URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

14. Juni 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Warenverkehr – Art. 28 und 30 AEUV – Abgaben gleicher Wirkung – Art. 110 AEUV – Inländische Abgaben – Sozialer Solidaritätsbeitrag zulasten der Gesellschaften – Abgabe – Bemessungsgrundlage – Gesamtjahresumsatz der Gesellschaften – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 17 – Verbringung eines Gegenstands in einen anderen Mitgliedstaat – Wert des verbrachten Gegenstands – Einbeziehung in den Gesamtjahresumsatz“

In der Rechtssache C‑39/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) mit Entscheidung vom 19. Januar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Januar 2017, in dem Verfahren

Lubrizol France SAS

gegen

Caisse nationale du Régime social des indépendants (RSI) participations extérieures

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richter C. Vajda und E. Juhász, der Richterin K. Jürimäe sowie des Richters C. Lycourgos (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Lubrizol France SAS, vertreten durch A. Beetschen, avocate,

der Caisse nationale du Régime social des indépendants (RSI) participations extérieures, vertreten durch A. Delvolvé, avocat,

der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, E. de Moustier, A. Alidière und S. Ghiandoni als Bevollmächtigte,

der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels, R. Lyal und F. Clotuche-Duvieusart als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 31. Januar 2018

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 28 und 30 AEUV.

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Lubrizol France SAS (im Folgenden: Lubrizol) und der Caisse nationale du Régime social des indépendants (RSI) participations extérieures (Nationale Sozialversicherungskasse für Selbständige – Abteilung für Zahlungen Dritter, im Folgenden: RSI-Kasse) wegen der Berechnung der Bemessungsgrundlage des sozialen Solidaritätsbeitrags zulasten der Gesellschaften (im Folgenden: C3S) und des Zusatzbeitrags zu diesem Solidaritätsbeitrag (im Folgenden zusammen: streitige Beiträge), die Lubrizol für das Jahr 2008 schuldet.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 (ABl. 2008, L 44, S. 11) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) gilt „[a]ls ‚Lieferung von Gegenständen‘ … die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“.

4

Art. 17 der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt ist die von einem Steuerpflichtigen vorgenommene Verbringung eines Gegenstands seines Unternehmens in einen anderen Mitgliedstaat.

Als ‚Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat‘ gelten die Versendung oder Beförderung eines im Gebiet eines Mitgliedstaats befindlichen beweglichen körperlichen Gegenstands durch den Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens nach Orten außerhalb dieses Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft.

…“

Französisches Recht

5

Art. L. 245-13 des Code de la sécurité sociale (im Folgenden: Sozialversicherungsgesetzbuch) in der bei Fälligkeit der streitigen Beiträge geltenden Fassung sieht vor, dass zugunsten der Caisse nationale de l’assurance maladie des travailleurs salariés (Nationale Arbeitnehmerkrankenkasse) ein Zusatzbeitrag zu dem in den Art. L. 651‑1 ff. des Sozialversicherungsgesetzbuchs vorgesehenen C3S eingeführt wird, dass er zu den gleichen Bedingungen wie der C3S festgesetzt, erhoben, fällig und überprüft wird und dass sein Satz 0,03 % beträgt.

6

Art. L. 651-1 des Sozialversicherungsgesetzbuchs sieht vor, dass zugunsten des Régime social des indépendants (Sozialversicherungssystem für Selbständige), des Fonds de solidarité vieillesse (Solidaritätsfonds für Alterssicherung) und des Fonds de réserve pour les retraites (Rentenreservefonds) ein sozialer Solidaritätsbeitrag eingeführt wird, der u. a. von Aktiengesellschaften und vereinfachten Aktiengesellschaften zu entrichten ist.

7

Art. L. 651-3 des Sozialversicherungsgesetzbuchs sieht vor:

„Der soziale Solidaritätsbeitrag ist eine Jahresabgabe. Der Beitragssatz wird durch Dekret festgelegt; er darf höchstens 0,13 % des Umsatzes im Sinne von Art. L. 651‑5 betragen. Der Beitrag wird nicht erhoben, wenn der Umsatz der Gesellschaft weniger als 760000 Euro beträgt.

