GUTACHTEN 1/17 DES GERICHTSHOFS (Plenum)
30. April 2019
„Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV – Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (CETA) – Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten (ISDS) – Einsetzung eines Gerichts und einer Rechtsbehelfsinstanz – Vereinbarkeit mit dem Primärrecht der Union – Erfordernis der Beachtung der Autonomie der Rechtsordnung der Union – Von den Organen der Union gemäß deren verfassungsrechtlichem Rahmen festgelegtes Niveau des Schutzes öffentlicher Interessen – Gleichbehandlung von Investoren aus Kanada und aus der Union – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 20 – Zugang zu dem Gericht und der Rechtsbehelfsinstanz und Unabhängigkeit dieser Gerichte – Art. 47 der Charta – Finanzielle Zugänglichkeit – Verpflichtung, die finanzielle Zugänglichkeit für natürliche Personen und kleine und mittlere Unternehmen zu gewährleisten – Externer und interner Aspekt des Erfordernisses der Unabhängigkeit – Ernennung, Vergütung und Verhaltenspflichten der Mitglieder der Gerichte – Rolle des Gemischten CETA-Ausschusses – Verbindliche Auslegungen des CETA durch den Gemischten CETA-Ausschuss“
Inhaltsverzeichnis
I. Gutachtenantrag |
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II. CETA |
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A. Unterzeichnung des CETA und geplante Schaffung eines Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten |
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B. Begriffe „Investition“ und „Investor“ |
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C. Geltungsbereich des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus |
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D. Anwendbares Recht |
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E. Verfahrensvorschriften |
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F. Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz |
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G. Gemischter CETA-Ausschuss und Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen |
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H. Fehlende unmittelbare Wirkung des CETA in den Rechtsordnungen der Vertragsparteien |
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I. Gemeinsames Auslegungsinstrument und Erklärung Nr. 36 |
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III. Zusammenfassung des Gutachtenantrags des Königreichs Belgien |
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A. Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit der Autonomie der Rechtsordnung der Union |
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B. Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung und dem Gebot der Wirksamkeit |
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C. Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht |
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IV. Zusammenfassung der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen |
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A. Zur Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit der Autonomie der Rechtsordnung der Union |
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B. Zur Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung und mit dem Gebot der Wirksamkeit |
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C. Zur Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht |
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V. Stellungnahme des Gerichtshofs |
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A. Zur Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit der Autonomie der Rechtsordnung der Union |
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1. Grundsätze |
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2. Zu der fehlenden Zuständigkeit, andere Vorschriften des Unionsrechts als die Vorschriften des CETA auszulegen und anzuwenden |
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3. Zum Fehlen von Auswirkungen auf das Funktionieren der Unionsorgane gemäß ihrem verfassungsrechtlichen Rahmen |
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B. Zur Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung und dem Gebot der Wirksamkeit |
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1. Grundsätze |
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2. Zur Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung |
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3. Zur Vereinbarkeit mit dem Gebot der Wirksamkeit |
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C. Zur Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht |
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1. Grundsätze |
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2. Zur Vereinbarkeit mit dem Erfordernis der Zugänglichkeit |
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3. Zur Vereinbarkeit mit dem Erfordernis der Unabhängigkeit |
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VI. Antwort auf den Gutachtenantrag |
In dem Gutachtenverfahren 1/17
betreffend einen Gutachtenantrag nach Art. 218 Abs. 11 AEUV, eingereicht am 7. September 2017 vom Königreich Belgien,
erstattet
DER GERICHTSHOF (Plenum)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot und A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan und T. von Danwitz, der Kammerpräsidentin C. Toader, des Kammerpräsidenten F. Biltgen, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe und des Kammerpräsidenten C. Lycourgos sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, M. Ilešič (Berichterstatter), J. Malenovský, E. Levits, L. Bay Larsen, M. Safjan, D. Šváby, C. G. Fernlund, C. Vajda und S. Rodin,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: M.‑A. Gaudissart, Beigeordneter Kanzler,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
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des Königreichs Belgien, vertreten durch C. Pochet, L. Van den Broeck, M. Jacobs und J.‑C. Halleux als Bevollmächtigte, |
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der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann-Lindegren als Bevollmächtigten, |
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der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und S. Eisenberg als Bevollmächtigte, |
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der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte, |
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der griechischen Regierung, vertreten durch G. Karipsiadis und K. Boskovits als Bevollmächtigte, |
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der spanischen Regierung, vertreten durch M. A. Sampol Pucurull und S. Centeno Huerta als Bevollmächtigte, |
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der französischen Regierung, vertreten durch F. Alabrune, D. Colas, D. Segoin und E. de Moustier als Bevollmächtigte, |
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der litauischen Regierung, vertreten durch R. Dzikovič und D. Kriaučiūnas als Bevollmächtigte, |
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der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und M. A. M. de Ree als Bevollmächtigte, |
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der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse und J. Schmoll als Bevollmächtigte, |
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der slowenischen Regierung, vertreten durch N. Pintar Gosenca, V. Klemenc, J. Groznik, A. Dežman Mušič und M. Jakše als Bevollmächtigte, |
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der slowakischen Regierung, vertreten durch M. Kianička als Bevollmächtigten, |
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der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski und H. Leppo als Bevollmächtigte, |
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der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, A. Alriksson und P. Smith als Bevollmächtigte, |
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des Rates der Europäischen Union, vertreten durch B. Driessen und S. Boelaert als Bevollmächtigte, |
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der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Vidal Puig, A. Buchet, B. De Meester und U. Wölker als Bevollmächtigte, |
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. Januar 2019
folgendes
Gutachten
I. Gutachtenantrag
1 |
Das Königreich Belgien ersucht den Gerichtshof um ein Gutachten zu folgender Frage: „Ist das am 30. Oktober 2016 in Brüssel unterzeichnete umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits [(ABl. 2017, L 11, S. 23, im Folgenden: CETA)] in seinem Kapitel acht (‚Investitionen‘) Abschnitt F (‚Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten‘) mit den Verträgen – einschließlich der Grundrechte – vereinbar?“ |
II. CETA
A. Unterzeichnung des CETA und geplante Schaffung eines Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten
2 |
Das CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) ist ein Freihandelsabkommen, das neben den Vorschriften über den Abbau von Zöllen und nicht tarifären Handelshemmnissen, die den Handel mit Gütern und Dienstleistungen beeinträchtigen, insbesondere Vorschriften zu den Bereichen Investitionen, öffentliche Beschaffungen, Wettbewerb, Schutz geistigen Eigentums und nachhaltige Entwicklung enthält. |
3 |
Das CETA ist noch nicht im Sinne von Art. 218 Abs. 6 AEUV geschlossen. In dem Beschluss (EU) 2017/37 des Rates vom 28. Oktober 2016 über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (ABl. 2017, L 11, S. 1) heißt es hierzu im zweiten Erwägungsgrund, dass das Abkommen „vorbehaltlich des Abschlusses der für seinen Abschluss erforderlichen Verfahren zu einem späteren Zeitpunkt“ unterzeichnet werden sollte. Mit Art. 1 des Beschlusses wird die Unterzeichnung des Abkommens im Namen der Union „vorbehaltlich seines Abschlusses genehmigt“. |
4 |
Nach dem Beschluss (EU) 2017/38 des Rates vom 28. Oktober 2016 über die vorläufige Anwendung des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (ABl. 2017, L 11, S. 1080) sind viele Vorschriften des CETA nur vorläufig anwendbar. Dies gilt nicht für die Vorschriften von Kapitel acht Abschnitt F des CETA, die Gegenstand des vorliegenden Gutachtenantrags sind. Zu Kapitel acht des CETA bestimmt Art. 1 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2017/38 nämlich, dass „[n]ur [die Artikel 8.1 bis 8.8, Artikel 8.13, Artikel 8.15 mit Ausnahme von dessen Absatz 3 und Artikel 8.16] … vorläufig angewendet [werden], und nur soweit ausländische Direktinvestitionen betroffen sind“. |
5 |
Mit Kapitel acht Abschnitt F des CETA (Art. 8.18 bis 8.45) soll ein Mechanismus der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten (Investor-State Dispute Settlement, ISDS) (im Folgenden: ISDS-Mechanismus) eingerichtet werden. |
6 |
Hierzu sollen nach dem CETA ein Gericht (im Folgenden: Gericht oder CETA-Gericht) (Art. 8.27 CETA) und eine Rechtsbehelfsinstanz (im Folgenden: Rechtsbehelfsinstanz oder CETA-Rechtsbehelfsinstanz) (Art. 8.28 CETA) eingesetzt werden, das Gericht bereits bei Inkrafttreten des CETA. |
7 |
Im CETA ist ferner die spätere Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs mit Rechtsbehelfsinstanz (im Folgenden: multilateraler Investitionsgerichtshof) (Art. 8.29 CETA) vorgesehen, womit die Tätigkeit des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz enden soll. |
8 |
Wie es in der Erklärung der Kommission und des Rates zum Investitionsschutz und zum Investitionsgerichtshof (Erklärung Nr. 36 für das Protokoll des Rates über die Unterzeichnung des CETA im Anhang des Beschlusses 2017/37, ABl. 2017, L 11, S. 20, im Folgenden: Erklärung Nr. 36) heißt, soll also letztendlich ein System der Investitionsgerichtsbarkeit (Investment Court System, ICS) geschaffen werden und sollen das CETA-Gericht und die CETA-Rechtsbehelfsinstanz einen Schritt zur Schaffung des ICS darstellen. |
B. Begriffe „Investition“ und „Investor“
9 |
Nach Art. 8.1 CETA bezeichnet der Ausdruck „Investition“ im Sinne des Abkommens „Vermögenswerte jeder Art, die direkt oder indirekt im Eigentum oder unter der Kontrolle eines Investors stehen und die Merkmale einer Investition aufweisen; hierzu gehören eine gewisse Dauer und andere Merkmale wie die Bindung von Kapital oder anderen Ressourcen, die Erwartung von Wertzuwachs oder Gewinn oder die Übernahme von Risiken. Zu den Formen, die eine Investition annehmen kann, zählen:
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10 |
Nach Art. 8.1 CETA bezeichnet der Begriff „erfasste Investition“„in Bezug auf eine Vertragspartei eine Investition
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11 |
Der Begriff „Investor“ wird in Art. 8.1 CETA definiert als „eine Vertragspartei, eine natürliche Person oder ein Unternehmen einer Vertragspartei – ausgenommen Zweigniederlassungen oder Repräsentanzen –, die oder das eine Investition im Gebiet der anderen Vertragspartei tätigen möchte, tätigt oder getätigt hat[.] Für die Zwecke dieser Begriffsbestimmung bezeichnet der Ausdruck Unternehmen einer Vertragspartei
… [N]atürliche Person [bezeichnet]
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C. Geltungsbereich des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus
12 |
Kapitel acht Abschnitt F des CETA trägt zwar den Titel „Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten“, gilt aber auch für Streitigkeiten zwischen kanadischen Investoren und der Union. |
13 |
Nach Art. 8.21 CETA muss ein kanadischer Investor, wenn er beabsichtigt, eine Klage einzureichen, der Union „ein Ersuchen um Feststellung des Beklagten“ übermitteln, in dem die Maßnahmen anzugeben sind, in Bezug auf die er eine Klage anzustrengen beabsichtigt. Die Union hat dann dem Investor mitzuteilen, „ob es sich bei dem Beklagten um die … Union oder um einen Mitgliedstaat … handelt“. |
14 |
Art. 8.18 CETA („Geltungsbereich“) bestimmt in seinem Abs. 1 die Klagen, die gemäß dem im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus von Investoren eingereicht werden können, wie folgt: „[E]in Investor einer Vertragspartei [kann] bei dem nach diesem Abschnitt eingesetzten Gericht Klage gegen die andere Vertragspartei einreichen wegen Verletzung einer Pflicht
wenn der Investor geltend macht, infolge des vorgeblichen Verstoßes einen Verlust oder Schaden erlitten zu haben.“ |
15 |
Kapitel acht Abschnitt C („Diskriminierungsfreie Behandlung“) enthält die Art. 8.6 bis 8.8 CETA. In ihnen ist bestimmt: „Artikel 8.6 Inländerbehandlung … Jede Vertragspartei gewährt einem Investor der anderen Vertragspartei und einer erfassten Investition eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die Behandlung, die sie ihren eigenen Investoren und deren Investitionen in vergleichbaren Situationen in Bezug auf die Niederlassung, den Erwerb, die Ausweitung, die Leitung, den Betrieb, die Verwaltung, die Aufrechterhaltung, die Verwendung, die Nutzung und den Verkauf ihrer Investitionen oder die Verfügung darüber in ihrem Gebiet gewährt. … Artikel 8.7 Meistbegünstigung … Jede Vertragspartei gewährt einem Investor der anderen Vertragspartei und einer erfassten Investition eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die Behandlung, die sie Investoren eines Drittlands und deren Investitionen in vergleichbaren Situationen in Bezug auf die Niederlassung, den Erwerb, die Ausweitung, die Leitung, den Betrieb, die Verwaltung, die Aufrechterhaltung, die Verwendung, die Nutzung und den Verkauf ihrer Investitionen oder die Verfügung darüber in ihrem Gebiet gewährt. … Artikel 8.8 Höheres Management und Leitungs- und Kontrollorgane Eine Vertragspartei darf nicht verlangen, dass ein Unternehmen dieser Vertragspartei, bei dem es sich gleichzeitig um eine erfasste Investition handelt, Positionen im höheren Management oder im Leitungs- beziehungsweise Kontrollorgan mit natürlichen Personen einer bestimmten Staatsangehörigkeit besetzt.“ |
16 |
Nach Art. 28.3 Abs. 2 CETA sind die Vorschriften von Kapitel acht Abschnitt C des CETA „nicht dahingehend auszulegen, dass [sie] die Annahme oder Durchsetzung von Maßnahmen einer Vertragspartei verhinder[n], die zu folgenden Zwecken erforderlich sind: … zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Moral … zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung … zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen“ – „unter der Voraussetzung, dass diesbezügliche Maßnahmen nicht so angewandt werden, dass sie zu einer willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen den Vertragsparteien bei gleichen Voraussetzungen oder zu einer verschleierten Beschränkung des Handels mit Dienstleistungen führen“. |
17 |
Kapitel acht Abschnitt D („Investitionsschutz“) des CETA enthält die Art. 8.9 bis 8.14. In diesen ist bestimmt: „Artikel 8.9 Investitionen und Regulierungsmaßnahmen (1) Für die Zwecke dieses Kapitels bekräftigen die Vertragsparteien ihr Recht, zur Erreichung legitimer politischer Ziele wie des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, Sicherheit, des Schutzes der Umwelt oder der öffentlichen Sittlichkeit, des Sozial- oder Verbraucherschutzes oder der Förderung und des Schutzes der kulturellen Vielfalt in ihrem jeweiligen Gebiet Regelungen zu erlassen. (2) Zur Klarstellung: Die bloße Tatsache, dass eine Vertragspartei – auch durch Änderung ihrer Gesetze – Regelungen in einer Art und Weise trifft, die sich auf eine Investition negativ auswirkt oder die Erwartungen eines Investors, einschließlich seiner Gewinnerwartungen, beeinträchtigt, stellt keinen Verstoß gegen eine Verpflichtung aus diesem Abschnitt dar. … (4) Zur Klarstellung: Dieser Abschnitt ist weder dahin gehend auszulegen, dass er eine Vertragspartei daran hindert, eine Subvention zu streichen oder ihre Rückerstattung zu fordern, …, noch dahin gehend, dass die betreffende Vertragspartei den Investor dafür entschädigen muss. Artikel 8.10 Behandlung von Investoren und erfassten Investitionen (1) Nach Maßgabe der Absätze 2 bis 7 gewährt jede Vertragspartei in ihrem Gebiet den erfassten Investitionen der anderen Vertragspartei sowie Investoren in Bezug auf ihre erfassten Investitionen eine gerechte und billige Behandlung sowie vollen Schutz und volle Sicherheit. (2) Eine Vertragspartei verstößt gegen die Verpflichtung zu der in Absatz 1 genannten gerechten und billigen Behandlung, wenn eine Maßnahme oder Reihe von Maßnahmen Folgendes darstellt:
(3) Die Vertragsparteien überprüfen regelmäßig oder auf Ersuchen einer Vertragspartei den Inhalt der Verpflichtung zur gerechten und billigen Behandlung. Der … Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen kann diesbezügliche Empfehlungen erarbeiten und sie dem Gemischten CETA-Ausschuss zur Beschlussfassung vorlegen. (4) Bei Anwendung der oben dargelegten Verpflichtung zur gerechten und billigen Behandlung kann das Gericht berücksichtigen, ob eine Vertragspartei gegenüber einem Investor eine spezifische Erklärung abgegeben hat, um ihn zur Vornahme einer erfassten Investition zu bewegen, die eine berechtigte Erwartung begründet … hat … (5) Zur Klarstellung: Der Ausdruck ‚voller Schutz und volle Sicherheit‘ bezieht sich auf die Pflichten der Vertragspartei in Bezug auf die physische Sicherheit der Investoren und erfassten Investitionen. (6) Zur Klarstellung: Ein Verstoß gegen eine andere Bestimmung dieses Abkommens oder einer gesonderten internationalen Übereinkunft bedeutet nicht, dass ein Verstoß gegen diesen Artikel vorliegt. (7) Zur Klarstellung: Die Tatsache, dass eine Maßnahme gegen innerstaatliches Recht verstößt, bedeutet nicht per se einen Verstoß gegen diesen Artikel. Um festzustellen, ob die Maßnahme gegen diesen Artikel verstößt, muss das Gericht prüfen, ob eine Vertragspartei gegen die in Absatz 1 festgelegten Pflichten verstoßen hat. Artikel 8.11 Entschädigung für Verluste … [J]ede Vertragspartei [gewährt] den Investoren der anderen Vertragspartei, bei deren erfassten Investitionen aufgrund von bewaffneten Konflikten, Unruhen, einem Notstandsfall oder einer Naturkatastrophe in ihrem Gebiet Verluste entstehen, … eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die Behandlung, die sie ihren eigenen Investoren … gewährt … Artikel 8.12 Enteignung (1) Eine Vertragspartei darf eine erfasste Investition weder direkt verstaatlichen oder enteignen noch indirekt durch Maßnahmen gleicher Wirkung wie Verstaatlichung oder Enteignung (im Folgenden ‚Enteignung‘), es sei denn, dies geschieht
Es wird klargestellt, dass dieser Absatz im Einklang mit Anhang 8-A auszulegen ist. … Artikel 8.13 Transfers (1) Die Vertragsparteien gestatten, dass sämtliche Transfers im Zusammenhang mit einer erfassten Investition ohne Beschränkung oder Verzögerung in einer frei konvertierbaren Währung zu dem am Tag des Transfers am Markt geltenden Wechselkurs erfolgen. Zu solchen Transfers zählen:
… (2) Eine Vertragspartei darf weder verlangen, dass ihre Investoren die Einnahmen, Einkünfte, Gewinne oder sonstigen Gelder, die von Investitionen im Gebiet der anderen Vertragspartei herrühren oder diesen zuzurechnen sind, transferieren, noch sie dafür bestrafen, wenn sie dies nicht tun. (3) Dieser Artikel ist nicht dahin gehend auszulegen, dass er eine Vertragspartei daran hindert, in billiger und diskriminierungsfreier Art und Weise und ohne dass dies eine verschleierte Transferbeschränkung darstellt, ihre für folgende Bereiche geltenden Gesetze anzuwenden:
Artikel 8.14 Übergang von Rechten Leistet eine Vertragspartei oder eine Stelle einer Vertragspartei aufgrund einer von ihr übernommenen Abfindungsverpflichtung oder Garantie oder eines von ihr eingegangenen Versicherungsvertrags in Bezug auf eine Investition, die durch einen ihrer Investoren im Gebiet der anderen Vertragspartei getätigt wurde, eine Zahlung, so erkennt die andere Vertragspartei an, dass der Vertragspartei oder ihrer Stelle bezüglich der Investition in allen Fällen dieselben Rechte zustehen wie dem Investor. …“ |
18 |
Anhang 8-A des CETA, auf den in Art. 8.12 Abs. 1 CETA verwiesen wird, lautet: „Die Vertragsparteien bekräftigen ihr Einvernehmen über folgende Aspekte: 1. Eine Enteignung kann direkt oder indirekt erfolgen:
2. Die Entscheidung darüber, ob eine Maßnahme oder Reihe von Maßnahmen einer Vertragspartei in einer bestimmten Situation eine indirekte Enteignung darstellt, bedarf einer einzelfallorientierten und faktenbasierten Untersuchung, die unter anderem folgende Faktoren berücksichtigt:
3. Zur Klarstellung gilt, dass diskriminierungsfreie Maßnahmen einer Vertragspartei, die zu dem Zweck konzipiert und angewendet werden, den Schutz berechtigter Gemeinwohlziele wie öffentliche Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz zu gewährleisten, keine indirekte Enteignung darstellen; davon ausgenommen sind die seltenen Fälle, in denen die Auswirkungen einer Maßnahme oder einer Reihe von Maßnahmen unter Berücksichtigung ihres Zweckes so schwerwiegend sind, dass sie offenkundig überzogen erscheinen.“ |
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Sofern nichts anderes bestimmt ist, bezeichnet nach Art. 1.1 CETA für die Zwecke dieses Abkommens der Ausdruck „Maßnahme“„ein Gesetz, eine sonstige Vorschrift, eine Regel, ein Verfahren, einen Beschluss, Verwaltungshandeln, eine Auflage, eine Praxis oder jede andere Form von Maßnahme einer Vertragspartei“. |
20 |
In Art. 8.2 CETA ist bestimmt: „(1) [Kapitel acht] gilt für von einer Vertragspartei in ihrem Gebiet eingeführte oder aufrechterhaltene Maßnahmen
… (4) Klagen können … gemäß den Verfahren des Abschnitts F eingereicht werden. … Klagen im Rahmen des Abschnitts C in Bezug auf die Niederlassung oder den Erwerb einer erfassten Investition sind vom Geltungsbereich des Abschnitts F ausgenommen. Abschnitt D gilt nur für erfasste Investitionen und für Investoren in Bezug auf ihre erfassten Investitionen. …“ |
D. Anwendbares Recht
21 |
Art. 8.31 CETA bestimmt: „(1) Das nach diesem Abschnitt eingesetzte Gericht wendet bei seinen Entscheidungen dieses Abkommen so an, wie es nach dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge [vom 23. Mai 1969 (United Nations Treaty Series, Bd. 1155, S. 331, im Folgenden: Wiener Übereinkommen)] und anderen zwischen den Vertragsparteien geltenden völkerrechtlichen Regeln und Grundsätzen auszulegen ist. (2) Es fällt nicht in die Zuständigkeit des Gerichts, die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme, die vorgeblich einen Verstoß gegen dieses Abkommen darstellt, nach dem innerstaatlichen Recht einer Vertragspartei zu beurteilen. Zur Klarstellung: Bei seiner Beurteilung, ob eine Maßnahme im Einklang mit diesem Abkommen steht, kann das Gericht das innerstaatliche Recht einer Vertragspartei, soweit angezeigt, als Tatsache heranziehen. Dabei folgt das Gericht der herrschenden Auslegung des innerstaatlichen Rechts durch die Gerichte und Behörden der betreffenden Vertragspartei, wobei eine etwaige vom Gericht vorgenommene Auslegung innerstaatlichen Rechts für die Gerichte und Behörden dieser Vertragspartei nicht bindend ist. (3) Bei ernsthaften Bedenken in Bezug auf Auslegungsfragen, die sich auf Investitionen auswirken können, kann der Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen dem Gemischten CETA-Ausschuss … die Annahme von Auslegungen dieses Abkommens empfehlen. Eine vom Gemischten CETA-Ausschuss angenommene Auslegung ist für das nach diesem Abschnitt eingesetzte Gericht bindend. Der Gemischte CETA-Ausschuss kann beschließen, dass eine Auslegung ab einem bestimmten Zeitpunkt bindende Wirkung hat.“ |
22 |
Art. 8.28 Abs. 2 CETA bestimmt: „(2) Die Rechtsbehelfsinstanz kann einen Urteilsspruch des Gerichts bestätigen oder ihn abändern oder aufheben
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E. Verfahrensvorschriften
23 |
Art. 8.23 Abs. 1 und 2 CETA bestimmt: „(1) Wurde eine Streitigkeit nicht im Wege von Konsultationen beigelegt, kann nach diesem Abschnitt Klage eingereicht werden von
(2) Eine Klage kann eingereicht werden auf der Grundlage folgender Regeln:
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24 |
Der in Art. 8.23 CETA verwendete Ausdruck „gebietsansässiges Unternehmen“ bezeichnet nach Art. 8.1 CETA „eine nach dem Recht des Beklagten gegründete oder organisierte juristische Person, die direkt oder indirekt im Eigentum oder unter der Kontrolle eines Investors der anderen Vertragspartei steht“. |
25 |
Zu den nach Art. 8.23 CETA im Vorhinein zu führenden Konsultationen bestimmt Art. 8.19 Abs. 2 und 3 CETA: „(2) Ort der Konsultationen ist, sofern die Streitparteien nichts anderes vereinbaren,
(3) Die Streitparteien können die Konsultationen gegebenenfalls per Videokonferenz oder in anderer Form führen, wenn es sich beispielsweise bei dem Investor um ein kleines oder mittleres Unternehmen handelt.“ |
26 |
Art. 8.22 CETA bestimmt: „(1) Ein Investor kann nur dann eine Klage nach Artikel 8.23 einreichen, wenn er
… (5) Ein Rechtsverzicht nach Absatz 1 Buchstabe g beziehungsweise Absatz 2 wird unwirksam,
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27 |
Die Art. 8.32 und 8.33 CETA, auf die in Art. 8.22 Abs. 5 Buchst. b CETA verwiesen wird, betreffen „offenkundig ohne Rechtsgrund angestrengte Klagen“ bzw. „aus Rechtsgründen unbegründete Klagen“. Letztere sind definiert als Klagen, die „nicht zu einem Urteilsspruch zugunsten des Klägers … führen könn[ten], selbst wenn der vorgebliche Sachverhalt zutreffen sollte“. Nach den Art. 8.32 und 8.33 CETA hat das CETA-Gericht auf eine entsprechende Einwendung des Beklagten hin zunächst zu prüfen, ob die Klage als offenkundig ohne Rechtsgrund angestrengt bzw. aus Rechtsgründen unbegründet abzuweisen ist. |
28 |
Art. 8.25 Abs. 1 CETA bestimmt: „Der Beklagte stimmt einer Beilegung der Streitigkeit durch das Gericht nach dem in diesem Abschnitt beschriebenen Verfahren zu.“ |
29 |
In Art. 8.27 CETA ist in den Abs. 6, 7 und 9 bestimmt: „(6) Zur Verhandlung der Fälle werden innerhalb des Gerichts Kammern gebildet, denen jeweils drei Mitglieder des Gerichts angehören, und zwar ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der … Union, ein Staatsangehöriger Kanadas und ein Staatsangehöriger eines Drittlands. Den Vorsitz einer Kammer führt dasjenige Mitglied des Gerichts, das Staatsangehöriger eines Drittlands ist. (7) Innerhalb von 90 Tagen nach Einreichung einer Klage nach Artikel 8.23 ernennt der Präsident des Gerichts die Mitglieder des Gerichts, die der mit dem Fall zu befassenden Kammer angehören werden; dabei wird ein Rotationsverfahren zugrunde gelegt und sichergestellt, dass die Zusammensetzung der Kammern nach dem Zufallsprinzip erfolgt und nicht vorhersehbar ist und dass für alle Mitglieder des Gerichts dieselbe Wahrscheinlichkeit besteht, in eine Kammer berufen zu werden. … (9) Ungeachtet des Absatzes 6 können die Streitparteien vereinbaren, dass mit einem Fall nur ein einziges Mitglied des Gerichts befasst wird, das nach dem Zufallsprinzip aus dem Kreis der Staatsangehörigen eines Drittlands ernannt wird. Das Ersuchen eines Klägers um Befassung eines einzigen Mitglieds des Gerichts wird vom Beklagten wohlwollend geprüft, insbesondere dann, wenn es sich beim Kläger um ein kleines oder mittleres Unternehmen handelt oder wenn die geltend gemachten Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche vergleichsweise gering sind. Ein solches Ersuchen muss vor der Bildung der Gerichtskammer eingereicht werden.“ |
30 |
In Art. 8.28 CETA ist in den Absätzen 5, 7 und 9 bestimmt: „(5) Die für Rechtsbehelfe gebildete Kammer der Rechtsbehelfsinstanz besteht aus drei nach dem Zufallsprinzip ernannten Mitgliedern der Rechtsbehelfsinstanz. … (7) Der Gemischte CETA-Ausschuss fasst umgehend einen Beschluss, in dem folgende … Aspekte der Arbeitsweise der Rechtsbehelfsinstanz geregelt werden: …
… (9) Mit Annahme des Beschlusses nach Absatz 7 gilt Folgendes:
…
…“ |
31 |
Art. 8.39 CETA bestimmt: „(1) Erlässt das Gericht einen endgültigen Urteilsspruch gegen den Beklagten, so kann es nur Folgendes – einzeln oder in Kombination – zusprechen:
(2) Vorbehaltlich der Absätze 1 und 5 gilt für Klagen nach Artikel 8.23 Absatz 1 Buchstabe b Folgendes:
… (3) Der in Geld bemessene Schadensersatz darf den … erlittenen Verlust … nicht übersteigen. … (4) Das Gericht erkennt nicht auf Strafschadensersatz. (5) Das Gericht ordnet an, dass die Kosten des Verfahrens von der unterliegenden Streitpartei zu tragen sind. In Ausnahmefällen kann das Gericht die Kosten zwischen den Streitparteien aufteilen, wenn es dies nach der Sachlage des Falls für angemessen erachtet. Andere vertretbare Kosten, einschließlich der Kosten für Rechtsvertretung und Rechtsbeistand, sind von der unterliegenden Streitpartei zu tragen, es sei denn, das Gericht erachtet eine solche Kostenaufteilung nach der Sachlage des Falls für nicht angemessen. Wurde den Klagen nur in Teilen stattgegeben, so werden die Kosten proportional nach Zahl oder Umfang der erfolgreichen Teile der Klagen festgesetzt. (6) Der Gemischte CETA-Ausschuss prüft die Einführung ergänzender Vorschriften zur Verringerung der finanziellen Belastung für Kläger, bei denen es sich um natürliche Personen oder um kleine und mittlere Unternehmen handelt. Mit entsprechenden ergänzenden Vorschriften kann insbesondere den finanziellen Ressourcen solcher Kläger und der Höhe des geforderten Schadensersatzes Rechnung getragen werden. (7) … Das Gericht verkündet seinen endgültigen Urteilsspruch innerhalb von 24 Monaten nach dem Tag der Klageeinreichung nach Artikel 8.23. Benötigt das Gericht mehr Zeit, um seinen endgültigen Urteilsspruch zu verkünden, teilt es den Streitparteien die Gründe für die Verzögerung mit.“ |
32 |
Art. 8.41 CETA bestimmt: „(1) Ein nach diesem Abschnitt verkündeter Urteilsspruch ist für die Streitparteien und für den betreffenden Fall bindend. (2) … [D]ie Streitparteien [erkennen] den Urteilsspruch an und kommen ihm unverzüglich nach. … (4) Die Vollstreckung des Urteilsspruchs unterliegt den am Vollstreckungsort geltenden Rechtsvorschriften für die Vollstreckung von Urteilen oder Schiedssprüchen. …“ |
F. Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz
33 |
In Art. 8.27 CETA ist in den Abs. 2 bis 5 und 12 bis 16 bestimmt: „(2) Bei Inkrafttreten dieses Abkommens ernennt der Gemischte CETA-Ausschuss fünfzehn Mitglieder des Gerichts. Fünf Mitglieder des Gerichts müssen Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der … Union sein, fünf Mitglieder Staatsangehörige Kanadas und fünf Mitglieder Staatsangehörige von Drittländern. (3) Der Gemischte CETA-Ausschuss kann beschließen, die Anzahl der Mitglieder des Gerichts um eine durch drei teilbare Zahl zu erhöhen oder zu verringern. Zusätzliche Ernennungen erfolgen auf derselben Grundlage wie die Ernennungen nach Absatz 2. (4) Die Mitglieder des Gerichts müssen die in ihren jeweiligen Ländern zur Ausübung des Richteramts erforderlichen Qualifikationen besitzen oder Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung sein. Sie müssen über nachweisliches Fachwissen auf dem Gebiet des Völkerrechts verfügen. Es ist wünschenswert, dass sie über Fachwissen insbesondere auf den Gebieten internationales Investitionsrecht, internationales Handelsrecht und Streitbeilegung im Rahmen internationaler Investitions- oder Handelsabkommen verfügen. (5) Die nach diesem Abschnitt ernannten Mitglieder des Gerichts werden für eine Amtszeit von fünf Jahren ernannt, die einmal verlängert werden kann. Die Amtszeit von sieben der unmittelbar nach Inkrafttreten dieses Abkommens ernannten 15 Personen wird jedoch auf sechs Jahre festgesetzt; die betreffenden Personen werden im Losverfahren bestimmt. Vakanzen werden unverzüglich neu besetzt. … … (12) Zur Gewährleistung ihrer Verfügbarkeit wird den Mitgliedern des Gerichts eine monatliche Grundvergütung gezahlt, deren Höhe vom Gemischten CETA-Ausschuss festgesetzt wird. (13) Die Grundvergütung nach Absatz 12 wird von beiden Vertragsparteien zu gleichen Teilen … finanziert. … (14) Sofern der Gemischte CETA-Ausschuss keinen Beschluss nach Absatz 15 fasst, fallen – über die in Absatz 12 genannten Kosten hinaus – für Vergütungen und Auslagen der Mitglieder des Gerichts, die in eine mit einem Fall zu befassende Kammer berufen werden, Kosten in einer Höhe an, die nach Vorschrift 14 Absatz 1 der Verwaltungs- und Finanzordnung des ICSID-Übereinkommens in der zum Zeitpunkt der Klageeinreichung geltenden Fassung festgesetzt und vom Gericht im Einklang mit Artikel 8.39 Absatz 5 unter den Streitparteien aufgeteilt werden. (15) Der Gemischte CETA-Ausschuss kann im Wege eines Beschlusses die Grundvergütung und sonstige Vergütungen und Auslagen in ein reguläres Gehalt umwandeln und die jeweiligen Modalitäten und Bedingungen festlegen. (16) Das ICSID-Sekretariat nimmt die Aufgaben des Sekretariats für das Gericht wahr und leistet die erforderliche Unterstützung.“ |
34 |
In Art. 8.28 CETA ist in den Abs. 3, 4 und 7 bestimmt: „(3) Die Mitglieder der Rechtsbehelfsinstanz werden im Wege eines Beschlusses des Gemischten CETA-Ausschusses ernannt, der gleichzeitig mit dem Beschluss nach Absatz 7 ergeht. (4) Die Mitglieder der Rechtsbehelfsinstanz müssen die Anforderungen des Artikels 8.27 Absatz 4 erfüllen und die des Artikels 8.30 beachten. … (7) Der Gemischte CETA-Ausschuss fasst umgehend einen Beschluss, in dem folgende administrative und organisatorische Aspekte der Arbeitsweise der Rechtsbehelfsinstanz geregelt werden: …
…“ |
35 |
Art. 8.30 CETA bestimmt: „(1) Die Mitglieder des Gerichts müssen unabhängig sein. Sie dürfen keiner Regierung nahestehen. Sie dürfen keine Weisungen einer Organisation oder Regierung entgegennehmen, die Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Streitigkeit betreffen. Sie dürfen sich nicht an der Prüfung von Streitigkeiten beteiligen, wenn dies einen direkten oder indirekten Interessenkonflikt zur Folge hätte. Sie müssen die [am 22. Mai 2004 vom Rat des internationalen Anwaltsverbands (International Bar Association) genehmigten] Leitlinien … zu Interessenkonflikten in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit [(im Folgenden: IBA-Leitlinien)] oder etwaige nach Artikel 8.44 Absatz 2 angenommene ergänzende Vorschriften einhalten. Außerdem dürfen sie ab dem Zeitpunkt ihrer Ernennung weder als Rechtsberater noch als von einer Partei benannter Sachverständiger oder Zeuge bei anhängigen oder neuen Investitionsstreitigkeiten im Rahmen dieses Abkommens oder anderer internationaler Übereinkünfte tätig werden. … (4) Auf begründete Empfehlung des Präsidenten des Gerichts oder auf ihre gemeinsame Initiative hin können die Vertragsparteien im Wege eines Beschlusses des Gemischten CETA-Ausschusses ein Mitglied vom Gericht ausschließen, wenn dessen Verhalten nicht den in Absatz 1 genannten Anforderungen entspricht und mit einer weiteren Zugehörigkeit zum Gericht unvereinbar ist.“ |
36 |
Art. 8.30 Abs. 1 Satz 2 CETA ist mit einer Fußnote versehen, in der es heißt: „Zur Klarstellung: Die Tatsache, dass eine Person eine Vergütung von einer staatlichen Stelle erhält, reicht allein nicht aus, um nicht als Mitglied des Gerichts in Betracht zu kommen.“ |
G. Gemischter CETA-Ausschuss und Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen
37 |
