SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 9. Dezember 2020 ( 1 )

Rechtssache C‑414/20 PPU

Strafverfahren gegen

MM,

Beteiligte:

Spetsializirana prokuratura

(Vorabentscheidungsersuchen des Spetsializiran nakazatelen sad [Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Eilvorlageverfahren – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Europäischer Haftbefehl – Rahmenbeschluss 2002/584/JI – Art. 6 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 Buchst. c – Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten – Europäischer Haftbefehl, der aufgrund eines nationalen Rechtsakts über die Heranziehung als Beschuldigter ausgestellt worden ist – Begriff ‚Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung‘ – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 47 – Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz“

I. Einleitung

1.

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen bezieht sich auf die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten ( 2 ) in der geänderten Fassung des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 ( 3 ) sowie von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2.

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens, in dem die Gültigkeit des Europäischen Haftbefehls, der zur Stützung eines Antrags auf Überprüfung der gegenüber MM verhängten Maßnahme Untersuchungshaft gegen ihn ausgestellt worden ist, in Frage gestellt wird.

3.

Die Fragen des Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien) hängen im Wesentlichen mit dem Begriff des „nationalen Haftbefehls“ als Rechtsgrundlage für einen Europäischen Haftbefehl sowie mit den Modalitäten und dem Umfang des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zusammen, der einer Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl ergangen ist, nachdem die Übergabe dieser Person erfolgt ist, im Ausstellungsmitgliedstaat garantiert werden muss.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Rahmenbeschluss 2002/584

4.

Art. 1 Abs. 1 und 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 bestimmt:

„(1)   Bei dem Europäischen Haftbefehl handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.

(3)   Dieser Rahmenbeschluss berührt nicht die Pflicht, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegt sind, zu achten.“

5.

Art. 6 Abs. 1 und 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 sieht vor:

„(1)   Ausstellende Justizbehörde ist die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats, die nach dem Recht dieses Staats für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls zuständig ist.

(3)   Jeder Mitgliedstaat unterrichtet das Generalsekretariat des Rates über die nach seinem Recht zuständige Justizbehörde.“

6.

Art. 8 („Inhalt und Form des Europäischen Haftbefehls“) dieses Rahmenbeschlusses bestimmt in seinem Abs. 1 Buchst. c:

„Der Europäische Haftbefehl enthält entsprechend dem im Anhang beigefügten Formblatt folgende Informationen:

c)

die Angabe, ob ein vollstreckbares Urteil, ein Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung nach den Artikeln 1 und 2 vorliegt[.]“

7.

Der genannte Rahmenbeschluss enthält im Anhang ein besonderes Formblatt, das die ausstellenden Justizbehörden unter Angabe der ausdrücklich verlangten Informationen ausfüllen müssen ( 4 ). Buchst. b Ziff. 1 dieses Formblatts verweist auf die Entscheidung, die dem Haftbefehl zugrunde liegt, nämlich einen „Haftbefehl oder [eine] justizielle Entscheidung mit gleicher Wirkung“.

B.   Bulgarisches Recht

8.

Der Rahmenbeschluss 2002/584 ist durch das Zakon za ekstraditsiata i evropeiskata zapoved za arest (Gesetz über die Auslieferung und den Europäischen Haftbefehl, im Folgenden: ZEEZA) ( 5 ), dessen Art. 37 Bestimmungen über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls in einem Wortlaut enthält, der mit dem von Art. 8 dieses Rahmenbeschlusses nahezu identisch ist, in bulgarisches Recht umgesetzt worden.

9.

Gemäß Art. 56 Abs. 1 Nr. 1 ZEEZA ist die Staatsanwaltschaft in der vorgerichtlichen Phase für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls gegen den Beschuldigten zuständig. In dieser Phase des Strafverfahrens sehen die bulgarischen Rechtsvorschriften für ein Gericht keine Möglichkeit vor, sich an der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls zu beteiligen, weder vorher noch nachher ( 6 ). Insbesondere scheinen diese Rechtsvorschriften keine Möglichkeit zu bieten, eine vom Staatsanwalt erlassene Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls vor einem Gericht anzufechten. Gemäß Art. 200 des Nakazatelno protsesualen kodeks (Strafprozessordnung, im Folgenden: NPK) in Verbindung mit Art. 66 ZEEZA kann ein Europäischer Haftbefehl nur beim übergeordneten Staatsanwalt angefochten werden.

10.

Die Anordnung der Vorführung, mit der eine Person, die der Begehung einer Straftat verdächtigt wird, den ermittelnden Polizeibehörden vorgeführt werden soll, ist in Art. 71 NPK geregelt. Diese Anordnung der Vorführung ist nicht gerichtlich anfechtbar. Gegen sie ist nur die Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft statthaft.

11.

Die Heranziehung einer Person, die der Begehung einer Straftat verdächtigt wird, als Beschuldigter ist u. a. in Art. 219 NPK geregelt.

12.

Art. 219 Abs. 1 NPK lautet: „Wenn hinreichende Beweise für die Schuld einer bestimmten Person gesammelt wurden …, berichtet die Ermittlungsbehörde der Staatsanwaltschaft und zieht die Person durch Abfassung der entsprechenden Verfügung als Beschuldigten heran.“ Hierbei handelt es sich um eine Verfügung, die von der Ermittlungsbehörde unter der Kontrolle der Staatsanwaltschaft erlassen wird. Diese Verfügung hat den Zweck, die Person, die der Begehung einer Straftat verdächtigt wird, über den Tatvorwurf zu unterrichten und ihr die Möglichkeit zur Verteidigung zu eröffnen (Art. 219 Abs. 4 bis 8 und Art. 221 NPK) ( 7 ). Rechtlich bewirkt die genannte Verfügung nicht die Festnahme des Beschuldigten. Zu diesem Zweck können andere Entscheidungen ergehen: Anordnung der Vorführung vor dem zuständigen Gericht nach Art. 64 Abs. 2 NPK und Anordnung der Vorführung vor den ermittelnden Polizeibehörden nach Art. 71 NPK.

13.

Die Verfügung der Ermittlungsbehörde über die Heranziehung als Beschuldigter ist nicht gerichtlich anfechtbar. Gegen sie ist nur die Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft statthaft. Art. 200 NPK lautet nämlich: „Gegen Anordnungen der Ermittlungsbehörde ist die Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft statthaft. Gegen Anordnungen der Staatsanwaltschaft, die nicht der gerichtlichen Kontrolle unterliegen, ist die Beschwerde bei einem Staatsanwalt der übergeordneten Staatsanwaltschaft statthaft; seine Anordnung ist nicht anfechtbar.“

14.

Die Anordnung von Untersuchungshaft gegen eine strafrechtlich verfolgte Person richtet sich in der Phase vor dem Strafverfahren nach Art. 64 NPK.

15.

Gemäß Art. 64 Abs. 1 NPK wird „[d]ie Zwangsmaßnahme Untersuchungshaft … im vorgerichtlichen Verfahren vom zuständigen erstinstanzlichen Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft angeordnet“.

16.

Vor Stellung eines solchen Antrags muss die Staatsanwaltschaft prüfen, ob die Voraussetzungen von Art. 63 Abs. 1 NPK erfüllt sind ( 8 ) und vom erstinstanzlichen Gericht verlangt werden kann, dass es im vorgerichtlichen Verfahren nach Unterrichtung des Beschuldigten über den Tatvorwurf gegen diesen die schärfste Zwangsmaßnahme Untersuchungshaft verhängt.

17.

Gemäß Art. 64 Abs. 2 NPK kann die Staatsanwaltschaft eine Zwangsmaßnahme zur Inhaftierung des Beschuldigten für eine Dauer von höchstens 72 Stunden anordnen, um das Erscheinen des Beschuldigten vor dem für die Anordnung von Untersuchungshaft zuständigen Gericht zu ermöglichen.

18.

Art. 64 Abs. 3 NPK bestimmt, dass „[d]as Gericht … unverzüglich … unter Beteiligung des Beschuldigten … über die Sache [verhandelt]“ ( 9 ).

19.

Nach Art. 64 Abs. 4 NPK ist das Gericht die Behörde, die für die Prüfung des Antrags auf Anordnung von Untersuchungshaft und die Entscheidung darüber zuständig ist, ob diese, eine mildere oder generell keine verbindliche verfahrensrechtliche Maßnahme gegen den Beschuldigten verhängt werden soll.

20.

Art. 270 („Entscheidungen über die Zwangsmaßnahme und andere gerichtlicher Überprüfung unterliegende Maßnahmen im gerichtlichen Verfahren“) NPK sieht vor:

„(1)   Die Frage der Umwandlung der Zwangsmaßnahme kann jederzeit im gerichtlichen Verfahren aufgeworfen werden. Ändern sich die Umstände, kann ein neuer Antrag in Bezug auf die Zwangsmaßnahme beim zuständigen Gericht eingereicht werden.

(2)   Das Gericht entscheidet durch Beschluss in öffentlicher Sitzung.

(4)   Der Beschluss nach den Abs. 2 und 3 ist … mit einer Beschwerde anfechtbar.“

III. Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

21.

Gegen 41 Beschuldigte wurde in Bulgarien ein Strafverfahren wegen der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zur Verbreitung von Betäubungsmitteln eingeleitet. 16 dieser Personen – darunter MM – ergriffen die Flucht.

22.

Mit Verfügung vom 8. August 2019, die eine Anordnung der Vorführung gemäß Art. 71 NPK darstellt ( 10 ), schrieb die Ermittlungsbehörde MM zur Fahndung aus, um ihn zwangsweise der Polizei vorzuführen. Rechtlich bewirkte diese Verfügung die Festnahme von MM im Inland.

23.

Die Anordnung der Vorführung wird von der Staatsanwaltschaft oder einer polizeilichen Ermittlungsbehörde erlassen, die weiterhin unter der Kontrolle der Staatsanwaltschaft steht. Das vorlegende Gericht stellt klar, dass für den Erlass oder die Durchführung der fraglichen Verfügung nach bulgarischem Recht keine vorherige oder nachträgliche Genehmigung durch die Staatsanwaltschaft oder den Richter erforderlich sei. Die Anordnung der Vorführung kann somit nur von der die Ermittlungen leitenden Polizeidienststelle erlassen werden, da sich die gesuchte Person weigert, vor dieser Dienststelle zu erscheinen.

24.

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Anordnung der Vorführung in der Ausgangsrechtssache von einem Ermittlungsbeamten der Polizei (Glavna direktsiya „Borba s organiziranata prestapnost“ [Generaldirektion „Bekämpfung der organisierten Kriminalität“] beim Ministerstvo na vatreshnite raboti [Ministerium für innere Angelegenheiten, Bulgarien]) erlassen worden und tatsächlich nie durchgeführt worden sei.

25.

In Anbetracht der vorstehend beschriebenen Merkmale der Vorführungsanordnung zweifelt das vorlegende Gericht daran, dass ein solcher nationaler Rechtsakt als „Haftbefehl“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 eingestuft werden kann. Die Zweifel werden damit begründet, dass die Anordnung der Vorführung lediglich von einem Ermittlungsbeamten der Polizei ausgehe, ohne dass ein Staatsanwalt oder Richter (vorher oder nachher) tätig werde, und zu einer Haftdauer führe, die auf einen für die Vorführung der gesuchten Person vor diesen polizeilichen Ermittlungsbeamten erforderlichen Zeitraum beschränkt sei.

26.

Neben der Verfügung vom 8. August 2019, die eine Anordnung der Vorführung darstellt, zog die Ermittlungsbehörde MM, worauf das vorlegende Gericht hinweist, durch Verfügung vom 9. August 2019 ( 11 ) mit Genehmigung der Staatsanwaltschaft wegen der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zur Verbreitung von Betäubungsmitteln als Beschuldigten heran. Da MM flüchtig war, wurde die Verfügung, die den Angaben dieses Gerichts zufolge nicht die rechtliche Wirkung der Festnahme von MM hatte, lediglich dessen von Amts wegen bestelltem Rechtsanwalt zugestellt. Das genannte Gericht stellt klar, dass die erwähnte Verfügung über die Heranziehung als Beschuldigter, die als von der Staatsanwaltschaft erlassen gelte, rechtlich lediglich bewirke, eine Person über den Tatvorwurf zu unterrichten und ihr die Möglichkeit zu eröffnen, sich zu verteidigen, indem sie Erläuterungen liefere oder Beweisangebote mache.

27.

Am 16. Januar 2020 erließ die Staatsanwaltschaft einen Europäischen Haftbefehl gegen MM. In der Spalte „Entscheidung, die dem Haftbefehl zugrunde liegt“, wird unter Ziff. 1 („Haftbefehl oder justizielle Entscheidung mit gleicher Wirkung“) lediglich die von der Ermittlungsbehörde erlassene Verfügung über die Heranziehung als Beschuldigter vom 9. August 2019 erwähnt, mit der MM als Beschuldigter herangezogen wurde. MM blieb jedoch unauffindbar und konnte daher nicht festgenommen werden.

28.

Am 25. März 2020 wurde das Verfahren dem vorlegenden Gericht zur Prüfung in der Sache vorgelegt. Am 16. April 2020 beantragte die Staatsanwaltschaft die Anordnung von Untersuchungshaft gegen die flüchtigen Personen, darunter MM. In einer öffentlichen Verhandlung vom 24. April 2020 wies das vorlegende Gericht diesen Antrag mit der Begründung zurück, dass es nach nationalem Recht nicht möglich sei, eine solche Haft in Abwesenheit des Beschuldigten anzuordnen. Die Staatsanwaltschaft trat der Weigerung des vorlegenden Gerichts, sich zu dem genannten Antrag zu äußern, nicht entgegen.

29.

Das vorlegende Gericht stellt fest, dass sich die Situation von MM von derjenigen mehrerer flüchtiger Beschuldigter unterscheide. Mit Ausnahme der sich aus der Verfügung vom 8. August 2019 ergebenden Vorführungsanordnung sei gegen MM nämlich kein weiterer nationaler Haftbefehl ergangen. Das vorlegende Gericht stellt insoweit klar, dass gegen MM keine Verfügung nach Art. 64 Abs. 2 NPK erlassen worden sei ( 12 ).

30.

