URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

21. Mai 2019 ( *1 )

Inhalt

 

I. Rechtlicher Rahmen

 

A. Unionsrecht

 

1. Charta

 

2. Beitrittsakte von 2003

 

B. Ungarisches Recht

 

II. Vorverfahren

 

III. Zum Gegenstand der Klage

 

IV. Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

 

A. Vorbringen der Parteien

 

B. Würdigung durch den Gerichtshof

 

V. Zur Begründetheit

 

A. Vorbringen der Parteien

 

B. Würdigung durch den Gerichtshof

 

1. Zu Art. 49 AEUV

 

2. Zu Art. 63 AEUV und Art. 17 der Charta

 

a) Zur Anwendbarkeit von Art. 63 AEUV und zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs

 

b) Zur Rechtfertigung der Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und zur Anwendbarkeit von Art. 17 der Charta

 

1) Zum Vorliegen einer Entziehung von Eigentum im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der Charta

 

2) Zu den Rechtfertigungsgründen und den Gründen des öffentlichen Interesses

 

i) Zur Rechtfertigung durch dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen betreffend die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen

 

ii) Zur Rechtfertigung, es sei gegen die nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen verstoßen worden

 

iii) Zur Rechtfertigung durch die zum Schutz der öffentlichen Ordnung erfolgende Bekämpfung von Praktiken zur Umgehung des nationalen Rechts

 

iv) Zum Fehlen von Gründen des öffentlichen Interesses und einer Entschädigungsregelung im Sinne von Art. 17 der Charta

 

c) Ergebnis

 

Kosten

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 63 AEUV – Freier Kapitalverkehr – Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Eigentumsrecht – Nationale Regelung, kraft deren die Nießbrauchsrechte, die in der Vergangenheit von juristischen Personen oder von natürlichen Personen ohne nachgewiesenes nahes Angehörigenverhältnis zum Eigentümer an land‑ und forstwirtschaftlichen Flächen erworben wurden, ex lege und ohne Entschädigung erlöschen“

In der Rechtssache C‑235/17

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 5. Mai 2017,

Europäische Kommission, vertreten durch L. Malferrari und L. Havas als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér als Bevollmächtigten,

Beklagter,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Kammerpräsidenten E. Regan und T. von Danwitz sowie der Richter A. Rosas, L. Bay Larsen, M. Safjan, D. Šváby, C. G. Fernlund, C. Vajda und S. Rodin,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 2018,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. November 2018

folgendes

Urteil

1

Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission die Feststellung, dass Ungarn gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 49 und 63 AEUV sowie aus Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verstoßen hat, indem es insbesondere durch die seit dem 1. Januar 2013 in Kraft befindlichen Vorschriften des Termőföldről szóló 1994. évi LV. törvény (Gesetz Nr. LV von 1994 über Anbauflächen, im Folgenden: Gesetz von 1994 über Anbauflächen), durch die einschlägigen Vorschriften des Mező- és erdőgazdasági földek forgalmáról szóló 2013. évi CXXII. törvény (Gesetz Nr. CXXII von 2013 betreffend den Verkauf land- und forstwirtschaftlicher Flächen, im Folgenden: Gesetz von 2013 über landwirtschaftliche Flächen) sowie durch bestimmte Vorschriften des Mező- és erdőgazdasági földek forgalmáról szóló 2013. évi CXXII. törvénnyel összefüggő egyes rendelkezésekről és átmeneti szabályokról szóló 2013. évi CCXII. törvény (Gesetz Nr. CCXII von 2013 mit verschiedenen Vorschriften und Übergangsregelungen betreffend das Gesetz Nr. CXXII von 2013 betreffend den Verkauf land‑ und forstwirtschaftlicher Flächen, im Folgenden: Gesetz von 2013 betreffend die Übergangsregelungen) und durch § 94 Abs. 5 des Ingatlan-nyilvántartásról szóló 1997. évi CXLI. törvény (Gesetz Nr. CXLI von 1997 über das Grundbuch, im Folgenden: Gesetz über das Grundbuch) die Nießbrauchsrechte an land‑ und forstwirtschaftlichen Flächen offensichtlich unverhältnismäßig beschränkt hat.

I. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

1.   Charta

2

Art. 17 („Eigentumsrecht“) Abs. 1 der Charta lautet:

„Jede Person hat das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums. Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist.“

3

Art. 51 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Charta bestimmt:

„Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. …“

4

In Art. 52 („Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze“) Abs. 1 und 3 der Charta heißt es:

„(1)   Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

(3)   Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.“

2.   Beitrittsakte von 2003

5

Anhang X der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 2003, L 236, S. 33, im Folgenden: Beitrittsakte von 2003) trägt die Überschrift „Liste nach Artikel 24 der Beitrittsakte: Ungarn“. In Nr. 2 von Kapitel 3 („Freier Kapitalverkehr“) dieses Anhangs heißt es:

„Unbeschadet der Verpflichtungen aus den Verträgen, auf die sich die Europäische Union gründet, kann Ungarn die Verbote des Erwerbs von landwirtschaftlichen Flächen durch natürliche Personen, die weder ihren Wohnsitz in Ungarn haben noch ungarische Staatsbürger sind, sowie durch juristische Personen gemäß seinen zum Zeitpunkt der Unterzeichnung dieser Akte geltenden Rechtsvorschriften nach dem Beitritt sieben Jahre lang beibehalten. Auf keinen Fall dürfen Staatsangehörige der Mitgliedstaaten oder juristische Personen, die gemäß den Gesetzen eines anderen Mitgliedstaats geschaffen wurden, beim Erwerb von landwirtschaftlichen Flächen ungünstiger als am Tag der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags behandelt werden. …

Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats, die sich als selbstständige Landwirte niederlassen wollen, mindestens drei Jahre lang ununterbrochen ihren rechtmäßigen Wohnsitz in Ungarn hatten und dort mindestens drei Jahre lang ununterbrochen in der Landwirtschaft tätig waren, dürfen weder den Bestimmungen des vorstehenden Unterabsatzes noch anderen Regeln und Verfahren als denjenigen unterworfen werden, die für ungarische Staatsangehörige gelten.

Liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass bei Ablauf der Übergangsfrist der Markt für landwirtschaftliche Flächen in Ungarn ernsthaft gestört ist oder dass solche ernsthaften Störungen drohen, so entscheidet die Kommission auf Antrag Ungarns über eine Verlängerung der Übergangsfrist von bis zu drei Jahren.“

6

Mit dem Beschluss 2010/792/EU der Kommission vom 20. Dezember 2010 zur Verlängerung des Übergangszeitraums für den Erwerb landwirtschaftlicher Flächen in Ungarn (ABl. 2010, L 336, S. 60) wurde die in Anhang X Kapitel 3 Nr. 2 der Beitrittsakte von 2003 vorgesehene Übergangsfrist bis zum 30. April 2014 verlängert.

B. Ungarisches Recht

7

§ 38 Abs. 1 des Földről szóló 1987. évi I. törvény (Gesetz Nr. I von 1987 über Grundbesitz) sah vor, dass natürliche Personen, die nicht die ungarische Staatsangehörigkeit besitzen oder diese zwar besitzen, sich aber dauerhaft außerhalb Ungarns aufhalten, und juristische Personen, die ihren Sitz außerhalb Ungarns haben oder zwar in Ungarn haben, aber deren Kapital von natürlichen oder juristischen Personen gehalten wird, die außerhalb Ungarns ansässig sind, das Eigentum an Anbauflächen – sei es durch Kauf, Tausch oder Schenkung – nur nach vorheriger Genehmigung durch das Finanzministerium erwerben konnten.

8

Mit § 1 Abs. 5 der 171/1991 Korm. rendelet (Regierungsverordnung 171/1991) vom 27. Dezember 1991, die am 1. Januar 1992 in Kraft trat, wurde für Personen, die nicht die ungarische Staatsangehörigkeit besitzen, die Möglichkeit eines Erwerbs von Anbauflächen ausgeschlossen; dies galt nicht für Personen mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder für Personen mit Flüchtlingsstatus.

9

Mit dem Gesetz von 1994 über Anbauflächen wurde das Erwerbsverbot aufrechterhalten und auf juristische Personen ausgeweitet, und zwar unabhängig davon, ob sie ihren Sitz in Ungarn oder außerhalb Ungarns haben.

10

Dieses Gesetz wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2002 durch das Termőföldről szóló 1994. évi LV. törvény módosításáról szóló 2001. évi CXVII. Törvény (Gesetz Nr. CXVII von 2001 zur Änderung des Gesetzes Nr. LV von 1994 über Anbauflächen) geändert, um auch die Möglichkeit auszuschließen, vertraglich ein Nießbrauchsrecht an Anbauflächen zugunsten von natürlichen Personen ohne ungarische Staatsangehörigkeit oder juristischen Personen zu bestellen. § 11 Abs. 1 des Gesetzes von 1994 über Anbauflächen bestimmte nach diesen Änderungen: „Für die vertragliche Bestellung eines Nießbrauchsrechts und Nutzungsrechts gelten die Bestimmungen des Kapitels II über die Beschränkung des Eigentumserwerbs. …“

11

§ 11 Abs. 1 des Gesetzes von 1994 über Anbauflächen wurde in der Folge durch das Egyes agrár tárgyú törvények módosításáról szóló 2012. évi CCXIII. Törvény (Gesetz Nr. CCXIII von 2012 zur Änderung bestimmter Gesetze über die Landwirtschaft) geändert. In der neuen geänderten Fassung, die am 1. Januar 2013 in Kraft trat, bestimmte § 11 Abs. 1: „Das vertraglich bestellte Nießbrauchsrecht ist nichtig, es sei denn, die Bestellung erfolgte zugunsten eines nahen Verwandten.“ Durch das Gesetz Nr. CCXIII von 2012 wurde in das Gesetz von 1994 auch ein neuer § 91 Abs. 1 eingefügt, wonach „[a]m 1. Januar 2033 … kraft Gesetzes alle am 1. Januar 2013 bestehenden unbefristeten oder über den 30. Dezember 2032 hinaus befristeten Nießbrauchsrechte [erlöschen], die durch einen Vertrag zwischen Personen begründet worden sind, die keine nahen Angehörigen sind“.