Art. 26.1 CETA bestimmt: „(1) Die Vertragsparteien setzen den Gemischten CETA-Ausschuss ein, der sich aus Vertretern der … Union und Vertretern Kanadas zusammensetzt. Der Vorsitz im Gemischten CETA-Ausschuss wird gemeinsam vom kanadischen Minister for International Trade und von dem für Handel zuständigen Mitglied der Europäischen Kommission oder ihren jeweiligen Vertretern geführt. … (3) Der Gemischte CETA-Ausschuss ist für alle Fragen zuständig, welche die Handels- und Investitionstätigkeit zwischen den Vertragsparteien und die Umsetzung und Anwendung dieses Abkommens betreffen. … (4) Der Gemischte CETA-Ausschuss …
… (5) Der Gemischte CETA-Ausschuss kann …
…“ |
38 |
Art. 26.3 CETA bestimmt: „(1) Zur Verwirklichung der Ziele dieses Abkommens ist der Gemischte CETA-Ausschuss befugt, in allen Angelegenheiten Beschlüsse zu fassen, sofern es in diesem Abkommen vorgesehen ist. (2) Die Beschlüsse des Gemischten CETA-Ausschusses sind für die Vertragsparteien … bindend … (3) Der Gemischte CETA-Ausschuss trifft seine Beschlüsse und formuliert seine Empfehlungen einvernehmlich.“ |
39 |
Art. 8.44 Abs. 2 CETA lautet: „(2) Der Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen legt im Einvernehmen mit den Vertragsparteien, nachdem diese ihre jeweiligen internen Vorschriften erfüllt und ihre jeweiligen internen Verfahren abgeschlossen haben, einen Verhaltenskodex für die Mitglieder des Gerichts fest, der bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit diesem Kapitel Anwendung findet, die geltenden Vorschriften ersetzen oder ergänzen kann und unter anderem folgende Aspekte betreffen kann:
Die Vertragsparteien bemühen sich nach besten Kräften um eine Festlegung des Verhaltenskodexes bis spätestens zum ersten Tag der vorläufigen Anwendung beziehungsweise des Inkrafttretens dieses Abkommens, in jedem Fall aber bis spätestens zwei Jahre nach diesem Zeitpunkt.“ |
H. Fehlende unmittelbare Wirkung des CETA in den Rechtsordnungen der Vertragsparteien
40 |
Art. 30.6 Abs. 1 CETA bestimmt, dass „[d]ieses Abkommen … nicht dahingehend auszulegen [ist], … dass es in den innerstaatlichen Rechtsordnungen der Vertragsparteien unmittelbar geltend gemacht werden kann“. |
I. Gemeinsames Auslegungsinstrument und Erklärung Nr. 36
41 |
Nach Art. 30.1 CETA „[sind] [d]ie Protokolle, Anhänge, Erklärungen, Gemeinsamen Erklärungen, Vereinbarungen und Fußnoten dieses Abkommens … Bestandteile desselben“. |
42 |
Die Union und ihre Mitgliedstaaten und Kanada legten bei der Unterzeichnung des CETA ein Gemeinsames Auslegungsinstrument (ABl. 2017, L 11, S. 3) fest. Darin heißt es in Gliederungspunkt 1 in den Buchst. b und d:
…
|
43 |
In Gliederungspunkt 2 des Gemeinsamen Auslegungsinstruments heißt es: „Das CETA wahrt die Fähigkeit der … Union und ihrer Mitgliedstaaten und Kanadas, ihre eigenen Gesetze und Vorschriften, die im öffentlichen Interesse die Wirtschaftstätigkeit regulieren, zur Erreichung legitimer politischer Ziele in Bereichen wie etwa Schutz und Förderung der öffentlichen Gesundheit, Sozialdienstleistungen, öffentliches Bildungswesen, Sicherheit, Umweltschutz, öffentliche Sittlichkeit, Sozialschutz oder Verbraucherschutz, Schutz von Privatsphäre und Datenschutz sowie Förderung und Schutz der kulturellen Vielfalt zu erlassen und anzuwenden.“ |
44 |
In Gliederungspunkt 6 des Gemeinsamen Auslegungsinstruments heißt es:
…
|
45 |
In der Erklärung Nr. 36 heißt es: „Das CETA zielt auf eine bedeutende Reform der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten ab, die sich auf die gemeinsamen Grundsätze der Gerichte der … Union und ihrer Mitgliedstaaten und Kanadas sowie internationaler Gerichte, die von der … Union und ihren Mitgliedstaaten und Kanada anerkannt werden, … stützt … Da alle diese Bestimmungen [über die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten] vom Umfang der vorläufigen Anwendung des CETA ausgenommen sind, bestätigen die Europäische Kommission und der Rat, dass sie nicht in Kraft treten werden, bevor alle Mitgliedstaaten das CETA gemäß ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Verfahren ratifiziert haben. Die Kommission verpflichtet sich, die Überarbeitung des Streitbeilegungsmechanismus (Investitionsgerichtshof) unverzüglich und so fristgerecht fortzusetzen, dass die Mitgliedstaaten sie bei ihren Ratifizierungsverfahren berücksichtigen können; dabei verfährt sie nach den folgenden Grundsätzen: Die Auswahl sämtlicher Richter des Gerichts und der Rechtsbehelfsinstanz erfolgt unter der Kontrolle der europäischen Organe und der Mitgliedstaaten in strenger Weise mit dem Ziel, die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sowie die höchste Kompetenz der Richter zu gewährleisten. Was insbesondere die europäischen Richter anbelangt, so ist bei der Auswahl auch darauf zu achten, dass vor allem auf lange Sicht die Vielfalt der europäischen Rechtstraditionen vertreten ist. Dabei gilt Folgendes:
Die Richter werden von der … Union und von Kanada dauerhaft vergütet. Es ist darauf hinzuarbeiten, dass die Richter ihre Tätigkeit vollzeitlich ausüben. Die ethischen Anforderungen an die Mitglieder des Gerichts und der Rechtsbehelfsinstanz, die bereits im CETA vorgesehen sind, werden so rasch wie möglich und so zeitig in einem verbindlichen und zwingenden Verhaltenskodex im Einzelnen festgelegt (was ebenfalls bereits im CETA vorgesehen ist), dass die Mitgliedstaaten sie bei ihren Ratifizierungsverfahren berücksichtigen können. … Der Zugang zu dieser neuen Gerichtsbarkeit für … [kleine und mittlere Unternehmen] und Privatpersonen, wird verbessert und erleichtert. Zu diesem Zweck geschieht Folgendes:
…“ |
III. Zusammenfassung des Gutachtenantrags des Königreichs Belgien
A. Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit der Autonomie der Rechtsordnung der Union
46 |
Das Königreich Belgien weist auf den „Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts“ hin, den der Gerichtshof in Rn. 246 seines Gutachtens 2/13 (Beitritt der Union zur EMRK) vom 18. Dezember 2014 (EU:C:2014:2454) aufgestellt habe. |
47 |
Die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts müsse beachtet werden, damit die Autonomie der Rechtsordnung der Union gewahrt bleibe. Der Gerichtshof habe in dem Gutachten 1/09 (Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems) vom 8. März 2011 (EU:C:2011:123) entschieden, dass es nicht mit der Autonomie der Rechtsordnung der Union vereinbar sei, wenn ein durch eine die Union bindende Übereinkunft eingerichtetes internationales Gericht nicht nur die Bestimmungen der Übereinkunft, sondern auch die Vorschriften des Primär- und Sekundärrechts der Union, die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Union oder die Grundrechte der Union auslegen und anwenden soll. |
48 |
Die Begrenzung der Zuständigkeit des CETA-Gerichts in Art. 8.31 CETA ändere nichts daran, dass das CETA-Gericht bei der Prüfung der Frage, ob eine Maßnahme der Union gegen die Vorschriften von Kapitel acht Abschnitte C und D des CETA verstoße, zu beurteilen habe, welche Tragweite die Maßnahme habe. Das CETA-Gericht könne insoweit nicht immer auf eine vom Gerichtshof vorgenommene Beurteilung zurückgreifen. |
49 |
Da das CETA-Gericht für die Prüfung der Frage zuständig sei, ob eine von Kanada, der Union oder einem Mitgliedstaat getroffene Maßnahme gegen Vorschriften von Kapitel acht Abschnitt C oder D des CETA verstoße, könne es trotz der in Art. 8.31 CETA vorgesehenen Beschränkungen grundlegende Beurteilungen vornehmen, die sich bei Maßnahmen der Union auch auf das Primärrecht der Union erstreckten. Das CETA-Gericht könne sich nämlich veranlasst sehen, bei der Prüfung des Falles Vorschriften des Primärrechts der Union heranzuziehen, auf deren Grundlage die Maßnahme der Union erlassen worden sei. Es müsste dann beurteilen, welche Tragweite die Vorschriften hätten. |
50 |
Da der im CETA vorgesehene ISDS-Mechanismus für das CETA-Gericht nicht die Verpflichtung, ja nicht einmal die Möglichkeit vorsehe, dem Gerichtshof eine die Auslegung des Unionsrechts betreffende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, sei fraglich, ob dieser Mechanismus, der zu endgültigen, für die Union bindenden Urteilssprüchen führen könne, mit der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts vereinbar sei. |
B. Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung und dem Gebot der Wirksamkeit
51 |
Das Königreich Belgien weist darauf hin, dass beim CETA-Gericht wegen in der Union getätigter Investitionen nur von nach kanadischem Recht gegründeten Unternehmen und natürlichen Personen, die die kanadische Staatsangehörigkeit besäßen oder dauerhaft in Kanada gebietsansässig seien (im Folgenden zusammen: Unternehmen und natürliche Personen Kanadas oder kanadische Investoren), eine Klage angestrengt werden könne, nicht hingegen von nach dem Recht eines Mitgliedstaats der Union gegründeten Unternehmen und natürlichen Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Union besäßen (im Folgenden: Unternehmen und natürliche Personen der Mitgliedstaaten oder Investoren der Union). |
52 |
Es sei fraglich, ob dies damit vereinbar sei, dass nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) „[a]lle Personen … vor dem Gesetz gleich [sind]“ (Art. 20) und „[u]nbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge … in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten [ist]“ (Art. 21 Abs. 2). |
53 |
Bei einer Klage, die ein kanadischer Investor beim CETA-Gericht im Namen eines „gebietsansässigen Unternehmens“, d. h. einem in der Union ansässigen Unternehmen, das direkt oder indirekt in seinem Eigentum oder unter seiner Kontrolle steht, anstrenge, sei ein vom CETA-Gericht als Schadensersatz zuerkannter Betrag nach Art. 8.39 Abs. 2 Buchst. a CETA an das gebietsansässige Unternehmen zu zahlen. Es sei fraglich, ob diese Vorschrift mit den Art. 20 und 21 der Charta vereinbar sei. |
54 |
Weiter sei fraglich, ob in Fällen, in denen das CETA-Gericht eine von der Kommission oder einer Behörde eines Mitgliedstaats wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht gegen einen kanadischen Investor verhängte Geldbuße für unvereinbar mit einer Vorschrift von Kapitel acht Abschnitt C oder D des CETA erachte und einen Anspruch auf Schadensersatz in gleicher Höhe zuerkenne, das Entfallen der Wirkung der Geldbuße mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung und dem Gebot der Wirksamkeit des Unionsrechts vereinbar sei. |
55 |
Wegen Art. 8.9 Abs. 4 CETA könne das CETA-Gericht nicht entscheiden, dass eine Entscheidung der Union, mit der eine staatliche Beihilfe für unvereinbar mit Art. 108 AEUV erklärt und ihre Rückforderung angeordnet werde, nicht mit dem CETA vereinbar sei. Das CETA enthalte aber keine vergleichbare Regelung zum Schutz von Entscheidungen, die die Kommission oder Behörden der Mitgliedstaaten im Rahmen der Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV erließen. Im Gegensatz zu Investoren der Union könnten kanadische Investoren daher den finanziellen Konsequenzen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht der Union entgehen. Es sei fraglich, ob dies mit den Art. 20 und 21 der Charta und mit dem Gebot der Wirksamkeit des Unionsrechts vereinbar sei. |
C. Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht
56 |
Aus Sicht des Königreichs Belgien ist fraglich, ob Kapitel acht Abschnitt F des CETA mit dem Grundrecht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht, wie es insbesondere in Art. 47 der Charta verankert ist, vereinbar ist. |
57 |
Insoweit sei als Erstes zu bedenken, dass durch die Regelung von Kapitel acht Abschnitt F des CETA kleinen und mittleren Unternehmen der Zugang zum CETA-Gericht übermäßig erschwert werden könne. Nach der Regelung seien die Vergütungen und Auslagen der mit dem Fall befassten Mitglieder des CETA-Gerichts nämlich von den Streitparteien zu tragen (Art. 8.27 Abs. 14 CETA). Abgesehen von Ausnahmefällen trage die unterliegende Streitpartei sowohl die Kosten des Verfahrens als auch die Kosten für Rechtsvertretung und Rechtsbeistand (Art. 8.39 Abs. 5 CETA). |
58 |
Das CETA sehe derzeit auch nicht die Möglichkeit der Gewährung von Prozesskostenhilfe vor. In Art. 47 Abs. 3 der Charta sei hingegen ausdrücklich bestimmt, dass ein Recht auf Prozesskostenhilfe bestehe, soweit diese Hilfe erforderlich sei, um den Zugang zu den Gerichten zu gewährleisten. Der Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 22. Dezember 2010, DEB (C‑279/09, EU:C:2010:811), klargestellt, dass dies auch für Unternehmen gelte. |
59 |
Einen Investor mit begrenzten finanziellen Mitteln könne das Risiko, in kostspieligen Verfahren sämtliche Kosten tragen zu müssen, daher von der Einreichung einer Klage abhalten. |
60 |
Als Zweites hat das Königreich Belgien Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Bedingungen der Vergütung der Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz (Art. 8.27 Abs. 12 bis 15 bzw. Art. 8.28 Abs. 7 Buchst. d CETA) mit dem in Art. 47 Abs. 2 der Charta verankerten Recht auf Zugang zu „einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht“. Die Bedingungen der Vergütung seien nicht in erster Linie im Text des CETA selbst festgelegt, sondern zu einem großen Teil in das Ermessen des Gemischten CETA-Ausschusses gestellt. Deshalb bestünden berechtigte Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Gewaltenteilung. |
61 |
Dass nach dem CETA die Vergütung der Mitglieder des Gerichts nicht, oder zumindest nicht sofort, in einem festen Gehalt bestehe, sondern in einer monatlichen Grundvergütung, zu der je nach den einer Streitigkeit gewidmeten Arbeitstagen Vergütungen hinzukämen, sei unter Umständen nicht mit dem Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht vereinbar. Das Königreich Belgien verweist insoweit auf Art. 6 der am 10. Juli 1998 vom Europarat angenommenen Europäischen Charta über die Rechtsstellung der Richter, nach der die Vergütung der Richter so festzulegen ist, „dass sie gegen Einflussnahmen auf ihre Entscheidungen gefeit sind“. |
62 |
In der Europäischen Charta über die Rechtsstellung der Richter werde auch auf die Empfehlungen des Europarats Bezug genommen, nach denen die Vergütung der Richter durch allgemeine Sätze festgelegt sein solle. Nach den Bedingungen der Vergütung, wie sie derzeit im CETA vorgesehen seien, hänge die Vergütung der Mitglieder des CETA-Gerichts teilweise von der Zahl der von den Investoren eingereichten Klagen ab. Eine Rechtsprechung zu deren Gunsten wirke sich daher positiv auf die Vergütung der Mitglieder der Gerichte aus und könne somit Interessenkonflikte verursachen. |
63 |
Das Königreich Belgien fragt sich als Drittes, ob die Vorschriften über die Ernennung der Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz (Art. 8.27 Abs. 2 und 3 bzw. Art. 8.28 Abs. 3 und 7 Buchst. c CETA) mit Art. 47 Abs. 2 der Charta vereinbar sind. |
64 |
Die Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz würden durch den Gemischten CETA-Ausschuss ernannt, in dem der Vorsitz gemeinsam vom kanadischen Minister for International Trade und von dem für Handel zuständigen Mitglied der Europäischen Kommission (oder ihren jeweiligen Vertretern) geführt werde. Nach der Europäischen Charta über die Rechtsstellung der Richter, auf die in den Empfehlungen des Conseil consultatif de juges européens (Beirat der Europäischen Richter, CCJE) Bezug genommen werde, müsse, wenn Richter durch die vollziehende Gewalt ernannt würden, die Ernennung auf Empfehlung eines unabhängigen Gremiums hin erfolgen, das zu einem erheblichen Teil mit Mitgliedern der rechtsprechenden Gewalt besetzt sei. |
65 |
Als Viertes fragt sich das Königreich Belgien, ob die in Art. 8.30 Abs. 4 CETA vorgesehenen Bedingungen für die Entlassung von Mitgliedern des CETA-Gerichts oder der CETA-Rechtsbehelfsinstanz, nach denen ein Mitglied durch einen Beschluss des Gemischten CETA-Ausschusses vom Gericht ausgeschlossen werden könne, mit Art. 47 Abs. 2 der Charta vereinbar sind. Nach der Europäischen Charta über die Rechtsstellung der Richter und den Empfehlungen des CCJE müsse an Entscheidungen über die Entlassung eines Richters ein unabhängiges Gremium beteiligt sein, müssten solche Entscheidungen in einem fairen Verfahren unter Beachtung der Verteidigungsrechte getroffen werden und müsse gegen die Entscheidungen bei einer höheren Instanz mit Gerichtscharakter ein Rechtsbehelf eingelegt werden können. Jedenfalls dürfe die vollziehende Gewalt aus Gründen der richterlichen Unabhängigkeit nicht die Möglichkeit haben, Richter zu entlassen. |
66 |
Als Fünftes fragt sich das Königreich Belgien schließlich, ob die Ethikregeln, die die Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz nach Art. 8.28 Abs. 4, Art. 8.30 Abs. 1 und Art. 8.44 Abs. 2 CETA zu beachten haben, mit Art. 47 Abs. 2 der Charta vereinbar sind. |
67 |
Die genannten Vorschriften sähen im Wesentlichen vor, dass die Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz bis zur Festlegung eines Verhaltenskodexes durch den Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen die IBA-Leitlinien einhalten müssten. Nach der am 17. November 2010 vom CCJE angenommenen Magna Charta der Richter seien standesrechtliche Vorschriften aber von den Richtern selbst zu erarbeiten. Zumindest müssten sie maßgeblich an der Annahme solcher Vorschriften beteiligt sein. |
68 |
Die IBA-Leitlinien seien für Schiedsrichter bestimmt, nicht für Richter. Was die Unabhängigkeit angehe, enthielten sie daher möglicherweise Regeln, die auf Richter nicht passten. |
69 |
Art. 8.30 Abs. 1 CETA sehe vor, dass die Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz „weder als Rechtsberater noch als von einer Partei benannter Sachverständiger oder Zeuge bei anhängigen oder neuen Investitionsstreitigkeiten im Rahmen dieses Abkommens oder anderer internationaler Übereinkünfte tätig werden [dürfen]“. Nach dieser Vorschrift müssten die Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz ihre Nebentätigkeiten aber nicht einmal angeben, geschweige denn genehmigen lassen. Die einschlägigen internationalen Texte wie etwa die Europäische Charta über die Rechtsstellung der Richter sähen aber vor, dass solche Tätigkeiten angegeben und vorher genehmigt werden müssten. |
IV. Zusammenfassung der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen
A. Zur Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit der Autonomie der Rechtsordnung der Union
70 |
Die meisten der Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, der Rat und die Kommission sind der Auffassung, dass das CETA-Gericht durch Art. 8.31 CETA ganz klar daran gehindert sei, Vorschriften des Primär- oder Sekundärrechts der Union auszulegen. Insoweit unterscheide sich das CETA von der geplanten Übereinkunft, die Gegenstand des Gutachtens 1/09 (Übereinkommen über die Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems) vom 8. März 2011 (EU:C:2011:123) gewesen sei. |