Am 5. Juli 2020 wurde MM in Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls in Spanien festgenommen. Am 28. Juli 2020 wurde er der bulgarischen Justiz übergeben. Am selben Tag beantragte die Staatsanwaltschaft die Anordnung von Untersuchungshaft gegen MM. Auf diesen Antrag hin ordnete das vorlegende Gericht die zwangsweise Vorführung von MM zur Teilnahme an der Gerichtsverhandlung an.

31.

Am 29. Juli 2020 erließ das vorlegende Gericht nach einer Gerichtsverhandlung, bei der MM persönlich erschienen und angehört worden war, einen Haftbefehl.

32.

Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, ging das vorlegende Gericht beim Erlass dieser Zwangsmaßnahme unter Verweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs ( 13 ) davon aus, dass der in Rede stehende Europäische Haftbefehl von einer unzuständigen Behörde, nämlich lediglich von einem Staatsanwalt ohne Beteiligung eines Gerichts, ausgestellt worden sei.

33.

Das vorlegende Gericht vertrat darüber hinaus die Auffassung, dass dieser Europäische Haftbefehl ohne Angabe einer gültigen Entscheidung über die Anordnung von Untersuchungshaft, sondern lediglich unter Angabe der Verfügung über die Heranziehung als Beschuldigter vom 9. August 2019, die nicht die Festnahme von MM zur Folge habe, ausgestellt worden sei.

34.

Vor diesem Hintergrund gelangte das vorlegende Gericht zu dem Schluss, dass der fragliche Europäische Haftbefehl rechtswidrig sei.

35.

Das vorlegende Gericht bezweifelte allerdings, ob es die Rechtswidrigkeit des genannten Europäischen Haftbefehls in diesem Verfahrensstadium feststellen könne, da zum einen das Verfahren zum Erlass und zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls bereits endgültig abgeschlossen sei und es dann zum anderen mittelbar die Verfügung der Staatsanwaltschaft kontrollieren würde. Eine solche Kontrolle sei nach bulgarischem Recht unzulässig.

36.

Eine solche Kontrolle würde das vorlegende Gericht eigenen Angaben zufolge darüber hinaus veranlassen, die Entscheidung der spanischen Justizbehörde, den Europäischen Haftbefehl zu vollstrecken und MM der bulgarischen Justiz zu übergeben, auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Das vorlegende Gericht äußerte auch Vorbehalte, ob und inwiefern ein Mangel des Europäischen Haftbefehls, wenn er gültig festgestellt wäre, die Möglichkeit beeinflussen könnte, Untersuchungshaft gegen MM anzuordnen.

37.

Aufgrund der vorstehend beschriebenen Schwierigkeiten, die Bedeutung der Rechtswidrigkeit des Europäischen Haftbefehls für das folgende, auf die Anordnung von Untersuchungshaft gegen MM gerichtete Verfahren zu beurteilen, hatte das vorlegende Gericht ein Vorabentscheidungsersuchen bereits in diesem Verfahrensstadium für erforderlich gehalten. In Ermangelung einer entsprechenden Verpflichtung der erstinstanzlichen Gerichte hatte es dem zweitinstanzlichen Gericht jedoch die Initiative dazu überlassen.

38.

Am 5. August 2020 legte MM Beschwerde gegen die Entscheidung über die Anordnung von Untersuchungshaft ein, machte unter Verweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs u. a. die Rechtswidrigkeit des Europäischen Haftbefehls geltend und beantragte beim zweitinstanzlichen Gericht, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.

39.

Am 14. August 2020 bestätigte das zweitinstanzliche Gericht den Haftbefehl gegen MM, sprach die Fragen im Zusammenhang mit möglichen Mängeln des Europäischen Haftbefehls aber nicht an und wies den Antrag der Verteidigung auf Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs zurück.

40.

Am 27. August 2020 stellte MM beim vorlegenden Gericht gemäß Art. 270 NPK erneut einen Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der ihm gegenüber getroffenen Zwangsmaßnahme Untersuchungshaft ( 14 ).

41.

In der öffentlichen Gerichtsverhandlung vom 3. September 2020 machte MM u. a. die Rechtswidrigkeit des Europäischen Haftbefehls geltend und wies darauf hin, dass diese von der vollstreckenden spanischen Justizbehörde nicht berücksichtigt worden sei, weil er seiner Übergabe an die bulgarischen Behörden zugestimmt habe. MM berief sich auf das Recht, die Rechtswidrigkeit vor dem vorlegenden Gericht geltend zu machen, und trug vor, auch die Anordnung von Untersuchungshaft gegen ihn sei deswegen mangelhaft. Daher beantragte MM, den Haftbefehl aufzuheben. Die Staatsanwaltschaft führte hingegen aus, dass der Europäische Haftbefehl nach bulgarischem Recht vollkommen rechtmäßig sei.

42.

Auch wenn das vorlegende Gericht die Auffassung vertritt, dass der Europäische Haftbefehl nach bulgarischem Recht tatsächlich rechtmäßig sei, liegen seiner Ansicht nach jedoch ernst zu nehmende Gründe vor, ihn für unionrechtswidrig zu halten. Für das genannte Gericht bestehen ernste Schwierigkeiten, die Bedeutung dieser Rechtswidrigkeit für die Untersuchungshaft zu beurteilen, die ihm an sich vollkommen rechtmäßig erscheint.

43.

Unter diesen Umständen hat der Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist ein nationales Gesetz, wonach der Europäische Haftbefehl und die nationale Entscheidung, die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt, lediglich von der Staatsanwaltschaft erlassen werden, ohne dass das Gericht die Möglichkeit einer Beteiligung oder einer vorherigen oder nachträglichen Kontrolle hat, mit Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 vereinbar?

2.

Ist ein Europäischer Haftbefehl, der auf der Grundlage einer Entscheidung über die Heranziehung der gesuchten Person als Beschuldigter erlassen wurde, wobei diese Entscheidung nicht die Untersuchungshaft betrifft, mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 vereinbar?

3.

Im Fall der Verneinung: Wenn bei der Ausstellung und der Kontrolle des Europäischen Haftbefehls keine Beteiligung des Gerichts zulässig ist und er auf der Grundlage einer nationalen Entscheidung erlassen wurde, die nicht die Untersuchungshaft vorsieht, der Europäische Haftbefehl aber tatsächlich vollstreckt und die gesuchte Person übergeben wird, muss dann der gesuchten Person im Rahmen des Strafverfahrens, in dem der Europäische Haftbefehl ausgestellt worden ist, ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung stehen? Ist ein wirksamer Rechtsbehelf nur dann gegeben, wenn die gesuchte Person in die Lage versetzt wird, in der sie sich befände, wenn der Verstoß nicht begangen worden wäre?

44.

Der Gerichtshof hat zugestimmt, das Vorabentscheidungsersuchen dem Eilverfahren zu unterwerfen.

IV. Würdigung

45.

Die Fragen des vorlegenden Gerichts scheinen mir in drei Stränge gegliedert werden zu können. Der erste Strang betrifft die Gültigkeit des gegen MM ausgestellten Europäischen Haftbefehls. Der zweite Strang bezieht sich auf die Frage, ob das vorlegende Gericht die Gültigkeit dieses Haftbefehls im Rahmen eines Antrags betreffend die Fortdauer der Untersuchungshaft von MM kontrollieren darf, obwohl das nationale Verfahrensrecht den Angaben des erwähnten Gerichts zufolge vorsieht, dass der genannte Haftbefehl der Staatsanwaltschaft nicht gerichtlich anfechtbar ist, sondern lediglich Gegenstand einer Beschwerde beim übergeordneten Staatsanwalt sein kann. Der dritte Strang schließlich bezieht sich auf die Frage, welche Folgen die Feststellung, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Europäische Haftbefehl ungültig sei, für die Untersuchungshaft von MM haben könnte.

46.

Bevor ich auf diese drei Dimensionen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens eingehe, werde ich einige Vorbemerkungen machen, um klarzustellen, dass sich das Ersuchen weder auf die Entscheidung der spanischen Justizbehörde, den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Europäischen Haftbefehl zu vollstrecken, noch auf die Einstufung der bulgarischen Staatsanwaltschaft als „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 bezieht.

A.   Vorbemerkungen zur Tragweite des Vorabentscheidungsersuchens

1. Rolle der vollstreckenden Justizbehörde

47.

Das Ausmaß der Verpflichtungen, die der vollstreckenden Justizbehörde obliegen, wenn sie einen Europäischen Haftbefehl prüfen und über seine Vollstreckung entscheiden muss, ist eine komplexe Frage, die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung noch nicht in all ihren Facetten entschieden hat, obwohl diese Rechtsprechung bereits zahlreiche Hinweise enthält, die der genannten Behörde als Leitlinien dienen können ( 15 ). Sicher ist, dass die vollstreckende Justizbehörde oftmals zu einem Balanceakt zwischen Schnelligkeit bei der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls und Kontrolle der Ordnungsgemäßheit dieses Haftbefehls gezwungen ist ( 16 ).

48.

In ihren schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung hat die spanische Regierung verschiedene Argumente zur Stützung der von der vollstreckenden Justizbehörde getroffenen Entscheidung dargelegt, MM der ausstellenden Justizbehörde zu übergeben.

49.

Hervorzuheben ist, dass der Gerichtshof mit den Fragen des vorlegenden Gerichts nicht aufgefordert wird, diese Entscheidung der vollstreckenden Justizbehörde unmittelbar oder mittelbar zu prüfen.

50.

Das Ausgangsverfahren ist vor einem Gericht des Ausstellungsmitgliedstaats anhängig, und nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach für die Gewährleistung der Achtung der Rechte der gesuchten Person in erster Linie der Ausstellungsmitgliedstaat verantwortlich ist ( 17 ), betreffen die Fragen des erwähnten Gerichts die Modalitäten und den Umfang dieser Gewährleistung im Ausstellungsmitgliedstaat.

2. Einstufung der bulgarischen Staatsanwaltschaft als „ausstellende Justizbehörde“

51.

Angesichts der Formulierung seiner ersten Vorlagefrage scheint das vorlegende Gericht von der Prämisse auszugehen, dass die Eigenschaft einer „ausstellenden Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 u. a. vom Vorhandensein einer gerichtlichen Kontrolle der Entscheidung über die Ausstellung des Europäischen Haftbefehls und der nationalen Entscheidung abhängt, auf die sich dieser Haftbefehl stützt.

52.

Das vorlegende Gericht weist nämlich darauf hin, dass die vorliegende Rechtssache eine Bestimmung des nationalen Rechts betreffe, nämlich Art. 56 Abs. 1 Nr. 1 ZEEZA, der eine ausschließliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls in der vorprozessualen Phase vorsehe. Auch müsse der nationale Rechtsakt über die Heranziehung als Beschuldigter, auf dessen Grundlage der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Europäische Haftbefehl ausgestellt worden sei, als von der Staatsanwaltschaft erlassen gelten. Das bulgarische Recht sehe keinen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen diese beiden Entscheidungen vor, weshalb davon auszugehen sei, dass sich der Gerichtshof zur Vereinbarkeit des bulgarischen Rechts mit Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 äußern müsse.

53.

Zweck der letztgenannten Vorschrift ist es, die ausstellende Justizbehörde als „die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats, die nach dem Recht dieses Staats für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls zuständig ist“, zu bestimmen.

54.

Der Gerichtshof hat jedoch entschieden, dass das Vorhandensein einer gerichtlichen Kontrolle der von einer anderen Behörde als einem Gericht getroffenen Entscheidung, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, keine Voraussetzung dafür darstellt, dass diese Behörde als „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 angesehen werden kann. Ein solches Erfordernis fällt nicht unter die Rechts- und Organisationsvorschriften der genannten Behörde, sondern betrifft das Verfahren der Ausstellung eines solchen Haftbefehls ( 18 ).

55.

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen ersucht, für Recht zu erkennen, ob der Rahmenbeschluss 2002/584 dahin auszulegen ist, dass, falls für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls zum Zwecke der Strafverfolgung eine Behörde zuständig ist, die in diesem Mitgliedstaat an der Rechtspflege mitwirkt, aber nicht selbst ein Gericht ist, die Anforderungen an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erfüllt sind, wenn die Voraussetzungen für den Erlass des genannten Haftbefehls und der ihm zugrunde liegenden nationalen Entscheidung im besagten Mitgliedstaat nicht gerichtlich überprüft werden können, sei es vor der Übergabe der gesuchten Person oder danach.

56.

Dagegen scheint das vorlegende Gericht die Einstufung der bulgarischen Staatsanwaltschaft als „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 angesichts der vom Gerichtshof aufgestellten Einstufungskriterien nicht in Frage zu stellen.

57.

Was diese Einstufungskriterien angeht, so werde ich mich mit dem Hinweis begnügen, dass sich, wie der Gerichtshof für Recht erkannt hat, „der Begriff ‚ausstellende Justizbehörde‘ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 auf die Behörden eines Mitgliedstaats erstrecken kann, die, ohne notwendigerweise Richter oder Gerichte zu sein, in diesem Mitgliedstaat an der Strafrechtspflege mitwirken und bei der Ausübung ihrer der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls innewohnenden Aufgaben unabhängig handeln, wobei diese Unabhängigkeit verlangt, dass es Rechts- und Organisationsvorschriften gibt, die zu gewährleisten vermögen, dass die ausstellende Justizbehörde, wenn sie die Entscheidung trifft, einen solchen Haftbefehl auszustellen, nicht der Gefahr ausgesetzt ist, etwa einer Einzelweisung seitens der Exekutive unterworfen zu werden“ ( 19 ).

58.

Im vorliegenden Fall wird die Mitwirkung der bulgarischen Staatsanwaltschaft an der Strafrechtspflege nicht bestritten.

59.