12

Das Gesetz von 2013 über landwirtschaftliche Flächen wurde am 21. Juni 2013 erlassen und trat am 15. Dezember 2013 in Kraft.

13

§ 37 Abs. 1 des Gesetzes von 2013 über landwirtschaftliche Flächen beließ es bei der Regelung, dass ein vertraglich bestelltes Nießbrauchsrecht oder Nutzungsrecht an den genannten Flächen nichtig ist, es sei denn, die Bestellung erfolgte zugunsten eines nahen Angehörigen.

14

§ 5 Nr. 13 des genannten Gesetzes enthält folgende Begriffsbestimmung:

„‚nahe Angehörige‘: die Ehegatten, die Verwandten in gerader aufsteigender und absteigender Linie, die Adoptivkinder, die Kinder des Ehegatten, die Adoptiv‑, Schwieger- und Stiefeltern und die Geschwister“.

15

Das Gesetz von 2013 betreffend die Übergangsregelungen wurde am 12. Dezember 2013 erlassen und trat am 15. Dezember 2013 in Kraft.

16

§ 108 Abs. 1 dieses Gesetzes, mit dem § 91 Abs. 1 des Gesetzes von 1994 über Anbauflächen aufgehoben wurde, bestimmt:

„Am 1. Mai 2014 erlöschen kraft Gesetzes alle am 30. April 2014 bestehenden unbefristeten oder über den 30. April 2014 hinaus befristeten Nießbrauchsrechte oder Nutzungsrechte, die durch einen Vertrag zwischen Personen begründet worden sind, die keine nahen Angehörigen sind.“

17

§ 94 des Gesetzes über das Grundbuch bestimmt:

„(1)   Im Hinblick auf die Löschung eines aufgrund der Bestimmungen von § 108 Abs. 1 [des Gesetzes von 2013 über Übergangsregelungen] erlöschenden Nießbrauchs- oder Nutzungsrechts (in diesem Paragrafen im Folgenden zusammen: Nießbrauchsrecht) aus dem Grundbuch muss eine nießbrauchsberechtigte natürliche Person auf die durch die Grundbuchbehörde spätestens bis zum 31. Oktober 2014 versandte Aufforderung hin binnen 15 Tagen nach deren Zustellung auf einem durch den Minister eingeführten Formular eine Erklärung über das Bestehen des nahen Angehörigenverhältnisses zwischen ihr und dem Grundstückseigentümer, der gemäß der für die Eintragung als Grundlage dienenden Urkunde das Nießbrauchsrecht bestellt hat, abgeben. Bei einem Versäumen dieser Frist ist nach dem 31. Dezember 2014 kein Antrag auf Wiedereinsetzung zulässig.

(3)   Wenn der Erklärung zufolge kein nahes Angehörigenverhältnis besteht oder innerhalb der Frist keine Erklärung abgegeben wird, löscht die Grundbuchbehörde das eingetragene Nießbrauchsrecht innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Frist zur Abgabe der Erklärung, spätestens bis zum 31. Juli 2015 von Amts wegen aus dem Grundbuch.

(5)   Die Grundbuchbehörde löscht spätestens am 31. Dezember 2014 von Amts wegen aus dem Grundbuch Nießbrauchsrechte, die zugunsten von juristischen Personen oder Einheiten eingetragen wurden, die keine Rechtspersönlichkeit haben, aber fähig sind, Rechte zu erwerben, die in das Register eingetragen werden können, und die gemäß § 108 Abs. 1 des [Gesetzes von 2013 über Übergangsregelungen] erloschen sind.“

II. Vorverfahren

18

Am 17. Oktober 2014 sandte die Kommission an Ungarn ein Mahnschreiben, da sie der Auffassung war, dass dieser Mitgliedstaat dadurch gegen die Art. 49 und 63 AEUV sowie gegen Art. 17 der Charta verstoßen habe, dass er in bestimmte Vorschriften des Gesetzes von 2013 betreffend die Übergangsregelungen – u. a. in § 108 Abs. 1 dieses Gesetzes – Beschränkungen des Nießbrauchsrechts an landwirtschaftlichen Flächen aufgenommen hat. Ungarn antwortete mit Schreiben vom 18. Dezember 2014, in dem es die genannten Verstöße bestritt.

19

Am 19. Juni 2015 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie daran festhielt, dass Ungarn mit dem Erlöschen bestimmter Nießbrauchsrechte, das gemäß § 108 Abs. 1 des Gesetzes von 2013 betreffend die Übergangsregelungen mit Wirkung vom 1. Mai 2014 eingetreten sei, gegen die in der vorstehenden Randnummer genannten Vorschriften des Unionsrechts verstoßen habe. Ungarn antwortete mit Schreiben vom 9. Oktober 2015 und 18. April 2016, in denen es erklärte, dass die angeblichen Vertragsverletzungen nicht vorlägen.

20

Vor diesem Hintergrund hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

III. Zum Gegenstand der Klage

21

Im Petitum der Klageschrift wirft die Kommission Ungarn unter Verweis auf diverse nationale Bestimmungen vor, die Nießbrauchsrechte an land‑ und forstwirtschaftlichen Flächen (im Folgenden: landwirtschaftliche Flächen) unionsrechtswidrig „beschränkt“ zu haben. Wie jedoch aus der mit Gründen versehenen Stellungnahme und der Klageschrift selbst hervorgeht, im Übrigen zwischen den Parteien unstrittig ist und auch durch die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung – auf die der Generalanwalt in Nr. 39 seiner Schlussanträge Bezug nimmt – bestätigt worden ist, ergibt sich die von der Kommission im vorliegenden Fall monierte Beschränkung der Nießbrauchsrechte insbesondere aus dem Erlöschen dieser Rechte kraft § 108 Abs. 1 des Gesetzes von 2013 betreffend die Übergangsregelungen. Die anderen nationalen Bestimmungen, auf die im Petitum der Klageschrift Bezug genommen wird, werden im Petitum und in der Klageschrift selbst nur als Bestandteile des nationalen rechtlichen Rahmens, in den sich der genannte § 108 Abs. 1 einfügt, erwähnt, wobei diese Bestandteile für ein umfassendes Verständnis der Tragweite des genannten § 108 Abs. 1 unverzichtbar sind.

22

Somit ist die Klage der Kommission auf die Feststellung gerichtet, dass Ungarn durch den Erlass von § 108 Abs. 1 des Gesetzes von 2013 betreffend die Übergangsregelungen (im Folgenden: angefochtene Regelung) und durch das damit ex lege eintretende Erlöschen der Nießbrauchsrechte, die in der Vergangenheit an landwirtschaftlichen Flächen in Ungarn zugunsten von Personen bestellt wurden, die keine nahen Familienangehörigen sind, gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 49 und 63 AEUV sowie aus Art. 17 der Charta verstoßen hat.

IV. Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

A. Vorbringen der Parteien

23

Ungarn bringt zunächst vor, da mit den kraft der angefochtenen Regelung erloschenen Nießbrauchsverträgen die vor seinem Beitritt zur Union geltenden Verbote, Eigentum an landwirtschaftlichen Flächen zu erwerben, umgangen worden seien und die Nießbrauchsverträge deshalb von Anfang an, also bereits vor dem EU-Beitritt, nichtig gewesen seien, könnten weder die auf diese Weise missachteten Verbote oder deren Auswirkungen noch das spätere Erlöschen der fraglichen Nießbrauchsrechte kraft der angefochtenen Regelung anhand des Unionsrechts beurteilt werden. Der Gerichtshof sei nämlich für die Auslegung dieses Rechts nicht zuständig, wenn sich der Sachverhalt des Rechtsstreits vor dem Beitritt des betreffenden Mitgliedstaats zur Union zugetragen habe.

24

Demgegenüber macht die Kommission geltend, dass das Unionsrecht in den neuen Mitgliedstaaten sofort anwendbar sei und dass Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits eine im Jahr 2013 erlassene nationale Regelung sei – nach der am 1. Mai 2014 die zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden und in die Grundbücher eingetragenen Nießbrauchsrechte ex lege erloschen seien –, und nicht die Rechtmäßigkeit von vor dem Beitritt Ungarns zur Union geschlossenen Nießbrauchsverträgen. Außerdem habe Ungarn in seiner Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme ausdrücklich anerkannt, dass die ungarischen Gerichte keinen einzigen Nießbrauchsvertrag für nichtig erklärt hätten.

B. Würdigung durch den Gerichtshof

25

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gerichtshof für die Auslegung des Unionsrechts in Bezug auf seine Anwendung in einem neuen Mitgliedstaat ab dem Zeitpunkt des Beitritts dieses Staates zur Union zuständig (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Im vorliegenden Fall bestanden – wie von der Kommission geltend gemacht – die von der angefochtenen Regelung betroffenen Nießbrauchsrechte am 30. April 2014 noch, und ihr Erlöschen und ihre anschließende Löschung aus dem Grundbuch erfolgten aufgrund der angefochtenen Regelung (die fast zehn Jahre nach dem Beitritt Ungarns zur Union erlassen wurde) und nicht aufgrund nationaler Regelungen, die bereits vor dem Beitrittsdatum in Kraft gewesen wären und alle ihre Auswirkungen in Bezug auf diese Nießbrauchsrechte entfaltet hätten.

27

Folglich ist das Vorbringen Ungarns, wonach der Gerichtshof unzuständig sei, zurückzuweisen.

V. Zur Begründetheit

A. Vorbringen der Parteien

28

Die Kommission bringt als Erstes vor, dass die angefochtene Regelung je nach den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls geeignet sei, sowohl die Niederlassungsfreiheit als auch den freien Kapitalverkehr zu beschränken und somit sowohl gegen Art. 49 AEUV als auch gegen Art. 63 AEUV zu verstoßen.