71 |
Im Übrigen seien Auslegungen der Vorschriften des CETA, die das CETA-Gericht nach Maßgabe des Völkerrechts vornehme, nach Art. 8.31 CETA für den Gerichtshof nicht bindend. Insoweit unterscheide sich das CETA von dem Entwurf eines Übereinkommens, der Gegenstand des Gutachtens 2/13 (Beitritt der Union zur EMRK) vom 18. Dezember 2014 (EU:C:2014:2454) gewesen sei. |
72 |
Durch Art. 8.31 Abs. 2 und Art. 8.39 Abs. 1 CETA sei ausgeschlossen, dass das CETA-Gericht und inzident auch die CETA-Rechtsbehelfsinstanz über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme entschieden. |
73 |
Die Urteilssprüche des CETA-Gerichts hätten keine Erga-omnes-Wirkung. Nach Art. 8.41 CETA seien sie nur für die Streitparteien bindend. Auch in dieser Hinsicht sei ausgeschlossen, dass ein Urteilsspruch des CETA-Gerichts die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts antaste. |
74 |
Wegen des Mechanismus des Art. 8.21 CETA könne das CETA-Gericht auch nicht über die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten entscheiden. Diese Problematik, die der Gerichtshof in den Rn. 33 bis 36 des Gutachtens 1/91 (EWG-Abkommen – I) vom 14. Dezember 1991 (EU:C:1991:490) und in den Rn. 224 und 225 des Gutachtens 2/13 (Beitritt der Union zur EMRK) vom 18. Dezember 2014 (EU:C:2014:2454) angesprochen habe, sei im vorliegenden Fall nicht relevant. |
75 |
Durch die Gesamtheit dieser im CETA festgelegten Modalitäten hätten die Vertragsparteien die Autonomie der Rechtsordnung der Union gewahrt. |
76 |
Die meisten der Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, der Rat und die Kommission räumen ein, dass es bei einer Streitigkeit zwischen einem kanadischen Investor und der Union vorkommen könne, dass das CETA-Gericht, um beurteilen zu können, ob ein Verstoß gegen eine Vorschrift von Kapitel acht Abschnitt C oder D des CETA vorliege, prüfen müsse, welche Tragweite die vom Investor angefochtene Maßnahme der Union habe. Nach Art. 8.31 Abs. 2 CETA müsse sich das CETA-Gericht in einem solchen Fall aber auf eine Prüfung des Unionsrechts als Tatsache beschränken. Es dürfe keine rechtliche Auslegung vornehmen. |
77 |
Die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts werde nicht angetastet, weil das CETA-Gericht nicht das Unionsrecht, sondern das Völkerrecht, nämlich das CETA selbst und die übrigen zwischen den Vertragsparteien geltenden völkerrechtlichen Regeln, anzuwenden und auszulegen habe. Das CETA-Gericht und der Gerichtshof agierten in verschiedenen Rechtsordnungen. Dies werde auch daran deutlich, dass das CETA nach seinem Art. 30.6 in den innerstaatlichen Rechtsordnungen der Vertragsparteien keine unmittelbare Wirkung habe. |
78 |
Da das CETA-Gericht und der Gerichtshof in verschiedenen Rechtsordnungen agierten, sei es nicht nötig, im Rahmen des Systems der Beilegung von Streitigkeiten vor dem CETA-Gericht und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz einen Mechanismus der Vorabentscheidung durch den Gerichtshof vorzusehen. Die Überlegungen, die der Gerichtshof in den Rn. 236 bis 248 des Gutachtens 2/13 (Beitritt der Union zur EMRK) vom 18. Dezember 2014 (EU:C:2014:2454) angestellt habe, seien hier nicht einschlägig. Auch die Gründe, die den Gerichtshof dazu veranlasst hätten, in seinem Gutachten 1/91 (EWR-Abkommen – I) vom 14. Dezember 1991 (EU:C:1991:490, Rn. 54 bis 65) die Möglichkeit einer Vorabentscheidung zu prüfen, lägen hier nicht vor. Im Gegensatz zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sei mit dem CETA nämlich nicht beabsichtigt, einen Teil des Acquis des Unionsrechts auf Kanada auszudehnen. |
B. Zur Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung und mit dem Gebot der Wirksamkeit
79 |
Die meisten der Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, der Rat und die Kommission weisen darauf hin, dass sich Unternehmen und natürliche Personen Kanadas, die in der Union investierten, und Unternehmen und natürliche Personen der Mitgliedstaaten, die in der Union investierten, nicht in einer vergleichbaren Situation befänden. Erstere tätigten internationale Investitionen, Letztere unionsinterne. |
80 |
In einer vergleichbaren Situation befänden sich lediglich die Unternehmen und natürlichen Personen Kanadas, die in der Union investierten, und die Unternehmen und natürlichen Personen der Mitgliedstaaten, die in Kanada investierten. |
81 |
Im Übrigen finde der unionsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf die Beziehungen der Union mit Drittstaaten überhaupt keine Anwendung. Mehrere der Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, und der Rat meinen daher, dass die Art. 20 und 21 der Charta für die Prüfung der Frage, ob das CETA mit dem Unionsrecht vereinbar sei, nicht relevant seien. |
82 |
Der unionsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung komme auch dann nicht zum Tragen, wenn ein „gebietsansässiges Unternehmen“ im Sinne von Art. 8.1 CETA, das im Eigentum oder unter der Kontrolle eines kanadischen Investors stehe, und ein in der Union ansässiges Unternehmen, das nicht im Eigentum oder unter der Kontrolle eines kanadischen Investors stehe, ungleich behandelt würden. |
83 |
Gebietsansässige Unternehmen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle eines kanadischen Investors stünden, stellten nämlich Investitionen von Unternehmen oder natürlichen Personen Kanadas dar und seien im Rahmen des CETA als Unternehmen oder natürliche Personen Kanadas anzusehen. Bei gebietsansässigen Unternehmen sei die vom Königreich Belgien angesprochene Ungleichbehandlung daher der Ungleichbehandlung von Unternehmen und natürlichen Personen Kanadas, die in der Union investierten, und von Unternehmen und natürlichen Personen der Mitgliedstaaten, die in der Union investierten, gleichzusetzen. |
84 |
Jedenfalls sei die Ungleichbehandlung, von der im Gutachtenantrag die Rede sei, durch das Ziel, einen Beitrag zu freiem und gerechtem Handel zu leisten (Art. 3 Abs. 5 EUV), und durch das Ziel, die Integration aller Länder in die Weltwirtschaft zu fördern (Art. 21 Abs. 2 Buchst. e EUV), gerechtfertigt. Die Zuständigkeit der Union, mit Drittländern Abkommen über Direktinvestitionen (Art. 207 AEUV) und andere Investitionen (Art. 4 Abs. 1 und 2 Buchst. a AEUV) zu schließen, würde ausgehöhlt, wenn der unionsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung es der Union verbieten würde, speziell in Bezug auf Investitionen aus Drittländern Verbindlichkeiten einzugehen. |
85 |
Was die Bedenken angeht, die das Königreich Belgien hinsichtlich der Vereinbarkeit des ISDS-Mechanismus mit dem Gebot der Wirksamkeit des Unionsrechts geäußert hat, indem es auf den Fall hingewiesen hat, dass das CETA-Gericht feststellt, dass eine von der Kommission oder einer Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats gegen einen kanadischen Investor verhängte Geldbuße gegen eine materielle Vorschrift des Kapitels acht des CETA verstößt, und Schadensersatz in Höhe der Geldbuße zuerkennt, vertreten die meisten der Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, der Rat und die Kommission die Auffassung, dass es sich nicht wirklich um ein Problem handele. |
86 |
Es sei äußerst unwahrscheinlich, dass das CETA-Gericht, das das Wettbewerbsrecht der Union insbesondere wegen des in Art. 8.9 CETA verankerten Rechts zum Erlass von Regelungen respektieren müsse, entscheide, dass eine nach dem Wettbewerbsrecht der Union festgesetzte Geldbuße gegen das CETA verstoße. |
C. Zur Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht
87 |
Mehrere der Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, und der Rat machen geltend, dass Art. 47 der Charta und die übrigen europäischen Vorschriften, auf die im Gutachtenantrag verwiesen werde, auf den im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus überhaupt keine Anwendung fänden. |
88 |
Die Vorschriften seien für Kanada nicht bindend. Das CETA sei nicht Bestandteil des Unions‑, sondern des Völkerrechts. Nur Letzteres finde auf den ISDS-Mechanismus Anwendung. |
89 |
Andere der Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, sowie die Kommission vertreten hingegen die Auffassung, dass Art. 47 der Charta durchaus Anwendung finde. Anders als im Gutachtenantrag angenommen, stehe das CETA allerdings mit Art. 47 der Charta in Einklang. |
90 |
Das CETA-Gericht sei ein „hybrides“ Gericht. Es vereine in sich Merkmale der gerichtlichen Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten und Merkmale der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Zu Letzteren gehörten u. a. das Erfordernis vorheriger Konsultationen, viele Elemente des Verfahrens vor dem CETA-Gericht, die Bedingungen der Ernennung, Vergütung und Entlassung der Mitglieder des CETA-Gerichts und die fehlende Erga-omnes-Wirkung der Urteilssprüche. Im Übrigen seien die Investoren nicht gezwungen, das CETA-Gericht anzurufen. Sie hätten die Wahl. Sie könnten ihre Klage bei einem gewöhnlichen Gericht oder beim CETA-Gericht anstrengen. Das Gebot der Unabhängigkeit gelte für das CETA-Gericht also nicht in derselben Weise wie für ein gewöhnliches Gericht. |
91 |
Anders als die meisten anderen Vorschriften des CETA würden die Vorschriften von Kapitel acht Abschnitt F des CETA nicht lediglich vorläufig angewandt. Die Aspekte, wegen derer das Königreich Belgien Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht habe, nämlich der Zugang der kleinen und mittleren Unternehmen zu diesem Mechanismus, die Bedingungen der Ernennung, Vergütung und Entlassung der Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA‑Rechtsbehelfsinstanz und die für sie geltenden Ethikregeln, müssten alle erst noch konkretisiert werden. Die Verpflichtung zur Konkretisierung ergebe sich klar aus Art. 8.27 Abs. 15, Art. 8.39 Abs. 6 und Art. 8.44 Abs. 2 CETA, aus Gliederungspunkt 6 Buchst. f und h des Gemeinsamen Auslegungsinstruments und aus der Erklärung Nr. 36. |
92 |
Da Gegenstand von Gutachten des Gerichtshofs die „geplante“ Übereinkunft sei, sei diese Verpflichtung zur Konkretisierung zu berücksichtigen. Wenn sie erst einmal erfüllt sei, werde sie die bereits im CETA enthaltenen Garantien verstärken. |
93 |
Schließlich machen die Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, der Rat und die Kommission geltend, dass die im Gutachtenantrag geäußerten Bedenken selbst dann, wenn man die angekündigten Verbesserungen außer Betracht ließe, unbegründet seien. |
94 |
Was erstens den Zugang kleiner und mittlerer Unternehmen zum CETA-Gericht angehe, so seien die Investoren nicht gezwungen, Klage vor dem CETA-Gericht zu erheben. Sie könnten auch bei den innerstaatlichen Gerichten der Vertragsparteien Klage erheben. Diese böten hinsichtlich der Prozesskostenhilfe alle Garantien. Sollte ein Investor also für eine Klage vor dem CETA-Gericht nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügen, bedeute dies nicht, dass ihm sein Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht genommen werde. |
95 |
Im Übrigen sei die Gewährung von Prozesskostenhilfe kein geeigneter Maßstab, um zu bestimmen, ob das Grundrecht auf Zugang zu einem Gericht beachtet werde. |
96 |
Außerdem unterscheide sich die Regel des Art. 8.39 Abs. 5 CETA, wonach die Kosten des Verfahrens vor dem CETA-Gericht grundsätzlich von der unterliegenden Streitpartei zu tragen seien, nicht von der bei den gewöhnlichen Gerichten üblichen Regel. |
97 |
Was zweitens die Bedingungen der Vergütung der Mitglieder des CETA-Gerichts angehe, habe das Königreich Belgien den Gemischten CETA-Ausschuss zu Unrecht als „Organ der vollziehenden Gewalt“ angesehen. Entscheidungen mit Rechtswirkungen müssten vom Gemischten CETA-Ausschuss nach dem Verfahren gemäß Art. 218 Abs. 9 AEUV erlassen werden, so dass der Rat und die Kommission in diesem Entscheidungsprozess eine wesentliche Rolle spielten. |
98 |
Art. 8.27 Abs. 12 CETA, nach dem die monatliche Grundvergütung der Mitglieder des CETA-Gerichts vom Gemischten CETA-Ausschuss festgesetzt werde, sei daher nicht problematisch. Im Übrigen müsse der Gemischte CETA-Ausschuss im Hinblick auf das in Art. 8.30 Abs. 1 CETA enthaltene Gebot der Unabhängigkeit gewährleisten, dass die Unabhängigkeit der Mitglieder des CETA-Gerichts durch die Höhe der Grundvergütung und die Methode ihrer Festsetzung nicht beeinträchtigt werde. Dasselbe gelte für das reguläre Gehalt (Art. 8.27 Abs. 15 CETA) und die Vergütung der Mitglieder der Rechtsbehelfsinstanz (Art. 8.28 Abs. 7 Buchst. d CETA). |
99 |
Im Übrigen werde die Vergütung der Mitglieder des CETA-Gerichts nach Art. 8.27 Abs. 14 CETA nach vom Generalsekretär und vom Präsidenten des ICSID festgesetzten Sätzen festgesetzt. Das Vorbringen des Königreichs Belgien, die Vergütung der Mitglieder des CETA-Gerichts hänge von deren Arbeitslast ab, treffe deshalb nicht zu. |
100 |
Drittens machen die meisten der Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, der Rat und die Kommission zur Ernennung der Mitglieder des CETA-Gerichts geltend, dass die Mitglieder internationaler Gerichte von den betreffenden Regierungen und damit von der vollziehenden Gewalt ernannt würden. |
101 |
Die meisten der Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, der Rat und die Kommission machen viertens zu den Bedingungen der Entlassung der Mitglieder des CETA-Gerichts geltend, dass es bei einer Übereinkunft, mit der ein internationales Gericht eingerichtet werde, nicht ungewöhnlich sei, dass für die Vertragsparteien die Möglichkeit vorgesehen werde, die Mitglieder des Gerichts ihres Amtes zu entheben. Dies sei etwa beim Internationalen Strafgerichtshof der Fall. |
102 |
Fünftens nehme das Königreich Belgien zu Unrecht an, dass die Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz nach den für sie geltenden Ethikregeln ihre Nebentätigkeiten nicht angeben müssten. Nach Art. 8.30 Abs. 1 CETA müssten die Mitglieder der Gerichte die IBA-Leitlinien oder etwaige vom Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen gemäß Art. 8.44 Abs. 2 CETA angenommene Vorschriften einhalten. Die IBA-Leitlinien sähen aber eine umfassende Pflicht zur Offenlegung sämtlicher Umstände vor, die die Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit der Schiedsrichter beeinträchtigen könnten. |
103 |
Dass die Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz Nebentätigkeiten ausüben dürften, sei dadurch gerechtfertigt, dass sie zunächst nicht in Vollzeit beschäftigt seien. Deshalb sehe Art. 8.27 Abs. 12 CETA vor, dass ihnen, wenn keine Streitigkeiten anhängig seien, zur Gewährleistung ihrer Verfügbarkeit lediglich eine monatliche Grundvergütung gezahlt werde. |
104 |
Wäre es den Mitgliedern des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz unter diesen Umständen nicht gestattet, eine Nebentätigkeit auszuüben, hätten sie keine Garantie dafür, über genügend Einkünfte zu verfügen. |
V. Stellungnahme des Gerichtshofs
105 |
Zunächst ist festzustellen, dass Gegenstand des Gutachtenantrags, der sich auf Kapitel acht Abschnitt F des noch nicht geschlossenen (siehe oben, Rn. 3) CETA bezieht, eine „geplante Übereinkunft“ im Sinne von Art. 218 Abs. 11 AEUV ist. Der Gutachtenantrag ist mithin zulässig. Keine der Regierungen oder Organe, die sich am Verfahren beteiligt haben, hat insoweit Zweifel geäußert. |
A. Zur Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit der Autonomie der Rechtsordnung der Union
1. Grundsätze
106 |
Es ist von vornherein daran zu erinnern, dass eine internationale Übereinkunft, die die Einrichtung eines mit der Auslegung ihrer Bestimmungen betrauten Gerichts vorsieht, dessen Entscheidungen für die Union bindend sind, grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Die Zuständigkeit der Union im Bereich der internationalen Beziehungen und ihre Befugnis, internationale Übereinkünfte zu schließen, umfassen nämlich notwendigerweise die Möglichkeit, sich in Bezug auf die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen einer solchen Übereinkunft den Entscheidungen eines durch die Übereinkunft eingerichteten oder bestimmten Gerichts zu unterwerfen (Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 182; vgl. auch Gutachten 1/91 [EWR-Abkommen – I] vom 14. Dezember 1991, EU:C:1991:490, Rn. 40 und 70, und Gutachten 1/09 [Übereinkommen über die Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems] vom 8. März 2011, EU:C:2011:123, Rn. 74). |
107 |
Allerdings kann eine von der Union geschlossene internationale Übereinkunft nur dann Auswirkungen auf die Zuständigkeiten der Unionsorgane haben, wenn die wesentlichen Voraussetzungen für die Wahrung des Wesens dieser Zuständigkeiten erfüllt sind und folglich die Autonomie der Unionsrechtsordnung nicht beeinträchtigt wird (vgl. u. a. Gutachten 1/00 [Übereinkommen über die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Luftverkehrsraums] vom 18. April 2002, EU:C:2002:231, Rn. 20 und 21, und Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 183). |
108 |
Das CETA ist also, soweit die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten durch die Einrichtung des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz und dann später eines multilateralen Investitionsgerichtshofs „verrichterlicht“ wird (vgl. Gliederungspunkt 6 Buchst. f, g und i des Gemeinsamen Auslegungsinstruments und Schlussanträge zum vorliegenden Gutachtenantrag, Nr. 18), nur dann mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn die Autonomie der Unionsrechtsordnung nicht beeinträchtigt wird. |
109 |
Die Autonomie der Unionsrechtsordnung, die sowohl gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten als auch gegenüber dem Völkerrecht besteht, ergibt sich aus den wesentlichen Merkmalen der Union und des Unionsrechts. Das Unionsrecht ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass es einer autonomen Quelle, den Verträgen, entspringt und Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten hat, sowie durch die unmittelbare Wirkung einer ganzen Reihe für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst geltender Bestimmungen. Solche Merkmale haben zu einem strukturiertem Netz miteinander verflochtener Grundätze, Regeln und Rechtsbeziehungen geführt, das die Union selbst und ihre Mitgliedstaaten wechselseitig sowie die Mitgliedstaaten untereinander bindet (vgl. u. a. Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
110 |