Was die Frage betrifft, ob diese Staatsanwaltschaft bei der Ausübung ihrer der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls innewohnenden Aufgaben unabhängig handelt, so geht aus der schriftlichen Antwort der bulgarischen Regierung auf eine Frage des Gerichtshofs, die sich u. a. auf diesen Aspekt bezieht, hervor, dass die Judikative gemäß Art. 117 Abs. 2 der Konstitutsiya (Verfassung) unabhängig ist und die Richter, Geschworenen, Staatsanwälte und Untersuchungsrichter bei der Ausübung ihrer Aufgaben nur dem Gesetz unterworfen sind. In Art. 1a Abs. 1 des Zakon za sadebnata vlastta (Gesetz über das Gerichtswesen) ( 20 ) heißt es, dass die Judikative eine Staatsgewalt ist, die die Rechte und rechtmäßigen Interessen der Bürger, der juristischen Personen und des Staates schützt. In Abs. 2 desselben Artikels wird erneut der Grundsatz der Unabhängigkeit der Judikative verankert. Gemäß Art. 3 des Gesetzes über das Gerichtswesen beruhen die Entscheidungen der Richter, der Staatsanwälte und der Untersuchungsrichter auf dem Gesetz und den während des Verfahrens erhobenen Beweisen. Die bulgarische Regierung stellt klar, dass es sich bei der Staatsanwaltschaft im bulgarischen Gerichtssystem um eine Behörde der rechtsprechenden Gewalt handle, die verfassungsmäßig unabhängig von den Behörden der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt sei ( 21 ). Nach Art. 14 Abs. 1 NPK treffen die Staatsanwälte ihre Entscheidungen nach ihrer inneren Überzeugung auf der Grundlage einer objektiven, unparteiischen und umfassenden Prüfung sämtlicher Umstände des Falles und im Rahmen des geltenden Rechts.

60.

Aufgrund der in der Vorlageentscheidung und im EU-Justizbarometer 2020 ( 22 ) enthaltenen Informationen kommt die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass die bulgarische Staatsanwaltschaft an der Strafrechtspflege in Bulgarien mitwirke und bei der Ausübung ihrer der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls innewohnenden Aufgaben unabhängig handle.

61.

MM bezweifelt hingegen, dass bulgarische Staatsanwälte den Kriterien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit genügen, und betont ihre Abhängigkeit gegenüber einem Staatsanwalt der übergeordneten Staatsanwaltschaft und dem Generalstaatsanwalt der Republik Bulgarien.

62.

Da das vorlegende Gericht im Licht der Begründung seiner Vorlageentscheidung nicht nach der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft bei der Ausübung ihrer der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls innewohnenden Aufgaben fragt, braucht sich der Gerichtshof meiner Meinung nach nicht dazu zu äußern.

63.

Aufgrund der Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts muss der Gerichtshof seine Prüfung meines Erachtens somit auf die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls, die eine Voraussetzung für die Gültigkeit dieses Haftbefehls darstellt, konzentrieren.

B.   Ordnungsgemäßheit des Verfahrens zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls als Voraussetzung für die Gültigkeit dieses Haftbefehls

64.

Das vorlegende Gericht bezweifelt, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verfahren zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls unter Einhaltung des vom Gerichtshof geforderten doppelten Rechtsschutzniveaus für gesuchte Personen geführt worden ist. Insbesondere liege diesem Europäischen Haftbefehl kein nationaler „Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 zugrunde, und jedenfalls seien weder der dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegende nationale Rechtsakt noch dieser Haftbefehl, die beide von der Staatsanwaltschaft erlassen würden, gerichtlich anfechtbar. Demnach habe das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verfahren zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls nicht die Anforderungen an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erfüllt, was die Ungültigkeit dieses Haftbefehls zur Folge habe.

65.

Um auf die Fragen des vorlegenden Gerichts zu den genannten Aspekten antworten zu können, ist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum doppelten Rechtsschutzniveau hinzuweisen, das Personen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl vorliegt, garantiert werden muss.

66.

Aus dieser Rechtsprechung geht hervor, dass, „wenn ein Europäischer Haftbefehl ausgestellt wird, damit ein anderer Mitgliedstaat eine zum Zweck der Strafverfolgung gesuchte Person festnimmt und übergibt, diese Person in einem ersten Stadium des Verfahrens in den Genuss der Verfahrens- und Grundrechte gekommen sein [muss], deren Schutz die Justizbehörden des Ausstellungsmitgliedstaats nach dem anzuwendenden nationalen Recht, insbesondere im Hinblick auf den Erlass eines nationalen Haftbefehls, zu gewährleisten haben“ ( 23 ).

67.

Das System des Europäischen Haftbefehls enthält daher „einen zweistufigen Schutz der Verfahrens- und Grundrechte, in deren Genuss die gesuchte Person kommen muss, da zu dem gerichtlichen Schutz auf der ersten Stufe, beim Erlass einer nationalen Entscheidung wie eines nationalen Haftbefehls, der Schutz hinzukommt, der auf der zweiten Stufe, bei der Ausstellung des Europäischen Haftbefehls, zu der es gegebenenfalls kurze Zeit nach dem Erlass dieser nationalen justiziellen Entscheidung kommen kann, zu gewährleisten ist“ ( 24 ).

68.

Somit impliziert dieser Schutz „[b]ei einer Maßnahme, die – wie die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls – das Recht auf Freiheit des Betroffenen beeinträchtigen kann, … dass zumindest auf einer seiner beiden Stufen eine Entscheidung erlassen wird, die den einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen genügt“ ( 25 ).

69.

Folglich muss, „wenn nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls eine Behörde zuständig ist, die in diesem Mitgliedstaat an der Rechtspflege mitwirkt, aber kein Richter oder Gericht ist, die nationale justizielle Entscheidung – wie ein nationaler Haftbefehl –, auf die sich der Europäische Haftbefehl stützt, ihrerseits diese Anforderungen erfüllen“ ( 26 ).

70.

Außerdem „setzt die zweite Stufe des Schutzes der Rechte des Betroffenen voraus, dass die ausstellende Justizbehörde überprüft, ob die für seine Ausstellung erforderlichen Voraussetzungen eingehalten wurden, und unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Gesichtspunkte und ohne Gefahr zu laufen, externen Weisungen, insbesondere seitens der Exekutive, unterworfen zu sein, in objektiver Weise prüft, ob diese Ausstellung verhältnismäßig war“ ( 27 ).

71.

Darüber hinaus „müssen, wenn nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls eine Behörde zuständig ist, die in diesem Mitgliedstaat an der Rechtspflege mitwirkt, aber selbst kein Gericht ist, in dem Mitgliedstaat die Entscheidung über die Ausstellung eines solchen Haftbefehls und insbesondere ihre Verhältnismäßigkeit in einer Weise gerichtlich überprüfbar sein, die den Erfordernissen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes voll und ganz genügt“ ( 28 ).

72.

Nach Ansicht des Gerichtshofs soll „[e]in solcher Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, einen Europäischen Haftbefehl zur Strafverfolgung zu erlassen, die von einer Behörde getroffen wurde, die zwar an der Rechtspflege mitwirkt und gegenüber der Exekutive über die geforderte Unabhängigkeit verfügt, aber kein Gericht ist, … sicherstellen, dass die gerichtliche Kontrolle dieser Entscheidung und der für den Erlass eines solchen Haftbefehls erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere seiner Verhältnismäßigkeit, die einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen beachtet“ ( 29 ).

73.

Angesichts dieser Rechtsprechung ist zu prüfen, ob das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verfahren zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls – wie vom Gerichtshof gefordert – im Einklang mit dem doppelten Schutzniveau für die Rechte des Betroffenen durchgeführt worden ist.

74.

Meiner Meinung nach ist das nicht der Fall, und zwar vom ersten Verfahrensstadium an.

75.

Auf der Grundlage der dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Informationen und vorbehaltlich der dem vorlegenden Gericht obliegenden Überprüfungen scheint der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Europäische Haftbefehl entgegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584, wie er vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 1. Juni 2016, Bob-Dogi ( 30 ), ausgelegt worden ist, nämlich keinen nationalen Haftbefehl oder eine vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung zur Rechtsgrundlage zu haben. Ein solches Erfordernis hängt jedoch unmittelbar mit dem Erfordernis zusammen, einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz für die gesuchte Person zu gewährleisten.

76.

In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Bob-Dogi ( 31 ) hat Generalanwalt Bot ausführlich dargelegt, weshalb es unerlässlich ist, dass sich ein Europäischer Haftbefehl auf eine nationale justizielle Entscheidung stützt, die seine Rechtsgrundlage bildet und die gleichen Rechtswirkungen erzeugt wie ein nationaler Haftbefehl. So hat er den Europäischen Haftbefehl als „das durch den Rahmenbeschluss [2002/584] geschaffene ursprüngliche Instrument [beschrieben], mit dem die ausstellende Justizbehörde um Vollstreckung der nationalen Entscheidung im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ersucht“ ( 32 ), so dass der Europäische Haftbefehl „nicht mit der Anordnung der Suche und Festnahme, zu deren Vollstreckung er erlassen wurde, zusammen[fällt]“ und daher „eine Rechtshandlung dar[stellt], die die Durchführung der Vollstreckung einer justiziellen Entscheidung, mit der die Festnahme der gesuchten Person angeordnet wird, im europäischen Rechtsraum ermöglicht“ ( 33 ). Kurzum haben der Europäische Haftbefehl und der nationale Haftbefehl jeweils ihre eigene Funktion, wobei Ersterer „ein Rechtsinstrument der justiziellen Zusammenarbeit ist, das im Hoheitsgebiet des Ausstellungsmitgliedstaats keine Anordnung zur Suche oder Festnahme der betroffenen Person darstellt“ ( 34 ).

77.

Generalanwalt Bot zufolge entzieht „das Fehlen der Ausstellung eines nationalen Haftbefehls oder eines anderen vollstreckbaren Titels mit gleicher Rechtswirkung … dem Europäischen Haftbefehl die Rechtsgrundlage“ ( 35 ), was zur Folge hat, dass „der gesuchten Person dadurch die Verfahrensgarantien versagt werden, die mit der Ausstellung einer nationalen justiziellen Entscheidung verbunden sind und die zu den mit dem Verfahren des Europäischen Haftbefehls verbundenen Garantien hinzukommen“ ( 36 ). Er hat daher die „Gefahr einer Schwächung der Verteidigungsrechte [aufgezeigt], die durch das Fehlen einer nationalen justiziellen Entscheidung als Grundlage des Europäischen Haftbefehls entsteht“ ( 37 ), und die Auffassung vertreten, dass „[d]ie weitgehende Beschränkung der Gründe, aus denen die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden kann, … voraus[setzt], dass als Gegenstück konkrete und wirksame Verfahrensgarantien für die Verteidigungsrechte im Ausstellungsmitgliedstaat des Europäischen Haftbefehls bestehen, ohne die das der Errichtung des europäischen Rechtsraums innewohnende unabdingbare Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen einer wirksamen Strafjustiz und den Erfordernissen der Wahrung der Grundrechte gestört wäre“ ( 38 ). Im Gegenteil stellt „[d]ie Bedingung, dass ein nationaler Haftbefehl, der nicht mit dem Europäischen Haftbefehl identisch ist, vorliegt, die durchaus nicht bloß Ausdruck eines spitzfindigen und unnötigen Formalismus ist, … eine grundlegende Garantie für die Wahrung dieses Gleichgewichts im System des Rahmenbeschlusses [2002/584] dar“ ( 39 ) und ist „für das gegenseitige Vertrauen und die Wahrung der Rechte der gesuchten Person unabdingbar“ ( 40 ).

78.

Daher verschafft die Voraussetzung im Zusammenhang damit, dass der Europäische Haftbefehl auf „eine[r] gemeinsame[n] Verfahrensgrundlage in Form einer nationalen justiziellen Entscheidung [beruht], die sicherstellt, dass eine Zwangsmaßnahme nur nach Einschalten eines unabhängigen und unparteiischen Gerichts verkündet wird, … dem Grundsatz des wirksamen und gleichwertigen [gerichtlichen] Schutzes einen inhaltlichen Mindestgehalt und ermöglicht folglich die konkrete rechtliche Verkörperung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens“ ( 41 ). Außerdem ist „[d]as Vorliegen eines nationalen Haftbefehls als Grundlage des Europäischen Haftbefehls … als Ausdruck des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit zu verstehen, nach dem die Zwangsbefugnisse, aufgrund deren eine Such‑, Festnahme- oder Haftanordnung erlassen wird, nicht außerhalb der vom nationalen Recht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten gesetzlichen Grenzen stattfinden kann, in denen die Behörde die einer Straftat verdächtigten Personen suchen, verfolgen und verurteilen kann“ ( 42 ).

79.

Konkret hat das im Widerspruch zu Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 stehende Fehlen eines nationalen Haftbefehls oder einer anderen vollstreckbaren justiziellen Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung als Rechtsgrundlage für einen Europäischen Haftbefehl zur Folge, dass, „da keine andere anfechtbare Rechtshandlung als der Europäische Haftbefehl vorliegt, … der gesuchten Person die Möglichkeit entzogen [wird], die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahme und Inhaftierung im Ausstellungsmitgliedstaat nach dessen Vorschriften anzufechten. Da die vollstreckende Justizbehörde nur für die Entscheidung über die [in diesem] Rahmenbeschluss vorgesehenen Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung zuständig ist, besteht somit die Gefahr, dass ein ganzer Gesichtspunkt der Rechtmäßigkeit der Festnahme und der Inhaftierung keinerlei gerichtlicher Nachprüfung unterliegt“ ( 43 ). Daher habe „[d]er Unionsgesetzgeber …, gerade um die Gefahr eines Entzugs der Garantien, die mit der Beteiligung eines Gerichts als Hüter der individuellen Freiheiten einhergehen, auszuschalten, vorgesehen, dass dem Europäischen Haftbefehl eine justizielle Entscheidung zugrunde liegen muss, die nach den Verfahrensvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats erlassen worden ist“ ( 44 ).

80.

Der Analyse des Generalanwalts Bot folgend hat der Gerichtshof entschieden, dass „Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses [2002/584] dahin auszulegen ist, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff ‚Haftbefehl‘ dahin zu verstehen ist, dass er einen nationalen Haftbefehl bezeichnet, der nicht mit dem Europäischen Haftbefehl identisch ist“ ( 45 ). Neben der Wortlautauslegung hat der Gerichtshof speziell dem Umstand Rechnung getragen, dass die Verfahrens- und Grundrechte, deren Schutz die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats zu gewährleisten hat, ohne einen vorherigen nationalen Haftbefehl beeinträchtigt werden könnten, da der betreffenden Person die erste Schutzstufe für diese Rechte, nämlich die rein nationale Schutzstufe, genommen würde ( 46 ).