…“

8

In Art. L. 651-5 des Sozialversicherungsgesetzbuchs heißt es:

„Dem sozialen Solidaritätsbeitrag unterliegende Gesellschaften und Unternehmen sind verpflichtet, der mit der Einziehung dieses Beitrags beauftragten Einrichtung jährlich ihren gegenüber der Steuerverwaltung erklärten Gesamtumsatz vor Umsatz- und ähnlichen Steuern mitzuteilen …“

9

Art. 256 Abs. 3 des Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch, im Folgenden: CGI) in seiner im entscheidungserheblichen Zeitraum geltenden Fassung bestimmt:

„Der Lieferung von Gegenständen steht die von einem Steuerpflichtigen vorgenommene Verbringung eines Gegenstands seines Unternehmens in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gleich.

Als Verbringung im Sinne der voranstehenden Bestimmungen gelten die Versendung oder Beförderung eines beweglichen körperlichen Gegenstands durch den Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens, mit Ausnahme der Versendung oder Beförderung eines Gegenstands, der im Ankunftsmitgliedstaat dazu bestimmt ist,

a)

vorübergehend zur Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen oder unter Umständen verwendet zu werden, unter denen er im Fall der Einfuhr des Gegenstands zur vorübergehenden Verwendung unter vollständiger Befreiung von Abgaben berechtigt wäre;

b)

bearbeitet zu werden, sofern der Gegenstand wieder nach Frankreich an den betreffenden Steuerpflichtigen zurückgesandt oder -befördert wird;

c)

installiert oder montiert zu werden;

d)

an Bord von Beförderungsmitteln geliefert zu werden, die vom Steuerpflichtigen unter den Voraussetzungen von Art. 37 der [Mehrwertsteuerrichtlinie] vorgenommen werden.

…“

10

In Art. 262 ter CGI heißt es:

„(1)

Von der Mehrwertsteuer befreit sind

1°   Lieferungen von Gegenständen, die auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft an einen anderen Steuerpflichtigen oder eine nicht steuerpflichtige juristische Person versandt oder befördert werden.

2°   Verbringungen, die den in Art. 256 Abs. 3 genannten Lieferungen gleichgestellt sind und nach der vorstehenden Nr. 1 steuerbefreit wären, wenn sie an einen steuerpflichtigen Dritten vorgenommen worden wären.

…“

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage

11

Lubrizol, eine Gesellschaft im Bereich der chemischen Industrie, stellt Schmierstoff-Additive her und verkauft sie. Als vereinfachte Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankreich hat sie die streitigen Beiträge zu entrichten.

12

Nach einer Überprüfung der Bemessungsgrundlage der von Lubrizol für das Jahr 2008 geschuldeten streitigen Beiträge stellte die RSI-Kasse fest, dass zwischen dem der RSI-Kasse gemeldeten Umsatz des Jahres 2007 und dem von der Steuerverwaltung mitgeteilten Umsatz eine Divergenz bestand, deren Höhe dem entsprach, dass Lubrizol von der Bemessungsgrundlage der Beiträge den Betrag der innergemeinschaftlichen Verbringungen abgezogen hatte.

13

Die RSI-Kasse stellte deshalb Lubrizol am 13. März 2012 einen Berichtigungsbescheid und anschließend eine Zahlungsaufforderung zu. Lubrizol bestritt, dass sie die verlangten Beträge schulde, da der Wert der Waren, die sie in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union verbracht habe, nicht in die Bemessungsgrundlage der von ihr für das Jahr 2008 zu entrichtenden streitigen Beiträge einfließe. Zum Zeitpunkt dieser Verbringungen sei sie immer noch Eigentümer dieser Waren gewesen und habe sie noch nicht an ihre Kunden veräußert, so dass die Verbringungen keinen Verkauf und somit keinen Umsatz darstellten.

14

Nach Abweisung ihrer Klage und Zurückweisung ihres Rechtsmittels hat Lubrizol bei der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) Kassationsbeschwerde eingelegt, mit der sie geltend macht, dass die streitigen Beiträge entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts als Abgaben gleicher Wirkung einzustufen seien, da Verbringungen von Waren in einen anderen Mitgliedstaat im Unterschied zu Verbringungen von Waren im Inland oder in einen Drittstaat in die Bemessungsgrundlage dieser Beiträge einbezogen seien.