Die Autonomie der Unionsrechtsordnung besteht somit darin, dass die Union über einen eigenen verfassungsrechtlichen Rahmen verfügt. Hierzu gehören die in Art. 2 EUV genannten „Werte, auf die sich die Union gründet“, nämlich „die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte“, die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, die Vorschriften der Charta und die Vorschriften des EU- und des AEU-Vertrags, zu denen insbesondere die Vorschriften über die Übertragung und Aufteilung von Zuständigkeiten, die Vorschriften über die Arbeitsweise der Unionsorgane und des Gerichtssystems der Union und die Grundregeln in speziellen Bereichen gehören, die so gestaltet sind, dass sie zur Verwirklichung des Integrationsprozesses im Sinne von Art. 1 Abs. 2 EUV beitragen (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 158). |
111 |
Um sicherzustellen, dass diese besonderen Merkmale und die Autonomie der so begründeten Rechtsordnung der Union erhalten bleiben, wurde mit den Verträgen ein Gerichtssystem geschaffen, das zur Gewährleistung der Kohärenz und der Einheitlichkeit der Auslegung des Unionsrechts dient. Nach Art. 19 EUV ist es Sache der nationalen Gerichte und des Gerichtshofs, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, wobei der Gerichtshof die ausschließliche Zuständigkeit für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts hat. Hierzu ist in dem durch die Verträge geschaffenen Gerichtssystem insbesondere das Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV vorgesehen (Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 174 bis 176 und 246). |
112 |
Hier ist im Hinblick auf die im Gutachtenantrag geäußerten Bedenken zu prüfen, ob die Union durch den in Kapitel acht Abschnitt F des CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus an ihrem Funktionieren gemäß ihrem eigenen verfassungsrechtlichen Rahmen gehindert wird. |
113 |
Insoweit ist zunächst festzustellen, dass der im CETA vorgesehene ISDS-Mechanismus außerhalb des Gerichtssystems der Union steht. |
114 |
Die vom CETA vorgesehenen Gerichte unterscheiden sich von den innerstaatlichen Gerichten Kanadas, der Union und der Mitgliedstaaten. Das CETA-Gericht und die CETA-Rechtsbehelfsinstanz sind also nicht Teil des Gerichtssystems der einen oder anderen Vertragspartei des CETA. |
115 |
Der im CETA vorgesehene ISDS-Mechanismus beeinträchtigt aber nicht bereits deshalb die Autonomie der Rechtsordnung der Union, weil er außerhalb des Gerichtssystems der Union steht. |
116 |
Die Zuständigkeit der in Art. 19 EUV genannten Gerichte für die Auslegung und Anwendung von internationalen Übereinkünften der Union geht nämlich weder der Zuständigkeit der Gerichte der Drittstaaten, mit denen die Übereinkünfte geschlossen worden sind, noch der Zuständigkeit der mit den Übereinkünften eingerichteten internationalen Gerichte vor. |
117 |
Ebenso wie von der Union geschlossene internationale Übereinkünfte einen festen Bestandteil der Rechtsordnung der Union bilden und somit Gegenstand von Vorabentscheidungsersuchen sein können (vgl. u. a. Urteile vom 30. April 1974, Haegeman, 181/73, EU:C:1974:41, Rn. 5 und 6, vom 25. Februar 2010, Brita, C‑386/08, EU:C:2010:91, Rn. 39, und vom 22. November 2017, Aebtri, C‑224/16, EU:C:2017:880, Rn. 50), betreffen sie die Drittstaaten, mit denen sie geschlossen worden sind, und können daher auch von deren Gerichten ausgelegt werden. Gerade wegen der Reziprozität internationaler Übereinkünfte und der Erforderlichkeit, die Zuständigkeit der Union in internationalen Beziehungen zu bewahren, kann die Union, wie sich aus der oben in Rn. 106 angeführten Rechtsprechung ergibt, eine Übereinkunft schließen, mit der einem internationalen Gericht die Zuständigkeit übertragen wird, die Übereinkunft auszulegen, ohne dabei an durch die Gerichte der Vertragsparteien vorgenommene Auslegungen der Übereinkunft gebunden zu sein. |
118 |
Das Unionsrecht steht also weder dem entgegen, dass Kapitel acht Abschnitt F des CETA die Einrichtung eines Gerichts, einer Rechtsbehelfsinstanz und später eines multilateralen Investitionsgerichtshofs vorsieht, noch dem, dass diesen Gerichten die Zuständigkeit für die Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Abkommens nach den zwischen den Vertragsparteien geltenden völkerrechtlichen Regeln und Grundsätzen übertragen wird. Da diese Gerichte aber außerhalb des Gerichtssystems der Union stehen, können sie nicht dafür zuständig sein, Vorschriften des Unionsrechts außer den Vorschriften des CETA auszulegen oder anzuwenden oder Urteilssprüche zu erlassen, die dazu führen können, dass die Unionsorgane daran gehindert werden, gemäß dem verfassungsrechtlichen Rahmen der Union zu funktionieren. |
119 |
Der im CETA vorgesehene ISDS-Mechanismus ist mithin nur dann mit der Autonomie der Rechtsordnung der Union vereinbar, wenn Kapitel acht Abschnitt F des CETA
|
2. Zu der fehlenden Zuständigkeit, andere Vorschriften des Unionsrechts als die Vorschriften des CETA auszulegen und anzuwenden
120 |
Mit dem zu Kapitel acht Abschnitt F des CETA gehörenden Art. 8.18 CETA wird dem CETA-Gericht die Zuständigkeit übertragen, über Klagen zu entscheiden, die ein Investor einer Vertragspartei wegen Verletzung einer Pflicht nach Kapitel acht Abschnitt C (Art. 8.6 bis 8.8 CETA) oder D (Art. 8.9 bis 8.14 CETA) durch die andere Vertragspartei anstrengt. |
121 |
Nach Art. 8.31 Abs. 1 CETA wendet das CETA-Gericht hierbei „dieses Abkommen so an, wie es nach dem [Wiener Übereinkommen] und anderen zwischen den Vertragsparteien geltenden völkerrechtlichen Regeln und Grundsätzen auszulegen ist“. Art. 8.31 Abs. 2 Satz 1 CETA stellt aber klar, dass es nicht in die Zuständigkeit des Gerichts fällt, „die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme, die vorgeblich einen Verstoß gegen dieses Abkommen darstellt, nach dem innerstaatlichen Recht einer Vertragspartei zu beurteilen“. |
122 |
Danach beschränkt sich die dem CETA-Gericht übertragene Zuständigkeit auf die Auslegung und Anwendung der Vorschriften des CETA, die nach den zwischen den Vertragsparteien geltenden völkerrechtlichen Regeln und Grundsätzen zu erfolgen hat. |
123 |
Insoweit unterscheidet sich Kapitel acht Abschnitt F des CETA von dem Entwurf eines Übereinkommens zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems, zu dem mit dem Gutachten 1/09 (Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems) vom 8. März 2011 (EU:C:2011:123) festgestellt wurde, dass er nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist. |
124 |
Zu dem im Rahmen dieses Entwurfs „anwendbaren Recht“ gehörten nach dessen Art. 14a nämlich u. a. „das unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Verordnung … des Rates über das Gemeinschaftspatent, und … die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften der Vertragsstaaten zur Umsetzung des Gemeinschaftsrechts“. Der Gerichtshof hat daraus in Rn. 78 des Gutachtens geschlossen, dass das vorgesehene Patentgericht nicht nur die Bestimmungen des betreffenden Übereinkommens auslegen und anwenden soll, sondern auch die zukünftige Verordnung über das Gemeinschaftspatent und andere Instrumente des Unionsrechts, insbesondere Verordnungen und Richtlinien, die gegebenenfalls in Verbindung mit dieser Verordnung zu lesen wären. Er hat in Rn. 78 des Gutachtens ferner darauf hingewiesen, dass das Patentgericht über einen bei ihm anhängigen Rechtsstreit im Licht der Grundrechte und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts zu entscheiden oder sogar die Gültigkeit eines Rechtsakts der Union zu überprüfen haben könne. |
125 |
U. a. deswegen ist der Gerichtshof in dem betreffenden Gutachten zu dem Schluss gelangt, dass der Abschluss des Übereinkommens die Zuständigkeiten, die die Verträge den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten zuweisen und die für die Wahrung der Natur des Unionsrechts wesentlich sind, verfälscht hätte (Gutachten 1/09 [Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems] vom 8. März 2011, EU:C:2011:123, Rn. 89). |
126 |
Kapitel acht Abschnitt F des CETA unterscheidet sich auch von dem Investitionsschutzabkommen, um das es in der Rechtssache ging, in der das Urteil vom 6. März 2018, Achmea (C‑284/16, EU:C:2018:158), ergangen ist. Wie der Gerichtshof in dessen Rn. 42, 55 und 56 festgestellt hat, wurde mit dem betreffenden Abkommen ein Gericht eingerichtet, dass über Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden hat, die die Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts betreffen können. |
127 |
Im Übrigen ging es in dem Urteil um ein zwischen Mitgliedstaaten geschlossenes Abkommen. Die Frage, ob die Einrichtung oder Beibehaltung eines Investitionsschutzgerichts durch ein solches Abkommen mit dem Unionsrecht vereinbar ist, unterscheidet sich aber von der Frage, ob die Einrichtung eines solchen Gerichts durch ein Abkommen zwischen der Union und einem Drittstaat mit dem Unionsrecht vereinbar ist (Urteil vom 6. März 2018, Achmea, C‑284/16, EU:C:2018:158, Rn. 57 und 58). |
128 |
Die Mitgliedstaaten sind nämlich in allen unter das Unionsrecht fallenden Bereichen verpflichtet, den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zu beachten. Dieser Grundsatz verlangt von jedem Mitgliedstaat, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht einschließlich der Grundrechte wie des in Art. 47 der Charta niedergelegten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem unabhängigen Gericht beachten (vgl. in diesem Sinne u. a. Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 191, und Urteil vom 26. April 2018, Donnellan, C‑34/17, EU:C:2018:282, Rn. 40 und 45). |
129 |
Dieser Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gilt aber nicht in den Beziehungen zwischen der Union und einem Drittstaat, insbesondere, was die Beachtung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem unabhängigen Gericht angeht. |
130 |
Die oben in Rn. 122 getroffene Feststellung wird nicht durch Art. 8.31 Abs. 2 des CETA entkräftet, wonach „[das Gericht] [b]ei seiner Beurteilung, ob eine Maßnahme im Einklang mit diesem Abkommen steht, … das innerstaatliche Recht einer Vertragspartei, soweit angezeigt, als Tatsache heranziehen [kann]“ und „das Gericht [dabei] der herrschenden Auslegung des innerstaatlichen Rechts durch die Gerichte und Behörden der betreffenden Vertragspartei [folgt], wobei „eine etwaige vom Gericht vorgenommene Auslegung innerstaatlichen Rechts für die Gerichte und Behörden dieser Vertragspartei nicht bindend ist“. |
131 |
Mit diesen Präzisierungen soll nämlich lediglich dem Umstand Rechnung getragen werden, dass das CETA-Gericht, wenn es zu prüfen hat, ob die von dem Staat, in dem die Investition getätigt worden ist, oder von der Union erlassene Maßnahme, die vom Investor angefochten wird, mit dem CETA in Einklang steht, zwangsläufig anhand des Vorbringens des Investors und des betreffenden Staates oder der Union ermitteln muss, welche Tragweite die Maßnahme hat. Hierzu muss mitunter das innerstaatliche Recht des Beklagten herangezogen werden. Wie sich eindeutig aus Art. 8.31 Abs. 2 des CETA ergibt, kann diese Prüfung nicht mit einer Auslegung des innerstaatlichen Rechts des Beklagten durch das CETA-Gericht gleichgesetzt werden. Vielmehr wird das innerstaatliche Recht des Beklagten als Tatsache herangezogen. Dabei hat das CETA-Gericht der herrschenden Auslegung des innerstaatlichen Rechts durch die Gerichte und Behörden der betreffenden Vertragspartei zu folgen, wobei eine vom CETA-Gericht vorgenommene Auslegung innerstaatlichen Rechts für die Gerichte und Behörden dieser Vertragspartei nicht bindend ist. |
132 |
Das Fehlen einer Zuständigkeit für die Auslegung anderer Vorschriften des Unionsrechts als der Vorschriften des CETA kommt auch in Art. 8.21 CETA zum Ausdruck, nach dem nicht das CETA-Gericht, sondern die Union für die Feststellung zuständig ist, ob eine Klage eines kanadischen Investors gegen eine von einem Mitgliedstaat und/oder der Union erlassene Maßnahme nach den Regeln über die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten gegen den Mitgliedstaat oder gegen die Union zu richten ist. Die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Entscheidung über die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten ist somit gewahrt. Insoweit unterscheidet sich Kapitel acht Abschnitt F des CETA von dem Entwurf eines Übereinkommens, der Gegenstand des Gutachtens 2/13 (Beitritt der Union zur EMRK) vom 18. Dezember 2014 (EU:C:2014:2454, Rn. 224 bis 231) war. |
133 |
Auch die CETA-Rechtsbehelfsinstanz wird nicht andere Vorschriften des Unionsrechts als die Vorschriften des CETA auszulegen und anzuwenden haben. Nach Art. 8.28 Abs. 2 Buchst. a CETA kann die CETA-Rechtsbehelfsinstanz „einen Urteilsspruch des Gerichts bestätigen oder ihn … aufgrund von Fehlern bei der Anwendung oder Auslegung des anwendbaren Rechts [abändern oder aufheben]“. In Anbetracht des Rechts, das das CETA-Gericht nach Art. 8.31 Abs. 1 CETA anwenden darf, sind mit „anwendbares Recht“ das CETA und die völkerrechtlichen Regeln und Grundsätze, nach denen das CETA auszulegen und anzuwenden ist, gemeint. Zwar kann die CETA-Rechtsbehelfsinstanz nach Art. 8.28 Abs. 2 Buchst. b CETA auch „offenkundige Fehler bei der Würdigung des Sachverhalts, unter anderem bei der Beurteilung relevanter Vorschriften des innerstaatlichen Rechts“ feststellen. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich jedoch, dass es nicht Absicht der Vertragsparteien ist, der CETA-Rechtsbehelfsinstanz eine Zuständigkeit für die Auslegung des innerstaatlichen Rechts zu übertragen. |
134 |
Da das CETA-Gericht und die CETA-Rechtsbehelfsinstanz außerhalb des Gerichtssystems der Union stehen und ihre Zuständigkeit auf die Auslegung der Vorschriften des CETA nach den zwischen den Vertragsparteien geltenden völkerrechtlichen Regeln und Grundsätzen beschränkt ist, ist es auch nur folgerichtig, dass das CETA kein Vorabentscheidungsverfahren vorsieht, das das CETA-Gericht oder die CETA-Rechtsbehelfsinstanz ermächtigen oder verpflichten würde, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen. |
135 |
Aus denselben Gründen ist es folgerichtig, dass das CETA-Gericht und die CETA-Rechtsbehelfsinstanz mit dem CETA ermächtigt werden, über eine Klage, die ein Investor gegen den Staat, in dem er seine Investition getätigt hat, oder gegen die Union eingereicht hat, endgültig zu entscheiden, ohne dass ein Verfahren der Überprüfung des Rechtsspruchs durch ein Gericht des betreffenden Staates oder durch den Gerichtshof geschaffen wird und ohne dass dem Investor – abgesehen von den in Art. 8.22 Abs. 5 CETA aufgezählten speziellen Ausnahmen – die Möglichkeit eingeräumt wird, während oder nach Abschluss des Verfahrens vor dem CETA-Gericht und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz in derselben Sache bei einem Gericht des betreffenden Staates oder beim Gerichtshof ein Verfahren anzustrengen. |
136 |
Somit ist festzustellen, dass Kapitel acht Abschnitt F des CETA den vorgesehenen Gerichten nicht die Zuständigkeit überträgt, andere Vorschriften des Unionsrechts als die des CETA auszulegen oder anzuwenden. |
3. Zum Fehlen von Auswirkungen auf das Funktionieren der Unionsorgane gemäß ihrem verfassungsrechtlichen Rahmen
137 |
Das Königreich Belgien und einige der Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, haben darauf hingewiesen, dass das CETA-Gericht bei gegen die Union eingereichten Klagen im Rahmen der Prüfung des relevanten Sachverhalts, zu dem als Grundlage der angefochtenen Maßnahme das Primärrecht der Union gehören könne, das vom klagenden Investor ins Feld geführte Interesse der unternehmerischen Freiheit gegen von der Union entgegengehaltene öffentliche Interessen, wie sie im EU- und im AEU-Vertrag und in der Charta genannt sind, abwägen könnte. |
138 |
Das CETA-Gericht habe dabei, auch ohne den EU- oder AEU-Vertrag oder die Charta auszulegen, zu beurteilen, welche Tragweite der EU- oder AEU-Vertrag oder die Charta hätte, und auf der Grundlage der Abwägung der Interessen u. a. zu entscheiden, ob die Maßnahme der Union im Sinne von Art. 8.10 CETA „gerecht und billig“ sei oder ob sie eine indirekte Enteignung im Sinne von Art. 8.12 CETA oder eine ungerechtfertigte Beschränkung der in Art. 8.13 CETA vorgesehenen Freiheit von Zahlungen und Kapitaltransfers darstelle. Das CETA-Gericht könnte also über Sekundärrechtsakte der Union auf der Grundlage von Beurteilungen befinden, die parallel zu denen erfolgten, die der Gerichtshof vornehmen könne. Solche Beurteilungen des CETA-Gerichts würden aber zu endgültigen Entscheidungen führen, die die Union bänden. Deshalb sei fraglich, ob solche Situationen, die häufig auftreten dürften, die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts und damit die Autonomie der Rechtsordnung der Union beeinträchtigten. |
139 |
Hierzu ist erstens festzustellen, dass die Bestimmung des Begriffs „Investition“ in Art. 8.1 CETA sehr weit gefasst ist, so dass die im CETA vorgesehenen Gerichte mit einem breiten Spektrum von Streitigkeiten zu tun haben werden. Gegen die Union oder einen Mitgliedstaat eingereichte Klagen können, abgesehen von den speziellen Ausnahmen, die im CETA angeführt sind, Maßnahmen in allen Bereichen betreffen, die den Betrieb von Unternehmen und die Verwendung von beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen, Vermögensgegenständen materieller oder immaterieller Art, Wertpapieren, Rechten des geistigen Eigentums, Forderungen oder jeglichen anderen Arten von Investitionen in der Union betreffen. |
140 |
Zweitens ist festzustellen, dass die Union, auch wenn ihr Art. 8.21 CETA die Feststellung überlässt, ob sie bei einer von einem kanadischen Investor beim CETA-Gericht eingereichten Klage selbst die Rolle des Beklagten übernimmt oder dies dem Mitgliedstaat überlässt, in dem die Investition getätigt worden ist, bei einer von ihr selbst erlassenen Maßnahme nicht verhindern kann, dass sie vom CETA-Gericht untersucht wird. Nach den Verfahrensvorschriften des CETA, insbesondere Art. 8.25 Abs. 1 CETA, ist der Beklagte gehalten, der Beilegung der Streitigkeit durch das CETA-Gericht zuzustimmen, gleich, ob es sich bei ihm um den Mitgliedstaat, in dem die Investition getätigt worden ist, oder die Union selbst handelt. |
141 |
Drittens ist festzustellen, dass das Recht, beim CETA-Gericht gegen die Union oder einen Mitgliedstaat eine Klage anzustrengen, zwar durch die Definition des Begriffs „Investor“ in Art. 8.1 CETA und durch die Präzisierung in Gliederungspunkt 6 Buchst. d des Gemeinsamen Auslegungsinstruments auf natürliche und juristische Personen mit einer echten Verbindung zu Kanada beschränkt ist. Nach dem CETA können diese aber jede „Maßnahme“ im Sinne von Art. 1.1 des CETA, wie sie für Kapitel acht des CETA in Art. 8.2 CETA definiert ist, vor dem CETA-Gericht anfechten. |
142 |