81.

In seinem Urteil vom 1. Juni 2016, Bob-Dogi ( 47 ), hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass, auch wenn die Art. 3, 4, 4a und 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 keinen Raum für andere als die darin aufgezählten Gründe der Nichtvollstreckung lassen, sie gleichwohl auf der Annahme beruhen, dass der betreffende Europäische Haftbefehl den in Art. 8 Abs. 1 dieses Rahmenbeschlusses vorgesehenen Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit des genannten Haftbefehls genügt ( 48 ).

82.

Nach Ansicht des Gerichtshofs enthält Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses [2002/584] allerdings „eine Anforderung an die Ordnungsmäßigkeit …, deren Erfüllung eine Voraussetzung für die Gültigkeit des Europäischen Haftbefehls darstellt“ ( 49 ). Sofern ein Europäischer Haftbefehl nicht auf der vorherigen Ausstellung eines nicht mit ihm identischen nationalen Haftbefehls beruht, ist davon auszugehen, dass dieser Europäische Haftbefehl die in Art. 8 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 vorgesehenen Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit nicht erfüllt ( 50 ).

83.

Aus dem Urteil vom 1. Juni 2016, Bob-Dogi ( 51 ), ergibt sich daher eindeutig, dass ein Europäischer Haftbefehl nicht gültig ist, sofern er ausgestellt wurde, ohne dass zuvor ein nicht mit diesem Europäischen Haftbefehl identischer nationaler Haftbefehl ergangen ist.

84.

Bei der Formulierung seiner Vorlagefragen geht das vorlegende Gericht im Einklang mit dieser Rechtsprechung von der Prämisse aus, dass es einen nationalen Haftbefehl geben muss, der nicht mit dem Europäischen Haftbefehl identisch ist und zeitlich vor diesem liegt. Das genannte Gericht stellt jedoch fest, dass der Gerichtshof noch nicht entschieden habe, ob es mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 vereinbar sei, wenn dem Europäischen Haftbefehl ein nationaler Rechtsakt über die Heranziehung als Beschuldigter wie der in der Verfügung über die Heranziehung als Beschuldigter vom 9. August 2019 enthaltene zugrunde liege, mit dem der Betroffene offiziell über den Tatvorwurf unterrichtet werde.

85.

Das vorlegende Gericht hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass in der Ausgangsrechtssache im Unterschied zu der Rechtssache, die zum Urteil vom 1. Juni 2016, Bob-Dogi ( 52 ), geführt habe, sehr wohl eine nicht mit dem Europäischen Haftbefehl identische und in diesem Haftbefehl eindeutig vermerkte nationale Entscheidung vorliege. Diese Entscheidung sehe jedoch die Inhaftierung der gesuchten Person nicht vor.

86.

Meiner Meinung nach stützen die Argumente, die Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen Bob-Dogi vorgebracht hat, um zu erklären, weshalb es das Erfordernis gibt, dass ein Europäischer Haftbefehl als Rechtsgrundlage einen nationalen Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung haben muss, die Auffassung, wonach ein solcher nationaler Rechtsakt zum einen auf die Suche und Festnahme einer strafrechtlich verfolgten Person abzielen und zum anderen gerichtlich anfechtbar sein müsse, wenn er von einer Behörde erlassen werde, die in diesem Mitgliedstaat an der Rechtspflege mitwirke, aber nicht selbst ein Gericht sei.

87.

Die Frage, ob die von der Staatsanwaltschaft erlassene Verfügung über die Heranziehung als Beschuldigter vom 9. August 2019 einem „[nationalen] Haftbefehl oder eine[r] andere[n] vollstreckbare[n] justizielle[n] Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 gleichzusetzen ist, erfordert somit eine genaue Abgrenzung der Tragweite dieses Begriffs.

88.

Erstens muss es sich um eine justizielle Entscheidung handeln. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Auslegung, wonach der Begriff „Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 so zu verstehen ist, dass er die an der Strafrechtspflege der Mitgliedstaaten mitwirkenden Behörden erfasst, aufgrund des Erfordernisses, die Kohärenz zwischen den Auslegungen der verschiedenen Vorschriften dieses Rahmenbeschlusses zu gewährleisten, grundsätzlich auf dessen Art. 8 Abs. 1 Buchst. c übertragbar erscheint. Dieser ist somit dahin auszulegen, dass der Begriff „justizielle Entscheidung“ die Entscheidungen der an der Strafrechtspflege der Mitgliedstaaten mitwirkenden Behörden erfasst ( 53 ).

89.

Da nicht bestritten wird, dass es sich bei der Staatsanwaltschaft um eine zur Mitwirkung bei der Strafrechtspflege in Bulgarien berufene Behörde handelt, ist die von ihr erlassene Verfügung über die Heranziehung als Beschuldigter vom 9. August 2019 demnach als „justizielle Entscheidung“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 anzusehen ( 54 ).

90.

Zweitens muss ein nationaler Rechtsakt, der als Grundlage für einen Europäischen Haftbefehl dient, um unter den Begriff „[nationaler] Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 zu fallen, selbst dann gleichwertige Rechtswirkungen erzeugen, wenn er in den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats nicht als „nationaler Haftbefehl“ bezeichnet wird. Dafür spricht der Wortlaut dieser Vorschrift, wenn er auf „eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung“ verweist ( 55 ). Eine solche Entscheidung muss demnach – wie ein nationaler Haftbefehl – die Rechtswirkungen einer Anordnung der Suche und Festnahme der strafrechtlich verfolgten Person erzeugen.

91.

Ich teile daher nicht die Meinung der spanischen Regierung, die im Anschluss an eine weite Auslegung, wonach dieser Begriff jede vollstreckbare justizielle Entscheidung zum Zwecke der Strafverfolgung erfassen könne, den Standpunkt vertritt, dass ein nationaler Rechtsakt wie die Verfügung über die Heranziehung als Beschuldigter vom 9. August 2019 eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls darstelle.

92.

Das durch den Rahmenbeschluss 2002/584 geschaffene System der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen spricht dafür, dass ein Europäischer Haftbefehl einen nationalen Rechtsakt, mit dem die Festnahme einer Person im Hoheitsgebiet des Ausstellungsmitgliedstaats angeordnet wird, zur Rechtsgrundlage haben muss. Mit einem Europäischen Haftbefehl sollen nämlich die Rechtswirkungen eines nationalen Haftbefehls oder einer damit verwandten Entscheidung außerhalb des Ausstellungsmitgliedstaats verlängert werden. Nach Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls und Übergabe der Person an die ausstellende Justizbehörde, durch die sich die Wirkungen des Haftbefehls erschöpfen, muss die ursprüngliche nationale Rechtsgrundlage, die es ermöglicht, diese Person zwecks Vornahme strafverfahrensrechtlicher Handlungen zum Erscheinen vor einem Richter des Ausstellungsmitgliedstaats zu zwingen, notwendigerweise fortbestehen. In gleicher Weise stimme ich mit der Kommission darin überein, dass die ausstellende Justizbehörde den Europäischen Haftbefehl nicht für die Festnahme einer Person in einem anderen Mitgliedstaat verwenden darf, wenn sie diese Festnahme auf der Grundlage ihres eigenen nationalen Rechts nicht anordnen kann. Mit anderen Worten darf die ausstellende Justizbehörde nach Auffassung der Kommission einen anderen Mitgliedstaat nicht bitten, mehr zu tun, als sie selbst anordnen kann.

93.

Der Begriff „[nationaler] Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 bezieht sich somit nicht auf Rechtsakte, mit denen Strafverfolgungsmaßnahmen gegen eine Person eingeleitet werden, sondern auf solche, die dazu bestimmt sind, mit einer Zwangsmaßnahme die Festnahme dieser Person zu ermöglichen, um sie zwecks Vornahme strafverfahrensrechtlicher Handlungen einem Richter vorzuführen.

94.

Folglich ist ein Europäischer Haftbefehl, dem eine Entscheidung über die Heranziehung als Beschuldigter wie die in der Verfügung vom 9. August 2019 enthaltene – die den Angaben des vorlegenden Gerichts zufolge rechtlich lediglich bewirkt, eine Person über den Tatvorwurf zu unterrichten und ihr die Möglichkeit zu eröffnen, sich zu verteidigen, indem sie Erläuterungen liefert oder Beweisangebote macht – zugrunde liegt, ohne eine Anordnung der Suche und Festnahme dieser Person darzustellen, nicht mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 vereinbar. Die Missachtung des in dieser Vorschrift vorgesehenen Erfordernisses der Ordnungsgemäßheit beeinträchtigt die Gültigkeit des Europäischen Haftbefehls.

95.

Ich möchte hinzufügen, dass auch die von den Polizeidienststellen am 8. August 2019 gemäß Art. 71 NPK erlassene Anordnung der Vorführung keinen „[nationalen] Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 darstellen kann. Wie das vorlegende Gericht feststellt, wird diese Vorführungsanordnung nämlich lediglich von einem Ermittlungsbeamten der Polizei ohne (vorherige oder nachträgliche) Beteiligung eines Staatsanwalts oder Richters erlassen. Sie stellt somit keine justizielle Entscheidung dar ( 56 ).

96.

In dem verfahrensrechtlichen Kontext, in dem der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Europäische Haftbefehl erlassen worden ist, fehlt es entsprechend den Feststellungen, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 1. Juni 2016, Bob-Dogi ( 57 ), getroffen hat, nach alledem grundsätzlich am zweistufigen gerichtlichen Schutz, wenn in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens ein Verfahren zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls zur Anwendung gekommen ist, ohne dass zuvor eine durch eine nationale Justizbehörde getroffene Entscheidung – etwa der Erlass eines nationalen Haftbefehls –, auf die sich der Europäische Haftbefehl stützt, ergangen ist ( 58 ).

97.

Unter den speziellen Umständen der Ausgangsrechtssache lässt sich meines Erachtens hingegen die Auffassung vertreten, dass das Erfordernis eines nationalen Haftbefehls erfüllt gewesen wäre, wenn es sich bei dem den Europäischen Haftbefehl stützenden nationalen Rechtsakt um eine von der Staatsanwaltschaft gemäß Art. 64 Abs. 2 NPK erlassene Verfügung gehandelt hätte. Das vorlegende Gericht weist allerdings darauf hin, dass gegenüber MM keine solche Maßnahme ergriffen worden sei. Ich erinnere daran, dass es sich hierbei um eine Zwangsmaßnahme handelt, die in der Ingewahrsamnahme des Beschuldigten für eine Dauer von höchstens 72 Stunden besteht, um ihn dem Gericht vorzuführen, das über seine etwaige vorläufige Inhaftierung entscheiden wird. Das vorlegende Gericht stellt insoweit klar, dass diese Maßnahme die in Bulgarien typische nationale Grundlage für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls in der vorgerichtlichen Phase darstelle, was mir auch aus den Angaben hervorzugehen scheint, die dem Gerichtshof von der bulgarischen Regierung gemacht worden sind ( 59 ).

98.

Abgesehen davon kann man sich fragen, ob das bulgarische Verfahrensrecht auch in diesem Fall den vom Gerichtshof geforderten Anforderungen an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz genügt. Damit komme ich zur Prüfung der anderen Rüge, die das vorlegende Gericht erhoben hat, um die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens zur Ausstellung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Haftbefehls anzuzweifeln, auch wenn allein die Feststellung des Fehlens eines nationalen Haftbefehls für die Verwirklichung einer Missachtung des in Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 vorgesehenen Erfordernisses der Ordnungsgemäßheit und damit für den Befund genügt, dass dieser Europäische Haftbefehl ungültig ist.

99.

Um die Gültigkeit des Europäischen Haftbefehls in Zweifel zu ziehen, weist das vorlegende Gericht nämlich darauf hin, dass nationale, von der Staatsanwaltschaft als Grundlage für einen solchen Haftbefehl erlassene Rechtsakte im bulgarischen Verfahrensrecht ebenso wenig gerichtlich angefochten werden könnten wie die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls. So geht aus den dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Informationen hervor, dass sowohl die Anordnung der Vorführung als auch die Verfügung über die Heranziehung als Beschuldigter oder die Haftmaßnahme von bis zu 72 Stunden zwecks Vorführung vor dem für die Anordnung von Untersuchungshaft zuständigen Gericht sowie die Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls nur beim übergeordneten Staatsanwalt angefochten werden können.

100.

Meiner Ansicht nach sollte der nationale Rechtsakt der Staatsanwaltschaft, der die Rechtsgrundlage für einen Europäischen Haftbefehl darstellt, im Ausstellungsmitgliedstaat – parallel zu den Vorgaben, die der Gerichtshof macht, wenn ein Europäischer Haftbefehl von einem Staatsanwalt ausgestellt wird ( 60 ) – in einer Weise gerichtlich überprüfbar sein, die den Erfordernissen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes voll und ganz genügt.

101.

Dieses Erfordernis scheint mir vom Gerichtshof im Übrigen bereits verlangt zu werden, wenn er in einem Fall, in dem – wie hier – für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats eine Behörde zuständig ist, die in diesem Mitgliedstaat an der Rechtspflege mitwirkt, aber kein Richter oder Gericht ist, entscheidet, dass „die nationale justizielle Entscheidung – wie ein nationaler Haftbefehl –, auf die sich der Europäische Haftbefehl stützt, ihrerseits [die einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden] Anforderungen erfüllen [muss]“ ( 61 ).

102.

Nach Auffassung des Gerichtshofs ermöglicht es „[d]ie Erfüllung dieser Anforderungen … dabei, der vollstreckenden Justizbehörde zu garantieren, dass die Entscheidung, zum Zweck der Strafverfolgung einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, auf einem gerichtlicher Kontrolle unterworfenen nationalen Verfahren beruht und dass die Person, gegen die sich der nationale Haftbefehl richtet, über alle dem Erlass derartiger Entscheidungen eigene Garantien verfügte, insbesondere über diejenigen, die sich aus den in Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 genannten Grundrechten und allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben“ ( 62 ).

103.

