggeber, sondern auch dem Auftragnehmer eines öffentlichen Auftrags eine Rechtsverletzung zuzurechnen und gegen beide eine Geldbuße zu verhängen, wenn bei Änderung dieses Auftrags während des Ausführungszeitraums die Bestimmungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge rechtswidrig missachtet wurden, und dass es mit seiner dritten Frage wissen möchte, ob, sofern die ersten beiden Fragen verneint werden sollten, die Höhe der Geldbuße zur Sanktionierung der rechtswidrigen Änderung eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Auftragnehmer unter Berücksichtigung des bloßen Bestehens des Vertragsverhältnisses zwischen diesen Parteien festzusetzen ist oder ob es erforderlich ist, dem jeweiligen Verhalten jeder dieser Parteien Rechnung zu tragen.

Zur ersten und zur zweiten Frage

49

Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2e Abs. 2 der Richtlinie 89/665, Art. 2e Abs. 2 der Richtlinie 92/13, die Erwägungsgründe 19, 20 und 21 der Richtlinie 2007/66, die Erwägungsgründe 12, 113, 115 und 117 sowie die Art. 1 Abs. 2 und Art. 89 der Richtlinie 2014/25 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es im Rahmen eines von einer Überwachungsbehörde von Amts wegen veranlassten Nachprüfungsverfahrens gestattet, nicht nur dem öffentlichen Auftraggeber, sondern auch dem Auftragnehmer eines öffentlichen Auftrags eine Rechtsverletzung zuzurechnen und gegen beide eine Geldbuße zu verhängen, wenn bei Änderung dieses Auftrags während des Ausführungszeitraums die Bestimmungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge rechtswidrig missachtet wurden.

50

Erstens ist festzustellen, dass die Richtlinien 89/665 und 92/13 zwar lediglich vorsehen, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Nachprüfungsverfahren zumindest jedem zur Verfügung stehen, der ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen Auftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht (Urteil vom 26. März 2020, HUNGEOD u. a., C‑496/18 und C‑497/18, EU:C:2020:240, Rn. 71).

51

Die Vorschriften dieser Richtlinien sollen nämlich die Wirtschaftsteilnehmer vor der Willkür des öffentlichen Auftraggebers schützen und somit sicherstellen, dass in allen Mitgliedstaaten wirksame Rechtsbehelfe bestehen, um die effektive Anwendung der Unionsvorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu gewährleisten, vor allem dann, wenn Verstöße noch beseitigt werden können (Urteil vom 26. März 2020, HUNGEOD u. a., C‑496/18 und C‑497/18, EU:C:2020:240, Rn. 72).

52

Unter diesem Blickwinkel verpflichten Art. 2e der Richtlinie 89/665 und Art. 2e der Richtlinie 92/13, die den gleichen Wortlaut haben, die Mitgliedstaaten, bei Verstößen gegen bestimmte Vorschriften dieser Richtlinie entweder die Unwirksamkeit des Vertrags oder alternative Sanktionen vorzusehen, die in der Verhängung von Geldbußen bzw. ‑strafen gegen den öffentlichen Auftraggeber bestehen können.

53

Wenn jedoch die Richtlinien 89/665 und 92/13 für Unternehmen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag haben oder hatten und denen durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht, das Bestehen von Rechtsbehelfen verlangen, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Bestimmungen eine vollständige Harmonisierung vornehmen und somit alle möglichen Rechtsbehelfe auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge erfassen (Urteil vom 26. März 2020, HUNGEOD u. a., C‑496/18 und C‑497/18, EU:C:2020:240, Rn. 73).

54

Daraus folgt, dass Art. 2e der Richtlinie 89/665 und Art. 2e der Richtlinie 92/13 sich nur auf Rechtsbehelfe beziehen, die von Unternehmen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag haben oder hatten und denen durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht, eingelegt werden.