15

Das vorlegende Gericht führt aus, dass der C3S zugunsten des Kranken- und Mutterschaftsversicherungssystems für selbständige Erwerbstätige außerhalb der Landwirtschaft und zugunsten der Alterssicherungssysteme für Handwerks-, Industrie-, Handels- und freie Berufe eingeführt worden sei. 2008 sei das Aufkommen aus dem C3S im Wesentlichen für die RSI-Kasse bestimmt gewesen, die seinen Einzug gewährleiste.

16

Ferner sei mit dem Gesetz Nr. 2004-810 vom 13. August 2004 ein Zusatzbeitrag zum C3S eingeführt worden, und sein Aufkommen sei 2008 der Nationalen Arbeitnehmerkrankenkasse und anschließend dem Solidaritätsfonds für Alterssicherung zugewiesen worden.

17

Die Bemessungsgrundlage dieser beiden Beiträge, die nach dem nationalen Recht unter den Begriff der Steuern und Abgaben aller Art fielen, bestehe aus dem bei der Steuerverwaltung gemeldeten Gesamtumsatz vor Steuern. Lieferungen von Gegenständen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gingen in die Bemessungsgrundlage der streitigen Beiträge ein.

18

Vorbehaltlich bestimmter, im vorliegenden Fall nicht einschlägiger Ausnahmen und im Einklang mit Art. 17 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie stelle Art. 256 Abs. 3 des CGI eine von einem Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens vorgenommene Verbringung eines Gegenstands seines Unternehmens in einen anderen Mitgliedstaat der Union einer Lieferung von Gegenständen gleich. Eine solche Verbringung sei in der Erklärung anzugeben, die der Steuerpflichtige bei der Steuerverwaltung abzugeben habe, und sei nach Art. 262 ter des CGI von der Mehrwertsteuer befreit.

19

Das vorlegende Gericht hat in diesem Kontext bereits entschieden, dass der Wert von Beständen, die von einem Unternehmen aus Frankreich in einen anderen Mitgliedstaat der Union verbracht würden, in die Bemessungsgrundlage der streitigen Beiträge einfließe, obgleich diese Verbringung selbst keinen Umsatz erzeuge. Dagegen seien Verbringungen im Inland oder in einen Drittstaat Lieferungen von Gegenständen nicht gleichgestellt, so dass ihr Wert in die Bemessungsgrundlage der streitigen Beiträge nicht einfließe.

20

Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stehen die Art. 28 und 30 AEUV dem entgegen, dass der Wert der Gegenstände, die durch einen zur Entrichtung der streitigen Beiträge Verpflichteten oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens von Frankreich in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verbracht werden, bei der Bestimmung des die Bemessungsgrundlage dieser Beiträge bildenden Gesamtumsatzes berücksichtigt wird?

Zur Vorlagefrage

21

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 28 und 30 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die vorsieht, dass die Bemessungsgrundlage von Beiträgen, die ab einer bestimmten Höhe des Jahresumsatzes der Gesellschaften auf diesen Umsatz erhoben werden, unter Berücksichtigung des Wertes der von einem Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens aus diesem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat der Union verbrachten Gegenstände berechnet wird, wobei dieser Wert bereits ab der Verbringung berücksichtigt wird, während bei einer von dem Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens vorgenommenen Verbringung derselben Gegenstände innerhalb des betreffenden Mitgliedstaats ihr Wert erst bei ihrem späteren Verkauf in der Bemessungsgrundlage berücksichtigt wird.

22

Nach dem anwendbaren nationalen Recht werden im Ausgangsverfahren die streitigen Beiträge auf den Jahresumsatz der Gesellschaften erhoben, sofern er im betreffenden Steuerjahr mindestens 760000 Euro beträgt. Aus dem nationalen Recht ergibt sich ferner, dass bei der Erhebung dieser Beiträge eine von einem Beitragspflichtigen oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens vorgenommene Verbringung von Gegenständen aus Frankreich in einen anderen Mitgliedstaat der Union einer Lieferung von Gegenständen gleichgestellt und ein Bestandteil des Umsatzes der betreffenden Gesellschaft ist.