Daher ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass ein Europäischer Haftbefehl auf einem nationalen Haftbefehl beruhen muss, der im Rahmen eines gerichtlicher Kontrolle unterworfenen nationalen Verfahrens ausgestellt worden ist ( 63 ).

104.

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen ist, dass ein Europäischer Haftbefehl als ungültig anzusehen ist, sofern er nicht auf einem „[nationalen] Haftbefehl oder eine[r] andere[n] vollstreckbare[n] justizielle[n] Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung“ im Sinne dieser Bestimmung beruht. Der vorstehende Begriff erfasst nationale Maßnahmen, die von einer Justizbehörde im Hinblick auf die Suche und Festnahme einer strafrechtlich verfolgten Person mit dem Ziel erlassen werden, diese Person zum Zweck der Vornahme strafverfahrensrechtlicher Handlungen einem Richter vorzuführen. Das vorlegende Gericht hat zu prüfen, ob ein nationaler Rechtsakt über die Heranziehung als Beschuldigter wie der Rechtsakt, auf dem der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Europäische Haftbefehl beruht, solche Rechtswirkungen erzeugt.

C.   Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts für die Kontrolle der Gültigkeit des Europäischen Haftbefehls

105.

In den Gründen, die es veranlassen, dem Gerichtshof seine dritte Vorlagefrage zu stellen, weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass das bulgarische Verfahrensrecht es daran hindere, die Gültigkeit eines Europäischen Haftbefehls zu kontrollieren. Deshalb fragt es den Gerichtshof im Wesentlichen, ob das Unionsrecht ihm eine Zuständigkeit für die Vornahme einer solchen Kontrolle verleiht.

106.

Das vorlegende Gericht erinnert daran, dass die bulgarischen Rechtsvorschriften keine Möglichkeit vorsehen, die Voraussetzungen für die Ausstellung eines nationalen oder Europäischen Haftbefehls gerichtlich überprüfen zu lassen.

107.

Auch bei einer Verletzung der Rechte der gesuchten Person sehe der Rahmenbeschluss 2002/584 keinen Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor. Es sei jedoch Art. 47 der Charta zu berücksichtigen, der, wie der Gerichtshof entschieden habe, „aus sich heraus Wirkung entfaltet und nicht durch Bestimmungen des Unionsrechts oder des nationalen Rechts konkretisiert werden muss, um dem Einzelnen ein Recht zu verleihen, das er als solches geltend machen kann“ ( 64 ).

108.

Das vorlegende Gericht stellt sich die Frage, ob es, obwohl es im Rahmen eines auf die Aufhebung der Untersuchungshaft von MM gerichteten Rechtsbehelfs vor die Folgen der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gestellt wird, den von Art. 47 der Charta geforderten effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren hat oder ob es sich des Problems im Zusammenhang mit der Gültigkeit des Europäischen Haftbefehls vielmehr entledigen sollte, indem es MM einen Weg eröffnet, ein neues Verfahren zur Erlangung von Schadensersatz zu führen.

109.

Aus Rn. 69 des Urteils Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) ( 65 ) ergebe sich, dass ein Rechtsbehelf, der nach der Übergabe der festgenommenen Person gegen einen Europäischen Haftbefehl eingelegt werden könne, einen wirksamen Rechtsbehelf darstelle. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob ein solcher wirksamer Rechtsbehelf die Erhebung von Argumenten betreffend die Gültigkeit eines Europäischen Haftbefehls bei dem Gericht einschließt, das die Rechtmäßigkeit einer Untersuchungshaft überprüft, was beim vorlegenden Gericht der Fall ist.

110.

Da die Rechtswidrigkeit des Europäischen Haftbefehls, so das vorlegende Gericht, gerade aus der Unmöglichkeit herrühre, diesen Haftbefehl gerichtlich anzufechten, um seine Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen, könne es darüber hinaus sinnvoll sein, dass eine solche Überprüfung von ihm vorgenommen werde. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob seine Feststellung, dass der in Rede stehende Europäische Haftbefehl rechtswidrig war, an sich einen gerichtlichen Rechtsbehelf, wie ihn die Rechtsprechung des Gerichtshofs fordert, darstellt, obwohl eine solche Feststellung nach nationalem Recht nicht zulässig ist. Da das nationale Recht dem vorlegenden Gericht untersage, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls mittelbar zu kontrollieren, könne Grundlage dafür nur eine Entscheidung des Gerichtshofs sein.

111.

Vor diesem Hintergrund vertritt das vorlegende Gericht die Auffassung, dass die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls keine Grundlage für die Versagung von Rechtsschutz sein könne, da der Gerichtshof eine Anfechtungsmöglichkeit sogar nach der Übergabe der gesuchten Person zulasse.

112.

Die bulgarische Regierung vertritt die Ansicht, dass es die Aufgabe, die das vorlegende Gericht erfülle, wenn es – wie im vorliegenden Fall – gemäß Art. 270 NPK über die Fortdauer der Untersuchungshaft einer strafrechtlich verfolgten Person zu entscheiden habe, ermögliche, eine gerichtliche Kontrolle über die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls und über seine Verhältnismäßigkeit zu gewährleisten, wie es der Gerichtshof verlange.

113.

Mit der von der Staatsanwaltschaft nach Art. 64 Abs. 2 NPK getroffenen Zwangsmaßnahme solle insoweit sichergestellt werden, dass der Beschuldigte schnellstmöglich vor dem zuständigen Gericht erscheine ( 66 ). Die Staatsanwaltschaft könne erforderlichenfalls die Ingewahrsamnahme dieser Person für höchstens 72 Stunden beschließen, um sie dem zuständigen Gericht vorzuführen. Die gemäß der erwähnten Vorschrift erlassene Verfügung verpflichte die Staatsanwaltschaft dazu, den Beschuldigten zwecks Prüfung ihres Antrags auf Anordnung von Untersuchungshaft durch dieses Gericht schnellstmöglich nach seiner Übergabe aufgrund eines Europäischen Haftbefehls vor das genannte Gericht zu bringen.

114.

Nach Auffassung der bulgarischen Regierung stellt diese der Staatsanwaltschaft auferlegte Verpflichtung, die gesuchte und aufgrund eines Europäischen Haftbefehls übergebene Person zwecks Entscheidung über den Antrag auf Anordnung von Untersuchungshaft schnellstmöglich vor das zuständige Gericht zu bringen, eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle über die Voraussetzungen für die Ausstellung dieses Europäischen Haftbefehls und über seine Verhältnismäßigkeit dar. Dies stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs ( 67 ).

115.

Die bulgarische Regierung erläutert nämlich, dass das Gericht, das für die Entscheidung über das Vorliegen von Gründen für die Verhängung der Zwangsmaßnahme Untersuchungshaft nach Art. 63 Abs. 1 NPK zuständig sei, nicht nur zu beurteilen habe, ob es einer solchen Maßnahme bedürfe, sondern unweigerlich auch die Voraussetzungen für die Ausstellung des Europäischen Haftbefehls sowie dessen Verhältnismäßigkeit anhand der Kriterien von Art. 63 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 NPK überprüfen müsse ( 68 ).

116.

Die bulgarische Regierung vertritt daher die Ansicht, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls einer gerichtlichen Kontrolle unterliege, die den vom Gerichtshof geforderten Anforderungen an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz genüge.

117.

Ich bin ebenfalls der Meinung, dass eine gerichtliche Kontrolle der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls, die von dem für die Entscheidung über die etwaige Anordnung von Untersuchungshaft zuständigen Gericht vorgenommen werden könnte, im Rahmen des bulgarischen Verfahrensrechts, in dem der Beschuldigte diesem Gericht schnellstmöglich vorgeführt werden muss, dem Erfordernis eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes wie dem vom Gerichtshof hervorgehobenen genügen würde. Die Umstände, dass es sich hierbei einerseits nicht um einen gesonderten Rechtsbehelf gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen ( 69 ), sondern um eine inzidente Kontrolle im Rahmen eines auf die Aufhebung einer Anordnung von Untersuchungshaft gerichteten Rechtsbehelfs handelt und eine solche Kontrolle andererseits nach der Übergabe der gesuchten Person stattfindet ( 70 ), stehen einer solchen Feststellung nämlich nicht entgegen. Um dem Erfordernis eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zu genügen, kann die gerichtliche Kontrolle der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls meines Erachtens daher inzident im Rahmen eines Rechtsbehelfs erfolgen, dessen Hauptgegenstand sie nicht ist. Das entspricht im vorliegenden Fall dem Ergebnis, zu dem das vorlegende Gericht gerne gelangen würde, nämlich einer Prüfung der Ordnungsgemäßheit des Verfahrens zur Ausstellung des in der Ausgangsrechtssache in Rede stehenden Europäischen Haftbefehls anlässlich eines von MM bei diesem Gericht gestellten Antrags auf Freilassung.

118.

Hervorzuheben ist jedoch, dass sich das vorlegende Gericht nicht so sicher ist wie die bulgarische Regierung, wenn es um die Frage geht, ob es nach bulgarischem Verfahrensrecht überhaupt eine solche Kontrolle vornehmen kann. Die Tatsache, dass dieses Recht einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls lediglich beim übergeordneten Staatsanwalt und nicht bei einem Gericht vorsehe, hindere das vorlegende Gericht nämlich daran, sich als für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme der Staatsanwaltschaft zuständig zu erklären.

119.

Ich erinnere daran, dass der Gerichtshof dem Ausstellungsmitgliedstaat eine eindeutige Ergebnisverpflichtung auferlegt, indem er entschieden hat, dass, „wenn nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls eine Behörde zuständig ist, die in diesem Mitgliedstaat an der Rechtspflege mitwirkt, aber selbst kein Gericht ist, in dem Mitgliedstaat die Entscheidung über die Ausstellung eines solchen Haftbefehls und insbesondere ihre Verhältnismäßigkeit in einer Weise gerichtlich überprüfbar sein [müssen], die den Erfordernissen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes voll und ganz genügt“ ( 71 ). Das Ziel eines solchen Rechtsbehelfs besteht darin, „sicher[zu]stellen, dass die gerichtliche Kontrolle [der] Entscheidung[, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen,] und der für den Erlass eines solchen Haftbefehls erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere seiner Verhältnismäßigkeit, die einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen beachtet“ ( 72 ). Nach Ansicht des Gerichtshofs ist es Sache der Mitgliedstaaten, „darauf zu achten, dass ihre Rechtsordnungen das Rechtsschutzniveau, wie es vom Rahmenbeschluss 2002/584 in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs gefordert wird, … wirksam garantieren“ ( 73 ).

120.

Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 30. Mai 2013, F ( 74 ), festgestellt hat, findet „[d]as gesamte in dem Rahmenbeschluss [2002/584] geregelte Verfahren der Übergabe zwischen Mitgliedstaaten … gemäß dem Rahmenbeschluss unter gerichtlicher Kontrolle statt“ ( 75 ). Folglich „sehen bereits die Bestimmungen [dieses] Rahmenbeschlusses selbst unbeschadet der Modalitäten, die die Mitgliedstaaten für dessen Durchführung festlegen, ein Verfahren vor, das mit den Anforderungen des Art. 47 der Charta im Einklang steht“ ( 76 ).

121.

Obwohl sie im Rahmenbeschluss 2002/584 nicht ausdrücklich erwähnt wird, ergibt sich daher die Verpflichtung des Ausstellungsmitgliedstaats, einen oder mehrere wirksame Rechtsbehelfe bereitzustellen, um eine gerichtliche Kontrolle der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls durch eine Behörde zu ermöglichen, die in diesem Mitgliedstaat an der Rechtspflege mitwirkt, aber nicht selbst ein Gericht ist, aus dem System, das der Rahmenbeschluss entsprechend den Anforderungen von Art. 47 der Charta geschaffen hat.

122.

Das Bestehen einer solchen Möglichkeit zur gerichtlichen Kontrolle der Bedingungen für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls im Ausstellungsmitgliedstaat ist die unabdingbare Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung zwischen den Mitgliedstaaten. Insoweit sei daran erinnert, dass sich, wie der Gerichtshof entschieden hat, „[d]as hohe Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, auf dem der Mechanismus des Europäischen Haftbefehls beruht, … auf die Prämisse [gründet], dass die Strafgerichte der übrigen Mitgliedstaaten, die nach der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls das Verfahren der Strafverfolgung, der Strafvollstreckung oder der Verhängung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung sowie das strafrechtliche Hauptverfahren zu führen haben werden, den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz genügen“ ( 77 ), welcher schon als solcher das Bestehen einer gerichtlichen Kontrollmöglichkeit voraussetzt.

123.

Aus dem vom Gerichtshof aufgestellten Grundsatz, dass die von einem Staatsanwalt getroffene Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls im Ausstellungsmitgliedstaat in einer Weise gerichtlich überprüfbar sein muss, die den Erfordernissen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes voll und ganz genügt, ergibt sich, dass in diesem Mitgliedstaat hierfür ein oder mehrere wirksame Rechtsbehelfe offenstehen müssen.

124.

Ich stelle im Übrigen fest, dass die Aussage des Gerichtshofs, wonach für die Kontrolle der Ordnungsgemäßheit eines Europäischen Haftbefehls in erster Linie der Ausstellungsmitgliedstaat verantwortlich ist ( 78 ), ohne konkrete Anwendung bliebe, wenn das Unionsrecht nicht vorschriebe, dass eine solche Kontrolle in diesem Mitgliedstaat tatsächlich stattfinden kann, wobei es nicht darauf ankommt, ob das vor, zeitgleich mit oder nach der Übergabe der gesuchten Person geschieht. So berührt die Entscheidung der vollstreckenden Justizbehörde nicht die Möglichkeit der betroffenen Person, nach ihrer Übergabe in der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats die Rechtsschutzmöglichkeiten zu nutzen, die es ihr gestatten, die Gültigkeit des Europäischen Haftbefehls anzufechten, auf dessen Grundlage diese Person übergeben worden ist ( 79 ).

125.

Darüber hinaus verfügen die Mitgliedstaaten entsprechend der Verfahrensautonomie, die sie angesichts des Schweigens des Rahmenbeschlusses 2002/584 im Rahmen von dessen Umsetzung haben, über ein Ermessen hinsichtlich der konkreten Modalitäten für die Einführung einer gerichtlichen Kontrolle der Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls ( 80 ). Bei der Festlegung solcher Modalitäten müssen die Mitgliedstaaten jedoch dafür Sorge tragen, dass die Anwendung des Rahmenbeschlusses 2002/584 nicht vereitelt wird ( 81 ).