55

Unter diesen Umständen können diese Artikel weder dem entgegenstehen, dass ein Nachprüfungsverfahren von Amts wegen von einer Überwachungsbehörde veranlasst werden kann, noch dem, dass eine Rechtsverletzung durch die Änderung eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit unter Missachtung der Bestimmungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht nur dem öffentlichen Auftraggeber, sondern auch dem Auftragnehmer zugerechnet werden kann und folglich dem, dass eine Sanktion in Form einer Geldbuße sowohl gegen den öffentlichen Auftraggeber als auch den Auftragnehmer verhängt wird.

56

Darüber hinaus entkräften die Erwägungsgründe 19 bis 21 der Richtlinie 2007/66, die diese Art. 2e in die Richtlinien 89/665 und 92/13 eingefügt hat, diese Auslegung in keiner Weise.

57

Zweitens kann weder aus Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2014/25, der sowohl deren sachlichen als auch persönlichen Anwendungsbereich eingrenzt, noch aus dem zwölften Erwägungsgrund dieser Richtlinie, der zur Untermauerung dieser Bestimmung unter anderem den Begriff „öffentlicher Auftraggeber“ näher bestimmt, abgeleitet werden, dass die Auftragnehmer nicht von den Rechtsvorschriften dieser Richtlinie erfasst sind.

58

Zum einen bezeichnet nämlich die Auftragsvergabe gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2014/25 den Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen mittels eines Liefer‑, Bauleistungs- oder Dienstleistungsauftrags durch einen oder mehrere Auftraggeber von Wirtschaftsteilnehmern, die, nachdem sie Bewerber oder Bieter waren, von diesen Auftraggebern ausgewählt werden. Daraus folgt, dass der in dieser Bestimmung verwendete Ausdruck „Wirtschaftsteilnehmer“ die Auftragnehmer öffentlicher Aufträge zwingend mitumfasst.

59

Zum anderen bestätigt Art. 89 („Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit“) der Richtlinie 2014/25, der zu Kapitel IV („Auftragsausführung“) des Titels II dieser Richtlinie gehört, die Anwendbarkeit dieser Richtlinie auf Auftragnehmer.

60

Dieser Artikel zählt nämlich in seinen Abs. 1 und 2 die unterschiedlichen Fälle auf, in denen ein Auftrag während der Vertragslaufzeit von den Vertragsparteien, also dem öffentlichen Auftraggeber und dem Auftragnehmer, geändert werden kann, ohne dass ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss, unabhängig davon, ob diese Änderung zur Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union führt.

61

Art. 89 Abs. 5 dieser Richtlinie schreibt die Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens bei anderen als den in den Abs. 1 und 2 dieses Artikels vorgesehenen Änderungen der Bestimmungen eines öffentlichen Auftrags vor. Daraus folgt, dass die Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens für Änderungen erforderlich ist, die wesentlich andere Merkmale aufweisen als der ursprüngliche Auftrag und damit den Willen der Parteien zur Neuverhandlung wesentlicher Bestimmungen dieses Vertrags erkennen lassen (vgl. entsprechend Urteile vom 19. Juni 2008, pressetext Nachrichtenagentur, C‑454/06, EU:C:2008:351, Rn. 34, und vom 29. April 2010, Kommission/Deutschland, C‑160/08, EU:C:2010:230, Rn. 99).

62

Dennoch sieht Art. 89 Abs. 5 dieser Richtlinie nicht die Folgen vor, die von den nationalen Behörden aus dem Umstand zu ziehen sind, dass ein öffentlicher Auftrag während der Vertragslaufzeit wesentlich geändert wurde, ohne dass ein neues Vergabeverfahren durchgeführt wurde.

63

Ferner ist festzustellen, dass die vom vorlegenden Gericht erwähnten Erwägungsgründe 113, 115 und 117 der Richtlinie 2014/25 in dieser Hinsicht nicht zur Klärung beitragen, wobei im 113. Erwägungsgrund im Übrigen ausgeführt wird, dass wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während des Ausführungszeitraums Ausdruck der Absicht der Parteien dieses Auftrags ist, wesentliche Bedingungen dieses Auftrags neu zu verhandeln.