23

Das vorlegende Gericht weist insbesondere darauf hin, dass der Wert der Waren, die bloß in einen anderen Mitgliedstaat der Union verbracht würden, ohne dass es zu einem Eigentumsverlust komme, zum Bestandteil der Bemessungsgrundlage der streitigen Beiträge werde, während dies bei einer solchen Verbringung im französischen Inland nicht der Fall sei. Bei Verbringungen im französischen Inland werde der Wert der betreffenden Waren erst zum Zeitpunkt ihres Verkaufs im Umsatz der fraglichen Gesellschaft berücksichtigt und zum Bestandteil der Bemessungsgrundlage der streitigen Beiträge. Das vorlegende Gericht möchte deshalb wissen, ob diese Beiträge angesichts der Methode zur Berechnung ihrer Bemessungsgrundlage Abgaben ausfuhrzollgleicher Wirkung sind, die gegen die Art. 28 und 30 AEUV verstoßen.

24

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt jede noch so geringe einseitig auferlegte finanzielle Belastung von Waren aufgrund ihres Grenzübertritts unabhängig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung eine Abgabe zollgleicher Wirkung dar, wenn sie kein Zoll im eigentlichen Sinne ist. Dagegen fallen finanzielle Belastungen, wenn sie zu einem allgemeinen inländischen Abgabensystem gehören, das Erzeugnisgruppen systematisch nach objektiven Kriterien unabhängig vom Ursprung oder der Bestimmung der Erzeugnisse erfasst, unter Art. 110 AEUV, der diskriminierende inländische Abgaben verbietet (Urteil vom 1. März 2018, Petrotel-Lukoil und Georgescu, C‑76/17, EU:C:2018:139, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Vorschriften des AEU‑Vertrags über Abgaben gleicher Wirkung und diejenigen über diskriminierende inländische Abgaben nicht kumulativ anwendbar sind, so dass eine unter Art. 110 AEUV fallende Maßnahme nach dem System des Vertrags nicht als „Abgabe gleicher Wirkung“ eingestuft werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Oktober 2014, Orgacom, C‑254/13, EU:C:2014:2251, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Eine finanzielle Belastung fällt auch dann nicht unter den Begriff „Abgabe gleicher Wirkung“, wenn sie unter bestimmten Voraussetzungen aufgrund von Kontrollen erhoben wird, mit denen sichergestellt werden soll, dass unionsrechtliche Verpflichtungen erfüllt sind, oder wenn sie eine der Höhe nach angemessene Gegenleistung für eine dem zu ihrer Entrichtung verpflichteten Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich erbrachte Dienstleistung darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Juni 1992, Sanders Adour und Guyomarc’h Orthez Nutrition animale, C‑149/91 und C‑151/91, EU:C:1992:261, Rn. 17, und vom 9. September 2004, Carbonati Apuani, C‑72/03, EU:C:2004:506, Rn. 31).

27

Deshalb ist zu prüfen, ob die streitigen Beiträge der Definition einer Abgabe zollgleicher Wirkung entsprechen, wie sie sich aus in den Rn. 24 bis 26 des vorliegenden Urteils genannten Gesichtspunkten ergibt.

28

Insoweit ist erstens festzustellen, dass die streitigen Beiträge finanzielle Belastungen sind, die einseitig von einem Mitgliedstaat auferlegt werden. Da der Zweck, zu dem diese Belastungen erhoben werden, unbeachtlich ist, spielt es keine Rolle, dass es sich um Abgaben zur Finanzierung eines Systems der sozialen Sicherheit handelt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2000, Michaïlidis, C‑441/98 und C‑442/98, EU:C:2000:479, Rn. 17).

29

Zweitens ist zu prüfen, ob die streitigen Beiträge Waren belasten.

30

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Rahmen der Auslegung von Art. 110 AEUV entschieden hat, dass bei einer Abgabe, die nicht auf Erzeugnisse als solche erhoben wird, dennoch davon auszugehen ist, dass sie eine Ware belastet, wenn sie sich unmittelbar auf den Preis des betreffenden Erzeugnisses auswirkt (Urteile vom 16. Februar 1977, Schöttle, 20/76, EU:C:1977:26, Rn. 15, und vom 8. November 2007, Stadtgemeinde Frohnleiten und Gemeindebetriebe Frohnleiten, C‑221/06, EU:C:2007:657, Rn. 43). Diese Rechtsprechung ist auch im Rahmen der Auslegung der Art. 28 und 30 AEUV anzuwenden.