29

Als Zweites würden durch diese Regelung Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten als Ungarn mittelbar diskriminiert, da die Bestellung eines Nießbrauchs zwischen 1992 und 2002 der einzige Weg für sie gewesen sei, in landwirtschaftliche Flächen in Ungarn zu investieren, und es darüber hinaus selten sei, dass diese Staatsangehörigen enge Verwandte hätten, die solche Flächen besäßen und von denen sie ein Nießbrauchsrecht an diesen Flächen hätten erwerben können. Unter diesen Voraussetzungen könne die angefochtene Regelung nicht auf der Grundlage von Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV oder aus in der Rechtsprechung anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden.

30

Als Drittes seien für den Fall, dass solche Rechtfertigungsgründe denkbar seien, die von Ungarn geltend gemachten Rechtfertigungsgründe im vorliegenden Fall nicht zulässig und entspreche die angefochtene Regelung nicht den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

31

Was erstens die verschiedenen agrarpolitischen Zielsetzungen – die in der Präambel des Gesetzes von 2013 über landwirtschaftliche Flächen genannt werden und vom Alkotmánybíróság (Verfassungsgericht, Ungarn) in seinem Urteil Nr. 25 vom 21. Juli 2015 aufgegriffen wurden und die darin bestehen sollen, sicherzustellen, dass landwirtschaftliche Anbauflächen nur den natürlichen Personen gehören, die sie bewirtschaften, und nicht der Spekulation dienen, die Zerstückelung von Agrarflächen zu verhindern und weiterhin eine Landbevölkerung und eine nachhaltige Landwirtschaft zu haben sowie Betriebe zu schaffen, die aufgrund ihrer Größe lebensfähig und wettbewerbsfähig sind – anbelangt, vertritt die Kommission die Auffassung, dass sie keine Behinderung des freien Kapitalverkehrs rechtfertigten.

32

Jedenfalls seien die fraglichen Beschränkungen weder geeignet noch kohärent oder erforderlich, um die angestrebten Zielsetzungen zu erreichen.

33

Was zweitens die Zielsetzung, rechtswidrige Zustände zu legalisieren, die sich aus dem Erwerb von Nießbrauchsrechten durch Gebietsfremde ergäben, die nicht über die Devisengenehmigung der ungarischen Nationalbank verfügt hätten, die nach dem Gesetz Nr. XCV von 1995 über die Devisen bis zum 16. Juni 2001 erforderlich gewesen sei, betrifft, macht die Kommission geltend, dass seit dem Beitritt Ungarns zur Union eine solche Genehmigungspflicht eine durch das Unionsrecht verbotene Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit darstelle. Im Übrigen habe Ungarn während des Vorverfahrens eingeräumt, dass es keine Entscheidung eines ungarischen Gerichts gebe, wonach ein ohne Devisengenehmigung erworbenes Nießbrauchsrecht nichtig sein könne.

34

Was drittens die Zielsetzung des Erlöschens von Nießbrauchsrechten, die vor dem 1. Januar 2002 von gebietsfremden natürlichen Personen oder von juristischen Personen erworben wurden, die dadurch das Eigentumserwerbsverbot rechtswidrigerweise umgangen hätten, anbelangt, vertritt die Kommission die Ansicht, dass die Tatsache, dass ein Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats als Ungarn beschließe, für die Investition in landwirtschaftliche Flächen oder für die Niederlassung in Ungarn einen nach dem Recht dieses Mitgliedstaats verfügbaren Rechtstitel zu wählen, eine bloße Ausübung der in den Art. 49 und 63 AEUV garantierten Freiheiten darstelle und daher nicht als Missbrauch gewertet werden könne.

35

Außerdem belege Ungarn seine Behauptung nicht, dass alle von der angefochtenen Regelung betroffenen Nießbrauchsverträge in missbräuchlicher Weise geschlossen worden seien. Ungarn führe insbesondere nicht aus, warum dies bei Verträgen von Beschwerdeführern, die die Kommission dem Gerichtshof vorgelegt habe, der Fall sein könnte, und verweise auch auf keinen Vertrag, der gerichtlich für unzulässig erklärt worden sei. Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass in bestimmten Fällen das Nießbrauchsrecht zur Umgehung der geltenden Regelung bestellt worden sei, könnte diese Feststellung auf keinen Fall zu der allgemeinen Annahme führen, dass jede Person, die ein solches Recht bestellt habe, in Umgehungsabsicht gehandelt habe.

36

Als Viertes vertritt die Kommission die Ansicht, dass die angefochtene Regelung gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verstoße. Diese Grundsätze hätten nämlich zur Folge, dass es im Fall der Abschaffung von Rechtstiteln, die es ihren Inhabern ermöglichten, eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, nicht verhältnismäßig und gerechtfertigt wäre, einen Übergangszeitraum von nur viereinhalb Monaten vorzusehen und dadurch gleichzeitig den 20‑jährigen Übergangszeitraum abzuschaffen, der weniger als ein Jahr zuvor eingeführt worden sei. Es stehe ebenfalls im Widerspruch zu diesen Grundsätzen, dass es nicht vorgesehen sei, dass die Betroffenen unter vorher festgelegten Bedingungen für den Verlust der gezahlten Gegenleistung, die Abwertung der getätigten Investitionen und den entgangenen Gewinn individuell entschädigt würden.

37

Als Fünftes macht die Kommission geltend, die Charta sei im vorliegenden Fall anwendbar, weil die angefochtene Regelung die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr behindere und Ungarn dies mit zwingenden Gründen des Allgemeininteresses rechtfertige.

38

Die angefochtene Regelung verstoße gegen Art. 17 der Charta. Das Erlöschen der fraglichen Nießbrauchsrechte stelle nämlich eine Entziehung des Eigentums dar, und zwar sowohl im Sinne dieses Artikels als auch im Sinne von Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet wurde (im Folgenden: EMRK).

39

Die Entziehung der Nießbrauchsrechte tausender nicht ungarischer Staatsangehöriger sei im vorliegenden Fall durch keinen zulässigen Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt, und selbst wenn dem so sein sollte, wäre das Erlöschen der Nießbrauchsrechte insbesondere unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen nicht verhältnismäßig. Zudem sehe die angefochtene Regelung keine Entschädigung vor, die nach Art. 17 der Charta zwingend sei und durch die die Entziehung dinglicher Rechte von erheblichem wirtschaftlichem Wert mit wirksamen Mitteln ausgeglichen werden solle.

40

Schließlich hätten die Betroffenen in gutem Glauben gehandelt, indem sie eine Investitionsmöglichkeit genutzt hätten, die ihnen der bestehende Rechtsrahmen geboten habe, und sowohl die Praxis der für die Grundbucheintragung zuständigen Verwaltungsbehörden als auch die Praxis der Gerichte hätten die Rechtmäßigkeit der betreffenden Nießbrauchsverträge bestätigt.

41

Demgegenüber bestreitet Ungarn jegliche Behinderung der Niederlassungsfreiheit. Aus dem Urteil Nr. 25 des Alkotmánybíróság (Verfassungsgericht) vom 21. Juli 2015 gehe hervor, dass den Inhabern der betreffenden Nießbrauchsrechte kein Vermögensschaden entstanden sei, da ihnen dem Alkotmánybíróság zufolge durch das ungarische Zivilrecht im Allgemeinen hinreichend die Möglichkeit gewährt werde, ihre Interessen im Rahmen einer Abrechnung zwischen den Parteien geltend zu machen. Die Inhaber der Nießbrauchsrechte könnten außerdem das Grundstück in Zukunft weiterbewirtschaften, indem sie mit Zustimmung des Eigentümers das Eigentum am Grundstück erwerben oder einen Pachtvertrag abschließen würden. Was den freien Kapitalverkehr anbelange, könne keine Beschränkung festgestellt werden, denn nach der angefochtenen Regelung werde nur einer der Titel zur Bewirtschaftung von Ackerland an das Bestehen eines nahen Angehörigenverhältnisses geknüpft, während Kauf und Pacht weiterhin möglich seien.

42

Darüber hinaus bestreitet Ungarn das Bestehen einer mittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, da die angefochtene Regelung ungarische und Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten gleichermaßen betroffen habe, was dadurch belegt werde, dass von den mehr als 100000 von dieser Regelung erfassten Personen nur 5058 Angehörige anderer Staaten, einschließlich Drittstaatsangehöriger, gewesen seien. Die Tatsache, dass die Ausnahme für nahe Angehörigenverhältnisse typischerweise ungarischen Staatsangehörigen zugutekomme, sei darauf zurückzuführen, dass es um in Ungarn gelegene Grundstücke gehe, deren Eigentümer in der Regel Ungarn seien. Diese Ausnahme trage dem Rechnung, dass Eltern häufig für ihre Kinder Immobilien kauften, an denen sie sich ein Nießbrauchsrecht einräumen ließen, und der überlebende Ehepartner oft ein solches Recht erbe.

43

Für den Fall, dass eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs festgestellt wird, hält Ungarn diese zunächst durch die in Rn. 31 des vorliegenden Urteils genannten agrarpolitischen Zielsetzungen für gerechtfertigt.

44

Des Weiteren macht Ungarn geltend, dass die von Anfang an bestehende Rechtswidrigkeit der betreffenden Nießbrauchsverträge vom Alkotmánybíróság (Verfassungsgericht) anerkannt worden sei, der in seinem Urteil Nr. 25 vom 21. Juli 2015 festgestellt habe, dass die Zielsetzung der angefochtenen Regelung insbesondere darin bestehe, sicherzustellen, dass das Grundbuch der neuen Regelung für landwirtschaftliche Flächen entsprechende Rechtsverhältnisse widerspiegele, und die Rechtswirkungen einer Praxis zu beseitigen, die zu einer funktionswidrigen Anwendung des Nießbrauchsrechts geführt habe.

45

Für den Fall, dass sich die Parteien für eine andere Vertragsart als die ihrer wahren Absicht entsprechende entschieden, ergebe sich aus § 207 Abs. 6 des A polgári törvénykönyvről szóló 1959. évi IV. törvény (Gesetz Nr. IV von 1959 zur Einführung des Zivilgesetzbuchs), dass der Vertrag fiktiv und nichtig sei.