Da Art. 1.1 CETA den Begriff „Maßnahme“ definiert als „ein Gesetz, eine sonstige Vorschrift, eine Regel, ein Verfahren, einen Beschluss, Verwaltungshandeln, eine Auflage, eine Praxis oder jede andere Form von Maßnahme einer Vertragspartei“, kann Gegenstand einer Klage gegen die Union jegliche Handlung oder Verhaltensweise der Union sein, die nach Art. 8.2 CETA in Verbindung mit Kapitel acht Abschnitte C, D und F des CETA eine Maßnahme „in Bezug auf eine erfasste Investition“ im Sinne von Art. 8.1 CETA oder „in Bezug auf einen Investor der anderen Vertragspartei“, was die erfasste Investition angeht, darstellt. |
143 |
Auch wenn nach dem CETA somit Gegenstand der Streitigkeit eine Maßnahme in Bezug auf den Kläger oder seine erfasste Investition sein muss, ist nach dem CETA nicht ausgeschlossen, dass es sich um eine Maßnahme mit allgemeiner Geltung handelt oder mit der Maßnahme ein Rechtsakt mit allgemeiner Geltung umgesetzt wird. |
144 |
Viertens ist festzustellen, dass das CETA-Gericht die angefochtene Maßnahme zwar weder für nichtig erklären noch verlangen kann, dass die betreffende Vertragspartei ihr innerstaatliches Recht mit dem CETA in Einklang bringt, noch gegen den Beklagten eine Sanktion verhängen kann. Dies ergibt sich aus der Verwendung des Ausdrucks „nur“ in Art. 8.39 Abs. 1 CETA und dem Wortlaut von Abs. 4 dieses Artikels. Stellt das CETA-Gericht aber fest, dass die Maßnahme gegen eine Vorschrift von Kapitel acht Abschnitt C oder D des CETA verstößt, kann es den Beklagten nach Art. 8.39 Abs. 1 Buchst. a CETA verurteilen, an den klagenden Investor einen Betrag, gegebenenfalls zuzüglich aufgelaufener Zinsen, zu zahlen, mit dem der dem Investor durch den Verstoß entstandene Schaden ausgeglichen wird. |
145 |
Nach Art. 8.41 Abs. 2 CETA „erkennen die Streitparteien den Urteilsspruch an und kommen ihm unverzüglich nach“. Würde die Union durch einen endgültigen Urteilsspruch des CETA-Gerichts oder nach den Modalitäten gemäß Art. 8.28 Abs. 9 CETA von der CETA-Rechtsbehelfsinstanz verurteilt, müsste sie den entsprechenden Betrag also zahlen. |
146 |
Die in Art. 8.39 Abs. 1 Buchst. a CETA vorgesehene Befugnis des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz, einem privaten Investor Schadensersatz zuzusprechen, ist ein Aspekt des durch das CETA geschaffenen ISDS-Mechanismus, durch den sich dieser von dem in der Welthandelsorganisation (WTO) geltenden System der Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern unterscheidet, das teilweise auf Verhandlungen zwischen den Mitgliedern beruht und verschiedene Optionen der Durchführung der Schiedssprüche vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2008, FIAMM u. a./Rat und Kommission, C‑120/06 P und C‑121/06 P, EU:C:2008:476, Rn. 116). |
147 |
Die Merkmale der Befugnisse des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz, wie sie oben in den Rn. 139 bis 145 beschrieben sind, stehen zwar in Einklang mit dem vom CETA verfolgten Ziel des Schutzes ausländischer Investoren. |
148 |
Abgesehen von dem Fall, dass die Vertragsparteien im Rahmen des CETA übereingekommen sein sollten, ihre Rechtsvorschriften anzugleichen, würden die Befugnisse des CETA-Gerichts und der CETA‑Rechtsbehelfsinstanz aber die Autonomie der Rechtsordnung der Union beeinträchtigen, wenn sie so ausgestaltet wären, dass diese Gerichte bei der Beurteilung von mit einer Klage angefochtenen Einschränkungen der unternehmerischen Freiheit das Niveau des Schutzes eines öffentlichen Interesses, wegen dessen solche Einschränkungen von der Union für sämtliche in dem betreffenden Handels- oder Industriesektor des Binnenmarkts investierenden Wirtschaftsteilnehmer eingeführt worden sind, in Frage stellen könnten, anstatt lediglich zu überprüfen, ob die Behandlung eines Investors oder einer erfassten Investition unter einem der in Kapitel acht Abschnitt C oder D des CETA genannten Mängel leidet. |
149 |
Wären das CETA-Gericht und die CETA-Rechtsbehelfsinstanz befugt, Urteilssprüche zu erlassen, nach denen die Behandlung eines kanadischen Investors wegen des Niveaus des Schutzes eines öffentlichen Interesses, das von den Unionsorganen festgelegt worden ist, mit dem CETA unvereinbar ist, wäre die Union gezwungen, darauf zu verzichten, dieses Schutzniveau zu erreichen, wenn sie nicht immer wieder vom CETA-Gericht gezwungen werden will, Schadensersatz an den klagenden Investor zu leisten. |
150 |
Wenn die Union eine internationale Übereinkunft schließen würde, die dazu führen könnte, dass sie – oder ein Mitgliedstaat bei der Durchführung des Unionsrechts – eine Regelung wegen einer Beurteilung ändern oder aufheben müsste, die ein außerhalb ihres Gerichtssystems stehendes Gericht hinsichtlich des Niveaus des Schutzes eines öffentlichen Interesses vornimmt, das von den Unionsorganen gemäß dem verfassungsrechtlichen Rahmen der Union festgelegt worden ist, wäre festzustellen, dass die Übereinkunft die Union in ihrem autonomen Funktionieren in ihrem eigenen verfassungsrechtlichen Rahmen beeinträchtigen würde. |
151 |
Regelungen werden vom Unionsgesetzgeber nach dem im EU- und im AEU-Vertrag festgelegten demokratischen Verfahren erlassen und sollen nach den in Art. 5 EUV genannten Grundsätzen der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit geeignet und erforderlich sein, um ein legitimes Ziel der Union zu verwirklichen. Nach Art. 19 EUV ist es Sache des Unionsrichters, zu prüfen, ob das durch die betreffende Regelung festgelegte Niveau des Schutzes der öffentlichen Interessen insbesondere mit dem EU- und dem AEU-Vertrag, der Charta und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts in Einklang steht. |
152 |
Was die Zuständigkeit der im CETA vorgesehenen Gerichte für die Feststellung einer Verletzung einer Pflicht nach Kapitel acht Abschnitt C des CETA angeht, sieht Art. 28.3 Abs. 2 CETA vor, dass die Vorschriften von Kapitel acht Abschnitt C des CETA nicht dahin gehend auszulegen sind, dass sie die Annahme oder Durchsetzung von Maßnahmen einer Vertragspartei verhindern, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Moral, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen erforderlich sind, unter der alleinigen Voraussetzung, dass diesbezügliche Maßnahmen nicht so angewandt werden, dass sie zu einer willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen den Vertragsparteien bei gleichen Voraussetzungen oder zu einer verschleierten Beschränkung des Handels mit Dienstleistungen führen. |
153 |
Unter diesen Voraussetzungen ist das CETA-Gericht mithin nicht befugt, festzustellen, dass das Niveau des Schutzes eines öffentlichen Interesses, das durch Maßnahmen der Union, wie sie in der vorstehenden Randnummer beschrieben sind, festgesetzt ist, nicht mit dem CETA vereinbar ist, und die Union auf dieser Grundlage zur Leistung von Schadensersatz zu verurteilen. |
154 |
Ebenso wird in Art. 8.9 Abs. 1 CETA, was die Zuständigkeit der im CETA vorgesehenen Gerichte für die Feststellung der Verletzung einer Pflicht nach Kapitel acht Abschnitt D des CETA angeht, ausdrücklich klargestellt, dass die Vertragsparteien das Recht haben, „zur Erreichung legitimer politischer Ziele wie des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, Sicherheit, des Schutzes der Umwelt oder der öffentlichen Sittlichkeit, des Sozial- oder Verbraucherschutzes oder der Förderung und des Schutzes der kulturellen Vielfalt in ihrem jeweiligen Gebiet Regelungen zu erlassen“. In Art. 8.9 Abs. 2 CETA heißt es weiter: „Zur Klarstellung: Die bloße Tatsache, dass eine Vertragspartei – auch durch Änderung ihrer Gesetze – Regelungen in einer Art und Weise trifft, die sich auf eine Investition negativ auswirkt oder die Erwartungen eines Investors, einschließlich seiner Gewinnerwartungen, beeinträchtigt, stellt keinen Verstoß gegen eine Verpflichtung aus diesem Abschnitt dar.“ |
155 |
Ferner heißt es im Gemeinsamen Auslegungsinstrument, dass das CETA „[die] jeweiligen Standards und Vorschriften [der Vertragsparteien] im Zusammenhang mit Lebensmittelsicherheit, Produktsicherheit, Verbraucherschutz, Gesundheit, Umweltschutz und Arbeitsschutz nicht absenken [wird]“ und dass „[e]ingeführte Waren, Dienstleistungserbringer und Investoren … weiterhin den innerstaatlichen Anforderungen einschließlich der Vorschriften und Regelungen genügen [müssen]“ (Gliederungspunkt 1 Buchst. d) sowie dass das CETA „die Fähigkeit der … Union und ihrer Mitgliedstaaten und Kanadas, ihre eigenen Gesetze und Vorschriften, die im öffentlichen Interesse die Wirtschaftstätigkeit regulieren, … zu erlassen und anzuwenden [wahrt]“ (Gliederungspunkt 2). |
156 |
Eine Gesamtbetrachtung dieser Vorschriften ergibt, dass die Beurteilungsbefugnis des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz nicht so weit reicht, dass es ihnen erlaubt wäre, das Niveau des Schutzes eines öffentlichen Interesses, das von der Union in einem demokratischen Prozess festgelegt worden ist, in Frage zu stellen. |
157 |
Das ist auch die Bedeutung von Nr. 3 des Anhangs 8-A des CETA, in der es heißt: „Zur Klarstellung gilt, dass diskriminierungsfreie Maßnahmen einer Vertragspartei, die zu dem Zweck konzipiert und angewendet werden, den Schutz berechtigter Gemeinwohlziele wie öffentliche Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz zu gewährleisten, keine indirekte Enteignung darstellen; davon ausgenommen sind die seltenen Fälle, in denen die Auswirkungen einer Maßnahme oder einer Reihe von Maßnahmen unter Berücksichtigung ihres Zweckes so schwerwiegend sind, dass sie offenkundig überzogen erscheinen.“ |
158 |
Im Übrigen ist die Zuständigkeit des CETA-Gerichts für die Feststellung von Verletzungen der Pflicht nach Art. 8.10 CETA, erfassten Investitionen eine „gerechte und billige Behandlung“ zu gewähren, auf ganz bestimmte, in Art. 8.10 Abs. 2 CETA abschließend aufgezählte Fälle begrenzt. |
159 |
Die Vertragsparteien haben sich dabei insbesondere auf Fälle von missbräuchlicher Behandlung, offenkundiger Willkür und gezielter Diskriminierung konzentriert, was wiederum bestätigt, dass das erforderliche Niveau des Schutzes eines öffentlichen Interesses, das in einem demokratischen Verfahren festgelegt worden ist, nicht in die Zuständigkeit der im CETA vorgesehenen Gerichte fällt, zu prüfen, ob es sich bei einer Behandlung, die eine Vertragspartei einem Investor oder einer erfassten Investition gewährt, um eine „gerechte und billige Behandlung“ handelt. |
160 |
Eine Gesamtbetrachtung der untersuchten Vorschriften des CETA ergibt also, dass die Vertragsparteien, indem sie ausdrücklich die Tragweite von Kapitel acht Abschnitte C und D des CETA – den einzigen Abschnitten von Kapitel acht des CETA, die vor den in Kapitel acht Abschnitt F des CETA vorgesehenen Gerichten geltend gemacht werden können – begrenzt haben, darauf geachtet haben, auszuschließen, dass diese Gerichte die Befugnis haben, Entscheidungen in Frage zu stellen, die von einer Vertragspartei demokratisch getroffen worden sind, insbesondere in den Bereichen des Niveaus der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, des Schutzes der öffentlichen Sicherheit, des Schutzes der öffentlichen Moral, des Schutzes des Lebens und der Gesundheit von Menschen und Tieren, des Schutzes der Lebensmittelsicherheit, des Schutzes der Pflanzen, des Umweltschutzes, des des Arbeitsschutzes, des Schutzes der Produktsicherheit, des Verbraucherschutzes und des Schutzes der Grundrechte. |
161 |
Somit ist festzustellen, dass Kapitel acht Abschnitt F des CETA die Autonomie der Rechtsordnung der Union nicht beeinträchtigt. |
B. Zur Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung und dem Gebot der Wirksamkeit
1. Grundsätze
162 |
Die Bedenken, die das Königreich Belgien im Gutachtenantrag hinsichtlich der Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung geäußert hat, betreffen die Frage, ob dieser Mechanismus mit Art. 20 der Charta, in dem die „Gleichheit vor dem Gesetz“ garantiert ist, und mit Art. 21 Abs. 2 der Charta, der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet, vereinbar ist. |
163 |
Mehrere der Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, und der Rat sind der Auffassung, dass der im CETA vorgesehene ISDS-Mechanismus nicht mit diesen Bestimmungen der Charta vereinbar sein müsse. |
164 |
Zunächst ist also zu prüfen, ob der Gutachtenantrag, mit dem um Stellungnahme zur Vereinbarkeit von Kapitel acht Abschnitt F des CETA „mit den Verträgen, einschließlich der Grundrechte“, ersucht wird, eine Prüfung nach der Charta erfordert. |
165 |
Insoweit ist festzustellen, dass von der Union geschlossene internationale Übereinkünfte mit den Verträgen und den Verfassungsgrundsätzen, die sich aus ihnen ableiten lassen, im Einklang stehen müssen (u. a. Gutachten 1/15 [PNR-Abkommen EU-Kanada] vom 26. Juli 2017, EU:C:2017:592, Rn. 67, und Urteil vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK, C‑266/16, EU:C:2018:118, Rn. 46). |
166 |
Art. 218 Abs. 11 AEUV, nach dem ein Mitgliedstaat, das Europäische Parlament, der Rat oder die Kommission ein Gutachten des Gerichtshofs über die Vereinbarkeit einer geplanten Übereinkunft „mit den Verträgen“ einholen kann, ist in Anbetracht dieses allgemeinen Erfordernisses der Vereinbarkeit mit dem verfassungsrechtlichen Rahmen der Union zu verstehen. |
167 |
Demnach müssen im Rahmen des Verfahrens gemäß Art. 218 Abs. 11 AEUV alle Fragen zulässig sein, die Zweifel an der materiellen oder formellen Vereinbarkeit des Abkommens mit den Verträgen hervorrufen können. Für die Beurteilung der Vereinbarkeit eines Abkommens mit den Verträgen können insoweit neben den Vorschriften über die Zuständigkeit, das Verfahren oder das institutionelle Gefüge der Union auch Bestimmungen des materiellen Rechts maßgeblich sein. Da die Charta und die Verträge rechtlich gleichrangig sind, gilt dasselbe für eine Frage nach der Vereinbarkeit einer geplanten internationalen Übereinkunft mit den Garantien der Charta (Gutachten 1/15 [PNR-Abkommen EU-Kanada] vom 26. Juli 2017, EU:C:2017:592, Rn. 70). |
168 |
Nach den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17) entspricht Art. 21 Abs. 2 der Charta, wonach „[u]nbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge … in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten [ist]“, Art. 18 Abs. 1 AEUV und findet entsprechend Anwendung. |
169 |
Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, findet Art. 18 Abs. 1 AEUV im Fall einer etwaigen Ungleichbehandlung zwischen Angehörigen der Mitgliedstaaten und Drittstaatsangehörigen aber keine Anwendung (Urteil vom 4. Juni 2009, Vatsouras und Koupatantze, C‑22/08 und C‑23/08, EU:C:2009:344, Rn. 52). |
170 |
Bei der Prüfung der vom Königreich Belgien aufgeworfenen Frage, ob der im CETA vorgesehene ISDS-Mechanismus zu einer Diskriminierung der Investoren der Union gegenüber kanadischen Investoren führen kann, kommt Art. 21 Abs. 2 der Charta also überhaupt nicht zum Tragen. |
171 |
Art. 20 der Charta, nach dem „[a]lle Personen … vor dem Gesetz gleich [sind]“, sieht hingegen keine ausdrückliche Begrenzung seines Anwendungsbereichs vor. Er findet daher in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen Anwendung, wie etwa denen, die in den Anwendungsbereich einer von der Union geschlossenen internationalen Übereinkunft fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson, C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 19 bis 21, vom 26. September 2013, Texdata Software, C‑418/11, EU:C:2013:588, Rn. 72, und vom 16. Mai 2017, Berlioz Investment Fund, C‑682/15, EU:C:2017:373, Rn. 49). |
172 |
Ebenso wie unter bestimmten Voraussetzungen Investitionen, die von Unternehmen und natürlichen Personen der Mitgliedstaaten in der Union getätigt werden, fallen auch Investitionen, die von Unternehmen und natürlichen Personen Kanadas in der Union getätigt werden, in den Anwendungsbereich des Unionsrechts und damit der durch Art. 20 der Charta garantierten Gleichheit vor dem Gesetz. Dieses Grundrecht gilt nämlich für alle Personen, deren Situation unter das Unionsrecht fällt, unabhängig davon, wo sie ansässig sind. |
173 |
Der Rat weist zu Recht darauf hin, dass Art. 20 der Charta die Union nicht verpflichtet, in ihren Außenbeziehungen Drittländer gleich zu behandeln (Urteil vom 21. Dezember 2016, Swiss International Air Lines, C‑272/15, EU:C:2016:993, Rn. 24 bis 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
174 |
Wie der Generalanwalt in den Nrn. 198 und 199 seiner Schlussanträge aufgezeigt hat, bedeutet dies aber nicht, dass es nicht zulässig wäre, zu prüfen, ob eine internationale Übereinkunft, weil sie in der Union selbst eine Ungleichbehandlung zwischen den Personen eines Drittstaats und den Personen der Mitgliedstaaten begründet, gegen Art. 20 der Charta verstößt. |
175 |
Die vom Königreich Belgien in seinem Gutachtenantrag insoweit geäußerten Bedenken sind daher unter dem Blickwinkel von Art. 20 der Charta zu prüfen. |
176 |
In Art. 20 der Charta (Gleichheit vor dem Gesetz) ist der Grundsatz der Gleichbehandlung verankert, der verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (Urteile vom 17. Oktober 2013, Schaible, C‑101/12, EU:C:2013:661, Rn. 76, und vom 12. Juli 2018, Spika u. a., C‑540/16, EU:C:2018:565, Rn. 35). |
177 |
Das für die Feststellung einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes geltende Erfordernis der Vergleichbarkeit der Situationen ist anhand aller die betreffenden Situationen kennzeichnenden Merkmale zu beurteilen, insbesondere im Hinblick auf den Gegenstand und das Ziel des Rechtsakts, mit dem die Unterscheidung vorgenommen wird; dabei sind die Grundsätze und Ziele des Regelungsbereichs zu berücksichtigen, dem der Rechtsakt unterfällt (Urteile vom 16. Dezember 2008, Arcelor Atlantique et Lorraine u. a., C‑127/07, EU:C:2008:728, Rn. 26, vom 7. März 2017, RPO,C‑390/15, EU:C:2017:174, Rn. 42, vom 22. Januar 2019, Cresco Investigation, C‑193/17, EU:C:2019:43, Rn. 42). Soweit sich die Situationen nicht miteinander vergleichen lassen, verstößt ihre unterschiedliche Behandlung nicht gegen die in Art. 20 der Charta garantierte Gleichheit vor dem Gesetz (Urteil vom 22. Mai 2014, Glatzel, C‑356/12, EU:C:2014:350, Rn. 84). |
178 |
Was schließlich das Gebot der Wirksamkeit des Unionsrechts angeht, so wird im Gutachtenantrag hierauf lediglich im Rahmen einer speziellen Frage eingegangen, die den Fall betrifft, dass das CETA-Gericht feststellen sollte, dass eine gegen einen kanadischen Investor wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV oder Art. 102 AEUV verhängte Geldbuße nicht mit Kapitel acht Abschnitt C oder D des CETA vereinbar ist. Diese Frage ist daher unter dem Blickwinkel des Gebots der Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts der Union zu prüfen, einer Ausprägung des Verbots der Beschränkung der Anwendung der Vorschriften des AEU-Vertrags zur Aufrechterhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt (vgl. u. a. Urteil vom 5. Juni 2014, Kone, C‑557/12, EU:C:2014:1317, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