126.

Um das Ergebnis zu erreichen, das darin besteht, eine gerichtliche Kontrolle der Voraussetzungen für die Ausstellung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Europäischen Haftbefehls zu ermöglichen, müsste das vorlegende Gericht meines Erachtens seine nationalen Verfahrensvorschriften auslegen, um darin nach einer Zuständigkeit zu suchen, die es ihm erlaubt, im Rahmen des Rechtszugs, in dem es befasst ist, inzident die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens zur Ausstellung dieses Haftbefehls zu kontrollieren ( 82 ). In diesem Zusammenhang ließen sich mit der auf dem vorlegenden Gericht lastenden Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung die Nachteile neutralisieren, die aus der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten für das Erfordernis eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes der übergebenen Person entstehen können.

127.

Falls diese Mobilisierung des nationalen Verfahrensrechts zugunsten einer inzidenten gerichtlichen Kontrolle des Verfahrens zur Ausstellung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Europäischen Haftbefehls nicht ausreicht oder sich als unmöglich erweist, weil sie gegen die nationalen Rechtsvorschriften verstößt, könnte das vorlegende Gericht eine solche Zuständigkeit meiner Meinung nach aus Art. 47 der Charta herleiten.

128.

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich nämlich, dass „nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht, sofern es eine nationale Regelung nicht den Anforderungen des Unionsrechts entsprechend auslegen kann, als Organ eines Mitgliedstaats verpflichtet ist, jede nationale Bestimmung, die einer Bestimmung des Unionsrechts, die in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit unmittelbare Wirkung hat, entgegensteht, unangewendet zu lassen“ ( 83 ).

129.

Nach dieser Rechtsprechung „entfaltet Art. 47 der Charta aus sich heraus Wirkung. Er muss nicht durch Bestimmungen des Unionsrechts oder des nationalen Rechts konkretisiert werden, um dem Einzelnen ein Recht zu verleihen, das er als solches geltend machen kann“ ( 84 ).

130.

Außerdem „ist … es, soweit keine einschlägige Unionsregelung greift, Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten …, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus der Unionsrechtsordnung erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Die Mitgliedstaaten müssen allerdings dafür Sorge tragen, dass der in Art. 47 der Charta verbürgte Anspruch auf effektiven gerichtlichen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall gewahrt ist“ ( 85 ).

131.

Der Gerichtshof hat darüber hinaus entschieden, dass „[d]as Unionsrecht … die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht dazu [zwingt], vor ihren nationalen Gerichten neben den nach nationalem Recht bereits bestehenden Rechtsbehelfen neue zu schaffen, um den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten … Etwas anderes gilt nur, wenn es nach dem System der betreffenden nationalen Rechtsordnung keinen Rechtsbehelf gibt, mit dem wenigstens inzident die Wahrung der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleistet werden könnte, oder wenn die einzige Möglichkeit für den Einzelnen, Zugang zu einem Gericht zu erlangen, darin bestünde, eine Rechtsverletzung begehen zu müssen“ ( 86 ).

132.

Sollte das vorlegende Gericht die Auffassung vertreten, dass es selbst nach Auslegung seiner nationalen Verfahrensvorschriften durch diese daran gehindert ist, im Rahmen des Rechtszugs, in dem es befasst ist, inzident die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens zur Ausstellung des von der Staatsanwaltschaft erlassenen Europäischen Haftbefehls zu prüfen, würde es meiner Meinung nach folglich in Art. 47 der Charta eine Zuständigkeit für die Vornahme einer solchen Kontrolle finden ( 87 ).

133.

Wenn das Verfahrensrecht des Ausstellungsmitgliedstaats keinen Rechtsbehelf vorsieht, der es ermöglicht, die Voraussetzungen für den Erlass eines solchen Europäischen Haftbefehls und insbesondere seine Verhältnismäßigkeit vor, zeitgleich zu seinem Erlass oder später gerichtlich überprüfen zu lassen ( 88 ), muss demnach ein Gericht, das in einem Stadium des Strafverfahrens nach der Übergabe der gesuchten Person zu entscheiden hat, inzident die Voraussetzungen für die Ausstellung dieses Haftbefehls kontrollieren können.

134.

Das vorlegende Gericht, das mit einem Antrag auf Freilassung nach Art. 270 NPK befasst ist, ist daher gemäß Art. 47 der Charta befugt, die Voraussetzungen für die Ausstellung des Europäischen Haftbefehls, der die Festnahme und das Erscheinen der gesuchten Person vor diesem Gericht ermöglicht hat, sowie den nachfolgenden Erlass einer Entscheidung über die Anordnung von Untersuchungshaft zu überprüfen.

135.

Ich schlage dem Gerichtshof somit vor, dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts und das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgte Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in Ermangelung von Bestimmungen in den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats, die einen Rechtsbehelf zur Kontrolle der Voraussetzungen vorsehen, unter denen ein Europäischer Haftbefehl von einer Behörde ausgestellt worden ist, die in diesem Mitgliedstaat an der Rechtspflege mitwirkt, aber nicht selbst ein Gericht ist, dahin auszulegen sind, dass sie ein nationales Gericht, das mit einem Rechtsbehelf befasst ist, mit dem die Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft einer Person angefochten werden soll, die aufgrund eines Europäischen Haftbefehls übergeben worden ist, dem ein nationaler Rechtsakt zugrunde liegt, der nicht als „[nationaler] Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 eingestuft werden kann, und in dessen Rahmen ein auf die unionsrechtliche Ungültigkeit dieses Europäischen Haftbefehls gestützter Rechtsbehelfsgrund vorgebracht wird, dazu verpflichten, sich als für die Vornahme einer solchen Gültigkeitskontrolle zuständig zu erklären.

D.   Folgen der Ungültigkeit des Europäischen Haftbefehls für die Untersuchungshaft des Beschuldigten

136.

Mit seiner dritten Vorlagefrage befragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof darüber hinaus zu den Konsequenzen, die es im Rahmen des Rechtszugs, in dem es befasst ist und der sich auf die Untersuchungshaft von MM bezieht, aus der Feststellung ziehen sollte, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Europäische Haftbefehl ungültig ist.

137.

Insbesondere fragt sich das vorlegende Gericht unter entsprechendem Verweis auf die Regelung im 44. Erwägungsgrund der Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren ( 89 ), ob die Feststellung, dass der Europäische Haftbefehl ungültig ist, zur Folge haben sollte, dass MM in die Lage versetzt wird, in der er sich ohne den Verstoß gegen das Unionsrecht befände, was im vorliegenden Fall die Aufhebung der Untersuchungshaft von MM bedeuten würde.

138.

Das vorlegende Gericht stellt insoweit fest, dass alle im nationalen Recht vorgesehenen Voraussetzungen für die Anordnung von Untersuchungshaft gegen MM vorgelegen hätten und weiterhin vorlägen.

139.

Rein verfahrensrechtlich habe die Untersuchungshaft von MM jedoch lediglich infolge seines persönlichen Erscheinens vor dem vorlegenden Gericht angeordnet werden können, wobei dieses Erscheinen selbst das Ergebnis der Vollstreckung eines ungültigen Europäischen Haftbefehls sei. Wäre dieser nicht ausgestellt worden, wäre MM weder in Spanien festgenommen noch den bulgarischen Justizbehörden übergeben worden und somit nicht vom vorlegenden Gericht in Untersuchungshaft genommen worden.

140.

Wählte man diesen Ansatz, so das vorlegende Gericht, so wäre davon auszugehen, dass der Untersuchungshaft von MM ein wesentlicher Verfahrensfehler zugrunde liege, nämlich die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls durch eine unzuständige Behörde (die Beteiligung des Gerichts sei erforderlich gewesen, aber nicht sichergestellt worden) auf der Grundlage einer Entscheidung, die keinen nationalen Haftbefehl darstelle. Das führte zu der Schlussfolgerung, dass auch die nachfolgende Inhaftierung, nach Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, rechtswidrig sei. MM müsste freigelassen werden ( 90 ).

141.

Das vorlegende Gericht ist daher der Ansicht, dass es die im Europäischen Haftbefehl festgestellten Mängel berücksichtigen können bzw. die Befugnis haben müsste, die Untersuchungshaft von MM auf dieser verfahrensrechtlichen Grundlage aufzuheben, wenn es die genannten Mängel für wesentlich erachte.

142.

Insoweit sei daran erinnert, dass diese Untersuchungshaft auf eine Entscheidung zurückgeht, die das vorlegende Gericht am 29. Juli 2020 infolge eines entsprechenden Antrags der Staatsanwaltschaft vom Vortag getroffen hat.

143.

Diese Entscheidung über die Anordnung von Untersuchungshaft ist von der Rechtsmittelinstanz bestätigt worden.

144.

Das vorlegende Gericht ist derzeit mit einem erneuten Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft von MM befasst. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ist daher im Rahmen eines von der Verteidigung von MM im Hinblick auf die Aufhebung von dessen Untersuchungshaft eingeleiteten Verfahrens nach Art. 270 NPK eingereicht worden.

145.

Einleitend erscheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand noch keine Harmonisierung der Voraussetzungen vorgenommen hat, unter denen Untersuchungshaft gegen eine strafrechtlich verfolgte Person angeordnet werden kann ( 91 ). Das für die Anordnung von Untersuchungshaft zuständige Gericht kann eine solche Maßnahme somit lediglich unter den in seinem nationalen Recht vorgesehenen Voraussetzungen beschließen und ihren Vollzug gegebenenfalls unterbrechen, wenn es feststellt, dass diese Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind.

146.

Allerdings will ich nicht so weit gehen, die Auffassung zu vertreten, wie die Kommission zu suggerieren scheint, dass das gesamte Verfahren, mit dem das vorlegende Gericht befasst ist, außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts liege, so dass die Charta gemäß ihrem Art. 51 Abs. 1 nicht anwendbar sei. Da die gerichtliche Überprüfung der Gültigkeit des Europäischen Haftbefehls in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtssache, wie ich bereits dargelegt habe, im Rahmen des vorliegenden Rechtszugs, der sich auf die Frage bezieht, ob die Untersuchungshaft von MM aufrechterhalten werden soll oder nicht, vorgenommen werden muss, bleiben der Rahmenbeschluss 2002/584 und Art. 47 der Charta nämlich anwendbar. Da zudem das durch diesen Rahmenbeschluss geschaffene System, wie aus den vorstehenden Ausführungen hervorgeht, auf der Garantie einer gerichtlichen Überprüfung des Europäischen Haftbefehls beruht, stellt eine solche Überprüfung immer eine Durchführung des Rechts der Union gemäß Art. 51 Abs. 1 der Charta dar, und zwar unabhängig davon, in welchem Stadium des Strafverfahrens sie erfolgt.

147.

Abgesehen davon glaube ich, dass aufgrund der dem Europäischen Haftbefehl als Instrument der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen innewohnenden Grenzen weder der Rahmenbeschluss 2002/584 noch Art. 47 der Charta das vorlegende Gericht dazu verpflichten, eine Person, gegen die Untersuchungshaft angeordnet worden ist, wieder frei zu lassen, wenn es feststellt, dass der Europäische Haftbefehl, der zur Übergabe dieser Person geführt hat, ungültig ist.

148.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 dieses Rahmenbeschlusses soll „der Mechanismus des Europäischen Haftbefehls die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person ermöglichen, damit in Anbetracht des mit dem Rahmenbeschluss verfolgten Ziels die begangene Straftat nicht ungestraft bleibt und die betreffende Person entweder strafrechtlich verfolgt wird oder die gegen sie verhängte Freiheitsstrafe verbüßt“ ( 92 ). Sobald die gesuchte Person festgenommen und später an den Ausstellungsmitgliedstaat übergeben worden ist, haben sich die Rechtswirkungen des Europäischen Haftbefehls vorbehaltlich der in Kapitel 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 ausdrücklich vorgesehenen Wirkungen der Übergabe folglich grundsätzlich erschöpft ( 93 ).

149.

In Anbetracht dieser dem Mechanismus des Europäischen Haftbefehls innewohnenden Grenzen ist hervorzuheben, dass der Europäische Haftbefehl keinen Titel für die Haft dieser Person im Ausstellungsmitgliedstaat darstellt.

150.

Die vorstehend beschriebene Sachlage ist von derjenigen im Vollstreckungsmitgliedstaat zu unterscheiden. Obwohl nach Art. 12 des Rahmenbeschlusses 2002/584 über eine etwaige Haft der im Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls festgenommenen Person nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts dieses Mitgliedstaats entschieden werden muss, stellt der Haftbefehl nämlich die notwendige Stütze für eine solche Haft dar. Das bedeutet, dass die in Erwartung der Übergabe angeordnete Untersuchungshaft ihre Rechtsgrundlage verliert, wenn die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls ablehnen kann.

151.

Nach der Übergabe der gesuchten Person an den Ausstellungsmitgliedstaat könnte allein ein nationaler Rechtsakt einer Justizbehörde dieses Mitgliedstaats die Rechtsgrundlage für eine Haft darstellen ( 94 ). Ist die im genannten Mitgliedstaat strafrechtlich verfolgte Person erst einmal übergeben, kann sie daher nur aufgrund eines nationalen Titels für die Anordnung von Untersuchungshaft inhaftiert werden, der nach Maßgabe der Besonderheiten der nationalen Rechtsordnungen aus einem nationalen Haftbefehl, gegebenenfalls gefolgt von einer justiziellen Entscheidung über die Anordnung von Untersuchungshaft gegen diese Person, bestehen kann, wenn die im nationalen Recht hierfür vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Folglich beruht die Untersuchungshaft im Rahmen einer Strafverfolgungsmaßnahme im Ausstellungsmitgliedstaat nicht auf der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls, sondern geht auf einen ordnungsgemäß ausgestellten nationalen Titel für die Anordnung von Haft zurück.

152.

In jedem Fall hat das zuständige nationale Gericht zu prüfen, ob eine nationale freiheitsentziehende Zwangsmaßnahme dem Beschuldigten gegenüber ergangen und im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht des Ausstellungsmitgliedstaats erlassen worden ist.