46

Angesichts der großen Zahl von Nießbrauchsrechten, die Gebietsfremde auf verschiedene Art und Weise in der Hoffnung erworben hätten, dass sie nach dem Beitritt Ungarns zur Union oder nach dem Wegfall der rechtlichen Hindernisse eines Tages das Eigentum an den betreffenden Flächen erwerben könnten – wobei das Erlöschen der Nießbrauchsrechte unter den Begriff der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV fallen könnte –, habe der nationale Gesetzgeber aus haushaltstechnischen und prozessökonomischen Gründen das Erlöschen dieser Rechte und ihre Löschung aus dem Grundbuch auf Ebene der Gesetzgebung beschlossen, um zu verhindern, dass sie einzeln vor Gericht angefochten würden.

47

Schließlich vertritt Ungarn die Ansicht, dass die angefochtene Regelung auch durch den Wunsch gerechtfertigt sei, der Rechtswidrigkeit von Nießbrauchsverträgen ein Ende zu setzen, die ohne die nach dem Gesetz Nr. XCV von 1995 erforderliche Devisengenehmigung geschlossen worden seien.

48

Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der Beschränkung des Eigentumsrechts habe der Alkotmánybíróság (Verfassungsgericht) in seinem Urteil Nr. 25 vom 21. Juli 2015 entschieden, dass das Erlöschen der betreffenden Nießbrauchsrechte keine Enteignung darstelle, denn die betreffenden Rechte seien vertraglicher Natur und könnten daher im Allgemeininteresse durch Rechtsvorschriften eingeschränkt werden und das genannte Erlöschen führe weder zum Erwerb eines Rechts durch den Staat noch zur Entstehung eines neuen dinglichen Rechts zugunsten eines anderen Rechtssubjekts. Darüber hinaus stehe diese Maßnahme im Allgemeininteresse, da das Grundstück des Eigentümers entlastet werde und nunmehr aufgrund sozialer Zwänge Verpflichtungen in Bezug auf Anbauflächen unterworfen sei.

49

Was den kurzen Übergangszeitraum anbelange, so gebe es kein berechtigtes Vertrauen der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer auf Beibehaltung der bisherigen Regelung, da vorhersehbar gewesen sei, dass sie sich durch Ablauf des sich aus der Beitrittsakte von 2003 ergebenden Moratoriums für den Erwerb von Grundstücken ändern werde.

50

Im Übrigen macht Ungarn geltend, dass eine gesonderte Prüfung der angefochtenen Regelung im Licht der Charta nicht erforderlich sei und dass jedenfalls aus dem Urteil Nr. 25 des Alkotmánybíróság (Verfassungsgericht) vom 21. Juli 2015 hervorgehe, dass das Erlöschen der betreffenden Nießbrauchsrechte keine Enteignung darstelle und zudem durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sei, während die zivilrechtlichen Vorschriften es dem ehemaligen Nießbraucher ermöglichten, eine angemessene, umfassende und rechtzeitige Entschädigung für die entstandenen Verluste zu erhalten. Darüber hinaus sei Art. 17 der Charta im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da die erloschenen Nießbrauchsverträge auf rechtswidrige und bösgläubige Weise geschlossen worden seien.

B. Würdigung durch den Gerichtshof

1.   Zu Art. 49 AEUV

51

In Bezug auf den Antrag der Kommission auf Feststellung, dass Ungarn gegen seine Pflichten aus Art. 49 AEUV verstoßen habe, ist darauf hinzuweisen, dass das Recht, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats Immobilien zu erwerben, zu nutzen und darüber zu verfügen, wenn es ergänzend zum Niederlassungsrecht ausgeübt wird, zu Kapitalverkehr führt (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 54).

52

Wie die Kommission unter Bezugnahme auf den Fall von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten als Ungarn, die in diesem Mitgliedstaat eine landwirtschaftliche Tätigkeit ausüben und zu diesem Zweck unmittelbar oder mittelbar ein Nießbrauchsrecht an landwirtschaftlichen Flächen erworben haben, geltend gemacht hat, stellt das Nießbrauchsrecht in einem solchen Fall eine Ergänzung zur Ausübung des Niederlassungsrechts der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten dar.

53

Wenngleich die angefochtene Regelung daher grundsätzlich sowohl in den Anwendungsbereich von Art. 49 AEUV als auch von Art. 63 AEUV fallen kann, ändert dies jedoch nichts daran, dass im vorliegenden Fall die sich durch die angefochtene Regelung ergebende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, die von der Kommission in ihrer Klage behauptet wird, die unmittelbare Folge der Beschränkung des freien Kapitalverkehrs wäre, die sie in ihrer Klage ebenfalls rügt. Da die erste angebliche Beschränkung somit untrennbar mit der zweiten verbunden ist, braucht die angefochtene Regelung nicht im Licht von Art. 49 AEUV geprüft zu werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Juni 2002, Kommission/Portugal, C‑367/98, EU:C:2002:326, Rn. 56, vom 13. Mai 2003, Kommission/Spanien, C‑463/00, EU:C:2003:272, Rn. 86, sowie vom 10. November 2011, Kommission/Portugal, C‑212/09, EU:C:2011:717, Rn. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung).

2.   Zu Art. 63 AEUV und Art. 17 der Charta

a)   Zur Anwendbarkeit von Art. 63 AEUV und zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs

54

Es ist darauf hinzuweisen, dass der Kapitalverkehr Vorgänge umfasst, durch die Personen im Gebiet eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ihren Wohnsitz haben, Investitionen in Immobilien tätigen; dies ergibt sich aus der Nomenklatur für den Kapitalverkehr in Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages [der durch den Vertrag von Amsterdam aufgehoben wurde] (ABl. 1988, L 178, S. 5), die ihren Hinweischarakter für die Definition des Begriffs des Kapitalverkehrs behält (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 56 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

55

Unter diesen Begriff fallen u. a. Immobilieninvestitionen, die den Erwerb eines Nießbrauchs an Flächen betreffen, wie sich insbesondere der Angabe in den Begriffsbestimmungen in Anhang I der Richtlinie 88/361 entnehmen lässt, wonach die Kategorie der von ihr erfassten Immobilieninvestitionen den Erwerb von Nießbrauchsrechten an bebauten und unbebauten Grundstücken einschließt (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 57).

56

Im vorliegenden Fall erlöschen kraft der angefochtenen Regelung die zuvor an landwirtschaftlichen Flächen erworbenen Nießbrauchsrechte, wenn die Inhaber dieser Rechte die Voraussetzung, von der die nationalen Rechtsvorschriften den Erwerb dieser Rechte nunmehr abhängig machen, nicht erfüllen, nämlich das Bestehen eines nahen Angehörigenverhältnisses zwischen dem Erwerber des Nießbrauchsrechts und dem Eigentümer der betreffenden Flächen.

57

Fest steht auch, dass sich unter den auf diese Weise von der angefochtenen Regelung betroffenen Inhabern von Nießbrauchsrechten zahlreiche Angehörige anderer Mitgliedstaaten als Ungarn finden, die diese Rechte entweder unmittelbar oder mittelbar über eine in Ungarn ansässige juristische Person erworben haben.

58

Indem die angefochtene Regelung jedoch ex lege das Erlöschen der Nießbrauchsrechte vorsieht, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten als Ungarn an landwirtschaftlichen Flächen innehaben, beschränkt sie bereits dadurch – also schon allein aufgrund ihres Gegenstands – das Recht der Betroffenen auf den durch Art. 63 AEUV garantierten freien Kapitalverkehr. Durch die angefochtene Regelung wird den Betroffenen nämlich sowohl die Möglichkeit genommen, ihr Nießbrauchsrecht weiterhin auszuüben, indem sie u. a. daran gehindert werden, die betreffenden Flächen zu nutzen und zu bewirtschaften oder zu verpachten und auf diese Weise gewinnbringend zu nutzen, als auch die Möglichkeit, dieses Recht zu veräußern, indem es beispielsweise dem Eigentümer rückübertragen wird. Die angefochtene Regelung ist zudem geeignet, Gebietsfremde künftig von Investitionen in Ungarn abzuhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 62 bis 66).

b)   Zur Rechtfertigung der Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und zur Anwendbarkeit von Art. 17 der Charta

59

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Maßnahme wie die angefochtene Regelung, die den freien Kapitalverkehr beschränkt, nur dann zulässig, wenn sie aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist und verhältnismäßig ist, was bedeutet, dass sie geeignet sein muss, die Erreichung der legitimerweise verfolgten Zielsetzung zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen darf, was hierzu erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. November 2010, Kommission/Portugal, C‑543/08, EU:C:2010:669, Rn. 83).

60

Ebenso kann eine solche Maßnahme aus den in Art. 65 AEUV genannten Gründen gerechtfertigt sein, sofern sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 77 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

61

Insoweit ist außerdem darauf hinzuweisen, dass eine nationale Regelung nur dann geeignet ist, die Erreichung der angeführten Zielsetzung zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 78 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

62

Vorliegend hat Ungarn geltend gemacht, dass die angefochtene Regelung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt seien, und zwar durch Zielsetzungen der fachgerechten Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen, und durch Gründe, die unter Art. 65 AEUV fielen. Hinsichtlich dieses Artikels beruft sich Ungarn zum einen darauf, dass es Verstöße gegen die nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen abstellen wolle, und zum anderen darauf, dass es aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Ordnung missbräuchliche Erwerbspraktiken bekämpfen wolle.

63

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die durch die Charta garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen Anwendung finden und daher auch zu beachten sind, wenn eine nationale Regelung in den Geltungsbereich dieses Rechts fällt (vgl. u. a. Urteile vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson, C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 19 bis 21, und vom 21. Dezember 2016, AGET Iraklis, C‑201/15, EU:C:2016:972, Rn. 62).