31

Im Ausgangsverfahren werden die streitigen Beiträge anhand des Jahresumsatzes der beitragspflichtigen Gesellschaften und nicht unmittelbar anhand des Wertes oder des Verkaufspreises der von diesen Gesellschaften vermarkteten Waren berechnet.

32

Beträgt der Jahresumsatz dieser Gesellschaften jedoch mindestens 760000 Euro, bildet der gesamte Umsatz die Bemessungsgrundlage der streitigen Abgaben, deren Satz auf 0,13 % bzw. 0,03 % des Umsatzes festgelegt ist. Da der Umsatz durch den Verkauf von Erzeugnissen in Frankreich und ihre Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat erzeugt wird, belasten die streitigen Beiträge diese Erzeugnisse als solche, auch wenn sie nicht zum Zeitpunkt ihres Verkaufs oder ihrer Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat, sondern pauschal und jährlich erhoben werden.

33

Wie der Generalanwalt in Nr. 89 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, beeinflussen diese Beiträge unmittelbar die Kosten für das Inverkehrbringen der betreffenden Erzeugnisse, da jeder Verkauf bzw. jede Verbringung eines dieser Erzeugnisse in einen anderen Mitgliedstaat zwangsläufig zur Erhöhung der Bemessungsgrundlage dieser Beiträge führt, die auf den so erzeugten Umsatz erhoben werden, sofern er mindestens 760000 Euro pro Jahr beträgt.

34

Daher ist davon auszugehen, dass die streitigen Beiträge Waren belasten.

35

Dieses Ergebnis wird durch das Urteil vom 27. November 1985, Rousseau Wilmot (295/84, EU:C:1985:473), nicht in Frage gestellt, in dem der Gerichtshof in Rn. 16 festgestellt hat, dass ein Beitrag wie der C3S unter den in Art. 33 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) verwendeten Begriff „Abgaben und Gebühren, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben“, fällt, da er insbesondere auf der Grundlage des Jahresumsatzes berechnet wird, ohne die Preise der Gegenstände und Dienstleistungen unmittelbar zu berühren. Das Urteil betraf nämlich speziell das gemeinsame Mehrwertsteuersystem und insbesondere den genannten Art. 33, der verhindern soll, dass das Funktionieren dieses Systems durch steuerliche Maßnahmen eines Mitgliedstaats beeinträchtigt wird, die den Waren- und Dienstleistungsverkehr und Umsätze in der die Mehrwertsteuer kennzeichnenden Art und Weise belasten.

36

Drittens ist zu prüfen, ob die streitigen Beiträge diese Waren wegen des Überschreitens einer Grenze belasten, oder ob sie vielmehr zu einem allgemeinen inländischen Abgabensystem gehören, das Erzeugnisgruppen systematisch nach objektiven Kriterien unabhängig vom Ursprung oder der Bestimmung der Erzeugnisse erfasst.

37

Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass das entscheidende Merkmal einer Abgabe gleicher Wirkung, das diese von einer allgemeinen inländischen Abgabe unterscheidet, in dem Umstand liegt, dass Erstere ausschließlich das über die Grenze verbrachte Erzeugnis als solches, Letztere aber eingeführte, ausgeführte und inländische Erzeugnisse trifft (Urteil vom 2. Oktober 2014, Orgacom, C‑254/13, EU:C:2014:2251, Rn. 28).

38

Im vorliegenden Fall steht fest, dass sowohl die in einen anderen Mitgliedstaat verbrachten Erzeugnisse als auch die im Inland verkauften Erzeugnisse zum gleichen Beitragssatz mit den streitigen Beiträgen belastet werden.

39

Erstens ist jedoch die betreffende Abgabe nur dann Teil einer allgemeinen Regelung für „inländische Abgaben“ im Sinne von Art. 110 AEUV, wenn sie das einheimische und das gleiche ausgeführte Erzeugnis in gleicher Höhe auf der gleichen Handelsstufe erfasst und der Steuertatbestand ebenfalls für beide Erzeugnisse derselbe ist (Urteil vom 2. Oktober 2014, Orgacom, C‑254/13, EU:C:2014:2251, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40

Der Preis der Ware wird im Fall ihres Verbleibs im Inland aber erst zum Zeitpunkt ihres Verkaufs zum Bestandteil der Bemessungsgrundlage der streitigen Beiträge, während der Wert der Ware im Fall ihrer Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat bereits ab der Verbringung zum Bestandteil dieser Bemessungsgrundlage wird.