2. Zur Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung
179 |
Im Gutachtenantrag wird folgende Ungleichbehandlung angesprochen: Unternehmen und natürliche Personen der Mitgliedstaaten, die in der Union investierten und dem Unionsrecht unterlägen, könnten Maßnahmen der Union nicht vor den im CETA vorgesehenen Gerichten anfechten, wohl aber Unternehmen und natürliche Personen Kanadas, die in denselben Handels- oder Industriesektor des Binnenmarkts der Union investierten. |
180 |
Hierzu ist im Hinblick auf das Ziel und den Zweck der Aufnahme von Vorschriften über die diskriminierungsfreie Behandlung und den Schutz ausländischer Investitionen in das CETA (siehe unten, Rn. 199 und 200) festzustellen, dass sich Unternehmen und natürliche Personen Kanadas, die in der Union investieren, in einer vergleichbaren Situation befinden wie Unternehmen und natürliche Personen der Mitgliedstaaten, die in Kanada investieren. Ihre Situation ist hingegen nicht mit der von Unternehmen und natürlichen Personen der Mitgliedstaaten vergleichbar, die in der Union investieren. |
181 |
Mit der Möglichkeit, sich vor den im CETA vorgesehenen Gerichten auf das CETA zu berufen, soll Unternehmen und natürlichen Personen Kanadas, die in der Union investieren, als ausländische Investoren eine spezielle Möglichkeit der Klage gegen Maßnahmen der Union gewährt werden. Diese Möglichkeit haben Unternehmen und natürliche Personen der Mitgliedstaaten, die wie die Unternehmen und natürlichen Personen Kanadas in der Union investieren, nicht. Denn sie sind in der Union keine ausländischen Investoren. Wegen der Regelung des Art. 30.6 Abs. 1 CETA können sie sich auch vor den Gerichten der Mitgliedstaaten und der Union nicht unmittelbar auf die Vorschriften des CETA berufen. |
182 |
Die oben in Rn. 180 getroffene Feststellung wird nicht durch den im Gutachtenantrag angesprochenen Umstand entkräftet, dass bei einer Klage, die von einem kanadischen Investor im Namen eines in seinem Eigentum oder unter seiner Kontrolle stehenden „gebietsansässigen Unternehmens“ beim CETA-Gericht eingereicht wird, der von diesem Gericht zugesprochene Schadensersatz nach Art. 8.39 Abs. 2 Buchst. a CETA an das betreffende gebietsansässige Unternehmen zu zahlen ist. |
183 |
Wie der Generalanwalt in Nr. 193 seiner Schlussanträge aufgezeigt hat, stellt ein gebietsansässiges Unternehmen selbst eine Investition des kanadischen Investors dar, so dass die Beteiligung des gebietsansässigen Unternehmens an dem Verfahren vor den im CETA vorgesehen Gerichten und der Durchführung des Urteilsspruchs nichts an dem obigen Ergebnis der Prüfung der Vergleichbarkeit der Situation der kanadischen Investoren und der der Investoren der Union ändern kann. |
184 |
An der Gleichbehandlung dieser beiden Kategorien von Personen ändert auch der Umstand nichts, dass die Vertragsparteien nicht die Möglichkeit ausgeschlossen haben, dass das CETA-Gericht einen Urteilsspruch erlässt, mit dem festgestellt wird, dass eine von der Kommission oder einer Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats gegen einen kanadischen Investor wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV oder Art. 102 AEUV verhängte Geldbuße gegen eine Vorschrift von Kapitel acht Abschnitte C und D des CETA verstößt. |
185 |
Nach den Vorschriften von Kapitel acht Abschnitte C und D des CETA ist ein solcher Urteilsspruch nur in Fällen denkbar, in denen der Beschluss, mit dem die Geldbuße verhängt wird, unter einem der in Art. 8.10 Abs. 2 CETA genannten Mängel leidet oder dem Investor im Sinne von Anhang 8-A Nr. 1 Buchst. b des CETA in wesentlichem Maße grundlegende Elemente des Eigentumsrechts an seiner Investition entzogen werden, darunter das Recht, diese zu verwenden, zu nutzen und darüber zu verfügen. Bei richtiger Anwendung der Wettbewerbsregeln durch die Kommission bzw. eine Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats dürfte ein solcher Urteilsspruch hingegen nicht ergehen. Die Vertragsparteien des CETA haben in Art. 17.2 CETA nämlich ausdrücklich „die Bedeutung eines freien und unverfälschten Wettbewerbs im Rahmen ihrer Handelsbeziehungen“ anerkannt und eingeräumt, „dass wettbewerbswidriges Geschäftsgebaren das reibungslose Funktionieren der Märkte stören und die Vorteile der Handelsliberalisierung zunichtemachen kann“. |
186 |
Würde von der Kommission bzw. einer Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats gegen einen Investor der Union aber eine Geldbuße verhängt, die unter einem solchen Mangel leidet oder eine solche enteignende Wirkung hat, würde der Investor über die erforderlichen Rechtsbehelfe verfügen, um die Aufhebung der Geldbuße zu erreichen. Selbst wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Urteilsspruch des CETA-Gerichts, wie er im Gutachtenantrag beschrieben ist, unter außergewöhnlichen Umständen zur Folge haben kann, dass die Wirkungen einer wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV oder Art. 102 AEUV verhängten Geldbuße neutralisiert werden, würde er daher keine Ungleichbehandlung zum Nachteil eines Investors der Union, gegen den eine Geldbuße mit einem vergleichbaren Mangel verhängt wird, begründen. |
3. Zur Vereinbarkeit mit dem Gebot der Wirksamkeit
187 |
Soweit im Gutachtenantrag die Frage aufgeworfen wird, ob die für das CETA-Gericht bestehende Möglichkeit, einen Urteilsspruch zu erlassen, der die oben in Rn. 184 beschriebenen Wirkungen hat, die Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts der Union beeinträchtigen könnte, ist festzustellen, dass in den einzigen Fällen, in denen ein solcher Urteilsspruch in Betracht kommt (siehe oben, Rn. 185), die Neutralisierung der Geldbuße keine solche Gefahr begründen würde. Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 186), ermöglicht das Unionsrecht selbst die Aufhebung der Geldbuße, wenn diese unter einem Mangel leidet, der dem entspricht, den das CETA-Gericht feststellen könnte. |
188 |
Da die Vorschriften von Kapitel acht Abschnitt F des CETA somit nicht die volle Anwendung der Vorschriften des AEU-Vertrags zur Aufrechterhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt beeinträchtigen, ist im Einklang mit der oben in Rn. 178 dargestellten Rechtsprechung festzustellen, dass sie nicht gegen das Gebot der Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts der Union verstoßen. |
C. Zur Vereinbarkeit des im CETA vorgesehenen ISDS-Mechanismus mit dem Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht
1. Grundsätze
189 |
In seinem Gutachtenantrag bezieht sich das Königreich Belgien auf das Recht, bei einem „unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht“ (Art. 47 Abs. 2 der Charta) einen Rechtsbehelf einzulegen, und auf „den [wirksamen] Zugang zu den Gerichten“ (Art. 47 Abs. 3 der Charta). |
190 |
Hierzu ist festzustellen, dass sich aus Art. 47 der Charta, den die Union nach der oben in den Rn. 165 und 167 dargestellten Rechtsprechung zu beachten hat, ergibt, dass die Union, wenn sie eine internationale Übereinkunft schließt, die die Errichtung von Organen zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten insbesondere zwischen privaten Investoren und Staaten umfasst, bei denen die Merkmale eines Gerichts überwiegen, wie etwa des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz, hinsichtlich der Modalitäten des Zugangs zu diesen Organen und deren Unabhängigkeit an die Vorschriften des Art. 47 Abs. 2 und 3 der Charta gebunden ist. |
191 |
Die Union muss also unter Berücksichtigung des Wesens, der Besonderheiten und des internationalen Kontexts solcher Organe dafür sorgen, dass Kapitel acht Abschnitt F des CETA und alle anderen Vorschriften, mit denen die Tragweite dieser Vorschriften des CETA bestimmt wird, garantieren, dass die eingerichteten Gerichte nach Abschluss und Durchführung des CETA die Merkmale eines zugänglichen und unabhängigen Gerichts aufweisen. |
192 |
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Garantien des Unionsrechts für den Drittstaat, mit dem die Union die Übereinkunft aushandelt, nicht gelten. Zwar ist Kanada nicht durch diese Garantien gebunden, wohl aber die Union. Nach der oben in den Rn. 165 und 167 dargestellten Rechtsprechung darf diese deshalb keine Übereinkunft schließen, mit der Gerichte eingerichtet werden, die befugt sind, sie bindende Urteilssprüche zu erlassen und über Klagen von der Gerichtsbarkeit der Union unterworfenen Personen zu entscheiden, ohne dass die Garantien des Unionsrechts gewährt werden. |
193 |
Dasselbe gilt für den Umstand, dass der im CETA vorgesehene ISDS-Mechanismus, wie vor dem Gerichtshof geltend gemacht worden ist, insoweit „hybrid“ ist, als er neben Merkmalen eines Gerichts mehrere Merkmale aufweist, die nach wie vor auf den traditionellen Mechanismen der Schiedsgerichtsbarkeit im Bereich der Investitionen beruhen. |
194 |
Zwar orientieren sich die Vorschriften von Kapitel acht Abschnitt F des CETA über die Einreichung von Klagen beim CETA-Gericht zu einem großen Teil an den herkömmlichen ISDS-Mechanismen. Dies gilt aber nicht für die Vorschriften über die Zusammensetzung des CETA-Gerichts und die Bearbeitung der Rechtssachen. |
195 |
Insbesondere Art. 8.27 CETA, der die Errichtung eines ständigen Gerichts mit 15 Mitgliedern vorsieht und in Abs. 7 bestimmt, dass eine Kammer mit drei Mitgliedern mit dem Fall zu befassen ist und dass „dabei … ein Rotationsverfahren zugrunde gelegt und sichergestellt [wird], dass die Zusammensetzung der Kammern nach dem Zufallsprinzip erfolgt und nicht vorhersehbar ist“, und Art. 8.28 Abs. 5 CETA, wonach die für Rechtsbehelfe gebildete Kammer der CETA-Rechtsbehelfsinstanz aus drei nach dem Zufallsprinzip ernannten Mitgliedern besteht, sind völlig anders als die im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit anwendbaren Vorschriften und konkretisieren den in Gliederungspunkt 6 Buchst. f des Gemeinsamen Auslegungsinstruments geäußerten Willen der Vertragsparteien, dass „[d]as CETA … entschieden vom traditionellen Konzept der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten ab[weicht] und … die Errichtung unabhängiger, unparteilicher und ständiger Investitionsgerichte vor[sieht], geleitet von den Grundsätzen … [von] Rechtssysteme[n]“. |
196 |
Der Schluss, zu dem die Vertragsparteien in Gliederungspunkt 6 Buchst. i des Gemeinsamen Auslegungsinstruments gelangt sind, nämlich, dass ein „wichtige[r], radikale[r] Wandel der Investitionsvorschriften und Streitbeilegung“ vorliegt, wird nach Gliederungspunkt 6 Buchst. g des Gemeinsamen Auslegungsinstruments dadurch bestätigt, dass das CETA ein Rechtsmittelverfahren vorsieht, insbesondere, um „eine einheitliche Rechtsprechung“ durch das erstinstanzliche Gericht zu gewährleisten. |
197 |
Deshalb ist, ohne dass geprüft werden müsste, ob die Vertragsparteien das CETA-Gericht und die CETA-Rechtsbehelfsinstanz als „Gericht“ einstufen werden und ob die Mitglieder, wie die Erklärung Nr. 36 nahelegt, den Titel „Richter“ tragen werden, festzustellen, dass das CETA-Gericht und die CETA-Rechtsbehelfsinstanz im Wesentlichen Rechtsprechungsaufgaben wahrnehmen werden. Es wird sich um ständige Gerichte handeln, die ihre gesetzliche Grundlage in den von den Vertragsparteien erlassenen Rechtsakten zur Genehmigung des CETA haben werden. Sie werden in einem kontradiktorischen Verfahren Rechtsnormen anwenden, ihre Aufgaben in völliger Autonomie ausüben müssen und endgültige, verbindliche Entscheidungen erlassen. |
198 |
Zum obligatorischen Charakter der Zuständigkeit des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz ist festzustellen, dass er nicht nur für den Beklagten gilt, der ihr nach Art. 8.25 CETA zustimmen muss, sondern auch für den klagenden Investor, sofern er die Vorschriften des CETA unmittelbar geltend machen will. Da Art. 30.6 CETA den Investoren die Möglichkeit nimmt, das CETA vor den innerstaatlichen Gerichten der Vertragsparteien unmittelbar geltend zu machen, müssen Klagen, die unmittelbar auf die Vorschriften des CETA gestützt werden, beim CETA-Gericht angestrengt werden. Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung des CETA-Gerichts sind dann bei der CETA‑Rechtsbehelfsinstanz einzulegen. |
199 |
Zu dem Grad der Zugänglichkeit und der Unabhängigkeit, den das CETA-Gericht und die CETA-Rechtsbehelfsinstanz aufweisen müssen, wenn Kapitel acht Abschnitt F des CETA mit Art. 47 der Charta vereinbar sein soll, ist festzustellen, dass die Aufnahme von Vorschriften über die diskriminierungsfreie Behandlung und den Investitionsschutz in das CETA und die Errichtung von Gerichten, die außerhalb der Gerichtssysteme der Vertragsparteien stehen und die Beachtung dieser Vorschriften gewährleisten sollen, zum Ziel haben, den Unternehmen und natürlichen Personen einer Vertragspartei zu garantieren, dass sie hinsichtlich ihrer Investitionen im Gebiet der anderen Vertragspartei gegenüber deren Unternehmen und natürlichen Personen gleich behandelt werden und dort über Investitionssicherheit verfügen. |
200 |
Der Rat und die Kommission weisen zu Recht darauf hin, dass mit einem solchen außerhalb der Gerichtssysteme der Vertragsparteien stehenden Mechanismus, wie er durch Kapitel acht Abschnitt F des CETA eingerichtet wird, erreicht werden soll, dass sich das Vertrauen der ausländischen Investoren auch auf das Organ erstreckt, das für die Feststellung von Verstößen des Mitgliedstaats, in dem die Investitionen getätigt werden, gegen die Vorschriften von Kapitel acht Abschnitte C und D des CETA zuständig ist. Die Unabhängigkeit der im CETA vorgesehenen Gerichte gegenüber dem Mitgliedstaat, in dem die Investition getätigt wird, und der Zugang der ausländischen Investoren zu diesen Gerichten sind untrennbar verknüpft mit dem in Art. 3 Abs. 5 EUV genannten Ziel des freien und gerechten Handels, das mit dem CETA verfolgt wird. |
201 |
Was die Garantie der Zugänglichkeit angeht, darf die gemäß Art. 8.18 CETA für jeden Investor im Sinne von Art. 8.1 CETA bestehende Möglichkeit, beim CETA-Gericht eine Klage auf Feststellung der Verletzung einer Pflicht nach Kapitel acht Abschnitt C oder D des CETA einzureichen, nur verhältnismäßigen, einem legitimen Zweck dienenden und das Recht des Zugangs zu einem solchen Gericht nicht in seinem Wesensgehalt antastenden Beschränkungen unterworfen sein, einschließlich solcher, die mit der Zahlung von Gerichtsgebühren zusammenhängen (Urteil vom 30. Juni 2016, Toma und Biroul Executorului Judecătoresc Horațiu-Vasile Cruduleci, C‑205/15, EU:C:2016:499, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
202 |
Das Erfordernis der Unabhängigkeit ist im Auftrag des Richters angelegt und umfasst zwei Aspekte. Der erste, das Außenverhältnis betreffende Aspekt setzt voraus, dass die betreffende Einrichtung ihre Funktionen in völliger Autonomie ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, so dass sie auf diese Weise vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten. Diese unerlässliche Freiheit von derartigen äußeren Einflüssen erfordert bestimmte Garantien, die geeignet sind, die mit der Aufgabe der Rechtsprechung Betrauten in ihrer Person zu schützen, wie z. B. die Unabsetzbarkeit. Auch eine der Bedeutung der ausgeübten Funktionen entsprechende Vergütung ist eine wesentliche Garantie für die Unabhängigkeit (Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 63 und 64 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
203 |
Der zweite, das Innenverhältnis betreffende Aspekt steht mit dem Begriff der Unparteilichkeit in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass den Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen am Streitgegenstand mit dem gleichen Abstand begegnet wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
204 |
Diese Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 66). |
2. Zur Vereinbarkeit mit dem Erfordernis der Zugänglichkeit
205 |
Wie sich aus den Art. 8.1 und 8.18 CETA ergibt, soll das CETA-Gericht für alle Unternehmen oder natürlichen Personen Kanadas, die in der Union investieren, und alle Unternehmen und natürlichen Personen eines Mitgliedstaats der Union, die in Kanada investieren, zugänglich sein. |
206 |
In Kapitel acht Abschnitt F des CETA kommt insoweit der Wille der Vertragsparteien zum Ausdruck, den ISDS-Mechanismus so auszugestalten, dass auch Investoren, denen für die Durchführung eines kostspieligen Verfahrens nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen, wie etwa natürliche Personen und kleine und mittlere Unternehmen, ebenso wie Unternehmen, die über mehr finanzielle Mittel verfügen, einen wirksamen Zugang zu den im CETA vorgesehenen Gerichten haben. |
207 |
So heißt es in Art. 8.39 Abs. 6 CETA, dass der Gemischte CETA-Ausschuss „die Einführung ergänzender Vorschriften zur Verringerung der finanziellen Belastung für Kläger, bei denen es sich um natürliche Personen oder um kleine und mittlere Unternehmen handelt“, prüft. |
208 |
Die „finanzielle Belastung“, deren Verringerung in Aussicht gestellt wird, besteht insbesondere in den in Art. 8.39 Abs. 5 CETA genannten Kosten des Verfahrens und anderen Kosten. |
209 |
Es handelt sich zum einen um die Kosten für Rechtsvertretung und Rechtsbeistand, die sowohl beim klagenden Investor als auch beim Beklagten entstehen. Nach Art. 8.39 Abs. 5 CETA besteht für den klagenden Investor die Gefahr, dass er diese Kosten, wenn seine Klage abgewiesen wird, in vollem Umfang trägt. |
210 |
Zum anderen besteht die finanzielle Belastung in der Zahlung der Kosten des Verfahrens. Nach Art. 8.39 Abs. 5 CETA in Verbindung mit Art. 8.27 Abs. 14 CETA gehören zu den Kosten des Verfahrens u. a. die Vergütungen und Auslagen der mit dem Fall befassten Mitglieder des Gerichts. Für den klagenden Investor besteht die Gefahr, dass er diese Vergütungen und Auslagen, wenn seine Klage abgewiesen wird, in vollem Umfang trägt. |
211 |
Das finanzielle Risiko der Einreichung einer Klage beim CETA-Gericht kann für eine natürliche Person oder ein kleines oder mittleres Unternehmen deshalb so hoch sein, dass es von der Erhebung der Klage absieht. |
212 |
Dieses Fehlen der Zugänglichkeit zum CETA-Gericht, das viele Investoren betreffen kann, wird nicht durch die in Art. 8.27 Abs. 9 CETA vorgesehene Möglichkeit ausgeglichen, mit einem Fall nur ein einziges Mitglied des Gerichts zu befassen. Diese teilweise Verringerung der finanziellen Belastung setzt nach dieser Vorschrift nämlich die Zustimmung des Beklagten voraus. |
213 |