64

Dies ist namentlich der Fall, wenn eine nationale Regelung geeignet ist, eine oder mehrere durch den AEU-Vertrag garantierte Grundfreiheiten zu beeinträchtigen, und der betreffende Mitgliedstaat sich auf unter Art. 65 AEUV fallende Gründe und auf unionsrechtlich anerkannte zwingende Gründe des Allgemeininteresses beruft, um eine solche Beeinträchtigung zu rechtfertigen. Unter diesen Umständen können nach ständiger Rechtsprechung Ausnahmen für die betreffende nationale Regelung nur dann gelten, wenn sie im Einklang mit den Grundrechten steht, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juni 1991, ERT, C‑260/89, EU:C:1991:254, Rn. 43, vom 27. April 2006, Kommission/Deutschland, C‑441/02, EU:C:2006:253, Rn. 108 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 21. Dezember 2016, AGET Iraklis, C‑201/15, EU:C:2016:972, Rn. 63).

65

Nimmt ein Mitgliedstaat im Unionsrecht vorgesehene Ausnahmen in Anspruch, um eine Beschränkung einer durch den Vertrag garantierten Grundfreiheit zu rechtfertigen, muss dies – wie der Gerichtshof bereits entschieden hat – als „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta angesehen werden (Urteil vom 21. Dezember 2016, AGET Iraklis, C‑201/15, EU:C:2016:972, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

66

Wie aber in den Rn. 58 und 62 des vorliegenden Urteils festgestellt, stellt die angefochtene Regelung im vorliegenden Fall eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar und macht Ungarn zur Rechtfertigung dieser Beschränkung zwingende Gründe des Allgemeininteresses und unter Art. 65 AEUV fallende Gründe geltend. Unter diesen Umständen ist die Vereinbarkeit der angefochtenen Regelung mit dem Unionsrecht unter Berücksichtigung sowohl der sich aus dem Vertrag und der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Ausnahmen als auch der durch die Charta garantierten Grundrechte zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, AGET Iraklis, C‑201/15, EU:C:2016:972, Rn. 65, 102 und 103), zu denen das durch Art. 17 der Charta garantierte Eigentumsrecht gehört, dessen Verletzung die Kommission im vorliegenden Fall behauptet.

1) Zum Vorliegen einer Entziehung von Eigentum im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der Charta

67

Nach Art. 17 Abs. 1 der Charta hat jede Person das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums. Außerdem kann die Nutzung des Eigentums gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist.

68

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Art. 17 der Charta – wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat – eine Rechtsnorm darstellt, die Einzelnen Rechte verleihen soll (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2016, Ledra Advertising u. a./Kommission und EZB, C‑8/15 P bis C‑10/15 P, EU:C:2016:701, Rn. 66).

69

Was die in Art. 17 Abs. 1 der Charta genannten materiellen Voraussetzungen betrifft, ergibt sich als Erstes aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass sich der durch diese Bestimmung gewährte Schutz auf vermögenswerte Rechte bezieht, aus denen sich im Hinblick auf die betreffende Rechtsordnung eine gesicherte Rechtsposition ergibt, die eine selbständige Ausübung dieser Rechte durch und zugunsten ihres Inhabers ermöglicht (Urteile vom 22. Januar 2013, Sky Österreich, C‑283/11, EU:C:2013:28, Rn. 34, sowie vom 3. September 2015, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Kommission, C‑398/13 P, EU:C:2015:535, Rn. 60).

70

Entgegen den von Ungarn in der mündlichen Verhandlung hierzu gemachten Ausführungen ist jedoch offenkundig, dass Nießbrauchsrechte an Immobilien wie die fraglichen, insofern als sie ihrem Inhaber die Nutzung und den Nießbrauch dieser Immobilien erlauben, einen Vermögenswert haben und dem Inhaber eine erworbene Rechtsposition verleihen, die die autonome Ausübung dieser Nutzungs- und Nießbrauchsrechte ermöglicht, und zwar selbst dann, wenn die Übertragbarkeit dieser Rechte nach dem anwendbaren nationalen Recht eingeschränkt oder ausgeschlossen wäre.

71

Der vertragliche Erwerb solcher Nießbrauchsrechte an landwirtschaftlichen Flächen ist nämlich grundsätzlich mit der Zahlung eines Preises verbunden. Diese Rechte ermöglichen es ihren Inhabern, diese Flächen insbesondere zu wirtschaftlichen Zwecken zu nutzen oder sie gegebenenfalls an Dritte zu verpachten, und fallen somit in den Anwendungsbereich von Art. 17 Abs. 1 der Charta.

72

Außerdem ergibt sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK, die nach Art. 52 Abs. 3 der Charta bei der Auslegung ihres Art. 17 als Mindestschutzstandard zu berücksichtigen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. März 2017, Al Chodor, C‑528/15, EU:C:2017:213, Rn. 37, vom 13. Juni 2017, Florescu u. a., C‑258/14, EU:C:2017:448, Rn. 49, sowie vom 12. Februar 2019, TC, C‑492/18 PPU, EU:C:2019:108, Rn. 57), dass Nutzungs‑ oder Nießbrauchsrechte an Immobilien unter den Begriff des „Eigentums“ fallen und somit vom Schutz nach dem genannten Art. 1 erfasst sind (vgl. u. a. Urteile des EGMR vom 12. Dezember 2002, Wittek/Deutschland, CE:ECHR:2002:1212JUD003729097, §§ 43 bis 46, vom 16. November 2004, Bruncrona/Finnland, CE:ECHR:2004:1116JUD004167398, § 78, sowie vom 9. Februar 2006, Athanasiou u. a./Griechenland, CE:ECHR:2006:0209JUD000253102, § 22).

73

Als Zweites sind die kraft der angefochtenen Regelung erloschenen Nießbrauchsrechte entgegen dem Vorbringen Ungarns als „rechtmäßig erworben“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der Charta anzusehen.

74

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass – wie aus den Rn. 8 und 9 des vorliegenden Urteils hervorgeht – die 1991 und 1994 eingeführten Gesetzesänderungen zum Verbot des Erwerbs von landwirtschaftlichen Flächen durch natürliche Personen ohne ungarische Staatsangehörigkeit und durch juristische Personen nicht den Erwerb von Nießbrauchsrechten an solchen Flächen betrafen. Das Gesetz von 1994 über Anbauflächen wurde nämlich erst zum 1. Januar 2002 dahin geändert, dass es auch ausgeschlossen ist, vertraglich ein Nießbrauchsrecht an landwirtschaftlichen Flächen zugunsten dieser natürlichen oder juristischen Personen zu bestellen.

75

Die von der angefochtenen Regelung betroffenen Nießbrauchsrechte wurden somit an landwirtschaftlichen Flächen zu einem Zeitpunkt bestellt, zu dem die Bestellung dieser Rechte nicht durch die geltenden nationalen Rechtsvorschriften verboten war.

76

Des Weiteren hat Ungarn weder nachgewiesen, dass mit den von ihm geltend gemachten nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen der Erwerb von Nießbrauchsrechten durch Gebietsfremde von einer Devisengenehmigung bei sonstiger Nichtigkeit des Erwerbs abhängig gemacht werden sollte, noch dass die von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten erworbenen und kraft der angefochtenen Regelung erloschenen Nießbrauchsrechte nach dem anwendbaren nationalen Recht wegen Umgehung der auf den Erwerb des Eigentums an landwirtschaftlichen Flächen anwendbaren Vorschriften von vornherein nichtig waren.

77

Insoweit gibt es – wie von der Kommission festgestellt und von Ungarn im Vorverfahren eingeräumt – keine gerichtliche Entscheidung, durch die die Nichtigkeit solcher Nießbrauchsrechte festgestellt worden wäre. Dagegen hat die Kommission vor dem Gerichtshof auf ein Urteil der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) vom 26. Januar 2010 verwiesen, aus dessen Begründung eindeutig hervorgeht, dass die bloße Bestellung eines Nießbrauchsrechts an einer landwirtschaftlichen Fläche nicht bedeutet, dass die Parteien beabsichtigten, die auf den Verkauf solcher Flächen anwendbaren Vorschriften zu umgehen.

78

Außerdem scheint aus dem Urteil Nr. 25 des Alkotmánybíróság (Verfassungsgericht) vom 21. Juli 2015 zwar hervorzugehen, dass die angefochtene Regelung zumindest zum Teil darauf gerichtet war, die Rechtswirkungen einer Praxis des Erwerbs von landwirtschaftlichen Flächen, bei der das Nießbrauchsrecht angeblich „funktionswidrig“ angewandt wurde, zu beseitigen, jedoch bedeutet dies nicht, dass alle betroffenen Inhaber von Nießbrauchsrechten missbräuchlich handelten. Im genannten Urteil wird zudem darauf hingewiesen, dass mit der angefochtenen Regelung den betreffenden Nießbrauchsrechten für die Zukunft ein Ende gesetzt wurde, ohne jedoch ein früheres Verhalten als rechtswidrig einzustufen.

79

Schließlich ist unstrittig, dass die auf diese Weise von Gebietsfremden erworbenen Nießbrauchsrechte von den zuständigen ungarischen Behörden systematisch in die Grundbücher eingetragen wurden. Wie jedoch beide Parteien anerkennen, setzt diese Eintragung voraus, dass es sich bei der entsprechenden Urkunde entweder um eine öffentliche Urkunde oder um eine von einem Rechtsanwalt gegengezeichnete Privaturkunde handelt, und hat gemäß § 5 des Gesetzes über das Grundbuch zur Folge, dass die betreffenden Immobilienangaben bis zum Beweis des Gegenteils gelten. Die Kommission hat zudem – ohne Widerspruch seitens Ungarns – darauf hingewiesen, dass eine solche Eintragung nach § 3 des Gesetzes über das Grundbuch in der bis zum 15. März 2014 geltenden Fassung konstitutiv war.