153.

Insbesondere muss im innerstaatlichen Recht des Ausstellungsmitgliedstaats festgelegt werden, welche Folgen das Fehlen eines gültigen nationalen Haftbefehls für die Entscheidung der Frage haben kann, ob eine strafrechtlich verfolgte Person in Untersuchungshaft genommen und später belassen werden soll oder nicht ( 95 ).

154.

Es ist jedoch klarzustellen, dass die Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung verpflichtet sind, ihre strafrechtliche Zuständigkeit im Einklang mit dem Unionsrecht auszuüben ( 96 ).

155.

Die nationalen Gerichte haben daher alles zu tun, um die Wirksamkeit des durch den Rahmenbeschluss 2002/584 eingeführten Übergabesystems so weit wie möglich zu wahren. Deshalb müsste eine etwaige Entscheidung über die Wiederfreilassung der betreffenden Person mit geeigneten Maßnahmen zur Verhinderung einer neuerlichen Flucht dieser Person einhergehen oder solche Maßnahmen auslösen. Das Fehlen entsprechender Maßnahmen könnte die Wirksamkeit des durch den Rahmenbeschluss geschaffenen Systems beeinträchtigen und damit die Verwirklichung der mit ihm verfolgten Ziele behindern ( 97 ), zu denen die Bekämpfung der Straflosigkeit gehört ( 98 ). Die Wirksamkeit der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen und das gegenseitige Vertrauen zwischen Mitgliedstaaten hätten viel zu verlieren, wenn die Wirkungen eines Übergabeprozesses wie des im vorliegenden Fall durchlaufenen zunichtegemacht würden, was zur Flucht der übergebenen Person führen und die Ausstellung eines neuen Europäischen Haftbefehls erforderlich machen würde.

156.

Abschließend möchte ich klarstellen, dass die vorstehende Würdigung die Möglichkeit einer Person, gegen die ein ungültiger Europäischer Haftbefehl ergangen ist, unberührt lässt, nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts des Ausstellungsmitgliedstaats eine Schadensersatzklage vor dem hierfür zuständigen nationalen Gericht anzustrengen.

157.

Aus alledem leite ich ab, dass der Rahmenbeschluss 2002/584 und Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass die Feststellung des vorlegenden Gerichts, wonach ein Europäischer Haftbefehl nicht ordnungsgemäß ausgestellt worden sei, weil er nicht auf einem „[nationalen] Haftbefehl oder eine[r] andere[n] vollstreckbare[n] justizielle[n] Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c dieses Rahmenbeschlusses beruhe, nicht die Freilassung einer Person, die in Untersuchungshaft genommen worden ist, nachdem der Vollstreckungsmitgliedstaat sie an den Ausstellungsmitgliedstaat übergeben hat, zur Folge haben muss.

158.

Das vorlegende Gericht hat nach seinem nationalen Recht zu entscheiden, welche Folgen das Fehlen eines solchen nationalen Rechtsakts als Rechtsgrundlage für einen Europäischen Haftbefehl für die Entscheidung der Frage haben kann, ob die beschuldigte Person in Untersuchungshaft verbleibt oder nicht, und dabei dafür Sorge zu tragen, dass die Wirksamkeit des durch den Rahmenbeschluss 2002/584 geschaffenen Übergabesystems nicht beeinträchtigt wird.

V. Ergebnis

159.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein Europäischer Haftbefehl als ungültig anzusehen ist, sofern er nicht auf einem „[nationalen] Haftbefehl oder eine[r] andere[n] vollstreckbare[n] justizielle[n] Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung“ im Sinne dieser Bestimmung beruht. Der vorstehende Begriff erfasst nationale Maßnahmen, die von einer Justizbehörde im Hinblick auf die Suche und Festnahme einer strafrechtlich verfolgten Person mit dem Ziel erlassen werden, diese Person zum Zweck der Vornahme strafverfahrensrechtlicher Handlungen einem Richter vorzuführen. Das vorlegende Gericht hat zu prüfen, ob ein nationaler Rechtsakt über die Heranziehung als Beschuldigter wie der Rechtsakt, auf dem der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Europäische Haftbefehl beruht, solche Rechtswirkungen erzeugt.

2.

In Ermangelung von Bestimmungen in den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats, die einen Rechtsbehelf zur Kontrolle der Voraussetzungen vorsehen, unter denen ein Europäischer Haftbefehl von einer Behörde ausgestellt worden ist, die in diesem Mitgliedstaat an der Rechtspflege mitwirkt, aber nicht selbst ein Gericht ist, sind der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts und das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgte Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz dahin auszulegen, dass sie ein nationales Gericht, das mit einem Rechtsbehelf befasst ist, mit dem die Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft einer Person angefochten werden soll, die aufgrund eines Europäischen Haftbefehls übergeben worden ist, dem ein nationaler Rechtsakt zugrunde liegt, der nicht als „[nationaler] Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2009/299 eingestuft werden kann, und in dessen Rahmen ein auf die unionsrechtliche Ungültigkeit dieses Europäischen Haftbefehls gestützter Rechtsbehelfsgrund vorgebracht wird, dazu verpflichten, sich als für die Vornahme einer solchen Gültigkeitskontrolle zuständig zu erklären.

3.

Der Rahmenbeschluss 2002/584 in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2009/299 und Art. 47 der Charta der Grundrechte sind dahin auszulegen, dass die Feststellung des vorlegenden Gerichts, wonach ein Europäischer Haftbefehl nicht ordnungsgemäß ausgestellt worden sei, weil er nicht auf einem „[nationalen] Haftbefehl oder eine[r] andere[n] vollstreckbare[n] justizielle[n] Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c dieses Rahmenbeschlusses in geänderter Fassung beruhe, nicht die Freilassung einer Person, die in Untersuchungshaft genommen worden ist, nachdem der Vollstreckungsmitgliedstaat sie an den Ausstellungsmitgliedstaat übergeben hat, zur Folge haben muss.

Das vorlegende Gericht hat nach seinem nationalen Recht zu entscheiden, welche Folgen das Fehlen eines solchen nationalen Rechtsakts als Rechtsgrundlage für einen Europäischen Haftbefehl für die Entscheidung der Frage haben kann, ob die beschuldigte Person in Untersuchungshaft verbleibt oder nicht, und dabei dafür Sorge zu tragen, dass die Wirksamkeit des mit diesem Rahmenbeschluss in geänderter Fassung geschaffenen Übergabesystems nicht beeinträchtigt wird.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. 2002, L 190, S. 1.

( 3 ) ABl. 2009, L 81, S. 24, im Folgenden: Rahmenbeschluss 2002/584.

( 4 ) Vgl. u. a. Urteil vom 6. Dezember 2018, IK (Vollstreckung einer zusätzlichen Strafe) (C‑551/18 PPU, EU:C:2018:991, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 5 ) DV Nr. 46 vom 3. Juni 2005.

( 6 ) In der gerichtlichen Phase stellt das zuständige Gericht hingegen die „ausstellende Justizbehörde“ dar, die allein dazu befugt ist, einen Europäischen Haftbefehl auszustellen. Außerdem stellt der Staatsanwalt in der Phase nach der Verurteilung – wenn ein Urteil ergangen und eine vollstreckbare Strafe verhängt worden ist – erneut die zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls befugte „ausstellende Justizbehörde“ dar.

( 7 ) Die Verfügung über die Heranziehung als Beschuldigter muss eine Darstellung der wesentlichen Tatsachen, die der Person, die der Begehung einer Straftat verdächtigt wird, zur Last gelegt werden, und eine rechtliche Würdigung dieser Tatsachen enthalten.

( 8 ) Nach Art. 63 Abs. 1 NPK wird die Zwangsmaßnahme Untersuchungshaft verhängt, wenn ein hinreichender Verdacht besteht, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat, die mit einer Freiheitsstrafe oder einer anderen schwereren Strafe bewehrt ist, und nach Aktenlage tatsächlich zu befürchten steht, dass der Beschuldigte fliehen oder eine Straftat begehen wird.

( 9 ) Das vorlegende Gericht stellt insoweit klar, dass eine Entscheidung über die Anordnung von Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten in dieser Phase des Strafverfahrens nur in Anwesenheit des Beschuldigten getroffen werden dürfe.

( 10 ) In seiner Antwort auf das Klarstellungsersuchen des Gerichtshofs weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass diese Verfügung im nationalen Recht einen Haftbefehl darstelle. Es stuft die Verfügung anschließend als „Anordnung der Vorführung“ ein.

( 11 ) Im Folgenden: Verfügung über die Heranziehung als Beschuldigter vom 9. August 2019.

( 12 ) Aus den Klarstellungen des vorlegenden Gerichts geht darüber hinaus hervor, dass bei der Suche und Festnahme der wegen der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zur Verbreitung von Betäubungsmitteln verfolgten Personen keiner einheitlichen Praxis gefolgt worden ist. Es seien nämlich 18 Europäische Haftbefehle ausgestellt worden. In einem Teil von ihnen sei als nationaler Haftbefehl die Verfügung über die Heranziehung als Beschuldigter, in anderen die Verfügung nach Art. 64 Abs. 2 NPK (Inhaftierung für eine Dauer von höchstens 72 Stunden), wobei das vorlegende Gericht insoweit klarstellt, dass es sich hierbei um die Grundlage handle, die in Bulgarien typisch sei, wenn es darum gehe, einen Europäischen Haftbefehl in der vorgerichtlichen Phase auszustellen, oder die Verfügung nach Art. 71 NPK (Anordnung der Vorführung) und in wieder anderen eine Kombination aus zwei oder drei dieser nationalen Rechtsakte angegeben.

( 13 ) Das vorlegende Gericht führt insoweit die Urteile vom 27. Mai 2019, OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) (C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456), vom 12. Dezember 2019, Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (C‑566/19 PPU und C‑626/19 PPU, im Folgenden: Urteil Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie [Staatsanwaltschaften Lyon und Tours], EU:C:2019:1077), sowie vom 12. Dezember 2019, Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (C‑625/19 PPU, im Folgenden: Urteil Openbaar Ministerie [Staatsanwaltschaft Schweden], EU:C:2019:1078), an.

( 14 ) Mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 hat das vorlegende Gericht den Gerichtshof davon in Kenntnis gesetzt, dass sich die Modalitäten der Untersuchungshaft von MM aufgrund seiner Erkrankung geändert hätten. MM stehe nunmehr unter Hausarrest, der mit dem Verbot, seinen Wohnsitz zu verlassen, und dem Einsatz elektronischer Überwachungsvorrichtungen verbunden sei.

( 15 ) Vgl. u. a. Urteil vom 3. März 2020, X (Europäischer Haftbefehl – Beiderseitige Strafbarkeit) (C‑717/18, EU:C:2020:142, Rn. 28, 35, 37, 38 und 41 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 16 ) Zur Grenze der auf der vollstreckenden Justizbehörde lastenden Verpflichtungen vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in den verbundenen Rechtssachen Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (C‑566/19 PPU und C‑626/19 PPU, EU:C:2019:1012, Nrn. 99 bis 101).

( 17 ) Vgl. Urteil vom 23. Januar 2018, Piotrowski (C‑367/16, EU:C:2018:27, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 18 ) Vgl. u. a. Urteile Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (Rn. 30 und 31) sowie Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 48 und 49). Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in den verbundenen Rechtssachen Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (C‑566/19 PPU und C‑626/19 PPU, EU:C:2019:1012, Nr. 70), in denen er feststellt, dass das Vorliegen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs „eine Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Ausstellung des [Europäischen Haftbefehls] durch die Staatsanwaltschaft und damit … eine Wirksamkeitsvoraussetzung“ darstellt.

( 19 ) Vgl. u. a. Urteil Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 20 ) DV Nr. 64 vom 7. August 2007 in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (DV Nr. 11 vom 7. Februar 2020).

( 21 ) Die bulgarische Regierung verweist insoweit auf das Urteil vom 27. Mai 2019, OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) (C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456, Rn. 50).

( 22 ) Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, EU-Justizbarometer 2020 (COM[2020] 306 final, Schaubild 55, S. 62).

( 23 ) Vgl. u. a. Urteil vom 27. Mai 2019, OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) (C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 24 ) Vgl. u. a. Urteile Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung) sowie Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 25 ) Vgl. u. a. Urteile Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung) sowie Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 26 ) Vgl. u. a. Urteil vom 27. Mai 2019, OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) (C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456, Rn. 69).

( 27 ) Vgl. u. a. Urteile Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung) sowie Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 28 ) Vgl. u. a. Urteile Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung) sowie Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 29 ) Vgl. Urteil Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (Rn. 42). Vgl. auch Urteil Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 63).

( 30 ) C‑241/15, EU:C:2016:385.

( 31 ) C‑241/15, im Folgenden: Schlussanträge Bob-Dogi, EU:C:2016:131.

( 32 ) Vgl. Schlussanträge Bob-Dogi (Nr. 50).

( 33 ) Vgl. Schlussanträge Bob-Dogi (Nr. 51).

( 34 ) Vgl. Schlussanträge Bob-Dogi (Nr. 72).

( 35 ) Vgl. Schlussanträge Bob-Dogi (Nr. 51).

( 36 ) Vgl. Schlussanträge Bob-Dogi (Nr. 52).

( 37 ) Vgl. Schlussanträge Bob-Dogi (Nr. 54).

( 38 ) Vgl. Schlussanträge Bob-Dogi (Nr. 55).

( 39 ) Vgl. Schlussanträge Bob-Dogi (Nr. 56).

( 40 ) Vgl. Schlussanträge Bob-Dogi (Nr. 57).

( 41 ) Vgl. Schlussanträge Bob-Dogi (Nr. 62).

( 42 ) Vgl. Schlussanträge Bob-Dogi (Nr. 66).

( 43 ) Vgl. Schlussanträge Bob-Dogi (Nr. 73).

( 44 ) Vgl. Schlussanträge Bob-Dogi (Nr. 75).

( 45 ) Vgl. Urteil vom 1. Juni 2016, Bob-Dogi (C‑241/15, EU:C:2016:385, Rn. 58).

( 46 ) Vgl. Urteil vom 1. Juni 2016, Bob-Dogi (C‑241/15, EU:C:2016:385, Rn. 55).