64

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass, da weder Art. 1 Abs. 2 noch Art. 89 der Richtlinie 2014/25 eine vollständige Harmonisierung vornehmen, es keine dieser beiden Bestimmungen verwehrt, dass im Rahmen eines von Amts wegen von der Überwachungsbehörde veranlassten Nachprüfungsverfahrens eine Rechtsverletzung durch die Änderung eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit unter Missachtung der Bestimmungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht nur dem öffentlichen Auftraggeber, sondern auch dem Auftragnehmer dieses Auftrags zugerechnet werden kann und folglich eine Sanktion in Form einer Geldbuße gegen den Auftraggeber verhängt wird.

65

Jedoch muss ein von einer nationalen Bestimmung vorgesehenes, von Amts wegen von einer Überwachungsbehörde veranlasstes Nachprüfungsverfahren, das dazu führt, dem Auftragnehmer eines öffentlichen Auftrags eine Rechtsverletzung durch die rechtswidrige Änderung dieses Auftrags während des Ausführungszeitraums zuzurechnen und demzufolge gegen ihn eine Geldbuße zu verhängen, mit dem Unionsrecht vereinbar sein, da ein solcher Auftrag, sei es von Anfang an oder infolge seiner rechtswidrigen Änderung, in den sachlichen Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fällt.

66

Ein solches Nachprüfungsverfahren von Amts wegen muss daher das Unionsrecht einschließlich seiner allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten.

67

Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2e Abs. 2 der Richtlinie 89/665, Art. 2e Abs. 2 der Richtlinie 92/13, die Erwägungsgründe 19, 20 und 21 der Richtlinie 2007/66, die Erwägungsgründe 12, 113, 115 und 117 sowie die Art. 1 Abs. 2 und Art. 89 der Richtlinie 2014/25 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die es im Rahmen eines von einer Überwachungsbehörde von Amts wegen veranlassten Nachprüfungsverfahrens gestattet, nicht nur dem öffentlichen Auftraggeber, sondern auch dem Auftragnehmer eines öffentlichen Auftrags eine Rechtsverletzung zuzurechnen und gegen beide eine Geldbuße zu verhängen, wenn bei Änderung dieses Auftrags während des Ausführungszeitraums die Bestimmungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge rechtswidrig missachtet wurden. Ist eine solche Möglichkeit im nationalen Recht vorgesehen, muss das Nachprüfungsverfahren jedoch das Unionsrecht einschließlich seiner allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, da der betroffene öffentliche Auftrag, sei es von Anfang an oder infolge seiner rechtswidrigen Änderung, in den sachlichen Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fällt.

Zur dritten Frage

68

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob, sofern die ersten beiden Fragen verneint werden sollten, die Höhe der Geldbuße zur Sanktionierung der rechtswidrigen Änderung eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Auftragnehmer unter Berücksichtigung des bloßen Bestehens des Vertragsverhältnisses zwischen diesen Parteien, aufgrund dessen diese zur Änderung des zwischen ihnen bestehenden Vertrags über einen öffentlichen Auftrag zusammenwirken müssten, festzusetzen ist oder ob es erforderlich ist, dem jeweiligem Verhalten jeder dieser Parteien Rechnung zu tragen.

69

Wie sich aus Rn. 65 des vorliegenden Urteils ergibt, muss ein von einer nationalen Bestimmung vorgesehenes, von Amts wegen von einer Überwachungsbehörde veranlasstes Nachprüfungsverfahren, das dazu führt, dem Auftragnehmer eines öffentlichen Auftrags eine Rechtsverletzung durch die rechtswidrige Änderung dieses Auftrags während des Ausführungszeitraums zuzurechnen und demzufolge gegen ihn eine Geldbuße zu verhängen, mit dem Unionsrecht vereinbar sein, da ein solcher Auftrag, sei es von Anfang an oder infolge seiner rechtswidrigen Änderung, in den sachlichen Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fällt.