80

Somit steht fest, dass die Betroffenen diese Rechte in der Regel ungestört ausüben konnten, indem sie als Nießbraucher handelten, und zwar mitunter seit vielen Jahren. Bestärkt wurden sie in Bezug auf die mit ihren Titeln verbundene Rechtssicherheit zunächst durch die Eintragung der Titel in die Grundbücher, des Weiteren dadurch, dass die nationalen Behörden innerhalb einer angemessenen Frist keine Handlungen setzten, um diese Titel für nichtig zu erklären und ihre Eintragung in den Grundbüchern zu löschen, und schließlich dadurch, dass das Bestehen dieser Titel durch Gesetz bestätigt wurde, da nämlich durch das etwas mehr als ein Jahr vor der angefochtenen Regelung erlassene Gesetz Nr. CCXIII von 2012 die Aufrechterhaltung dieser Titel bis zum 1. Januar 2033 angeordnet wurde.

81

Als Drittes stellen die betreffenden Nießbrauchsrechte – wie der Generalanwalt in den Nrn. 136 und 157 seiner Schlussanträge festgestellt hat – einen abgespaltenen Teil des Eigentums dar, da sie ihren Inhabern zwei wesentliche Merkmale dieses Rechts verleihen, nämlich das Recht, die betreffende Sache zu nutzen, und das Recht, die Erträge zu vereinnahmen. Kraft der angefochtenen Regelung erlöschen jedoch ex lege alle bestehenden Nießbrauchsrechte an den betreffenden Flächen mit Ausnahme von zwischen nahen Familienangehörigen bestellten Nießbrauchsrechten. Durch ein solches Erlöschen werden somit den Betroffenen per Definition zwangsweise, vollständig und endgültig diese Nießbrauchsrechte zugunsten der Eigentümer der genannten Flächen entzogen.

82

Daraus folgt, dass die angefochtene Regelung zu keiner Beschränkung der Nutzung von Gütern führt, sondern zu einer Entziehung von Eigentum im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der Charta.

83

Insoweit kann Ungarn mit seinem in der mündlichen Verhandlung erstatteten Vorbringen, wonach den so enteigneten Inhabern von Nießbrauchsrechten die Möglichkeit offenstehe, die betreffenden Flächen durch den Abschluss eines Pachtvertrags mit dem Eigentümer weiterhin zu nutzen, nicht durchdringen. Ein solcher Abschluss hängt nämlich ausschließlich von der Zustimmung des Eigentümers ab und ermöglicht es nicht, dem ehemaligen Inhaber des Nießbrauchsrechts das ihm zuvor zustehende dingliche Recht, das sich vom persönlichen Recht aus einem Pachtvertrag unterscheidet, wiederzuverleihen. Außerdem entstehen ihm durch einen solchen Abschluss Unannehmlichkeiten, die er nicht gehabt hätte, wenn er seinen Titel behalten hätte.

84

Außerdem bezieht sich der Halbsatz „Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden“ in Art. 17 Abs. 1 Satz 2 der Charta nicht nur auf die Entziehung von Eigentum, um es der öffentlichen Hand zu übertragen. Entgegen dem, was Ungarn hierzu ebenfalls vorgebracht hat, hat der Umstand, dass die betreffenden Nießbrauchsrechte nicht von der öffentlichen Hand erworben werden, sondern dass ihr Erlöschen zur Wiederherstellung des vollständigen Eigentums an den betreffenden Flächen zugunsten der Eigentümer führt, keine Auswirkung darauf, dass diese Rechte durch das Erlöschen den früheren Inhabern entzogen werden.

85

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass es sich nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei einer nach nationalem Recht zwangsweisen Übertragung des Eigentums an Immobilien zwischen dem Eigentümer der Immobilien und dem Inhaber eines Erbpachtrechts an diesen Immobilien (Urteil des EGMR vom 21. Februar 1986, James u. a./Vereinigtes Königreich, CE:ECHR:1986:0221JUD000879379, §§ 27, 30 und 38) sowie bei der zwangsweisen Übertragung einer landwirtschaftlichen Liegenschaft von einer Person auf eine andere zwecks Rationalisierung der Landwirtschaft (Urteil des EGMR vom 21. Februar 1990, Håkansson und Sturesson/Schweden, CE:ECHR:1990:0221JUD001185585, §§ 42 bis 44) um eine Entziehung von Eigentum im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Satz 2 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK handelt.

86

Aus den Erwägungen in den Rn. 69 bis 85 des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass das Erlöschen von Nießbrauchsrechten kraft der angefochtenen Regelung eine Entziehung von Eigentum im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der Charta darstellt.

87

Diese Bestimmung verbietet zwar nicht generell die Entziehung von Eigentum, sieht aber vor, dass eine solche Entziehung nur aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums erfolgen darf.

88

Im Hinblick auf diese Anforderungen ist auch Art. 52 Abs. 1 der Charta zu berücksichtigen, wonach die Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte eingeschränkt werden kann, sofern diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind sowie den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

89

Aus Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 52 Abs. 1 der Charta ergibt sich zum einen, dass bei Berufung auf einen Grund des öffentlichen Interesses zur Rechtfertigung einer Entziehung von Eigentum der in Art. 52 Abs. 1 der Charta verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf diesen Grund und die von ihm abgedeckten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen gewahrt sein muss. Zum anderen bedeutet eine solche Lesart, dass das durch Art. 17 Abs. 1 Satz 2 der Charta garantierte Eigentumsrecht verletzt würde, wenn kein eine Eigentumsentziehung rechtfertigender Grund des öffentlichen Interesses vorliegt oder zwar vorliegt, aber die in der genannten Bestimmung enthaltenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

2) Zu den Rechtfertigungsgründen und den Gründen des öffentlichen Interesses

i) Zur Rechtfertigung durch dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen betreffend die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen

90

Wie aus den Rn. 31 und 43 des vorliegenden Urteils hervorgeht, vertritt Ungarn für den Fall, dass entschieden werden sollte, dass durch die angefochtene Regelung der freie Kapitalverkehr beschränkt wird, die Auffassung, dass diese Regelung insofern, als sie die Aufrechterhaltung bestehender Nießbrauchsrechte an landwirtschaftlichen Flächen davon abhängig macht, dass der Nießbraucher ein naher Familienangehöriger des Eigentümers der betreffenden Flächen ist, gleichzeitig darauf abzielt, das Eigentum an landwirtschaftlichen Flächen denjenigen vorzubehalten, die sie bewirtschaften, und darauf, zu verhindern, dass diese Flächen zu reinen Spekulationszwecken erworben werden, die Bewirtschaftung dieser Flächen durch neue Unternehmen zu ermöglichen, die Schaffung aufgrund ihrer Größe lebensfähiger und wettbewerbsfähiger Landwirtschaftsbetriebe zu erleichtern und eine Zerstückelung von Agrarflächen sowie Landflucht und Abwanderung aus ländlichen Gebieten zu verhindern.

91

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof anerkannt hat, dass nationale Regelungen den freien Kapitalverkehr mit der Zielsetzung beschränken dürfen, die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen durch den Eigentümer selbst zu erhalten und darauf hinzuwirken, dass Bauernhöfe überwiegend von ihren Eigentümern bewohnt und bewirtschaftet werden, sowie, als Raumordnungsziel, eine beständige Bevölkerung in den ländlichen Gebieten zu erhalten und eine vernünftige Nutzung der verfügbaren Flächen unter Bekämpfung des Drucks auf den Grundstücksmarkt zu fördern (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

92

Ebenso verhält es sich mit den Zielsetzungen, die in der Wahrung einer die Entwicklung lebensfähiger Betriebe sowie die harmonische Pflege des Raumes und der Landschaft ermöglichenden Aufteilung des Grundeigentums bestehen (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).

93

Im vorliegenden Fall ist jedoch – entsprechend dem Hinweis in Rn. 59 des vorliegenden Urteils – zu prüfen, ob die angefochtene Regelung tatsächlich die behaupteten legitimen Zielsetzungen des Allgemeininteresses verfolgt und ob sie geeignet ist, die Erreichung dieser Zielsetzungen zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist.

94

In diesem Kontext ist ferner darauf hinzuweisen, dass ein Mitgliedstaat neben den Rechtfertigungsgründen, die er geltend machen kann, geeignete Beweise oder eine Untersuchung zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von ihm erlassenen beschränkenden Maßnahme vorlegen sowie genaue Angaben zur Stützung seines Vorbringens machen muss (Urteil vom 26. Mai 2016, Kommission/Griechenland, C‑244/15, EU:C:2016:359, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

95

Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass die angefochtene Regelung, insofern als durch sie alle bestehenden Nießbrauchsrechte an landwirtschaftlichen Flächen mit Ausnahme von zugunsten naher Familienangehöriger des Eigentümers bestellten Nießbrauchsrechten erlöschen, nicht geeignet erscheint, die von Ungarn geltend gemachten Zielsetzungen zu verfolgen, zu denen sie keinen unmittelbaren Zusammenhang aufweist.

96

Ungarn hat nämlich nicht nachgewiesen, warum anhand der Art des Titels, den jemand an einer landwirtschaftlichen Fläche hat, ermittelt werden können soll, ob der Betroffene die Fläche selbst bewirtschaftet, in der Nähe der Fläche wohnt, diese zu etwaigen Spekulationszwecken erworben hat oder zur Entwicklung einer lebens‑ und wettbewerbsfähigen Landwirtschaft, insbesondere durch Verhinderung einer Zerstückelung der Agrarflächen, beitragen kann.

97

Wie der Gerichtshof bereits in Rn. 87 des Urteils vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth (C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157), entschieden hat, vermag das Bestehen des im vorliegenden Fall zwischen dem Nießbraucher und dem Eigentümer verlangten Verwandtschaftsverhältnisses nicht sicherzustellen, dass der Nießbraucher das betreffende Grundstück selbst bewirtschaftet und dass er das fragliche Nießbrauchsrecht nicht zu reinen Spekulationszwecken erworben hat. Gleichermaßen kann nicht von vornherein angenommen werden, dass ein nicht zur Familie des Eigentümers gehörender Dritter, der einen Nießbrauch an einem solchen Grundstück erworben hat, nicht in der Lage wäre, es selbst zu bewirtschaften, und dass der Erwerb zwangsläufig zu reinen Spekulationszwecken und ohne jede Bewirtschaftungsabsicht erfolgte.