41

Mit diesem Umstand lässt sich jedoch nicht die Feststellung in Frage stellen, dass die sich aus den streitigen Beiträgen ergebende finanzielle Belastung auf der gleichen Handelsstufe zur Anwendung kommt, da sie – wie die französische Regierung in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen geltend gemacht hat – im Wesentlichen das auf dem inländischen Markt verkaufte und das in einen anderen Mitgliedstaat zum Verkauf verbrachte Erzeugnis erfasst.

42

Der Verkauf dieses Erzeugnisses im Inland einerseits und seine Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat zum Verkauf andererseits können nämlich für die Anwendung von Art. 110 AEUV bei wirtschaftlicher Betrachtung der gleichen Handelsstufe zugeordnet werden (vgl. entsprechend Urteile vom 11. Juni 1992, Sanders Adour und Guyomarc’h Orthez Nutrition animale, C‑149/91 und C‑150/91, EU:C:1992:261, Rn. 18, vom 2. April 1998, Outokumpu, C‑213/96, EU:C:1998:155, Rn. 25, und vom 23. April 2002, Nygård, C‑234/99, EU:C:2002:244, Rn. 30).

43

Anders wäre es allerdings, wenn – wie Lubrizol in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen vorgetragen hat – die Verbringung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisse in einen anderen Mitgliedstaat bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage der streitigen Beiträge berücksichtigt würde, obgleich eine solche Verbringung nicht zu einem späteren Verkauf der Erzeugnisse in dem anderen Mitgliedstaat führt. Eine solche Verbringung würde nämlich nicht zur gleichen Handelsstufe wie der Verkauf auf dem inländischen Markt gehören.

44

Wie die Europäische Kommission vorgetragen hat, wäre bei der sich aus den streitigen Beiträgen ergebenden finanziellen Belastung anzunehmen, dass sie diese Erzeugnisse auf verschiedenen Handelsstufen trifft, wenn der Wert der in einen anderen Mitgliedstaat verbrachten Erzeugnisse nicht von der Bemessungsgrundlage der streitigen Beiträge abgezogen werden könnte, falls sie nicht zum Verkauf in Frankreich bestimmt sind oder nach Frankreich zurückgebracht worden sind, ohne in dem anderen Mitgliedstaat verkauft worden zu sein. In diesem Fall wären die streitigen Beiträge als Abgaben gleicher Wirkung anzusehen, da bei ihrer Berechnung der Wert dieser Erzeugnisse berücksichtigt würde.

45

Zudem würden ausgeführte Erzeugnisse im Gegensatz zu für den inländischen Markt bestimmten Erzeugnissen zweimal mit der streitigen Abgabe belastet, wenn der Wert der in einen anderen Mitgliedstaat verbrachten Gegenstände bei ihrem Verkauf in diesem Mitgliedstaat erneut in die Bemessungsgrundlage der streitigen Beiträge aufgenommen würde. Auch in diesem Fall wären diese Beiträge als Abgaben gleicher Wirkung anzusehen, da bei ihrer Berechnung der Verkaufspreis dieser Gegenstände berücksichtigt würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 1997, Fricarnes, C‑28/96, EU:C:1997:412, Rn. 28).

46

Wenn zweitens die Vorteile, die sich aus der Verwendung des Aufkommens aus einer Abgabe ergeben, die zu einem allgemeinen System inländischer Abgaben gehört und systematisch die auf dem Inlandsmarkt in den Verkehr gebrachten und die ausgeführten inländischen Erzeugnisse erfasst, die Belastung des auf dem Inlandsmarkt in den Verkehr gebrachten inländischen Erzeugnisses bei seinem Inverkehrbringen vollständig ausgleichen, stellt eine solche Abgabe ebenfalls eine gegen die Art. 28 und 30 AEUV verstoßende Abgabe zollgleicher Wirkung dar (Urteil vom 1. März 2018, Petrotel-Lukoil und Georgescu, C‑76/17, EU:C:2018:139, Rn. 24).