Ohne eine Regelung zur Gewährleistung der finanziellen Zugänglichkeit des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz für natürliche Personen und kleine und mittlere Unternehmen besteht also die Gefahr, dass der ISDS-Mechanismus praktisch nur für Investoren zugänglich ist, die über erhebliche finanzielle Mittel verfügen. Dies wäre weder mit dem persönlichen Anwendungsbereich von Kapitel acht Abschnitt F des CETA, der alle Unternehmen und natürlichen Personen einer Vertragspartei umfasst, die in dem Gebiet der anderen Vertragspartei investieren, noch mit dem in Art. 3 Abs. 5 EUV genannten Ziel des freien und gerechten Handels vereinbar, das das CETA insbesondere dadurch verwirklichen soll, dass den ausländischen Investoren die Möglichkeit eingeräumt wird, eine Klage bei Gerichten anzustrengen, die außerhalb des Gerichtssystems des Staates stehen, in dem die Investition getätigt wurde. |
214 |
Um beurteilen zu können, ob Kapitel acht Abschnitt F des CETA mit Art. 47 der Charta vereinbar ist, ist daher zu prüfen, ob die Vorschriften zur Verbesserung der finanziellen Zugänglichkeit der geplanten Gerichte für natürliche Personen und kleine und mittlere Unternehmen, die in Kapitel acht Abschnitt F des CETA und in den Texten, mit denen die Tragweite dieses Abschnitts bestimmt wird, enthalten sind, Verpflichtungen begründen, nach denen eine Regelung, mit der das nach Art. 47 der Charta verlangte Niveau der Zugänglichkeit gewährleistet wird, bereits zum Zeitpunkt der Errichtung der Gerichte einzuführen ist. |
215 |
Solche Verpflichtungen sind weder in Art. 8.27 Abs. 15 CETA, wonach der Gemischte CETA-Ausschuss im Wege eines Beschlusses die Grundvergütung und sonstige Vergütungen und Auslagen in ein reguläres Gehalt umwandeln „kann“, noch in Art. 8.39 Abs. 6 CETA, wonach dieser Ausschuss die Einführung ergänzender Vorschriften zur Verringerung der finanziellen Belastung für natürliche Personen und kleiner und mittlerer Unternehmen „prüft“, enthalten. |
216 |
Auch die übrigen Vorschriften von Kapitel acht Abschnitt F des CETA enthalten in Bezug auf die finanzielle Zugänglichkeit der geplanten Gerichte für kleine oder mittlere Investoren keine rechtlich verbindlichen Verpflichtungen. |
217 |
Allerdings heißt es in der Erklärung Nr. 36, dass „[d]er Zugang zu dieser neuen Gerichtsbarkeit für die schwächsten Parteien, das heißt für [kleine und mittlere Unternehmen] und Privatpersonen, … verbessert und erleichtert [wird]“, und dass zu diesem Zweck „[d]ie Annahme ergänzender Vorschriften durch den gemischten Ausschuss gemäß Artikel 8.39.6 CETA … vorangetrieben [wird], sodass diese ergänzenden Vorschriften so rasch wie möglich angenommen werden können“, und „[die Kommission] [u]nabhängig vom Ausgang der Gespräche im gemischten Ausschuss … angemessene Maßnahmen zur öffentlichen (Ko‑)finanzierung von Klagen kleiner und mittlerer Unternehmen vor dieser Gerichtsbarkeit … vorschlagen [wird]“. |
218 |
Mit dieser Erklärung verpflichten sich die Kommission und der Rat, Art. 8.39 Abs. 6 CETA schnell und adäquat umzusetzen und die Zugänglichkeit der geplanten Gerichte für kleine und mittlere Unternehmen zu gewährleisten, sogar in dem Fall, dass die Bemühungen im Gemischten CETA-Ausschuss scheitern sollten. |
219 |
Im Rahmen des vorliegenden Gutachtenverfahrens genügt diese Verpflichtung für die Feststellung, dass das CETA als „geplante Übereinkunft“ im Sinne von Art. 218 Abs. 11 AEUV mit dem Erfordernis der Zugänglichkeit der geplanten Gerichte vereinbar ist. |
220 |
Den Erklärungen, zu denen die Erklärung Nr. 36 gehört, ist nämlich zur Erläuterung folgender Satz vorangestellt: „Die folgenden Erklärungen sind integraler Bestandteil des Kontextes, in dem der Rat den Beschluss über die Unterzeichnung des CETA im Namen der Union annimmt. Sie werden bei dieser Gelegenheit in das Ratsprotokoll aufgenommen.“ |
221 |
Die Verpflichtung der Union, zu gewährleisten, dass sämtliche Investoren der Union, für die das CETA gilt, tatsächlich Zugang zu den im CETA vorgesehenen Gerichten haben, ist also eine Voraussetzung für die Genehmigung des CETA durch die Union. Nach der Erklärung Nr. 36 gehört diese Verpflichtung nämlich zu den „Grundsätzen“, nach denen die Kommission verfährt, wenn sie „[sich] … verpflichtet …, die Überarbeitung des Streitbeilegungsmechanismus … unverzüglich und so fristgerecht fortzusetzen, dass die Mitgliedstaaten sie bei ihren Ratifizierungsverfahren berücksichtigen können“. In der Erklärung Nr. 36 heißt es in dem Absatz davor, dass der Rat und die Kommission bestätigen, dass die Vorschriften von Kapitel acht Abschnitt F des CETA nicht in Kraft treten werden, bevor alle Mitgliedstaaten das CETA ratifiziert haben. Mithin ist der Abschluss des CETA durch den Rat unter der Annahme geplant, dass die finanzielle Zugänglichkeit des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz für sämtliche Investoren der Union, für die das CETA gilt, bis dahin gewährleistet sein wird. |
222 |
Wegen dieses Zusammenhangs, der von der Union zwischen der finanziellen Zugänglichkeit dieser Gerichte und dem Abschluss des CETA hergestellt wird, ist festzustellen, dass die geplante Übereinkunft insoweit nicht mit Art. 47 der Charta unvereinbar ist. |
3. Zur Vereinbarkeit mit dem Erfordernis der Unabhängigkeit
223 |
Zum externen Aspekt des Erfordernisses der Unabhängigkeit, nach dem die betreffenden Gerichte ihre Aufgaben in völliger Unabhängigkeit ausüben müssen, ist zunächst festzustellen, dass in Art. 8.27 Abs. 4 und 5 CETA bestimmt ist, dass die Mitglieder des CETA-Gerichts für eine bestimmte Amtszeit ernannt werden und über Fachwissen verfügen müssen. |
224 |
Weiter wird mit Art. 8.27 Abs. 12 bis 15 CETA sichergestellt, dass die Mitglieder des CETA-Gerichts eine Vergütung erhalten, die der Bedeutung ihrer Aufgaben entspricht. |
225 |
Das CETA garantiert schließlich die Unabsetzbarkeit der Mitglieder des CETA-Gerichts, da deren Ausschluss vom Gericht in Art. 8.30 Abs. 4 CETA auf den Fall beschränkt wird, dass das Verhalten eines Mitglieds des CETA-Gerichts den in Art. 8.30 Abs. 1 CETA genannten Anforderungen nicht entspricht, insbesondere dem Verbot, Weisungen entgegenzunehmen oder sich in einem Interessenkonflikt zu befinden. |
226 |
Nach Art. 8.28 CETA gelten Art. 8.27 Abs. 4 und Art. 8.30 CETA auch für die Mitglieder der CETA-Rechtsbehelfsinstanz. Zwar werden die übrigen der genannten Elemente der Unabhängigkeit in Art. 8.28 CETA nicht ausdrücklich genannt. Aus der Verwendung des Ausdrucks „Gerichte“ in Gliederungspunkt 6 Buchst. f des Gemeinsamen Auslegungsinstruments ergibt sich jedoch, dass für die Rechtsbehelfsinstanz nach dem Willen der Vertragsparteien dieselben Anforderungen an die Unabhängigkeit gelten sollen wie für das Gericht. Dies wird bestätigt durch die „Entsprechungstabelle – Gemeinsames Auslegungsinstrument im Vergleich zum CETA-Text“ im Anhang des Gemeinsamen Auslegungsinstruments, nach der Art. 8.28 CETA zu den Vorschriften zählt, die Gliederungspunkt 6 Buchst. f des Gemeinsamen Auslegungsinstruments entsprechen. |
227 |
Das Königreich Belgien und einige der Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, haben Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der dem Gemischten CETA-Ausschuss durch Art. 8.27 Abs. 2 und 3 und Art. 8.28 Abs. 3 und 7 CETA übertragenen Zuständigkeit für die Ernennung der Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz und die Festlegung oder Anpassung der durch drei teilbaren Zahl der Mitglieder dieser Gerichte. Hierzu ist festzustellen, dass im Text des CETA nicht im Vorhinein festgelegt werden kann, welche Mitglieder konkret ernannt werden. Dasselbe gilt für in der Zukunft erforderliche Erhöhungen oder Verringerungen der Zahl der Mitglieder. Die oben in Rn. 202 genannten Garantien können nicht dahin verstanden werden, dass sie dem entgegenstehen, dass einem Gremium wie dem Gemischten CETA-Ausschuss, das kein Organ der Rechtsprechung ist, die Zuständigkeit übertragen wird, unter strikter Beachtung der Vorschriften des Art. 8.27 Abs. 4 und 5 CETA die Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz zu ernennen und ihre durch drei teilbare Zahl anzupassen. Sie stehen auch nicht dem entgegen, dass einem solchen Gremium nach Art. 8.30 Abs. 4 CETA die Zuständigkeit übertragen wird, Mitglieder dieser Gerichte auszuschließen. |
228 |
Außerdem ergibt sich aus den Art. 26.1 und 26.3 CETA, dass sich der Gemischte CETA-Ausschuss aus Vertretern beider Vertragsparteien zusammensetzt und dass er seine Beschlüsse einvernehmlich trifft. Wie der Generalanwalt in Nr. 267 seiner Schlussanträge aufgezeigt hat, ist deshalb davon auszugehen, dass sowohl die Ernennung als auch ein eventueller Ausschluss eines Mitglieds des CETA-Gerichts oder der CETA-Rechtsbehelfsinstanz ausschließlich unter den in Art. 8.27 Abs. 4 und Art. 8.30 Abs. 1 des CETA genannten Bedingungen erfolgen. |
229 |
Aus denselben Gründen konnten die Vertragsparteien, ohne gegen das Erfordernis der Unabhängigkeit zu verstoßen, bestimmen, dass die Höhe der den Mitgliedern des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz zur Gewährleistung ihrer Verfügbarkeit gezahlten monatlichen Grundvergütung vom Gemischten CETA-Ausschuss festgesetzt wird (Art. 8.27 Abs. 12 CETA) und dass dieser Ausschuss die monatliche Grundvergütung und sonstige Vergütungen und Auslagen im Wege eines Beschlusses in ein reguläres Gehalt umwandeln und die jeweiligen Modalitäten und Bedingungen festlegen kann (Art. 8.27 Abs. 15 CETA). |
230 |
Dass es möglich ist, dass der Gemischte CETA-Ausschuss von dieser Zuständigkeit im Bereich der Vergütung nicht sofort Gebrauch macht, bedeutet nicht, dass die Vergütung der Mitglieder der CETA-Gerichte in der Anfangsphase willkürlich wäre. Nach Art. 8.27 Abs. 14 CETA werden die Vergütungen und Auslagen der Mitglieder der im CETA vorgesehenen Gerichte nämlich nach Vorschrift 14 Abs. 1 der Verwaltungs- und Finanzordnung des ICSID-Übereinkommens festgesetzt, die auf die vom Generalsekretär des ICSID in regelmäßigen Abständen festgesetzten Sätze verweist. |
231 |
Wie der Generalanwalt in den Nrn. 260 und 261 seiner Schlussanträge aufgezeigt hat, stellt der evolutive Charakter dieser Vorschriften über die Vergütung der Mitglieder des CETA-Gerichts und der CETA-Rechtsbehelfsinstanz für die Unabhängigkeit dieser Gerichte keine Bedrohung dar, sondern ermöglicht die stufenweise Einrichtung eines mit Vollzeitmitgliedern besetzten Gerichts. |
232 |
Auch Art. 8.31 Abs. 3 CETA, wonach der Gemischte CETA-Ausschuss eine Auslegung des CETA annehmen kann, die für das CETA-Gericht bindend ist, und Art. 8.10 Abs. 3 CETA, der in Verbindung mit Art. 8.31 Abs. 3 CETA zu sehen ist, beeinträchtigen nicht die Fähigkeit des CETA-Gerichts oder der CETA-Rechtsbehelfsinstanz, ihre Aufgaben in völliger Unabhängigkeit auszuüben. |
233 |
Es ist im Völkerrecht nämlich weder verboten noch ungewöhnlich, dass für die Parteien einer internationalen Übereinkunft die Möglichkeit vorgesehen wird, die Auslegung der Übereinkunft, so wie sich ihr gemeinsamer Wille hinsichtlich der Tragweite der Übereinkunft weiterentwickelt, zu präzisieren. Solche Präzisierungen können von den Parteien selbst vorgenommen werden oder von einem von ihnen eingerichteten Gremium, dem sie die Befugnis übertragen, sie bindende Entscheidungen zu erlassen. |
234 |
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass es sich beim Gemischten CETA-Ausschuss um einen aus Vertretern beider Vertragsparteien zusammengesetzten Ausschuss handelt, der diese vertritt (Art. 26.1 Abs. 1 CETA) und befugt ist, einvernehmlich bindende Beschlüsse zu fassen (Art. 26.1 Abs. 4 Buchst. e und Art. 26.3 CETA), etwa Beschlüsse gemäß Art. 26.1 Abs. 5 Buchst. e und Art. 8.31 Abs. 3 CETA über die Auslegung des CETA, die für die Vertragsparteien und für die durch das CETA eingerichteten Gerichte bindend sind. Dies ist mit den Anforderungen des Art. 47 der Charta, insbesondere dem Erfordernis der Unabhängigkeit, vereinbar. Solche Auslegungsbeschlüsse haben die Rechtswirkungen gemäß Art. 31 Abs. 3 des Wiener Übereinkommens, wonach bei der Auslegung eines Vertrags „jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen“ zu berücksichtigen ist. |
235 |
Die Beteiligung der Union an der Festlegung solcher verbindlichen Auslegungen durch den Gemischten CETA-Ausschuss ist in Art. 218 Abs. 9 AEUV geregelt. Die Zustimmung zu einem Beschluss gemäß Art. 8.31 Abs. 3 CETA muss also mit dem Primärrecht der Union in Einklang stehen, insbesondere mit den Grundsätzen des Unionsrechts, wie sie im vorliegenden Gutachten dargestellt oder präzisiert worden sind. |
236 |
Wegen des Erfordernisses der Unabhängigkeit des CETA-Gerichts und der CETA‑Rechtsbehelfsinstanz dürfen sich die vom Gemischten CETA-Ausschuss festgelegten Auslegungen nicht auf die Behandlung abgeschlossener oder bereits anhängiger Streitigkeiten auswirken. Sonst könnte der Gemischte CETA-Ausschuss auf die Behandlung konkreter Streitigkeiten Einfluss nehmen und somit am ISDS-Mechanismus teilnehmen. |
237 |
Eine solche Garantie der fehlenden Rückwirkung und der fehlenden Wirkung auf bereits anhängige Rechtssachen ist in Art. 8.31 Abs. 3 CETA zwar nicht ausdrücklich vorgesehen. Wie bereits ausgeführt, muss die Zustimmung der Union zu Beschlüssen gemäß 8.31 Abs. 3 CETA aber mit dem Primärrecht der Union in Einklang stehen, insbesondere mit dem in Art. 47 der Charta verankerten Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Art. 8.31 Abs. 3 CETA kann im Hinblick auf Art. 47 der Charta nicht dahin ausgelegt werden, dass er die Union ermächtigen würde, Auslegungsbeschlüssen des Gemischten CETA-Ausschusses zuzustimmen, die sich auf die Behandlung abgeschlossener oder bereits anhängiger Rechtssachen auswirken. |
238 |
Der interne Aspekt des Erfordernisses der Unabhängigkeit betrifft insbesondere die Unparteilichkeit. Es geht darum, dass die Mitglieder des Gerichts den Streitparteien mit dem gleichen Abstand begegnen müssen und kein persönliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben dürfen. Hierzu ist festzustellen, dass der gleiche Abstand nicht nur durch Art. 8.27 Abs. 6 und 7 CETA garantiert wird, wonach die Fälle von einer Kammer verhandelt werden, deren Zusammensetzung nach dem Zufallsprinzip erfolgt und somit für die Parteien nicht vorhersehbar ist und der drei Mitglieder angehören, und zwar ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Union, ein Staatsangehöriger Kanadas und ein Staatsangehöriger eines Drittlands, sondern auch durch den Verweis in Art. 8.30 Abs. 1 CETA auf die IBA-Leitlinien, wonach die Mitglieder des CETA-Gerichts nach dem allgemeinen Grundsatz 1 sowohl zum Zeitpunkt der Befassung mit einem Fall als auch während des gesamten Verfahrens bis zu dessen Beendigung unparteiisch und von den Parteien unabhängig sein müssen. |
239 |
Deshalb wird der interne Aspekt des Erfordernisses der Unabhängigkeit nicht durch den vom Königreich Belgien in seinem Gutachtenantrag angesprochenen Umstand beeinträchtigt, dass die Vergütung der Mitglieder des CETA-Gerichts zumindest in der Anfangsphase nicht nur in einer monatlichen Grundvergütung besteht, sondern auch in Vergütungen, die sich nach den einer Rechtssache gewidmeten Arbeitstagen richten. Ein Mitglied des CETA-Gerichts, dessen Verhalten nicht den Anforderungen der IBA-Leitlinien, u. a. dem in der vorstehenden Randnummer angesprochenen allgemeinen Grundsatz 1, entspricht, kann nämlich gemäß Art. 8.30 Abs. 4 CETA ausgeschlossen werden. |
240 |
Ferner ist in Art. 8.30 Abs. 1 CETA bestimmt, dass die Mitglieder des CETA-Gerichts „keiner Regierung nahestehen [dürfen]“. In der Fußnote zu dieser Bestimmung heißt es: „Die Tatsache, dass eine Person eine Vergütung von einer staatlichen Stelle erhält, reicht allein nicht aus, um nicht als Mitglied des Gerichts in Betracht zu kommen.“ Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof ausgeführt hat, hängt dieser Hinweis damit zusammen, dass die Mitglieder der im CETA vorgesehenen Gerichte in der Anfangsphase nicht in Vollzeit beschäftigt sein dürften. Es ist denkbar, dass es Mitglieder geben wird, die wie Rechtslehrer an Hochschulen von einem Staat eine Vergütung erhalten, ohne unmittelbar oder mittelbar in die Festlegung der Politik der Regierung dieses Staates einbezogen zu sein. |
241 |
Nach Art. 8.30 Abs. 1 Satz 3 CETA dürfen die Mitglieder des CETA-Gerichts „keine Weisungen einer Organisation oder Regierung entgegennehmen, die Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Streitigkeit betreffen“. Hierzu ist festzustellen, dass diese Bestimmung im Hinblick auf das in Art. 8.30 Abs. 1 Satz 1 CETA enthaltene Erfordernis der Unabhängigkeit zu verstehen ist, das impliziert, dass die Mitglieder des CETA-Gerichts abgesehen von dem oben in den Rn. 232 bis 237 beschriebenen Fall bei der Ausübung ihrer Tätigkeit keine Weisungen entgegennehmen dürfen, sei es im Zusammenhang mit einer konkreten Streitigkeit oder nicht. |
242 |
Was zum anderen das Fehlen eines persönlichen Interesses der Mitglieder am Ausgang der Streitigkeit angeht, enthält Art. 8.30 CETA ein allgemeines Verbot von direkten und indirekten Interessenkonflikten, zu dem über den Verweis auf die IBA-Leitlinien auch die Verhaltensregeln bei Nebentätigkeiten gehören. |
243 |
In Art. 8.30 CETA wird darauf hingewiesen, dass der in Art. 8.44 CETA geregelte Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen insoweit „ergänzende Vorschriften“ erlassen kann. Mit dem Ausdruck „ergänzend“ wird gewährleistet, dass dem Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen nicht die Zuständigkeit übertragen wird, die Tragweite des bereits im CETA enthaltenen Verbots von Interessenkonflikten einzuschränken, sondern dass sich der Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen unter Beibehaltung des hohen Grades der Unabhängigkeit, wie er sich aus diesem Verbot ergibt, darauf beschränken muss, die IBA-Leitlinien an die Gegebenheiten eines Investitionsgerichts anzupassen, bei dem die Merkmale eines Gerichts überwiegen. |
244 |
Somit ist festzustellen, dass die geplante Übereinkunft mit dem Erfordernis der Unabhängigkeit vereinbar ist. |
VI. Antwort auf den Gutachtenantrag
245 |
Nach alledem ist festzustellen, dass Kapitel acht Abschnitt F des CETA mit dem Primärrecht der Union vereinbar ist. |
Folglich äußert sich der Gerichtshof (Plenum) gutachtlich wie folgt:
Kapitel acht Abschnitt F des am 30. Oktober 2016 in Brüssel unterzeichneten umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits ist mit dem Primärrecht der Europäischen Union vereinbar.
Lenaerts
Silva de Lapuerta
Bonichot
Arabadjiev
Prechal
Vilaras
Regan
von Danwitz
Toader
Biltgen
Jürimäe
Lycourgos
Rosas
Juhász
Ilešič
Malenovský
Levits
Bay Larsen
Safjan
Šváby
Fernlund
Vajda
Rodin
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 30. April 2019.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident
K. Lenaerts