70

In Bezug auf die dritte Frage ist es daher notwendig, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Anforderungen zu bestimmen, die zu beachten sind, wenn im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens von Amts wegen die Höhe der gegen den Auftragnehmer verhängten Geldbuße festzusetzen ist.

71

Es ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, die von den Mitgliedstaaten oder den öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Anwendung der Vergaberichtlinien aufgestellten Regeln nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung der mit diesen Richtlinien verfolgten Ziele erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Februar 2018, Lloyd’s of London, C‑144/17, EU:C:2018:78, Rn. 32, und vom 30. Januar 2020, Tim, C‑395/18, EU:C:2020:58, Rn. 45).

72

Auch wenn es im vorliegenden Fall Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu beurteilen, ob die Höhe der gegen T‑Systems verhängten Geldbuße in Bezug auf die mit dem Vergabegesetz verfolgten Ziele angemessen ist, können die Überwachungsbehörde oder das vorlegende Gericht den Betrag nicht festlegen, indem sie sich darauf beschränken, nur den Umstand zu berücksichtigen, dass die Parteien zur Änderung des zwischen ihnen bestehenden Vertrags über einen öffentlichen Auftrag aufgrund ihres Vertragsverhältnisses zusammenwirken mussten. Dieser Betrag muss nämlich unter Berücksichtigung des Verhaltens oder der Handlungen der Parteien des betreffenden Vertrags über einen öffentlichen Auftrag während des Zeitraums, in dem sie diesen ändern wollten, festgelegt werden.

73

Was speziell die Auftragnehmerin anbelangt, wird insbesondere dem Umstand Rechnung getragen werden können, dass sie die Änderung des Vertrags vorgeschlagen hat bzw. sie der öffentlichen Auftraggeberin nahegelegt, ja sogar von ihr verlangt hat, kein Vergabeverfahren durchzuführen, um dem Bedürfnis zu entsprechen, das die Änderung dieses Vertrags erforderlich machte.

74

Demgegenüber kann die Höhe der gegen diese Auftragnehmerin verhängten Geldbuße nicht von dem Umstand abhängen, dass kein Vergabeverfahren durchgeführt wurde, um den Vertrag zu ändern, da die Entscheidung über die Durchführung eines solchen Verfahrens allein in die Befugnis der öffentlichen Auftraggeberin fällt.

75

Folglich ist auf die dritte Frage zu antworten, dass die Höhe der Geldbuße zur Sanktionierung der rechtswidrigen Änderung eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Auftragnehmer unter Berücksichtigung des jeweiligen Verhaltens jeder dieser Parteien festzusetzen ist.

Kosten

76

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 2e Abs. 2 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 geänderten Fassung, Art. 2e Abs. 2 der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung, die Erwägungsgründe 19, 20 und 21 der Richtlinie 2007/66, die Erwägungsgründe 12, 113, 115 und 117 sowie die Art. 1 Abs. 2 und Art. 89 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, die es im Rahmen eines von einer Überwachungsbehörde von Amts wegen veranlassten Nachprüfungsverfahrens gestattet, nicht nur dem öffentlichen Auftraggeber, sondern auch dem Auftragnehmer eines öffentlichen Auftrags eine Rechtsverletzung zuzurechnen und gegen beide eine Geldbuße zu verhängen, wenn bei Änderung dieses Auftrags während des Ausführungszeitraums die Bestimmungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge rechtswidrig missachtet wurden, nicht entgegenstehen. Ist eine solche Möglichkeit im nationalen Recht vorgesehen, muss das Nachprüfungsverfahren jedoch das Unionsrecht einschließlich seiner allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, da der betroffene öffentliche Auftrag, sei es von Anfang an oder infolge seiner rechtswidrigen Änderung, in den sachlichen Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fällt.

 

2.

Die Höhe der Geldbuße zur Sanktionierung der rechtswidrigen Änderung eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Auftragnehmer ist unter Berücksichtigung des jeweiligen Verhaltens jeder dieser Parteien festzusetzen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.