47

Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht erkennbar, dass die streitigen Beiträge eine solche Wirkung haben. Wie der Generalanwalt in Nr. 94 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, dient das Aufkommen aus diesen Beiträgen der Finanzierung des Haushalts von Einrichtungen der sozialen Sicherheit, deren Leistungen weder dazu bestimmt sind noch bewirken, dass die Belastung, die sich für im Inland vermarktete nationale Erzeugnisse aus der Erhebung dieser Beiträge ergibt, vollständig ausgeglichen wird.

48

Viertens geht aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte – wie der Generalanwalt in Nr. 71 seiner Schlussanträge im Wesentlichen hervorgehoben hat – nicht hervor, dass die streitigen Beiträge aufgrund von Kontrollen erhoben werden, die zur Erfüllung von unionsrechtlichen Pflichten durchgeführt werden, oder dass sie ein der Höhe nach angemessenes Entgelt für einen dem Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich geleisteten Dienst darstellen.

49

Vorbehaltlich der Ausführungen in den Rn. 43 bis 47 des vorliegenden Urteils scheinen die streitigen Beiträge daher inländische Abgaben im Sinne von Art. 110 AEUV zu sein; dies zu prüfen ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts.

50

Da Lubrizol in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof vorgetragen hat, dass sie keinen Verstoß gegen Art. 110 AEUV geltend mache, und der Gerichtshof hierzu nicht befragt worden ist, braucht nicht geprüft zu werden, ob Beiträge wie die streitigen Beiträge diskriminierend im Sinne von Art. 110 AEUV sind.

51

Nach alledem sind die Art. 28 und 30 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die vorsieht, dass die Bemessungsgrundlage von Beiträgen, die ab einer bestimmten Höhe des Jahresumsatzes der Gesellschaften auf diesen Umsatz erhoben werden, unter Berücksichtigung des Wertes der von einem Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens aus diesem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat der Union verbrachten Gegenstände berechnet wird, wobei dieser Wert bereits ab der Verbringung berücksichtigt wird, während bei einer von dem Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens vorgenommenen Verbringung derselben Gegenstände innerhalb des betreffenden Mitgliedstaats ihr Wert erst bei ihrem späteren Verkauf in der Bemessungsgrundlage berücksichtigt wird, sofern

erstens der Wert dieser Gegenstände bei ihrem späteren Verkauf in diesem Mitgliedstaat nicht erneut in der Bemessungsgrundlage berücksichtigt wird,

zweitens ihr Wert von der Bemessungsgrundlage abgezogen wird, wenn diese Gegenstände nicht zum Verkauf in dem anderen Mitgliedstaat bestimmt sind oder in den Herkunftsmitgliedstaat zurückgebracht worden sind, ohne verkauft worden zu sein, und

drittens die Vorteile, die sich aus dem Aufkommen aus diesen Beiträgen ergeben, die Belastung des auf dem Inlandsmarkt in den Verkehr gebrachten inländischen Erzeugnisses bei seinem Inverkehrbringen nicht vollständig ausgleichen, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

Kosten

52

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Art. 28 und 30 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die vorsieht, dass die Bemessungsgrundlage von Beiträgen, die ab einer bestimmten Höhe des Jahresumsatzes der Gesellschaften auf diesen Umsatz erhoben werden, unter Berücksichtigung des Wertes der von einem Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens aus diesem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verbrachten Gegenstände berechnet wird, wobei dieser Wert bereits ab der Verbringung berücksichtigt wird, während bei einer von dem Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens vorgenommenen Verbringung derselben Gegenstände innerhalb des betreffenden Mitgliedstaats ihr Wert erst bei ihrem späteren Verkauf in der Bemessungsgrundlage berücksichtigt wird, sofern

 

erstens der Wert dieser Gegenstände bei ihrem späteren Verkauf in diesem Mitgliedstaat nicht erneut in der Bemessungsgrundlage berücksichtigt wird,

 

zweitens ihr Wert von der Bemessungsgrundlage abgezogen wird, wenn diese Gegenstände nicht zum Verkauf in dem anderen Mitgliedstaat bestimmt sind oder in den Herkunftsmitgliedstaat zurückgebracht worden sind, ohne verkauft worden zu sein, und

 

drittens die Vorteile, die sich aus dem Aufkommen aus diesen Beiträgen ergeben, die Belastung des auf dem Inlandsmarkt in den Verkehr gebrachten inländischen Erzeugnisses bei seinem Inverkehrbringen nicht vollständig ausgleichen, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.