( 47 ) C‑241/15, EU:C:2016:385.

( 48 ) Vgl. Urteil vom 1. Juni 2016, Bob-Dogi (C‑241/15, EU:C:2016:385, Rn. 62 und 63). Vgl. auch Urteil vom 6. Dezember 2018, IK (Vollstreckung einer zusätzlichen Strafe) (C‑551/18 PPU, EU:C:2018:991, Rn. 42 und 43).

( 49 ) Vgl. Urteil vom 1. Juni 2016, Bob-Dogi (C‑241/15, EU:C:2016:385, Rn. 64). Hervorhebung nur hier. Vgl. auch Urteil vom 6. Dezember 2018, IK (Vollstreckung einer zusätzlichen Strafe) (C‑551/18 PPU, EU:C:2018:991, Rn. 43).

( 50 ) Vgl. Urteil vom 1. Juni 2016, Bob-Dogi (C‑241/15, EU:C:2016:385, Rn. 66).

( 51 ) C‑241/15, EU:C:2016:385.

( 52 ) C‑241/15, EU:C:2016:385.

( 53 ) Vgl. Urteil vom 10. November 2016, Özçelik (C‑453/16 PPU, EU:C:2016:860, Rn. 32 und 33).

( 54 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 10. November 2016, Özçelik (C‑453/16 PPU, EU:C:2016:860, Rn. 34).

( 55 ) Hervorhebung nur hier. Vgl. in diesem Sinne u. a. die englische Sprachfassung der erwähnten Vorschrift („an arrest warrant or any other enforceable judicial decision having the same effect“, Hervorhebung nur hier).

( 56 ) Vgl. umgekehrt – in einem Fall, in dem ein von einer Polizeidienststelle ausgestellter nationaler Haftbefehl von der Staatsanwaltschaft bestätigt wird – Urteil vom 10. November 2016, Özçelik (C‑453/16 PPU, EU:C:2016:860).

( 57 ) C‑241/15, EU:C:2016:385.

( 58 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 1. Juni 2016, Bob-Dogi (C‑241/15, EU:C:2016:385, Rn. 57).

( 59 ) Vgl. in diesem Sinne auch Stellungnahme der Rayonna prokuratura Ruse (Staatsanwalt der regionalen Staatsanwaltschaft Ruse, Bulgarien) im Rahmen der Rechtssache Prosecutor of the regional prosecutor’s office in Ruse, Bulgaria (C‑206/20), die derzeit vor dem Gerichtshof anhängig ist: „Wenn die beschuldigte Person als eine solche in Abwesenheit strafrechtlich verfolgt wurde und nicht aufgegriffen und dem Gericht zur Prüfung der beantragten Inhaftierung vorgeführt werden kann, besteht die einzige mögliche Rechtsgrundlage (nationaler Haftbefehl) für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls nach der gegenwärtigen Rechtslage in der staatsanwaltschaftlichen Anordnung der Inhaftierung für maximal 72 Stunden, gemäß Art. 64 Abs. 2 des [NPK]. Aufgrund dieser Art von [nationalem Haftbefehl] sind bis heute hunderte von Europäischen Haftbefehlen ergangen (und vollzogen worden) …“ (Rn. 7, Hervorhebung nur hier). In ihren in derselben Rechtssache eingereichten schriftlichen Erklärungen führt die bulgarische Regierung aus, dass „die staatsanwaltschaftliche Anordnung, auf deren Grundlage der Betroffene 72 Stunden lang festgehalten wird, um dem zuständigen nationalen Gericht vorgeführt zu werden, den Anforderungen von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 genügt. Es handelt sich um einen nationalen Haftbefehl, der als Rechtsgrundlage für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls dient“ (Rn. 78).

( 60 ) Vgl. u. a. Urteile Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (Rn. 41) sowie Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 61 ) Vgl. Urteil vom 27. Mai 2019, OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) (C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456, Rn. 69). Hervorhebung nur hier.

( 62 ) Vgl. Urteil vom 27. Mai 2019, OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) (C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456, Rn. 70). Hervorhebung nur hier.

( 63 ) Die Frage, ob eine solche Kontrolle notwendigerweise vor der Übergabe einer gesuchten Person an den Ausstellungsmitgliedstaat erfolgen muss, wird im Rahmen der derzeit vor dem Gerichtshof anhängigen Rechtssache Prosecutor of the regional prosecutor’s office in Ruse, Bulgaria (C‑206/20) gestellt.

( 64 ) Das vorlegende Gericht führt in diesem Zusammenhang das Urteil vom 14. Mai 2020, Staatsanwaltschaft Offenburg (C‑615/18, EU:C:2020:376, Rn.72), an.

( 65 ) In diesem Zusammenhang ist auch Rn. 70 desselben Urteils zu erwähnen.

( 66 ) Ich erinnere jedoch daran, dass gegenüber MM vor seinem Erscheinen vor dem vorlegenden Gericht keine solche Maßnahme getroffen worden ist.

( 67 ) Die bulgarische Regierung führt insoweit das Urteil Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 74) an.

( 68 ) Gemäß Art. 63 Abs. 2 NPK besteht beim Erlass der Erstmaßnahme Untersuchungshaft, falls nicht das Gegenteil nachgewiesen wird, tatsächlich die Gefahr, dass der Beschuldigte im Sinne von Abs. 1 dieses Artikels die Flucht ergreift oder eine Straftat begeht, sofern die als Beschuldigter herangezogene Person ein Intensivtäter oder ein einschlägig bekannter Wiederholungstäter ist, die Person wegen einer vorsätzlichen schweren Straftat als Beschuldigter herangezogen wird und wegen einer anderen vorsätzlich begangenen schweren Straftat, die von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen (unabhängig vom Willen des Opfers) verfolgt wird, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr oder zu einer anderen schwereren Strafe, deren Vollstreckung nicht gemäß Art. 66 des Nakazatelen kodeks (Strafgesetzbuch) aufgeschoben ist, verurteilt worden ist, die Person einer Straftat verdächtigt wird, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren oder einer anderen schärferen Sanktion bewehrt ist, oder die Person nach Art. 269 Abs. 3 NPK einer Straftat verdächtigt wird.

( 69 ) Vgl. Urteile Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (Rn. 44) sowie Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 65). Nach Auffassung des Gerichtshofs ist die Einrichtung eines gesonderten Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, die von einer Justizbehörde, die kein Gericht ist, getroffen wurde, nur eine der möglichen Lösungen, um das vom Rahmenbeschluss 2002/584 geforderte Rechtsschutzniveau wirksam zu garantieren.

( 70 ) Vgl. Urteile Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (Rn. 52 und 53) sowie Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 70 und 71).

( 71 ) Vgl. u. a. Urteile Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung) sowie Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 72 ) Vgl. Urteil Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (Rn. 42). Vgl. auch Urteil Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 63).

( 73 ) Vgl. Urteile Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (Rn. 43) sowie Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (Rn. 64).

( 74 ) C‑168/13 PPU, EU:C:2013:358.

( 75 ) Vgl. Urteil vom 30. Mai 2013, F (C‑168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 46). Vgl. auch Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 76 ) Vgl. Urteil vom 30. Mai 2013, F (C‑168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 47).

( 77 ) Vgl. Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 58).

( 78 ) Vgl. u. a. Urteil vom 6. Dezember 2018, IK (Vollstreckung einer zusätzlichen Strafe) (C‑551/18 PPU, EU:C:2018:991, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 23. Januar 2018, Piotrowski (C‑367/16, EU:C:2018:27, Rn. 50).

( 79 ) Vgl. entsprechend – zu einem Europäischen Haftbefehl, der zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt worden ist – Urteil vom 6. Dezember 2018, IK (Vollstreckung einer zusätzlichen Strafe) (C‑551/18 PPU, EU:C:2018:991, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 80 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Mai 2013, F (C‑168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 52).

( 81 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Mai 2013, F (C‑168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 53).

( 82 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in den verbundenen Rechtssachen Generalstaatsanwaltschaft des Großherzogtums Luxemburg und Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaften Lyon und Tours) (C‑566/19 PPU und C‑626/19 PPU, EU:C:2019:1012, Nr. 97).

( 83 ) Vgl. u. a. Urteil vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság (C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 139 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 84 ) Vgl. u. a. Urteil vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság (C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 140 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 85 ) Vgl. u. a. Urteil vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság (C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 142 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 86 ) Vgl. u. a. Urteil vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság (C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 143 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 87 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság (C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 146 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 88 ) Vgl. umgekehrt Urteil vom 12. Dezember 2019, Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft Schweden) (Rn. 52).

( 89 ) ABl. 2016, L 65, S. 1. Der 44. Erwägungsgrund dieser Richtlinie lautet: „Nach dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, für den Fall der Verletzung eines durch Unionsrecht garantierten individuellen Rechts angemessene, wirksame Rechtsbehelfe vorzusehen. Ein wirksamer Rechtsbehelf bei einem Verstoß gegen ein in [der genannten] Richtlinie festgelegtes Recht sollte die Verdächtigen oder beschuldigten Personen so weit wie möglich in die Lage versetzen, in der sie sich ohne den Verstoß befinden würden, damit das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf Verteidigung gewahrt werden.“

( 90 ) Das vorlegende Gericht zieht einen Vergleich zu der Rechtssache, die zum Urteil vom 17. Januar 2019, Dzivev u. a. (C‑310/16, EU:C:2019:30), geführt hat, da jene Rechtssache seiner Ansicht nach die Rechtsfolgen einer Entscheidung einer Behörde außerhalb ihrer Kompetenzen betraf (Verwertung von Beweisen, die durch eine Telefonüberwachung gesammelt worden waren, die von einem Gericht angeordnet worden war, das kurz zuvor seine Zuständigkeit für derartige Anordnungen verloren hatte).

( 91 ) Vgl. – für eine Darstellung der Grenzen der Anwendbarkeit der Richtlinie 2016/343 im Bereich der Untersuchungshaft sowie der Anwendbarkeit von Art. 6 und Art. 47 der Charta in diesem Bereich – Urteil vom 28. November 2019, Spetsializirana prokuratura (C‑653/19 PPU, EU:C:2019:1024). Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Pitruzzella in der Rechtssache Spetsializirana prokuratura (C‑653/19 PPU, EU:C:2019:983, Nrn. 15 ff.).

( 92 ) Urteil vom 6. Dezember 2018, IK (Vollstreckung einer zusätzlichen Strafe) (C‑551/18 PPU, EU:C:2018:991, Rn. 39). Hervorhebung nur hier.

( 93 ) Vgl. insoweit Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache IK (Vollstreckung einer zusätzlichen Strafe) (C‑551/18 PPU, EU:C:2018:890, Nrn. 81 und 82). Die Generalanwältin beschreibt das im Rahmenbeschluss 2002/584 geregelte Verfahren als einen „‚Kreislauf‘, der mit der Ausstellung des Europäischen Haftbefehls … beginnt und … sich dann mit der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, die durch die Übergabe erfolgt[, schließt]“ (Nr. 83). Sie leitet daraus ab, dass „die Folgen dieses Verfahrens nicht über den Anwendungsbereich und das Ziel des [genannten] Rahmenbeschlusses, d. h. die Übergabe der gesuchten Person, hinausgehen [können]. Die wenigen Folgen dieses Verfahrens, die nach der Übergabe weiterhin Wirkung entfalten, sind in Kapitel 3 des Rahmenbeschlusses klar definiert“ (Nr. 84).

( 94 ) Das Urteil vom 6. Dezember 2018, IK (Vollstreckung einer zusätzlichen Strafe) (C‑551/18 PPU, EU:C:2018:991, Rn. 56), enthält insoweit nützliche Hinweise, auch wenn zum einen klarzustellen ist, dass es einen zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellten Europäischen Haftbefehl betrifft, und zum anderen, dass es sich auf einen Fall bezieht, in dem sich die Nichterwähnung einer zusätzlichen Strafe in diesem Haftbefehl nicht auf dessen Gültigkeit ausgewirkt hat. Als der Gerichtshof auf das Argument zu entgegnen hatte, wonach im Wesentlichen die Entscheidung der vollstreckenden Justizbehörde den Titel für den Freiheitsentzug im Ausstellungsmitgliedstaat darstelle, mit der Folge, dass eine Strafe, die nicht Gegenstand der Entscheidung der vollstreckenden Justizbehörde gewesen und für die die Übergabe nicht genehmigt worden sei, nicht vollstreckt werden könne, hat er nämlich entschieden, dass „[d]ie Entscheidung der vollstreckenden Behörde … vorliegend nicht die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe im Ausstellungsmitgliedstaat bewilligen [soll]. [D]iese Entscheidung [beschränkt sich] darauf, die Übergabe der betroffenen Person gemäß den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2002/584 zu ermöglichen, damit die begangene Straftat nicht ungestraft bleibt. Grundlage für die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist das im Ausstellungsmitgliedstaat ergangene vollstreckbare Urteil, dessen Angabe Art. 8 Abs. 1 Buchst. c dieses Rahmenbeschlusses verlangt“ (Rn. 56, Hervorhebung nur hier).

( 95 ) Insoweit sei daran erinnert, dass gegen MM keine Verfügung der Staatsanwaltschaft nach Art. 64 Abs. 2 NPK ergangen ist, obwohl ein solcher Rechtsakt offenbar das Mittel darstellt, das in Bulgarien normalerweise für die Ausstellung eines nationalen Haftbefehls gegen eine strafrechtlich verfolgte Person verwendet wird.

( 96 ) Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 24. November 1998, Bickel und Franz (C‑274/96, EU:C:1998:563, Rn. 17). Vgl. auch Urteil vom 2. April 2020, Ruska Federacija (C‑897/19 PPU, EU:C:2020:262, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 97 ) Vgl. entsprechend – im Kontext des Ablaufs der in Art. 17 des Rahmenbeschlusses 2002/584 festgelegten Fristen – Urteil vom 16. Juli 2015, Lanigan (C‑237/15 PPU, EU:C:2015:474, Rn. 50).

( 98 ) Vgl. u. a. Urteil vom 6. Dezember 2018, IK (Vollstreckung einer zusätzlichen Strafe) (C‑551/18 PPU, EU:C:2018:991, Rn. 39).