98

Im Übrigen hat Ungarn auch nicht nachgewiesen, inwiefern das Erfordernis eines nahen Angehörigenverhältnisses geeignet sein soll, zur Unterstützung und Entwicklung einer lebens‑ und wettbewerbsfähigen Landwirtschaft – insbesondere durch Verhinderung einer Zerstückelung der Agrarflächen – beizutragen oder Landflucht und Abwanderung aus ländlichen Gebieten zu verhindern.

99

Zweitens geht die angefochtene Regelung jedenfalls über das hinaus, was zur Erreichung der von Ungarn behaupteten Zielsetzungen erforderlich ist.

100

Es hätten nämlich andere, die Freiheit des Kapitalverkehrs weniger einschränkende Maßnahmen als die in der angefochtenen Regelung vorgesehenen erlassen werden können, um sicherzustellen, dass das Bestehen eines Nießbrauchsrechts an einer landwirtschaftlich genutzten Fläche nicht die Einstellung ihrer Bewirtschaftung zur Folge hat. Insoweit wäre es z. B. möglich gewesen, vom Nießbraucher zu verlangen, dass er die landwirtschaftliche Nutzung beibehält, gegebenenfalls indem er selbst die Bewirtschaftung der betreffenden Fläche unter Bedingungen sicherstellt, die den Fortbestand der Bewirtschaftung gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 92 und 93).

101

Ungarn hat somit weder nachgewiesen, dass mit der angefochtenen Regelung tatsächlich die behaupteten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen betreffend die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen verfolgt würden, noch dass sie überhaupt geeignet wäre, die Erreichung dieser Zielsetzungen in kohärenter Weise zu gewährleisten, und sich auf die hierzu erforderlichen Maßnahmen beschränkte.

ii) Zur Rechtfertigung, es sei gegen die nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen verstoßen worden

102

Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV bestimmt, dass Art. 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten berührt, die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften zu verhindern, sowie Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen oder Maßnahmen zu ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt sind. Nach Art. 65 Abs. 3 AEUV dürfen solche Maßnahmen oder Verfahren jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital‑ und Zahlungsverkehrs im Sinne des Art. 63 AEUV darstellen.

103

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV als Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs eng auszulegen ist (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 96 und die dort angeführte Rechtsprechung).

104

Vorliegend macht Ungarn geltend, da die Erwerbe von Nießbrauchsrechten an landwirtschaftlichen Flächen vor dem 1. Januar 2002 stattgefunden hätten und von Gebietsfremden im Sinne der damals anwendbaren nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen getätigt worden seien, seien sie nach dieser Regelung von einer Genehmigung der ungarischen Nationalbank abhängig gewesen. Für solche Erwerbe seien indes nie derartige Devisengenehmigungen beantragt worden, weshalb die Erwerbe ungültig seien.

105

Hierzu ist erstens festzustellen, dass Ungarn – wie aus Rn. 76 des vorliegenden Urteils hervorgeht – nicht nachgewiesen hat, dass mit den von ihm herangezogenen nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen der Erwerb von Nießbrauchsrechten durch Gebietsfremde von einer Devisengenehmigung bei sonstiger Nichtigkeit des Erwerbs abhängig gemacht werden sollte. Ebenso wenig hat Ungarn nachgewiesen, dass der Erlass der angefochtenen Regelung vom Willen getragen war, Verstöße gegen die nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen abzustellen.

106

Zu dem ersten dieser beiden Aspekte ist außerdem festzustellen, dass – selbst wenn man annimmt, dass bestimmte kraft der angefochtenen Regelung erloschene Nießbrauchsrechte nur dann von Anfang an gültig waren, wenn eine Devisengenehmigung vorlag – die Kommission dem Gerichtshof Auszüge aus dem Gutachten Nr. 1/2010 vom 28. Juni 2010 und einem Urteil (Rechtssache BH2000.556) der Kúria (Oberster Gerichtshof) vorgelegt hat, aus deren Wortauslegung sich ergibt, dass nach der Bestimmung des § 237 Abs. 2 des Gesetzes Nr. IV von 1959 zur Einführung des Zivilgesetzbuchs, die in Kraft war, als die geltend gemachten nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen aufgehoben wurden, ab dem Zeitpunkt, zu dem eine Genehmigung für den Abschluss eines Vertrags nicht mehr erforderlich ist, ein ohne Genehmigung geschlossener Vertrag als endgültig und gültig geschlossen anzusehen ist.

107

In Bezug auf den zweiten Aspekt ist darauf hinzuweisen, dass die angefochtene Regelung das systematische Erlöschen der Nießbrauchsrechte an landwirtschaftlichen Flächen vorsieht, die Personen ohne nachgewiesenes nahes Angehörigenverhältnis zum Eigentümer des betreffenden Grundstücks innehaben. Dieses Verwandtschaftskriterium steht jedoch in keinem Zusammenhang mit den nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen. Außerdem ist – wie insbesondere aus Rn. 42 des vorliegenden Urteils hervorgeht – unstrittig, dass kraft der angefochtenen Regelung nicht nur Nießbrauchsrechte von Gebietsfremden erlöschen, sondern auch solche von natürlichen und juristischen Personen mit Wohnsitz bzw. Sitz in Ungarn, die jedoch nicht den geltend gemachten nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen unterliegen.

108

Zweitens stellt das Ex-lege-Erlöschen von seit Langem in den Grundbüchern eingetragenen Nießbrauchsrechten, die mehr als zehn Jahre nach der Aufhebung der genannten nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen erfolgt, jedenfalls keine verhältnismäßige Maßnahme dar. Es hätten nämlich andere Maßnahmen mit weniger weitgehenden Wirkungen, wie z. B. Geldbußen, erlassen werden können, um eventuelle Verstöße gegen die nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen ab initio zu ahnden (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 106 und die dort angeführte Rechtsprechung).

109

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen hat Ungarn weder nachgewiesen, dass die geltend gemachten nationalen Vorschriften über Devisenkontrollen die Gültigkeit der von der angefochtenen Regelung betroffenen Nießbrauchsrechte beeinträchtigen konnten, noch dass die angefochtene Regelung erlassen wurde, um etwaige Verstöße gegen die Vorschriften über Devisenkontrollen abzustellen, oder gar dass das Erlöschen von Nießbrauchsrechten kraft der angefochtenen Regelung – angenommen, diese hätte tatsächlich eine solche Zielsetzung gehabt – in angemessenem Verhältnis zu dieser Zielsetzung stünde und nach Art. 65 AEUV zulässig wäre.

iii) Zur Rechtfertigung durch die zum Schutz der öffentlichen Ordnung erfolgende Bekämpfung von Praktiken zur Umgehung des nationalen Rechts

110

Wie in Rn. 102 des vorliegenden Urteils erwähnt, bestimmt Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV u. a., dass Art. 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten berührt, Maßnahmen zu ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt sind.

111

Im vorliegenden Fall bringt Ungarn vor, dass die kraft der angefochtenen Regelung erloschenen Nießbrauchsrechte durch Umgehung des rechtlichen Verbots für natürliche Personen aus anderen Mitgliedstaaten und juristische Personen, Eigentum an landwirtschaftlichen Flächen zu erwerben, erworben worden seien und daher von Anfang an nichtig gewesen seien, weshalb der ungarische Gesetzgeber beschlossen habe, solche Missbräuche ex lege abzustellen.

112

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in Bezug auf die Bekämpfung von Praktiken, mit denen das nationale Recht umgangen werden soll, der Gerichtshof zwar bereits anerkannt hat, dass eine Maßnahme, die eine Grundfreiheit beschränkt, gegebenenfalls gerechtfertigt sein kann, wenn mit ihr rein künstliche Gestaltungen bekämpft werden sollen, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der betreffenden nationalen Rechtsvorschriften zu entgehen (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 114 und die dort angeführte Rechtsprechung).

113

Als Erstes hat Ungarn jedoch – wie bereits in den Rn. 76 bis 80 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist – nicht nachgewiesen, dass die von der angefochtenen Regelung betroffenen Nießbrauchsrechte – d. h. jene, die vor 2002 zugunsten von juristischen Personen und von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten an landwirtschaftlichen Flächen bestellt wurden – nach dem anwendbaren nationalen Recht wegen der Umgehung bestimmter Vorschriften dieses Rechts ungültig waren.

114

Als Zweites ist eine Rechtfertigung wie die oben in Rn. 112 erwähnte nach der Rechtsprechung nur dann zulässig, wenn sie sich speziell auf die künstlichen Gestaltungen bezieht, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der betreffenden nationalen Rechtsvorschriften zu entgehen. Dies schließt insbesondere jede Aufstellung einer allgemeinen Vermutung missbräuchlicher Praktiken als ausreichende Rechtfertigung für eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs aus (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 115 und 116 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

115

Eine Maßnahme, mit der die spezielle Zielsetzung der Bekämpfung rein künstlicher Gestaltungen verfolgt wird, steht vielmehr nur dann mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang, wenn sie es den nationalen Gerichten ermöglicht, eine Einzelfallprüfung unter Einbeziehung der Besonderheiten jedes Falles durchzuführen und dabei die Berücksichtigung von missbräuchlichem oder betrügerischem Verhalten der betroffenen Personen auf objektive Elemente zu stützen (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 117 und die dort angeführte Rechtsprechung).

116

Es ist jedoch festzustellen, dass die angefochtene Regelung keiner der oben in den Rn. 114 und 115 genannten Anforderungen genügt.

117

Erstens enthält das in Rn. 78 des vorliegenden Urteils erwähnte Urteil Nr. 25 des Alkotmánybíróság (Verfassungsgericht) vom 21. Juli 2015 keine Feststellung eines Missbrauchs seitens der Inhaber der betreffenden Nießbrauchsrechte und wird darin betont, dass das Erlöschen dieser Nießbrauchsrechte kraft der angefochtenen Regelung vor allem für erforderlich erachtet wurde, um die mit der neuen rechtlichen Regelung verfolgte nationale strategische Zielsetzung zu erreichen, wonach Anbauflächen ausschließlich im Eigentum der natürlichen Personen stehen sollten, die sie bewirtschaften.

118

Unter diesen Umständen ist nicht nachgewiesen worden, dass mit der angefochtenen Regelung die besondere Zielsetzung verfolgt wird, Verhaltensweisen in Form künstlicher Gestaltungen zu bekämpfen, die darauf ausgerichtet gewesen sein sollen, der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften über den Erwerb landwirtschaftlicher Flächen zu entgehen.

119

Zweitens kann jedenfalls aus dem bloßen Umstand, dass der Inhaber eines Nießbrauchsrechts an einer landwirtschaftlichen Fläche eine juristische Person oder eine natürliche Person ohne nahes Angehörigenverhältnis mit dem Eigentümer dieser Fläche ist, bei vernünftiger Betrachtung nicht geschlossen werden, dass eine solche Person beim Erwerb eines solchen Nießbrauchsrechts missbräuchlich handelte. Wie in Rn. 114 des vorliegenden Urteils erwähnt, ist die Aufstellung einer allgemeinen Vermutung missbräuchlicher Praktiken nicht zulässig (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 121).

120

So könnten andere, den freien Kapitalverkehr weniger einschränkende Maßnahmen wie Sanktionen oder spezielle Nichtigkeitsklagen vor dem nationalen Gericht zur Bekämpfung etwaiger erwiesener Umgehungen der anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften in Betracht gezogen werden, sofern die übrigen dem Unionsrecht zu entnehmenden Erfordernisse eingehalten werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 122).

121

Insoweit kann dem auf haushaltsrechtliche Gründe und auf Gründe des wirtschaftlichen Einsatzes von Mitteln der Justiz gestützten Vorbringen Ungarns nicht gefolgt werden. Nach ständiger Rechtsprechung können nämlich Motive rein wirtschaftlicher Art keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses darstellen, die eine Beschränkung einer vom Vertrag garantierten Grundfreiheit rechtfertigen können. Das Gleiche gilt für rein administrative Erwägungen (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 123 und die dort angeführte Rechtsprechung).

122

Daraus folgt, dass die mit der angefochtenen Regelung verbundene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs nicht mit der Absicht gerechtfertigt werden kann, rein künstliche Gestaltungen zu bekämpfen, deren Ziel darin bestanden haben soll, den für den Erwerb landwirtschaftlicher Flächen geltenden nationalen Rechtsvorschriften zu entgehen.

iv) Zum Fehlen von Gründen des öffentlichen Interesses und einer Entschädigungsregelung im Sinne von Art. 17 der Charta

123

Was die Entziehung von Eigentum im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der Charta betrifft, die sich aus dem Erlöschen der betreffenden Nießbrauchsrechte ergibt, ist angesichts der in den Rn. 87 bis 89 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen an die Zulässigkeit einer solchen Entziehung hinzuzufügen, dass das Erlöschen gesetzlich vorgesehen ist.

124

Außerdem können dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen betreffend die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen – wie sie in den Rn. 91 und 92 des vorliegenden Urteils genannt sind – oder Zielsetzungen wie etwa die Abstellung von Verstößen gegen nationale Vorschriften über Devisenkontrollen oder die Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken, mit denen anwendbare nationale Rechtsvorschriften umgangen werden sollen, zwar unter einen Grund oder mehrere Gründe des öffentlichen Interesses im Sinne der genannten Bestimmung fallen, jedoch ergibt sich aus Rn. 101 des vorliegenden Urteils, dass Ungarn im vorliegenden Fall in keiner Weise nachgewiesen hat, dass mit dem Ex-lege-Erlöschen der Nießbrauchsrechte kraft der angefochtenen Regelung tatsächlich die genannten Zielsetzungen betreffend die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen verfolgt werden oder gar dass das Erlöschen zur Erreichung der Zielsetzungen geeignet oder hierzu erforderlich wäre. Darüber hinaus kann unter Berücksichtigung der Feststellungen in den Rn. 109 bzw. 122 des vorliegenden Urteils auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein Erlöschen von Nießbrauchsrechten, wie es kraft der angefochtenen Regelung ex lege eintritt, zwecks Abstellung von Verstößen gegen die nationalen Rechtsvorschriften über Devisenkontrollen oder Bekämpfung solcher missbräuchlichen Praktiken erfolgt ist (mangels Nachweises derartiger Verstöße und Praktiken) oder gar, dass es dem in Rn. 89 des vorliegenden Urteils genannten Erfordernis der Verhältnismäßigkeit genügte.

125

Jedenfalls genügt die angefochtene Regelung nicht der Anforderung nach Art. 17 Abs. 1 Satz 2 der Charta, dass bei der Entziehung von Eigentum, wie beispielsweise dem Verlust der betreffenden Nießbrauchsrechte, rechtzeitig eine angemessene Entschädigung gezahlt werden muss.

126

Nach dem Wortlaut der genannten Bestimmung darf Eigentum nur „in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums“ entzogen werden, so dass die Entschädigung – die somit eine der Bedingungen der Charta für die Enteignung ist – gesetzlich vorgesehen sein muss. Daraus folgt, dass eine nationale Rechtsvorschrift, die zu einer Entziehung von Eigentum führt, klar und genau vorsehen muss, dass diese Entziehung einen Anspruch auf eine Entschädigung begründet und welche Bedingungen für sie gelten. Es ist jedoch festzustellen, dass die angefochtene Regelung keine Bestimmung enthält, die die Entschädigung enteigneter Inhaber von Nießbrauchsrechten vorsieht und die entsprechenden Modalitäten regelt.

127

Insoweit genügt der von Ungarn in seiner Klagebeantwortung vorgebrachte Verweis auf die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften nicht den Anforderungen von Art. 17 Abs. 1 der Charta. Auch wenn es einem Mitgliedstaat im Licht dieser Bestimmung rechtlich möglich wäre, die Entschädigung für die Entziehung von Eigentum, für die er selbst allein verantwortlich ist, Privatpersonen zu überlassen, ist festzustellen, dass mit einem solchen Verweis im vorliegenden Fall den Inhabern von Nießbrauchsrechten die Last auferlegt würde, eine ihnen möglicherweise vom Eigentümer des Grundstücks geschuldete Entschädigung mittels Verfahren, die sich als langwierig und kostspielig erweisen können, zu erhalten. Solche zivilrechtlichen Vorschriften ermöglichen es nicht, leicht und mit hinreichender Genauigkeit oder Vorhersehbarkeit festzustellen, ob am Ende eines solchen Verfahrens tatsächlich eine Entschädigung erlangt werden kann und welche Form und Höhe sie gegebenenfalls hat.

128

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK ergibt, dass die Enteignung des Vermögens einer Person auf einem Verfahren beruhen muss, das eine umfassende Beurteilung der Folgen der Enteignung gewährleistet, nämlich die Gewährung einer Entschädigung im Verhältnis zum Wert des enteigneten Vermögens, die Bestimmung der Entschädigungsberechtigten und alle weiteren Fragen im Zusammenhang mit der Enteignung (Urteil des EGMR vom 9. Oktober 2003, Biozokat A. E./Griechenland, CE:ECHR:2003:1009JUD006158200, § 29).

129

Unter Berücksichtigung der Erwägungen in den Rn. 123 bis 128 des vorliegenden Urteils ist festzustellen, dass die Entziehung des Eigentums kraft der angefochtenen Regelung nicht durch einen Grund des öffentlichen Interesses gerechtfertigt ist und im Übrigen auch nicht von einer Regelung zur Zahlung einer angemessenen und rechtzeitigen Entschädigung begleitet wird. Folglich verletzt die angefochtene Regelung das durch Art. 17 Abs. 1 der Charta garantierte Eigentumsrecht.

c)   Ergebnis

130

Nach alledem ist zum einen festzustellen, dass Ungarn nicht nachgewiesen hat, dass das kraft der angefochtenen Regelung eintretende Erlöschen von Nießbrauchsrechten, die unmittelbar oder mittelbar Angehörige anderer Mitgliedstaaten als Ungarn innehaben, darauf gerichtet ist, die Erreichung dem Gemeinwohl dienender Zielsetzungen zu gewährleisten, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt oder in Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV genannt sind, dass dieses Erlöschen geeignet und kohärent ist und dass es sich auf die zur Erreichung solcher Zielsetzungen erforderlichen Maßnahmen beschränkt. Zum anderen steht dieses Erlöschen nicht im Einklang mit Art. 17 Abs. 1 der Charta. Folglich können die Hindernisse für den freien Kapitalverkehr, die sich aus der Enteignung von Gütern ergeben, die mit Kapital erworben wurden, das durch Art. 63 AEUV geschützt wird, nicht gerechtfertigt werden.

131

Somit ist festzustellen, dass Ungarn durch den Erlass der angefochtenen Regelung und das damit ex lege eintretende Erlöschen der Nießbrauchsrechte, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar an landwirtschaftlichen Flächen in Ungarn innehaben, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 63 AEUV in Verbindung mit Art. 17 der Charta verstoßen hat.

Kosten

132

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da Ungarn mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Ungarn hat durch den Erlass von § 108 Abs. 1 des Mező- és erdőgazdasági földek forgalmáról szóló 2013. évi CXXII. törvénnyel összefüggő egyes rendelkezésekről és átmeneti szabályokról szóló 2013. évi CCXII. törvény (Gesetz Nr. CCXII von 2013 mit verschiedenen Vorschriften und Übergangsregelungen betreffend das Gesetz Nr. CXXII von 2013 betreffend den Verkauf land‑ und forstwirtschaftlicher Flächen) und das damit ex lege eintretende Erlöschen der Nießbrauchsrechte, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar an land- und forstwirtschaftlichen Flächen in Ungarn innehaben, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 63 AEUV in Verbindung mit Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßen.

 

2.

Ungarn trägt die Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.